Geschichte
der Stadt Pforzheim
Johann Georo Friedrich Pflüogef
<36634512640011
<36634512640011
Bayer. Staatsbibliothek
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Geſchichte |
der
Stadt Pforzheim.“
Rearbeitet
von
3. 6. £. üger,
Vorſteher der boberen Tohrerichule in Pſorzheim.
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* Erſte Lieſerung. —
Pforzheim, 1861.
Druck und Sommiffionsverlan von X. M. Klammer.
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(I. Behrens.)
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Diefe Geihichte der Stabt Pforzheim ericheint in 4— 5 Lieferungen zu je 36
Kreuzern, Haupttitel, Negifter, Inhalts: und Subferibentenverzeihnift
werden fammt etwaigen Zuſätzen und Berichtigungen mit ber legten
Lieferung ausgegeben werben,
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der
Stadt Pforzheim.
Bearbeitet
von
3. 6. 4. Müger,
Direktor der höhern Töchterſchule in Pforzheim,
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an
Pforzheim, 1862.
Drud und Kommilfionsverlag von I. M. Flammer—
(W. Behrens.)
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Digitized by Google
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21
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Nach langjährigen Vorarbeiten übergebe ich hiemit der Deffentlichkeit
die Gejchichte einer Stadt, die eine der älteften unferes Landes ift, Jahr:
hunderte hindurch auch die größte Stadt der alten Markgraffchaft Baben
und geraume Zeit die Refidenz ihrer Fürften war, bei vielen wichtigen
Ereigniffen, welche dieſe und ihr Land betrafen, eine hervorragende Rolle
geipielt, eine große Zahl bedeutender Männer hervorgebracht hat und
heute in Bezug auf Gewerbthätigkeit unter den badiſchen Städten den
erften Rang behauptet. Ich habe weder Mühe noch Zeit gejpart, auch
fonftige Opfer nicht gefcheut, um eine möglichit zufammenhängende und
ausführliche Darftellung der Vergangenheit Pforzheims liefern zu können,
und ich Hoffe, in erfter Neihe den Bürgern und Einwohnern diefer Stadt
jelber, ſodann überhaupt Allen, welche fich für waterländifche Gejchichte
intereffiren, eime nicht ummwilllommene Gabe zu bieten. Muß es für
jene doppelt wichtig erfcheinen, mit den Begebenheiten und Veränderungen
näher befannt zu werben, welche fih auf dem Stüd Erde, auf dem fie
fich tagtäglich beivegen, ſchon zugetragen haben, fo ift auch für ben Freund
der Gejchichte überhaupt die Darftellung der biftorifchen Vergangenheit
eines einzelnen Drtes ſchon darum von Bedeutung, weil ſich einerfeits
barin im Kleinen Alles wiederholt, was die Meltgejchichte im Großen
aufweist, und weil andererfeits zu eben biefem Großen und Ganzen der
Geſchichte jenes Kleine und Einzelne die erforderlihen Baufteine liefert.
Ergibt fi) daraus die Bedeutung des Einzelnen für das Ganze,
jo Kann wiederum Jenes nur in Zuſammenhang mit Diefem richtig auf:
gefaßt und verftanden werden. Es wird deshalb eine Ortsgeſchichte nur
dann ihrem Zweck entfprechen, wenn fie nicht bloße abgerifjene Einzel:
heiten zufammenhangslos aneinanderreiht, wie das fo häufig in Chroniken
geſchieht, fondern wenn Alles, was fie enthält, nicht nur im möglichit
u
enger Verbindung unter fih, jo daß eine ftete Entwicklung des Einen
aus dem Anbdern erfichtlih ift, fondern au im Zuſammenhang mit ber
vaterländiichen, ja der allgemeinen Geſchichte dargeftellt wird. Ich babe
diefem Grundfaß bei Ausarbeitung des vorliegenden Werfes durchweg
gehuldigt. Jedem Kapitel it das, was zum allgemein gefchichtlichen
Verftändnig und zur Feithaltung des hiſtoriſchen Zuſammenhangs „des
Einzelnen mit dem Ganzen zu wiffen nöthig ift, vorangeftellt, und es
wird mir Freude mahen, von fompetenten Beurtheilern meines Buches
zu vernehmen, daß ich darin nach richtigem Plane gehandelt und auch,
indem id; mich auf das Maaß des Nöthigen beſchränkt, das Rechte
getroffen babe.
Dei Abfafjung vorliegender Geſchichte Pforzheims konnte ich mehrere
Vorarbeiten benützen, da ſchon früher einige Verſuche gemacht worden
find, manches Wichtige aus der Geichichte diefer Stadt zufammenzuftellen,
Dies geſchah zuerft gegen Ende des fiebzehnten Jahrhunderts durch den
von Pforzheim gebürtigen Dr. 3. H. Map in feinem „Leben Reuch—
ins“ (Durlah, 1687), fpäter durch E. L. Deimling im Vorwort
zu feinem Drama: „bie vierhundert Pforzheimer” (1788), duch Gehres
in feiner „einen Pforzheimer Chronik“ (1795 und 1811), theilweiſe
aud durch Roller in feinem „Berjucd einer Beichreibung Pforzbeims“
(1811); Fragmentarifhes bat Lotthammer in jeimer Seitjchrift:
„Pforzheims Vorzeit“ (1835) geliefert. Alle diefe Schriften enthalten
für eine zufammenhängende Geſchichte Pforzbeims mandes brauchbare
Material, aber auch Vieles, was ohne forgfältige Prüfung nicht benutzt
werden konnte, weshalb ich überall, wo es möglich war, auf die Quellen,
aus denen die Verfaſſer jener Schriften ſchöpften, felber wieder zurüds
gegangen bin. Am fleißigften und gründlichften unter den Genannten
bat Lotthammer auf dem Gebiete der Gefchichte feiner Vaterſtadt ge:
arbeitet; doch ließ ihn der Tod jein Werk nicht vollenden. Seine
Manufcripte, die fi) im Großh. Generallandesarchiv zu Karlsruhe be-
finden, haben mir manche ſchätzbare Ausbeute gewährt, obgleid) auch bier
wieder auf Grund nemerer Forſchungen und der Ergebnifje derjelben
Vieles zu berichtigen und zu ergänzen war.
An fonftigen Quellen, und zwar gedrudten und ungedrudten,
IE
babe ih, wie mein Verzeichniß derſelben nachweist und wie auch aus
ihrer unten folgenden Angabe erfichtlih it, eine fehr große Zahl benützt,
und es iſt mir durch Verarbeitung des aus denſelben geſchöpften Materials,
das, in Zufammenhang gebracht, oft ganz überrafchende Ergebniffe lieferte
und ein MWeiterbauen geftattete, auch gelungen, über manche Parthien der
Geſchichte Pforzheims, die bisher noch wenig aufgehellt waren, Licht zu
verbreiten, Anderes, was irrig aufgefaßt und demgemäß auch nicht ganz
ber Wahrheit entfprechend und lückenhaft dargeftellt war, zu berichtigen
und zu verpollftändigen, und überhaupt ein zufammenhängenderes und
mehr ins Einzelne gehendbes Bild der Vergangenheit Pforzheims zu ent:
rollen, als dies bei frühern Verſuchen der Art gefchehen. Ungedrudte
Duellen fanden fi zunächſt im biefigen Stadtarchiv, und obgleid
ein großer Theil desfelben den Flammen des orleans'ſchen Krieges zum
Opfer fiel, fo ift doch noch eine Anzahl für den Geſchichtsforſcher werth:
voller Urkunden, alter Kagerbüder, Kopialbüder, NRathe:
protofolle, Bürgermeifter: und Stiftungsrehnungen x,
vorhanden , die nebft Alten des Großh. Oberamts umd der Heil—
und Pflegeanftalt dabier, fowie alten Kontraktenbüdhern des
Großh. Amtsreviforats, ferner alten Kirchen büchern, Zunftrech—
nungen, Familienaufzeichnungen u. ſ. w. vielen Stoff zur
Verarbeitung lieferten. In noch höherm Grad war dies beim Großh.
Generallandesardiv im Karlsruhe der Fall, das mir durch bie
Liberalität Großh. Minifteriums des Innern zugänglich gemacht wurde,
und aus dort aufbewahrten Urkunden, Repertorien, Kopial—
und Ragerbüdern, Alten ꝛc. konnte ich für meine Zwecke ein jehr
reiches Material erheben. Die Quellen, aus denen ich gefchöpft habe,
find in meinem Werk überall angegeben, und zwar in ber Regel bie
Hauptquellen zu Anfang eines jeden Kapitels, andere Quellen unter dem
Tert. Alle einzelnen Stellen mit Gitaten zu belegen, wie das in ge:
lehrten geſchichtlichen Arbeiten zu gefchehen pflegt, hielt ich dem Zwecke
meines Buches nicht entfprehend ; doch ift diefes in meinem Manufeript
geſchehen, und ich bin deshalb im Stande, Jedem, der vielleicht eine
derartige nähere Auskunft wünfcht, im Einzelnen Rede zu ftehen und
meine Quellen zu nennen,
Iv
Schließlich muß ich mich der Pflicht der Dankbarkeit gegen bie-
jenigen Männer entledigen, deren freundlicher Unterftügung id) bei meiner
Arbeit mich zu erfreuen hatte, Es find dies zunächft in unferer Stadt
die HH. Oberamtmann Fecht und Dberbürgermeifter Zerrenner,
fodann die HH. geh. Hofrath Dr. Vierordt in Karlsruhe und Pro:
fefior Dr. Fickler in Mannheim. Zu ganz befonderm Danfe aber bin
ich den HH. Archivbirektor Dr. Mone, Ardivratt Dam bacher und
Archivrath Dr. Bader in Karlsruhe verpflichtet, die mir im Allgemeinen
wie im Einzelnen aufs Bereitwilligfte mit Nath und That an die Hand
gegangen find und in Ausarbeitung meiner Pforzheimer Ortsgeidhichte
fo wejentlichen Vorſchub geleiftet haben.
Und fo möge diefelbe dem hinausgehen und um fo nacfichtigere
Beurtheilung finden, als ich nicht Gefchichtichreiber vom Fach, fondern
auf diefem Feld bloß Dilettant bin, wenn auch das Studium ber Ge
fchichte von jeher zu meinen Lieblingsbefchäftigungen gehörte, Weiß mein
Bud aber nicht allein bloße Neugier zu befriedigen, fondern auch zu
belehren und Freude und nterefje an der Geſchichte einer Stadt, bie
mir eine zweite Waterftabt geworben, zu erweden, fowie innigere An:
bhänglichkeit an dieſelbe und den vaterländifchen Boden überhaupt, nament:
lich aber auch Liebe zu einem Fürftenhaus zu pflanzen, das Pforzheim
immer zu feinen Kleinodien zählte und von dem fo manche erlauchte
Ahnen der Stadt mit ganz befonderer Gunft zugethan waren, jo find
erfüllt die Wünfche
Pforzheim, im Sommer 1860.
des Berfaflers.
Inhaltsverzeihniß,
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Seite
Erftes Sagenhaftes . i ; 1
weites l. Urgeſchichte (600 Chr. = gr n. 5 r. 4
8§ 1. Die Kelten. 4
$ 2. Die Germanen (Sueven, Warfomanın r ; 6
Drittes Römerzeit (15—400 u. 4 R ’ 8
6 1. Allgemeines . : z 5 ; . . 8
* Römerſtraßen 10
$ 3. Leugenzeiger, Grabfleine, Altäre, Binföde, Münzen. 13
— .Römiſche Gebäude und Mauerrefte A ‘ — |°
Pforzheim, eine Römerftadt . : 20
Diertes — Pforzheim während der großen Bölferbewegungen
und Bölterfämpfe in den nachfolgenden Jahrhunderten (240—900) 26
$ 1. Die Alemanen . : ö r : 3 i . 26
62. Die Franfen : j ; } r . r . 29
$ 3. Der Enzgau . . 3a
Fünftes — Die früheften Herten von xfendum 000-1200) 35
61. Die Grafen von Calw 35
$ 2, Die Grafen von Eherfein_. ; ; i ; —37
93. Das Kloſter Hirfhau . —40
$ 4. Die Herzoge von Schwaben (Hopenfaufen) . 44
$5. Die Pfaljgrafen bei Rhein A j i 47
Schötes Kapitel, Pforzheim badiſch (um 1220) j u 50
$ 1. Die Markgrafen von Baden 30
* Kenn wirb babifch ; ; u ———
— forzheim im 13. Jahr — 55
81 — 55
$ 2. Beſonderes. (Pforzheim nad Außen, Adelogeſchlecher
der Umgegend) . . 5 j : R } — J7—
VI
83.
$4
$ 5.
$ 6.
Anhaltsverzeichniß.
Innere Berhältniffe Pforzbeims. (Schultheißen, Stadt.
rath, ftädtifhe Abgaben, Klöfter ıc.). ;
Umfang, Ausfeben, Theile, Namen und Siegel ber
Stadt; Spradprobe aus dem 13. Jahrhundert
Pforzheimer Gefchlechter i
Eine Sage
Achtes Kapitel, Pforzheim während der mehrfach erfolgten Theilun-
gen und Zerflüdelungen der Marfgraffchaft Baden bis zur
Wiedervereinigung des Getrennten (meift 14. Fr
$ 1.
g 2,
83.
Allgemeines
Beſonderes chonbein * Außen)
Inneres . A ;
a. Schultheißen
b. Klöſter, Kirchen, Spitäler
c. Ausfehen und einzelne Theile der Stadt
d. Gewerbe, Handel ac. i ; ä
e, Pforzheimer Bürgergefrhlechter
Neuntes Kapitel. Pforzheim unter den Markgrafen Bernhard L.,
Jalob 1,
1.
) 2.
3.
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$ 4.
und Karl L En 15. ai
Allgemeines .
Beſonderes
Inneres . .
a, Städtiſche Verhältniſſe im Allgemeinen .
b. Kirde und Schule (Errichtung eines Kollegiatfifte,
Reformation der Klöfter, Gründung einer Tatei-
nifhen Schule) ö R s . F
c. Gewerbe und Handel, herrfchaftlihe Einfünfte in
Pforzheim, Bruderfchaften, Preife ver Lebensmittel
d. Stadtbeile, Bürgergeſchlechter :
Johann Reucblin
Behntes Kapitel, Pforzheim unter . rito ( 175-1518)
$ 1.
$ 2.
g 3.
g4.
$ 9.
$ 6.
Allgemeines
Befonderes A
Gründung einer Buchbruderei in Pfor heim (um 1500)
Die Pforzheimer Gelehrtenſchule (um 1500)
Gründung der Singergefellfhaft (1501)
Zur Sittengefcbichte jener Zeit .
Elfte® Kapitel. Stadtverfaflung (von 1500)
$ 1.
82.
Vorbemerkungen. „Ordnung und — von 1491 .
Der Ortsvorftand
a, Schultheiß und Gericht .
b. Bürgermeifter und Rath
Seite
[7 Er nz
wre
Inhaltoeverzeichniß.
Die Gemeindevienfte .
Die Bürgerfhaft
Polizeilihe Einrichtungen und Anortuungen
a, Allgemeine Polizei . ; . .
b. Befondere Polizei
Zwölftes Kapitel. Pforzheim unter ven Martgrafen Bon, Ernfi
und Karl I. (1515 — 1577)
g1.
g2,
83.
84.
$ 5.
$ 6.
Allgemeines .
Befonderes. Pforzheim feinen Fürften ———
Inneres. (Verſchiedenes, Stiftungen, Schützengeſell—
ſchaft und Schützenfeſt 1561, fonftige Ereigniſſe)
Die Stadt ſelbſt
Kirchliche Verhältniſſe Prorzpeims im Reformation-
jeitalter
a, Bor der Einfüprung der Reformation in Baden-
Durlach (1517—1556)..
b. Einführung der Reformation (1556 a
Berühmte Pforzheimer aus dem Reformationgzeitalter
a. Johannes Unger j ; . . .
b. Johannes Schwebel
e, Ritolaus Gerbel
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim unter er vormundfäaftlichen
Regierung und den Markgrafen Ernft en und —
Friedrich (1877 1622)
$ 1. Allgemeines : E04
$ 2, Befonvderes. (Prorzheim feinen Fürften ae -
$ 3. Inneres. (Stiftungen, Verſchiedenes, — in
Pforzheim um 1600)
$ 4. Religionsunruhen in Pforzheim 1601-1609) . .
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim — des —— Krie⸗
ges (1618 1648).
$ 1. Einleitung .
$ 2. Die erften Jahre des Krieges ( 1618-1623)
$ 3. Die Schlacht bei un am 26. April (6. Mai)
$.4.
$5
$
$
$
1622 ı
Bon ver Sclacht von Wimpfen bis zur Sclacht von
Nördlingen (1622— 1634) R
Die Schlacht von ee und ihre Folgen cs
—1636) . ‚
Religionsbedrückung in Pforzheim (1635 — 1643)
4
”
Fortfegung. Glaubenstreue der Pforzheimer **
Letzte Jahre des Krieges (1643-1648)
302
319
330
330
336
344
VIII
Inhaltoverzeichniß
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim in der Zeit vom SIDE
Frieden bis zum orleans’fhen Krieg (1648— 1688) . i
$1.
52.
$ 3.
54.
$ 5.
$ 6.
Allgemeines .
Beichreibung der Stavt, Bevölferungsverpältniffe .
Blicke in’s ſtädtiſche Gemeinleben, Bürgergefhlechter .
Zunft und Gewerbsverhältniffe. Preife ver —
Lebensbedürfniſſe. Maaß, Gewicht ꝛc.
Zur Sittengefbichte .
Zum boländifh-franzöfifchen Cinzemburgifden) Kriege
(1672—1679) .
Schöjchntes Kapitel, — im — een Reg (1688
— 1697)
$ 1.
$.2.
$ 3.
4.
$ 5.
$ 6.
.
Einleitung . .
Bom Beginn ded Krieges bis zum erſten Brand.
(Herbſt 1688 bis Januar 1689)
Vom erſten bis zum zweiten Brand. Chauuur bis
Auguft 1689)
Zuftand der Stadt nad dom weiten Brand. Benin
gen zur Verbefferung desfelden (1689-1691) .
Neue Berwüftungen. Berennung und Plünderung Pforz-
heims. Treffen bei Pforzheim und dritter Brand (1691
und 1692)
Die folgenden Rriegsjahre. Der Friede zu Ryswit
(1693— 1697)
Siebzehntes Kapitel. Die erften hehnzheme des 18. Zahrhundens
(1697 —1746) .
$1.
$ 2.
$ 3.
$ A,
$ 5.
$ 6.
57.
Allgemeines
Beſonderes. Wiederaufbau der Stadt; Verſuche zur
Herbeiführung beſſerer Zuſtände
Fortſetzung des Vorigen; vevoͤllerungoverhaãlinifſe
nach dem Krieg; neue Einwanderungen
Pforzheim im ſpaniſchen Erbfolgekrieg (1701 - 1714)
und im polnifchen Krieg (1733—1735) : i
Gründung des Waifenhaufes zu Pforzheim (1714)
Der Privilegienftreit (1716—1730) .
Berühmte Pforzheimer
a. Johann Heinrih May .
b. Johann Burkard May .
c. Karl Joſeph Bougine
Achtzehnte® Kapitel. Pforzheim unter Karl Friedrich bis zum Aus:
bruch der franzöfifhen Revolution ———
g 1.
Allgemeines
596
597
399
Anbaltsverzeichniß.
5 2. Beſonderes
$ 3.
$ 4.
Inneres (fäbtifche Berhäftnifle, Gewerbe, Dandel,
Kirchliches, beſondere Ereigniſſe)
Entſtehung und Entwicklung der BStouuerhiadrüator
in Pforzheim (1767 ff.) - .
a. Erfie Anfänge, Errichtung einer Uprenfabrif .
b. Erweiterung der Uhrenfabrik zu einer Juwelen»,
Gold» und Stahlwaarenfabrif :
ce. Trennung der Quincailleriefabrif von der üpren-
fabrif e s
d. Weiterer Fortgang der Uprenfabrifation i
e Beiterer Fortgang der berrfihaftlichen Stahlfabrit
Verkauf derſelben; Entſtehung neuer Kabinete
f. Einführung der Goldkontrole; weitere Entwicklung
der Pforzheimer Bijouteriefabrikation
Neunzehntes Kapitel, Vom Beginn der rn Revolution
bis auf die neuefte Zeit (1789-1862) . b
S 1.
Allgemeines ; ; j
$ 2. Pforzheim während der frangöffepen Kriege
$ 3. Innere Berhältniffe Pforzheims; Schluß
Hi ur)
Erſtes Kapitel
Sagenhaftes.
Die älteſte Geſchichte Pforzheims iſt in ein Dunkel gehüllt, das
völlig zu durchdringen auch der gründlichſten Forſchung nie gelingen
wird, weil die Quellen, aus welchen Zuverläßiges geſchöpft werden könnte,
gar ſpärlich fließen. Kaum iſt für ſpätere Jahrhunderte einzelnes Ab:
gebrochene, Fragmentariihe aufbewahrt worden, und es erjcheint oft:
als eine ſehr undanfbare Mühe, alle die an nnd für ſich faſt nichte:
fagenden Notizen zu fammeln, um aus deren Wergleihung ein Ergeb:
niß zu erzielen, das eme gut erhaltene zuverläßige Quelle in einigen
Zeilen uns ficherer gewähren kann. Für ältere Zeiten ift man faft
ganz auf Fombinirende Urtbeile und Bermuthungen verwiejen.
No indeffen die Geſchichte fchweigt und oft kaum Vermuthungen
geftattet, da ift die innmer rege Phantafie des Menſchen um fo geihäftiger,
bie vorhandenen Lücken auszufüllen und an die Stelle der gejhichtlichen
Thatſache die Sage zu eben. Zeigt fi dieſe Erfcheinung in ber
Geſchichte faft aller Völker, warum follten wir ihr nicht auch in dem
engern Rahmen begegnen, in welchem ſich eine Stadtgefchichte bewegt?
In der That hat es auch in Bezug auf die äÄltefte Gefchichte Pforz—
heims, namentlich auf die Gründung der Stadt, an Verjuchen nicht ges
fehlt, diefe in die .graue Vorzeit zu feßen und Pforzheim den Rang
unter den älteſten Städten der Welt anzuweiſen.
Als die Griechen, ſo erzählt der berühmteſte aller Pforzheimer,
Johann Reuchlin,1) nach zehnjähriger Belagerung die in Kleinaſien ge
legene Stadt Troja im Jahr 1184 vor Chriſtus erobert und zerſtört
hatten, Ha fuchten ſich manche ihrer bisherigen Bewohner, welche vom
Schwert verſchont geblieben waren, eine neue Heimath. Der befannteite
unter dieſen trojaniichen Flüchtlingen iſt Aeneas, der nach Italien
— —
-—
) Reuchlin, de verbo mirifico, 1494, — J. =. Maji vita Reuchlini, p. 95- 9.
Prager, Pforzheim, 1
2 Erſtes Kapitel. Sagenbaftes.
ging und deſſen Sohn Askan dafelbit die Stadt Albalonga gründete,
welche fpäter die Mutterftadt von Nom wurde Aber ein anderer ebd:
fer Trojaner, Namens Phorkys, feste feinen Wanderſtab noch weiter
und kam endlich in den Schwarzwald. An einem klaren Fluffe machte
er Halt, und als er von einem alten Manne den Namen „Enz“ ver:
nahm und dafür Aeneas verftand, rief er begeiftert aus:
Biſt du jener Aıncas, welden dem Troer Anchiies
Venus die Schöne cebar an des Eimois phrygiſchem Etreme?
Und nun beſchloß Phorkys, an diefer Stelle eine Stadt zu bauen, die
er, als es gefcheben, nach feinem Namen Phorka taufte, woraus dann
fpäter der Name Pforzheim entſtanden ift.
Ob diefe Sage von der Gründung der Stadt Pforzheim bins
bie Trojaner Älter als Reuchlin iſt und von ihm nur wiebererzählt
wurde, oder ob fie in feinem eigenen Kopf gewachſen: das will ich
nicht entjcheiden. Letzteres möchte indeß dns Wahrſcheinlichere fein, und
dürfen wir uns darüber nicht wundern, da es ganz im damaligen Ge:
fhmade lag, den Urſprung der Städte möglichit weit zurüd zu batiren.
Aehnliches geihab ja auch bezüglih der Stammbäume der Adelsge—
ichlecyter , die manchmal bis zur Arche Noahs zurüdreichten. Es fehlt
zu obiger Erzählung, um die Nehnlichkeit der Gründung Pforzbeims
mit der Noms in noch belferes Licht zu eben, nur neh ein Albalonga,
und es ift zu verwundern, daß Meuchlin nicht an Langenalb gedacht
und daſſelbe in Beziehung zur ntjtehung Pforzheims gebracht bat,
was doch jo nahe gelegen wäre. Zu bemerken iſt bier noch, daß ſich
Melanchthon über dieſe Erzählung Reuchlins Tuftig machte. In einem
zu Ende des 17. Jahrhunderts erjcienenen Büchlein, 1) worin der
Gründung Piorzheims durch die Trojaner auch Erwähnung gejchieht,
jest der Verfaſſer treuherzig hinzu: „Ich fürchte aber, die guten Tro—
janer ſeyen bieher über das Gebürg nie kommen.” Mir dürfen als
ficher annehmen, daß der Mann Recht bat.
In eine nur wenig fpätere Zeit ſetzt ein württembergifcher Chronift 2)
die Entftehung von Pforzheim, bringt diejelbe aber auch, vielleicht von
1) Der Durdlauchtigften Zürften und Marggraien von Baaben
Leben, Regierung, Großtbaten und Abiterben x. ꝛc. (Frankfurt und Leipzig bei
Riegel, 1695.) ©. 91.
») M. Ib. Friſchlin, hiſtoriſche Beſchreibung des Landes Württemberg
(». 1614), 1, 43.
Erites Kapitel. Sagenhaftes. 3
Reuchlin verleitet, mit flüchtigen Trojanern in Verbindung. Er erzählt,
im Jahr 2900 nah Erſchaffung der Welt hätten fih Grunius und
Thorcis vom Stamm des Aeneas Sylvins (eines jüngern Sohnes
des Trojaners Neneas, den dieſer nach der Angabe des Dichters Virgil
in Stalien mit Lavinia, der Tochter des laurentiniſchen Königs Latinus
erzeugte,) in der Gegend des Schwarzwaldes niedergelafjen. Grunius habe
die Stadt Gröningen (Mark-Gröningen in Württemberg), Phorcis aber
die Stadt Piorzbeim an der Enz gebaut.
Es ift ſchon in der Leberfchrift dieſes Kapitels gefagt, wohin
derartige Erzählungen vermieten werden müßen, nämlich in das Neid)
ber Sage, oder, da die Cage dech im der Megel noch einen geichicht-
lichen Untergrund bat, in das Gebiet der vollftändigen Erfindung.
1*
Sweites Kapitel
—nnn
Urgeichichte.
(600 v. Chr. — 15 n. Chr.)
F 1. Die Kelten.
Die älteften Bewohner Mitteleuropas, alſo auch Deutfchlande,
waren die aus Hodafien um 600 ver Ghrifti eingewanderten Kelten
oder Eelten. Namentlich fcheinen das Rheinthal und die dasfelbe be:
grenzenden Borhügel des Schwarzwaldes ſchon frühe durch die Kelten
angebaut worden zu fein, und bis auf unfere Tage haben fih Spuren
feltifcher Niederlaffungen und Teltiicher Kultur als Denkmäler einer dun—
keln Vorzeit erhalten. Es gehören dazu die Erdwälle und Gteinringe
die Trichtergruben und Hünengräber, die man ſchon im verſchiedenen
Theilen unferes Landes aufgefunden bat, und namentlid) find die Grab—
hügel mit Steinplatten und die beim Nachgraben zum Vorſchein gekom—
menen Schmudjachen von Gold, Kupfer oder Bronce und gefchmolzener
Erde zuverläßig keltifher Herkunft. Auch die Namen mander unferer
Städte find Feltijchen Uriprungs, fo Juliomagus (Stühlingen), Bodumgo
(Bodmann), Brigobanne (Bräunlingen), Brifiacum (Breifah), Yupodunum
(Ladenburg), Bruchfal (von brug sal, was fo viel als großes Haus oder
Wohnſitz bedeutet). 1)
Es ift kaum zu bezweifeln, daß auch der Nordabhang des Schwarz:
waldes ſammt dem fich daran anschließenden Hügelland und den dagfelbe
durchfchneidenden Thälern von den Kelten beivohnt war, wenn auch
biefür ein betimmter Beweis durch aufgefundene keltiſche Alterthümer bis
jetzt nicht geliefert werden fann, Der Umftand jedoch, daß das Alb: und
Pfinzthal mit dem durch eine leicht zu überfteigende Waſſerſcheide davon
getrennten Enzthal von jeher einen bequemen Uebergang vom Rheinthal
) Mone, Zeitfchrift zur Gefchichte des Oberrheins, VII, 381.
weites Kapitel. Urgefchichte. 5
in das Nedarthal boten, fomit ohne Zweifel auch die Kelten bei ihren
Wanderungen diefen Weg eingeichlagen haben, berechtigt zu dem Schluffe,
daß dieſelben jhen früh auch in die Gegend von Pforzheim gekommen
fein und Einzelne davon ſich da, wo die Vereinigung dreier nie verfie-
genden Flüſſe und ein fruchtbarer Thalgrund zur Anfiedelung einluden,
niedergelaffen haben mögen. Unverkemmbare Spuren keltifcher Abſtam⸗
mung finden ſich bei manchen Orts- und andern Namen der Gegend
von Pforzheim. 1) So läßt fid der Name des Fluſſes Nagold von
dem feltiihen an aghallt, oder mit abgefürztem Artikel m aghallt,
ableiten, mas auf deutſch Hirſchbach heißt Es fprict dafür
nicht nur der fpätere Name des Fluſſes und des Städtchens Nagolb,
der in Urkunden aus dem achten und neunten Jahrhundert Nagalt
und Nagalta lautet, fondern es ftimmt damit auch der Name des
an der Nagold liegenden, im neunten Jahrhundert gegründeten Kloſters
Hirſchau überein. Der Name Enz kann vom Feltifchen an, Waſſer
gebildet fein, dem ſpäter das deutfche t angefügt wurde, das fih dann
wie bei vielen andern Wörtern, in s oder z verwandelte. Aus uchel, was
fo viel als hoch, Tuftig, thurmartig bedeutet, fann Huchenfeld eben '
jo gut entjtanden fein, als Heuchelberg, (alt Huchelberg), Heuchelheim ıc.
(Daß diefe Namen nicht von Hugo herkommen, zeigt ihre Schreibung.)
Vielleicht it aud der Name der Anhöhe Hachel von diefem uchel
berzuleiten, fowie die Structh oder Strutt, wie die fog. Strüt-
oder Strietäder rechts der Wurmberger Straße früher (fo noch 14392)
biegen, von sruth, d. h. Bad, Fluß abgeleitet werden kann, indem
wirklich ein Bad in der Nähe jenes Feldes entfpringt, der dafelbit früher
Weiher bildete. Ittersbach heißt auf keltiſch Wahholderbad, De
Ichelbronn wäre gleih Binjenbronn, Niefern läßt fich von ’n ibhar,
Eibenbaum, herleiten u, ſ. w.
Auch für den Namen der Stadt Pforzheim darf man um keltiſche
Ableitung nicht verlegen ſein. Es liegt wenigjtens nahe, denfelben mit
dem wälſchen ffordd in Zuſammenhang zu bringen, was fo viel als
Strafe, Durchgang bedeutet und dem deutichen Pforz (altdeutich Phorz)
genan entjpricht. Jene Bedentung ftimmt aud volltommen wit der ü
Lage der Stadt, über welche ſchon in früheſter, vielleicht Keltifcher Zeit
1) Man vergl. zum Folgenden Mone, Urgefchichte Badens, H. 81.
2) Sahs, Einleitung im die Gefhichte der bad. Marfgraffhaft, HM. 323.
6 Zweites Kapitel. Urgeichichte.
wichtige Verbindungsftraßen führten, überein. Der Name Pforzheim
würde alfo in diefem Falle die Bedeutung von Straßenheim haben.
Es fehlt nicht an Beijpielen von Ortsnamen, die von alten Straßen
berühren, 3. B. Straßenheim bei Ladenburg, Straßen bei Zuremburg.!)
Auch der Name Straßburg ift verwandter Bedeutung.
Ob übrigens, wenn man die Berechtigung dieſer Ableitung aner:
tennen will, nach der erften Einwanderung der Selten, welche, wie be:
reits erwähnt, ſchon mehrere hundert Jahre vor Chrijtus erfolgt fein mag,
oder bei der Rückwanderung keltiſcher Abkömmlinge aus Gallien, die ins erjte
Jahrhundert der chriftlihen Zeitrechnung fällt und von der im folgen:
den Kapitel die Mede fein wird, am Einfluß der Nagold in die Enz
eine keltiſche Nieberlaſſing gegründet und ihr der erwähnte Name ge
geben wurde, läßt ſich natürlich nicht ermitteln.
$ 2. Die Germanen (Sueven, Markomannen).
Die Kelten blieben nicht im ruhigen Befiß des Landes. Vom
hohen Norden Europas ber, als ihrer eigentlichen Heimath, drangen
noch vor Beginn der chriftlichen Zeitrechnung die wilden Germanen
oder die Deutfhen immer weiter gegen Süden vor, und die Kelten,
oder wie man fie fpäter auch hieß, die Galen oder Gallier, mußten
ihrem unmibderftehlichen Andrang weichen und, jedoch nicht ohne lange und
blutige Kämpfe, auch das rechte Mheinthal, alfo damit unſere Gegend,
verlaffen und ſich auf das linke Ufer des Stromes zurüdziehen. Ohne
die fpätere Dazmwiichenfunft der Nömer wäre es den Germanen ficher
gelungen, die Gallier ſich ganz unterwürfig zu machen.
Die Germanen bildeten nicht ein großes, zufammenhängendes Wolf,
ſondern zerfielen in viele, theils größere, theils Heinere Völkerſchaften
ober Volksſtämme. Derjenige von ihnen, welcher den füdlichen Theil des
heutigen Deutichlands, alſo auch das jetige Baden und Württemberg,
einnahm, bieß Sueven oder Hermionen Aus erftrm Wort ift
fpäter der Name Schwaben entftanden. Die verfchiedenen Gaue oder
,„ Meinern Staaten bderjelben, namentlich die zwifchen dem Rheine, der
Donau und dem Maine liegenden, errichteten unter ſich ein Bündniß,
eine Art Eidgenoſſenſchaft, und nannten ſich Markmannen, auch
) Mone, Zeitſchrift für die Geſchichte bes Oberrheins X. 202.
Zweites Kapitel. Urgefchichte. 7
Moartomannen, d. bh. Grenzmannen. Diefer Suevenbund wurde
befonders den Galliern furdtbar, uud endlich zog ein ſueviſcher Fürft,
Ariovift oder Deerveft, 72 Jahre vor Chrifti Geburt, mit einem
Heer, das bis zu 120,000 Mann anwuchs, über den Rhein, um jeinem
Bolt im heutigen Burgund ſchönere und fruchtbarere Wohnpläge zu
verschaffen, als fie die bisherige Heimath bot. In ihrer Noth wandten
ſich die am meiften bedrohten galliidhen Völker an den römiſchen Feld:
bern Julius Cäſar; zwiihen ihm und Arioviit Fam es darauf im
Jahr 58 bei Befangen zur blutigen Schlacht, in welcher die Kriegskunſt
der Römer den Sieg davon trug.
Obgleich Cäfar bald darauf das linke Mheinufer mit dem römischen
Meiche vereinigte, jo wagte er doch nicht, in Deutſchland ſelbſt Erobe—
rungen zu machen; nur am Mittelrhein verfuchte er zwei Uebergänge
(bei Trier in ben Jahren 55 und 53 v. Chr), die jedoch leine weitere
Folge hatten.
Die Markfomannen mochten indefjen in den Römern doch allzu gefähr—
liche Nachbarn erkannt haben und für ihre Unabhängigkeit beiorgt geweſen fein,
Sie bejchlofjen deshalb, ihre bisherigen Wohnfige zu verlajjen und ander:
wärts, entfernt von der römiſchen Uebermacht, ein feſtes Reich zu grün:
ben. So zogen fie alfo um das „Jahr 9 oder 15 n. Chr. unter An:
führung des Eugen und mutbigen Marbod oder Marobod nah
Böhmen. 8 genüge bier die Bemerkung, daß fich diefer Fürſt zwar
im Anfange ben Römern jehr furdtbar machte , fpäter aber durch Ber:
rath in deren Hände gerietb und als Gefangener in Ravenna ruhm—
los ftarb.
Drittes Napitel.
— — —
Römerzeit. )
(15 — 400.)
$ 1. Allgemeines.
An dem dur den Wegzug der Markomannen faſt menfchenleer
gewordenen Landſtrich zwiſchen Main, Donau und Rhein, demnach auch in
unferen Gegenden, liegen fi Einwanderer aus Gallien, alfo Nachkom—
men der frühern Bewohner des Landes, der Kelten, nieder, mit denen
ſich vermuthlich die wenigen zurücdgebliebenen Germanen vermifchten.
Da fie ſich unter römiſchen Schuß ftellten, fo fcheinen fie von den Rö—
mern als Gegenleiftung zur Entrihtung von Natural: und Geldabgaben,
vielleicht des Zehntens, verpflichtet worden zu fein, weshalb man davon
den Namen Zehntland (Agri decumates) abgeleitet hat. (Letzterer
Name wird übrigens auch „vermeſſenes Land“ überfeßt von dem Kreuz
[>< = einem römifchen Zehner], welches die römiſchen Geometer zogen,
ehe fie ihre Feldmeffungen begannen.?2) Indeſſen fahten die Römer
jelbft immer mehr Fuß in dem für fie und ihre Zwecke jo günftig ges
legenen Land, und namentlich fcheinen noch im Laufe des erjten Jahr:
!) Hanptquellen: Mone, Ürgefhichte Badens; Mone: Zeitichrift zur
Geſchichte des Dberrbeins; Stälin: Württembergifche Geihichte; Leichtlen:
Forſchungen im Gebiet der Geichichte, Altertbums: und Scriftenfunde ;
Creuzer: Zur Gelichte altrömiicher Gultur am Oberrhein und Nedar;
Wilhelmi: Einsheimer Jahresberichte, Nappenegger: Aurelia aquensis
(Beilage zum Mannheimer Eyreumsprogramm für 1853); Arnsperger:
Bericht Über die im Hagenichieß bei Pforzheim 1832 aufgefundenen Altertbümer
(Pforzh. Veobachter von 1832, No. 63— 65); Memminger: Beichreibung
von Württemberg; Paulus: die Römerftraßen, fowie defjen archäologiſche Karte;
bie Schriften des bad. Alterthbumsvereins x. Wo noch andere Schriften
benüßt wurden, find fie an den betreffenden Etellen angegeben,
2) Niebuhr, römifhe Geſchichte.
Drittes Kapitel. Römerzeit, 9
hunderts ſolche Römer und vömifche Provimzialen den Kern der Be-
völferung gebildet zu haben, welde urfprünglic als Veteranen und
Linientruppen eingezogen waren und als Belohnung für treu geleiftete
Kriegsdienfte Ländereien erhalten hatten. Die fürmlite Aufnabme der
ſüdweſtlichen Ede Deutichlands in das Syſtem der römiſchen Provinzial:
verwaltung mag um das Jahr 84 nad Ghr. erfolgt fein, während das
Land ſchon vorher, vielleicht Schon unter Kaiſer Augnftus, militärisch be—
jeßt war, (Das ältefte römiſche Denkmal unjeres Yandes mit Zeitan:
gabe Fällt in die Regierungsperiode des Kaifers Trajan, alſo zwiſchen
98 und 117 n. Chr.) Das Land zwifchen der Donau und der rauben
Alp wurde zur Provinz Rhätien, der obere Theil unferes jeßigen Groß-
berzogtbums zu Sequanien, der untere zu Obergermanien geſchla—
gen, dejjen Oberbefehlshaber der Herzog (dux) zu Mainz war, und ber
vermuthfich für unfere Gegend, wie für die ganze jpätere ſpeier'ſche Diö—
zefe, feinen Unterbefehlshaber in Speier hatte.
linter der Herrichaft ber Römer gelangte das nenerworbene Land
bald zu beſſerem Anbau , namentlih da diefelben mande Gewächſe des
Südens , wie die Nebe, in das Rheinthal verpflanzten; und als aud
in Folge der wachſenden Beröfterung und der Wermehrung der Ort:
fchaften , der Handel in Aufnahme kam, bauten die Mömer fowohl zur
Begünftigung desielben, als auch zu militärifchen Zwecken, ausgedehnte
Heerftraßen, die ſich aum Theil bis auf unfere Zeiten erhalten
haben. Außerdem Tegten fie eine Menge von Bädern, Tempeln,
Landhänfern, Kaftellen, Wartthürmen 2c. an, die heute noch von dem
regen Leben, welches damals in umfern Gegenden geberricht haben mag,
Zeugniß geben. Bei dem bedeutenden Handelsverkehr, der ſogar zur
Gründung ftändiger Handersaefellichaften, führte, 1) ift es natürlich, daß
unter den römifchen Gottheiten namentlich der Beichüter des Verkehrs,
Merkur, ſich einer befondern Verehrung erfreuen durfte. Aber auch
andern Göttern der Kultur, fo dem Apollo, dem Aeskulap, dem
Bulkan, dem Neptun, der Diana u. A. wurden Dentiteine gefebt und
Altäre errichtet, von denen die Gegenwart noch eine Anzahl aufzumeifen
1) In Ettlingen beftand 3. B. ein contubernium nautarum, b. h. eime
Schiffergefelligaft. Da indejfen die Alb nie jchifibar war, jo können darunter
nur Flößer verſtanden ſein, wie man ja auch heut zu Tage noch die Flötze
manchmal Schiffer heißt und in Gernobach darum eine „Schiſfergeſellſchaft
beſteht.
10 Drittes Kapitel. Römerzeit.
bat, Daß übrigens durd die Mömer aud frühe ſchon das Chriften:
thum in unfere Gegenden kam, ift ſehr glaublich, wiewohl Beweiſe durch
Schriften und Denkmäler fehlen. Mande Städte unjeres Landes haben
den Römern ihre Gründung zu verdanken; der Hauptort des weftlichen
römischen Worlandes fcheint aber die Civitas Aurelia aquensis, bag
heutige Baden, gewejen zu jein. Diefe Stadt bildete einen Haupt:
ftraßenfnoten nnd erjtredte fich ihr Gebiet, nach aufgefundenen Leugen—
fteinen zu jchließen, im ziemlicher Entferining gegen Süden, noch weiter
aber (17 Leugen zu 7500 Fuß, alfo etwa 10 Stunden) nach Norden,
demnach bis in die Gegend von Pforzheim.
$ 2. Näömerſtraßen.
Pforzheim war, wie nebenitehendes Kärtchen zeigt, ein Knotenpunkt
für eine größere Anzahl von Nömerftraßen. Die wichtigfte derjelben war und
ift wohl diejenige, welche von Straßburg und Baden ber über Ettlingen und
Pforzheim nad) dem Nedar führt. Eie zieht von Baden aus zuerft in nörde
licher Richtung längs des Gebirges hin, wendet ſich aber von Ettlingen an,
wo eine andere Hauptitraße von Lanterburg her eingemündet baben
muß, nad Often. Hinter Ettlingen, wo ein Seitenweg nad Spiel
berg, Ittersbach ꝛc. ausläuft, führt fie im Albthal bei der fogenannten
Wattmühle durch einen Wald den Berg hinan, mo die Quaderfteine
mit tiefen Geleiſen noch fichtbar find, und gebt dann an Reichenbach
und Langenjteinbach vorbei, wo fie zwei bie vier Fuß tief unter dem
Aderfeld Hinftreicht und Steinſtraße heißt. Weiter führt fie durch
Miefengelinde in den Eichbuſch an Auerbach Hin über die ſogenannte
Bernhälden, auf deren bödyitem Punkt fie die heutige Strafe durch—
ſchneidet, und fteigt dann ins Pfinſthal hinab, mwoielbjt eine Zweigſtraße
vom Kraichgau ber einzutreffen jcheint. Zwiſchen Nöttingen und Ell—
mendingen, an der Kelter bes letztern Orts, gebt die Straße wieder
aufwärts unter dem Namen Hochſtraße, führt ſodann ſchnurgerade
über fefte Schichten von Kalkftein, über welche fie nur als ein bie und
da wohlerhaltener 12 Fuß breiter Damm von Meinen Steinen hervor:
ragt, (weil die Grundlage eine kunſtmäßige Strafe überflüſſig machte),
links an Dietlingen, wo wieder eine Seitenſtraße nad Birkenfeld fich
abzweigt, am obern Saum der Weinberge, denen die Straße hie und
da bat weichen müfjen, vorbei, in das Bröginger Feld, und von bier
Drittes Kapitel, Römerzeit, 414
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I Straße von Baden und Ettlingen ber über B = Reichenbad,
L — Xangenfteinbad, E = Ellmendingen, D — Dietlingen, Br =
Brögingen, P = Pforzheim, Th — Thiergarten, S — Seehaus und
— Tiefenbronn nad) Leonberg und Kannſtatt. — U Seitenftraße
über Spielberg und ttersbady gegen Bi — Birkenfed. — II. Sei:
tenftraße über N — Nöttingen und Königsbah in den Kraichgau. —
IV. Seitenftrafie von — Dietlingn nah Bi — Birkenfeld. —
V. Straße über K — Siefelbronn und D — Dürm an den Nedar.
— VI GSeitenftraße von Th — Thiergartn an R — römiſchen
Ruinen im Hagenſchieß vorbei nah O — Deichelbronn. — VII. Straße
von Baden und Gernsbad her über N — Veuenbürg nad Pforzheim.
— VIII. Straße von Baden und Gernsbad her über den Dobel nad
Pforzheim. — IX. Straße über die höchften Höhen des Schwarzwaldes,
zuletzt über Langenbrand und S — Salmbach nah Pforzheim. --
X Straße von Neuhaufen, Ho — Hohenwarth, an Hu — Huchenfeld
vorbei nad Pforzheim führend. — XI. Straße über E — Entingen,
an N = Niefen ꝛc. vorbei nad Illingen und Bietigheim. —
XII. Straße von Pforzheim über den Wald nad O — Oeſchelbronn.
— XII Straße von W — Wurmberg nah Illingen.
12 Drittes Kapitel. Römerzeit.
durch den Wald Meittelsberg und über den Wallberg hinter Brö—
Bingen auf die das Enzthal bei Pforzheim auf der linken Seite be:
gränzende Anhöhe, wo die Römerjtraße, nachdem fie die jetige Durlacher
Straße durchfchnitten hat, unter dem Namen alte Poſtſtraße oder Kut—
ſcherweg befannt iſt. Von der Springer Höhe an, wo fidh wieder
eine Seitenftraße abzmweigt, die durch die Gemarkungen von Göhrichen,
Kiefelbronn, Dürrn ıc. an den Nedar führt, ift unfere Nömerftraße als
ſolche eine Strede weit nicht mehr zu verfolgen. Doch ift gewiß, daß
fie von dort rechts ab in das Enzthal hinunter, hinter der Schloßkirche
vorbei, durch die Lindenftrafe oder das frühere Zigen nergäßchen,
deſſen Namen abermals auf eine Römerſtraße hinweiſt, durch die
Altſtadt und unterhalb der jetzigen Altſtädter Brücke, wo ſich eine
hölzerne Römerbrücke befand, mit noch andern bier zuſammenlanfenden
Straßen über den Fluß führte und fih am Scafhof vorbei den jenfei-
tigen Bergabbang wieder hinaufzog. Oberhalb des Thiergartens, da wo
der Wald anfüngt, ftößt man auf die Kortiegung der Straße, woſelbſt
fie als dammförmige, durch Quaderſteine gebildete, in der Mitte gemöhn:
lich etwas gewölbte Erhebung leicht zu erfenmen und durch den Hagen:
fchieß zu verfolgen ift. Sie zieht dafelbft am Seehaus vorbei durd den
fog. Hegelsbuſch, folgt der jetigen Landſtraße, die fie zwei Mal durch:
ſchneidet, nach Tiefenbronn, und fett fich fodann über Leonberg gegen
bie Solitüde und von dert nad Kannſtatt fort.
Diefer intereffante Straßenzug hatte wie die meiften Nömerftraßen
die Eigenthümlichkeit, daß er, abweichend vom hentigen Gebrauch bei An:
legung neuer Straßen, nicht den Thälern nachzog, ſondern fi), wo
immer möglich, auf den Landhöhen bielt, und bei unvermeidbaren Thal-
einfchnitten die Höhe und Waſſerſcheide raſch wieder zu gewinnen wer:
ftand. Auf diefe Weiſe waren die römiichen Straßen feindlichen Ueber:
fällen weniger ausgeſetzt, dienten vielmehr jelbft als eine Art Schutzmauer
gegen diefelben und litten ohnehin weniger durdy die zerftörende Mitte:
rung. Gegen Tettere fchübte überdies der Bau der Straßen, dem bie
Römer eine ſolche Dauerhaftigkeit zu geben verftanden, daß unfere Zeit
ben römiſchen Straßenanlagen kaum etwas Mehnliches an die Eeite
feßen kann. Einige Mittheilungen bierüber dürften noch am Plage
fein. Die Bauart der römiſchen Straßen verlangte einen erhabenen
Damm, beftehend aus großen, mandmal viercdig gehauenen, unten
keilförmig zugeſpitzten Steinblöden, welche die Grundlage bildeten und
Drittes Kapitel. Römerzeit. 13
durch Gips, Kalt, ja felbft Eiſen mit einander verbunden wurden.
Darüber ftampfte man einen Lehmboden, und erjt auf diefem lag die
eigentliche Fahrbahı, beſtehend aus einer Lage von Kics und Steinen,
die durch Mörtel dicht verbunden waren. Natürlih bradten die ver:
ihiedenen Gebirgsarten, durch weldye diefe Straßen zogen, in den allge:
meinen Plan auch wieder manche Bejonderheit.
. Sit der eben beichriebene Straßenzug der am beiten noch erfenn:
bare, jo haben aucd die andern mehr oder minder deutliche Spuren
hinterlaffen. Mehrerer GSeitenftragen ift ſchon Erwähnung gefcheben.
Ein anderer Straßenzweig läßt fih vom Thiergarten aus in der Rich—
tung gegen Oeſchelbronn durch den Hagenſchieß ebenfalls verfolgen, und
ift ein Stüd derjelden auf der Höhe zwiſchen Gutingen und Niefern
unter dem Namen der „alten Poftftraße“ wohl bekannt. Sie
führt am den römifchen Ruinen im Hagenſchieß vorbei und mochte haupt:
ſächlich dazu beftimmt fein, die Verbindung zwiſchen diefen Gebäulich—
keiten ꝛc. und den Hauptſtraßenzügen zu unterhalten, Die übrigen
Nömerftraßen der Umgegend von Pforzheim find auf vorftehendem
Kärtchen verzeichnet. Alle diefe verfchiedenen Straßen mögen aud) ver:
idiedenen Zweden gedient haben, wie das bei den Römern der Fall
war, bei denen es bejondere Militärftragen, Handelsſtraßen, Boten:
wege ꝛc. gab.
Der Zeitpunkt der Erbauung unjerer Römerſtraßen, namentlid)
der Hauptzüge derfelben, läßt ſich mit Sicherheit nicht beftimmen ; nad)
den Jahrzahlen aufgefundener Lengenzeiger (Meilenfäulen) zu ſchließen,
mag die Anfegung derfelben etwa in die Zeit zwiichen 200-—225 nad)
Chr. fallen, wenn nicht manche davon fhon einem frühern Jahrhundert
ihre Entjtehung verdanken.
5 3. Srugenzeiger, Grabſteine, Altäre, Silpſtöche, Münzen.
Die Gegend von Pforzheim weilt eine große Zahl römiicher Alter:
thümer auf, die dafelbit zu verſchiedenen Zeiten aufgefunden wurden,
und da fie jehr wichtige Zeugen römischer Kultur find, welche dem Un:
tergang nicht anheim fielen, jo ergibt fich hierans ihre große Bedeutung
für die Erforfchung unſerer ältern Gefchichte von ſelbſt. Aus diefem
Grunde mag 8 gerechtfertigt ericheinen, wenn alle derartigen Alterthümer
14 Drittes Kapitel, Römerzeit.
bier aufgezäblt werden. 1) Es find hauptſächlich Leuzenzeiger, Grabjteine,
Altäre, Steinbilder und Münzen. Von den Ueberreften römifcher Ge:
bäude wird unten die Rede fein.
Leugenzeiger oder Meilenfäulen wurden bei Nöttingen und
Ellmendingen, und zwar an Stellen, wo: die Nömerftraße durchzog,
aufgefunden. Es find deren drei, und wurden diefelben zu Ehren ber
jeverifhen Kaiferfamilie (nämlih der Kaifer aracalla, Elagabalus
und Alerander Serverus) in dem Zeitraum von 213 bis 223 errichtet,
An Grabfteinen fand man in Pforzheim den eines Wehr:
mannes der 4. Kohorte der achten Legion, fodann einen andern eine
Viertelftunde oberhalb der Stadt an ber Enz, den ein gewiſſer
Duintus, und endlid einen dritten, von dem aber mur noch die Hälfte
vorhanden und in dem Altar der Kirche zu Eutingen eingemauert
ift, den eine Mutter, Arruntia PVicteria, bat ſetzen Taffen. Bezüglich
des erſten Grabfteines fei bier bemerkt, daß die darauf genannte achte
Legion, welche die Beinamen Augusta, Augusta Pia, Fidelis Con-
stans, Antoniniana führte, für ben Schub nnd die Kultur des Land:
ſtrichs diesfeits des Rheins neben der 22. Legion von befonderer
Nichtigkeit war, und fcheinen ſich einzelne Kohorten derfelben in unferer
Gegend aufgehalten zu haben, (namentlich im zweiten Jahrhundert,)
fowie außer in Pforzheim auch in Offenburg, Straßburg und Main;.
Nah der Mrovinzialifirung des ſüdweſtlichen Deutſchlands kommen
außerdem noch die 1,, 14. u. 21. Legion vor.
Ein römiiher Altar wurde bei Brößingen, ein anderer bei
Remchingen aufgefunden. Auf den vier Seiten des erfteren befinden
ſich verfchiedene Figuren, darunter Vulkan als Kräftige männliche Ge:
ftalt, in furzem, leichtem Gewand, mit Zange, Hammer und Ambos.
Der letztere ftellt auf drei Seiten Bilder aus der Odyſſee dar; die vierte
Seite ift Teer.
Am bedentendften ift die Zahl der aufgefundenen Steinbilder
und Bildſtöcke. Dahin gehören, Üüberfichtlich zufammengeftellt: Br ö«
Bingen: a) ein Bildfted, auf allen vier Seiten mit Figuren, darunter
Bulfan unverkennbar, in den übrigen Jupiter und Victoria ꝛc. zu ver:
mutben; b) ein Kubus, abermals mit dem Bildniß Vulkans, wahrichein:
1) Diefelben befinden fih theils noch am den unten angegebenen Orten,
theils in der Altertyumspalle zu Karlerube, theils find fie wieder verloren
gegangen.
Drittes Kapitel. Nömerzeit. 15
ih auch des Merkur und der Leda. Dietlingen: ein Stein mit dem
Bildniß Merkurs, und ein anderer mit einer männlichen und einer weib:
lihen Figur, mit nicht ungeübtem Meifel erbaben ausgehauen. Ell—
mendingen: ein Bildnik Aeskulaps mit dem Schlangenftab. Nöt-
tingen: ein Merkur mit Schlangenftab und Geldbeutel, ferner ein
Hirtenſtück, beide in erhabener Arbeit. Remchingen (jetzt ein Hof,
fonft ein Dorf zwiſchen Wilferdingen und Singen) früher an. der nicht
mehr vorhandenen alten Kirche eingemauert: ein Merkur und ein Bild:
tod mit Satyrn und fonfligen Figuren. Wilferdingen: Votiftein mit
römischer Anfchrift, früher im Garten des Poſthauſes dafelbft eingemanert;
man fand darunter Münzen von Trajan und Hadrian.!) Königsbach:
eine reitende weibliche Figur, Flachbild. Göbrichen: Nelieffiguren, in
tanzender Stellung. Dürrn: ein Stein oder Altar, worauf in erha—
bener Arbeit die Thaten des Herkules und die Befreiung der Andro:
meda durch Perſeus abgebildet find. Endlich wurden auch bei den im
Jahr 1832 im Hagenſchieß bei Pforzheim (fiehe unten) veranftalteten
Nachgrabungen Bruchſtücke verſchiedener Bildftöcde aufgefunden, von denen
einer die Buchftaben ... NOBE (Abnobe, vellft. Deae Abnobae, d. i.
der ſchwarzwäldiſchen Göttin Diana), der andere die Inſchrift MIIRCV,
d. h. Mercurio (dem Merkur) zeigte.
Schließlich jei auch noch der römischen Münzen erwähnt, welche zu
verjchiedenen Zeiten in bedeutender Zahl in und bei Pforzheim aufge:
funden worden find. Sie reihen von Galigula bis Walentinian, alfo
vom Jahr 37 bis 378, und gehören den Megierungszeiten der Kaifer
Saligula (37 — 41), Trajan (98— 117), Voluſian (251), Tacitus (276),
Balens und Yalentinian (364—378) u. U. an,
$ 4 Wömifcdye Gebäude und Maucrreſte.
Bon eben fo großer Wichtigkeit für die Ältere Geichichte Pforzheims
find die in der Nähe der Stadt noch vorhandenen Ueberreſte römischer
Gebäude, Wir reiben den ſchon aufgeführten Alterthümern eine Be:
ſchreibung derjelben an.
Etwa eine Viertelftunde hinter Brößingen, in einem einfamen Thale,
1) Bei Wilferdingen wurbe 1859 beim Eiſenbahnbau auch ein römifches
Schwert einem uralten Todtenfelbe enthoben.
16 Drittes Kapitel. Römerzeit.
am Abhang des oben ſchon erwähnten Mittelbergs liegen die Trüm—
mer von einem unter dem Namen altes Schloß beim Volke befann:
ten Gemäner, das ganz mit Bäumen bewachſen it. Man kann die
Grundmauern von drei oder vier Gebäuden von nicht ganz gleicher
Größe noch deutlich unterjcheiden. Diejelben find wieder von einer ge:
meinfchaftlichen Mauer umgeben, welde etwa 80 Schritte in die Breite
und 100 Schritte in die Tiefe, den Berg hinauf, mißt, Die Regel:
mäßigkeit der Anlage; der Umſtand, daß diefes fogenannte Schloß gar
feine Gegend beherricht, vielmehr von böhern Bergen überragt wird,
alfo keine jener freigelegenen Nitterburgen jein kann; daß es ferner,
gegen die Gewalt der Nordwinde gefchiiht, gerade dem Sonnenaufgang
zugefehrt iſt; die alte Ueberlieferung, nad welder die Kirche zu Brö—
Bingen aus den Steinen diefer Trümmer erbaut fein fol und alfo
wahrſcheinlich auch die oben erwähnten Bildſtöcke eben daher find, nicht
weniger die Nähe der Nömerjtraße, welche nur einige Hundert Schritte
oberhalb vorbeiläuft: — alles Diejes zufammengenommen läßt vermuthen,
daß fein Schloß, jendern eine römiſche Kapelle bier geitanden habe.
Auf dem Vorſprung einer Höhe, eine Viertelftunde von Kiefelbronn
und eine halbe von Dürrn entfernt, finden ſich die Ueberreſte eines
großen Gebäudes. mit einem Heinen Nebengebäude. Man bielt dasfelbe
früher immer für eine mittelalterliche Nuine ; allein Haufen von römi—
ichen Leiſtenziegeln und vömifche Wärmeleitungsröhren, die man dafelbit
fand, ſowie die ganze Bauart lafjen fiinen Zweifel, daß es römijchen
Urſprungs iſt.
Ein Alterthumskenner 1) bringt auch das ſogenannte Eiſinger
Loch, einen Erdfall zwiſchen Eiſingen und Göbrichen, mit den Römern,
und zwar mit römiſchen Bergwerken in Verbindung, welche die Römer
daſelbſt eröffnet hätten. Daß die Römer auf dieſer Höhe, welche weit—
hin, ja bis Landau ſichtbar iſt, beſchäftigt waren, ſcheint der Name
Heidenkeller anzuzeigen, den ein erſt ſeit Anfang dieſes Jahrhun—
derts völlig verſchwundenes altes Gemäuer in der Nähe dieſes Erd—
falles führte.
Noch umfangreicher und wichtiger, als alle bisher aufgeführten
Mauerreſte, find aber die Gebäudetrümmer im Hagenſchieß. Wenn
man von dem Wege, weldyer auf dem rechten Enzufer von Pforzheim
1) Meinbrenner in Morgenblatt v. 1807, No, 199.
Drittes Kapitel. Römerzeit. 17
nah Eutingen führt, etwas näher an leßterem Orte, als an Pforzheim
rechts abbiegt und dajelbjt denjenigen Theil des Hagenſchießes, welcher
ber Kanzler heißt, betritt, jo gelangt man ſchon nach einer Heinen
Viertelſtunde an einen Theil jener Baurefte, welche, auf eine Fläche von
beinahe einer halben Quadratmeile zerjtreut, fi an mehr als zwanzig
verfchiedenen Drten befinden, Sie beftehen zum Theil freilih nur noch
aus moosbedbedten Haufen von Steinen und Ziegeljtüden, zum Theil
aber auch aus wohlerhaltenen Grundmauern, welche bald fleine, bald
größere, oft auch von Quermauern durchzogene Räume umfchließen, über
denen ſich einft Gebäude erhoben haben, Namentlich läßt der größte
diefer Räume, der ungefähr ZOO Fuß im Geviert mefjen mag, troßbdem,
daß er jebt ganz mit Tannen überwachjen ift, noch mande Gebäude:
trümmer erfennen, Pur wenige Schritte von jener Umfafjungsmauer
entfernt, befinden fich die Trümmer eines andern Gebäudes, das drei
Heine, nad einer Seite abgerundete, nifchenartige Kabinete mit eben
fo viel anftoßenden kleinen vieredigen Gemächern enthält. Diefe Ein-
richtung, ſowie die doppelten Böden mit dazwiihen durdführender Röh—
renleitung, welche man bei Nachgrabungen vorfand, gaben früher zu der
Anfiht Veranlafjung, daß das Gebäude ein römiſches Bad geweſen ſei,
während jene Vorrichtungen mit den Nöhren ꝛc. wahrfcheinlih nur zum
Heizen ber verjhiedenen Zimmerchen angebracht waren, befjen die Römer
in unferm Klima nody mehr, als die eigentlichen Bewohner des Landes
ſelbſt, bedurften. Solche Heizeinrictung beftand immer in einem Heiz—
Iofal, das unter dem ganzen Zimmer durchlief (hypocaustum). Auf
den vielen Badjteinpfeilern desjelben ruhte der Boden der Zimmer, ber
aus Stein: oder Ziegelplatten, oder aus geftampfter Erde beftand; übri—
gens firömte die Hite nicht bloß dur die GSteinplatten, fondern auch
durdy die viereckigen Badjteinröhren (tubuli), welche die ganze Zimmer:
wand befleideten und mit einem Anwurf von Gips bedeckt waren. Dieje
Röhren ftanden ſenkrecht über einander; ihre wagrechte Verbindung unter
fi) wurde durch vieredige Löcher bewerkftelligt, die in der Mitte der:
jelben angebradt waren. Großen Flächenraum hatten die einzelnen
Zimmer nicht, nad) dem allgemeinen Charakter der bürgerlichen Wohnungen
bei den Römern. Cine ähnliche Heizeinrichtung zeigte fih beim Nach—
graben auch in dem Seitengemach eines anderen Gebäudeüberreſtes.
Tiefer im Hagenſchieß liegen weitere Bautrümmer, die unter dem Namen
des Kohlenftalles und des Hardheimer Schlößchens bekannt
Pflüger, Pıorzbeim. 2
18 Drittes Kapitel. Römerzeit,
find. Nachgrabungen förderten bei erfterm verfchiedene Alterthümer,
darunter den Kopf eines Denkſteins, den Rumpf eines Reiterbildes, ver:
ſchiedenes Geräthe von Bronce, viele Scherben von Gefäßen aus Siegel-
erde, Glasiherben, Bruchſtücke von Ziegeln, ja eine völlige Begräbniß-
ftätte mit Trümmern von Aſchenkrügen mit noch daranhängender Aſche
‚zu Tage!) Bei diefem Fohlenftall ftand früher ein unter dem Namen
„Zaufftein” bekannter großer Stein, in Form eines Bedens, mit latei—
niſcher Umfchrift. Leider wurde derfelbe von einem Steinhauer zu einem
wirklichen Taufſtein umgearbeitet und befindet ſich jetzt als folder in
der Kirche zu Eutingen. Das fogenannte Hardheimer Schlößchen be:
fteht aus einer etwa 3 Ruß dicken Umfangsmaner, welche ein vollfom:
menes Biere bildet, das nach jeder Seite 125 Fuß mißt. Innerhalb
besfelben müfjen mehrere Gebäude geftanden haben, von denen das größte
etwa 50 Fuß Tang und 30 Fuß breit war. Hier wurden verjchiedene
Alterthüümer,, fo unter andern ein Bruchſtück von einem Altar aufgefun:
den, aus deſſen Inſchrift hervorging, daß derjelbe nnd vermuthlich das
ganze Gebäude, das vielleicht eim römischer Tempel gewefen fein mag,
bem Merkur gewidmet war, — (Siehe oben.) Auch in noch andern
Theilen des Hagenſchießes wurden zit verfchiedenen Zeiten allerlei alter:
thümliche Gegenstände aufgefunden, fo Ueberreſte eines Ziehbrunnens,
thönerne Platten, Röhren von gebranntem Thon Bruchſtücke von Ge:
fühen aus Ziegelerde, Glasſcherben mit eingebrannten Farben, große,
in Plattenform gebildete Hufeifen, Waffenſtücke ꝛc. Bei Urbarmachung
des früheren Meurach-Waldes, (Mäurach, Mänerih, Gemäuer), welche
zu Anfang diejes Jahrhunderts erfolgte, ſollen mancherlei merkwürdige
Geräthichaften von Metall zum Vorſchein gekommen fein, find aber, wie
es fcheint, unbeachtet geblieben und nicht gefammelt werden. — An der
nach Tiefenbronn zc. führenden Römerſtraße ftieß man bei Aufgrabung
eines Hügels, der ſchon lange die Aufmerkſamkeit erregt hatte, auf römi—
fches Mauerwerk mit römischen Ziegeln und einem Haufen Cifenerz
im verfchiedenften Zuftand der Bearbeitung durch Feuer, nämlich theils
ganz roh, theils halb geichmolzen, theils als völlige Schladen. Dafelbft
war ohne Zweifel eine römifche Eifenfchmelze, und an den Bergabhängen
1) Viele folder Gegenjtände waren bis 1842 im Scebaufe aufbewahrt;
jegt find fie in der Alterthumshalle zu Karlsruhe. Dort befindet ſich auch
eine im Jahr 1849 zu Pforzheim aufgefundene römiſche Wafferleitungsröhre
aus Thon,
Drittes Kapitel. Römerzeit. 19
des nahen Würmthals, we vor nicht langer Zeit nod) Bergbau auf
Eifenerze im Sandfteingebirge betricben wurde, beurfunden mehrere tiefe
und breite Gräben, mit denen die Erzgänge verfolgt wurden, daß dort
ſchon die Nömer den einfachen Bergbau unternommen haben,
Auf Spuren des frühern Anbaus des Bodens ſtößt man allent:
halben ; ſogar von ehemaligem Weinbau find fichere Zeugen vorhanden,
indem am Hardheimer Rain nod) einzelne Stöde der wilden oder ver:
wilderten Rebe ftehen, welche weit umher wildwachjend nicht angetroffen
wird. Diejenige Fläche des Hagenſchießes, wo ſich alle diefe Ueberrefte
römifcher Niederlafjungen und römiihen Anbaues finden, ſcheint alfo
früher nicht mit Wald bededt gewefen zu fein.
Zu melden Zwecken haben wohl diefe Gebäulichkeiten ꝛc. gedient
und wer bat fie bewohnt? Es ift natürlich nicht möglich, auf dieſe
Fragen eine beftimmte Antwort zu geben. Das Wahrſcheinlichſte ift,
dag die römischen Gebäude im Hagenſchieß ein fog. Präſidium, d. h.
eine vorgefhobene Milttärftation waren, die beim inrüden der Römer
in das Land angelegt, aber von den Soldaten wieder verlaffen wurde,
alg man die Linien wieder weiter vorſchob. Die Gebäude fammt dem
umliegenden Lande mögen alsdann mit friedlichen Koloniften beſetzt wor:
ben fein, die unter dem Schub des nachher angelegten Römerbkaſtells
an der Enz (fiebe unten) Feldbau trieben, auch die Erzgänge des Ha-
genſchießes ꝛc. auszubeuten fuchten. Jedenfalls deutet es auf eine zulett
friedliche Niederlaffung, daß auf feinem der aufgefundenen Ziegel ꝛc.
eine Legionszahl zu finden war. Daß es aber urſprünglich eine ſolche
war, läßt fih aud darum bezweifen, weil die praftifchen Römer der:
gfeihen Tandwirthichaftlihe Anlagen wahrſcheinlich nicht an dent gegen
Norden gerichteten Abhang des Thales gemacht, fondern dazu lieber die
fonnigere Sübjeite gewählt haben würden.
Es ift in diefem Kapitel bereits eines Merkurstempels Crwäh—
nung gefcheben. Ein folder befand ſich höchſt mahrjcheinlich auch da,
wo jetzt die Schloß: oder Michaelsfirhe fteht. Es kann nämlich ber
Beweis geliefert werden,t) dak man am Oberrhein nad Einführung
des Chriſtenthums die Heinen Merkurstempel in Michaelstapellen ver—
wandelt und an die Stelle des römischen Handelsgottes einen chriſtlichen
Erzengel gefest hat. Dies geſchah beifpielweife zu Miegel am Kaiſer⸗
1) Mone, Urgeſchichte Badens, I, 293 und 264. 2
20 Drittes Kapitel. Römerzeit.
ſtuhl, bei der Micaelskapelle in der Nähe von Brucfal, ähnlich beim
Michelsberg bei Gundelsheim und Bönnigheim ꝛc. Alle diefe Punkte
find durch Ausgrabungen als Nömerftätten erwieſen. ft es da um
wahricheinfich, daß auch an der Stelle der heutigen Michaelskirche früher
eine Michaelsfapelle ftand, in welche der Merkurstempel bei Einführung
bes Ghriftenthums verwandelt wurde? Der weitere Umftand, daß die
Nömerbauptfirake an diefer Stelle vorbeizog und letztere ſich ſehr zur
Errichtung eines Tempels eignete, mag die ausgefpredhene Vermuthung
noch weiter unterftüßen. 1)
85. Worzheim, eine Nömerfladt.
Zu welchen Schlüffen berechtigen nun die bisherigen Zufammen-
ftellungen und Befcreibungen in Bezug auf Pforzheim? Denn
nur auf Schlüffe ift man bei dem Umſtande angewiejen, daß fein römi—
fer Schriftjteller einer Stadt erwähnt, die da gelegen fein könnte, wo
ſich jet Pforzheim findet, und daß aud auf feiner römischen Haupt:
ftraßenfarte, wovon zwei auf umfere Zeit gefommen find und von denen
eine ?) auch das füdlihe Deutſchland umfaßt, an der Stelle, wo jet
Pforzheim Liegt, ein römischer Ort verzeichnet iſt. Letzterer Umſtand
darf übrigens weder befremden, noch überhaupt von etwaigen nähern
Unterfuchungen und daraus zu ziehenden Schlüſſen abhalten, da zu der
Zeit, wo jene Karten gefertigt wurden, nämlidy gegen Ende des 4. Jahr:
bunderts, die Nömer nahezu aus unfern Gegenden vertrieben waren.
Aus diefem Grunde findet man- darauf auch feine der Heerjtraßen ver:
zeichnet, welche vom Rheinthal in das Innere des Zehntlandes führten.
Wenn indefien auch Beweiſe durch Schriftiteller fehlen, jo ſprechen die
bereit8 angeführten römischen Alterthümer, als Altäre, Grabjteine,
Leugenzeiger, Münzen, Gebäudetrünmer, Straßenzüge ıc. um jo deut:
1) Klüber, (Baden, 1) ipricht fogar von ſchönen römifhen Ruinen , bie
man in der Amtskelferei, alio der heutigen, binter der Schloßkirche liegenden
Domäncnverwaltung bemerken könne. Diefelden fcheinen indeß nicht mehr
vorhanden zu fein, oder jene Angabe beruht auf einem Irrthum.
2) Die peutinger'ihe, fo genannt nad einer Augsburger Patricierfamilie,
in beren Befig fie früher war. Jetzt ift fie in Wien. Sie beftcht aus 12
Vlättern, ift im Ganzen 20 Fuß lang und 1 Fuß hoch.
Drittes Kapitel. Römerzeit. 21
licher, und berechtigen, da ſie für die Anweſenheit der Römer in der
Gegend von Pforzheim unumſtößliche Beweiſe liefern, zu weitern
Schlußfolgerungen.
Die Römer unterliegen aus ftrategifchen Gründen, die bei ihnen
überall in erfter Reihe in die Wagichale fielen, es felten oder nie, bie
Ausmündungen (Debouches) der Gebirgsthäler durch Schanzen und
Kaftelle zu deden. Zur Anlegung eines foldhen Kaſtells an der Enz
waren nun mehrere Gründe vorhanden. Einmal münden bei Pforzheim
zwei Thäler in ein drittes aus, und zwei von diefen drei Thälern,
nämlich das Enz und Nagsldthal, öffnen zugleich den untern Schwarz:
wald, Da wo jebt Pforzheim Tiegt, war alfo jedenfalls ein fehr wich:
tiger Punkt für Befeftigungen, da er gleichjam die Pforte des Schwarz:
waldes bildete und ficherlich von Seite ber Römer jede mögliche ftrategifche
Beachtung fand. Zu biefer Annahme drängt aber noch der weitere
Umftand, daß, wie fchon gezeigt, bei Pforzheim eine größere Anzahl der
Nömerftragen zufammenliefen. Die Nömer legten überall längs ihrer
Straßen in entipredyender Entfernung von einander Kaftelle an, damit
erjtere immer offen bleiben und vom Feind nicht unterbrochen oder abges
fchnitten werben konnten. Mit manchen ſolcher Kaftelle, namentlich wenn
fie an wichtigern Punkten Tagen, mochten vielleicht auch befeftigte Lager
verbunden geweien fein, die eime größere Befabung aufnehmen und
dadurd auch den benachbarten Kaftellen zur Dedung dienen Tonnten,
Der Enzübergang mit feiner Brüde war zur Anle—
gung eines ſolchen Kaſtells wichtig genug, und da lehzteres,
wie erwähnt, auch zugleich den Zweck hatte, den Eingang in zwei wich
tige Schwarzwaldthäfer zu beberrichen, fo dürfen wir wohl annehmen,
daß das an der Enz liegende Kaftell nicht nur einen bedeutendern
Umfang batte, fondern daß auch ein feites Standlager zur Auf⸗
nahme einer größeren Truppenabtheilung damit verbunden war, und aus
Beidem nach und nach eine eigentliche Stadt mit nicht unbedeutender
Bevölkerung ſich bildete.
Hiemit iſt auch die ſpecielle Lage derſelben oder des römiſchen
Pforzheim feſtgeſetzt. Wie oben bemerkt wurde, war der Straßenüber:
gang über die Enz unterhalb der jetzigen Altſtädter Kirche, wo eine
hölzerne Brüde die Verbindung zwijchen den beiden Flußufern berftellte.
Dort ftand alfo auch das Römerkaſtell und nahm mit feinem Lager zc.
den größten Theil der heutigen Altftadt ein, die auch daraus hervors
22 Drittes Kapitel, Römerzeit.
gegangen ift. Dafür, fowie für den römiſchen Urfprung der Altftadt
überhaupt, die ſich dadurd als den äÄlteften Theil Pforzheims ausmweist,
fprechen noch andere gewichtige Gründe. Faſt alle römiſchen Münzen,
die man in Pforzheim (fo 3. B. 1832) ausgrub, wurden in der Alt:
ftadt gefunden; ebenfo ift diefe auch der Fundort römischer Steindenkmäler
und Inſchriften. Es ift ſogar wahrſcheinlich, daß die Yundamente der
jesigen Altſtädter Kirche römischen Urfprungs find.
Ein weiterer gewichtiger Beweis für eine Mömerftadt an der
Stelle der jetigen Altjtadt ift der Name der Teßteren. Es ift darunter
überall, wo er vorkommt, nicht fowohl ein alter Theil einer Stadt,
ala vielmehr eine alte Stadt zu verftehen. „Das Wort Stadt
(auch Dorf, Weiler, Burg) findet man häufig mit Alt verbunden.
Wenn daneben eine Neuftadt vortommt, fo hat man feinen Grund,
aus der Bezeichnung alt auf einen römischen Ort zu fchließen; fteht es
aber allein, fo ift es nicht des Unterfchiedes wegen geſetzt, fondern bes
beutet hohes Altertbum, und it dann eine römiſche Niederlaffung zu
vermutben.” 1) Das Alles trifft nun bei der Pforzheimer Altftadt voll
fommen zu, und es find jedenfalls zwei weitere Umstände bezeichnend
genug, um ſolche Vermuthung der Gewißheit näher zu bringen. Einmal
tennt der, Sprachgebraud bis auf den heutigen Tag feine Altftadt, fon:
dern eine „alte Stadt”; fodann wird noch in Urkunden des Mittel:
alters die Altftadt nie als integrivender Theil des fpätern Pforzheim
aufgeführt, fondern e8 heißt immer: Die Stadt Pforzheim, die „alte
Stadt” (alfo auch nicht Altftadt) ſammt den Vorftädten.
Mit der Römerftadt am Enzübergang war vermuthlich auch eine
Boftftation verbunden. Auf allen Römerftraßen befanden ſich nämlich
folche Stationen, und waren diefelben entweder Städte und Dörfer,
oder wenigftens fog mansiones, wo man übernachten Fonnte, oder
mutationes, (Geſpannwechſel), wo Pferde und Wagen untergebradjt waren,
Daß eine folche mit dem römischen Pforzheim verbumbden war, dafür ſpricht
nicht nur eine halbverflungene Sage, daß einmal jenfeits der Altjtädter
Brücke, da, wo jet der Schafhof fteht, im uralter Zeit eine „oft“ ge—
weſen fei, fondern aud der Umſtand, daß die Nömerftraßen, die über
Pforzheim führen (fiehe oben), auf zwei Streden in der Nähe Pforz-
beims, nämlih auf ber Springer Höhe gegen die Durlacher Straße
1) Mone, Urgeihichte Badens, 1., 208.
Drittes Kapitel, Römerzeit. 23
und im Hagenfchieß zwiſchen Eutingen und Niefern, heute noch „alte
Poſtſtraßen“ genannt werden.
Das Nömerkaftell zc. an der Enz ftand jedenfalls einerjeits mit dem
Präfidium oder der Niederlaffung im heutigen Hagenſchieß, andererfeits
mit einem römiſchen Warttburm auf dem in der Nähe liegenden
Wartberg in Verbindung. Dort diente das Kaftell zum Schub; bier
mußte ibm der MWartthurm in allen Fällen, wo fi dies als nöthig
erwies, die erforderlichen Signale geben. Der jetzige Thurm auf dem
Wartberg iſt zwar ſchwerlich römiſchen Urſprungs, ſondern ſtammt wahr—
ſcheinlich aus dem Mittelalter. Das hindert aber nicht zu glauben,
daß auch die Römer auf dieſem höchſten Punkt der linken Seite des
Thals einen Thurm erbaut hatten, der wiederum einerſeits mit dem Kaſtell
auf dem Thurmberg bei Durlach, defjen ältefte Theile nachgewiefener
Maßen römiſchen Urfprungs find, andererjeits mit dem Wartthurm zu
Befigheim, vielleicht auch zu Leonberg korreſpondirte; doch geſchah Letz—
teres, da eine direkte Verftändigung von diefen Thürmen bei der Lage
derjelben fat nicht möglich war, vermutblid mit Hülfe eines andern
Thurmes, der fih auf einem noch böhern Punkt unferer Gegend als der
Wartberg ift, und zwar ſehr wahricheinlich zu Hohenwarth, befand,
wo ohnehin aud eine Nömerjtraße vorbeiführte;, denn der Name
dieſes Drtes deutet offenbar auf eine früher dort gewefene „bobe
Warte“ Hin, Diefelbe mochte wehl auch wieder mit der Riefenburg
in Liebenzell in Verbindung ftehen, von der ein großer Theil noch
in ihrer jeßigen Gejtalt von den Römern herrührt. Alle diefe Wart-
tbürme (specula) waren fo angelegt, daß fie für" Signale gebraucht
werden Fonnten, und zwar Tags durch Rauch und eine Art Telegrapben,
Nachts durch Pechfakeln. Solche Signale gaben aber die Wartthiirme
nicht nur fich ſelbſt gegenfeitig, fondern auch den Burgen und Kaftellen,
welche in den Thälern und namentlich, wie in Pforzheim, an den Fluß:
übergängen lagen, um fie zu warnen. Manche folder römischen Warten
wurden von den Alemanen zerftört, worunter wohl auch die bei Pforz—
heim gehört haben mag, die alfo dem Schickſal der Niederlafjung im
Hagenſchieß nicht entging. Diefe Thürme wurden aber meift im Mit:
telalter wieder aufgebaut, um zu gleichem Zweck, wie zur Mömerzeit
zu dienen.
Mir haben nun noch Unterfuchungen über den Namen anzuftellen,
der dem römiſchen Pforzheim gegeben worden fein mag. Wie oben
24 Drittes Kapitel. Römerzeit.
ſchon erwähnt, finden wir einen foldhen weder bei einem römifchen Schrift:
fteller,, noch auf römischen Straßenkarten. Wir find deshalb auch hier
wieder auf Vermuthungen angewiefen. Hatten bereits die Kelten ba,
wo jett Pforzheim liegt, eine Niederlaffung gegründet, fo wurde vieleicht
der ältefte Name der Stadt von den Römern beibehalten und in ihrem
Munde latinifirt. Es kann jedoch aud fein, daß die Römer ihrem
Kaftell und Standlager ıc. an der Enz jelbitftändig einen entipredhenden
Namen gaben, und da dürfte denn die Bezeichnung Porta, die Thüre
oder Pforte, Vieles für fih haben; denn die Stadt lag ja wirflih am
Eingang des Schwarzwaldes und des römischen Zehntlandes, und mit
geringer Lautveränderung und durch Anhängung der urdeutſchen Silbe
bein oder beim, auch hain und haim, welde die Franken fpäter gern
an fremde Ortsnamen fügten, wäre der dermalige Name ber Stadt her:
geftellt. Ummahrfcheinlicher ift der Jufaß, „Hereyniae“ zu Porta; denn
derfelbe ift zur Ableitung des Namens Pforzheim nicht nur überflüffig,
fondern es kann auch leicht nacdhgewiefen werden, daß der Schwarzwald
zur Zeit der Mömerberrfchaft gar nicht mehr Hercynia oder Orcynia
(weßhalb man früher Pforzheim von „Orcynheim“ ableiten wollte 1),
bieß, fonden Abnoba, aud Silva Martiana.?)
Ohne auf Berechtigung Anfpruh machen zu wollen, dürfte bier
auch der möglichen Ableitung der eriten Silbe des Namens Pforzheim
von „portus“, der Hafen, die Schifflände, die Anfurt, Erwähnung ges
heben. Wenn es nämlich richtig ift, daß die Römer auf den Flüffen
Enz, Würm, Nagold und Nedar Flößerei getrieben haben, (und daran
ift Faum zu zweifeln), jo war die Stelle, wo jetzt Pforzheim liegt, da=
mals ſchon, wie heute noch, für einen Anlandungs: und Haltpunkt fehr
geeignet, Sowie nun das lateinische Wort nauta eben fo gut einen
Flößer, als einen Schiffer bedeutet, eben fo kann auch unter portus ein
Halt: und Anbindeort, eine Anfurt für Flöße veritanden werden. Der
y Beatus Rhennans, Lib, rer. germ. (Basil., 1531.)
2) Der Grieche Eratosthenes erwähnt zuerft eines „orcynischen‘‘ Waldes.
Cäſar fennt einen „Hercynia silva“ ebenſo Etrabo, Tacitus einen „Abnoba“,
verjhiebene andere Schriftiteller baben dafür „Rauraci montes“, Ammianus
Mareellinus (ein römischer Gejchichtichreiber aus dem vierten Jabrhundert) nennt
den Schwarzwald Silva Martiana und jo beißt er auch auf der peutinger’ichen
Tafel. Für Abnoba ſprechen auch mehrere aufgefundene römifhe Denffteine,
(Müllenbach: Deanae Abnobae; Röthenbah im Würtmb: Abnoba ; Hagenſchieß:
. nobe , .„; Müblburg: Deae Abnobae),
Drittes Kapitel. Römerzeit. 35
Uebergang des Wortes portus in Porz, Phorz, Pforz, Liegt mindejtens
eben jo nahe, ala der des Wortes porta oder des keltischen fTordd, und hat
auch einige Analogien für fih. Bei Altenwört an der Donau (in Ober:
öfterreih) war früher ein Ort Porz oder Pforz, der aber fängt vom
Fluß weggeipült worden ift, und als Hafenort feinen Namen von portus
erhielt, Dasjelbe ift ficherlih auch der Fall mit dem Flecken Pforz
zwifchen Rauterburg und Rheinzabern.
Leßterer gibt bier noch zu einer Bemerkung Anlaf. Man bat
nämlich früher den Namen Porca, den ein römifher Schriftfteller (ber
fog. Geograph von Ravenna) anführt, auf Pforzheim bezogen. Da
indefien alle andere Orte, die er mit Porca nennt, auf der linken Seite
des Mheines liegen und Porca zwiſchen Speier und Straßburg aufge
führt ift, fo ift unter diefer Bezeichnung ficherlich nicht Pforzheim, fon-
bern der erwähnte Fleden Pforz zu verftehen,
Viertes Anpitel
Pforzheim während der großen Völferbewegungen und Völker:
Fämpfe in den nachfolgenden Jahrhunderten. ')
(400 — 900.)
$ 4. Die Alemanen.
Zwei Jahrhunderte lang hatte ſich das oberrheinifche Grenzland
eines Friedens erfreut, der durch zweimalige Einfälle der wilden Katten
in den Jahren 51 und 161 wohl vorübergehend geftört wurde, aber
doch die ungebinderte Entwidelung diefer römifch gewordenen Provinz ge:
ftattete. Wenn nun auch die Mömer viel für die Kultur derjelben
thaten, fo darf man dabei freilich nicht vergeffen, daß die Befißnahme
der Länder am Oberrhein zu einer Zeit erfolgte, da in Nom ber alte
Geift, den wir fonft an den Römern fo fehr bervundern, längſt ver:
ſchwunden, und mit der damaligen römischen Kultur ein Sittenverderbniß
verbunden war, das die Bezeichnung eines deutſchen Gefchichtsichreibers :
„glänzendes Elend“ volllommen rechtfertigt. Und fürwahr, theuer
genug, nämlich mit dem Berluft ded Vermögens, der Freiheit und der
Sprache, mußten die unterworfenen Völker diefe römifhe Scheinfultur
bezahlen, und endliche Verarmung, Erfterben alles nationalen Bewußt—
feins und geiftige Verwirrung waren die unausbleiblide Folge der römi-
ihen Herrihaft. Bald indeffen traten Ereigniffe ein, welche die lebtere
und bie durch fie berbeigeführte Kultur nicht nur ſchwer bedrohten, ſon—
bern zulett Beiden ein Ende machten
1) Benüpt wurden hauptſächlich: Mone: Urgeihichte Badens; Bader:
badiſche Landesgeſchichte; Preuſchen: badiſche Geſchichte; Leichtlen: Bei—
träge; Häuffer: Geſchichte der rheiniſchen Pfalz; Stälin: Württembergiſche
Geſchichte; der Codex Laureshamensis; Dumbeck: Geographia pagorum
uf. w. Andere benugte Quellen find bei den betreffenden einzelnen Stellen
angegeben,
Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 27
Die Römer hatten zur Sicherung ihrer Erwerbungen im füdfichen
Deutichland nit nur eine größere Zahl von Kaftellen und Ihürmen,
fowohl im Innern, als hauptfählih an den Grenzen angelegt, jondern
außerdem auch zur Dedung der Dftgrenze des Zehntlandes einen ſog.
Zandhag oder Pfahlhag, d. h. einen Orenzwall, errichtet, der fi von
ber Donau (bei Regensburg) bis an den Main (bei Aichaffenburg)
"und von dort an den Unterrhein z0g, und zum Theil aus ordentlichen
Mauerwerk oder Steinreiben, zum Theil aus bloßen Verhauen, einfachen
Erddämmen oder manerartig aufgeführten Nafenftüden beftand. em
feits diefes Grenzhags wohnten fuevifchegermanifche Stämme, namentlich
die Hermunduren, zu denen Übrigens die Nömer lange Zeit in durchaus
friedlichen Verhältniſſen ftanden.
Ums Jahr 240 jede durchbrachen die Deutfchen, durch die Ge—
waltthätigkeiten und Graujamfeiten der Römer gereizt, diefen Landhag.
Es vereinigten fich die verfchiedenen fueriihen Volksſtämme zu einem
Bündniffe, von dem fie den Namen Alemanen oder Alamanen
befamen. Dieje fielen nun verwüjtend in das römiſche Gebiet ein. Es
erhob ſich dadurch zwifchen ihnen und den Römern ein Kampf, der mit
wenigen Unterbrechungen weit über 100 Jahre dauerte. Wenn es auch
dem einen oder andern der römifchen Kaifer gelang, die Alemanen zus
rüdzubdrängen, wie 3. B. dem Probus, der fie fogar über den Pfahlhag
zurücdwarf und diefen ſtärker befeftigte, jo wiederholten ſich die Ein-
fälle dody immer wieder, bis endlich zu Anfang des fünften Jahrhun—
derts der römifhen Herrſchaft am Oberrhein gänzlicd ein Ende gemacht
war und die Alemanen fich in ungeftörtem Befitte des Landes befanden.
Bei diefen unaufhörlichen Einfällen und Kämpfen ging auch die
Kultur, welche die Römer berbeigeführt batten, wieder zu Grunde, und
namentlich wurden alle römischen Städte und Kolonien verwüftet. Diefes
Schickſal traf auch — vielleicht ſchon in der Mitte des 3., wahrſcheinlich
aber erft gegen Anfang des d. Jahrhunderts, um welch letztere Zeit 3. B.
and Baden zerftört wurde — das römische Pforzheim und die Kolonie
im Hagenſchieß. Bei näherer Unterfuchung dev an letzterm Ort vorhans
denen Bautrümmer zeigt es fich, daß Aber die Niederlaffung, welche ſich
bafelbit befand, eine allgemeine und fo gräuliche Beraubung und Zer—
ftörung, letztere theils durch Menfchenhände, theils durch Feuer erging,
daß fait auch nicht das geringite Zeichen, das davon noch eine beftimmte
Kunde geben könnte, unzertrümmert gelafien wurde. Doc kommt von
28 Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert.
diefen Zerftörungen auch viel auf die Rechnung anderer Völker, jo der
Bandalen, Manen, Hummen (fiehe unten), die im 5. Jahrhundert diefe
Gegenden verbeerend durchzogen.
Indeſſen jcheint im Allgemeinen hauptjächlih die Städte, Kaſtelle
und Mititärkolonien der Römer dieje Zerſtörung betroffen zu haben, weni—
ger die Hütten des Landvolkes, deſſen Loos es war, in die Leibeigenfchaft
ber neuen Herren zu gerathen und ſich nach und nach mit den neuen“
Einwanderern zu verfchmelzen. Dieje Hütten waren fehr einfach; denn
fie beftanden gewöhnlich nur aus über einander gelegten Balken oder
dichtem Flechtwerk, darüber ein Strohdach. Doch ahmten die Alemanen
fpäter auch die Baukunft der Römer nah. seite Wohnfige in größern,
ummauerten Städten waren ihnen aber damals noch verhaßt ; fie er:
ſchienen ihrem SFreigeitsfinn als Gefängniffe und Grabftätten, Doch mochten
die Hütten, die von neuen Anfiedlern neben den Ruinen unferer zerftörten
Nömerftadt erbaut wurden, wie das anderwärts ebenfalls gefchab,
mit einander als Ort (villa) den Namen des römischen Pforzheim aud)
ferner führen, der jedoch im Munde der Alemanen vermöge der rauhen
Klänge ihrer Sprache jedenfalls eine Veränderung erfuhr, welche jchon
damals den Webergang zur ſpätern Bezeichnung vermittelte.
Das den Römern entriffene Land theilten die alemanifchen Heer—
führer oder Fürften unter fih, jo daß jeder derfelben fein befonderes
Gebiet (pagus) erhielt. Es ift nicht unwahrſcheinlich, daß dieſe Gebiete
ober Zandbezirke in den fpätern Gauen fortgedauert haben. Derjenigen
alemanifchen Fürften, welche auf diefe Weife in den Befig des oberrheis-
nifchen Grenzlandes kamen, waren es eilf: Suomari, Hortari, Ehnodo-
mari, Serapio, Uri, Urficin, Wefteralp, Gundomad, Badomari, Macrian,
Hariobaud, Welchem von denjelben die Gegend von Pforzheim gehörte,
ift unbefannt. Vermuthlich war es aber Hortari, deſſen Gebiet als den
Städten Worms und Speier gegenübergelegen bezeichnet wird.
Noch während die Kriege zwiichen den Alemanen und Römern
dauerten, begann die Völkerwanderung Die aus Aften nad
Europa vordringenden wilden Hunnen machten 375 befanntlih damit
den Anfang. Wenn fid) auch die Wellen ihres erſten Stoßes nicht bie
an den Oberrhein fortpflanzten, jo wurde bie Gegend von Pforzheim
jedenfalls durdy den Zug des Hunnenkönigs Attila berührt, der 450
aus Ungarn, mit 5— 700,000 Mann aufbrach, der Donau entlang
und durch die Länder des Oberrheins, wahrjcheinlih dabei die frühern
Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5, bis 10. Jahrhundert, 29
Nömerftragen benügend, nah Gallien vordrang, und nad) der Schlacht
von Chalons nach Italien ging, wo er an einem Blutfturze ftarb, Eine
alte Sage, die wohl gefchichtliche Wahrſcheinlichkeit für ſich bat, will
wiſſen, daß zu den von ben Hunnen auf ihrem Berwüftungszug zerftörten
Drten auh Pforzheim gehört habe.) Minder wahrſcheinlich ift
der ebenfalls behauptete Wiederaufbau des Ortes durd den fräntifchen
Statthalter Emmerich im Jahr 510; denn damals war das rechtsrheiniſche
Alemanien fiherlih noch gar nicht in fränkiſchem Beſitz.
$2. Die Stanken.
Faſt gleichzeitig mit den Alemanen am Oberrhein hatte fih am
Niederrhein ein anderes deutſches Volk, die Franken, gegen die römifche
Herrichaft erhoben. Sie gingen über den Rhein, durdzogen Gallien,
und es dauerte nicht lange, fo befand fi der nördliche Theil dieſes
Landes, dem fie alsdann ihren Namen gaben, troß des Widerftandes
der Römer, in ihren Händen. Nun hatten fi aber in„einem großen
Theil Galliens aud) Alemanen niedergelaffen; zwifchen beiden Völkern
entjtand Eiferfuht, und endlich kam es zum offenen Kampfe, der 496
zur Schladyt von Zülpich führte und mit der Unterwerfung der linke:
vheinifchen Alemanen endigte. Aber auch auf das eigentliche Alemanien
am rechten Rheinufer blieb diefe Schlacht nicht ohne wichtige Folge; die
Franken jhhoben ihre Grenze vom Main ber gegen Süden immer weiter
vor, und endlich bildete die Dos die Scheidelinie zwiſchen fränfifchem und
alemanijhem Land. Diefelbe zog fi von der Dos über die Murg am
Enzurfprung vorbei über die Höhen zwifchen der Nagold, Würm und Glems
gegen den Nedar ꝛc. Auf folhe Weile kam — wahricheinlid um das
Sahr 536 — auch die Gegend von Pforzheim unter fräntifche Kerr:
ſchaft und bildete einen Theil des ausgedehnten Herzogthums Deutſch—
franten, weldhes jpäter in ein Rhein- und Oftfranten abgetheilt
wurde.
Aber auch andere bdeutihe Stämme vermochten der wachlenden
Kriegsmacht der fränkiſchen Könige auf die Dauer nicht zu wiberitehen,
und bald bildeten auch) die Herzogthümer Sachſen, Baiern und Alema—
nien oder Schwaben Beftandtheile der großen fränkischen Monardie.
1) M. Ib. Friſchlin, Hiftorifhe Befchreibung von Württemberg.
30 Viertes Kapitel. Pforzheim vom 5, bis 10. Jahrhundert.
In welches Verhältniß die jet badischen untern Landestheile, da:
runter auch die Gegend von Pforzheim, zu den fränkiſchen Eroberern
getreten find, läßt fich bei dem Mangel genauer Nadrichten im Einzelnen
nicht beflimmen. Doc jcheint es, daß mit den Befiegten bier härter
verfahren wurde, als im füdlichen Theil Alemaniens. Der Kern ber
alemanijchen Bevölkerung wurde wahrjcheinlich hinansgedrängt und durch
fränfiihe Einwanderer erjeßt, namentlich fcheint eine größere Anzahl
fränkiſcher Grafengefchlechter in den eroberten Landestheilen Wohnſitz ge-
nommen zu haben.
Durch die Franken fam auch das Chriftenthum in unjere Gegenden
und trug fehr viel dazu bei, die Sitten zu mildern und den Segmungen
allmäliger Givilifation den Weg zu bahnen. Wann und durch wen
indeß die neue Lehre zuerft verbreitet wurde, kann nicht angegeben werben.
Sicherlich aber hatte fie bereits im 7. oder 8. Jahrhundert bei uns
Murzel gefhlagen, und es mag bald auch mit dem Bau criftlicher Kirchen
begonnen worden fein. Die hieroglyphiſchen Figuren über dem Haupt:
eingang der Altftädter Kirche find jedenfalls uralt und mögen wohl aus
der Zeit der Tinführung des Chriſtenthums ſtammen. Wahrſcheinlich
follen fie den Sieg desfelben über das Heidenthum ſymboliſch darftellen.
Auf ein hohes Alterthum deuten aud die Drudenfüße am Portal.
Die Gründung mander unfer älteften Kirchen fällt in das 8. und 9.
Jahrhundert, alſo noch in die Farolingifche Zeit, die überhaupt an
religiöfen Schöpfungen ſehr reih war. In dem von Pforzheim nicht
weit entfernten Illingen wurde ſchon 775 eime Kirche gebaut, in Hoch:
dorf bei Vaihingen 812, in Dürrmenz 836. In das 10. oder 11.
Sahrhundert ift wohl auch der Anfang des Baues der Schloß: oder
Michaelskirche zu feßen, wenn er nicht ſchon in eine frühere Zeit fällt.
Schon ihr Name deutet auf ein hohes Alterthum. Wielleiht ging fie
aus einer Michaelsfapelle hervor, in welche der wahrfcheinlich früher an
ihrer Stelle geftandene Merkurstempel (S. 19) bei Einführung des
Ghriftentbums verwandelt wurde. (Eine Michaelskirche wurde beifpiel:
weife jchen 793 auf dem Michaelsberg bei Bradenheim in Württemberg
gebaut). Der ältefte Theil der Schloßkirche ift das Mortal und bie
Vorhalle, über weldyer ſich jett die Orgel befindet. Beide zeigen den
byzantiniſch-romaniſchen Bauſtyl, deſſen Hauptkennzeichen balbkreisrunde
Bögen auf würfelförmigen Säulenknäufen ſind, welch letztere wieder auf
ſchwerfälligen Säulen ruhen. Bei vielen ältern Kirchen trifft man dieſe
*
Viertes Kapitel. Pforzbeim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 31
Bauart. Aehnliche Drudenfüße, wie an der Kirche der Altftadt, finden fich
auch am Portal der Schloßkirche. Man verfteht darunter die Bändel oder
Neftel, welde im Kreis, oder auch 4, 6: und Seckig künſtlich verjchlungen,
jo daß man weder Anfang noch Ende erfennt, an den Thüren folder
Gebäude in Stein ausgehauen find. Der Druden-, eigentlich Druiden-
fuß (Druiden hießen die Feltifchen oder gallifchen Priefter) kommt ſchon
auf Feltifhen Münzen vor. An Gebäuden icheint er geheime Maaf-
verhältniffe angedeutet zu Haben, zugleich aber auch eim Zeichen ber
Treue und des Heils und ein Bannnıittel gegen böfe Geifter geweſen zu
fein.) — ebenfalls ift aber die Altftädter Kirche (d. h. die jetzige
nur noch in einzelnen Theilen) älter als die Schloßkirche; denn wir fine
ben, daß jene noch i. J. 1344 bie Mutterkirche, letztere die Tochterfirdhe
oder das Filial derjelben heißt.
Zur Verbreitung des Chriſtenthums und zur Pflege desjelben
wurde ſchon früh eine Anzahl Bisthümer errichtet, jo auch eines in
Speier, wohn Pforzheim mit Umgegend gehörte. Diefes Bisthum
blühte unter den ſächſiſchen uud ſaliſchen Kaiſern in Folge reicher Schen-
tungen bald auf.
In allen den Ländern, welche nunmehr die Franken in Beſitz ge:
nommen hatten, murden auch bie fräntifchen Militär: und Staatsein-
richtungen eingeführt, welche fich in der Gauperfaffung vereinigten.
Nach der ungefähren Hundertzahl (Eenten) der Männer oder Familien
ftand die in einzelnen Höfen oder fonftigen Niederlafjungen angefiedelte
Einwohnerſchaft unter einem Gentworfteher oder Centgrafen; (ſchon
im 8. Jahrhundert Seulthaizeo, Schultheiß genannt); viele jolher Hun-
derte bildeten mit einander einen Gau, an deffen Spige en Gaugraf
fand. Diefe Gaugrafen, als Oberrichter und Kriegshauptleute der ver:
ſchiedenen Bezirke, waren fönigliche Amtleute, über denen der Herzog ale
oberjter Gerichtsherr und Heerführer waltete. Die Namen mander jol-
her Gaue Haben ſich bis auf unfere Zeit im Gebrauch erhalten, jo des
Dreisgaus, des Hegaus, des Kraichgaus u. f. w.
$ 3. Der Enzgau.
Zu den Gauen unferer Gegend gehörten der Nagold, Wirm- und
Enzgau. Keßterer erjtredte fi über das mittlere und untere Gebiet
) Mone, Anzeiger, 1833, S. 251 -53.
32 Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert.
ber Enz, aljo hauptfächlich über die heutigen Oberamtsbezirke Pforzheim,
Vaihingen, Maulbronn und zum Theil noch Neuenbürg und Bretten,
während der Wirmgau einen Theil des Würm- und Nagoldthales
jammt anliegenden Orten, der Nagoldgau dagegen das jehige würt-
tembergiſche Oberamt Herrenberg und Theile der Oberämter Horb,
Freudenftadt und Nagold umfaßte. Als zum Enzgau gehörig erfcheinen
in den Urkunden des Klofterse Lorſch,!) aus denen man überhaupt von
dem DVorhandenfein eines Enzgaus etwas weiß, zum Theil aud in
andern Schriftitüden, folgende (jest meift württembergifhe) Orte: 765
Illincheim ($llingen), 766 Breteheim (Bretten, wird aber fpäter immer
im Kraichgau aufgeführt), 766 Linzingen (Lienzingen), 767 Rotmars-
heim (vermuthlih ein Schreibfehler ftatt Lotmarsheim, Lomersheim),
769 Helmufisheim (Helmsheim, DO. U. Brudjal, kommt jonft immer
im Kraichgau vor), 769 Mulner marca, (Mühlader), 770 Hubestat
(Ubſtadt DO. A. Bruchſal, font zum Kraichgau gehörig), 774 Escincheim
(2), 779 Turmenz (Dürrmenz), 781 Reginhershusen (?), 782 Glate-
bach (Glattbach), 784 Horoheim (Horrheim), 789 Budincheim (Bie-
tigheim), 791 Autinesheim (Detisheim), 792 Saraesheim (Sersheim),
793 Alaolfingen (Eilfinger Hof) und Rutgisingen (Rieringen), 800
Lotmarheim (Romersheim), 801 Hochtorph (Hoddorf), Horoheim
(j. 0.) und Hasalah (Haslah, O. U. Vaihingen), 801 Lengenfeld
(Leinfelder Hof), 813 Reod (Nied bei Vaihingen oder Ruith bei Bret:
ten), 836 Tardingen (Dertingen), 854 Lotmasen (Xomersheim),
Gladebach (f. o.), Nessenbrunn (Oeſchelbronn ?) und Andensen (Detig:
beim), 892 Gumboldeshusen (?), Mulnhusa (Mühlhaufen a, d. €.)
und Hadardesheim (?), 1100 Zeizolfeswilre (Zeifersweier), Lenzin-
gon, Durminzi (beide f. o.), Cussilbrunnin (Kiejelbronn), Enzeberch
(Enzberg), Dagelvingen (?). — Vom anftoßenden Pfinzgau werden
in den Lorſcher Urkunden aufgeführt: 769 Sigengen (Singen), 895
Vulvirincha (Wilferdingen)," und aus dem Kraichgau: 770 Nuz-
boumen (Nußbaum), und 900 Gebergingen (Göbrichen). Schen im
9. Jahrhundert hatte auch das Klofter Reichenau Befigungen in ber
Gegend von Pforzheim , jo zu Nettingen (Nöttingen), Singen, Theo-
1) Es wurde 763 dur den Grafen Eancor geftiftet, der durch feine
möütterlichen Vorfahren wit dem farolingiihen Königsgeichleht verwandt war.
Es Tag in dem heutigen Großherzogthum Heſſen zwiichen Bensheim und Worms,
Viertes Kapitel, Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 33
telenhusen (Dietenhaufen), Almousdingen (Ellmendingen), Ysingen
(Eifingen), Uitingen (Cutingen), Chuningespahe (Königsbad) ꝛc.
Es geht daraus hervor, daß die Zahl der Orte des Enzgaus bie
theils villa, theils marca genannt werden, ſchon vom 8. bis zum
12, „Jahrhundert eine ziemlich bedeutende war. Der Name Pforzheim
fommt in diefen Urkunden nun freilich nicht vor.) UWeberhaupt fehlt
für die Gegend zwiſchen Neuenbürg und Pforzheim jede vrkundläche
Gaubgzeihnung. Daraus darf aber keineswegs der Schluß gezogen
werden, daß andere Orte, als die oben angeführten, nod nicht vorhanden
waren umd der Enzgau nicht noch manche umſchloß, die eben zufällig
‚mit dem Klofter Lorſch zc. in Feine Berührung kamen.
Der Enzgau felbft wird in den erwähnten Urkunden Enzingowe,
‚Enzigowe, Encingowe, Entzgowe, Enzgowe genannt. Cine Unterab-
teilung desfelben jcheint der Schmiegau gebildet zu haben.
Ob der Enzgau feine befondere Grafen gehabt hat, ift zweifelhaft.
Es kommt zwar ſchon im Jahr 902 ein Graf im Enzgau, Namens
Walaho, ein Glied des ſaliſch-fränkiſchen Haufes, vor; er war aber auch
zugleich Graf des Worms-, Speier-, Kraich- und Einrichsgaus (letzterer
nördlih von Mainz.) Es ereignete fich überhaupt nicht felten, namentlich)
gegen das Ende der Farolingifhen Zeit, daß einzelne Grafen über
mehrere Gaue gleichzeitig gefegt waren. So finden wir um das Jahr
1100 einen Bruno von Laufen als Grafen des Elſenz-, Kraich- und
Enzgaues, Nicht felten waren die Gaunamen auch bloß geographiiche
DBenennungen, unabhängig von aller politifchen Eintheilung, und vielleicht
noch ererbt aus der altalemanifchen Zeit, welche dem Eindringen der
Franken vorherging. Es ift möglich, daß dies auch beim Enzgau der
Fall war. Auch das darf nicht überfehen werden, daß zwiſchen
einem obern und einem untern Enzgau unterjchieden werden muß.
Pforzheim gehörte zu erfterem, und es Könnte fein, daß deſſen Geſchicke
fogar mehr mit dem angrenzenden Wirmgau, als dem untern Enzgau
verknüpft waren, und daß, wo bisher von Grafen im Enzgau die Rebe
geweſen, bloß der untere damit gemeint war, namentlich” wenn berjelbe
feinen für fi abgefchlofienen, felbftjtändigen Grafenfprengel bildete. '
1) In ber Gott'sauer Chronik von Leichtlin ift (S. 14) zwar gelagt,
daß als zum obern Enzgau gehörig genannt würden: Brögingen, Pforzheim,
Eujfilbronnen und Novum castrum (Neuenbürg). Es ift jedoch nicht anzugeben,
wo bdiefe Orte mit ſolcher Bezeihnung vorkommen.
Pflüger, Pforzheim. 3
234 Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10, Jahrhundert.
Es dürfte bier der Ort fein, anf einen früher vielfach begangenen
Irrthum aufmerffam zu machen. Don der Annahme ausgehend, daß
Pforzheim und Umgegend immer zu Shwaben gehört hätten, glaubte
man aud die Gefchide der Stadt mit der Gefchichte diefes Herzogthums
verflochten und gelangte durch diefe irrige Vorausſetzung auch zu ganz
unrichtigen Schlüffen und Folgerungen.” Pforzheim und der Enzgau
gehörten aber zu Rheinfranken (Francia teutonica), wie bereits
auseinander gejeßt wurde. Es kann deshalb aud im der Mitte des
zehnten Jahrhunderts wohl kein Herzog Leopold von Schwaben in Pforz:
beim feine Refidenz gehabt haben, wie ſchon behauptet wurde.1) Ueberdies
lebte damals gar fein ſchwäbiſcher Herzog dieſes Namens, fondern von
949 His 954 (+ 957) regierte in Schwaben Herzog Riutolf, ein
Sohn von Kaifer Otto I. (Sein Vorgänger war Herzog Herrmann I.
von 926— 948, und fein Nachfolger Herzog Burkhard von 954--973).
Was es deshalb mit der weiten Erzählung, daß jener (erdichtete) Her:
308 Leopold im Jahr 985 Stuttgart angelegt habe, auf ſich hat, können
bie Leer ſelber ermeflen.
1) Bon Ib, Friſchlin a. a. O.,, u, von Gehres im feiner Pforzheimer
Ehronif,
SJünftes Kapitel.
Die frübeften Herren von Pforzheim. ')
(900 — 1200.)
$1. Die Grafen von Calw,
Zu den fränfifchen Gefchlechtern, welche, wie oben bemerft, nad)
Beftegung der Alemanen bei Zülpich in das Iinfsrheinifche Land zogen,
das zum fränkiſchen Reich gefchlagen worden war, gehörten auch, wie
ſich mit Sicherheit annehmen Täßt, die Grafen von Calw, und ihre
Stellung muß um fo wichtiger geweſen fein, als ihr Wohnfiß unmittel-
bar an der alemanifchen Landesgränze lag, wo fie das vorherrichende
Geichleht waren. In ihre Hände wurden fpäter auch die Grafenämter
mehrerer Gaue, jo des Wirm-, Zaber: und Murr:, insbefondere aber
des Uf- und Pfinzgaues, gewiß auch des von diefen Landfchaften ganz
eingejhloffenen Enzgaues, mwenigftens des obern, gelegt, (wenn näm—
lich derfelbe mehr als ein geographifcher Begriff war. ©. 33,)
As die Gaugrafenämter nach und nach erblich wurden und die
Grafen ihre große Dienftgewalt hauptfächlih dazu benützten, in ihren
Sprengeln möglichſt viel eigene Güter zu erwerben, gelangten auch die
Grafen von Calw zu ausgedehnten und zahlreihen Familienbefitungen,
die in dem ganzen Landftric; zmifchen dem Rhein und Nedar, alfo im
Uf:, Pfinz:, Wirm⸗, Glems-, Enz, Zaber:, Murr: und Schopachgan,
1) Benüpt wurden bauptjählih: Mone: Quellenfommlung der badiſchen
Landesgeſchichte: Mone: Zeitichrift zur Gefchichte des Oberrhein; Bader:
Wahrer Urfprung Badens; Bader: Badenia (die Ältere); Krieg: Geihichte
der Grafen von Eberftein; Preufchen: Badifche Geſchichte; Fecht: Geſchichte
der badiſchen Landihaften; Sachs: Einleitung in die Gefchichte der badiſchen
Markgrafihaft; Häuſſer: Gefchichte der Pfalz; Stälin: Württembergifche
Geſchichte; Erufins: Schwäbiſche Chronik; der Codex Hirsaugiensis (eine ber
für die ältere Geſchichte Pforzheims wichtigften Quellen) ı |. oe
36 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim.
zerftreut Tagen. Es wird darunter eine Menge von Orten aus der
Gegend von Pforzheim urkundlich genannt, jo im jegigen Oberamt
Pforzheim namentlih Schellbronn und Hohenwarth, im jegigen Würt-
temberg: Liebenzell, Möttlingen, Münklingen, Merklingen, Döffingen,
Weil, Vaihingen, ebenjo Neuenbürg und Umgegend. Es darf mit
Sicherheit angenommen werden, daß noch mande andere Orte, fo
namentlihb Pforzheim, zu den Befitungen der Grafen von Calw ge:
hörten, und es fehlt nidyt an Stimmen, weldye fogar behaupten, daß
Pforzheim der Sit derfelben war, und daß mit dem Bau der Schloß:
fire ſchon durch die Grafen von Calw begonnen worden fei. 1)
Die älteſte Gefchichte diefer Grafen Liegt übrigens im Dunkeln.
Ein Erlafried und fein Sohn Noting, Bifchof von Vercelli, fowie ein
im Jahr 870 vorfommender Graf Adalbert, welcher nad einer Urkunde
des Klofters Lori im Nagoldgau Güter eintaufcht, find als Altwordern
ber Calwer zu betrachten. Ein anderer derjelden ftiftete im Jahr 830
oder 832 das Klofter Hir ſchau. In den Zeiten, wo ſich die Geſchlechter
noch nicht durch die Namen ihrer Burgen von einander unterſchieden
— diefer Gebraud kam erft im 11. Jahrhundert auf — haben zum
Geſchlecht der Calwer vermuthlich einige Gaugrafen gehört, welche den
Namen Adalbert trugen, den gewöhnlichen Taufnamen des calwijchen
Geſchlechts und welche Gaue verwalteten, worin ſpäterhin Beftandtheile
ber calwijchen Beſitzungen vorkommen, jo der Zabergaugraf, der im
Jahr 1003, der Murrgaugraf, der im Jahr 1009, ein Ufgaugraf, der
in ben Jahren 1041 und 1046 auftritt. Der erfte, der mit der Be
zeichnung von Calw (Comes de Kalewa) vorfommt, ift Adalbert I.
1037. Ihm folgte fein Sohn (oder Enkel) Adalbert II. Diefer machte
fih durch Gründung des Klofters Sindelfingen, neue Stiftung des
Klofters Hirſchau, ferner als Anhänger des Gegenkönigs von Kaiſer
Heinrich IV., Rudolph von Schwaben, berühmt. Zu dem Glanze diefes
Grafen und feines Haufes mußte überhaupt nicht wenig beitragen, daß
in Leo IX. (1050) ein Schwager, in Viktor II, (1055), vielleicht ein
Bruder, in Stephan IX. (1057), der Oheim einer Gattin den päpft-
lichen Thron zierte. Der berühmtefte feiner Söhne war der jüngfte,
Gottfried, von welchem weiter unten noch die Rede fein wird.
1) Bergl. Fickler, in „das Großherzogthbum Baden * von Heuniſch und
Bader.
Fünftes Kapitel, Die früheften Herren von Pforzheim, 37
Da die Geſchichte Pforzheims mit der der Grafen von Galm
fpäterhin nicht mehr zufammenhängt, fo fei nur in Kürze bemerkt, daß
fi ihr Geſchlecht in der Mitte des 12, Jahrhnnderts in 3 Kinien
fpaltete, Calm- Calw, welde 1262, Calw:Löwenftein, welche um
1300 und Ealw:Baibingen, welche in ber Mitte des 14. Jahr:
hunderts erloſch.
$ 2. Die Grafen von Eberſtein.
Daß die Grafen von Eberftein von den Galwern abftammten,
unterliegt nad dem dermaligen Stand der gefhichtlichen Forſchung keinem
Zweifel mehr. Alle eberfteinifhen Beſitzungen, ſammt der Burg, wovon
das Gefchlecht den Namen erhielt, waren urſprünglich calwiſch, und fielen
dem Aſte als Erbſchaft zu, den das Gefchlecht der Calwer jenfeits des
Gebirges getrieben hatte.
Es wurde nämlih oben ſchon erwähnt, daß die Herrn von Calw
au Grafen im Ufgau oder Dosgau gewefen fein. Als die Grafen:
Ämter nach und nad) erblich wurden, fheint dag im Ufgau auf einen
Seitenzweig dieſes Gefchlechtes übergegangen und Jüngere Zeit als Graf:
haft Vorchheim oder Forchheim bei demfelben geblieben zu fein,
nachdem nämlich die Gewohnheit aufgefommen war, die Grafenfprengel
nicht mehr bloß mit dem Gaunamen zu bezeichnen, fondern häufiger mit
dem Namen der gewöhnlichen Grafenfite oder Gaugerichtsftätten. Die
älteften Grafen im Ufgau, die in Urkunden vorfommen, waren Gebhard
(um 950) und Conrad (987). Ob diefe beiden ſchon Calwer waren,
läßt ſich nicht beſſimmen; wohl aber dürfte dies von dem Grafen Adal-
bert (aljo wie die Calwer gewöhnlich hießen), behauptet werden, der
in der Mitte des 11. Jahrhundert lebte (er wird, wie ſchon bemerkt,
in Urkunden von 1041 und 1046 genannt), Diefer fcheint nun vier
Söhne und eine Tochter Hinterlafjen zu haben, unter welche er feine Güter
vertheilte. Bon der Tochter wird weiter unten die Rede fein. Nach
den Befitungen und Schlöffern, welche den Söhnen zufielen, nannten
fie fi : Anfelm von Forhheim (im jebigen Beyrtsamt Ettlingen,
unferr des Rheins), Burkhard von Staufenberg (bei Gernsbach),
Berthold von Eberftein (bei Gernsbach) und Adalbert, wahrſcheinlich
von Hohen berg (bei Berghaufen im Oberamt Durlach). Es mag
38 zünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim.
hier bemerkt werden, daf Berthold von Eberftein der erfte Graf ift, der
unter diefer Bezeichnung vorkommt, Indeſſen hätte fi ſchon fein
Bater diefelbe eben fo gut beilegen können, als er ſich Graf von Ford:
heim oder im Ufgau nannte, da der Sit ber Grafen im Ufgau von
Forchheim auf die Burg Eberftein übergegangen war. Neben den ges
nannten Grafen erſcheint um dieſelbe Zeit, wahrjcheinlih von frühern
Theilungen herrührend, ein Graf Reginbot von Malſch (bei Ettlingen)
und ein Graf Wezel von Grötzingen (bei Durlach). Alle diefe
Gefchlechter ftarben bald wieder aus, und mur das der Eberfteiner hat
ſich länger erhalten.
Nicht umſonſt Habe ich mich bier etwas ausführlicher, als dem
Zweck diefes Buches angemeffen erfcheint, auf genealogiſche Verhältniſſe
eingelafien; denn aus noch vorhandenen Hirſchauer Urkunden geht hervor,
daß von dreien der genannten vier Brüder jeder im Befib des achten
Theils von Pforzheim war. Ohne Zweifel beſaß auch der vierte
- Bruder, Burfard von Staufenberg, den gleichen Antheil; wenigftens
war er bei Pforzheim begütert, — ein dort liegendes Gut, welches
Vogt Ebert von Speier dem Klofter Hirſchau theilweife vermachte,
hatte früher dem Herrn von Staufenberg gehört; — und wenn biefer
Burkard nun felber dem genannten Klofter neben 3 Huben?) Lanbes
zu Niefern 1/5 der dortigen Kirche (d. 5. des Kirchenſatzes) vermadhte ;
wenn Gleiches durch Berthold von Eberſtein gefhab; wenn auch bie
Brüder Herrmann und Alwig von Forchheim, die Söhne Anjelms von
Forchheim und Erben Adalberts von Hohenberg, zufammen 1/, der Kirche
zu Niefern an Hirſchau vergabten und alfo fi) daraus ergibt, daß die vier
obengenannten Brüder mit einander die Hälfte der Kirche zu Niefern befaßen:
fo mag dies Alles nicht nur abermals dafür ſprechen, daß wirklich dieſe vier
Brüder zufammen das halbe Pforzheim ihr Eigenthum nannnten, fon:
dern auch die Vermuthung zur Wahrfcheinlichkeit, ja Gewißheit erheben,
daß fie dasfelbe von ihrem Water Adalbert ererbt hatten, welcher dem—
nad die ganze Hälfte wie von Pforzheim, fo auch von der Kirche zu
Niefern, ungetheilt bejefien baben muß. Wielleiht hatten die Grafen
bon Forchheim oder Eberftein auch die andere Hälfte im Befik, und
ein badifcher Geſchichtſchreiber 2) fagt auch wirklich, daß Pforzheim
) Eine Hube war 30-40 Morgen groß.
2) Fecht, Gefchichte der badiſchen Landſchaften S. 219. Die Quelle ift
jedoch nicht angegeben.
Fünftes Kapitel, Die frübeften Herren von Pforzheim. 39
im Jahr 1002 als eberfteinifhes Dorf Marktrecht erhalten habe.
Vielleicht war auch die eine Hälfte von Pforzheim im Beſitz des Haupt:
ftammes ber Galwer geblieben, während die andere an den Geitenaft
im Ufgau, aljo an die Eberfteiner übergegangen war. Ich werde auf
diefe Annahme weiter unten zurüdfommen. So viel wird aber aus dem
Bisherigen, wie zum Theil auch aus dem Nacfolgenden hervorgehen,
daß die damaligen Verhältnifie Pforzheims noch ſehr zerjtüdelt und
wechielvoll waren. Zu bemerken ift, daß in den erwähnten Urkunden
Pforzheim nicht Stadt genannt, fondern mit dem Worte „villa“ be
zeichnet wird. Es bedeutet dasſelbe nicht jowohl einen „Weiler“, wie
man abzuleiten leicht verſucht ift, fondern überhaupt eine zuſammen⸗
bängende Niederlaffung ober einen Flecken, und zwar, weil in ben
betr. Urkunden bereitd von einem Markte in Pforzheim die Rede ift,
(S. 40) einen Marktflecken. Es ſcheint alfo Pforzheim damals das
Hauptmerkmal der Städte des Mittelalters, Mauern und Gräben, noch
nicht befefien zu haben, fondern ein offener Ort gemefen zu fein.
Zwar gab es im Mittelalter auch befeftigte Flecken und Dörfer, die
indeffen in der Regel bald die Rechte und Einrichtungen der Städte
und auch den Namen von folchen erlangten,
Es mag bier die Bemerkung eine Stelle finden, daß einige Ges
ſchichtſchreiber und Ehroniften behaupten, Pforzheim fei in der Zeit, ba
es nad den bisherigen Auseinanderjegungen calwiſch oder eberſteiniſch
war, ber Wahlort zweier deutſchen Könige geweſen, nämlich 91 Kon
rabs L,1) und 1077 Rudolfs von Schwaben, des Gegenfaifers von
Heinrich IV.2) Beide Angaben beruhen aber auf einer Verwechslung Pforz⸗
heims mit Forchheim bei Bamberg in Baiern, wie aus Urkunden und
andern Duellen nachgewiefen werden kann.) Immerhin mag aber bie
Angabe interefjant fein, daß im Jahre 1067 Kaifer Heinrich IV. zu
Pforzheim eine Urkunde ausftellte,d) nad) welder er dem Grafen
Eberhard von Nellenburg einen Wildbann in den Gauen Öletgau und
Hegau verlieh.
1) © z. 8. 3. Bed in feinem Lehrbuch der allgemeinen Geſchichte III., 40.
2) So Zeiler, ſchwäb. Ehronit, ©. 14, Cruſius, ſchwäb. Chronik,
1, Thl., 7. Bud, 9. Kap, ©. 468, Shopper, historia eccles. Germanorum
III. 763 u. 9.
3) Vergl. namentlih Luben VL, 316 unb IX, 126,
4) Sie befindet ſich abſchriftlich im Schaffhauſer Arhiv und es erwähnt
ihrer Stälin L, 618,
40 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim.
Mir können den Zeitabfchnitt, bis zu welchem die Darftellung der
Geſchichte Pforzheims bis jet gediehen ift, nicht verlaffen, ohne noch der
Einfälle der Ungarn in Deutfchland zu erwähnen, die ihre Berheerungs-
und Plünderungszüge mehrmals, fo in den Jahren 909, 910, 913,
915, 917, 937 und 955 bis an den Schwarzwald und noch weiter aus:
behnten. Am Jahr 917 drangen fie 3. B. durch Schwaben bis nad)
Lothringen vor, 937 überfchritten fie ebenfalls den Rhein, 955 kamen
fie bis in die Schwarzwalbgegenden. In Tetterm Jahre jedoch befreite
Kaifer Otto L, nachdem diE Ungarn hen 933 durch Kaiſer Heinrich I
bei Merfeburg beflegt worden waren, durch die Schlacht auf dem Lech—
felde Deutfchland auf immer von diefer Plage.
63. Das Kloſter Hirſchau.
Die in 4 Achtel getheilte Hälfte von Pforzheim wurde indefien
bald wieder vereinigt. Um das Jahr 1085 vermachte Graf Berthold
von Eberftein neben andern Gütern in der Ortenau und im Ufgan
fein Achtel von Pforzheim, mit Ausnahme des Marktes, dem Klofter
Hirfhau. Zwei weitere Achtel erfaufte fobann diefes Klofter von
Graf Herrmann, dem Sohne des obengenannten Anſelm und Neffen.
Adalberts, defien Erbe er au war, um 70 Mark. Ueber das vierte
Achtel, das Burkhard von Staufenberg beſaß, geben die Hirfchauer
Klofterurfunden, denen diefe Notizen entnommen find, feinen Auffchluß;
es it indeh anzunehmen, daß diefer Graf nad dem Beifpiel feines
Bruders und Neffen dem Klofter Hirſchau, dem alle Eberfteiner aus
alter Famikienanhänglichkeit jehr zugethan waren und als deſſen Wohl
thäter fie Häufig ericheinen, fein Achtel ebenfalls entweder (um billigen
Preis) verkauft oder verfchentt habe, Gleiches that er ja auch, wie oben
bemerkt, mit dem ihm gehörigen 1/; ber Kirche zu Niefen. So kam
aljo das halbe Pforzheim an das Klofter Hirſchau. (Um diefelbe Zeit
gab aud Siegfried, Dechant zu Pforzheim, nachmals Mönch zu Hirfchau,
dem Klofter 200 Malter reiner Frucht, die zu 20 Mark gerechnet
worden; ferner ftiftete er 4 Mark und wieder 7 Mark, ebenfo ein
Pferd, das für 5 Mark verkauft wurde und noch verjchiedenes Andere,
jo 24 Talente zum Ankauf eines Eigentfums zu Müngesheim und 7
Talente zum Ankauf eines Weinbergs in Zeutern bei Bruchfal.)
Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 4
Erlangte auf folhe Weiſe das Klofter Hirſchau das Hoheitsrecht
über einen anfehnlichen Theil der Stadt, jo bejaß es, wie aus Hirfchauer
Urkunden hervorgeht, ſchon früh auch eigene Güter dafelbft, die im Laufe
der Zeit durch Schenfung und Kauf nocd vermehrt wurden, und zu
denen allerlei fonftige Berechtigungen kamen, Die meiften der lebten
gingen in der Folge durch Kauf oder Tauſch an das Frauenkloſter ber
Dominikanerinnen zu Pforzheim über. Zu folden Nechten gehörte auch
die Kollatur der beiden Bfründen in der Kirche der Altſtadt und der St. Niko:
lausfapelle, ſowie die Frühmeßpfründe daſelbſt, das Fiſchwaſſer in der Enz bei
Pforzheim, dev Tafelzins von Häufern, Scheuern ıc. zu Pforzheim, der
große Zehnten zu Pforzheim (jpäter mit Lichtenthal getheilt), der Wie-
fenzinsg aus Meurach, Kappelwiefen (d. h. St. Nitolaus-Sapellenwiefen)
ꝛc. Mit der Bewirtbihaftung der eigenen und Lehengüter, fowie ber Er-
bebung und Aufbewahrung von Zehntfrüchten hing ficher der Hirſchauer
Hof zufammen, der in ber Altftadt bei der St. Nitolausfapelle lag und
deſſen ſchon in den früheften Urkunden Erwähnung gejchieht, (Wir erfahren
beifpielmeife, daß Markgraf Rudolph I. diefen Hof, der ſchon feinem
Bater verfeßt gemwejen war, 1282 dem Klofter zurüdgab, wahrjcheinlich
weil die darauf ruhende Schuld bezahlt wurde.) Der Umftand, daß bei
ben erwähnten Pfründen und dem Hirſchauer Hof immer nur die Alt:
ſtadt genannt wird, berechtigt zu der Vermuthung, daß diefe damals,
als Pforzheim in den theilweifen Beſitz des Klofters gelangte, noch den
wefentlichften Theil der Stadt bildete und die neue Stadt erft in ihren
Anfängen vorhanden war, Der Hirfchauer Hof, wenn auch längſt
verſchwunden, bat fi doch dem Namen nah als „Kappelhof“ ober
Kapellenhof“ erhalten, (von ber babei befindlichen Nikolauskapelle jo
genannt,) und wurden vor etwa 80 Jahren die Ruinen des alten Hof:
gebäubes aufgegraben. — Diefes muß fehr umfangreich geweſen fein, da
der Hirfhauer Hof fpäter (1565) als in 3 Höfe getheilt ericheint, deren
jedem ein anfcheinlicher Theil von Gütern zugewiefen war. Zum erften
berjelben gehörten beifpielmeife: Haus, Hofraithe, Scheuer und Garten,
1 Stüd Krautgarten, 40 Morgen Ader und 81/, Morgen Wieſen, zu
allen dreien etwa 140 Morgen Feld.) Diefer Hirſchauer Hof ſcheint
im IOfährigen Krieg mit der ganzen Altjtabt abgebraumt und mM
nicht wieder aufgebaut worden zu fein.
1) Erneuerung und Beihreibung ber Gülten und Zinfe bed Frauen—
Flofters von 1565.
42 Fünftes Kapitel, Die früheften Herren von Pforzbeim,
Das Aureliuskloſter Hirſchau, vier Stunden von Pforzheim ent:
fernt, im Nagoldthale gelegen, wurde im Jahre 830 oder 832, wie
oben ſchon erwähnt, durch die Grafen von Calw gegründet.1) Es zeich—
nete fich fchon unter den erften Aebten Liudebert, Gerung und Regen:
bodo namentlich durch trefflihe Schuleimrichtungen aus, gerietb aber
bald in Verfall, bis es in Folge feiner im Jahr 1075 erneuerten Stif-
tung auch zu neuer Blüte gelangte, befonders unter dem vortrefflichen
Abt Wilhelm, dem großen Reformator des Benebdiktinerordens (+ 1091).
Da der Raum des urfprünglichen SKlofters, welches auf dem rechten
Nagoldufer ftand, die Mönche nicht mehr fahte, jo baute Wilhelm, hie—
bei unterftügt von der Markgräfin Judith von Baden, (fiehe unten) das
neue Klofler auf dem linken Nagoldufer, von welchem noch ein Kirch—
thurm romanifcher Bauart über Ruinen emporragt.
Unter Abt Wilhelm kam auf oben bemerktem Wege das halbe
Pforzheim an das Klofter Hirfchau, blieb indeffen nicht lange in deſſen
Beſitz, weshalb bier zur Geſchichte des Kloſters, das indeſſen lange
nachher noch in Pforzheim viele Eigengüter und Berechtigungen befaß,
nur noch kurz bemerkt werden mag, daß Hirfchau nad etwa fiebenhun-
bertjährigem Beſtehen zur Zeit der Neformation fäkularifirt und im Jahr
1692 jammt einem Jagdſchloß, das fi) Herzog Friedrich I. von Würt-
temberg auf einer Anhöhe, ganz in ber Nähe bes Klofters, erbaut hatte,
niedergebrannt wurde. Die malerifhen Ruinen find heute noch eine
Zierde des freundlichen Thales.
Am Ende des 11. und im 12. Jahrhundert Hatte Hirfchau weit
ausgedehnte Befitungen, und war durch diefelben wohl eines der reichften -
Klöfter des füdlichen Deutfchlandse. Außer der Hälfte von Pforzheim
1) Die Gefhichte der angeblihen Gründerin des Kloflers, Helizena,
weche in bas Jahr 645 gefegt wird, muß bem Meich der Sage zugewieſen
werben. Sie lautet: Einer reichen adeligen Wittwe, Heligena v. Galm, welche
finberlos war, eriheint ald Traumbild eine Ebene, wo aus einem Stamm brei
Fichtenbäume bervorfproßten, mit der Mahnung, bier eine Kirche zu gründen,
Diefem bimmlifhen Winke folgend, zieht fie gleich mit Anbrud bes nächſten
Tages, von zwei Dienern und einer Magd begleitet, hinaus, trifft das ihr im
Traum erfchienene Wahrzeichen, küßt den Boben und ftiftet nad eingeholter
Einwilligung ihrer Verwandten, namentlih Eawarbs und Leopolds , eine mit
Gütern reich ausgeftattete Kirche. Ihr Sündenkleid, ihren Schmuck ꝛc. übergibt
fie an bie St. Nifolaifapele in Calw, Fleidet fih als Nonne und ftirkt vn
in Tübingen.
Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim, 43
befaß das Klofter, wie zum Theil fhon erwähnt, aus Schenkungen und
Käufen des 11. und 12. Jahrhunderts in den nächſten badiſchen und
württembergifchen Umgebungen der Stadt urkundlich Güter bei oder zu
Niefern (3 Huben und 1/; der Kirche fchenkte um 4400 Burkhard
von Staufenberg, 4 Huben umd 1/, der Kirche Berthold von Eberftein,
Herrmann von Eulz 6 Huben, 2 Huben Rapoto von Breitenau, 1/y
der Kirche Herrmann und fein Bruder Alwig von Forchheim, 5 Huben
Ludwig, Graf von Arenftein), Brötzingen (Mdelbert, wahrſch. von
Hohenberg, ſchenlte 2 Huben dafelbft, Rudolf, Graf von Himmelsberg,
41/, Huben), Dietlingen (Voller und deſſen Bruder Seliger von
Stettfeld 1/, Hube und 1 Weinberg, Berthold von Eberftein 2 Huben,
Gunderad von Thalader 2 Huben), Ellmendingen (Berthold von
Eberftein 2 Huben, Winther von Dsweil 4 Huben und die Kirche),
Göbrichen (Schwigger von Eberdingen 21/, Huben, deffen Söhne
Simon und Schwigger 1 Hube, Efbert von Speier u. A. 12 Huben),
Hohenwarth (Gottfried von Calw gab das Dorf mit Allem, was
dazu gehörte), Huchenfel d (Gerhard von Oberader 4 Huben), Neu:
haufen (ob aber der Ort im Bezirk Pforzheim gemeint ift, weiß ich
nicht: Adelbert, Priefter in Plieningen und fein Bruder Wolfram
1 Hube, Hiltebert von Neuhaufen 1/, Hube daſelbſt), Oeſchelbronn
(Buggo von Ruthmarsheim 2 Huben, Kleriker Adelbert 1 Hube, deffen
Sohn 1/, Hube, Etiho von Gertringen 1/, Hube,) außerdem befaß
Hirfhau Güter in Schellbronn und Tiefenbronn,; — ferner hatte
das Klofter Befigungen in Liebenzell, Schömberg, Biefelsberg, Calm-
bach ꝛc., ſodann in andern Theilen Badens bei Stupferih und Wein-
garten (Amt Durlach) bei Zeutern (Amt Bruchſal), bei Burbady und
Forchheim (A. Ettlingen), bei Kuppenheim und Raftatt (U. Raſtatt),
beit Sasbach und Ahern (A. Achern), bei Oppenau (U. Oberkirch), bei
Endingen und Forchheim (A. Kenzingen), bei Sinsheim (A. Sinsheim);
ferner außer dem, mas aus den mwürttembergijchen Memtern Calw und
Neuenbürg ſchon angeführt wurde, noch andere Befigungen in denfelben,
fowie in den Bezirken Freudenftadt, Herrenberg, Horb, Nagold, Nür-
tingen, Reutlingen, Rotenburg, Sulz, Tübingen, Urach, Ulm, Aalen,
Hal, Mergentheim, Backnang, Befigheim, Böblingen, Brackenheim,
Eannftatt, Eplingen, Heilbronn, Leonberg, Ludwigsburg, Marbach,
Maulbronn, Nedarfuln, Stuttgart, Vaihingen; — enblich aud noch
in Hechingen, in Baiern nnd im mittlern Rheinlanbe.
44 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim.
$g 4 Die Gerzoge von Schwaben.
Eine Hirfhauer Urkunde gibt uns Auskunft, in weſſen Hände
Pforzheim, das nad den bisherigen Auseinanderfegungen nad) einander
calwiſch, eberfteiniih und, wenigftens zum Theil, hirſchauiſch war, in
ber Folge gelangt fein muß. Laut jener Urkunde hatte nämlich Herzog
Friedrich von Schwaben einen Dienftmann, Dragebot von Pforzheim,
dem er die Erlaubniß gab, eine Hube Landes zu Pforzheim dem Klofter
Hirſchau zu vermahen. Für diefe Erlaubnig mußte der Kämmerer des
Klofters, Walcuno, dem Herzog eine Mark ausbezahlen. Aus diefer
Urkunde läßt fich num wohl mit Grund der Schluß ziehen, daß Pforz
beim damals entweder theilweife, oder vielleicht ganz, den Herzogen von
Schwaben, alfo den Hohenftaufen gehört haben muß; denn das Recht,
bie Erlaubnig zu einem Verkauf oder einer Vergabung von Gütern zu
ertheilen, fteht doch offenbar nur demjenigen zu, der die Landeshoheit
oder das Eigenthumsreht desjenigen Ortes hat, in defjen Gemarkung
die weggegebenen Güter liegen.
Auf welche Weife Pforzheim an die Hobenftaufen kam, läßt ſich
geſchichtlich nicht nachweiſen; doc ift es fehr wahrſcheinlich, daß diefelben
durch Heirat in nahem verwandtſchaftlichem Verhältniß zu den Grafen
von Calw ftanden und von diefen wenigitens das halbe Pforzheim an
bie Hohenftaufen überging. Vielleicht erwarben fich letztere dann auch
die andere Hälfte durh Kauf, Tauſch oder in fonftiger Weiſe vom
Klofter Hirſchau, fo daß alfo die ganze Stadt in ihre Hände gelangte.
Wann diefes geſchah, läßt fih um fo weniger mit Beftimmtheit
fagen, als obige Hirfchauer Urkunde feine Jahrzahl zeigt, aljo derfelben
auch nicht entnommen werben kann, welcher der hohenſtaufiſchen Schwa⸗
benherzoge, die den Namen Friedrich trugen, darin gemeint iſt. Da
indeſſen der ebenfalls darin erwähnte Kämmerer Walcuno in andern
Urkunden mit dem Hirſchauer Abt Volmar zufammengenannt wird, der
von 1120—1157 den Krummftab führte, fo muß jene Schenkung auch
um bdiefe Seit, jedenfalls aber nicht viel früher oder fpäter erfolgt fein,
(wern auch Walcuno den Abt Volmar überlebte.)
Nun regierte über Schwaben von 1079 — 1105 Herzog Fried:
ih I, von 1105—1147 Herzog Friedrih IE und von 1147—1152
Herzog Friedrich III., der in letztgenanntem „Jahre deutſcher Kaifer
wurde und unter dem Namen Triedrih I. der Rothbart in der Ge
Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 45
ſchichte genugſam befannt ift. Der in obiger Urkunde genannte Herzog
Friedrich iſt alfo ficher entweder Friedrich IT. oder III., wahrſcheinlich
aber der eritere,
Für die Art und Weife, wie die Hohenftaufen in den Befit von
Pforzheim kamen, ift jedoch noch eine Möglichkeit vorhanden, bie hier
nicht unberührt bleiben Tann. Es ift oben die Vermuthung ausgefprochen
worden, daß das halbe Pforzheim noch im Beſitz der Grafen von Calw
verblieb, als die andere Hälfte an die verfchiedenen eberfteinifchen Zweige
dieſes Gefchledhtes und fodann an das Klofter Hirſchau überging. Zu
Anfang des 12. Jahrhunderts hatte Graf Gottfried von Calw in Folge
des Umftandes, daß fein älterer Bruder Adalbert III. noch vor feinem
Vater ftarb und der jüngere Bruder den geiftlihen Stand ermählte,
alle Macht feines Haufes wieder auf ſich vereinigt; er befaß fomit auch,
wenn obige Annahme richtig ift, das halbe Pforzheim, Es liegt nun
jedenfalls nicht außer dem Bereich der Wahrfcheinlichkeit, daß er auch
die andere Hälfte von Pforzheim als uraltes Familiengut durch Kauf
oder Taufch oder auf irgend anderm Wege von Hirfchau wieder an ſich
brachte, was er um fo Teichter Konnte, als er als Vogt des Klofters zu
demjelben in nahen Beziehungen ftand, und als ein Mann bekannt
war, der, wenn e8 darauf ankam, ſich aud nicht ſcheute, mit ſolchen
geiftlichen Anftalten nicht eben fehr glimpflid; zu verfahren, namentlich
aber für die Dienfte, welche er ihnen leiftete, fi theuer bezahlen zu
laſſen. Da Gottfried das Unglück hatte, feinen einzigen Sohn früh ins
Grab ſinken zu fehen, fo fiel fein reiches Hausgut an feine Tochter
Uta, welche um 1130 die Gemahlin Herzog Welfs VI. wurde, und
ihm ein veihes Erbe, darunter wahrſcheinlich auch Pforzheim, (wenigſtens
urkundlich nachgewieſen Orte in der Nähe von Pforzheim, wie Lieben
zel, Ernftmühle, Schömberg, Biefelsberg ꝛc.) zubrachte. Sie lebte aber
mit dieſem Welf in Feiner glücklichen Ehe, fo daß bald wieder eine
Trennung ber Ehegatten erfolgte. 1) Welf gerieth fpäter häufig in Geld-
verlegenheiten, aus welchen ihn fein Schweiterjohn Kaifer Friedrich der
Rothbart bereitwillig befreite. Zum Lohn dafür wurden dem Kaifer
und feinem Haufe viele welfifche Befitungen, darunter auch erheirathete
*) Uta zog fih auf das Schloß Schauenburg in ber Ortenau zurüd, wes⸗
halb fie öfters Herzogin von Schauenburg genannt wird, und gründete 1196
in hohem Alter das Klofter Allerheiligen.
46 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim,
calwifche Güter, auf die Zeit des Ablebens Herzog Welfs VL (+ 1191)
zugefagt und fogleich zu Lehen, Einiges auch bereits zu eigen
gegeben. Könnte darunter nicht auch Pforzheim geweſen fein? |
Da indefien Herzog Welf mit BVerfchleuderung feiner Güter erft
nach dem Tod feines einzigen 1167 gejtorbenen Sohnes begann, fo
müßte unter dem Herzog Friedrich der oben genannten Hirfhauer Ur:
kunde entweder Friedrich IV., ein Gejchwifterfind von Friedrih dem
Rothbart, (1152 — 1167), oder nody wahrjcheinlicher Friedrih V., der
zweite Sohn Rothbarts (1167 — 1191) verftanden und angenommen
werben, daß Ieterer diefem feinem Sohne das von Herzog Welf erwor-
bene Pforzheim übergeben habe.
Die Hobenftaufen, die nad) und nach zu fo großer Macht und fo
hohem Anfehen gelangten und dem deutfchen Reich eine Meihe ber treff-
lichſten Kaifer gaben, nannten ſich urſprünglich Herren von Büren (fo
fchrieb fi 3. B. noch der Urgroßvater von Friedrich Barbaroſſa), bie
Friedrich I. in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts die Burg
Staufen oder Hobenftaufen zwiſchen Göppingen und Gmünd erbaute
und fein Gefchlecht fi) davon benannte. Diefer Friedrich I. gelangte
in Folge feiner Anhänglichkeit an Kaiſer Heinrih IV. (1056 — 1106),
deffen Tochtermann er auch wurde, in den Befib des Herzogthums
Schwaben, wodurd er den nadymaligen Glanz feines Haufes begründete.
Sein zweiter Sohn beftieg den deutſchen Kaifertbron unter dem Namen
Konrad III. (1137—1152); diefen folgte als Kaifer fein Neffe Fried:
rih J der Rothbart (1152—1190), hierauf deſſen Sohn Heinrih VL
(114% —1197), diefem zuerft fein Bruder Philipp (1198— 1208), dann
fein Sohn Friedrih I. (1212 — 1250), defjen Sohn Konrad IV.
(1250 — 1254) die Reihe der hobenftaufifchen Kaifer beſchloß. Mit
bem Tode Konradins, des Sohnes von Konrad IV., der auf Befehl
Karls von Anjou in Neapel 1268 enthauptet wurde, erloſch das glor:
reiche Geſchlecht der Hobenftaufen. —
Dasſelbe war nad und nad) zu reichen Familienbeſitzungen gelangt,
die in Schwaben, Franken, dem Elfaß, Burgund, dem heutigen Baden ıc.
zerjtreut lagen. Von den Iehtern führen wir außer Pforzheim hier noch
an: die Städte Einsheim, Eppingen, Durlach, Ettlingen, Gengenbad),
Zell am Hammersbach, die Burg Mahlberg, und eine Zeit lang gehörte
auch das Schloß Badenweiler den Hohenftaufen.
Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 47
$5. Die Pfalsgrafen bei Uhein.
Noch einmal follte indeffen Pforzheim feinen Herrn wechfeln, bevor
es am dasjenige fürftlihe Haus kam, in deſſen Befib es bis auf ben
heutigen Tag faft ununterbrochen geblieben ift. Auch über diefem Theil
ber Geſchichte der Stadt ſchwebte früher ein Dunkel, bis dasſelbe vor
nicht Ianger Zeit durch eine Urkunde theilweife aufgehellt wurde, weldhe
dem verloren geglaubten, aber glüdlicherweife wieder aufgefundenen 1) und
für die ältere Gefchichte Pforzheims jehr wichtigen Ardiv des Klofters
Herrenalb angehört. In jener Urkunde, auf weldyer fich die Jahrzahl
1195 findet, thut nämlich Heinrich, der Sahfen Herzog und Pfalz:
graf bei Rhein feinem Schultheißen und feinen Bürgern
zu Pforzheim (Phorceim) zu wiſſen, daß er das Klofter Herrenalb
und Alles, was demfelben gehöre, in feinen Schu und Schirm genom-
men und dasfelbe von Zoll und aller ungebührlichen Dienftbarfeit bes
freit habe.?2) Wer war nun diefer Pfalzgraf Heinrich und wie fam
Pforzheim in den Beſitz desfelden? Die erfte Frage läßt ſich mit Be
jtimmtheit, die zweite wenigftens in einer Weiſe beantworten, die den
Stempel der MWahrfcheinlichkeit trägt. Es ift jedoch nöthig, zu dieſem
Zwecke etwas auszuholen.
Nachdem die Würde eines rheinifchen Pfalzgrafen, die ihren Ur-
fprung am fränkischen Königshof in Aachen hatte, erblich geworden und
lang bei einer und derfelben Familie geblieben, auch durch Kaifer Hein—
rih V. im Jahr 1113 dem oben ſchon genannten Grafen Gottfried
von Calw zur Belohnung für geleiftete Dienfte verliehen worden war,
fam die rheinifche Pfalzgraffchaft bald nach dem (1131 erfolgten) Tod
Gotifrieds an das Haus Hohenftaufen, indem fie Kaifer Friedrich I. der
Rothbart 1156 feinem Bruder Konrad übertrug. Defjen einzige Tochter
und Erbin Agnes hätten nun die Hohenftaufen gerne mit einem ihres
Namens vermählt, um die Pfalzgrafenwürde bei ihrem Haufe zu erhal:
ten; aber die Liebe fiegte über die Politik, und Agnes heirathete dem
ſchönen und ritterlihen Sohn eines Verbanntn, nämlih Heinrid
den Langen oder den Schönen, deſſen Vater der — freilich durch
eigene Schuld — unglüdliche Welfe Heinrich der Löwe von Braunfhweig
*) 1842 durch Archivrath Dr. Bader in Salem. .
*) Diefe Urkunde ifi vollſtändig abgebrudt in der (ältern) Badenia us.
189 von Bader.
48 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim.
war. Nach dem Tode feines Schwiegervaters 1195 wurde Heinrich
der Lange auch der Nachfolger desjelben als rheinifcher Pfalggraf , und
zwar mit Zuftimmung Kaifer Heinrihs VL, und eben dieſer Pfalzgraf
Heinrih war es nun, der das oben erwähnte Schreiben an feinen
Schultheißen und feine Bürger zu Pforzheim richtete. Herzog von Sach—
fen nannte er ſich zugleidy darin, um anzudeuten, wie wenig rechtlich be:
gründet es ihm erſchien, daß ihm oder eigentlich feinem Vater, der durch
feine Treuloſigkeit gegen Kaifer Friedrich den Mothbart ſich ſchwere
Strafe zugezogen hatte, auch die ſächſiſchen Stammgüter entriffen wor:
den waren,
Wie war aber Pfalzgraf Heinrih in den Beſitz Pforzbeims ge
langt? Dffenbar auf feinem andern Weg, als dem der hohenſtaufiſchen
Erbſchaft. War ja doch fein Schwiegervater Konrad der Sohn jenes
Herzogs Friedrih IL, den wir oben bereits als wahrjcheinlihen Herrn
von Pforzheim Fennen gelernt haben, Von diefem vererbte fi) wohl
manches bobenftaufiihe Beſitzthum, darunter fiher auch Pforzheim, auf
Pralzgraf Konrad, der es wiederum nad) feinem 1195 erfolgten Tode
feiner einzigen Tochter und damit zugleid) feinem Schwiegerfohn hinterließ.
Nehmen wir jedoh an, daß Pforzheim auf dem oben auseinander
geſetzten welfifchen Ummeg an die Hohenftaufen, und zwar durch Kaifer
Friedrich I den Rothbart an feinen zweiten Sohn, Herzog Friedrich V.
fam, fo müßte die Stadt entweder ſchon bei den Lebzeiten des letztern,
oder nady feinem 1191 erfolgten Tod in die Hände feines Onkels, des.
Pfalzgrafen Konrad übergegangen fein, was um fo leichter geſchehen
konnte, als Herzog Friedrich V. unvermählt und kinderlos ftarb.
So viel dürfte aus dem Bisherigen hervorgehen, daß Pforzheim
im zwölften Jahrhundert, aljo während der Zeit, da es hohenſtaufiſch
und pfälziſch war, feine entfcheidende Entwicklungsperiode durchlebt hat
und aus einem Flecken zur Stadt herangeblüht fein mag, bie bereits
mit Mauern und Gräben umzogen war und überhaupt ftäbtiihe Ein-
richtungen hatte. Doc wird, was wir hier anzufübren nicht verfäumen
wollen, Pforzheim in einer zwiſchen 1190 und 1197 ausgeftellten Ur:
funde noch villa (S. 39) genannt.1) Als folhe muß es aber ſchon
von Bedeutung gewefen fein, fonft wäre wohl die Burg Enzberg darin
9) Stälin, I. 384, wo mitgetheilt ift, daß ber Erzbiſchof Johann von
Trier die bei der „villa“ Pforzheim gelegene Burg Enzberg an ſich gebracht
babe.
Fünftes Kapitel, Die früheften Herren von Pforzheim, 49
nicht ale „bei Pforzheim liegend“ bezeichnet, Schon zu dieſer
Zeit beftand auch ein Nonnenklofter in Pforzheim Da unter den
8 Kiöftern, welche Pforzheim fpäter befaß, 2 Frauenklöfter waren, näm—
lich der Eifterzienferinnen und der Dominifanerinnen, der Or:
den der Letztern aber erft im 13. Jahrhundert (1206) geftiftet wurde,
der erftere aber bereits 1099, fo kann das erwähnte Pforzheimer Frauen—
kloſter nur den Eifterzienferinnen angehört haben. Es fpricht dafür der
weitere Umftand, daß im 12. Jahrhundert nod mehr Ciſterzienſerklöſter
in der Gegend von Pforzheim gegründet wurden, jo Maulbronn um
1140, Herrenalb 1148. Die Eifterzienfer hatten ihren Namen von
dem Stammflofter des Ordens, nämlich Citeaur unweit Dijon in
Franfreih, das der Benebdiktinerabt Nobert gründete. Durch die Thä-
tigkeit des heiligen Bernhard von Glairvaur, der diefem Orden angehörte
war bderjelbe fchon 100 Jahre nach feiner Stiftung in den Beſitz der
reichften Abteien Europas gelangt.
Noch ift zu bemerken, daß das Kloſter der Eifterzienferinnen zu
Pforzheim nach ſpätern urfundlichen Andentungen in der Altftadt lag —
wo, das laßt ſich nicht mehr beſtimmen.
Pflüger, Pforzheim. 4
Schstes Kapitel,
— —
Pforzheim badifch.‘)
(lim 1220.)
51. Die Markgrafen von Baden.
Mir haben im vorhergehenden Kapitel gefehen, wie die Hobeitsrechte
über das getheilte oder ganze Pforzheim nad einander in verſchiedene
Hände gelangten. Es bleibt num noch die Aufgabe, zu zeigen, wann und
auf welche Weife die Stadt an dasjenige Fürftenhaus Fam, in deſſen Befit
fie ſchon mehr als ſechs Jahrhunderte hindurch faft ununterbroden ge—
blieben ift. Zum beffern Verſtändniß diefes Nachweifes, ſowie der ſpä—
tern Geſchichte Pforzbeims überhaupt, ift es nothmwendig, auf den Ur:
iprung des Haufes Baden und die Gründung der Markgrafſchaft, welche
diejen Namen trug, zurüdzugehen.
Ungefähr zu berfelben Zeit, als Pforzheim in den Beſitz der
Grafen im Ufgau oder von Eberftein übergegangen fein mochte, nämlich
im 11. Jahrhundert, Tebte als Graf im Breisgau und Thurgau Ber-
tbold I, ein Nachkomme der alten Grafen, welche vielleicht ſchon mehrere
Sahrhunderte lang diefe Gauen, ſowie bie anftoßende Baar, verwalteten
und vielleicht fogar von den alten Herzogen von Alemanien abftanımten.
Als Entfhädigung für das ihm von Kaifer Heinrih II. für geleiftete
Dienfte verfprohene, aber nad deſſen Tod vorenthaltene Herzogtbum
Schwaben erhielt er das Herzogthum Kärnthen und die Mark Verona,
welch letztere er feinem zweiten Sohn Hermann übertrug, der fi
beshalb „Markgraf von Verona“ nannte, Beide wurden zwar
in den Kriegen, welche unter Kaifer Heinrich IV. ausbradhen, im Jahr
1073 ihrer Würden wieder entſetzt, behielten aber aud ihre Titel
) Quellen: Verſchieden.
Schötes Kapitel, Pforzheim badiſch. 51
bei,1) Daher kommt es, daß die Nachkommen und Nachfolger Bertholds
in directer Linie, als fie ſich fpäter, wie die meiften Gaugrafen, nicht
mehr nad) ihrem Gau, fondern nad) ihren Mohnorten nannten, den Titel
„Herzoge von Zähringen“ führten, obgleich es Fein Herzogthum
Zähringen gab. Auf gleiche Weife ift eine „Martgrafihaft Ba
den” entftanden. Denn jener Herrmann vermählte fih mit Judith,
einer Tochter des Haufes Calw-Eberſtein und vermuthlich Schweiter der
oben ſchon (S 37) angeführten vier Brüder Berthold, Anſelm, Burk—
hard und Adalbert, welche ihm als Mitgift oder als Erbſchaft verfchie:
bene Befigungen im Uf- und Murrgau, darunter die Stadt Baden,
zubrachte, und ihn, den Markgrafen von Verona, num auch zum
Herrn von Baden machte?) Ueberdies hatte er ala väterliches Erbe
Befigungen im Breisgau, namentlich die Burg Hochberg erhalten. Unter
ben fpätern Nachfolgern Herrmanns I, wurden im 12. und 13, Jahr:
hundert die beiden Titel „Markgraf von Verena” und „Herr zu Baden“
in den einen: „Markgraf von Baden“ verfchmolzen.
Bon Herrmann I. mag noch erwähnt werden, daß er 1074 im
Klofter Elugny in Burgund, wohin er fih — bis zum Tode uner:
fannt — zurücigezogen hatte, fein Leben befchloß, weshalb er auch der
„Heilige“ Heißt. Ihm folgte fein Sohn Herrmann. (1074—1130),
der wahrjcheinlich das alte Nömerkaftell bei Baden zu einer bemohnbaren
Ritterburg einrichtete und in den Tetsten Urkunden, welche feiner erwäh-
nen, bereit8 marchio de Badin, 5. h. Markgraf von Baden genannt
wird. Wie fein Vater, jo nahm auch Herrmann IT. (1130 — 1160)
an Neichsgefhäften Iebhaften Antheil, weshalb wir ihn jehr Häufig in
der Umgebung ber hohenftaufifchen Kaifer Konrads III. und Friedrichs J.
finden, welch Ießtern er auch auf einigen feiner Züge nad Italien bes
gleitete. In ähnlicher Weife nahm fein Sohn und Nachfolger Herr:
mann IV, (1160—1190) an dem Kreuzzuge Theil, den riedrid I.
in hohem Alter machte und wobei er ertrank. Auch Herrmann IV.
follte nicht mehr in fein Vaterland zurüdfehren, indem er 1190 in
Antiohia von der Peſt hinweggerafft wurde, Er hinterließ 3 Söhne:
, 9 Ein jpäterer Herrmann (III) erhielt zwar die Mark Verona durch Kaifer
Friedrich I, zurüd, war jebocdh nur Furze Zeit in ihrem Befip.
*) Diefe Judith ftarb 1091 zu Salerno in Stalien, wo fie ben Papft
Gregor VII, beſucht hatte. Sie ift eben fhen als Miterbauerin des auf bem
linfen Ragoldufer liegenden neuen Kloſters Hirſchau genannt —
52 Sechstes Kapitel. Pforzheim badiſch.
Herrmann V,, Friedrih und Heinrich. Letzterer wurde auf die Herr-
ſchaft Hochberg mit der Landgraffchaft im Breisgau abgeibeilt, während
die beiden andern das väterliche Erbe gemeinfchaftlich übernahmen. Nach
dem Tode Friedrichs, der auf einem Kreuzzuge ftarb, war Herrmann V.
(1190 — 1242) alleiniger Herr der vom Vater ererbten Beſitzungen,
die indeſſen noch Feine fehr große Ausdehnung hatten, da fie bloß Die
Herrichaft Baden mit zerftreuten Gütern im Uf- und Pfinzgau, die
Herrihaft Iburg mit der Burg gleichen Namens und ben Kirchipielen
Steinbah und Sinsheim, die Vogtei Selz und endlich verſchiedene Güter
und Lehensherrlihkeiten in Schwaben umfaßten.) Was Herrmann V.
als Reichsfürſt Teiftete, daß er 3. DB. ein treuer Anhänger der hohen:
jtaufiichen Kaiſer Heinrichs VL, Philipps von Schwaben und Friedrichs II.
war und namentlich letztern auf vielen feiner Züge, jo auch 1241 gegen
die Mongoten oder Tataren begleitete, die verwüftend im öftlichen
Deutichland eingefallen waren: das Alles mag bier nur kurz berührt
werden. Um jo mehr müſſen wir aber bei diefem Fürſten deswegen
verweilen, weil er die Macht und das Anſehen des badijchen Haufes
durch neue Ländererwerbungen, darunter auch der Stadt Pforzheim, um
ein Bebeutendes vermehrt bat,
$ 2. PMorzheim wird badifch.
Herrmanns V. Gemahlin, Irmengard, war eine Tochter eben
jenes rheinischen Pfalzgrafen Heinrich, der 1195 an feinen Schultheißen
und feine Bürger zu Pforzheim das oben (S. 47) erwähnte Schreiben
richtete. Als Mitgift erhielt diefelbe neben andern Be-
fißungen fiber die Stadt Pforzheim.?) Das war ein jehr wich—
tiger Zuwachs für die damals noch fehr Heine Markgaffchaft Baden! In
welhem Jahr aber Pforzheim mit diefer vereinigt wurde, läßt fich nur
annähernd beftinnmen, da bei der Feſtſtellung der eben erwähnten That:
ſache doch über die Zeit des Anfalls beftimmte Angaben fehlen.
Irmengard war um 1203 geboren,3) und wurde nad) einer Sitte, die
1) Bader, wahrer Urjprung Babens ©. 45 und Baber, Herrmann V,
2) Majus, vita Reuchlini, S. 109, — Bader, Herrmann V., ©. 45,
Baber, Rudolf IL, ©, 11. Tolner, I., 33, u. a. a. O.
®) Vergl, Häuſſer, Geſchichte der Pfalz.
Schstes Kapitel. Pforzheim badiſch. 53
damals bei den fürftlichen Häuſern berichte, vermuthlich ſchon zwiſchen
1210 und 1212 mit Herrmann V. verlobt, während die Bermählung
erft mit den mannbaren Jahren derfelben erfolgte. Man wird nun nicht
fehl gehen, wenn man annimmt, daß diefe um 1220 ftattgefunden habe.
Erhielt nun Jrmengard die ihr zugebachten Ländereien wirklich als Mit-
gift, fo muß Pforzheim um das Jahr 1220 badiich gewor:
ben fein. War jenes nicht etwa der Fall, jondern fiel Pforzheim erft mi
den Tod des Schwiegervaters Herrmanns V., weldher 1227 erfolgtet
als Erbſchaft an Letztern (mas umwahrſcheinlicher ift), fo bleibt jedenfalls
fo viel gewiß, daß Pforzheim zwifchen 1220 und 1227 von der Pfalz
an Baben überging.
Als Erbihaft feiner Gemahlin erhielt Herrmann V. im Jahr 1227
gemeinfchaftlih mit feinem Schwager, Otto dem Erlauchten, aud bie
welfiiche Stadt Braunfchweig. 1) Da indeffen die weite Entfernung und
der getheilte Beiig den Werth diefes Gewinnes ſehr verminderten, fo
ergriffen beide Fürſten mit Freuden den Antrag Kaijers Friedrichs IL.,
das braunſchweigiſche Erbe gegen andere Befigungen an ihm abzutreten.
Der Markgraf ging einen Tauſch mit ihm ein, wornach er für fein
Halbtheil die Stadt Dur lach zum Eigenthun, die Stadt Ettlingen
als Lehen, und die Städte Sinsheim, Eppingen und Laufen
für die Summe von 2300 Markt Silber als Pfandichaft erhielt.
Lestere fcheint jedoch im der Folge bald wieder abgelöst worden zu
fein. Gewiß iſt indeh, dag die Erwerbung jener zwei Städte eine
dauernde und darum von großer Wichtigkeit war, da diefelben, in Ber:
bindung mit Baden und Pforzheim, als vier fefte, bald auch mit bür—
gerlihen Einrichtungen, befuchten Märkten, anfehnlihen Gemeindegütern
und geiftlichen Stiftungen ausgeftatteten Orte, die Hauptſäulen bildeten,
auf denen die Markgrafichaft Baden emporwuchs, 2)
As Markgraf Herrmann V. ftarb, fonnte er feinen Söhnen ſchon
ein anfehnliches Fürſtenthum binterlaffen, das theilg ererbt, theils ertaufcht,
theils auf verfchiedene andere Weife, auf die bier nicht eingegangen wer:
den kann, erworben war, Es beitand dasfelbe zunächſt aus den ges
nannten vier Städten, denen noch Steinbady als folche, ſowie die Schlöffer
Mühlberg und Grötingen angereiht werden können; alsdann in einer
y Bergl. Bader, Markgraf Herrmann V., ©. 46, und Sachs, Einlei—
tung im die Gefchichte der bad. Marfgrafigait I., 346.
2) Bergl, Bader, Markgraf Herrmann V.
H4 Schstes Kapitel. Pforzheim badiſch.
ziemlihen Anzahl von Flecken, Dörfern und Höfen, welche diefe Städte
umgaben, und endlich in einigen zerftreut und entfernt liegenden Ber
fitungen , wie in den Städten Balnang und Befigheim, in einem An:
theil an Altenfteig, wahrſcheinlich auch in dem Amt Lindenfels im Oden⸗
wald, weldes aber fpäter 1277 wieder an die Pfalz verkauft wurde,!)
und in den Pfandfhaften von Selz, Eppingen, Sinsheim und Laufen,
Von diefen Städten war Pforzheim auch deshalb noch von befonderer
Wichtigkeit, weil es einen geeigneten Verbindungspunft zwifchen ben ba=
diſchen Befigungen im Rheinthal und denen am untern Nedar und
Schwarzwald bildete,
Noch jei erwähnt, daß die Gemahlin Herrmanns V., Irmengard,
im Jahr 1245 „zum Geelenheil ihres (1242) verftorbenen Gemahls,
zur Sühne ihrer Vergehungen und zum bleibenden Gedächtniß ihrer
Söhne“ das Klofter Lihtenthal gründete und beide Ehegatten dort
begraben liegen.
') Bergl. Häuffers Geſchichte der Pfalz, I., 127.
Sicbentes Kapitel
Pforzheim im 13. Jahrhundert !)
$ 1. Allgemeines.
Als Markgraf Herrmann V. im Jahr 1242 geftorben war, folgten
ihm im der Megierung feine beiden Söhne Herrmann und Rudolf,
welche diefelbe gemeinſchaftlich führten, bis erjterer 1249 durch die Hand
der verwitiweten Herzogin Gertrud von Defterreih die Regentſchaft
dieſes Landes erhielt.2) Won biefer Zeit an vegierte Rudolf I. allein,
Er war ein Mann von großer Umfiht, Thätigfeit und Kraft, und
namentlich ftets eifrig bemüht, jebe fich ihm darbietende Gelegenheit zur
Vergrößerung feines Landes zu benügen, was ihm auch fo ſehr glückte,
daß er als der eigentliche Gründer der Markgrafſchaft Baden betrachtet
wird.3) Die wichtigſte Erwerbung war die eines Theils der Grafſchaft
Eberſtein, wodurch das babiſche Beſitzthum nicht nur anſehnlich erweitert,
ſondern auch abgerundet wurde.
1) Benützt wurden bei dieſem Kapitel außer einigen ber früher ſchon ar»
geführten Gefdichtswerfe namentlid bie Urkundenarchive ber Klöfler Herren
alb, Lihtenthal und Rehenshofen, zum Theil aud Bebenhauſen, in
der Zeitjchrift für die Geſchichte bes Oberrheins, Band I. bis IX. ; ferner ber
Codex Hirsaugiensis; Klunginger: Geſchichte des Kloſters Maulbronn;
Urkunden, Repertorien, Kopialbücher und Lagerbüd er des Lan:
desarchivs, ſowie auch des Stadtarchivs; Kolb: Lexikon von Baden; Ba der:
Markgraf Rubolfl.; Kausler: Beichreibung des Oberamts Neuenbürg u, a. m.
%) Herrmann farb jedoch ſchon 1250, nachdem er noch einen Erben gezeugt,
jenen Bringen Friedrich, welder mit Herzog Conradin, feinem ungertrenn:
lichen Freunde, auf dem Schaffot in Neapel 1268 fo traurig geendet bat.
Derjelbe erſcheint in der Geſchichte, was durch bie eben berührten Verhältnifie
ettlärlich wird, bald ale „riebrih von Baden“, bald als „Friedrich von
Deſterreich.“
3) Ausführlicheres über dieſen Fürften in Baders Schrift: Marfgraf
Rudolf I, von Baden.
56 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhunbert.
Die Regierung Rudolfs I, war eine äußerft unruhvolle. Sie fiel
großentheils in jene „kaiſerloſe, jchredliche” Zeit, die man das Interreg—
num zu nennen pflegt. Unter die Fürften, welche die Auflöfung des
oberften Neicdysverbandes dazu benüßten, fi) Länder zu erwerben, und
fürftlihe Hoheit, ſowie veihsunmittelbare Selbſtſtändigkeit zu erlangen,
gehörte auch Markgraf Rudolf. Solde Zu: und Uebergriffe verwidelten
ihn natürlich in eine Neihe von Händeln mit feinen Nachbarn, aus
denen der ritterlihe Degen indefjen größtentheils ſiegreich hervorging.
Am Jahr 1273 wurde Rudolf von Habsburg zum deutfchen Kaifer
gewählt. Es ift befannt, welde Mühe fid) derſelbe gab, die Verhältnifie
des deutſchen Neiches, das ganz aus feinen Fugen zu geben drohte,
wieder mit Präftiger Hand zu ordnen und die innere Sicherheit herzuftellen.
Zu dem Ende begann er feine Reichsverwaltung damit, Alles entichieden
zurüczufordern, was die Fürften und Herren während des Interregnums
dem Reiche widerrechtlich entzogen hatten. Eine ſolche Forderung mußte
die Betbeiligten, darunter Markgraf Rudolf, empfindlidy treffen, und es
bildete fi deshalb in Schwaben und am Rhein ein Bündniß wider
ben beneideten und verhaften Habsburger, deſſen Häupter der Markgraf
von Baden und der Graf von Mürttemberg waren, Kaifer Rudolf
aber befeßte rafch die Länder feiner Gegner, noch che der MWiderftand
gehörig organifirt war, und unfer Markgraf mußte fi dem neuen
Neichsoberhaupte unterwerfen, Doch fand der fehbeluftige Herr auch
in der Folge wieder Anlap zu Händeln, namentlih mit dem Biſchof
von Straßburg.
War Markgraf Rudolf auf der einen Seite ein ritterliher Degen,
der fein halbes Leben in Fehden zubradyte, jo war er anf der andern
Seite auch gläubig und fromm im Geifte feines Zeitalter, Kirchen
und Klöfter, unter letztern befonders Lichtentbal, Herrenalb, Gottesau
und Maulbronn erfreuten ſich feiner freigebigen Hand oder feiner wohl:
wollenden Gefinmung. 1)
) In jener Zeit des Minneſängerthums fand auch die Dichtkunſt am
Hofe bes Markgrafen willige Pflege. Ein Minnefänger, Boppe, ber fih an
demſelben aufgielt, vühmt „den von Baden und ouch von Berne (Verona), den
alten (Rubolf) und den jungen (HerrmannVIl,)“ als Einen „der ere gert“;
wenn er Unmöglibiten aufzählen will, nennt er die, baß „der edel vürste
von Baden das alte Gebzenstein (Gebjenftein im Amt Blumenfeld) durch
vorhte ufgit (durch Furcht aufgibt), “ (Stälin.)
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 57
Alt und lebensfatt, und nicht ohne Manches, was er gethan oder
veranlaßt hatte, bereut zu haben, verfchied Markgraf Rudolf im No:
venber 1288 auf feinem Schloffe zu Eberſtein, und wurde in Lichten-
thal beigeſetzt.
$ 2. Deſonderes.
GPforzheim nah Außen, Adelsgeſchlechter der Umgegend.)
Daß auch die Stadt Pforzheim in jener bewegten Zeit vielfach
in den Strudel der Ereigniſſe hineingezogen wurde, wird wohl begreiflich
erfcheinen, wenn uns auch die Gefchichte Einzelheiten darüber nicht auf:
bewahrt hat. Als Rudolf von Habsburg bald nad) feiner Erwählung
zum deutſchen Kaifer die widerfpenftigen Fürſten, darunter Markgraf
Rudolf, zur Ordnung brachte und raich das Land und die Städte deg
letztern befeßte, da mag and Pforzheim neben Baden, Mühlberg, Dur:
lah und Größingen kaiſerliche Truppen in feinen Mauern beherbergt
haben, Als im Jahr 1287 Herrmann, der Ältefte Sohn Rudolfs, au
der Stelle feines altern Vaters, deſſen Fauſt das Schwert nicht mehr zu
führen vermochte, begleitet von zwei Söhnen und an der Spite von
6000 Mann, darunter ſicherlich auch Pforzheimer, ins hintere Nagold:
thal zog, um mit dem Grafen von Hohenberg einen Strauß um dag
Städtlein Altenfteig auszufechten, zu welchem Zweck er bei der Stadt
Pforzheim ein Anlehen gemacht zu haben jcheint, (fiehe unten) und als
er bierauf, nad erfimpftem Siege, verheerend in das Gebiet des Pfalz:
grafen von Tübingen einfiel: da mochte man wohl auch in Pforzheim
mit Beforgniß den Gang der Ereignifie verfolgen, da bei einer Nieder:
lage Herrmanns vielleicht das gleiche Schickſal die badifhen Lande ge
troffen hatte, wie es über die eines andern Fürften erging, Es waren
verhängnißvolle, ſchwere Zeiten!
Markgraf Rudolf hatte feine Reſidenz theild zu Baden, wo er
dann das obere Schloß bewohnte, theils zu Pforzheim. In den
legten Fahren feines Lebens bielt er fi) meift auf der (alten) Burg
Eherftein auf, wo er auch ftarb.
Im Jahr 1263 übergaben die Brüder Berthold und Belreim don
Wizenftein) (Weißenftein) laut einer zu Etheningen (Ettlingen) aus:
gefertigten Urkunde dem Markgrafen Rudolf „in Anerkennung der vielen
58 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert,
Wohlthaten, welche ihnen vom Markgrafen und feinen Vorfahren zuge:
fommen“ alle ihre Nechte auf die Burg Lie benegge mit der aus:
brüdlichen Willenserklärung, daß „das vollkommene Herrſchaftsrecht, der
freie, unbeſchränkte Beſitz ſowohl auf genannter Burg, als dem Dorf
Wirme und allen andern dazu gehörigen Befigungen in Höfen und
Feldern, bebauten und unbebauten, in Lehensleuten und Leibeigenen,
MWiefen und Waiden, befahrenen und unmegfamen Gegenden, Wäldern
und Gebüfhen, Mühlen und Mühlwerken, Waſſern und Wafferabfällen,
Tifchereien und Jagden und allen damit verbundenen Rechten, welde
auf irgend eine Weiſe zur Burg felbft gehören” dem genannten ihrem
Herren mit vollem Rechte zugehören ſolle. Bloß das Darf Huoden
velt (Hucenfeld) wurde von diefer Eigentbumsübergabe ausgenommen,
welches die Brüder von Weißenftein mit Vorbehalt ihrer Kehensherrichaft
an folgende Perfonen als Lehen überließen: Eunrad, genannt Colbe,
Sohn Albert Eolbos, dem auf Burg Burftenede (Fürſteneck bei
Oberkirch), Bertold, genannt Wiedener von Ingersheim (zwi
ſchen Ludwigsburg und Befigheim), Liotwin von Glatebach (Glatt⸗
bad bei Vaihingen), Sibotto von Hule (?), Albert von Helfen:
berg (bei Marbach), Conrad und Sibotto, Gebrüder von Scho—
nowe (Schönau hinter Heidelberg). „Wir erlauben aber”, heißt es
am Schluß der Urkunde, „daß die vorgenannten Perfonen freie Macht
haben follen, das genannte, von uns zu Lehen gegebene Dorf in die
Hände und Gewalt unferes oft genannten Hern, des Markgrafen zu
überlafien, ohne daß die uns fchuldige Lehenspflicht dabei ein Hinderniß
fein folle.” Der Urkunde find die Siegel der beiden Ritter von Wei-
Benftein, ferner Con rads von Roſſew ac (Roßwag bei Vaihingen),
Reinhard Kimons von Baden und Bertholds von Remchingen
(bei Wilferdingen) angehängt und in berfelben find als weitere Zeugen,
aufgeführt: Conrad von Rode,t) Hugo von Werbenwac (Mer:
1) Rob, von roben, reuten, ausreuten abgeleitet, mag ed mehrere
gegeben haben. Ein Ort Rod lag nab einer SHerrenalber Urkunde vom
18. Februar 1263 zwiſchen Pforzheim und Weißenftein, und trägt daſelbſt eine
Anhöhe diefen Namen nad. Bielleiht war biefer Ort aud ber Sig eines
Nittergefchlechtes, das fi darnady benannte, und von weldem oder von einem
andern Rob bie heute noch blühende Adelsfamilie der v. Röder abftammt,
welche biefem Namen noch ben ihrer Burgen beifegten, 5. B. Röber von Diers:
burg, Möder von Mberg, Röder von Hohenrod, Röder von Roded. Ein Purk:
hard von Rode erſcheint ſchon im Gefolge Herrmanns V., ein Udalricus de Rode
im Cod, Hirsaug., 72.
Sirbentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 59
renwag, Stfrid von Ottenkeim (Detigheim), Borhhard, genannt
Burner, Heinrih von Barchuſen, (Berghaufen) und Walther
von Eberjtein, Conrad, Schirmvogt von Remchingen und
Blicger von Steinah (am Nedar).
Der Inhalt diefer Urkunde ift hier etwas ausführlicher angegeben,
einmal um barzuthun, welche wohlwollende Gefinnung die Weißenfteiner
gegen den Markgrafen hegten, die überhaupt auf das Verhältniß bes:
jelben zu feinen Bafallen ein günftiges Licht wirft, fodbann um zu zeigen,
wie zerftüdelt damals die Verhältniffe mancher, jelbft Meiner Orte, wie
Huchenfeld waren, und endlih, um überhaupt die Form folder Urkunden
einigermaßen Fennen zu lernen, wie fie in damaliger Zeit ausgeftellt
wurben,
Daß fih Markgraf Rudolf aud von Zeit zu Zeit im Schloß
Liebened aufgehalten babe, bezeugt ein Schreiben vom Februar 1268
(oder 1269), das er von dort aus an die Stadt Straßburg richtete.
Bon feiner wohlwollenden Gefinnung gegen die der Stadt Pforzs
heim nahe liegenden Klöfter Hirihau und Maulbronn zeugt, daß
er eriterm 1282 einen Hof zu Pforzheim zurüdgab , der feinem Vater
ehemals verfet gewejen war, (©. 41) und daß er lehteres von feinem
Schloß Mühlberg aus am 16. Januar 1258 „wegen feines großen
Eifers in Uebungen der Andacht bei Tag und Nacht“ vom Zoll und
Umgeld der Stadt Pforzheim befreite, Dieje Freiheit wurde unterm
18. Januar desjelben Jahres von der Stadt Pforzheim ſelbſt beftätigt. Solche
Gefinnung ſcheint fein Enkel, Friedrich IL. getheilt zu haben, indem er
im Dezember 1295 den jeweiligen Schaffner des Klofters Herrenalb zu .
Pforzheim mit Zuftimmung der dortigen Bürgerfchaft von allen Steuern,
Abgaben und Dienftleiftungen gegen jährliche Entrichtung von 5 Pfund
Heller, welche jedes Mal an Oftern und Michaelis an die Stadt bezahlt
werben mußten, befreite.
Endlich jei auch noch erwähnt, daß in einer Schenkungsurkunde vom
27. Dttober 1288, durch welche Rudolf dem Klofter Lichtenthal zu
einem Geelgerette für feine „Miſſethat“ verfchiedenes Eigenthum ver:
macht, der marfgräflihe Schreiber zu Pforzheim, Konrad, als Zeuge
genannt ift.
Da manche Glieder derjenigen Nittergefchlechter, welche in ber
nähern oder entferntern Umgebung Pforzbeims auf ihren Burgen faßen,
in die Gedichte der Stadt vielfady verflochten find und einige derfelben
60 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert,
fpäter fogar eigene Häufer in Pforzheim befagen, fo möge eine Zuſam—
menftellung diefer Gefchlechter, wie fie mit Benugung der mandyfachften
Quellen ermöglicht war, bier folgen. Wir beginnen mit den vorhin
genannten
Herren von Weißenftein (Wizzenftein, Wyſſenſtein).
Bekanntlich waren früher in und bei Meißenftein drei Burgen, bie
im Munde des Volkes heute noch Nabened, Kräbened und Ho:
heneck genannt werden. Die Ruinen der erftern finden fi) bei der
Kirche von Meißenftein , der zweiten etwas weiter oben im Wald; von
der dritten, die jenfeit? der Nagold am Kallert lag, ift faft jede Spur
verſchwunden. In Weißenftein hatte einft ein angefebenes und begütertes
Adelsgeichleht jeinen Sit, und mir begegnen verfchiedenen Gliedern des:
felben, namentlich in den Urkunden der Klöfter Herrenalb, Frauenalb,
Maulbronn und Rechenshofen oder Marienfron (bei Hohenhaslach im
Amt Vaihingen, jet Hof und Domäne), fowie anderwärts. So finden
wir eines Berthold von Weißenſtein als Zeugen bei der Hochzeit des
Ritters Kuno von Menzenberg in Tübingen 1231 erwähnt. Im Fahr
1240 find die drei Brüder Berthold, Belreimf) und Helferich
von Weißenftein als Zeugen in der Stiftungsurfunde des Klofters Re—
henshofen aufgeführt, welches von einem Ritter Efel von Efelsberg
gegründet wurde, Die beiden Erftern finden ſich ebenfalls als Zeugen
in Herrenalber Urkunden von 1254 und 1356. An das Klojter Nechens:
hofen vergabten, bez. verkauften 1354 Berthold und fein Bruder Gott:
bert von Weißenftein, letzterer Pfarrer zu Haslach, fpäter 1265 Rektor
“der Kirche zu Brötzingen, ihre Güter, Zinfe nämlich und Weinberge
mit allem Andern (Neibeigene ausgenommen) ſammt dem Patronatredyt
der Kirche zu Haslady; doch behielt fich Gottbert eime Tebenslängliche
Penſion von 50 Pfund Heller vor. Im Jahr 1257 verfauft Ber-
thold von Weißenftein an Herrenalb Güter in Neufat (am Dobel) und
verzichtet 1257 zu Gunften des Klofters Nechenshofen auf feine Güter
und das Patronatsredht in Heffelbah (D. U. Vaihingen). Berthold
und Belreim von Meißenftein erfcheinen 1263 wieder als Zeugen in
einer Herrenalber Urkunde und übergeben, wie ſchon erwähnt, in dem:
jelben Fahr Liebeneck zc. an den Markgrafen Rudolf von Baden.
Br Diefer Belreim oder Belrem von Weifenftein iſt der Gegenfland einer
anzichenden Sage, welche Ludwig Auerbach dichterijch verarbeitet hat.
Eiebentes Kapitel, Pforzheim im 13, Jahrhundert. 61
Berthold von Weißenſtein kommt 1265 wieder als Zeuge vor, und
ſein Bruder Belreim verkauft 1276 an das Kloſter Maulbron ſeinen
Hof in Zaiſenhauſen mit einem Drittel des großen und kleinen Zehntens
daſelbſt, nebſt Leibeigenen an verſchiedenen Orten um 255 Pfund Heller,
und verzichtet auf jeinen Antheil an zwei Mühlen daſelbſt, welche fein
Bruder Berthold, von dem das Frauenalber Salbuch 1277 zwei Töchter,
Gertrud und Mete jel., anführt, dem Kloſter geſchenkt. Das Kloſter
Maulbronn erhält 12851 von PBetriffa, der MWittwe des (ältern)
Berthold von Weißenftein 24 Pfund Heller und einen Nachlaß von
10 Schilling jährlicher Gefälle zu einem Jahrestag für fie und ihren
verftorbenen Mann mit weißem Brod, Wein und Fifchen. Berthold
(der jüngere) von Weißenſtein ſchenkt 1295 dem Klofter Maulbronn
alle feine Güter zu Magftatt (DO. A. Böblingen), einen Hof, beide
Mühlen, (die aber ſchon 1276 theiweife verfchenft wurden), und einen
Theil des großen Zehntens in Zaifenhaufen, fammt dem Patronatrecht
der dortigen Kirche, und übergibt im nämlichen Jahr alle ſeine Lehengüter
ſeinem Vetter Rudolf von Roßwag. Er kommt noch einmal 1301 im
Frauenalber Salbuch vor.
Von dieſer Zeit an verſchwinden die Weißenſteiner aus der Ge—
ſchichte, und Berthold mag, wie ſich dies aus ſeinen Schenkungen ergibt,
der letzte ſeines Geſchlechts geweſen ſein. Auf das weitere Schickſal der
Burg Weißenſtein werden wir unten zurückkommen. Das Siegel und
Wappen der Weißenfteiner zeigte einen dreiedigen, vierfach quergetheilten
Schild.
Die Herren von Niefern (Mievern, Nienern, Nieffern,
Nuffran 2c.).
Bon ihrer Stammburg Hohenniefern, die auf einer Höhe bei dem
Dorfe Niefern lag, ijt feine Spur mehr vorhanden. Doc fcheint im
Drte Niefern felbft noch eine zweite Burg vorhanden gewefen zu fein,
und zwar an der Stelle, wo jet die Niefernburg fteht; denn im Jahr
1555 übergab Markgraf Karl IL feinem Kanzler Achtſinit „den alten
freiadeligen Burgſtadel“ in Niefern, um darauf zu bauen. Die Edeln
von Niefern waren, wie Viele andere Ritter der Gegend, Dienft-
leute der Grafen von Vaihingen. Sie kommen vom 12. bis 14. Jahr⸗
hundert in zahlreihen Gliedern vor.) Go ift ſchon 1186 ein Hein:
) Hauptiählih in Maulbronner, Herrenalber, Frauenalber, Rechenshofer
und Lichtenthaler Urkunden.
62 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert.
rich von Niefern in einer Herrenalber Urkunde als Zeuge aufgeführt;
4203 übergaben Albredt und Konrad v. N. dem Klofter Maul:
bronn ihren Theil des Patronatsrechts zu Oelbronn und Elfingen,
1251 und 1266 erjcheint wieder ein Konrad v. N., 1258 ein Ger:
lad v. N, 1277, 1279 und 1281 ein Heinrich v. N. (Hobinnie:
vern), in leßtgenanntem Jahr auch ein Adalbert v. N., der mit feiner
Toter Elijabeth (1284 Gifela genannt) Schenkungen an Herrenalb
macht; im Jahr 1285 verzichten die Brüder Albert und Konrad
von Niefern zu Gunften des Klofters Maulbronn auf alle Anfprüche
an die Hälfte des Vogtrechts über den Hof Elfingen und den Ort Del:
bronn; 1289, 1293 und 1299 kommt diefer Albert von Niefern
wieder als Bürge und Zeuge vor und verkauft 1294 mit feiner Frau
Kunigunde wegen vielfacher Unglüdsfälle und unerträgliher Schuldenlaft
fein Fiſchwaſſer bei der Stadt Mulnagger (Müblader) um 30 Pfund
Heller an Maulbronn; 1296 treffen wir auf Konrad, Gerlach und
Heinrich von Niefern, auf den Erftern wieder 1314, 1321 auf Hein:
rich und Gerlad von Niefern; 1332 erfcheint wieder Heinrich
v. N. mit feiner Frau Guta von Eifingen und Beider Sohn Rein:
bard, 1338 Heinrich v. N; 1342 ftiftet Klara v. N,, Wittwe
Heinrihs von Roßwag, eine Präbende zu Roßwag und begabt fie. 1365
wird eines Heinrich von N. erwähnt. In den Jahren 1412, 1422
und 1436 treffen wir einen Hans von Niefern, als defien Kinder 1496
Bernhard, Jörg und Margaretha genannt werden, Nach dem
Lichtenthaler Tobtenbuch ftarb dafelbft am 6. Januar 1541 die Nonne
Dorothea von Nieffern und 15. April 1546 die Nonne Urfula
von Nieffern.
Die Herren von Enzberg (Entzberg, Enzeberg, Enzeberc, Enceberc,
Encenberch ꝛc.)
Bon ihrer am 14. Sept. 1384 durch Pfalzgraf Ruprecht I. in
Folge eines Streites mit dem Klofter Maulbronn zerftörten Stammdurg
find nody wenige Ueberrefte vorhanden.
Die Herren von Enzberg werben ſchon im 10. Jahrhundert ge-
nannt und waren, wie die von Niefern, Lehensleute der Grafen von
Calw und Baihingen, fpäter aber ber Markgrafen von Baden, Nach
einer zwifchen 14190 und 1197 ausgeftellten Urkunde (vergl, S. 48)
ging die Burg Enzberg zu jener Zeit von Konrad, Graf von Calw,
an den Erzbifchof Johann von Trier über, der fie aber jedenfalls nicht
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 63
fange behielt. Die Herren von-Enzberg fommen in Untunden vom 13,
und 14. Jahrhundert jehr Häufig und in äußerſt zabfreichen Gtiedern
vor, zum Theil mit allerlei Beinamen, z. B. 1368 Reinhard von
Enzberg, genannt Her Nir, 1381 und 1395 Albrecht) genannt Schit-
helin von Enzberg, 1436 Friedrich von Enzberg, genannt Bitſcher,
(derſelbe beſaß 1443 ein Haus zu Pforzbeim;) 1314 Friedrid von
Enzberg, genannt von Hohenriet, Al brecht von Enzberg, genannt von
Gemmingen, Konrad, Heinrich, Friedrich und Gerhard, die
Rummeler genannt, 1363 Albrecht von Enzberg, zu Steichenberg,
(Amt Eppingen) geſeſſen, 1378 Albaecht von Enzberg, zu Odhfenberg,
(Zabergäu) gefefien ꝛc. Von den drei Schleglerfönigen, welche Graf
Eberhard von Württemberg 1395 in Heimsheim gefangen nahm,
waren zwei Enzberge, nämlih Reinhard und Friedrid. Die Enz:
berge hatten im 13. Jahrhundert das Vogtrecht überMaufbronn , was
zu manchen Händen VBeranlaffjung gab. Sie befaßen Güter und
Rechte zu Zaifenhaufen, Oelbronn, Tiefenbach, Elfingen, Oetisheim,
Weißach, Kieſelbronn, Schmie, Lienzingen, Zaiſersweiler, Schützingen,
Knittlingen, Dertingen, Oeſchelbronn und Rauenthal, Illingen, Dürrn,
Bauſchlott, Lomersheim, Goölshauſen, Richen, Stodheim, Steppach,
Springen, Roßwag ꝛc. Alle dieſe Beſitzungen ꝛc. gingen aber nach
und nach durch Verkauf ober Vergabung in andere Hände, namentlich
an verſchiedene Klöſter über, und 1405 verkauften Georg von Enzberg
und feine Söhne Konrad und Georg nad Zerftörung ihrer Burg
auch all ihr Einkommen und ihre Rechte zu Enzberg, Düren, Baus
ſchlott und Kiefelbronn um 770 Gulden an das Klofter Maulbronn,
und verfprachen, ſich megen der Brechung ihrer Burg nicht zu rächen.
1443 finden wir noch einen Triedrih und 1456 einen Hans von
Enzberg.
Die Herren von Dürrmenz (Durmenze, Dorment, Durmencze),
aus welchem Geſchlecht Ulrich I., Biſchof von Speier 1161 zu diefer
Mürde erhoben worden, waren bis in das 15. Jahrhundert im Beſitz
von Dürrmenz , welches aber dann ganz an das Klofter Maulbronn
und fpäter mit diefem an Württemberg fam. Ein Albrecht von Dürr:
menz war 1442 Vogt in Pforzheim. — Die Herren von Dürrmeng,
von Niefern und von Enzberg mögen urfprünglih nur einen Stamm
gebildet haben; denn alle drei Gefchlechter führten einen Ning im Wap-
pen. Die Trümmer der Burg zu Dürrmenz, welche auch Löffelftelz
64 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert.
beißt, find noch vorhanden. — Aus ihrer Nachbarſchaft erwähnen wir
nody ferner der
Edeln von Illingen,
deren Güter ebenfalls nad und nah an Maulbronn übergingen, ber
Edeln von Lomersheim,
von deren Stammburg noch ein Thurm übrig ift, und von denen Einer,
Walther, um 1140 das Klofter Maulbronn ftiftete, welches nach dem
Ausfterben der von Lomersheim zu Anfang des 16. Jahrhunderts den
ganzen Ort an fi) brachte, — der
Herren von Roßwag,
beren Stammſchloß bei dem gleichnamigen Dorfe an der Enz lag. Sie
gebörten im Mittelalter zu den reichſten und angejebenften Rittergeſchlech-
tern unjerer Gegend. Sie waren Dimaften vom erjten Wang, denen
urkundlich das Anfehen „erlauchter Perfonen“ gegeben ward. Verwandt
mit ihnen waren die Herren von Weißenftein. Die Herren von Roß—
wag kommen bereits im 12., noch mehr im 13, Jahrhundert in Urkum:
den häufig vor, ftarben aber ſchon im 14. oder 15. Jahrhundert aus.
Die Roſe im Wappen deutet auf Verwandtſchaft mit den Eberfteinern
bin, (Der Grabftein einer am 13. Dezember 1291 geftorbenen Irmen—
gard von Magenheim, Gemahlin Rudolfs von Roßwag, wurde im
Frühjahr 1858 auf dem Schulplatz in Pforzheim ausgegraben.) —
Endlich ſei auch noch der
Edeln von Mühlhauſen und
derer von Oetisheim erwähnt.
Fragen wir nach den Adelsgefchlechtern, welche nördlich von Pforz:
beim gewohnt haben, fo treffen wir zunächſt auf die
Herren von Neidlingen (Nidelingen).
Wir finden ihrer fchon im 12. Jahrhundert erwähnt, wo (in
Hirſchauer Urkunden) ein Adelwig und ein Arnold von Nidlingen
vorkommen. Das Dorf Neidlingen ſammt der Burg des gleihnamigen
Adelsgeſchlechts lag zwiſchen Kiefelbronn und Göbrichen, weftlih von der
Strafe von Pforzheim nach Baufchlott, und bezeichnet der fog. Neulinger
Berg noch die Stelle, wo jenes Dorf geftanden Es jcheint indefjen
ſchon zu Ende des 14. Jahrhunderts nicht mehr eriftirt zu haben, fon-
dern bereits in Iſpringen, das früher ein Filial von Neidlingen war,
aufgegangen geweſen zu fein. Als Gemarkungsname wurde indefjen der
Name Neidlingen noch Tange beibehalten. 1321 lebten die Brüder
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 65
Johann und Marquard von Neidlingen, vorher ihr Vater Berthold
von Neidlingen. Marquards Frau war Gifela von Horkheim (DO. N.
Heilbronn) und ihre Kinder biegen Kraft, Anna und Johann.
Jener Ältere Johann ſchenkte dem Kloſter Lichtenthal den halben Laien:
zehnten in Eifingen, Die beiden Brüder Johann und Kraft v. N.
fommen wieder 1344, 1355 und 1357 vor. Mit dem Dorf jcheint
auch bald das Adelsgejchlecht verſchwunden zu fein. Die von Neidlingen
waren Minifterialen der Markgrafen von Baden. Ahr Wappen war ein
dreiediger Schild mit eirter Hag: oder Schafſcheere. —
Bon den
| Herren von Eijingen (fingen, hingen)
bat die Gefchichte nur, wenig aufbewahrt. Doch finden wir 1197 einen
Siegmund von Gifingen, und ift derielbe in einer Schuldurkunde,
welhe Markgraf Herrmann V, und fein Bruder Friedrich dem Abt
Helmwich in Selz für geliehene 200 Mark Silbers ausftellen, mit An:
dern als Bürge genannt. Die Frau Heinrichs von Niefern war 1332 -
eine Guta von Eifingen Cine Chriftine von Illingen, genannt
von Yßingen, ift 1431 als Frau des Bürgers und Nichters in Pforz-
heim, Großhans Roth, genannt v. Vaihingen, bezeichnet. Wahrjcheinlich
war es diefelbe Chriftime won Singen, welche 1447 (in zweiter Che)
als die Gemahlin Erhards von Königsbady aufgeführt it. Im Jahr 1495
verfauft Ludwig Sllinger, genannt von Eifingen, das ihm gehörige letzte
Viertel von Eifingen an Markgraf Ehriftoph von Baden um 1519 fl.
Ein Ludwig von Eifingen hatte 1501 ein Haus in Pforzheim, ein
Peter von Yfingen kommt 1519 vor.
Die Herren von Stein, (Amt Bretten).
Auf den Grundmauern des alten Schlofies dafelbit fteht jetzt das
no von einem Graben umgebene Pfarrhaus, Em Ulrich von Stein
fommt 1252 ff. in Urkunden vor, fo beifpielweife in dem Freiheitsbrief,
den Markgraf Rudolf I. 1258 dem Klofter Maulbronn gab (fiehe unten).
1370 treffen wir einen Wolfgang von Stein, und 1631 war bei
einer Gefandtfchaft, weldye der ſchwäbiſche Kreis nach Wien ſchickte, ba-
diicher Seits ein Friedrich von Stein. Es gab aber jo mande
Adelsgejchlechter diefes Namens, da nicht mit Beftimmtheit ausgemacht
werden Kann, ob die Genannten dem Geſchlechte der Herren von Stein
bei Pforzheim angehörten. Der ziemlich verftümmelte Grabftein eines
Edeln von Stein findet ſich in der dortigen Kirche, Ihr — war
Pflüger, Pſorzheim.
66 Stebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
ein dreiediger, von der Rechten zu Linken getheilter Schild, wovon
der umtere jchraffirt mit Goldpuntten, der obere gejchacht mit einem
Goldpunft in jedem Viered, Die
Herren von Königsbad (Konngespach, Küngespach, Küngſpach,
Kingespach, Kungsbach,)
finden wir vom 13.—15. Jahrhundert in vielen Gliedern und Zweigen
vertreten. Im Jahr 1259 erfcheint Heinrich v. K. mit feinen Söhnen
Herrmann, Helwig und Heinrid; 1271 übertragen die Brüder
Herrmann, genannt Veſe, und Sigmund v. K. dem Schultheißen
Diether von Ellinendingen und Diether bei der Kirche alle ihre Güter
in der Gemarkung von Ellmendingen und Meiler zu Eigenthum; als
Zeugen erfcheinen u, A. die Gebrüder Herrmann und Kuno von
Königsbady, die Schwefter Beider, Bertha, war die Gemahlin Niberts
von Sickingen. Bon 1290 an kommt häufig en Simon von Könige:
bach vor, als deffen Kinder 1303 Simon, Emebard, Herrmann,
NReinbot, Sifela, Agnes, Kunigunde und Engela genannt
werden, im welchem Jahr fie einen Hof in Sprantbal an Herrenalb
verfaufen. 1336 ericheinen Kuno, Grozbott, Klainbott, und
Balfam von K., 1338 ein Diem v. K., 1363 Herrmann und
Konrad K., im 15. Jahrhundert Wilhelm v. K., 1423 Pele
v. K., Witwe Wolfs von Grafened, 1447 Erbard v. K., der 1458
mit feiner Frau dem Markgrafen von Baden alle feine Güter zu
Königsbach für den Fall ihres Abfterbens vermacht. Noch finden wir
1482 und 1491 einen Hans von Königsbach, der Vogt zu Porz:
heim war und dort ein eigenes Hans beſaß. Später fcheint das Ge:
ſchlecht erloichen zu fein, Das Wappen desfelben zeigte zwei von einan—
ber abgewandte halbe Waſſerräder mit quadratifcher Abtheilung.
Die Herren von Remdingen,
die zum alten deutfchen Adel gehörten, beſaßen zwei Burgen, die den
Namen Nemdingen trugen. Die eine lag zwiichen Wilferdingen und
Singen, da wo jett noch eim Hof diefes Namens ich befindet. Die
andere lag zwifchen Dietlingen und Schluttenbah im D. A. Neuenbürg.
Ein Wolfardt von Remchingen wohnte ſchon 1165 einem Turnier in
Zürich bei. In den folgenden Jahrhunderten ericheint diefes Gefchlecht in
äußerst zahlreichen Gliedern, von denen manche im weitern Verlauf der
Geſchichte Pforzheims noch vorkommen werden. Die Burg Remchingen
(bei Witferdingen) mit Zubehörbe wurde 1429 von Markgraf Bern:
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 67
hard von Baden an Gumpolt von Giltlingen. auf Wiebderloofung um
4000 Gulden verkauft. Die von Remchingen bejaßen jedoch in der
Mitte des 16. Jahrhunderts wieder einen Theil des Schlofies, den fie
mit dem Dorf Langenfteinbah 1562 an Markgraf Karl IL um 45000
Gulden verkauften. — Das Wappen der Remchingen zeigte auf brei-
edigem Schild kreuzweis auf Stäbe gelegte Lilien.
Die Herren von Gräfenhaufen (Grauenhufen),
die ihre Burg beim Dorf gleiches Namens im Oberamt Neuenbürg
hatten, fcheinen frühe ausgeftorben zu fein. Ein Adalbert und Liut—
fried von Gr. kommen fhon im 41. Jahrhundert in Hirſchauer Ur:
funden vor. In der Mitte des 13. Jahrhunderts treffen wir als
Dienftmann der Grafen von Vaihingen einen Kraft von Gr., zu gleicher
Zeit einen Albert von Gr. und defien Sohn Heinrich, melde ben
Beinamen der Drofcheler, Troffiler, Troschelarii hatten. Letzterer erſcheint
noch 1294.
Grafen von Neuenbürg (Numwenburc, Novum Castrum)
nannten ſich mand) Mal auch die mächtigen Grafen von Vaihingen, jo
1289: Konrad von Vaihingen oder von Neuenbürg, — von denen
bereits als eines Zweiges der Grafen von Calw (S. 37) die Rede war.
Stadt und Schloß Neuenbürg waren zuerft calwiſch, dann eberfteinifch,
dann vaihingiſch; Hierauf erhielten Beides die Markgrafen von Baden
und zulegt die Grafen von Württemberg.
Die Herren von Strubenhart (Strobenhart,. Straubenbart)
beſaßen eine Burg in der Nähe von Neuenbürg. Sie kommen in
Hirſchauer Urkunden fhon im 11. und 12. Jahrhundert vor. Ein
Eberhard v. St. iſt in der Stiftungsnrfunde des Klofters Herremalb
von 1148 aufgeführt und fommt im 12. Jahrhundert noch mehrfach)
vor. Die Straubenharte befaßen ziemlich ausgedehnte Güter, fo zu
Gräfenhauſen, das ihnen faft ganz gehörte, zu Pfinzweiler bei Neuen:
bürg, zu Spranthal ıc. Im Jahr 1364 ftiftete ein Berthold von
Strubenhart fammt feiner Gemahlin Gera eine Frühmefie auf Maria
Magdalena Altar im Frauenkloſter zu Pforzheim. Die Straubenbarte
waren im 14. Jahrhundert Mitglieder des Schleglerbundes, welcher gegen
die immer mächtiger werdenden Grafen von Württemberg gerichtet war.
Fre Vefte wurde 1367 won Eberhard dem Greiner erobert. Die
Straubenharte erhielten diefelbe zwar 137& wieder zurück; bei ber Fort—
ſetzung des Schleglerkrieges jedoch wurde die Burg Rn, ab Eher:
68 Sicbentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
bard und fein Sohn Ulrich von Württemberg gaben dem Markgrafen
Bernhard von Baden 1381 die Zuficherung, den Wiederaufbau bderfelben
niemals zu gejtatten. Man fieht noch Mefte davon im Wald bei
bei Neuenbürg. — Die Straubenharte, deren einer, Schönhard von
Straubenhard, in der Kirche zu Weiler begraben liegt, wie fein Grab:
ftein zeigt und die auch im Pforzheim anſäßig waren, (ein Meb von
Strubenhart beſaß um 1400 ein Haus hinter dem Prediger : Kfofter,
und der alte Obervogt in Pforzheim, Chriſtoph Scherer von Strauben:
bart ftiftete 1590 100 fl. ins dortige Almofen), befaßen die Burg im
14, Jahrhundert gemeinfchaftlidh mit den
Herren von Schmalenftein (Smalenftein),
nachdem dieſe ihre bei Weingarten gelegene Stammveſte an die Pfalz
verkauft hatten. Bei der Eroberung Strubenbarts 1374 wurden fünf
diefer Herren, nämlib Hans, Großkunz, Kunz der Mutterfohn, Klein:
funz und Neinbard gefangen genommen. 1382 verkauft Kunzev. Schm.
feinen Antheil an Strubenhart ſammt Zugebör, fein Dorf Langenalb,
ein Viertel des Dorfes Dobel, feinen Hof umd feine Reben zu Niebele-
bach, auch alle feine Leibeigenen, um 900 fl. an die Markgrafen Bern-
bard, und Nudolf von Baden. Das Geſchlecht der Schmalenftein erfcheint
noch am Ende des 15. Jahrhunderts, nachdem faft alle feine Befißungen
an Württemberg gelommen waren.
Die Herren von Kapfenhart (Kaphenhart)
bejaßen eine Burg. beim Dorf gleiches Namens in einem Seitenthal der
Nagold bei Reichenbach. Diefelbe wurde 1299 von Hedwig, Wittwe
Heinrichs von Kapfenhart, und ihrem Schwager, Friedrich von Enzberg,
zum ewigen Heil ihrer Seelen dem Klofter Maulbronn übergeben gegen
ein Leibgeding für die Frau und Kinder und Anſprüche dev letztern auf
freie Wohnung im Klofter, fowie gegen Entrihtung von 100 Pfund
Heller an genannten Friedrih. Diefelbe Edelfran machte 1305 ein
Vermächtniß von 15 Pfund Heller an das Klofter Mechenshofen Die
Burg Kapfenhart beſaßen am Ende des 13. Jahrhunderts die Herren
von Enzberg und von Nippenburg.
Die Herren von Liebenzell, (Liebencelle, Libincelle, Libvncelle)
faßen auf der fog. Niefenburg auf einer Anhöhe bei der Stadt Lieben-
zell an der Nagold, wo noch die anjehnlichen Ruinen derjelben, darunter
ein Thurm römifhen Urfprungs, fihtbar find. Im 13. Jahrhundert
fommt namentlich ein Ludwig von Liebenzell mit feinen Vettern Nein:
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 69
bard und Wolfram vor. Bon feinem Streit mit der Markgräfin Ir—
mengard von Baden wird unten die Rede fein. In der Folge machte
er auch mehrfach Schenkungen an Herrenalb. Auf der Burg Liebenzell
(in castro Libincelle) jtarb am 21. April 1284 Kunigunde, die Ge:
mablin Rudolfs I. von Baden. Die Sage erzählt, daß die Burg Lie
benzell einft von einem Markgrafen von Baden erobert und der Befiter
derfelben, unter dem Namen des Tyrannen von Merklingen befannt, von
dem Thurm berabgeftürzt worden fei. — Das Wappen der Herm von
Liebenzell bildeten zwei von einander abgewvendete, vierzähnige Schlüffel.
Der Herren von Stein zu Steined,
welche im Befiß der nun in Trümmer liegenden Burg gewejen zu fein
ſcheinen, bevor dieſelbe jammt dem jog. Gebiet an die Herren von
Gemmingen gelangte, finden wir jhon im 12, Jahrhundert erwähnt,
zu welcher Zeit ein Adalbert von Steine mit feinen Söhnen Reinbot,
Reinhard und Konrad vorkommt. Ferner erfahren wir, daß 1324 ein
Wolf von Stein und Wolf, feines Bruders Sohn, einen Vertrag mit
Maulbronn fließen, kraft defien jene fein Necht an den Wald Hagel:
ſchieß, und das Klofter keines an den Wald bei Steinegg haben,
letzteres auch verbunden jein jolle, dem Herm von Stein jührlidy zwei
Bundſchuhe und cinen Gürtel im Werth von 1 Schilling zu geben. —
Ein Wolf von Stein war einer der drei Schlegelfönige, welche Graf
Eberhard der Raujchebart von Württemberg 1395 zu Heimsheim ge:
fangen nahm, Im Jahr 1442 kauft Dietrih von Gemmingen von
einem Hans von Stein zu Steined die Hälfte des Städtchens
Heimsheim, der jelber wieder diefes Beſitzthum von den Pflegern der
MWittwe feines verftorbenen Bruders, Margaretha von Stein, und
ihrer Kinder erftanden hatte. (Der Grabftein eines „Hans von Sten:
ned” von 1519 mit Wappen [|Mühlrad] ift in der Schloßkirche zu
jeben).
Die Herren von Neubaufen (Newhuſen)
find auch wenig befannt. in Hildebert und ein Helmwig von Neu:
baujen kommen um 1100 in Hirfhauer Urkunden vor. Zu Anfang
des 16. Jahrhunderts gelangte ein Reinhard von Neuhauſen in den
Beſitz von Weißenftein, und findet fich fein Wappen (ein Löwe, der einen
Aſt Hält) dafelbft eingehauen,
Die Herren von Lehningen (Roningen)
müfien früh wieder ausgeftorben fein, da ſchon im 15. Jahrhundert
70 Siebente® Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
die von Gemmingen den Drt Lehningen als badifches Lehen beſaßen.
Im Jahre 1272 wird ein Werner von Lehningen genannt, befien
Wittwe, Adelheid von Weil, ihrem Sohn Konrad im Klofter zu Her:
renalb Verſchiedenes vermacht, wovon fie ſich jedoch die Tebenslängliche
Nutznießung vorbehält. Dieſer Mönch, Konrad von Lehningen, kommt
1275 in einer andern Herrenalber Urkunde als Zeuge vor,
Die Herren von Heimsheim (Haimeshain, Haimishain,
Haimensheim, Heimitheim)
kommen fchon in frühern Hirfchauer Urkunden vor. Ein Heinrich v.
H. ericheint 1181 als Zeuge in einer Herrenalber Urkunde, ein Albert
v. H., welcher Mönch im Kloſter Bebenhaufen (bei Tübingen) war, ift
1279 und 12851 mehrmals als Zeuge in Bebenhaufer Urkunden genannt.
In Heimsheim hatten übrigens noch mehrere Adelsgefchlechter ihren Sit.
Stadt und Schloß Heimsheim (Heimfen) fpielten im Schleglerfrieg eine
Rolle. (Ein Heinrih von Heimsheim kommt 1263 aud als Pforzheimer
Bürger vor.)
Bon Öliedern anderer Adelsgefchlechter der Umgegend, bie (in
Hirihauer Urkunden) ſchon im 11. und 12. Jahrhundert genannt wer:
den, aber jehr bald wieder ausgeftorben zu fein feheinen, möge hier noch
eines Helwinus von Bilfingen, eines Birtilo von Brößingen
und 1075 eines Buob von Grunbah Erwähnung gefcheben,
$ 3 Innere Verhältniſſe Pforzheims.
(Schultheißen, Stadtrath, ſtädtiſche Abgaben, Klöfter ꝛc.)
Ueber die innern Verhältniſſe Pforzheims zur Zeit des Anfalls an
Baden und unter der Negierung Herrmanns V. und Rudolfs J., aljo
im Laufe des 13. Jahrhunderts, läßt fih im Allgemeinen nicht viel
Ausführlies angeben, da die Quellen noch immer jehr fparfam fließen,
Indeſſen geftatten mandye noch vorhandenen Urkunden, fowie verſchiedene
kurze Notizen, denen wir da und dort in Ältern und neuern Geſchichts⸗
werfen begegnen, wenigſtens einige Anhaltspunkte.
Es ift bereis gejagt worden (S. 47), daß Pforzheim ſchon zur
Pfälzer Zeit feinen eigenen Schultheißen beſaß. Welches der Geſchäfts—
kreis desjelben war, wird im zehnten Kapitel ausführlicher auseinander
geiet werden. Es genüge bier einftweilen die Bemerkung, daß der
Siebenies Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 71
Schultheiß ohne Zuthun der Gemeinde vom Tirften ernannt wurde,
Doc fiel dabei feine Wahl meift auf angejehene Bürger der Stadt
jelber. Der Schultheiß führte im Gericht der Stadt im Namen des
Fürften den Vorfig, wie in der Folge Namens der Stadt im Rath der
Bürgermeifter. Deswegen beginnen aud alle ältern Erlaſſe der ſtädtiſchen
DOberbehörden mit der ftändigen Formel: Wir Schultheiß, Vürger-
meifter, Gericht umd Math der Stadt ꝛc. Später wurde das Amt des
Schultheigen einem jeweiligen Beamten übertragen.
Um die Mitte des 13, Jahrhunderts, noch zur Zeit Herrmanns V,
und vielleicht ſchon, als Pforzheim badifch wurde, bekleidete jenes Schult—
beigenamt Erlewin Liebener. Er gehörte einem angejehenen Patri—
ciergejchlecht der Stadt an, wird in manchen wichtigen Urkunden ale
Zeuge aufgeführt und darin häufig vor andern Adeligen genannt. So
fommt ev am 25. März 1240 bei einer Schenkung "des Pforzheimer
Bürgers Wernher an das SKlofter Herrenalb vor; ferner bei einer
Schenfung, weldye die Söhne Herrmanns V. ihrer Mutter im März
1245 machten, um jie in den Stand zu jeßen, ben Bau des Kloſters
Lichtenthal zu vollenden; jodann im Juli 1246 in einer Urkunde, laut
welcher Bifchof Heinrich II. von Speier und das Domkapitel dafelbit die
eben erwähnte Schenkung beftätigen, und endlih 1256 in einer weitern
Urkunde, nad welcher die Mönche von Herrenalb einen Theil des Zehn:
tens zu Dietenhaufen an fid) gebracht. Daß Liebener auch ein reicher
Mann gewefen fein muf, geht daraus hervor, daß er im Jahre 1257
in feinem Teſtamente feine Güter in der Altitadt dem Nonnenklofter der
Dominikanerinnen in Pforzheim vermachte, daß er am 26. Januar 1259
dem Kloſter Maulbronn ein Gut zu Königsbach jchenkte, wobei die
Brüder Reinhard und Ludwig von Liebenzell, von benen er es gekauft
hatte, fi) verbindlich machten, das Klofter in ruhigem Beſitz davon zu
laſſen, wenn fie noch 25 Pfund Heller von Erlewin erhielten; — und
daß er gemeinfchaftlich mit feiner Frau Mechthild vom fteinernen Haus
am 22. Juni 1359 ein Hofgut vor dem Gröginger Thor zu Durlad)
taufte, das letztere nach dem noch im nämlichen Jahr erfolgten Tode
ihres Gemahls dem Kloſter Herrenalb ſchenkte. As Zeugen find in
der Schenkungsurkunde unter Andern aufgeführt: Gobibertus, Kleriker
von Wizinftein und Hugo, Priefter von Brebiheim (Brögingen ?).
Auf Schultheiß Liebener mochte wohl unmittelbar Schultheiß
Friedrich gefolgt ſein, der am 22. Februar 1290 einen Bermäctntß:
72 Stebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert.
brief des Prieſters Konrad von Neibsheim beglaubigt. Im Jahr 1292
war bereits Heinrih von Steimar an feine Stelle getreten, welcher
am 12. März j. J. eine Urkunde ausftellt, laut weldyer der Prieſter
Eberhard, Sohn Albert Liebeners, dem Klofter Herrenalb eine Schyen:
fung macht. Wichtiger ift ein anderes Schriftftüd vom Dezember 1295,
weil daraus hervorgeht, daß unter den Schultheigenamt Steimars be:
veits zwölf Bürger der Stadt als Geſchworene oder als Stabträthe
gewählt waren. Mit ihnen erfahren wir auch verſchiedene Namen ber da:
maligen Patriziergeſchlechter in Pforzheim (fiche unten). Sie biegen:
Steimar der Ältere, Heinrih v. Durlach, Berthold, Sohn
Gozolds, Albert Weife, Gotbold Weife, fein Bruder, —
Erlewin, genamıt Rümmelin, Gozzold Liebener, Heinrich
Rovte, Walther v. Vaihingen, Eberhard Steimar, Hein:
rich, Sohn Kunos — und Boldmar,
Welche innern ftädtifchen Einrichtungen Pforzheim im 13. Jahr:
hundert ſonſt befaß, ift im Einzelnen ſchwer zu ermitteln. Wenn Mark:
graf Rudolf 1258 das Klofter Maulbronn von Entrichtung bes „Zolles
und Ungelts“ zu Pforzheim befreite; wenn ferner Markgraf Friedrich
dem in der Stadt wohnenden Echaffner des Klofters Herrenalb mit
AZuftimmung der Bürger eine ähnliche Befreiung von ftivre (Steuern)
bete (Grunds und Gewerbfteuer), vsziehen (Ausziehen), burcichaft
(Bürgihaft), wahtphennige (Wachtpfennig), torlon (Thorlohn),
rovbbete (Maubbete), überhaupt von allen Bürgerleiftungen, Ab:
gaben und fonftiger Dienftbarkeit gegen alleinige Entrichtung von jährlichen
5 Pfund Heller angedeihen ließ, fo gebt daraus hervor, daß in Pforz:
beim dergleichen Abgaben damals erhoben worden find. Auch der
Zehnten jpielte eine wichtige Nolle, und befand ſich das Recht zur
Erhebung desjelben nicht nur in den Händen des Adels und ber Klöfter ꝛc.,
fondern ging durch Kauf auch vielfach an Privatperfonen über. So kaufen
die Brüder Werner, genannt Hopphin von Pforzheim, den Zehnten
an der Straße nad Vaihingen von Wernher von Rofjewac und feiner
Frau Eliſabeth am 23. Juni 1279 um 100 Pfund Heller; fo finden
wir ferner, daß im Jahr 1295 (18. Nov.) Heinrih Hopfen (vielleicht
der Sohn eines der eben Genannten) und feine Frau Ellinde dem
Klofter Herrenalb neben einen halben Hof zu Hochdorf aud die Nut:
nießung des achten Theils des dortigen Zehntens ſchenken ıc.
Haben wir oben gefehen, daß Markgraf Rudolf fi wohlwollend
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 73
gegen das Klofter Maulbronn bewies, jo können wir dasſelbe auch von
einigen Bewohnern Pforzbeims jagen, wie denn bereits einer Schenkung
des Schultheigen Erlewin Liebener an diefes Klofter erwähnt wurde. 1)
Am 8, Oktober 1266 übergibt Mengozo, Bürger zu Pforzheim, dem
Abt und Konvent in Maulbronn alle feine Gefälle bei Pforzheim um
I Pfund Heller. Am 11. September 1291 vermaht Wortwin
(Wörtwein), Rektor oder Dekan der Kirche zu Pforzheim, dem Kloſter
Maulbronn ZU Schilling Heller und 21/, Ohm jährlichen Weingefälls
in Kürnbach, auch 13 Ohm Wein und 4 Quartalien in Gindertbad)
zu einem Jahrestag, der mit weißem Wein, Waizenbrod und Fiſchen
begangen werden fol. Am 27. Januar 1293 vermacht Neinlind,
Wittwe des Konrad Zehner in Pforzheim dem nämlichen Klofter ein
Haus zu Speier in der Herdgafie und 4 Morgen Weinberg in Dürs
renzimmern,
Das Klofter Maulbronn, defien um das Jahr 1140 erfolgter
Gründung bereits (S. 49) gedacht worden ift, gelangte nad) und nad
zu jo reichem Beſitz, daß es an mehr als hundert Orten begütert war.
Se gehörten ihm u. A. Güter, Rechte und Gefälle im württembergifchen
DM Maulbronn (in den Orten Dürrmenz, Engberg, Jllingen, Mühl:
ader, Delbronn, Detisheim, Wiernsheim , Wurmberg), in den Oberäm:
tern Befigbeim, Bradenheim, Heilbronn, Leonberg, Mergentheim, Neuen:
bürg, Stuttgart, Vaihingen, im jebigen Großherzogthum Baden in
ben Aemtern Bretten, Brucfal, Bühl, Carlsruhe, Durlach, Eppingen,
Pforzheim (in den Orten Pforzheim mit Kollaturrecht, [vergl. unten]
Baufchlott mit Kollaturreht der Frühmefje, Düren, Kiefelbronn,
Kiefern, Oeſchelbronn), Philippsburg, Schwetzingen; außerdem in der
Pfalz noch viel Eigenthum. Im Befib des Klofters war auch ſchon
1285 der Wald Hagenſchieß, (wenigftens ein Iheil davon), über
welchen damals zwijchen dem Klofter und den Herren von Enzberg ein
Streit entjtanden war. Derfelbe wurde dahin entichieden, daß dem
Kloſter der Hagenſchieß gehöre; doch follten die von Enzberg das Recht
haben, unter Auffiht des Klojters zum Bau von Speihern in ihrer
Burg tannene Dielen daraus hauen zu laſſen. Ein ähnlicher Streit
entftand fpäter 1324 wegen des Hagenjchießes mit den Herren v. Steined,
1) Vergleiche hiezu die Negeften in Klunzingers Gedichte von Maul-
bronn, ©. 15—4l,
74 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert.
ber im Weg des Vergleiche (©. 69) ebenfalls zu Gunften des Kloſters
feine Entjcheidung fand, — Noch mag bier bemerkt werden, daß bie
Wappen der Edeln, welche Maulbronn begabten, dort großentheils noch
zu feben find, fo ans unferer Gegend die der Herren von Dürrmenz,
Enzberg, Königsbach, Niefern, Remdingen, Roßwag, Lomersheim, Vai:
hingen, Weißenſtein ꝛc.
Solche Schenkungen an Klöſter lagen im Geiſte der damaligen
Zeit, die gegen Kirchen und Klöſter im Allgemeinen ſehr freigebig war.
Man gab Güter hin für ſein und der Seinigen Seelenheil, für ein
Begräbniß in der Kirche, bei eigenem Eintritt in ein Kloſter, für ein
aufgenommeues Kind, für ausgewirkte Abſolution, vor Antritt eines
Kreuzzuges und dal. Wie viel ächte Frömmigkeit dabei mitwirken
mochte, mag bier ummterfucht bleiben. So viel ift gewiß, daß Mancher
fi durch derartige Gaben und Vermächtniſſe mit feinem Gewiffen am
Beiten abfinden zu können glaubte.
Wurden Schenkungen von Pforzheimer Bürgern vielfah an aue-
wärtige Klöfter gemacht, jo hatten fi) auch die Klöfter der Stadt felbft
gleicher Gunft zu erfreuen. Zu dem ſchon 1150 gegründeten ber
Eifterzienferinnen kamen im Laufe des 13. Jahrhunderts auch die Klöſter
der Dominikfanerinnen, der Franziskaner und der Domini:
taner,
Der Orden der Dominikaner, oder der Mönde und Frauen
(28 Predigerordens, welcher zu Anfang des 13. Jahrhunderts (1206)
durch den Gaftilianer Dominitus Guzmann gefkiftet wurde, fand fchnell
große Verbreitung, und ſchon um 1250 muß den Do minifanerinnen
ein Klofter in Pforzheim gebaut worden fein. Zum eriten Mal geſchieht
vesfelben 1257 bei einer Schenkung Erlewin Liebeners Erwähnung
(S. 71). Sodann kommt es wieder in einer Urkunde vom Jahr 1265
vor, Die Gebänlichkeiten diefes Klofters, welches auch oft das rauen:
Mofter zu Maria Magdalena oder der Büßerinnen heißt, be
fanden ſich da, wo jest die Heil: und Pflegeanftalt fteht, und zwar da—
mals und fpäter noch außerhalb der Stadtmauer („venwendif der more”).
Das Klofter der Dominikanerinnen erwarb fih nah und nah ver:
ſchiedene Güter und gelangte dadurch bald zu bebeutendem Beſitz. Se
verfaufte Graf Konrad von Vaihingen den großen Zehnten dafelbft am
30, Juni 1265 an bejagtes Klofter, fo übertrug am 26. Oktober 1265
ber Geiftlihe (decamus) Gottfried von Vehingen (Vaihingen) jeinen
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 75
Anteil am Zehnten zu Vaihingen an das Frauenkloſter vom Orden
der Büßerinnen bei (apud) Pforzheim. Unter den Zeugen erſcheinen
in der betreffenden Urkunde außer einigen Bürgern von Pforzheim auch
Gottebreth von Weißenjtein, Rektor der Kirche zu Breccingen
(Brögingen) und Heinrich, Pfarrer (plebanus) von Kuffelbrunne
(Kieſelbronn); jo geftatten ferner am 28. Juli 1287 die Grafen Kon:
vad und Heinrich von Vaihingen dem Frauenkonvent des Predigerordeng,
unter gewifjen Vorbehalten eine Hofftatt zu Vaihingen zu Kaufen ıc. —
Die Franziskaner (hiev auch Barfüßer, Minoriten, mindere
Brüder) deren Orden 1209 vom heiligen Franzistus von Affifi geſtiftet
wurde, ſiedelten ſich im Jahr 1270 in Pforzheim an, und vier Jahre
nachher wurde ihmen bereits eine prächtige Kirche gebaut, die mit einem
in gothiſchem Styl aufgeführten Thurm geſchmückt war. Das Franzis:
kanerlloſter ſtand da, wo ſich jetzt die Taubſtummenanſtalt befindet, und
noch iſt das Chor der Kirche erhalten und wird zu den Gottesdienſten
der katholiſchen Gemeinde benutzt. Auf die Gründung dieſes Kloſters
war ſicher die Anweſenheit des berühmten Franziskaners Berthold (Rache)
von Negensburg CH 1272) in Pforzheim nicht ohne Einfluß. Diefer,
ein feuriger Redner, der überall berumreifte, durch die überwältigende
Macht jeiner Worte rohe Gemüther erſchütterte, die Ablafprediger be:
tümpfte, als Friedensftifter auftrat und auf eine Verehrung Gottes im
Geift und in der Wahrheit drang 1), predigte im Dftober 1259 unter
ungeheuerm Zulauf aud in Pforzheim 2), und es liefert einen ſchönen
Beweis von der eindringlichen Gewalt feiner volksthümlichen Rede, fowie
von feiner MWirkfamkeit als Friedensapoftel, daß er den Ritter Ludwig
von Liebenzell zu bewegen verftand, von feinen langjährigen Feindfelig:
feiten gegen die verwittwete Markgräfin Irmengard abzulafien und fid
nicht nur bezüglich einer Zehntabtretung an das Klofter Lichtenthal dem
Ausſpruch eines Schiedgerichts zu fügen, fondern auch dieſem Kloſter
das Patronatsrecht der Kirche zu Jffezheim mit allen anklebenden
') Daje, Kirchengeſchichte, 3. Auflage, S. 328, und Kling, Berthold des
Sranzisfaners Predigten (Berlin 1824).
) Schon 3 Jahre vorher war er aud im Konftanz aufgetreten. Die
Konftanzer Jahrbücher (in Mone, bad, Archiv I. 193) enthalten darüber
folgende Notiz: „Anno Domini 1256 Brebiet Bruoder Bertolt ze Coſtentz
zen erjien.”
76 Sicbentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
Rechten abzutreten. 1) Auch diefes Klofter erwarb fi im Laufe der
Zeit anfehnliche Beſitzthümer, was fpäter den Mönchen nicht zum Bor:
theil gereichte. So finden wir, daß Wernher von Roſewach und feine
Frau, eine geborne v. Sternenfels, am 30. Juni 1284 demfelben
einige Befißungen in Urach ſchenkten, während Letzteres wieder feinerjeits
diejenigen Beſitzungen, welche ihm daſelbſt von Albert von Urach zuge:
falfen waren, im April 1291 dem Kloſter Herrenalb übergibt ıc. Aus
leßterer Urkunde erfahren wir auch, daß der damalige Guardian (Abt)
des Klofters Dietrich hieß. Der Urkunde ift das Klofterfiegel (in
bräunlichgelbem Wachs an Pergamentftreifen) angehängt. Es läßt fi
darauf, fo weit es noch übrig, ein Engel mit einer Fahne über den
Fegfeuer erkennen.
Das Dominikanerklofter, auch Predigerkloſter zu
&t. Stephan, wurde an die Stelle gebaut, wo ſich jebt die beiden
Schulhäufer und der Schulpla befinden, Es fcheint dies im Jahr
1279 gefchehen zu fein; denn damals bewilligt Markgraf Herrmann VII.
ben Predigermönden, in Pforzheim ein Haus (d. 5. ein Klofter) zu
bauen. Diefes Klofters ift in einer Urkunde des Klofters Rechenshofen
von 1336 als beftehend zum erften Mal beftimmte Erwähnung gethan.
Im Jahr 1340 ftiftete Mechthild, Wittwe des Heinrih Rot, einige
Pfründen in diefes Klofter. Bei der Aufzeichnung ber geiftlihen Pfrün:
ben und Gülten, weldye 1580 ftattfand, war ber ältefte noch vorhandene
Kapitalbrief 1348 ausgeftellt. Diefes Klofter gelangte überhaupt bald
auch zu großem Beſitzthum. (Mäheres weiter unten.)
Einer eigenthümlichen Beitimmung bezüglich der geiftlidhen Güter
begegnen wir im Jahr 1287 (30. März), Diefelben waren nämlid,
in der Negel frei von Abgaben und Dienftlaften. Dadurch entging ber
Herrſchaft ein Bebeutendes an Steuern, ebenjo ben Gemeindeeinnahmen,
was den Bürgern um fo empfindlicher fiel, als die Gemeindelaften,
namentlich auch die perfönlichen Leitungen an Frohnden, Wachten ꝛc., auf
das Grundeigenthum gelegt waren. Die Bürger von Pforzheim, in deren
Gemarkung fehr viele Kloftergüter Tagen, fuchten ſich Erleichterung zu ver:
ichaffen, und wußten ben Markgrafen Herrmann VII, der vermuthlich ein
Antehen bei der Stadt machen wollte (S.57), als Bedingung desfelben, bie
1) Vergl. das Urkundenarchiv des Klofters Lichtenthal in Mones Zeit:
ſchrift VAL, 95 und die von Dambacher gemadte Bemerkung.
Siebentes Kapitel, Pforzheim im 13. Jahrhundert. 7—
wahrſcheinlich dem Markgrafen ſelbſt nicht unerwünſcht war, zu einem Erlaß
zu bewegen, durch welchen eine Verminderung der Güter in todter Hand
verfügt und den Klöftern aufgegeben wurde, all ihr Tiegendes Eigenthum
auf Pforzheimer Gemarkung binnen Monatsfrift zu veräußern. Dadurch
war aber den Klöftern auch wieder eine Begünjtigung gewährt. Wurden
isre Güter zum Verkauf ausgefett, fo konnten diefe die Bürger aller:
dings erwerben; thaten leßtere dies aber nicht, jo konnten fie fi) in der
Folge audy nicht mehr über Schmälerung ihrer Gemeindeeinnahmen be:
Hlagen.?)
Außer den Klöftern und ihren Kirchen begegnen wir in biefer
Beriode wiederholt auch der Kirche zu Pforzheim Ob damit bie
Kirche der Altftadt oder die Schloßfirche gemeint ift, weiß ich nicht.
Vielleicht die erftere, da die Schloßkirche noch im folgenden Jahrhundert
als Filial der Altjtadtfirdhe bezeichnet wird. In einer Urkunde von 1240
fommt ein Morhard, Proviſor der Kirche zu Pforzheim vor. In
einer andern von 1277 finden wir einen Dekan „Wortwinus“ (Wört-
wein) als Zeugen aufgeführt. Daß derjelbe 1291 eine Schenkung an
Maulbronn machte, it fhon (©. 73) erwähnt worden. In einer
weitern Urkunde von 1282 wird bereits auch die St. Nikolauska—
pelle in der Altjtadt genannt. Diejelbe lag neben dem Hirfchauer
Hof, von weldem ©. 41 die Rede geweſen.
$ 4 Umfang, Ausfehen, heile, Mamen und Siegel der Stadt.
Eine Sprachprobe aus dem 13. Iahrhundert.
Treudig war Pforzheim, nahdem aus dem Flecken eine Stadt ge:
worden, berangeblüht, und es erfcheint ſchon im 13. Jahrhundert neben
Baden als der bedeutendfte Ort der Markgrafihaft, der mit Mauern,
Zwinger, Wall, Graben und Thürmen verjehen und vermöge foldher
Befeftigung zu einer Zeit, wo das Schiefpulver noch nicht erfunden war,
jedem feindlihen Anfall trogen konnte. Es iſt fehr wahrſcheinlich, daß
die Befeftigungswerfe, deren Mefte ſich bis auf unjere Zeit erhalten
baben, wie 3. B. die zwei alten Thürme in der Aue, der vieredige
Thurm bei Kupferſchmied Machlet, die an verfchiedenen Stellen nod)
1) Bergl. die Bemerkungen von Dambader in Mones Zeitfchrift, IE,
236 fi.
78 | Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert.
vorhandene Stadtmauer ꝛc., lebtere wenigftens zum Theil, ans den
43. Jahrhundert ftammen.
Ein recht ftattliches Ausfehen, das ſich auch in den folgenden Jahr—
hunderten wenig veränderte, mochte Pforzheim ſchon damals gewähren
mit feinen eben erwähnten Befeftigungen, feinen Mauer: und Thorthürmen,
wozu auch noch die Thürme mehrerer Kirchen Famen, die, wie aus dem
Vorhergebenden erfihtlih, damals ſchon gebaut waren, namentlich aber
auch mit feinen drei Vorftädten, deren Namen ſchon in fehr früher Zeit
vorkommen. Die Altjtadt, die, wie bereits erwähnt, älter als die eigentliche
Stadt ift und darum nicht, wie die Brößinger Vorſtadt, erft angebaut
wurde, war von jener ganz getrennt, da der Zwiſchenraum zwifchen Stadt
und Altitadt, alfo das ſpätere fog. Pfläfter (jet Sopbienftraße), damals
noch nicht überbaut war, hatte eigene Mauern und Thore, und war
überhaupt die Altſtadt nicht in dem engen Verband zur eigentlichen
Stadt, wie das heut zu Tag der Tall. In dem Teftamente bes
Schultheißen Erlewin Liebener von 1257, worin er den Pforzheimer
Nomen Güter vermacht, fteben die bezeichnenden Worte: In veteri
civitate juxta Phorzhein, d, h. in der alten Stadt bei Pforzheim.
Noch im Jahr 1352 finden wir Konrad den Weingärtner, Wortwin
den Weber und Konrad den Schopperer als befondere Richter der Alt:
jtadt bezeichnet. Die Altftadt fcheint früher auch größer als jet ge:
weien zu fein und erft im ZOjährigen Krieg nicht nur ihre Befeſtigungen,
fondern aud viel von ihrem Umfang verloren zu haben. Aber aud)
damals noc finden wir immer noch einen bejondern „Viertmeiſter“ der
Altftadt. Wie die Altftadt, jo waren auch die Aue und die Brötzinger
Borftadt mit befondern Befeftigungsmwerken verfehen. Jene iſt fehr alt,
was ſchon der Umstand beweift, daß viele der älteften Familien ber
Stadt aus der Aue abitammen, Die Bröginger Vorjtadt wird zum
eriten Mal 1323 genannt. (Siehe unten.)
Wenn Markgraf Rudolf I. feine Nefidenz, mit Baden und Eber—
ftein abwechſelnd, zu Pforzheim hatte, jo kann daraus dev Schluß ge:
zogen werden, daß in letzterer Stadt damals auch ſchon ein fürſtliches
Schloß erbaut war. Jedoch fehlen alle fichern geſchichtlichen Nachweiſe
über die Zeit der Erbauung eines jolhen. Der Name Schloßberg
ſcheint indeß erſt ſpäter aufgekommen zu fein, da wir denjelben 1383, ja
noch im 16. Jahrhundert als „Kilchberg“ oder „Kirchberg“ bezeich—
net finden, Von fonftigen Häufern und andern einzelnen I heilen der Stadt
Eiebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 79
finden wir in alten Urkunden!) erwähnt: „Des Liebeners Hof“
in der Altſtadt 1257 und 1284, das „Haus des Blochelins“ 1206,
ein „Frauenthor“ (porta dominarum) 1290, — und endlidy außer:
bald der Stadt: „des Kürfhners Wingert“ (vinea pellificis) 1284.
Was den Namen betrifft, den Pforzheim im 13. Jahrhundert
trug, jo begegnen wir am häufigſten der Schreibweile Phorzbein,
und da bdiefelbe aud in dem damaligen Stadtfiegel vortommt, fo muß
fie als die offizielle und richtige betrachtet werden,
Diejes Stadtfiegel, das fich, in Wachs abgedrüdt, an vielen Urkun—
den des 13., 14. und 15. Jahrhunderts, das erſte Mal 1256 an einer
Herrenalber Kloſterurkunde vorfindet, ift rund, zeigt, wie aus der hier
befindlichen Abbildung zu erjehen ift, einen dreiedtigen, gemölbten Schild
mit dem badifchen Schrägbalfen und der Umſchrift: SIGILLVM CIVIVM
IN PHORZHEIN, b. 5. Siegel der Bürger in Pforzheim,
Bei der ſchwankenden deutichen Ortbographie jener Zeit, die natür-
lich noch feine allgemeine war, fondern immer nur den betreffenden
Mundarten, diefen in der Regel aber mit größter Treue entiprad, darf
es ung nicht wundern, wenn wir noch auf verſchiedene andere Schreibweifen
des Namens der Stadt ftoßen. So wird diefelbe in der oben erwähnten
Pfälzer Urkunde von 1195 „Phorceim”, in einer andern aus jener
— — — — ne
1) Meiſtens Herrenalbern.
80 Eiebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert,
Zeit „Porzeim“ (5. 43) genannt. In den Jahren 1256 und 57
finden wir neben der richtigen Schreibweife auh Phorzheim, Phortzeim
und Phorczen, 1266 Phoribleim, 1279 und 1284 auch Phorz-
bain, 1287 neben Phortzhein and Pforzein, und tritt im folgen:
den Jahrhundert neben dem Ph das Pf immer häufiger auf. Wir
finden bdiefen Uebergang auch bei andern Ortsnamen, fo 3. B. bei
Poren (bei Donauejchingen), das in Urkunden aus dem 9. Jahrhundert
unter dem Namen Forra, Phora, Phorra vortommt.
As Probe der damaligen Sprache unferer Gegend möge bie
ältefte deutfche Urkunde des Klofters Herrenalb hier ftehen. Sie
ift vom 28. Juni 1287. Alle ältern Urkunden, fowie auch viele fpätern,
find in Tateinifcher Sprache abgefaßt. Doch begann im 13. Jahrhun—
dert die deutjche Sprache fih nad und nach daneben geltend zu machen.
Das erfte befannte Beifpiel, daß ein König, Konrad IV., eine Urkunde
deutich ausſtellte, it vom Jahr 1240. Zu befierm Verſtändniß unten:
ftehender Urkunde muß bemerkt werden, daß die Grafen Conrad und
Heinrich von Vaihingen darin dem Frauenkonvent des Predigerordens
in Pforzbeim zwar geftatten, das darin bezeichnete Eigenthum in Vai:
bingen zu kaufen und frei zu befiten; aber von andern Gütern, die fie
noch in Bau nähmen, müßten fie Bete geben; ohne Bewilligung der
Grafen follten fie Feine neuen Güter erwerben; Güter, die ihnen ge:
ſchenkt würden, follten fie den Grafen oder ihren Bürgern binnen Jahres:
frift zu Faufen anbieten ıc. Man flieht daraus, daß die Grafen von
Baibingen zu ganz Ähnlichen Maafregeln wie Markgraf Herrmann VII.
griffen, um fich ihre Einkünfte an Steuern nicht ſchmälern zu laſſen.
„Wir grave Guonrat und grave Heinrih von Veihingin duen kunt
allen den, die dijen brief borent leſen, daz wir den fropwen von dem
conuente der predier ordins ze Pforzein mit bedachtem muote und mit
onferm ganzem willen vnd vnſerre erben han erlonbet zefoufenne eine
boueftat ze Vaihingen, da fie mugen vf gebumwen ain büs, ain ſchiw—
ern, vnd ain Gäden, 1) daz fie in der houereit ir zehenden, iv wagen,
end ir karreche mugen geftellen, vnd fol div felbe bouereite wi fin, ez
fi denne, daz fl ander guot buwen, egger, wifen, oder garten, der fol
bete geben von ir wegen vnd von finen wegen nach dem guote, az er
denne bumet. Sie fuln auch dehein guet furbaz me da gewinnen, wan
N Hier wohl Schopf, Schuppen.
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 8
mit vnſerm willen. gewinnent fie ez dar ober, fo ſuln wir, oder vnſer
erben der jelben guotes vnderwinden. Iſt aber, daz in Albreht Kalt:
ijen durch got, oder zekovfe dez jelben zehenden dailit 1) git, daz fol in
dem felben vehte fin, alfe da vor gefchriben ftat. Furbaz me ift, daz
man in durch got beheinerflahte 2) guot da git, daz fuln fie im der jare
vriſte vns, oder vnſern burgern geben ze kaeufe. Die vor geſprochen
frovwen vergehent ovch des mit vns am difen gegenwartigen briefen,
daz fi durch wnfer liebe, vnd durch, onfer bete fulm begen aller unferre
vordern järgezit, vnſer felbes, und aller vnſerre nad Fumen an dem
fritage vor dem palme tage. Diz fint die gezuge, die am vnſerme
dinge 3) waren, bie da nach gefchriben ſtant: her Albert der kirchere
von Beibingin, Heinrich der Firdherre von Sarweſhein, Cuonrat von
Sterrenvelz, Volrih von Wefingin, Heinrich von Remihingin, Lodewic
und Stofelin von Horhein, dar nady die rihter von Baihingin, Albreht
Kaltifen, Dietmar, Euonrat der Smit, Anfelm von Damme, vnd ander
biderbe Tinte, die dar an waren. Daz biz ftete belibe vnd fefte, dar
vmbe han wir vnſer jnfigel, des marcgrauen Hermans von Baden, vnſers
jwefter mannes graue Eberhardes von Tumwingen, der rihter von Spire,
der vor gefprochen frovwen, hern Dietribes eins ritters von Lomerfhein,
und des von Enziberg bern Cuonrat, am dien gegenwartigen brief ge
henlet. Diz geſchach, da von gotes geburte waren duſent jär, zewai
hundert jar, vnde fiben vnd acizig jar, an dem Mendage nad fante
Jacobs dage.“
85 Pforzheimer Geſchlechter.
Es ift bereits (S. 71) angedeutet worden, daß Pforzheim eine
Anzahl patrizifcher Geſchlechter bejaß, die fich durd ihren Reichthum
augzeichneten. Es find dazu einige Erläuterungen nothwendig. Man
muß im Mittelalter zwiichen einem Rand: und einem Stadtadel unter:
fcheiden. Jener wohnte auf feinen Burgen, diefer in den Städten und
bildete hier den angefebenjten Theil der Bevölkerung. Man findet diefe
Erſcheinung in vielen ältern Orten. In den Händen diefes Stabtabels
oder der Patrizier, die man häufig auch einfach „Geichlechter” oder
1) Getheilt, nur in Theilen,
2) Keinerlei.
3) Berhandlungen. j
Pflüger, Pforzheim. 6
82 Eiebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Sahrbunbert.
„Hausgenofien” bie, und die aus militärifchen Beſatzungen der Städte
von frühern Jahrhunderten, in Pforzheim vielleicht fchen von der Calwer
Zeit, hervorgegangen fein mochten, Tagen alle Theile der obrigfeitlichen
Gewalt, und es wurde jorgfältig darüber gemacht, daß fich Fein Unberufener
eindrängte. Als fich aber in manchen Städten nad) und nach die Korporatio—
nen der Zünfte bildeten und diefe am jtädtifchen Negiment ebenfalls ihren
Antbeil beanipruchten, Fam es vielfach, fo z. B. um 1330 in den Städten
Speier, Worms und Mainz, zu Zunftempörungen, wodurch die Megie:
rung der Batrizier geftürzt wurde und die Wertreter der Zünfte die
Gewalt an fich riffen. Ob Aehnliches auch in Pforzheim gefchab, ver
mag ich nicht zu fagen; mohl aber ift daraus, daß wir Glieder patri-
zifcher Gefchlechter neh im 15. und 16. Jahrhundert fortwährend obrig-
feitlihe Stellen befleiden fehen umd neben ihnen auf Handwerker ale
ihre Kollegen ftoßen, der Schluß zu ziehen, daß die Gewalt fräter eine
getheilte war. Die Geſchlechter vermifchten ſich übrigens in der Folge
fo jehr mit den anderen Bürgern, daß ber Unterfchieb weaftel und man
nur noch zwiſchen Bürgern (darunter der frühere Adel) und Nichtbürgern
unterfchied. Das NAufzählen der vornehmſten und befannteften jener
frühern Ratriziergefchlechter mag der Zuſammenſtellung der Namen von
fonftigen Bürgern vorausgehen, wobei ber Vollftindigfeit wegen in ber
Zeit ſowohl etwas zurüd: als vorwärtsgegriffen werden muß. Noch ift
zu bemerken, daß fi das Andenken mancher Glieder diefer Patrizier:
geichlechter in Grabfteinen erhalten bat, die ſich in ber Schloßkirche vor:
finden, welche Begräbnißftätte, im Vorübergehen gefagt, auch wieber ein
Beweis für den höhern Stand ift, dem die Betreffenden im Leben an:
gehört haben.
Tiebener.
Des Schultheigen Erlewin Yiebener ift bei den Jahren 1240,
1246, 1256, 1257 und 1259 bereits gedacht worden. Seinen hohen
Stand mag das beweifen, daß er 1245 als Zeuge vor dem Nitter
Kymo von Baden und im gleichen Jahr und in gleicher Eigenfhaft vor
Konrad Schenk von Winterftetten genannt wird. Wir finden im 13.
und 14. Jahrhundert nody mehrere diejes Geſchlechts, ſo 1256 einen
Eberhard L., 1265 Heinrich L., 1275 Eberhard 8, (ältejter Grabitein
in der Schloffirche, 1) wahrſcheinlich der nämlihe L. wie 1256), 1292
) Er fteht an der Wand einer Eeitentapelle, und find Name und Jahr:
zahl noch Teicht zu entziffern.
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 83
wieder einen Eberhard und einen Albert L., 1296 Gozold und feinen
Sohn Berthold L., 1339 Albert %., 1380 Gogold L. Für den Reid:
thum der Liebener zeugt, was oben bereits davon gejagt worden ift.
Weiß (Weiſe, Weifo, Waiſe).
Die Weiß ſind ein uraltes Pforzheimer Geſchlecht. Schon in einer
Urkunde von 1179 kommen ein Udalrieus und ein Herrmann Weio,
wahrſcheinlich won Pforzheim, mit der Bezeichnung ingenwi viri, d. h.
freigeborene Männer, vor, rjterer wird auch 1186 wieder als Zeuge
in einer andern Urkunde genannt, worin Kaiſer Friedrich I. Barbarofia
ben Berfauf von Gütern in Dertingen an Herrenalb beftätigt. Ferner
finden wir von diefem Geichleht: 1256 Albert W., 1284 Berthold,
Albert und Gottbold W,, 1295 Albert und Gottbold W. (als Stadt:
räthe), 1302 Gottbold W., 1319 Sigfried W. und feine Frau Hedwig,
eine Edle von Mönsheim, Albrecht, Trautwein und Gotthold W., 1321
Albrecht, Erlewin und Gotthold W., 1328 Gotthold W., 1329 Heila
W,, 1336 und 1338 Zigfrid W,, 1345 GSigfried und Werner N,
(Beide haben Antheil an Gräfenhaufen), 1352 Sigfried, Hartmann,
Wirhelm W., 1355 Walther W., 1376 Priefter Wortwein W., 1383
Wernher W. ꝛc. Bon dem anggedehnten Beſitz und dem Neichthum
der Weiß mag das zeugen, was umten noch über ihre Verkäufe und
Vergabungen gejagt werden wird.
Roth (Route, Rovte, Neuten, Rotte, Rot), genannt Vai—
hinger oder von Vaihingen.
Ein Gefchleht, das jih bis in die neuere Zeit verfolgen läßt.
Ein Heinrich, genannt Veyhinger, kommt ſchon 1259 vorz der nämliche
als Heinrich von Vaihingen 1263 und 1265; ein anderer Heinrich
Rovte (vielleicht auch derfelbe) ift 1295 Mitglied des Stadtraths, ebenſo
ein Walther von Vaihingen, 1328, 1332, 1347 und 1358 ftoßen wir
wieder auf einen Heinrich R., welcher in letztgenanntem Jahr Schieds-⸗
mann in einem Streit zwiichen der Pfalz und der Stadt Speier iſt!);
1358 kommen auch ein Eucharius und ein Günther N. vor; 1371 iſt
Günther von Vaihingen unter den Pflegern des Frauziskanerkloſters;
1396 Heinz R. und fein Sohn, (verk. ein Haus ꝛc. in der Altſtadt);
1400 Konzlin und Heinrich Not; 1420 ein Johannes R., Prieſter
Grabſtein in der Schloßkirche), 1428 Petrus Roth, genannt Vaihinger,
1) Lehmann, Speierer Chronik, 769.
84 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
(Grabftein ebendafelbft); 1431 Großhans R., Richter (verkauft 1/, des
Zehntens zu Nußbaum an Herrenalb), 1442 Hans R., ein württem:
bergifcher Lehensmann, 1468 ‘Peter Rot, genannt Baihinger; 1487 Hans
R., Pfarrer zu Mönsheim; 1515, 1539 und 1544 Eudarius Vai—
binger, 1552 Hans R., 1609, 1623, 1643 Ulrich R., genannt Vai:
binger, 1610 Bitus R., genannt Vaihinger, Pfarrer von Dietlingen ;
1676 Peter R., (Zeugmacer) ijt letzte Spur diefes Gefchlechtes. Das
Wappen desfelben fcheinen drei verichränfte, mit ben Spitzen in fenfrechter
Richtung zufammenftoßende Vierecke geweſen zu fein.
Hopf, (Horpdo, Hopphin, Hopfen).
Dieſes Patriziergeichlecht ſcheint bald wieder ausgeftorben zu fein.
Ein Eberhard H. ift 3 DB. 1256 Zeuge in einer Urkunde, welche die
Gebrüder Berthold und Belreim von Meikenftein ausftellen; derſelbe
ericheint auch 1265 mieder; die Gebrüder Wernber, genannt Hoppbin
1279, ein Heinrih Hopfen 1295 :c.
Imhof (im Houe, im Hove)
Die Gebrüder Einhart und Günther (im Hove) kaufen 1279 die
Dörfer Eutingen und Riefh (2?) von den Herm von Roßwag. Ein
Volkmar ift 1295 Stadtrath, wahrfcheinlih ein Imhof, denn diefer
Name kommt bei diefem Gefchleht noch mehrfah vor, fo 1319,
1339 (Richter), 1347, 1396 (Richter); — 1321 erfcheinen ein Gün—
tber J., 1354 eine Frau Mechthold, genannt die Einhardin im Hofe,
ibre Tochter Pele, die Klofterfrau (ftirbt 1360 umd wird in Maulbronn
begraben), und ihre Schweitern, die Legelerin und die Nappenberrin, bie
aljo an Angehörige anderer Batriziergefchlechter verbeirathet waren.
Tegel (Legelin, Legeler).
1339 find Heinrich und Konrad L. Bürger und Richter in Pforz—
beim; 1348 ift ein Kraft, genannt Legelin, Herrenalbiſcher Klofterpfleger
in Pforzheim, 1400 kommt ein Wetzel Legelin vor ıc.
Rappenberr. |
Ein fehr reiches und angefehenes Gefchleht, das aber erft im
14. Jahrhundert vorfommt. 1343, 1354 und 1356 begegnen wir einer
Guta Rappenherr, von deren Meichthum ihre Verkäufe und Schenkungen
von Gütern, Rechten ꝛc. an verichiedene Klöfter Zeugniß geben. (Siehe
unten). Sie ftarb 1372 (Srabftein in der Schloßfirde). Im Jahr
1345 verkauft ein Günther Rappenherr mit Sigfrieb und Wernher Weiß
feinen Antheil an Gräfenhaufen um 414 Pfund Heller an Württemberg.
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 85
Im Fahr 1380 kommt ein Dietrich Rappenherr vor; ein anderer Rap:
penherr ift 1392 badiſcher Kanzler. 1400 wird eines Conz Rappenherr
erwähnt ; 1429 ftarb Elsbeth, Tochter von Albert Wels und Gemahlin
von Günther Rappenherr (Grabftein in der Schloftirche); ein Johannes
R. iſt 1434 und 1452 Pfarrer und 1452 ein Dietrich Rappenherr
Vilar; 1460 iſt eim Theodor N. Viear des Micyaelftifts; ein anderer
dieſes Geſchlechts ericheint 1442 als württembergifcher Lehensmann ıc.
Dieies Geflecht war auch in Weil der Stadt anfäßig und begütert.
Unter den 1388 bei der Schlacht von Döffingen durd Graf Eberhard
von Württemberg Gefangenen war auch ein Nappenherr von Wyl. Die
Grabfteine der Rappenberre in der Schloßkirche find am dem Wappen
mit 2 gegeneinander gekrümmten Fiſchen kenntlich.
Steimar oder Steinmar.
Ein Heinrih von Steimar erfcheint 1292 und 1295 alg Schultheiß
in Pforzheim, ein Steimar der Aeltere und ein Eberhard St. gleichzeitig
als Stadträthe. Ein Steimar vermacht mit feiner Frau Edelind 1324
den Klöftern Herrenalb und Lichtenthal eine Gült von 8 Maltern Roy:
gen zu Förch und Sandweier (bei Naftatt). 1371 kommt wieder ein
Eberhard Stenmar fel. vor, defien Tochter Heilentrud eine Beguine
(fiebe umten) war,
Flad, (Blade, Flade).
Im Jahr 1312 erfcheint ein Heinrich Flad mit feinen Kindern
Konrad, Heinrich, Dietmar, Konrad, Elifabetb und Meta Flad.
1322 wieder Heinrich F., derfelde 13%; 1347 und 1351 kommen
eine Sanne Flad und ihre Söhne Heinz, Günther und Dietrich vor,
und ftiften diefelben eine Frühmeſſe zu St Michael; 1371 Dietrich
Flad, der von Lichtenthal ein Gut bei Au am Rhein lehnt; fein Bruder
Günther Fı ift gleichzeitig Pfarrer in Pforzheim; 1400 und 1402 Hart:
mann lad; 1401, 1407 und 1422 Heinz Flad, Schultheiß. Ein
Bernhard Flad war 1460 unter den eriten Kanonikern des Michaelſtifts.
Die Grabfteine von Konrad F. geft. 1422 und noch anderer diefes Ge
ſchlechts ſind in der Schloßkirche. Sie find au dem Mappen mit einem
laden (Kuchen) leicht zu erkennen.
Goldelin, Göldelin, Goldener von Tiefenan.
Ein reiches und angefehenes Gefchlecht, ven dem unten mehr bie Rede
fein wird, das wir aber Hier der AJufammenftellung wegen aufführen.
Diefem Geflecht gehörte unzweifelhaft ſchon ein Berthold an, ber
86 Siebentes Kapitel. Pforzheim ım 13. Jahrhundert.
1298 unter dem Namen „der Goldmann“ vortommt. 1328 war
Wernher Göldlin Schultbeig in Pforzheim; 1371 ftirbt nad einem
Epitaph in der Schloßkirche, über welchem ſich Iateinifche Verſe
befinden, Yuitgarde, die Frau des Schultheißen Heinrih G., der ohne
Zweifel identiſch iſt mit dem Scultheißen Heinz, Kunzen jel. Sohn,
welcher 1359 eine Pfründe in der Schloßkirche ftiftete umd auch 1361
erwähnt wird; 1371 kommen ein Heinrich und ein Wernher Goldelin
vor; 1397 begegnen wir wieder einem Heinrich G. Mehr von ihm
unten. Ein Mernher Göldlin machte 1412 dem St. Thomas und
Andreas Altar in der St. Michaelskirche eine Stiftung von 1 Schill,
6 Schillg. Pf. und 3 Faſmachtshühnern, die auf der Bleichwiefe am
Meselgraben rubte.
Goßlin oder Göflin.
Ebenfalls ein durch Reichthum ausgezeichnetes Geſchlecht. 1340
kommen Wernher und Walther Gößlin, 1348 und 1402 Tommt ein
Aberlin Gößlin wor, der u. U. auch Befigungen in Heimsheim hatte;
diefem Goßlin ſchuldete beifpielweife auch Heinrich II, Graf von Eber:
ftein, 20 Pfd. Heller, und erbot fich, im Fall er acht Tage nach erfolgter
Mahmımg nicht zahlen könne, einen Knecht mit einem Pferde auf feine
Koften in eine öffentliche Herberge zu legen big zur gänzlid;en Tilgung.t)
1368 und 1371 bekleidete ein Gößlin das Schultheißenamt, und ift der:
jelbe vielleicht die nämliche Perfon mit dem Schultheigen Albert, der 1383
dem Stift St. Maria zu den reden in Mainz eim Parthie Holz
ſchenkt. Um 1400 kommen ein Wernher und Walther Göflin, 1402
wieder ein Schultheiß Goßlin vor; 1419 ein Aberlin Gößlin, 1454
ein Wernher Gößlin; 1460 gehörten Peter und Ib. Gößlin zu dem
erften KRanonifern des Michaelſtifts; 1466 it Ib. Gößlin Pfarrer zu
Pforzheim; 1533 und 1585 war ein Peter Goflin Bürgermeifter in
Pforzheim ꝛc.
Wels,
Bon diefem Gefchlecht kommt ein Aberlin Wels ſchon 1376 vor
und beſaß derjelbe ein Haus in der Brößinger Gaſſe. Doc fpielten
die Welfe in Pforzheim erft im 15. Jahrhundert eine Rolle. Nach
einen Grabfteine der Schloßkirche ftarb 1400 Anna Welfin, Ehefrau
bes Marquard Plus. 1400 und 1422 lebten ein Hans, Konz und
— — — — —
ı) Krieg, Geſchichte der Grafen von Eberſtein.
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert. 87
ein Albert W.; des letztern 1429 geftorbener, an Günther Rappenherr
vermäblt geweſener Tochter Elsbeth iſt ſchon Erwähnung geicheben.
Balthaſar Wels war 1470 und 1473 Schultheiß in Pforzheim und
ſtarb 1476. Die Grabſteine der Welſe in der Schloßtkirche (fie liegen
vehts vom Hanpteingange) find gewiß ſchon Jedem durch das viefige,
aefrönte W, das fich darauf befindet, aufgefallen.
Rumelin, Rümelin.
Ein Erlewin Rumelin ift 1295 Stadtrath; derfelbe wird noch
einmal 1296 und wieder 1304 mit feiner Tochter Tran Heilwig genannt,
die an Herrenalb eine Schenfung macht. j
v. Durlach.
Ein Konrad v. Durlach erſcheint 1240; ein Heinrich der Jüngere
v. Durlad) 1256; derjelbe (wahrſcheinlich) 1279; ein Heinrich v. Dur:
(ach ift 1295 auch unter den oben angegebenen Stadträthen. Ein Zraut:
wein v. Durlach ift 1347 unter den Stadtrichtern.
Von noch anderm Bürgeradel, dem wir in einzelnen Gliedern begeg:
nen, mögen hier angeführt werden: Sifried genannt v. Heimsheim 1263,
Konrad der Schmied, genannt von Nußborf 1279, Konrad Bernhuſer
(von Berndaufen) 1279, Ulrich von Winrefheim (Miernsheim) 1319,
u. f. w. Bon andern Pforzheimer Bürgern, bei denen nicht unterfucht
werben foll, ob fie zu den Patriecirn gehört haben oder nicht, kommen
im 13. Jahrhundert vor: Wernher und feine Frau Judela 1240,
Diether und Heinrich Gozold 1240, Guntram 1245, Berthold Mar:
fhall 1256, Heinrich Snabil (Schnabel) 1256, Albert der Krämer 1256,
Blohhelin 1256, Rufelin 1256, Konrad Genfelin 1256, Mengozo 1266,
Mahtolf 1272, die Gebrüder Dietmar und Marguard 1279, Konrad
Zehner 1293, Berthold, Sohn Gozolds 1296, Berthold Widmann 1300.
Auch von diefen Bürgern fcheinen viele fehr bemittelt geweſen zu
fein. Wenn ferner, wie ©. 76 erwähnt, Markgraf Hermann VII. in bie
Lage kam, bei der Stadt Pforzheim ein Anlehen machen zu müfjen, fo
mag ſich diefelbe auch in feinen ungünftigen WVermögensverhältniffen be:
funden haben,
$ 6, Eine Sage.
Unter der Regierung Nudolfs I., nämlich im Jahr 1260 ober
1267, ſoll fich im Pforzheim eine Begebenheit zugetragen haben, welche
88 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
in ältern Chroniken mit bald mehr, bald weniger wunderbaren Zuthaten
erzählt wird. Da fie unzweifelhaft einen geichichtlichen Kern hat und
einen Blick auf eine dunkle Schattenjeite der damaligen Zeit eröffnet, fo
möge eine Kurze Erzählung derjelben audy hier ihre Stelle finden. 1)
Ein altes Weib — jo lautet die Gefchichte — verkauft aus ſchnö—
der Gewinnſucht ein jiebenjähriges Mägdlein, mit Namen Margaretha,
an die Juden, Dieje verftopfen ihm den Mund, öffnen ihm die Adern,
und umwinden es, um fein Blut aufzufangen, mit Tüchern. Nachdem
das Kind unter der Marter geftorben war, wird es von den Juden
unterhalb des Schleifthors in die Enz geworfen und mit einer Menge
von Steinen bejhwert. Nach einigen Tagen redt es die eine Hand in
die Höhe. Die Schiffer eilen voll Schreden hinzu und zeigen das
merkwürdige Ereigniß in der Stadt an, Der Markgraf kommt ſelbſt
berbei, und als das Kind aus dem Waſſer gezogen wird, richtet es ſich
auf, bietet dem Fürften die Hand und fordert ihn zur Race auf.
Darauf ſinkt es wieder todt zurüd, Man wirft nun einen Verdacht
auf die Juden, und läßt fie zufammenfordem; und wie fie fich dem
Leichnam nähern, fangen die Wunden von Neuem an zu bluten.2) Da:
rauf bin geftehen die Juden die Greueltbat, das alte Weib ebenfalls,
und werden nun allefammt theils geräbert, theils gehenft. Der Leichnam
bes Kindes, das vom Volke als Märtyrerin betrachtet wird, kömmt in
einen fteinernen Sarg, ber in der Schloßkirche beigefet wird und bie
Auffchrift erhält: Margaretha a Judaeis oceisa ob, (iit) feliciter
Anno Domini MCCLXVII Cal. Jul. fer, VL, d. 5. „Margaretha,
von den Juden umgebracht, ftarb ſeliglich am Freitag den 1. Juli 1267." 3)
') Quellen für bdiefelbe find: Sachs, U,, 16, der aber feinen Gewährs:
mann, ben Thom. Cantipratanus (L. 11, Miraculorum et Memorabilium sui
temporis) zitirt, welcher wieberum erzählt, daß cr die Geſchichte aus dem
Munde zweier Orbensbrüber vernommen, Man ficht, daß viel „Hörenjagen“
bakei ift.
2) Der Glaube, daß die Wunden eines Gemorbeten twieber zu fließen an:
fingen, wenn der Mörder in die Nähe des Leihnams komme oder ihn berühre,
war im Mittelalter allgemein verbreitet, und diente fogar als Mittel, um bie
Schuld oder Unſchuld deſſen, der eines Mordes bezichtigt war, an ben Tag
zu bringen, Man nannte ein ſolches Verfahren das Bahrrecht.
3) Bon der Jahrzahl UCCLXVII kann übrigens das VII. aud zu Cal,
Jul. gehören; dann wäre der Mord am 25, Juni 1260, (dev auch ein Freitag
war,) erfolgt.
Stebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Kahrhundert. 89
Sämmtlihen Schiffen aber verlich der Markgraf zur Belohnung für
das Auffinden des Kindes und zugleich als beftändige Erinnerung an
diefes wunderbare Ereigniß für fih und ihre Nachkommen auf ewige
Zeiten die Wachtfreiheit in der Stadt Pforzheim, zugleih aber aud)
das Vorreht, dat alle Jahre am Frühjahrsmarkt 24 Schiffer mit
flingendem Spiel und Ober: und Untergewehr auf dem Markte aufziehen
und an diefem Tage die Stadt allein bewachen, fowie für Sicherheit
des Marktes forgen durften.
Zur Ergänzung obiger Wundergefchichte wird weiter erzählt,1) daß
nad; eimer Aufzeihnung im Heiligenbuch des Dominikanerinnenklojters
das Grab des Kindes im Jahr 1507 im Beilein des Kardinals Bern:
bardinus geöffnet und der Yeichnam noch ganz unverwest gefunden worben
ſei. Im Jahr 1647 hätte man denfelben jedoch in einem andern Zu—
ftande, nämlich ganz dürr, doch fo, daß man die Nägel nod) hätte
wahrnehmen fönnen, und mit abgefondertem Haupte im Sarge ange:
troffen, und fei der Leichnam fo nad) Baden gebradht worden,
Die ganze Gefchichte von dem „durch die Juden getödteten Mägd—
lein® ijt ein wunderliches Gemiſch von richtigen Angaben und abergläu:
bigen Zuthaten. Daß der Mord, abgejehen von allen Nebenumftänden,
eine geſchichte Thatſache ift, läͤßt fich wohl nicht bezweifeln, da der fteinerne
Sarg, der den Leichnam des gemordeten Kindes barg, in der Schloß:
fire noch aufbewahrt und als ſolcher bezeichnet wird. Er ſteht rechts
vom Haupteingang an der Wand, Die Inſchrift, die übrigens nicht in
den Sarg eingehauen, fondern darauf gemalt ift, kann nicht mehr ent-
ziffert werden, wenn ſich auch noch einzelne Buchſtaben derfelben erkennen
lafien. (Ein anderer, aber größerer fteinerner Sarg mit Dedel fteht
neben dem des Kindes.) Sodann war es in jenen Zeiten gar nichts
Seltenes, daß man die Juden der Ermordung von Ghriftenfindern be:
ſchuldigte, angeblich, weil fie das Blut derfelben zu magiſchen Zwecken
mißbrauchen wollten. Solche Fälle ereigneten ſich nicht nur in Pforze
beim, ſondern auch in noch andern Orten, Es waren überhaupt die
Juden im 13, und 14. Jahrhundert bei jedem Anlafje den ſchrecklichſten
Derfolgungen ausgeſetzt. Brad) irgendwo eine anftedende Krankheit aus,
io hieß es, die Juden hätten die Brummen: vergiftet, und es mochte wohl
häufig vorfommen, daß die Unglüdlichen, um den Qualen der Folter
1) Bon Gamans; ebenfo in Maji vita Reuchlini, p. 109 seq.
90 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert,
ſich zu entziehen, Verbrechen eingejtanden, die fie nicht begangen batten.
Bon den gräßlichen Audenverfolgungen des 14. Jahrhunderts wird weiter
unten die Nede fein,
Was nun den Zujammenbang betrifft, in welchen die Pforzheimer
Flößerzunft mit diefer Wundergefchichte gebracht wird, jo ift fo viel
richtig, daß die Flößer bis auf die neuere Zeit allerdings wachtfrei waren
und von ihrem Ehrenreht, am Märzmarkt öffentlich aufziehen und die
Stadt bewachen zu dürfen, unausgeſetzt Gebrauch machten. Der uralte
Flößermarſch, der jedes Vial beim Anfzug geblafen wurde, hat fid)
bei Vielen noch in Tebendiger Erinnerung erhalten.) Ob folder Ge-
brauch jammt Wachtfreiheit ſich wirklich von oben erzähltem Ereigniß
berichrieb, müffen wir dahin geftellt fein laſſen. Daß übrigens im
13. Jahrhundert ſchon eine geordnete Flößerzunft in Pforzheim beitand,
ift fehr wahrſcheinlich wenn auch die Urkunden erft im folgenden Jahr:
hundert über das Floßweſen jener Zeit helleres Licht verbreiten. 2) Die
Flößerei ift jedenfalls in Pforzheim fehr alt (S. 24), und mag den
frübeften eigenthümlichen Nahrungszweig der Bewohner gebildet haben.
1) Verfaſſer dieſer Gefchichte hat fich diefen Marfch von einem alten Flößer
vorpfeifen Taffen und ihn im folgender Meife notirt:
2) Auf eine Spur von Flößerei ſtößt man in einer Herrenalber Klofter-
urfunde vom 23, März 1294. —
Adtes Bapitel
.— —— —
Pforzheim während der mehrfach erfolgten Theilungen und Zer—⸗
ftüchelungen der Marfgraffchaft Baden bis zur Wiedervereinigung
des Getrennten, (Meift 14. Jahrhundert.) ')
$ 1. Allgemeines.
Die Geſchichte der Markagrafihaft Baden bietet nad) dem Tode
Rubolfs I. und faft während des ganzen vierzehnten Jahrhunderts das
unerfreufiche Bild mehrfacher Theilungen und Zerflücelungen, wodurch
nicht nur eine weitere Träftige Entwidlung der Markgrafichaft in der
Meife, wie foldye unter Herrman V. und Rubolf I. begonnen, unmöglich
gemacht wurde, fondern auch eine auffallende Abnahme des früher erwer:
benen Anjehens erfolgte. Indeſſen wand fich doch das badifche Fürften:
geſchlecht durch alle diefe Theilungen am Ende noch glücklich hindurch,
bis Nudolf VI. oder der Lange im Jahr 1368 die getrennten Lan:
bestheile wieder vereinigte und fein Nachfolger Bernhard der Große,
wenn auch erft nad) nochmaliger, aber vorübergehender Halbirung
(1380 bis 1391), als der dritte Gründer der Markgrafſchaft Baden
auftrat.
Nah dem Tode Rubdolfs I., welcher im Jahr 1288 erfolgte,
wurde fein Land unter feine 4 Söhne, Herrmann VII, Rudolf IL,
Heſſo und Rudolf IIT., getheitt. Die Stadt Pforzheim kam dabei
an Herrmann VII, welcher übrigens ſchon bei Lebzeiten feines Waters
Antheil an der Negierung genommen und unter Anderm die ſchon
(S, 76) erwähnte Verminderung von Gütern in todter Hand (im
Jahr 1287) verfügt hatte. Diefer Herrmann VII. war auch der
Fertpflanzer des markgräflichen Stammhanfes, indem zwei feiner Brüder,
') Die Hauptquellen find größtentheils biejelben, wie im vorhergehenden Kapi:
tel, Wonoch andere Quellen benügt wurden, find fie unter dem Tert angegeben,
92 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
nämlich die beiden Rudolfe, kinderlos verſtarben, der andere, Heſſo, zwar
zwei Söhne (Herrmann VIIL, und Rudolf Heſſo) hinterließ, die indeſſen
ebenfalls ohne männlihe Nachkommen mit Tod abgingen. Dadurch,
ſowie durch Heirathen gelangten ihre Befißungen fpäter wieder an den
Hauptitanım ihres Geſchlechtes zurück. Aber aud bier erfolgten noch
mehrfache Theilungen. Markgraf Herrmann VIL, der feinen Bater nur
um drei Jahre überlebte, und jhen im Jahr 1291 ftarb, hinterließ
drei Söhne, Friedrich IL, Rudolf IV. und Herrmann, wel
fetsterer aber fhon als Kind feinem Vater in die Ewigkeit nachfolgte.
Rudolf war in feiner Augend für den geiftlichen Stand beftimmt wor:
ben und befleidete 1302 bereits die Stelle eines Chorherrn zu Speier.
Er Tegte indeffen fpäter das Priefterkleid wieder ab und verwaltete mit
feinem ältern Bruder Friedrich gemeinfchaftlich die Landestheile, welche
ihnen ihr Vater als Erbe binterlaffen. Diefe gemeinfame Regierung
börte aber bald auf, da die beiden Brüder es für gerathener
fanden, zu einer Theilung ihres Landes zu fchreiten. Rudolf IV. erhielt
daber nebſt andern Befigungen die Stadt Pforzheim, die er nad
erlangter Volljährigkeit zu feiner Nefidenz wählte und von welder er
den Namen: „Herr zu Pforzheim“ führte. Zum Unterjchied von
feinem damals noch lebenden Oheim, Rudolf IIL., heißt Rudolf IV. auch
der Junge; mand Mal wird er aud der Weder genannt, Es wird
weiter unten von ibm noch mehrfach die Rede fein,
Bezüglich des Stammes Friedrichs IT. fei nur in Kürze bemerkt,
daß derjelbe mit feinem Sohn Herrmann IX. wieder ausftarb, weshalb
alsdann die dahin gehörigen Beſitzungen an die Nachkommen Rubolfs IV,
fielen. Defien Söhne waren Friedrich III. und Rudolf V. Erfterer
nahm feinen Sit zu Baden, Letzterer zu Pforzheim, weshalb er auch
den Titel feines Vaters: „Herr zu Pforzheim“ fortführte. Gleich
diefem und noch häufiger als der Bater heißt and Rudolf V. der Weder.
Er jtarb 1361 in Pforzheim kinderlos, weshalb alle badifchen Befitungen
in ber Hand des Schnes feines ältern Bruders, nämlid Rudolfs VL
oder des Langen, wieder vereinigt wurden. In dem Lebenbrief, den
ihm Kaifer Karl IV. 1362 ausftellte, ift zum erften Mat offiziell von
„einem Fürftentbum der Markgrafſchaft Baden” die Rede.
Kam es auch bald mac feinem Tod, welder 1372 erfolgte, zu einer
neuen Theilung feines Landes umter feine zwei Söhne Bernhard I. und
Rudolf VIL, fo fielen doch des Lebtern Beſitzungen bei feinem Abſterben
93
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert.
terregn um
* —————
Rudolf von Habsburg
1273-1291:
Adolf von Naſſau
1291— 129.
Albrechtl. 1298— 1308,
Heinrich VII,
1308 —1313.
Lubwig der Baier und
riedrich non Oeſterreich
313—1330 bez. 1347:
Rudolf I. + 1288. \
(Rforzheim.)
Herrmann VIT. 1291. Rudolf I. + 129%. Heſſo + 1297. Rudoelf IN. + 1332.
(Pforzheim.)
Friedrich IE. + 1333. Rudolf IV. + 1348. Herrmann 1300. Herrmann Hr, Rudolf Heflo + 1335.
(Herr zu Pforzheim.)
En — —— — PER
—ñ———— ——
| ET nn
Karl IV, 1847—1373.|Herrmann IX. + 1353. Friedrich INT. + 1353 Rudolf V. + 1361, Margaretha, Adelheid,
| (Herr zu Pforzheim.) . Gemahlin Gemahlin
| Friedt. IM. Rudolis V.
Wenzel 1378 — 1400, Friedridd und Rudolf Rudolf VI + 1372. Ä
7 als Kinder. (Pforzheim.)
——— — —— — —
Bernhard I. + 1431. Rudolf VII. + 1391.
(Rforzheim.)
94 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
im Jahr 1394 wieder an jenen zurüd, jo daß BernbardI oder der
Große wieder Herr der ganzen Martgrafichaft Baden war.
Vorftehende genealogifhe Tabelle, weldhe die Zeit von Rudolf I.
bis zu Bernhard I. umfaßt, wird behufs leichterer Ueberſicht ſowohl der
badifchen Gejchichte im Allgemeinen, als der Stadt Pforzheim, ſoweit
fi) diefelbe auf die Herren von Pforzheim bezieht, eine nicht umer:
wünſchte Zugabe fein. Die damit verbundene Reihenangabe der deutichen
Kaifer mag demjenigen, der eine nähere Kenntniß der deutichen Geſchichte
befigt, ebenfalls zu befjerer Drientirung dienen,
$ 2. Befonderes.
(Bforzbeim nah Außen.)
Da Pforzheim in damaliger Zeit die bedeutendfte Stadt der Mark—
grafichaft und Mefidenz mehrerer Markgrafen war, die fich zum heil
nad ihr benannten, jo kann es nicht auffallen, daß fie bei manchen
Negierungsbandlungen, namentlich Fehden ihrer Herren, die im jener
unrubvollen Zeit jo häufig waren, genannt wird, und nicht felten auch,
wie ſchon früher, in den Strudel der Ereigniſſe bineingezogen wurde,
Im Jahr 1314 war es nach den Tod des Kaijers Heinrich VIL
von Luremburg bei der Erwählung eines neuen Kaifers leider zu einer
Doppelwahl gefommen, indem ſich ein Theil der Stimmen auf Ludwig
von Baiern und der andere auf Friedrich den Schönen von Defterreich
vereinigte. Daraus entftand ein achtjähriger verbeerender Krieg, der erft
1322 durdy die Schlacht von Mühldorf, in welcher Friedrich gefchlagen
und gefangen genommen wurde, ſein Ende fand. Die Markgrafen von
- Baden ftanden zuerjt auf der Seite Friedrichs von Defterreih, und da
die nahegelegene Stadt Speier dem Kaifer Ludwig gehuldigt hatte, fo
wurde fie vom Bruder Friedrichs, dem Herzog Leopold von Defterreic,
mehrmals belagert, fo im Jahr 1320, wobei ihm Markgraf Rudolf IV.
Hilfe leiftete. Unter den Städten ,. welche das Ihre dazu Keitrugen,
wird neben Durlah, Stellhofen, Befigheim und überhaupt 88 andern
aud Pforzheim genannt. 1) Nachdem ſich jedoch das Kriegsglüd für
Ludwig von Baiern entſchieden hatte, ſchloſſen ſich die Markgrafen von
1) Lehmann, Chronifa der freien Reichsſtadt Speier, S. 761.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 9
Baden an diefen an; Mudolf IV. föhnte ſich alsdann ach mit der Stadt
Speier wieder aus, und erfeßte ihr den Schaden, den er ihr zugefügt,
durch Erlegung einer Summe Geldes.
Im Jahr 1338 trat die Burg Weißenſtein ſammt Zubehör, 1)
fowie theilweife aud Pforzheim, in ein eigenthümliches Lehenverhältniß
zu Mainz. Nacd den wenigen und Furzen Notizen darüber, welche noch
vorhanden find, ?) mag der Sachverhalt folgender gewefen fein: die erfte
Gemahlin Markgraf Rudelfs IV. war Luitgarde, Mittwe des Grafen
Albredst von Löwenſtein. Bald nad ihrer Vermählung, melde 1322
erfolgte, gab fie für ihren minderjährigen Sohn erfter Ehe ihrem num:
mehrigen Gemahl das Städtchen Bönnigheim und die Burg Magen:
beim 3) zu kaufen, eine Veräußerung, welche 1329 der indeß volljährig
gewordene Sohn Yuitgardens, Graf Nikolaus von Köwenftein, beftätigte.?)
Nun ftanden aber jene beiden Orte unter mainzifcher Oberlehensherr:
fichkeit, weshalb Markgraf Rudolf von dem Erzbifchof von Mainz damit
belebnt ‚wurde. Bald darauf, nämlich 1338, verkaufte er jedoch Bönnig—
beim “wieder an einen deln von Sachſenheim. Es fcheint dabei
die Kehensverbindlichfeit gegen Mainz unter der Bedingung aufgehört zu
haben, daß der Markgraf andere eigentbümliche Güter an Mainz über:
gab, und von dort wieder als Lehen zurüdempfing, und zwar die Burg
Weikenftein fammt Zubehör, ferner das Schultheißenamt, das
alte Ungeld und alle Mühlen zu Pforzheim. Dieſes Lehen:
verhältnig dauerte mehrere hundert Jahre.
Auf Ludwig den Baier folgte Kaifer Karl IV. Als derielbe nad
Beendigung des Neichstages von Nürnberg 1347 die oberrheinifchen
Städte befuchte, hielt er fih, von Leonberg kommend, auch bei dem
Markgrafen Rudolf IV. am 9. Dezember zu Pforzheim auf und
nahm in der Stadt, wahricheinlih im marfgräffihen Schlofie, fein
Nachtquartier. Non bier aus befahl er den Landvögten Eberhard (dem
) Tiefe beftand in dem Thal Weißenftein mit den Höfen und Höufern
Diliftein und Falkengarten umd andern dergl. Höfen und Hänfern, allen Steuern,
Fülten, Etrafen, Frobndienften, Benützung von Wald, Waide und dem Zehn—
ten von Büchenbronn, ferner der Mühle zu Weipenflein, den Wäldern Wafferz,
Mübl: und Zwerchhalde und dem Waſſerzoll.
2) Bergl. Sache, I, 280 und Lotthammer, Pforzheims Vorzeit, 169,
3) Beide liegen im heutigen wilrttembergiichen Oberamt Befigheim,
+) Stälin, II,, 683.
96 Achtes Kapitel. Pforzheim ım 14. Jahrhunbert,
Greiner oder Rauſchebart) und Ulrich von Württemberg, das Klofter
Herrenalb, das er in feinen Schirm genommen, zu jhüten, und beftätigte
der Deutichordenstommende zu Ulm den Befit der Pfarrkirche zu Herr:
lingen. Am folgenden Tag ſetzte der Kaifer feine Reife nad) Baſel fort.
Auf Markgraf Rudolf IV., der 1348 ftärb, folgten, wie ſchon
erwähnt, jeine Söhne Friedrich III. und Rudolf V. Beiden buldigt
am: Dienftag nad St. Nikolaustage 1348 die Bürgerihaft von Pfor z—
beim und ſchwört „den bochgeedelten Markgrav Friedrichen und Mark:
grad Nudolfen, genannt dem Weder, Gebrüdern von Baden und Herm
zu Pforzheim, ſich mit ihrem Leib und Gut, mit ihren Weibern umd
Kindern niemals von ihnen zu entfremden.” Durch ſolche Huldigungen
fuchten die Fürften eimerjeits die Landftädte jelbft fefter an ſich zu Ketten,
damit fie nicht von den Meichsftädten, die damals in Kräftigfter Blüte
ftanden und zur Beichräntung der fürftlichen Macht fi) durch Bündniffe
fejter aneinander ſchloſſen, in ihr Anterefje gezogen und vom Gehorjam
gegen ihren Landesherrn abwendig gemacht werden möchten; andererfeits
wollten fie dadurd auch verhindern, daß nicht einzelne Bürger ſich von
den Reichsſtädten als. fogenannte Pfahlbürger aufnehmen ließen oder zu
andern Herrn zögen. Es läßt fi annehmen, daß die benachbarten
jhwäbiichen Reichsſtädte es Pforzheim gegenüber an folden Verſuchen
nicht fehlen Tießen, Aehnliche Verficherungen wie der Markgrafen von
Baden ließ fich um jene Zeit auch der Graf von Württemberg von den
Städten Böblingen, Bradenheim, Xeonberg ꝛc. geben, und fogar noch
den Zuſatz machen, daß fie im Fall der Entfremdung „als treulos,
ehrlos und meineidig feiner Herrſchaft mit Leib und Gut gänzlich ver:
fallen wären. #3) Im Jahr 1382 ließ ſich Markgraf Bernhard fogar
ein Privilegium von Kaifer Wenzel darüber ausftellen, daß Niemand
von Fürſten, Herren oder Städten einen badifchen Unterthan in fein Land
oder Burgredyt aufnehmen folle.
Zu den vielen ftaatlichen Wirren gejellte fi damals noch eine
andere Noth. Der Schwarze Tod, eine furchtbare Seuche, welche
Erdbeben, furchtbare Stürme und Hungersnot porausgingen, war durch
Kaufleute aus dem Morgenlande nach Italien verfchleppt worden und
verbreitete fich von dort aus über ganz Europa mit folder Wuth, daß
in wenigen Jahren vielleicht zwei Drittel der ganzen Bevölkerung unferes
') Stälin, II, 331.
Achtes Kapitel, Pforzheim in 14. Jahrhundert, 97
Erdtheiles hinweggerafft waren, Beſonders viel Dpfer forderte biefe
Peft in den Städten, von denen manche ganz weröbeten. Go ftarben
3.2. in Villingen 4000, in Bafel 14,000, in Straßburg fogar 16,000
Einwohner. 1) Es fehlen uns nähere Nachrichten über das Auftreten
diefer Seuche in Pforzheim und die Verheerungen, welche fie daſelbſt
angerichtet; fie mag indefien in diefer Stadt nicht weniger als ander
wöärts gewüthet Haben. Damals war es auch, daß ſich der rohe Fana-
tiemus des Volkes gegen die Juden wandte und diefe ohnehin vechtfofe
Bewohnerklaſſe befchuldigte, die Peſt durch Vergiftung der Brummen ꝛc.
berbeigeführt zu haben. Es ergingen deshalb über bie Juden die bu:
tigften Verfolgungen. In Konftanz 3. B. wurden 27 Juben, denen
man Täfterlihen Muthwillen mit dem Sakrament des Altars vorwarf,
lebendig verbrannt, und 1348 mußten fogar alle Juden, welche ſich
wicht zum UWebertritt in die hriftliche Kirche verftanden, den Feuertod
erleiden. In Baſel wurden die Unglücklichen in eine hölzerne Hütte,
die auf einem Rheinfloß erbaut war, eingefperrt und ſammt dieſem
und jener 1349 den Flammen preisgegeben. Einige Tage nachher über:
lieferte die Stadt Freiburg alle Juden dem Teuertode; Gleiches geſchah
zu Breifah, Neuenburg und Endingen. Der Magiftrat der Stadt
Straßburg ließ im nämlichen Jahr 900 Juden Tebendig verbrennen.
In Eplingen verfchloffen fich die „Juden felber in ihre Synagoge und fteckten
ſolche in Brand. In Pforzheim mag man mit ihnen nicht glimpflicher, als
anderwärts verfahren fein; denn daß Juden daſelbſt wohnten, beweist der
ſchon früh vorfommende Name ber „Judengaſſe.“ (Vergl. auch S. 88.)
Man rechnet, daß in dem einzigen Jahr 1348 nicht weniger als 12,000
Juden durch foldhe Verfolgungen ihren Tod gefunden haben.) Waren
letztere der ftärkfte Ausflug des Fanatismus, den der ſchwarze Tod
erzeugt hatte, fo veranlaßte anf der andern Seite der tiefe Eindrud ber
herrſchenden Peft das Aufkommen einer Sekte, welche durch Geifelungen
und Geifelaufzüge den Zorn Gottes verföhnen mollt. Man nannte fie
deshalb Geisler, (Flagellanten, Flegler). Sie zogen von Ort zu Ort
in ganzen Schaaren, gewöhnlich eine prächtige Fahne voraus, wurden
mit Glodengeläute empfangen und trugen Mäntel und Fleine Hirte mit
rotben Kreuzen, Ihre gemeinfchaftlichen Selbftpeinigungen bejtanden
) Baber, bad. Landesgeſchichte, S. 292,
*) Bergl, Bader, bad. Landesgeſchichte, S. 292 und Stälin UII., 244.
Pflüger, Pforpbeim. nn 7
rim! 9* 14
t Mae Ze *244
98 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
barin, daß fie fich der Neihe nach auf die Erde nieberlegten, worauf
ihr Meifter ihren emtblößten Rüden fo Tange geifelte, bis das Blut
ſtromweis berunterlief. Ein folder unheimlicher Geislerihmwarm zog im
Frühjahr 1349, von Würzburg berfommend, auch durd) unfere Gegen:
den,!) und mag neben Weil der Stadt, Calw, Herrenberg, Tübingen
und andern benachbarten Städten, wo fein Erſcheinen geſchichtlich nach—
gewiefen werden kann, auf feinem Ing, der zuleßt durch Baden nad
dem Elſaß ging, auch Pforzheim berührt haben.
Am Jahr 1361 am Dienftag nah Oculi verlieh Kaiſer Karl IV.
dem Markgrafen Rudolf VI (dem Langen) zu Nürnberg die Freiheit,
für fid) und feine Nachktommen in ber Stadt Pforzheim vom Wein
und Getreide ein Ungeld zu erheben, und zwar im ähnlicher Weiſe,
wie dies durch andere Fürſten auch gefchehe. 2) Die betreffende Urkunde
lautet : 3)
„Wir Karl von Gottes Gnaden, römiſcher Kaifer, zu allen Zeiten
Mehrer des Reichs und König zu Boheimb, befemen und thun Fund
öffentlich mit diefem Brief allen denen, die ihn ſehen und hören leien,
daß wir haben angejehen ftete und getreue Dienfte, die ung und dem
heiligen Neiche der hochgeborene Rudolf der Jüngere, Markgraf zu
Baden und Herr zu Pforzheim, oft gethan hat und thun fol und mag
in künftigen Zeiten, und haben ihm von unfern jonderlichen Gnaden
fold) Gnad gethan und thun auch mit diefem Brief, daß er und jeine
Erben in jener ehgenannnten Stadt Pforzheim ein Ungeld auf Wein
und Korn aller Früchte feßen, und davon nehmen mag und jollend, nach
des Landes Recht und Gewohnbeit und ohne alle Gefährde, als wir und
des Reiches Fürften und Herren in Unferen und ihren Städten pflegen
zu nehmen. Mit Urkund diefes Briefes, verfiegelt mit Unferm faifer:
lichen nfiegel, der geben ijt zu Nürnberg nach Ehrifti Geburt dreyzehn⸗
hundert Jahr, darnach in den einundſechszigſten Jahr des nächſten Dien-
tags nach dem Sonntag, als man faget Oeuli, Unferer Reiche in dem
fünfzehnten und des Kaiferthums in dem jechsten Jahr. *
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts herrichten faſt fortwährende
Kämpfe zwiſchen den ſchwäbiſchen Neichsftädten, die ſich zu einem furdht-
— — — —
1) Stälin, IH,, 246; Tiſchen dorf, die Geisler (Leipzig 1810), ©. 19 ff.
) Sad, IL, 163.
9) Alten des Generallandesarchivs.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, 99
baren Bunde 1) vereinigt batten, und den Herren, deren Länder an
ihre Gebiete gränzten, befonders aber dem Grafen von Württemberg.
Dagegen ſchloſſen die Herren auch wieder ihre Bündniffe, von denen
der Löwenbund und der Schlegferbund, die fich aber felbft oft wieder
in den Haaren lagen, die befannteften geworden find, 2) fo daß bei der
Ohnmacht und Untüchtigkeit des damaligen Kaifers Wenzel ganz
Deutichland, namentlich das füdliche, das Bild einer wilden Zerriffen-
beit bet. Auch die Markgrafen von Baden nahmen an diefen bin-
tigen Kämpfen, bei denen gegenfeitige Mordbrennerei an der Tages—
ordnung war, mehrfach Theil, was unter Anderm im Jahr 1388
eine Verheerung der badifchen Lande, 3) jedenfalls in erſter Reihe
der den ſchwäbiſchen Neichsftädten nahe Tiegenden, alſo auch dev Ge—
gend von Pforzheim, zur folge hatte. Heiß entbrannte namentlich
der Kampf im Nuguft 1388 um den befeftigten Kirchhof des Dorfes
Döffingen, (d Stunden von Pforzheim und 1 Stunde von Weil
der Stadt entfernt), wohin die württembergiſchen Bauern beim Ein:
bruch der Städter ihr Vieb und ihre Habe geflüchtet hatten, ber:
bard der Greiner brachte aber den letstern mit Hilfe des Pfalzgrafen Rup-
recht, des Markgrafen Nudolf VII. von Baden und anderer Herrn,
freilich mit Verluſt feines Sohnes Ulrich, eine empfindliche Niederlage
bei. Bald nachher, nämlich 1395, eroberte er durch umvermutbeten
nächtlichen Weberfall das Städtdyen Heimsheim (Heimjen) und nabm
dafelbft mehrere Häupter des Schleglerbundes gefangen. Unter den-
jenigen, welche bei der Niederbremmung des Städtchens Berlufte er:
litten batten und deßhalb gegen den Grafen Eberhard auf Schadlos-
haltung Hagten, war auc der Bürger Aberlin Gößlin aus Porz
heim, der cine Forderung won 500 Gulden jtellte. ) Ob er dieſe
Summe vom Grafen erhalten, weiß ich nicht. Da die Schlegler
) Es gehörten dazu die Etädte: Augsburg, Ulm, Konftanz. Eplingen,
Reutlingen, Rottweil, Weil die Stadt, Ueberlingen, Memmingen, Biberach,
Ravensburg, Lindau, St. Gallen, Kempten, Kaufbeuern, Leutfirh, Ißny,
Wangen, Pfullendorf, Weyl in Thurgau, Buchhorn, Buchau, Nörplingen,
Dinkelsbühl, Bopfingen, Aalen, Rottenburg a. T., Gmünd, Hall, Heilbronn,
Wimpfen, Weinsberg. Später famen noch mehrere andere dazu.
2) Namentlih durch AUhlands „Eberhard ber Greiner,“
») Sachs Il, IM.
*) Gehres, Chronik von Weilerftadt, ©. 75.
4100 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert,
troß dieſer Niederlagen und Berlufte nicht ganz unterbrüct werben
konnten und auch eine gegen fie gerichtete Verordnung des Kaifers
Menzel unbeachtet blieb, jo gaben die Fürften ihren Bündniſſen gegen
die Schlegler eine weitere Ausdehnung, und .es vereinigte ſich zu
dem Ende am 18. Dez. 1395 in Pforzheim cine größere An:
zahl von Fürften, fo der Erzbiſchof von Mainz, der Biſchof
von Speier, der Pialzgraf, der Markgraf von Baden, Herzog Lupolt
der Die von Deftreih, Graf Eberhard von Württemberg und die
Abgeordneten von 15 ſchwäbiſchen Städten. Aehnliches geihab bald
nachher auch zu Mergentheim. Da verzweifelte die Schleglergeiellichaft
an einem weiteren Erfolge ihres Widerftandes und ließ fih am
3. Februar 1396 in Pforzheim zu nacgiebigen Verhandlungen
mit dem Grafen von Mürttemberg herbei. Noh im nämlichen
Jahr erloſch der Bund. ')
Es ift fo eben von dem befeſtigten Kirchhof zu Döffingen die
Nede geweſen. Dergleihen gab es damals in vielen Dörfern, und
fie dienten den Landbewohnern hauptſächlich dazu, den wertbuollern
Theil ihrer Habe bei Kriegsgefahr dahin zu flüchten. 2) Ueberreſte
derartiger Befeftigungen finden fich noch in manden Orten, jo 3. B.
in Niefern, Dietlingen, Eifingen ꝛc. In Oeſchelbronn find fie mit den kaſſe—
mattenähnlichen Gewölben in neuerer Zeit verfchwunden; daſelbſt waren
fie mindeftens ſchon im 14. Jahrhundert vorhanden, 3) In Diet:
lingen und Cifingen hatte früher jeder Bürger des Orts auf dem
Kirchenfpeiher einen Heinen Bretterverfchlag, Gaden genannt, wo er
jeine werthvollſte Habe bergen konnte. Im Eifingen mußten für
jeden Gaden jährlih 1 bis 3 Kreuzer Zins bezahlt werden, und
e8 vererbten fich diefelben in den einzelnen Familien, #)
Wie in Schwaben, fo fehlte es auch anderwärts an Fehden
zwiſchen dem Adel und den Städten nicht. So war 1373 ein
heftiger Streit zwifchen Speier und den Herren Konrad, Heinrich
und Ulrich ven Remchingen und dem Nitter Miprecht von Helmftätt,
Bogt zu Pforzheim, entjtanden. Bei einem Streifzuge erichlugen die
’) Stälin, Il.
2) Bergl. Mone, bad. Ardiv, UL, 148.
2) Mone, Anzeiger VL, 241.
s R Pforzheimer Diozes, Kirchen: und Schulbeihreibung von 1735 (Landes
arhiv), ’
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 101
Söldner von Speier den Ritter Ulrich von Remchingen vor feinem Haufe ;
bei einem andern Zug jededy erlitten fie auf dem Feld von Bruch—
jal und Möffingen großen Verluft, da ſich der Adel durch Bürger
von Bretten und Pforzheim verftärft hatte. Ginige Tage nachher
wurden jedoch wieder einige Bürger von Pforzheim gefangen nad)
Speier gebracht. So ſcheint das Kriegsglüd noch mehrmals gewechfelt
zu baben, bis endlich Biſchof Adolf von Speier zwifchen beiden
Theilen zu Germersheim am Samstag nad) Urban defielben Jahres
Frieden ftiftete, ')
8. 3, Inneres.
a) Schultheißen.
Im Anſchluß an das, was oben (S. 70 fi.) über die erften
Schultheißen Pforzheims gejagt ift, möge bier die Reihenfolge der
jelben um fo mehr ergänzt werden, als diefe Beamten auf die
innern Verhältniſſe der Stadt einen großen Einfluß ausübten und
zwiſchen Megierung und Bürgern ein wejentlihes Mittelglied im
damaligen ftaatlihhen Organismus bildeten. Auf Heinrich von Stei—
mar folgte wieder ein Schultheig Yriedrich oder Frizze (Frizzo.)
Derjelbe wird in verichiedenen Urkunden genannt, fo in eimer folden
vom 1. Septbr. 1300, worin das Stadtgeriht in Pforzheim eine
Schenkung des Bürgers Berthold Widmann und feiner Frau Richenza
au das Klofter Herrenalb beglaubigt; ebenfo kommt er wieder im
Februar 1302 vor, an welchem Tage Schultheiß und Stadtgericht
zu Pforzheim 2) urkunden, daß Diether, Schuitheig von Ellmendingen,
und feine Frau Irmentrut um 60 Pid. Heller, die fie empfangen
haben, an das Klofter Herrenalb den von bdiefem um 1 Malter
Spelz jährlihen Zinfes bisher als Zinslehen befefienen vierten Theil
des Groß: und Kleinzehntensg zu Ellmendingen verkauft, übergeben
und auf alle ihre Rechte daran verzichtet haben, doch fe,
!) Lehmann, Epeierer Chronik 814.
2) Die Urkunden beginnen mit der fländigen Formel: Nos Fridericus
scultetus, jurati, ceterique cives in Phorzhein :c., d. h. Wir S chultpeißpgriebrich,
die Geſchworenen (Stadträthe) und die übrigen Bürger zu Pforzheim ıc,
102 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert,
daß der Irmentrut und ihrem Sohn Diether der Kleinzehnt anf
ihre Lebenszeit verbleiben, nad ihrem Tode aber dem Kloſter zu:
fallen folle, ) Endlich wird Schultheiß Frizze als Bürge in
einer Kaufurkunde vom Juli 1303 genannt, nach weldyer der Ritter
Simen von Königsbach ud feine Kinder einen Hof im Spranthal
um 30 Pd. Heller an Herrenalb verkaufen, — Im Mai 1312 dagegen
urfundet bereits ein Schultheiß Heinrich mit dem Stadtgericht eine
Schenkung des Bürgers Heinrich lade und feiner Kinder (von Weinbergen
in Dertingen an Herrenalb), und finden wir dieſen Schultheigen in
einer Urkunde vom 24. Dez. 1319 als Heinrich von Eberdingen oder
Eberdringen?) bezeichnet. Daß derfelbe in Pforzheim ein eigenes Haus,
und zwar „am Waſſer vor dem Tränkthor“ beſaß, geht aus der
Stiftungsurtunde der früheften Siechenanftalt vom Jahr 1322 hervor.
(Siehe unten.) 3) Doch jcheint er damals nicht mehr Schultheiß
gewefen zu fein, da bereits am 20, Juni 1321 ein Schultheiß
Wader in einer Urkunde genannt wird, nad) weldyer die Bürger
Albrecht, Erlewin und Gottbold Weile als Pfleger und Vormünder
der Kinder des verftorbenen Gottbold für ihre Mündel eine Schuld
von 20 Pf. Heller mit Zinfen und Gefällen zu Ellmendingen und
Schellbrom bezahlen. Am Sabre 1328 bekleidete das Schultheißen—
amt Wernber Göldelin, und wird mit den Bürgern und Nic:
tern „Gozzolt der Waife und Gunter in dem Houe“ in einer Ur:
kunde vom 17. Dftober jenes Jahres aufgeführt, nach welcher der
Bürger „Hainrih der Riſe zu Pforzbain um finer fele hailes willen
vnd aller jiner vordern vnd nach kummen“ den vierten Theil des Laien:
zehntens zu Weingarten, „daz aim febztail ijt alles zenbenden zu
MWingarten in dem Dorf und vf der marg, ze velde und ze walde,
an korn, an wine, an ballern oder an andern nützen, wie die haiz-
') Allen diefen Urkunden (meift aus dem SHerrenalber Archiv) ift oder
war das Seite 79 abgebildete Siegel der Stadt Pforzheim angehängt.
?) Eberdingen oder Eberbringen am Strudelbahb im O. A. Baihingen
war chedem cin badiſcher Ort, der mit andern calwiſchen Befigungen an Baden
gefommen war. Die v. Eberdingen waren Lebensleute der Grafen von
Galw, fpäter von Löwenftein und fommen vom 12. bis 14. Jahrhundert vor,
3) Sein Grabſtein ift noch vorhanden und fteht an der Wand der vordern
rechten Scitenfapelle der Schloßkirche. Bon der Umfchrift Taffen ſich noch bie
Worte entziffern: 7 Anno dmmi, 1324 in die... .. Henricus de Eberdringen
» scult. requiescat in pace am,
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 103
zent oder wie man die nennet“, dem Kloſter Herrenalb übergab.
Die Familie der Göldlin ftand im 14. Jahrhundert in Pforzheim
in großem Anfehen *) (S. 85) und hatten diejelben ihren Namen ihrem
Reihthum zu danken; denn eigentlich hießen fie von Tiefenau, 2)
und werden deßhalb fpäter auch als Göldlin von Tiefenau aufge:
führt. 3) Das Schultheigenamt ſcheint auch während eines großen Theiles
des 14. Jahrhunderts bei diefer Familie geblieben zu jein; wenigſtens
ſpricht dafür eine in der Schloßkirche noch erhaltene Inſchrift 4) auf
Luitgarde, genannt Göldenerin, Gattin des Schultheifen Hein:
rich, welche 1371 ftarb. (Daß Gäldener und Göldlin identiſch
find, ift wohl nicht zu bezweifeln.) Im Jahr 1345 hieß der Schult:
heiß Seßelin; 1367 und 1371 Goßlin; 1383 Albert, wahr:
ſcheinlich auch Söldner oder Goßlin. — Vogt zu Pforzheim war 1356
Wipreht von Helmftett, Herr zu Bifchofsheim und Buchelbach, 1373
Gerhart Utzlinger, 1388 und 1391 Hang Conzmann. Diefer be:
fiegelt im erjterm „Jahre einen zwiſchen Württemberg und Baden zu
Leonberg geſchloſſenen Ginigungsvertrag; 5) in letzterm Jahre ift er
Mitbürge für die Summe von 400 fl., welche Markgraf Bernhard I.
zu einem Seelgeräthe für feinen verftorbenen Bruder Rudolf dem Klofter
Lichtenthal ausgefet bat. Conzmann wurde fpäter Amtmann in Baden,
wo er fih viele Vergehungen zu Schulden kommen ließ, weßhalb er
abgejeßt wurde und Entſchädigung leiten mußte,
') Bergl. Lotthammer, Piorzheims Vorzeit, ©, 146, Sads U., 235,
Tſchudi, Schweizerdhronif 1, 624, Leihtlin, Beiträge, 186.
) Das Stammſchloß Tiefenau lag wahricheinlih bei Sinsheim (O.A.
Baden, und trägt dafelbit ein Hof dieſen Namen nod.
) Ein Heinrih Göldlin von Tiefenau gerietb zu Ende des 14. Jahrbun:
berts) in heftigen Streit mit bem Markgrafen Bernhard. Es wird fpäter mehr
davon bie Rebe fein.
4) Diejelbe findet fih an der Wand der einen Seitenfapelle und lautet:
Anno domini 1371 feria sexta post dnicam letare obiit Luitgardis dicta Göln-
denerin uxor heinrici Stulteti, amen. Pfortzheim. Requiescat in pace. D. h. „Im
Jahr des Herm 1371 am Samstag nach Lätare farb Luitgard, genannt Bölnde
nerin, Gemahlin des Schultheißen Heinrich, Amen. Pforzheim. Sie ruhe in
Frieden!“
°) Steinhofer, württemb. Ehronif, II, 464.
104 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert,
b. Klöfter, Kirchen, Spitäler x.
Vielfach finden wir wieder in Urkunden ꝛc. des 14. Jahrhunderts
verfchiedener Klöfter und der Beziehungen gedacht, in welche die Stadt
Pforzheim oder einzelne ihrer Theile, auch Familien und Bürger darin
zu denſelben getreten find. Sehen wir, um folhe Verhältniſſe aus:
einander zu ſetzen, zuerſt nach den betreffenden auswärtigen Klöftern, um
fodann in der Stadt felbjt wieder die nöthige Umſchau zu balten,
Bon jenen it in erfter Reihe Lichtenthal zu nennen. Der
Gründung diefes Eifterzienferkflofters durch Markgräfin Irmengard (1245)
ift im vorigen Kapitel bereits gedacht worden. In Folge frommer Ber:
mächtnifje, ſowohl von Seiten der badifchen Markgrafen, als des benach—
barten Adels, war dasſelbe nah und nad zu bedeutendem Beſitzthum
gelangt, 1) und namentlich waren ihm auch die Kirchenfäge von Baden,
Ettlingen, Mali, Steinbach ꝛc. und damit das Patronatrecht diefer
Kirchen gefchenft worden. Gleiches geſchah 1344 auch mit den beiden
Kirchen in Pforzheim.?) Am 21. Februar jenes Jahres ftellte Mark:
graf Rudolf IV. eine Urkunde aus, nad) welder er mit feiner Gemahlin
Maria, Gräfin von Detingen, und mit Zuftimmung feiner Söhne, der
Markgrafen Friedrich III. und Rudolf V. und ebenfo feines Neffen, des
Markgrafen Herrmann IX. und defien Gemahlin Mechthild, Gräfin von
Vaihingen, mit Berathung der Aebte Wernher von Neuburg und Rupert
von Herrenalb und mit Wiſſen ihres Vetters, des Grafen Berthold von
Eberftein und des Ritters Burkard von Spät, das Patronatrecht über
die Kirche zu Pforzheim mit allen anflebenden Rechten und Nubungen
an das Klofter Lichtenthal vergab, welches fortan das Einkommen der:
felben nach erlangter Inkorporation der Kirche in das Klofter beziehen
und auf Lebensunterhalt und Kleidung feiner Angehörigen und die Auf:
befierung feiner Pründen verwenden, dafür aber auch ihr, ihrer Vor—
fahren, Erben und MWohlthäter und insbefondere ihres Oheims, des
Markgrafen Rudolf II. Gedächtniß begehen follten. Die Ankorporation
wurde am 5. Juli 1344 durch Bifhof Gerhard von Speier mit Yu:
ftimmung des dortigen Domkapitels vollzogen, um, wie e8 in der betr.
!) Vergl. Herr: Das Klofter Lichtenthal, feine Kirche und Kapelle (1833) ;
Bader: Kurzgefaßte Geichichte des altbadiſchen Frauenklofters Lichtenthal (1845);
Bader: Die Stifter des Klofters Lichtenthal ıc. (1845).
*) Bergl. Mones Zeitichrift VIEL, 482, 490, VIII. 81, 456.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 105
Urkunde heißt, der großen Noth, worin ſich das Klofter befand, dadurch
abzubelfen. Die päpftlihe Beftätigung aller diefer Inkorporationen
Baden, Ettlingen, Pforzheim ꝛc.) erfolgte erſt 1379. — Unterm
26. Juni 1347 wurde das neue Verhältniß, in welches die beiden in—
korporirten Kirchen von Pforzheim, nämlich die Mutterkirche von
St. Martin (Atjtadt) und die Filialfirhde von St. Michael
Schlogkirche) zu dem Klofter treten follten, ebenſo das Verhältniß diefer
beiden Kirchen zu einander, durch den Speierer Propft Ulrich von Wir:
tenberg geregelt. Dem Klofter war nämlich ſchon in der Uebertragungss
urfunde die Verpflihtung auferlegt worden, für die Pforzheimer Kirche
einen eigenen Pfarrer oder doch einen ftändigen Pfarrverwefer (vicarius
perpetuus) zu halten und aus dem Kirchenfage, der jedenfalls jehr be—
deutend geweſen fein muß, zu befolden. Es wurde nun feftgefegt, da
der Pfarrverweſer alle Accidenzien, die Zinſen der für Jahrestage ges
machten Stiftungen, und den Kleinen Zehnten in Stadt und Altſtadt,
jowie den umliegenden Filialien (Würm, Huchenfeld, Dillftein, Weißen:
ftein) als fein Einkommen erhalten, aber verpflichtet fein ſolle, daraus
jährlich 30 Pfund Heller an das Klofter Lichtenthal abzugeben. Er
mußte zwei Hilfspriefter halten, von denen einer bei Tag und Nacht in
dem dazu bejtimmten Haufe bei der Altjtädter Kirche bleiben mußte, un
mit Hilfe des dortigen Hirfchauer Präbendarius (wahrfcheinlich der
St. Nitolausfapelle) alle kirchlichen Funktionen zu verrichten, namentlich
Sterbende zu verfehen. Alle Kinder, der alten Stadt fowohl, als der
neuen und der Yilialgemeinden, jollten nur in der Kirche zu St. Martin
und nicht zu St. Michael, und zwar entweder vom Pfarrverwefer felber,
oder von einem jeiner Hilfspriefter getauft, und im derfelben Kirche auch
alle Bekanntmachungen, Verkündigungen zc. vorgenommen werden, Der
Pfarrverwejer, oder irgend ein Anderer, der einen großen Theil des
Kirchengutes befäße, jolle auch verpflichtet fein, das erforderliche Zucht:
vieh, nämlid den Karren, Eber und Widder zu halten. Käme ber
Pfarrverwefer jeinen Verpflichtungen, namentlich bezüglicd der Verſehung
von Sterbenden und der am Lichtenthal zu bezahlenden 30 Pfund Heller,
nicht nach, jo folle er ohne Weiteres vom Bifchof abgeſetzt werben können.
Die Urkunden, denen alle diefe Beftimmungen entngmmen wurden,
find ſehr belehrend für manche der damaligen Verbältnifie Pforzheims.
Zum erjten Male ift darin mit Bejtimmtdeit von den beiden Haupts
106 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14, Jahrhundert.
Kirchen der Stadt, nämlich der St, Martins: ') und der St. Michaels:
firche die Rede, und wird jene die Mutter: und dieſe die Tochterkirche
oder das Filial genannt. Doch drohte die Tochter der Mutter bereits
über den Kopf zu wachen, was daraus zu entnehmen, daß der Pfarrer
für beide Kirchen in der neuen Stadt, in der alten dagegen nur ein
Hilfspriefter die Wohnung zu nehmen hatte, Immerhin blieb aber da:
mals St. Martin vor St. Michael das Necht der Proklamationen, der
Taufen ıc, gewahrt. Es geht aus allem dem von ſelbſt hervor, daß
die Altſtadtkirche die Ältere it und daß, wenn früher im Allgemeinen
von einer Kirche in Pforzheim die Nede war, zunächſt dieſe und im
zweiter Reihe die Schloßfirche gemeint fein konnte. Daß letztere Kirche
aber in der Mitte des 14. Jahrhunderts vollendet daftand, iſt eben fo
wenig zu bezweifeln. Vom älteften Theil diefer Kirche und der wahr:
ſcheinlichen Zeit feiner Erbauung ift oben (S. 30) ſchon die Rede ges
weſen. Die Erbauung des Langhauſes ijt mindeftens in das 13. Fahr:
hundert zurüczuverjeßen. Es fpricht dafür nicht nur die ganze Bauart
desfelben, fondern auch die über dem ſüdlichen Eingange befindliche In—
ſchrift: Petite et aceipietis (d. h. bittet, fo wird euch gegeben), deren
Buchſtabenform ganz die Tateinifch = getbifche tft, wie fie im 12, und
13. Jahrhundert üblihb war. Das Chor der Kirche ift, wie wir fpäter
noch berühren werden, vom Jahr 1460, ein Anbau auf der Nordfeite
von 1487. — Die jetige Altftädter Kirche it natürlich nicht mehr die
urfprüngliche, mit Ausnahme der Grundmauern und des Steins mit
den Hieroglyphen über dem Portal, vielleicht au noch andern Mauer:
werte. Die dermalige Kirche mag erft nach dem dreikigjährigen Krieg,
in welchem die Altftadbt abbrannte, gebaut fein. Ihre Vorgängerin, die
der Nachfolgerin noch manche Mefte binterließ, wurde vielleicht 1419
aufgeführt ; denn noch zu Anfang des laufenden Jahrhunderts war an
einem Örundpfeiler der Kirche ein Wappen wahrzunehmen, welches einen
Berſchfiſch vorftellte, in deffen Rücken eine Gabel ftad, Darüber ftand
ber Name Friedrich Berſch und die Jahrzahl 1419, womit vielleicht
dev Baumeifter der Kirche und die Zeit des Wieberaufbanes derjelben
bezeichnet werden follte.
) Sads IV,, 135 ſagt, daß die Altitabtfirche nah einer Urkunde von
1385 St. Maria geheißen babe. Es ift dies aber fi.serlih ein Druck- ober
Schreibfehler oder eine unrichtige Lesart, anftatt St. Martin.
Achtes Kapitel, Pforzbeim im 14. Jahrhundert. 107
Wie die Kirchenſätze jelber, jo ging auch das Necht der Vergebung
des Mefneramtes der Altitadt, und damit zugleih das Einkommen
desfelben, am Lichtenthal über. Im Jahr 1352 verkauften die Pforz«
heimer Bürger Walther, Albrecht, Wernher und Berthold Weiß
ihren Antheil am Meßneramte der Altitadt, das ihre Familie bisher zu
verleihen hatte, um 24 Eleine gute Gulden von Florenz. ') Ebenfo ver-
kaufte die Wittwe von Siegfried Weiß, Hedel von Mönsheim, fanımt
ihren Söhnen Hartmann und Wilhelm Weiß 1353 ihren Antheil am
Mefneramt um 30 fl. ebenfalls an Lichtenthal. Won diefem Kloſter
ging jedoch fraglihes Meßneramt bereits 1359 um die Verfaufsfumme
von 130 Pfund guter Heller mit aller Zubehörde an Hirſchau über.
Um darauf nicht wieder zurückkommen zu müſſen, fügen wir bier noch
bei, daß das Necht der Verleihung des Mefneramtes bei Aufhebung
legtgenannten Klojters an Württemberg ımd 1563 durch Tauſch an die
Markgrafen von Baden kam.
Es möge bier auch der Stiftung zweier Pfründen aus dem Zeit:
raume, in welchem die Pforzheimer Kirchen an Lichtenthal fielen, erwähnt
werden. Am Jahr 1344 ftiftete die Pforzheimer Bürgerin Guta
Phennerin eine ſolche Pfründe in die dortige Kirche und verlieh das
Kollaturreht dem Klofter Maulbronn. Im Jahr 1359 hing Mark—
graf Mudelf V., Herr zu Pforzheim, ſein Siegel an einen Brief, in
welchen Agnes und der Konvent des Franenklofters zu Düren (Beuern,
Ort, zu welchem Lichtenthal gehört), grauen Ordens von Entlers (Gifterz),
dem Schultheißen Hein, Kunzen fel. Sobn, erlauben, eine Frühmeſſe
zu ftiften in der Pfarrkirche zu Pforzheim zu St. Micyael.
Der erfte Geiftliche, den Lichtenthal 1347 anftellte, hieß Rudolf.
Im Jahr 1353 war ihm bereits Johann Steimelin oder Stenne
in nachgefolgt. Das Einkommen desfelben wurde wegen Unzuläng:
fichteit der Pfarrbefoldung um 4 Ruder Wein, (oder ftatt defien 12 Pb.
Heller), 1 Ruder Heu und 1 Ruder Strob erhöht. Dafür mußte er
aber verfprechen, nicht nur die Werbindlichkeiten gegen Lichtenthal püntt-
licher als bisher gefcheben, zu erfüllen, ſondern aud die 19 Pfund
Heller Rückſtände, welche das Kloſter noch zu fordern hatte, in Terminen
abzubezahlen. Eine abermalige Aufbefierung der Pfründe erfolgte 1397
— — —
) Man vergl. zu dieſer und zu andern Stellen das, was weiter unten
über ben Geldkurs des 13. bis 16. Jahrhunderts gejagt iſt.
108 Achtes Kapitel. Pforzheim ım 14. Jahrhundert.
unter Bfarrer Johann Eifenmenger, der fi beflagt hatte, „daz die
phründe zu Kleine were, und daz er ſich vnd die zu im borten (gehörten,
nämlich die beiden Hilfspriefter,) von der felben phründe müczen nit
herneten und begen mohten“ (nicht zu ernähren und zu erhalten ver:
möchte). Er erhielt darauf bin 12 Malter Roggen weiter; auch wurde
ihm das Mepneramt geliehen. Doch mußte er veriprechen, fich mit der
nun wiederholt aufgebefierten Pfarrpfründe bei Strafe des Berluftes
derfelben fortan begnügen zu wollen. Sein Nachfolger Günther
Flad vertaufchte 1384 die Pfarrei Pforzheim gegen eine andere Pfründe
an Berthold Trautwein, welcher die jchriftliche Verficherung geben
mußte, daß er „jelbe pharre zuo Phorkhein in finen händen haben
wil und ein pharrer dar uf bliben die wile er gelebe, und fol da mit
feinen wechſel vmb eine andere pfruonde nummerme getun in dcheine
wife, dann mit einer eptiffen zuo Liechtental guoter wille.” Er wird
auch 1385 als Pfarrer genannt, 1)
Außer dem Kirchenfage und dem, was daran hing, machte Lichten-
thal in Pforzheim noch verfchiedene andere Erwerbungen, Im Jahr 1347
faufte e8 von dein Schultheißen Eberhard von Iptingen (württemberg.
DU. Maulbronn) und feiner Frau Lugart ihr Haus, Scheuer und
Hof zu Pforzheim unten am Prediger-Kloſter, welches Alles von dem
ebenfalls beſagtem Schultheißen gehörigen Steinhaus und Garten getrennt
und unterjteint war, um 8 Pfund Heller Gült, mit der Auflage, daß
jährlich auf Pfingſten dem Kloſter Hirihau 6 Heller Erbzins entrichtet
und zwijchen der Scheuer und dem Steinhaus nie gebaut werde. Im
Jahr 1363 vermacht diefer Eberhard, der nad) dem Tod feiner Frau
und feiner Tochter Irmel in das Dominikanerklofter zu Pforzheim ges
gangen war, an Lichtenthal auch befagtes Steinhaus, uebſt Keller und
Hof, wofür alljährlich für ihn, feine Frau und alle feine Kinder ein
Jahrestag gehalten werden ſollte. Diejes Steinhaus lag einerfeits neben
den Frauen von Lichtenthal (vergl. 1347), amdererfeits neben dem
Garten des Frauenklofters zu Pforzheim, und hatte früher Konrad Net:
manteln gehört. Wenn wir nun noch weiter hören, daß das Klofter
Lichtenthal 1347 von den Dominikanern in Pforzheim auch deren hinter
den Kloſter gelegenen Speicher ſammt Zehntichener um jährliche 12
Schillinge pachtete und fpäterhin käuflich erwarb, jo folgt aus diefem
') Urkunde in G, L. Archiv.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 109
Allem, daß Lichtenthal im Beſitz aller der Häuſer war, die in der Spi—
talſtraße dem jetzigen neuen Mädchenſchulhauſe gegenüber liegen oder
lagen; denn der Lichtenthal'ſche Zehnthof war bekauntlich an der Stelle,
wo jetzt das Haus von Fabrikant Kübeleberle ſteht und wurde erſt zu
Anfang der 1850er Jahre abgeriſſen. — Auch einen Garten beſaß
Lichtenthal daſelbſt, der beifpielmeife 1396 um jährlih 1 Pfund Heller
verpachtet war. Noch verdient bemerkt zu werden, daß der Pforzheimer
Bürger Dietrich Flad 1371 von den Lichtenthaler Nonnen ein Gut zu
Au am Rhein (O.-A. Raftatt) pachtete ; endlich daß Lichtenthaf von
Heinz Mötte (Roth) 1396 ein Haus jammt Hof und Scheuer in der
Altstadt um 29 Pfund Heller erfaufte,
Wie im 13., fo finden wir aud im 14. Jahrhundert, daß das
Klofter Herrenalbt) der Gegenitand der Aufmerkjamteit und der
Begabung mancher Pforzheimer Bürger und Bürgerinnen war, von .
andern aud Dies und Jenes käuflich erwarb. Go ſchenkte 1301 der
Bürger Berthod Widmann (S. ST) und feine Frau Richenza dem
Klojter Herrenalb ihr ganzes Vermögen, das fie in Pforzheim und an
andern Orten befaken; (1302 verkauft Schultheiß Diether von Ellmen—
dingen mit feiner Frau Irmentrut den von ihnen bisher bejefjenen
vierten Theil des großen und Heinen Zehntens in Ellmendingen um
60 rund Heller); im April des nämlichen Jahres (1302) reverfiren
ber Pforzheimer Bürger Gottbold Weiß und feine Frau Adelheid, daß
fie an Herrenalb um 300 Pfund Heller verkauft haben: zwei Theile
an der Mühle zu Pforzheim, genannt „ber VBoglerin Mühle”, den dritten
Theil des großen und fleinen Zehntens in den Dörfern und Markungen
Brögingen und Birkenfeld, ferner Güter in Brößingen, Cllmendingen,
Neidlingen und Göbrichen und den vierten Theil des großen und Kleinen
Zehntens daſelbſt; — alle diefe Güter und Zehnten erhält aber Gott:
bold Weiß vom Kloſter als Zinslehen wieder zurück um einen jährlichen
Zins von 44 Malter Roggen, 27 Malter Spel, 42 Malter Haber
und 10 Pfund Heller und 5 Schilling. Da Weiß den bemerkten An—
theil des Zehntens in Brögingen und Birkenfeld vom Markgrafen Fried:
ih II. zu Lehen trug, das Klofter ihn aber als freies Eigenthum
erwarb, jo mußte Weiß dem Markgrafen einen Hof neben der Kirche zu
Pforzheim als Lehenerfaß geben und empfing denjelben wieder zu Lehen. —
1) Vergl. biezu die Herrenalber Urkunden in Mones Zeitichrift.
110 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
Im Jahr 1304 ſchenkt Heilwig, die Tochter Erlewin Numelins, zu ihrem
und ihres verjtorbenen Gemahls Heinrich Hegening Seelenheil, bem
Kloſter Herrenalb 224/, Pfund Heller. Ebenfo ſchenken 1312 Heinrid)
lad und jene Kinder Konrad (Pfarrer zu Hirſchlanden, O.A. Leon:
berg), Heinrich, Dietmar, Konrad, Elifabetb und Meta dem Kloſter
als eine Gabe unter Lebenden fünf Morgen Weinbergs zu Dertingen;
Sigfried Weiß, Sohn des obengenannten Gottbold Weiß, und feine
Frau Hedwig, (eine geb. von Mönsheim) geben 1319 mit Zuftimmung
der Pfleger der minderjährigen Geſchwiſter Sigfrieds und des Mark—
grafen Rudolf IV. an Herrenalb, um des bei 1302 genannten Leben:
zinjes ledig zu werden, die dort bezeichnete Mühle mit allen dazu ge
börigen Nechten und Nubungen, nämlich verfchiedene Brodfchrannen zu
Pforzbeim, wovon alle Woche 5 Heller oder ebenfoviele Hellerbrode
fallen, fammt 1/; des großen und Heinen Zehntens zu Brößingen und
Birkenfeld.) — 1321 bezahlen die Pfleger der minderjährigen Kinder
des Gottbolds Weir eine Edyuld von 20 Pfund an Herrenalb mit
Zinfen und Gefällen in Ellmendingen, Dietlingen, Nöttingen, Schell-
bronn ꝛc. — Am Jahr 1328 übergibt der Pforzheimer Bürger Hein:
rich Riſe um feiner, feiner Vordern und Nachkommen Seelenheils willen
dem Kloſter Herrenalb den vierten Theil des Laienzehntens zu Wein:
garten (D.:U. Durlach) (S. 102), den er felber vier Jahre vorher von Pe:
triffa von Remchingen, Witte Heinrichs von Roßwag, um 300 Pfund
Heller erfauft hatte, — Im Jahr 1336 nehmen Rudolf der Nenner von
Pforzbeim und feine Fran Mechthild, „der Zurgelern Tochter”, vom
Klofter um jährlich 2 Pfund Hellers im Erbbeitand die Hofftatt und
das Steinhaus und was dazu gehört, den Keller ausgenommen, zu
Pforzheim unten am Markt, „zwiſchent der KHederinen bus und der
Zurgelerin” gelegen. — 1336 verkauft Albert Liebener von Pforzheim
an Herrenalb alle feine Weingärten in und bei Dertingen um 90 Pfb.
Hellers. — Bon Pforzheim aus nahm Kaifer Karl IV. 1347 aud
Herrenalb in feinen befondern Schirm, — und endlich erfahren wir aus
einer Urkunde von 1348, daß diefes Klofter einen beiondern Pfleger
oder Guftos, Namens Kraft, m Pforzheim hatte.
Wenden wir uns nun noch nach dem Klofter Maulbronn, um
von biefem das, was auf Pforzheim Bezug hat, anzugeben.?2) Es ift
1) Die Urkunde folgt unten ganz.
2) Bergl. Klunzinger, Gefhichte von Manfbronn, S. 25 ff. ver Regejten.
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert. 111
J
dies bei verſchiedenen Vermächtniſſen und Verkäufen der Fall. Im Jahr
1302 ſtiftet die Beguine Guota (ſiehe unten) von Pforzheim, genannt
Schwertfeger, 8 Schilling jährlicher Zinſe in den beiden Glattbach (O. A,
Vaihingen) zu einem Wahsfiht auf den Altar zum heiligen Kreuz in
Maulbronn, mit der Bedingung, daß, wenn dies nicht genau eingehalten
würde, die Gefälle an die Kirche zu Pforzheim fallen follten, — Im Jahr
1328 verkauft Sigwart, genannt Herzog zu Pforzheim, dem Kloſter
etliche Güter zu Bauſchlott. — Das Jahr darauf (19. Aprit 1329)
verfanft Heila Waifin (Weiß) dem Klofter 6 Malter Roggen, 6 Malter
Hafer und 86 Schilling jährlicher Einkünfte zu Kußelbrunnen (Siefel:
bronn) für 34 Pfund Heller. Am 17. Januar 1343 verfauft Guta
Rappenherrin von Pforzheim dem Kloſter Maulbronn einen Hof zu
Flacht. Dieſelbe verfauft im Juli 1356 dem Kloſter den Gailingshof
jammt einer Mühle und dem ‘Patronate zu Flacht nebſt */, des
Zaienzehntens dajelbit um 50 Pfund Heller, — Am 10. April
1344 übergibt Guta Pfennerin oder Phennerin von Pforzheim,
Gerumgs Wittwe, dem Klofter Maulbronn die Kollatur der von ihr
fh der Pfarrkirche zu Pforzheim geitifteten Pfründe (S. 107). Die:
felbe „edle Matrone“ ftiftet 1359 zu eimer täglichen. Mefje auf dem
Altar des heil. Benedikt zu Maulbronn 400 Pfund Heller. Eine
andere dieſes Geſchlechts, Irmela, wahrſcheinlich Tochter der Guta, ver:
macht am 25, Februar 1375 dem Kloſter einen Hof zu Speier. —
Am 25. Mai 1359 vermaht Guta Vefenmaverin von Pforzheim dem
Klofter zu einem Geelgeräthe ebenfalls 400 Pfund Heller, —
Mas mın die Klöfter der Stadt Pforzheim felber betrifft,
fo iſt der Gründung von vieren derjelben, welche im Laufe des 12. und
13. Jahrhunderts erfolgte, bereits Erwähnung geicheben, nämlich der
Gijterzienferinnen, der Dominifanerinnen, der Domini:
kaner und der Franziskaner. Am meiften begegnen wir im Laufe
bes 14. Jahrhunderts dem zweiten diefer Klöſter, und wir finden dasfelbe
namentlih bemüht, fein Befigthum zu vermehren. So erfauft es am
5. Auguſt 1325 von Markgraf Friedrich IL und feinem Sohn Herr:
mann IX. 3 Pfund Keller Gült an der Mühle zu Nöttingen; — um:
gekehrt verkaufte Priorin und Konvent des Klofters an das Frauenflofter
zu Rechenshofen am 7 Nov. 1336 einen halben Hof mit der halben
Kelter im Dorfe Haslach und einige Weingärten und Acer daſelbſt mit
Bewilligung des Markgrafen Rudolf IV. von Baden und „des geiich-
112 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrbunbert.
3
lichen beren des priord und des conventes der prediger zu Phortzhein.“
Im Jahr 1338 erfauft diefes SLlofter wiederum von dem Bürger Sei:
fried Weiß zu Pforzheim und feiner Frau eine Hube in der Neidlinger')
Mark, ihren Theil des großen Zehntens zu Göbrihen und 1 Simri
Delgeld vom Heinen Zehnten dafelbft. — Am St. Marrentag 1344
„eerichreibt ſich das Frauenkloſter Predigerordens zu Pforzheim über
das gekaufte Dorf Ellmendingen, (das dem Klofter bereits 1313
verpfändet geweien war,) einer Miederlofung gegen ihren Herrn Mart:
graf Herrmann IX.” — Im Jahr 1355 beſaß das Klofter auch den
Oberhof zu Jipringen und gab ihn im diefem Jahr dem Walther Faul:
leder in Erbbeitand.?) 1350 verlieh ein Graf won Eberftein gemein:
fhaftlih mit dem Markgrafen von Baden diefem Klofter den Pfarrfat
zu Dürrenglattbad.3) Im Jahr 1365 verkaufen die Edelknechte Ber:
thold Göler und feine Brüder Konrad und Hans, alle von Enzberg,
Söhne des Ritters Konrad von Enzberg, mit Willen und Rath ihres
Baters an die Priorin Lutgard von Asbergd) und den Konvent des
Predigersffrauenklofters auswendig der Stadtmauer (S. 74) ihre Kirchen:
fäße zu Iſpringen und Nodelingen um 1500 Gulden, und „geloben fle
zu fertigen mit ihres hochgeborenen Herren Hand, ihres Lehensherren,
1) Vergl. ©. 64, wo von biefem bald verſchwundenen Ort die Rebe ift.
Ein anderer untergegangener Ort im Bezirk Pforzheim ift Bonlanden, ber
zwifchen Pforzheim und Weil der Stadt, bei Steinega, gelegen haben muß.
Er fommt in einer Herrenalber Urkunde (Bonlanden apud Steinecke) von
1310 vor. — Daß früher auch zwiſchen Pforzbeim und Weißenftein ein Dörf—
Ken Rod lag, iſt Eeite 58 bemerft worden,
) Aften des Großh. Dberamts Pforzheim.
’) Krieg, Grafen von Eberftein, S. 62 (nach Gabelfofer).
) Das Andenfen biefer 1377 geftorbenen Lutgard (Pucgard, Luitgarbe),
welche ſchon 1340 Klofterfrau in Pforzheim war (Stälin, II, 709), erhält
nod ein Grabftein, der ihr und einer Lutgard von Tübingen gemeinichaftlich
gefept wurde und im Hof der Heil- nnd Plegeanftalt zu Pforzheim in einer
Mauernifche aufbewahrt wird. Es befindet ſich darauf das Bildniß einer Frau
in Nonnentracdht mit der Umſchrift: + ANNO DNI MCCCLXXHI PRIDIE
ANTE GREGORI ORUT SOROR LUCGARD PALATINA DE TUWINGEN
ET POSTEA IN TERCIO ANNO FELICIS ET ADAUCTI OBHIT DOMINA
LUCGARD PALATINA DE ASBERG SOROR NOSTRA + d. h.: „Im Jahr
1374 am 11. März ftarb die Echwefter Lucgard, Pfalzgräfin von Tübingen,
und im britten Jahre nachher am 30. Auguſt ftarb die Fran Lucgard, Pfalz⸗
graͤfin von Asberg, unſere Schweſter.“
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 113
des von Leuwenſtein“, der jodann im folgenden Jahre (1366) dieſe
Kirchenjäge zu feinem und feiner Vordern Seelenheil dem Kloſter als
freies Eigenthum übergibt. Am 13. Februar 1376 verkaufte diejenige
Priorin, melde auf Lutgart von Asberg folgte, nämlich Anna von Balz:
bofen, mit ber Sammnung (Konvent) des Frauenflofters an Maulbronn
verichiedenes Einkommen zu Unteröwisheim. Daß 1363 die Domini:
fanerinnen einen Garten hinter den Dominikanerklofter befaßen, ift oben
(S. 108) ſchon gefagt worden. Aus einem Vergleich, der zwifchen ben
Herren von Württemberg und Baden 1402 gefchlofjen wurbe,') erfehen
wir, daß die Dominikanerinnen ein fteuerfreies Höflein zu Vaihingen, (wahr—
fcheinlicy das ſchon ©. 75 u. SO angeführte) und einen Weingarten zu Di-
zingen befaßen, wegen deſſen fie damals in einen Nechtsftreit mit Hans von
Gültlingen verwidelt waren; daß fie ferner an Pfaff Seifried und Hug
von Venningen 20 Pfund Heller Guts und an Gberhardt Sölern
3 Pfund und 2 Sch. Heller forderten, welch letztere Summe ihnen
erblich zugefallen ſei zu einem Geelgerette won ihrer Mitſchweſter
Alhaußen von Gröningen; daß fie endlich in Eberdringen eine balbe
Ohm Wein und Zinfe von Frit von Liebenftein zu beziehen hatten 2c.
Außer den bereits genannten Priorinnen lernen wir 1370 and zwei
Nonnen diefes Klofters kennen, nämlich Gerhus, Schwefter des Bürgers
Heinrich) Pforzheim von Grüningen (Markgröningen) und deren Muhme,
Alhus von Damm (Thann, D. A. Ludwigsburg). Sie beftimmiten im
angegebenen Jahr, daß nad) ihrem Tode 1/, des Raienzehntens zu Vai:
Bingen und 2 Meingirten in Horrheim (O. U. Vaihingen) an das
Klofter fallen follten. Um diejelbe Zeit war auch eine Pfalzgräfin
Elsbeth von Tübingen, genannt Schererin, „Cloſterfrow“ zu Pforzheim.
Das Klofter der Dominikanerinnen wurde überhaupt nach und nad) jehr
reich. Außer den ſchon genannten Beſitzthümern, Einkünften 2c. erwarb
ſich basſelbe noch ein Viertel des Zehntens zu Birkenfeld, Brögingen
Ch), Neidlingen ('/,), Kiefelbronn (1/g), Mipringen (ganz), Glap⸗
pach, Nußdorf (1/5), Vaihingen (1/4), Dürrn (1/,), Dizingen (a),
Utingen (Eutingen), Ingersheim (.); — ferner Gülten und Renten zu
Üttelsburg, Mutſchelbach, Nußdorf, Vaihingen, Düren, Enzberg, Utingen,
Ingersheim, Merklingen, Wurmberg, Erſingen, Mingen, Bietigheim,
— —
— —
) Stein hofer, Württemb. Chronik 11., Gehres, Chronik von Wei⸗
lerſtadt, S. 72.
Pflüger, Pforzheim. 8
114 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
Geberchingen (Göbrichen), Friolzheim, Illingen, Mühlhaufen, Asberg,
Baden, Badnang, Bradenheim, Boppenweiler, Bönnigheim, Baufchlott,
Kannftatt, Dürrmenz, Elfingen, Ellmendingen, Eßlingen, Gartach, Groß:
jachjenbeim, Grönningen, Güglingen, Gruppenbach, Gertringen, Gem:
mingen, Sabelnberg, Heidelsheim, Heſſigheim, Hutigbeim, Heimsheim,
Hirichlanden, Hohenhaslach, Hefnerhaslach, Klingen, Kirnbach, Königs:
bach, Lienzingen, Liebenzell, Münfingen, Möngheim, Magitatt, Mühl:
baufen, Münjter, Nußdorf, Nußbaum, Niefern, Nippenberg, Oberöwis—
beim, Deichelbronn, Pfaffenhofen, Neutlingen, Schmieheim, Stein, Stutt-
gart, Steinah, Seelbach, Tuttlingen, Weiler, Weilerftadt, Weiler im
Zabergau, Wafferburg, Enzweihingen, Wiernsheim, Würm, MWimpfen,
Waiblingen, Warmbrunn, Zaberfeld, Zaiſersweiher, Zuffenhauſen
0.00!)
Zu der Zeit, als die erwähnte Yutgard von Asberg Priorin des Domi—
nifanerinnenflofters war und auch die andere Lutgard von Tübingen darin
den Schleier trug, beherbergte dasielbe längere Zeit einen auf eigene
Weiſe dahin gefommenen vornehmen Gaft, nämlid Euphemia oder
Eugenia, eine Tochter Eduards III, Königs von England. Ahr
Dater hatte fie für einen Grafen von Geldern zur Gemahlin beftimmmnt.
Da diefe Verbindung aber gegen ibre Neigung gina, fo entfloh fie aus
England nad Flandern, reite von da aus zu Fuß nah Köln und ver:
richtete in einem dortigen Gafthofe unter dem angenommenen Namen
Gertrud längere Zeit Magddienfte. Da fie fi) durdy Fleiß und Ge:
fchiflichfeit vor allen andern Dienftboten auszeichnete, jo erregte diejes
große Eiferfucht, und eine ihrer Nebenmägde wußte fie dadurdy in den
Verdacht des Diebſtahls zu bringen, daR fie ein Kleid, das fie zu die—
ſem Zweck entmendete, unter Enphbemiens Kopftifien veritedte. Ihre
Abſicht gelang ihr vollfommen. Guphemie oder Gertrud wurde des
Diebftahls beſchuldigt und zu einer für ſolche Fälle üblichen Strafe,
nämlich zur Tragung des Halseiſens am Pranger, verurtbeilt. Sie
ertrug diefelbe mit Gelaffenheit, wäre aber von einigen Engländern, bie
fihy unter den Zuſchauern befanden, beinahe erkannt worden, wenn fie
nicht ihr Geficht durdy ihre Thränen unkenntlich gemacht hätte. Nach
überftandener Strafe wurde fie aus der Stadt gewiejen, kam nad)
langen Bejchwerden nady Pforzheim, wo fie im Klofter der Domini:
) Vergl. Gültbefchreibung des Frauenkloſters zu Pforzheim (Landes: Archiv.)
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 115
fanerinnen gaftlihe Aufnahme fand und nad abgelegtem Gelübde bis
an ihren Tod verblich, welcher um das Jahr 1367 erfolgt fein fo. *)
Des Prediger: oder Dominifanerklofters finden wir in
diefer Periode auch mehrmals wieder erwähnt. Daß der frühere Schult-
heiß von Sptingen, Eberhard, als Mönch in dasfelbe trat, nachdem
feine Fran und feine Tochter geitorben waren, ijt bereits gejagt werden.
Am Jahr 1368 finden wir darin aud feinen Sohn Johannes ale
Lesmeiſter, d. h. ala Lehrer für den jungen Klerus, und 1373 war der:
jelbe bereits zur Würde eines Priors gelangt. Als ſolchen finden
wir diefen Johannes von Iptingen in einer Urkunde von gedachten
Jahr, worin er namens feines Kloſters von Engeline Pfaff in Weil
der Stadt vierthalb Pfund Heller entlehnt und ihr dafür Pfaff Heinrich
Schribers Haus, zu Weil am Kirchhof gelegen, verpfündet. An diejer
Urkunde hängen die Siegel des Kloſters und des Priors. Auf erjterem
befindet fih ein Marienbild mit der Umichrift: CONVENTUS FRAT-
RUM PRAEDICATORUM PHORZHEIMENSIS (Konvent dev re:
digermönde zu Pforzheim). Das andere it dadurch intereffant, daß
auf demfelben dargeftellt tft, wie ein Abt einen neuangehenden Mönch
auf diejelbe Weiſe mit einer Ruthe Eräftig züchtigt, wie dies auf einen
gewifien Körpertheil bei Heinen Kindern zu gejchehen pflegt. Es ſoll
diefer Gebrauch deshalb eingeführt worden fein, um die Herren vom
Adel, die durch ihren Stolz die Ordnung in den Klöftern vielfach ftörten,
vom Eintritt in diefelben abzuhalten. 2)
Bom Klofter der Franziskaner oder Barfüßer erfahren wir,
daß dasjelbe 1371 von Schwejter Heilentrud aus Pforzheim (wahrſchein—
ich einer Beguine) ihren Hof zu Gölshaufen (B. A. Bretten) um
60 Pfund Heller erfaufte. Diefen Hof ſchenkten die Barfüßer in der
Folge dem Spital in Pforzheim, von welchem er 1451 um 155 Gulden
an Herrenalb kam. Als Pfleger des Klofters werden 1371 genannt:
Heinrih Goldelin, Günther von Vaihingen, Schultheiß Goplin, Günther
Flad und Wernher Goldelin,
Vom Klofter der Gifterzienjerinnen, über deffen Geſchichte
fortwährend ein Dunkel Liegt, habe ih auch Für dieſe Periode nichts
Beftimmtes in Erfahrung bringen können,
1) Die Quelle für diefe Erzählung ift Maji vita Reuchlini, pag. 116-118,
Man vergl. aud das am Schluſſe dieſes Kapitels folgende Gedicht.
2) Gehres, Chronik von Weilerftadt, S. 77.
446 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
Sonftige Klöfter, die vermutblic den 14. Jahrhundert ihre Ent:
ftehung verdanften, waren in Pforzheim :1) Ein gedoppeltes, vegulirtes
Auguftinerklofter, das aus zwei Flügeln beftand, Der eine diente
den Kanonikern, der andere den Eremitern zur Wohnung. Die
Kanoniker oder regulirten Chorherrn lebten, aßen und fchliefen gemein-
fhaftlih unter der ummittelbaren Aufficht des Biſchofs oder Abtes.
Nach der Reihenfolge der kanoniſchen Stunden begannen nody tief in
der Nacht ihre frommen Uebungen. Für ihren Unterhalt forgte der
Biſchof aus dem Kirchengut; doch war ihnen Einiges zu befißen erlaubt.
Den Eremitern verlich Papſt Alerander IV. 1256 die Privilegien der
Bettelorden. Cie entftanden aus verfchiedenen zerftreuten Mönchsvereinen.?)
Die Klofterkicche gehörte den Kanonikern und Eremitern in Pforzheim
gemeinschaftlich. Wo diefes Klofter geftanden, läßt fich nicht ermitteln,
und ift überhaupt wenig davon bekannt. — Außer demfelben wird
aber noch eines andern Augnftinerflofters erwähnt,3) das
wenigftens 1380 ſchon beftanden haben foll.*) Näheres darüber ift aud)
nichts befannt. Es foll da geftanden haben, wo fih jebt das Schlacht:
haus und das Maifenhaus befinden,5) Erwähnung gefdjieht bloß 1499
einmal eines Altar „St. Nicolai in ecel. monial, St. Augustini“,
d, 5. „zu St. Nikolaus in der Auguftiner Klofterficche.”6)
Den Klöſtern ift auch ein Beguinenhaus anzureihen, deſſen
1379 gedacht wird, indem die Bequine Katharina Arnoldin in jenem
Jahre ein ſolches in Pforzheim bauen ließ, während Beguinen ſchon in
früherer Zeit daſelbſt vorkommen (jo 1302 ꝛc.). Beguinen oder Be:
gutten (mweibl.), forwie die Begharden (männl.) hießen ſolche Perfonen,
welche fi), ohne Slloftergelübde getban und die Megeln eines Ordens
angenommen zu haben, zu Webungen der Andacht und Wohlthätigkeit
vereinigten und Gefellichaften bildeten, in eigenen, oft durch Schenkungen
fehr bereicherten Beguinenhäufern zufammenlebten und ſich durch Fleiß
und Gittlichkeit, fowie durh Sorgfalt für die Jugend auszeichneten,
1) Vergl. Kolb, Leriton von Baden, I, 61.
?) Bergl. Hafe, Kirchengefhichte, S. 200 und 334.
2) Bon Peter Lancillotus, ber ein Verzeichniß aller Auguftinerflöfter
ber ganzen Welt machte. Vergl. Kolb, IL, 61,
4) Züngler, Notate.
6) Franc. Petri Suev, Eccl,, pag. 666 und Kolb a. a. O.
6) Nepertorium des Generallandesardivs,
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, 117
Soldyer Gejellfchaften waren ſeit Ende des 11. Jahrhunderts viele vor:
handen; fie mußten aber durch die Eiferfucht der geiftlichen Orden fchwere
Verfolgungen erleiden. Klausſchweſtern, wahrſcheinlich Beguinen, kommen
noch 1611 in Pforzheim vor.
Zu dieſen Klöftern ꝛc. kamen im Laufe des 14. Jahrhunderte
auc einige Stiftungen, deren Zweck verbefjerte Krankenpflege war, und
von denen eine auch Flöfterliche Einrichtung hatte. Im Jahr 1323
gründete Markgraf Rudolf IV. mit feiner Frau Luitgard in der Brößin-
ger Vorftabt das „Hofpitalhbaug des heiligen Geiſtes.“ Das:
jelbe hatte Höfterlihe Einrichtung und waren die Hofpitaliter, die nad)
der Regel des heiligen Auguftin lebten, zur Kranken- und Armenpflege
verpflichtet, Solcher Hofpitalhäufer des heiligen Geiftes gab es im
Allgemeinen nur wenig, fo in Schwaben, außer in Pforzheim, noch in
Markgröningen, Memmingen und Wimpfen. 1) Der Anfang des Stif:
tungsbriefes?) lautet (im heutigen Deutfh): „Wir Markgraf Rubdolf
von Gottes Gnaden, Markgraf von Baden der Jüngere (IV.) und
Tran Luitgard, die Markgräfin, unſere eheliche Frau, kunden allen denen
die diefen Brief immer gefehen oder leſen hören, daß wir mit guter
Betrachtung angefehben haben die große Würde und fondere Gnade,
die der göttlihe Drden des heiligen Geiftes in dem Spital zu Rom
erworben hat vom heiligen Water der Ghriftenheit und Papſten des
Stubles von Nom, und darum fo haben wir mit gutem Willen und
Andacht dem Meifter und Brudern desfelben Ordens aufgeben zu rechter
Gab, die man nennt unter Lebenden, ben Spital, den wir geftiftet haben
in der Vorſtadt unferer Stadt zu Pforzheim ꝛc.“ — War bdiefes Heilig:
geiftfpital oder Heiliggeiftflofter ſchon bei jeiner Gründung mit den erfor:
berlihen Einfünften verfehen worden, (audy Hirſchau verzichtete damals
auf 28 Heller Zins ab dem Platz, auf welchen das Klofter gebaut
wurde,) fo hatte es fih auch im der Folge reicher Schenfungen und
noch eimmal der Huld jeines Stifters zu erfreuen. Am freitag nad)
St. Walpurgtag 1336 vermachten Markgraf Rudolf und feine eheliche
MWirthin Maria3) dem Spital die Summe von 25 Pfund als jährliches
9) Stälin, II, 712,
2) Sads, II., 129.
3) Die zweite Gemahlin des Markgrafen, Wittwe des Grafen Wernher
von Hohenberg. Seine erftie Gemahlin war die ſchon erwähnte Luitgard, Wittwe
des Grafen Albrecht von Löwenſtein, welche ſchon 1324 farb, Bergl. ber
dburhlaugtigften Fürften und Markgrafen von Baaden x. ©. 151.
118 Achtes Kapitel. Piorzheim im 14, Jahrhundert.
und ewiges Hellergeld, Als Meiiter des Spitals wird 1367 ein Heinrich
von Nau genannt; fchen 1323 hatte fi) ein Bruder, Heinrich von
Mainsheim (Mönsheim), in dasjelbe eingepfründet. Zum Heiliggeift:
ipital gehörte wahrfceinlih das demfelben gegenüber liegende Kreuz:
firchlein, das als beftehend zum eriten Male 1454 genannt wird.
Der Gründung des Hofpitalbaufes zum beiligen Geifte war aber
die eines Siechenſpitals in Pforzheim vorausgegangen. Am 25.
Juli 1322 kaufte die bereits erwähnte Markgräfin Luitgard, Gemahlin
Nudolfs IV,, laut eines alten, abichriftlih ned vorhandenen Stiftungse
briefes t) das Haus des Schultbeißen Seinrich von Eberdringen (S. 102)
zwiſchen den Waflern vor dem Tränkthor, und bejtimmte es zu einem
Spital für elende und arme Siechen. Dieſes Haus ftieß an das Frauen:
Eojter der Dominikanerinnen und lag alfo, wie ſchon die Bezeichnung
„vor dem Tränkthor“ beſagt, außerhalb der Stadtmauer. Das Siechen-
fpital gelangte mich und nach zu veihem Eintommen und bezog ?) Gülten
und Zinfe aus Pforzheim, Gräfenhaufen, Ellmendingen, Büchenbronn,
Huchenfeld, Jspringen, Eiſingen, Stein, Rußbaum, Göbrichen, Kiefel-
bronn, Oeſchelbronn, Glattbach, Wurmberg, Nußdorf, lacht, Weißach,
Eberdringen, Mönsheim, Wimsheim, Brötzingen, Birkenfeld, Dietlingen,
Würm, Merklingen, Simotzheim, Heimsheim, Eutingen, Lomersheim,
Illingen, Sersheim, Großſachſenheim, Oetigheim, Bönnigheim, Kirchheim
a. N., Boppenweiler, Ditzingen, Stuttgart, Rechenshofen, Dürrn, Klein—
ſachſenheim, Brackenheim, Gernsbach, Lehningen, Iptingen. Für dieſes
Spital wurde ſpäter eine eigene Kirche gebaut, und zwar ganz in der
Nähe deſſelben, nämlich unterhalb des jetzigen Gaſthauſes zur Kanne,
wo ſpäter die Stadtmetzig war und jetzt das Haus von Bäcker Schuſter
iſt. Vorläufig ſei bier bemerkt, daß bald nach Aufhebung des Frauen:
kloſters (1977) das Siechenſpital durch die Gebänlichkeiten des letztern
vergrößert wurde, aber 1689 abbrannte, Am Jahr 1714 erbaute fo:
dann auf der Stelle, wo dasjelbe geitanden, Markgraf Karl Wilhelm
ein Landeswaifenhaus, deſſen Näumlichkeiten aber nad) einander ver:
ſchiedenen Zweden dienen mußten, bis die Anjtalt ihrer urfprünglichen
Beitimmung, ein Siechenhaus oder eine Heil: und Pflegeanftalt
zu fein, im Jahr 1854 zurücgegeben wurde.
) Alten ber Großb. Heile und Pflegeanjtalt Pforzheim,
*) Zinebuch des Spitals zu Pforzheim im Pandesardiv.
Achtes Kapitel, Pforzheim im 44. Jahrhundert. 119
Zu biefen zwei Spitälern kam noch ein drittes. Außerhalb der
Vorſtadt Aue Tag auf einer Anhöhe das St. Georgenftift, das
ihen 1348 vorhanden war. 1) Es bejtand damals aus einem großen
Haus mit einem geichloffenen Hof; fpäter kamen noch eine Kapelle und
andere Gebäulichfeiten, 31/, Morgen Ader und 1 Morgen großer Wald
dazu, und gelangte überhaupt das Stift nad) und nach zu bedeuten
dem Vermögen, jo namentlid) vielen Kapitalien, die zu Anfang des
vorigen Jahrhunderts, obgleich viele derfelben in den Kriegen des 17,
Jahrhunderts verloren gegangen waren, noch ein jährlihes Einkommen
von 741 fl. 294), kr. abwarfen. 2) Das St. Georgenitift diente als
Aſyl für anftedende Kranke, war alfo, wie aus allen Andentungen her⸗
vorgeht, ein ſogenanntes Leproſenhaus. Solcher Anſtalten, die and)
Gutleuthäuſer, Miſelhäuſer, (von Miſelſucht, Ausſatz), Malazhäufer
(vom franzöſiſchen malade) hießen, gab es im Mittelalter ſehr viele,
ſelbſt in kleinern Orten. Sie waren in der Regel außerhalb derſelben
erbaut, um die Verbreitung der anſteckenden Seuchen zu hindern. 3)
Das war auch bei dem St. Georgenftift der Fall. Daß ein ſolches Les
profendaus ſchon zu Anfang des 15. Jahrhunderts in Pforzheim be:
fand, geht daraus hervor, dag damals die Erlaubniß zur Erhebung
einer Kollefte für den Bau einer Leproſenkapelle ertheilt wurde, 9)
und wenn fpäter mehrfach angegeben wird, 5) daß leproſe Perfonen in
das St. Georgenftift aufgenommen wurden; wenn den ſtädtiſchen Metzgern
verboten war, Schweine ꝛc. aus dieſem Stift zu kaufen; 6) wenn endlich
die Bauart desjelben ganz mit der von andern Leprofenhäufern überein-
ſtimmte: fo geht wohl mit Sicherheit daraus hervor, daß auch dag
St. Georgenftift ein ſolches Leprofen- oder Gutleuthaug war. Derühmt
war von jeher das Waſſer des Stiftsbrunnens, und man hielt dasfelbe
für befonders beilfräftig bei Lähmungen und fonftigen Uebeln. Nach
einer alten Sage ſoll dasſelbe ſogar unter der Enz hindurch in die
Stadt geleitet und daſelbſt zu Bädern benützt worden ſein, ſo z. B. in
der vorhin erwähnten Siechenanſtalt. In einer um die Mitte des
) Repertorium des Generallandesardhivs.
2) Alten der Großh. Heile und Pflegeanitalt Pforzheim,
») Mone, Zeitichrift IE, 259.
+) Alten bes Landesarchivs.
) In Rathöprotofollen (im Stabtardiv).
°) Metzgerordnung von ca. 1500 (im Stabtardiv).
120 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
vorigen Jahrhunderts erjchienenen Schrift 1) heißt es u. A.: „Die
Heilkraft des Waflers iſt berühmt, und man bat dasjelbe, fowie in ber
Stadt und aud anderwärts, alſo auch beim Waifenhaus in vielerlei
Umftänden, befonders bei Eontracturen, Yähmungen, zu der Verbeflerung
des verdorbenen Geblüts und fonften vielmal gar fonderbar bewährt
gefunden. Der Geihmad gibt nicht das geringite Kennzeichen von
einigen darin enthaltenen Mineraltheilen, fondern es ift nur ein jehr
reines Waſſer. Dasjelbe, kurmäßig getrunfen, thut ebenfalls gute
Wirkung.” Es war deßhalb auch in dem ehemaligen Waifen:, Toll:
und Zuchthaus ein eigenes Bad eingerichtet, zu weldhem das Waſſer
des St. Georgenbrunnens benüßt wurde, Ein ſpäterer Sachverftändiger 2)
jagt über dieſes Waller: „Es wird in viele Häufer als ein befon-
ders gutes Waſſer geholt, indem es die Kräße bei ſolchen, die eine
Anlage dazu haben, auf die Haut treiben, aber auch wieder heilen
jol. Das Waffer enthält falzjauren Kalk ꝛc.“ Heut zu Tage fcheint
man von ber Heilkraft diefes Waſſers — und mit Recht — feine fo
günftige Meinung mehr zu haben. Der St. Georgenbrunnen, forwie die
St. Georgenfteige find dermalen noch die einzige Erinnerung an das
längft verſchwundene St, Georgenftift.
ec. Ausſehen und einzelne Theile der Stadt.
(Zum Theil aus dem Bisherigen hervorgebend.)
Das allgemeine Ausjehen der Stadt mag fih vom 13. zum
14. Jahrhundert und während des feteren nur wenig verändert haben.
Dur die beiden Anguftinerflöfter, die Kreuzkirche, die Spitalficche ꝛc.
erhielt Pforzheim einen nicht unbedeutenden Zuwachs zu dem zahlreichen
Türmen, die früher eine Hauptzierde der Stadt waren, Deutete der
Umftand, daß ihen im 13. Jahrhundert dic badiihen Markgrafen ab:
wechſelnd ihren Sit in Pforzheim hatten, auf das DVorhandenfein eines
fürftlichen Schlofjes bin, fo kann ein folhes um fo weniger im 14,
Sahrhundert gefehlt haben, als die Stadt bald nad 1300 längere Zeit
Nefidenz der Herren von Pforzheim wurde, und die Markgrafen mehr:
1) Umftändliche Nachricht von dem Waiſenhaus in Pforzheim. Karlsrube
bei Maklot, 1759,
2) Roller, Veichreibung von Pforzheim, 1811.
Achtes Kapitel. Piorzbeim im 14. Jahrhundert. 421
fach hohe Befuche, fo im Fahre 1347 den Kaifer Karl IV,, und zwar
ficherlih in ihrem Schloffe beherbergten. Sehr umfangreich kann das:
jelbe übrigens nie gewejen fein, da die zum Theil noch vorhandenen
Befeftigungsmauern, welche das Schloß mit den dazu gehörigen Ge:
bäulichkeiten von der Stadt abfondern und basfelbe früher zu eimer
Art Gitadelle machten, keinen fehr großen Raum einjchließen, von
dem überdies die Schlohfirhe mit andern Gebäulicykeiten, die jebt
meift nicht mehr vorhanden find, einen ziemlichen Theil in Anſpruch
nahm. Einen Hof neben der Kirche befaß 1302 der Bürger
Gettbold Weiſe. Welche Kirche damit gemeint ei, ift aus der Urkunde
wicht zu entnehmen. Wielleiht war es der Hof in der Altſtadt, den
wir 1257 und 1284 (S. 79) unter dem Namen des „Liebeners Hof“
tennen gelernt haben. Vom Marktplatze, der vermuthlid won jeber
diejelbe Geſtalt wie jest hatte und bei Anlage der Stadt einen yralti-
ihen Sinn bewies, it 1336 die Nede, und wir erfahren bei der nänız
lichen Gelegenheit, daß das Klofter Herrenalb unten am Marfte ein
Steinhaus mit einer Hofftatt befaß, an welches rechts und links
die Häufer der „Heckerin“ und der „Zorgelerin” anftießen,
Die ausdrüdliche Bezeihnung „Steinhaus“, der wir mehrfach begegnen,
berechtigt zu dem Schluß, daß fteinerne Häufer damals in Pforzheim
noch etwas felten und die meiften Gebäude nur „unterjteint” und wahr:
ſcheinlich mit Riegeln aufgeführt waren. Wenn jogar noch im folgenden
Jahrhundert, nämlich in der Landesordnung von 1495, Herzog Eber:
bard im Bart verordnen mußte, daß wenigftens in den Städten ber
Unterbau der Häufer von Stein fein und legtere mit Ziegeln gebedt
werden müßten, 1) fo läßt fich daraus entnehmen, wie es im Wllges
meinen beim Bauen vorher gehalten wurde. Der jährliche Beitand von
2 Bid. Heller, der für diejes Steinhaus und die dazu gehörige Hofitatt
bezahlt werden mußte, läßt einen Blick auf die Geldverhältnifie und die
Miethpreife der damaligen Zeit thun. Bei diefem Steinhaus, das in
einer Urkunde vom Jar. 130% abermals genannt ift, lag aud das
Haus Liebeners, und kommt femer am nämlicyen Ort das Haus
der „Soltjmidin“ vor. Eines Haufes, das Heinz Noth und fein
Sohn in der Altjtadt beim Brunnen befaßen und das hinten an bie
„Wydem“ * und vornen auf die „freie Reichsſtraße“ ftieß, iſt
) Etälin, IM, 784,
122 Achtes Kapitel. Pforzbeim im 14. Jahrhundert.
bereits gedacht worden. Mehrfahb wird and der Vogelerin
Mühle („der NToglerin men”) aufgeführt, jo 1302 und 1319.
Mahricheinfih ift damit die Obermüble, die in fpätern Urkun—
den aud) Zwingelmühle beit, gemeint. 1348 ift die Pfriemen—
mühle außerhalb Pforzbeims, alſo die Nonnenmühle, fammt
einem dazı gehörigen Stampfrad erwähnt, — Daß das Kloiter
Lichtenthal hinter dem Dominikanerkloſter, alfo in der heutigen Spital:
ftraße, verfchiedene Erwerbungen machte und dafelbft auch die Domini:
Fanerinnen einen Garten beſaßen, it oben fchon bemerft worden, Bon
den damaligen Straßen der Stadt werden aufgeführt: die Brösinger
Gaſſe 1366 umd 1376, eine Fiſchergaſſe („des Echnlers Haus in
der Fiſchergaſſe“ in der Au), die Brunnengaffe, (jebt verlängerte
Lammgaſſe bei der Synagoge binunter), wo das Bequmenhaus war :c.
— Die Straßen der Stadt waren damals noch nicht gepflaftert; denn
diefe Sitte kam erft im folgenden Jahrbunder auf. Am Jahr 1416
gab Augsburg ein Beifpiel, vielleicht das erite, mit der Pflafterung, das
andere Städte im Lauf der Zeit nachahmten. Des „Altorfer: ober
Altftädter Thors“ erwähnt eine Urkunde von 1389. Sodann wird
auch noh 1322 eines „Tränkthors“ gedacht, vor welchem, und zwar
zwifchen dem Waſſer, das Haus des Schultheißen Heinrich von Eber—
bingen Tag, das die Markgräfin Luitgard anfaufte umd zu einem Siechen-
baus beftinnmte, Dasfelbe ftieß, wie ſchon erwäbnt, an das Klofter ber
Dominikanerimmen, das (S. 74) ebenfalls außerhalb der Stadtmauer war.
Sowohl da8 Tränftbor, als das früher (S. 79) genannte Frauen-—
tbor, die beide gegen das Klofter hinführten, mußten verſchwinden, als
jpäter die Stadtmauer erweitert und das Klofter fammt manden ans
ftoßenden Häufern ebenfalls mit derfelben umfchleffen wurde Wenn
das Haus Heinrichs von Eberdingen ald „zwiihen dem Waifer*
liegend bezeichnet wird, fo geht daraus hervor, daß damals (1322) ber
Mühlkanal, der ja mit der Eng und dem Nonnenmäblfanal den
Stadtteil einſchließt, wo fih jenes Haus befand und die Heil: umd
Pflegeanftalt jetst ftebt, fchen vorhanden war. Auch des Metzelgra—
bens und der daran ftorenden Bleichwieſe geſchieht ſchon früh Er:
wähnung. (S. 86). Die Auer Brüde wird unter dem Namen
„Steynin Bruden” zum eriten Male 1365 genannt. (Hirſchau
bejaß das Fiſchwaſſer oberhalb dieſer Brücke und unterbalb bis St. Martin.)
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14, Jahrhundert, 123
Der Altftädter Brüde geichieht 1383 Erwähnung, und war der
Zimmermann Gonzlin Zurn (Zorn) mit der Aufficht darüber betraut.
d. Gewerbe, Handel ıc,
Daß nicht bloß der Mühlbach im 14. Jahrhundert ſchon vorhan—
ben war, fondern daß überhaupt die Stadt damals fchen von noch
andern Kanälen, fowie heut zu Tage, durchſtrömt werden fein muß, bes
weist der Umftand, daß in einer Urkunde von 1342, nämlich dem unten
folgenden Floßvertrag, bereits vier Wehre in der Enz bei Pforzheim
genannt werden, aljo nur eines (das Finkenſtein'ſche) weniger, als es
beut zu Tage noch find. Daraus läßt fih auf das frühere Vorbanden:
fein noch mehrerer Mühlen, deren obnebin auch 1338 als mainziſcher
Lehen Erwähnung geſchieht, und fonftiger Waſſerwerke, (Oelſchlagen,
Schleifmühlen, Walkmühlen, Lohſtampfen ıc.), wie wir derfelben heute
noch längs des Gewerbfanals finden, ein Schluß zieben, und man barf
wohl annehmen, daß icon im 13. und 14. Jahrhundert eine ähnliche lebhafte
Gewerbthätigkeit geherriht haben muß, wie wir derfeiben in ben folgen:
den Jahrhunderten, am meiften aber freilich in der neueften Seit bes
gegen. Wurde eine feldhe chen durch die Lage Pforzheims ſehr bes
günftigt, das von jeher über bedeutende und nie verfiegende Waſſerkräfte
verfügen konnte, fo mochte auch der Umfland nicht wenig zur Erhöhung
jener Gewerbthätigkeit und zur Belebung des Verkehrs überhaupt beis
tragen, daß ſchon im 14. Jahrhundert zwei Reichshauptſtraßen
über Pforzheim gingen. Die eine, bereits (S. 121) erwähnte, führte
vom Rhein ber nach Kannftadt. Dort war, wie ſchon zur Mömerzeit,
ein Hauptftraßentnoten, nnd Tiefen dafelbft noch zwei andere wichtige
Straßen aus, nämlich eine, die von Bruchſal über Maulbronn, und eine
andere, die von Heilbronn über Laufen dabin zog. Die gemeinfchaftliche
Fortfegung diefer drei Straßen ging über Eßlingen, Plochingen, Göp-
pingen, Geiklingen nad Um ꝛc. Eine andere Reichshauptſtraße führte
von Frankfurt ber über Bretten, Pforzbeim, Merklingen, Weiler:
ftadt ꝛc. nad Um, und von dort in die Schweiz und nad Italien.
Diefe Strafe war früher wichtiger, als die andere, was ſchon die vielen
Verträge über das Geleit auf derfelben bemeifen, denen wir ſpäter bes
gegnen. Zu all dem kommt noch, daß die Stadt Pforzheim, die be:
124 Ahtes Kapitel. Pforzheim im 14, Jahrhundert,
deutendfte der alten Markgrafihaft Baden, von ihren Fürften immer
ſehr begünftigt wurde und ihren Bürgern die freiefte Negfamteit, ſoweit
ſich diefelbe mit den damaligen Verhältniſſen vertrug, eben jo gut, als
den Bewohnern der Reichsſtädte verftattet war. Pforzheim zeigte ſich
auch den badiſchen Fürſten feit dem Anfall der Stadt an diefelben be:
ftändig treu ergeben. Wird ihnen doch ſchon in der Stadtordung von
1491 von Markgraf Chriſtoph das Zeugniß ertbeilt, daß fie ſich gegen
feine „vorbern löblicher gedechtnis allwegbeer zü ſchymipf vnnd zü ernnit,
mit getruwen darftrefen, hilff vnnd ſtuvr gehorfamlich erzeigt, willig vnnd
wolgehalten band.“ =.
Wie in andren Städten aktes Yandes ‚t) jo mochte fih aud in
Pforzheim ſchon im 14. Jahrhundert ein geregeltes Zunftwefen aus
gebildet haben, wie wir demjelben fpäter fo häufig begegnen, (Bergl.
©. 82). Die ftädtiichen Zünfte fpielten feiner Zeit eine wichtige Nolle,
und brachten, wie ein badiſcher Geſchichtsſchreiber bemerft,2) „nicht nur
Ruhe und Ordnung, fondern aud eine nüßlihe Miſchung der verichie-
denen Bürgerftände, ihrer Grundſätze und Sitten, eine ftrenge Ehrbarkeit
und einen fichern Wohlftand hervor, worüber man es gerne vergißt, daß
fie ihren Urfprung doch in einer engberzigen Abſchließungs- und Vor:
theilsfucht hatten,” Nebenbei hatten aber die Zünfte auch einen mili-
tärifchen Zweck, und erfchienen bei drohenden Gefahren wohl gerüftet,
jede unter der Anführung ihres Zunftmeiftere, um den gemeinjamen
Feind muthig zu bekämpfen. An Gelegenbeit dazu fehlte es in den da:
maligen unruhvollen Zeiten nicht.
Ueber die einzelnen Gewerbe und Fünfte, welche in Pforzheim
damals beftanden, erfahren wir übrigens urkundlich Näheres jest noch
nicht, und finden wir nur über einige derfelben unbeitimnte Andeutungen.
Der Mühlen ift ſchon gedacht worden. Diefelben waren meiſtens
Eigenthum der Fürften, Klöfter ıc., und wurden an dazu geeignete ‘Per:
jonen in Erblehenpacdht gegeben. Zu der „Vogferin Mühle“ gehörten
1319 fünf verichiedene Brodihrannen der Stadt, nämlich die
Schrannen „der Ranfaltin, Heinrih Getzinſ, Vlrichs von Winrejheim,
) So 3. B. in Villingen, Freiburg, Konſtanz, Ueberlingen, Kenzingen
vw. a. In Villingen wurden ihon 1324 die Zunftmeifter mit 4 Beifigern in |
den Rath aufgenommen und Pfullendorf erhielt 1333 eine Junftverfaffung, |
(Bader, bad. Landesgeihichte, Seite 303 fi.)
2) Bader a. a. O.
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14, Jahrhundert. 125
Conratz Schvmels vnde der Volmarin ſchrannen, vnde der Ranfaltin
Bachvs (Backhaus),“ und fielen von denſelben allwöchentlich 5 Heller
oder eben fo viel Hellerbrode der Mühle zu. Des Hanfes einer
„Soltimidin“ ift auch ſchon Erwähnung geſchehen, ein Beweis, daß
das Gewerbe der Goldichmiede damals ſchon in Pforzheim vertreten war,
Einen Weber Wortwin und einen MWeingärtner Konrad, bie
beide im der Aitjtadt wohnten, haben wir bereits auch kennen gelernt,
Ein Bäder Heinrih Hagen kommt 1347, ein Seifried Ferwer (Fir:
ber) 1361, Guntram der Schmied 1366, zwei Fiſcher Entlin 1363,
ein anderer Friedr. Krieg 1383, ein Zimmermann Zurn 1365,
ein Götz Krämer 1395 vor.
Am meiften tritt im 14. Jahrhundert das Flo ßweſen aus dem
Dunkel, welches früher noch über demfelben geichwebt. Wichtig dafür
it der Vertrag, der in Betreff des Flößens auf dem Medar, der
Enz, Nagold und Würm zwifchen Baden, Württemberg und Heilbronn
im Jahr 1342 abgefchloffen wurde. Es gebt daraus hervor, wie be
deutend ſchon damals die Flößerei auf diefen Flüffen war, fo daß eine
Regelung derfelben nothwendig erſchien. Nach dem Vertrag, welcher bie
Deffnung der erwähnten Flüſſe bezweckte, hatten die Flößer zwar an
beftinnmten Wehren Zölle zu entrichten, doch follten diefe Wehre und
die Wafferftraßen überhaupt ohne Unfoften für die Flößerei erhalten und
von dem Holz, welches auf den Flößen Tiege, nichts bezahlt worden.
Das fichere Geleit, welches den Flößern und den Kaufleuten, die Holz
kauften, zugefagt wurde, follte auch in Kriegszeiten nicht beeinträchtigt
werden, Bei der Michtigfeit diefer Vertragsurtunde mag fie bier voll
ftändig mitgetbeilt werden. ')
„Copie Vergleichs zwiichen den fürftlichen Häufern Baden und Würtem—
berg wegen Flößens auf der Würm, Nagold, Enz und Nedar von
1342.
Wir Marggraff Rudolph von Baden, unnd Wir Graue Ulrich von
Würtemberg verjehen?) offentlih an diefem Brieff für Uns, Wufer
2) Eine Abſchrift derfelben befindet fi bei ben biefigen Flößerzunftaften,
und ift fie bier bemüßt, Für ihre Korreftheit kann ich nicht gutſprechen.
Gin (vermuthlich fehlerhafter) Abdrud derſelben ficht Rausler, Beihreibung
bes Oberamts Neuenbürg, ©. 154 fi.
2) bejahen oder befennen,
1936 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
Erben, vnnd all vnſer nachlommen, vnndt thuen kundt allen denen, die
In Ammer anfehendt, Tefendt, oder börendt leßen, das Wir durch nutz
vnndt frommen Vnſer, Unferen Erben, unndt aller Bnjer Nachkommen,
vnndt auch dur Bitt der Erjamen weißen Leut, der Burgermeifter, des
hats vnnd der Burger gemeinlid zu Heilbron ſeyn vbereinkommen,
vmb das Floſſen vff der Würm, off der Nagold, vff der Eng, vnndt
vff den Nekher, alfo das Mir diefelben Waßer vnnd auch die Straßen
vff denjelben Wafjern haben geoffnet, vnndt gevffet, und das es Immer—
mebr, ewiglic ein geoffnete, vndt gevfiente Straß vff denfelben Waſſern
fein fell vndt bleiben zu gleicher Weiß ala hernach geichriben ſtett.
Bon Erft jo haben Wir die Würm gevffent, big geen Pforkhein
in die Entz, vnd wer daruf Floſſen will, der joll von jedem Hundert
Zimmerholtz, oder von jedem Hundert Dilen geben zu Zoll, zu Lieben:
egge an dem Were ſechs Heller.
Darnadı haben wir die Nagolt gevffent, bis gehn Piorkheim in
die Ent, vnnd wer darauff Floſſen will, der fell von Jedem hundert
Zimmerbolß oder von Jedem bundert Dilen geben zu Liebenzell an dem
Were zu Zoll ſechs Heller, vnndt zu Wißenftein zehn Heller.
Darnach fo baben Wir die Ent gevffent, all fern man darauf
gefloffen mag bis. gehn Beſſigkheim in den Nekher. Darnach jo haben
Wir den Nekber gevffent zu Beſſigheim bis gehn Hailbronnen an die
EStattmauer, mit ſolcher Beſcheidenheit 1) wer darauf floſſen will, der joll
von Jedem hundert Zimmerholg, oder von Jedem hundert Dilen geben,
zu der Mewenburg?) zu Zell von zweyen Wehren zwantig Heller,
darnach zu, Pfortzheim von vier Wehren vierkig Heller, zu Bingen 3)
von einem Wehr vier Heller, zu Nüffern von einem Wehr vier Heller,
zu Dürmünge von einem Wehr vier Heller, zu Lomerkheim von einem
Wehr vier Heller, zu Mühlhaußen von einem Wehr vier Heller, zu
Nofienwage von einem Wehr vier Heller, zu Vayhingen von zweyen
Wehren zwangig Heller, zu dem obern Niringen von einem Wehr zehen
Heller, zu dem niedern Niringen an einem Wehr vier Heller, zu Ne
micheim von einem Wehr vier Heller, zu Bnffingen von einem Wehr
vier Heller, zu Bejfigfheim von zweyen Wehren, zwanzig Heller; Es ift
ift auch geredt, zu welchem Wehr man Zoll gibt alß vorgeſchriben ftebet,
da foll Jeder Herr, oder Jeder Armmann?) dem man den Zoll gibt,
’) mit folchem Beſcheid, d. h. mit ſolcher Beſchränkung. 2) Neuenbürg.
8) eigentl. Uttingen, Uitingen, Eutingen. *) arme Mann, Leibeigener, ber
mit der Erhebung des Zolles beauftragt war.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 1N
Schutzbretter an daſſelb Wehr machen, das zwiſchen den Seulen ſey
zwölff Schue weit, vnndt ſollen die Schutzbretter bawen vnnd machen,
on der Fuhrleit?) ſchaden. Man ſoll auch zu keinem Viſchs babe 2),
noch Jendert 3) anders, dan alß vorgeichriben it, feinen Zoll, noch
nichtzit 2) geben, were auch, das daß Waßer Jendert vergruße, oder
vergrundt *) würdt, oder ſonſt vnützo würde, das man nicht wohl ge
fleifen möchte, bey wer Wehr oder Mühlen das geichehe, der ſoll es
vffrichten vnnd vertig machen ohn der Furleüt ſchaden. Es iſt auch
geredt, was vff den flofjen Teit vngeuerlich 6) von Holtzs, es ſeye vff dem
Zimmerholss, oder vff den Dilen, oder Wehre das man ſchelleich 7)
oder Legjchiff 9) an die Floß bend, das foll alles freilihen 9), und ohn
allen Zoll faren, vnnd geen, vnnd ſoll auch niemandt den audern vor—
bietten, noch bekümmern 10), das an den Flöſſen geirren oder gehindern
möchte, in feinen Weeg ohn alle geucehrde 11),
Es iſt auch geredt, was vff den Flofien liege von Holtzes, oder
was darauf fehrt von Feileuten, das foll vff und ab fridt vnnd Gleidt
haben, vor allermenniglich, es ſeve in Krieg, oder ohne Krieg, dafielb
Gleidt jollen auch die Nauffleut die Kauffendt, oder vngeuehrlich kauffen
wollen, fie fahren vff den Floſſen, oder fie gangen, oder fie Reiten vff
dem Yandt vff oder ab, haben ohn alle geuehröt, Were aber darwider
thett, vund den Friden und das Gteidtl?) vberführe oder breche, das follen
Wir Marggraff Rudolff von Baden, vnndt Wir Graff Blrich von
Mürtemberg, vnndt Vnſer Erben, vnnd all Bnfer Nachkommen, weren
vnnd wenden, alß fern Wir Finden und mögen ohn alle gevehrde, Dep
zu Vhrkundt vnnd zu einer ewigen Gezeugnuß, haben Wir Marggraff
Rudolff von Basen, vnndt Graue Vlrich von Würtemberg, die vorge:
nanndten, dieſen Brieff befiegelt mit Vnſern nfiegeln, die daran han—
gende, der geben ijt zu Stuttgartten an dem weifjen Sonntag da man
zhalt von Chriſti Rurth brepgehen hundert Jare, vnndt in dem zwey
vnndt vierzigften Jare.“ —
2) nämlich der Flößer. *) Fiſchfang. 2) fo viel ald etwa. ) nichts.
5) verſchlammt. #) ungefähr. 7) Schäleichen. *) Nahen. ®) frei. 19) bes
fäftigen. *') Gefährde. 32) Geleite. Durch genenicitige Verträge hatten die
meijten Fürſten die in jenen unrubigen Zeiten zur Eicherheit des Handels To
notbwendige Verpflihtung übernommen , die dur ihr Gebiet reifenden Kauf:
leute zu ſchützen. Natürlich mußte für folches Geleit auch etwas bezahlt werben.
Bon ſolchen Geleitverträgen wird weiter unten mehr bie Rede fein.
128 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
Es ift zwar num in diefer Urkunde nicht gefagt, daß eine geordnete
Flößerzunft in Pforzheim damals ſchon beftand; es kann indeR aus dem
ganzen Anhalt derjelben mit Sicherheit geichloffen werden. In Pforz
beim mußte wohl eine Hauptjtatien fein, da die Enz dur Aufnahme
der beiden andern Flüſſe hier erſt völlig flößbar wird, und es läßt fi
mit Gewißheit annehmen, daß da, wo zu einem Erwerbszweig ſich eine
fo fchöne Gelegenheit bot, auch viele Hände ſich damit befaßten ımd die
Flößerei im Intereſſe der Ordnung und eines geregelten Betriebs, wie
jedes andere Gewerbe in damaliger Zeit, fehr früh ſchon zünftig wurde.
Daß die Pforzheimer Flößer 1383 ihr Gefchäft bereits bis nad) Mainz
ausdehnten, zeigt ein Eintrag im Seelbuch des Stifte Mariä zu den Gre-
den zu Mainz, welder lautet: Anno dom, 1383 Albertus scultetus
de Porzheim dedit ad edificia beate Marie virginis in lignis emptis
erga ipsum 35 libr. hall, cujus memoria habeatur in perpetuum, ')
d. h. Albert der Schultheiß von Pforzheim gab zum Bau der feligen
Nungfrau Maria an von ihm erkauften Hölzern 35 Pfund Heller, defjen
Andenken beftändig bleiben möge.
Zum befjern Verſtändniß mancher Angaben, wie fie dag gegen:
wärtige Kapitel ſowohl, als die frübern entbalten, und auch die folgen:
den Abichnitte bringen werden, und um überhaupt einen allfeitigern
Maapitab zur Vergleihung der Vergangenheit mit der Gegenwart zu
haben, tft e8 nothwendig, auf die Geldverhältniſſe früherer Zeit
näher einzugeben. 2) Die Vergleihung der alten Münzwerthe mit den
jegigen ift übrigens fehr ſchwierig, weil diefelben früher im einzelnen,
oft nahliegenden Orten und Bezirken ganz verfchieden waren und auch
der Münzfuß fich Häufig änderte. Das ältefte und gemöhnlichte
Mechnungsgeld war das Pfund, welches aber niemals in einem
Stüd ausgeprägt wurde, weil man Feine Prägftüce für fo große Mün-
zen hatte. Die ımbeholfene Prägung der Theilftücte, die feine beftimmte
Größe und feinen ſcharfen Nand hatten, machte es nöthig, diefelben aufs
Pfund abzumwägen, während man fi) heut zu Tage mit dem Zäh—
len begnügt, weil die Scheidemünzen genauer geprägt find. Am meiften
ift Bis jetzt die Bezeichnung „Pfund Heller” vorgefommen. Gleichbe—
deutend damit war ein „einer Gulden von Florenz." Diefe Gulden
) Mone, Zeitſchrift XT,, 260.
2) Vergl. Mone, Zeitſchrift II. 385 ff. III. 309 ff, VW, 257 ff. IX. 189 ff.
Achtes Kapitel, P forzheim im 14, Jahrhundert. 129
waren von Gold und wurden zuerit in der Stadt Florenz geprägt,
daher der Tateiniihe Name forenus (franz. florin) und das Zeichen
fl. für Gulden. Ein Pfund Heller beftand gewöhnlih aus 20 Scil:
ling Heller, auf jeden Schilling Heller gingen 12 Heller, fo daß alfo
ein Pfund Heller durchfchnittlih 240 Stüd Heller zählte. Aehnlich
war die Pfennigrednung; 12 Pfennige waren 1 Schilling Pfennig,
und 20 Schilling Pfennig waren 1 Pimd Pfennig; nur war 1 Pfen:
nig da8 Doppelte von 1 Heller, 1 Schilling Pfennig das Doppelte von
1 Schilling Heller und 1 Pfund Pfennig das Doppelte von 1 Pfund
Heller. Auf 1-Prund Pfennig gingen alſo durchichnittlich 240 Stüd
Pfennig oder 480 Stück Heller, Der Werth von einem Pfund
Heller war aber nun nad Zeit und Ort außerordentlich ver—
ſchieden; namentlich wurde derfelbe im Lauf der Zeit immer geringer.
Während er z. B. zu Anfang des 14. Jahrhunderts für die Gegend von
Fforzheim etiva 6 fl. 15 fr. betrug, alfo 1 Schilling Heller 183, kr.
und 1 Seller etwas über 1'/, Kreuzer umferes Geldes werth war,
fand das Pfund Heller 1321 auf 6 fl, 12 fr. und um 1350 war ber
Werth desjelben bereits auf 4 fl. A fr, gefunfen. Hundert Jahre
fpäter, nämlih um 1460, galt 1 Pfennig ungefähr 11/, (genau 125/,,)
Kreuzer des jetzigen Geldes, alfo 1 Schilling Pf. etwa 153%, Kreuzer,
1 Pfd. Pfennig demnach 5 fl. 14 fr., 1 Pfund Heller 2 fl. 37 ir.
Nah Pforzheimer Lagerbücdern aus dem 16, Jahrhundert (1527,
1565 und 1574) waren die damals üblihen Münzen noch die
nämlichen, wie früher, nur daß fih der Pfennig no in 4, und
ber Keller in 2 Ortlin oder Oertlin abtbeilte. Auf den Red:
nungsgulden gingen zu jener Zeit 14 Schilling Pfennig oder
28 Schilling Heller. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts war nun
der Werth eines Rechnungsguldens gleih 2 fl 52%, kr. unferes
Geldes; alſo galt 1 Pfund Pfennig 4 fl. 6'%, kr., 1 Pfundb
Heller 2 ji. 3, ir, 1 Schilling Pfennig ungefähr 12°%/, kr.,
1 Pfennig alſo etwa 1 Er., 1 Heller war gleich 1/, Kreuzer. Gegen
Ende des 16, Jahrhunderts betrug der Rechnungsgulden mur noch
2 fl. 16 Er. unferes Geldes ‚ alijo war 1 Pfund Pfennig — 3 fl.
14 kr., 1 Pfund Heller 1 fi. 37 fr., 1 Schilling Pfennig —
95/, ki, ein Pfennig etwa %/, Kreuzer u. ſ. w. Als der alte Pfen—
nig und Heller nah und nad auf den jeigen Werth (Ci, und 1/s
Kreuzer) herabſanken, fo wurde bie Pfundrechnung der Guldenrech⸗
Pflüger, Pforzheim. 9
130 Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert.
nung gleich; deshalb kam fie als unnöthig außer Gebraudy; denn
1 Pfund Pfennig war alsdann 1 Gulden und 1 Pfund Heller
1/2 Gulden.
Neben dem Handel und den Gewerben blühten in den meiften
damaligen Städten auch Wiſſenſchaft und Künjte in erfreulicher Weiſe.
Bürgerlichen Schulunterricht findet man im 14. und 15. Jahrhundert
ſchon in jehr vielen Orten. Pforzheim mag darin hinter andern Städten
nicht zurüdgeblieben jein, Zu dem reichen Kontingent der Singer und
Dichter, welcher damals ſchon und in der Folge noch zahlreicher aus
den Städten bervorgingen, bat auch Prorzbeim feinen Mann geftelt.
Es ift dies Meifter Heinrich von Pforzheim, Leider ift von ihm
weiter nichts, als fein Name und ein einziges Gedicht bekannt, das die
Ueberſchrift: „Des Fifhers Nahe“ führt. ') Dasielbe befteht aus
nicht weniger als 425 Verszeilen und erzählt in Tauniger Weife ein
Abentheuer, das ein Fiſcher mit einem eijtlichen hatte. Es beginnt
mit den Worten:
Merfe nach der welte pblicht
Ir kurtze wil ift anders nicht
Waz man finget oder fait
Bnzucht und dba by trundenhait
Hat man für ein toren ſpiel
Da von ich nit Tafen wil
Aller welt ze flür
Wil ich jagen ain auentür
Bon einem viſcher wol gemnot
Der ye vor jhaden was behuot
Der vnder Burg jaz ze tal
Da nam ain wazzer bin fin val ꝛc.
Läßt fich aus dem Anfang diefes Gedichts, ſowie aus den mitgetheil:
ten Bruchftüden ꝛc. einiger Urkunden die Sprache des 14. Jahrhunderts,
wie fie in der Gegend Pforzheims üblich war, erfehen, jo mag zu dieſem
Zwecke noch in ausgedehnterm Maaße eine ganze Urkunde fih eignen,
welche Schulthei und Gericht der Stadt am 24. Dezember 1319 aus:
geitellt haben. Diefelbe iſt ſchon mehrmals eitirt worden und mag alfo
1) Es ftcht in Laßbergs Lieberfaal, Thl. 3, S. 217. — Bezüglich bes
Nomens des Dichters ift indeß auch zu vergleichen, was ©, 133 über das Adel:
geſchlecht „von Pforzheim“ gejagt ift.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 131
auch zum Beleg für vwerichiedene Thatfahen und Angaben dienen, deren
bereits Erwähnung gefcheben ift, oder die mitgetheilt worden find. ')
„Wir Heinrich von Eberdringen (S. 102), der ſchulteiz, vnde die rihter
gemeinlih von Phorzhein, vergehen offenlih an dijem briefe, daz an ge:
rihte vor vns ftuont unſer borger Sifrit von Phorzbein, Gotboltes
feligen des Weifen fon, vnde Hedewig, fin eliche wirtin, vnde veriahen
vnd erfanten fich des, das fie vm den cinf, dem fie fchuldic warn ze ge-
ben eweclic dem clofter der monde von Albe, den def vorgenanten
Sifrides vater vnde mvoter verfouften vm driv hundert pfunde guter
beller, der fie gewert wurden von dem vorgefcriben clofter, aber dei
vorgenanten cinſes waf alle jar vier vnde vierzie malter roden, fiben
vnde zweinzie malter dinkeli, vnd zwei vnde vierzic malter habern, vnde
eilf pfont heller ane fonft jchillinge, von den gvoten, die bie nach gefcri-
ben ftent, daz ift div zweiteil der myln zu Phorzhein, die man beizzet
der Bogelerin moln, des zebenden daz dritteil, dein vnde groz, zu Bre:
Bingen vnde zu Birkenvelt, beidiv in den dorfern vnde vf dem marken,
vnde oc) vf anderme guote, die fie hant zu Bretzingen, zu Nidelingen,
Geberchingen, vnde zu Elmendingen ligen. Daz fie des vorgenanten
cinjes ledic wurden eweclich, dar vm fo hant die vergenanten Sifrit vnde
Hedewig vor vnſ vf geben eweclich dem vorgeferiben clofter die mol,
die da vor genennet ift, mit allen dem reht vnde noßen, die zu derſel—
ben moln borent, daz ift mit namen die brotfchrannen der Ranfaltin,
Heinrichs Getzinſ, Vlrichs von Winrefhein, Conratz Schumels, vnde ber
Volmarin ſchrannen, vnde der Nanfaltin bachvs, da von alle wochen
vallent fünf heller, oder alſ maniget heller brot, vnde daz dritteil de;
zehenden, beidiv groz vnde clein, wber die marke zu Bretzingen vnde zu
Birkenvelt, vnde och in denfelben zwein dorfern, Difiv vorgenanten guot
bat Sifrit vnde fin wirtin, die da vor genennent fint, geben reht vnde
redelich dem vorgeferiben clofter zu Albe ze ham eweclich vnde ze niezzen,
ſwie ef im goot oder note mac gefin, Wir Heinrich, dev ſcholteiz, vnde
die. rihter von Phorzhein, die vor geſeriben, vergehen och an dieſem
Briefe, wan der vorgenante Sifrit hat gefwifterit, Wernhern, Eriftin, vnde
Elfebeten, die nit fint zu im tagen Fomen, fo bat her Abreth der alte
Weiſe, Drotwin, Gozfelt, od die Weife, der vorgenannten finde pfleger
1) Sie ift aus dem Herrenalber Klofterarhio und fteht in Mone's
Zeitſchrift, V., 466. =
132 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert,
vnde formont, in der hant Gotbolt felic jatte vnde gab vor den ribtern
mit irme gbote ze ton, ſwaz fie wolten, die bant vergehen vor vnſ an
der Einde ſtat, jmaz Sifrit vnde Hedewig fin wirtin hant gerihtet um
ben vorgenanten cinj mit dem clofter von Abe, alf da vor geferiben
ftet, wan ez mit ir willen vnde vate gejchehen iſt, ſtete vnde gan ze
ban an alle geverde. Vnde dar vın jo git vf vnde verziehet ſich Sifrit
vnde Hedewig, vnde her Abreth der alte Weife, Drutwin vnde Gozſolt
och die Weifen, die da vor genennet fint, der vor geferiben finde forınont,
an der jelben finde ftat, for fich, for alle ir erben vnde nachkvmen aller
der reht vnde anſprache, die fie jolten oder mohten gehan oder gewinnen,
nv oder hernach, an geiflihem oder an weltlichem geriht, vnd globent
och, daz vorgenante clofter niemer ze irrent oder ze hindern mit worten
oder mit werfen an den vorgenanten guten beinlich oder offenlih. Daz
aber diz allez gang vnde tete blibe dem vorgenanten clofter ze Albe,
dar vm jo han wir Heinrich der jchulteiz, vnde die ribter von Phorzhein
durch der vorgenanten Inte bete willen, Sifrides, Hedewige, vnde od) der,
die dba formont fint der vorgefcriben Kinde, zvo dem ingefigel vnſers her:
ven, margraven Mudolfes, des jungen, von Baden, vnſere ftete ingefigel
gehenket an dijen gegenwertigen brief. Wir der vorgenante marcgrave
Ruodolf von Baden vergehen offenlich an diefem briefe, daz alles, daz
ba vorgeferiben ftet, mit vnſerm gonſte vnde goten willen gejchehen fi,
onde globen, daz vorgenante clofter von Albe niemer ze irren an den
vorgenanten guten vnde dav um fo benfen wir vnſer ingefigel zuo dem
ingefigel vnſer burger von Phorzbein am difen gegemwertigen brief zu
einer gezivenifje der vorgeferiben ſache. Dirre brief wart gegeben an
dem heiligen abent zvo wihennaht, do man zahlte von gotz gebvrte driv-
zeben hundert jar, da nad) in dem nivnzehenden jar.“
e. Pforzheimer Bürgergeſchlechter.
Die Patrizierfamilien, welche fi) im 13. und 14, Jahrhundert zu
Pforzheim befanden, find ſchon im vorigen Kapitel aufgezählt worden.
Es mögen bier nody andere Namen, die im 14, Jahrhundert in Pforz:
beim vortommen, zufammengeftellt und dabei umentichieden gelaffen werben,
ob fie zu den Batriziern gehörten oder nicht: ) Guta, genannt Schwert-
1) Diejenigen Geſchlechter, welche fich ſeit jener Zeit bis heute in Pforzheim
erhalten haben, find durch gefperrten Drud bezeichnet,
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 133
feger 1302, Heinrich Hegening 1304, Nanfalt 1319, Heinrich Getzin
1319, Konrad Schumel 1319, Volmar 1319, Heinrich Nies 1321,
Konrad Retmantel 134 und 1368, Sigwart, genannt Herzog 138,
Rudolf der Nenner 1336, Heder 1336, AZurgeler 1336, Wernber
May 1339, Guta Phennerin 1344 und 1359, Künlin, Sohn Kuno
Mavſers 1346 1), Sigfried Seßhelin (Michter) 1347, Heinrich Hagen,
Bäder 1347, Konrad der Weingärtner 1352, Walter Wolff 1352,
Wortwin der Weber 1352, Konrad der Schopperer 1352, Heinzlin der
Suter 1352, Berthold der Schürer 1352, Benz Korn 1352, Alb:
recht der Schü 1352, Johannes Schreiber von Straßburg 1358,
Guta Veſenmayerin 1359, Seifried Ferwer 1361, Walter Entlin ber
Alt und Walter Entlin der Jung, zwei Fiiher aus der Au 1365,
Guntram der Echmied 1366, berlin Sturmler 1367, Einhart Drud:
berr und Volkmar, fein Sohn 1368, Irmela Phennerin 1375, Kunzlin
Zurn der Zimmermann 1383, Friedrich Krieg der Fiſcher 1383, Cunz
Clos 1394, Götz Krämer 1394, Berthold Männlin 1395, Albrecht
Hofe (Richter) 1396, Einhard Ziegelkolb 1399.
Aus Urkunden von 1316 und 1320 erfahren wir auch, daß es
damals, wie früber fhen (S. 44), ein Adelsgeſchlecht gab, das fich
von Pforzheim ſchrieb. Am erftgenannten Jahr wird eines Speierer
Fürgers, Herrmann von Pforzheim, erwähnt, und im Jahr 1320
bat Ritter Ulrich von Kröwelsau (bei Meilerftadt) einen Tochtermann,
Günther von Pforzheim. Auch ipäter kommt der Name Pforz:
beim noch mehrmals als Gefchlechtsbezeichnung vor. So hatte Kaifer
Marimilian I. 1492 und 1493 einen Sekretär, Lukas von Pforz
beim, den er im erftgenannten Jahre zu feinem „oberften Auffeher und
Gegenihreibergeneral aller feiner Aufichläge, auch feiner und feiner
Dienftlente Steuern in Defterreih ob und unter der Ens und zu
Gmunden“ ernennt. — 1502 bis 1508 lebte zu Bafel der Buchdrucker
Jakob von Pforken. Er war aus Kempten gebürtig; es Tann
alſo das „von Pfortzen“ nur der Familienname geweſen jein, wenn
er nicht aus dem nicht fehr weit von Kempten entfernten Pforzen an
der Wertach bei Kaufbeuern gebürtig war, cin Ort, der in Urkunden
ſogar auch unter dem Namen Pforzheim vorkommt, wie unjere Stadt
!) Diefer Name zeigt, auf welchen Urfprung die verihiebenen Amar
Geſchlechtsnamen ber Kienle, Kiehnle, Kienlin 2. zurüdzufübren find. Künlin
beißt fo viel, ald der junge oder Feine Kuno,
134 Ahtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
an der Enz. Bielleiht war auch der erwähnte kaiſerliche Schreiber aus
diefem Pforzen oder Pforzheim gebürtig. — Daß 1370 in Markgrö-
ningen ein Bürger und Richter Heinz Pforzheim hieß, ift oben auch
ſchon bemerkt worden.
Anbang.
Euphemia.
Bon A. Banspach.
Die Glocke zu der Hora war verklungen
In Pforzheim bei den jrommen Kloſterfrau'n;
Ein Bußpſalm, von der Nonnen Chor gelungen ,
Drang fhwer und bang durch's frühe Morgengrau'n:
Da tönt das Glöckchen an des Haufes Pforte ;
Doch ungehört verhallt der leiſe Klang,
Verhallet gleich dem ſchmerzgehauchten Worte,
Das fih empor aus wunder Seele rang:
„O möge mir dies nicht zum Zeichen werben,
Daß aus mich fchließt dies heilige Aſyl!
Kennt doch mein einzig Hoffen noch auf Erden
Nur dieſes eine, dieſes letzte Ziel!" —
Raub durch den Garten führt der Sturm, ber wilde,
Der neue Tag beginnet feucht und kalt;
Da knieet fill vor dem Madonnenbilbe,
Im Froſte zitternd, betend die Geſtalt.
So ward fie von den frommen Frau'n gefunden
Und dann geleitet zu der Oberin,
Die ſchon erfannte in ben erften Stunden
Der Fremden reinen, glaubensvollen Sinn;
Denn ob fie auch, geheimnißvoll verichwiegen,
Nicht Kunde gab aus ihrer frühern Zeit:
Der Seele Adel ſprach aus ihren Zügen; —
Die Freiftatt war für immer ihr bereit.
1) Bergl, S. 114,
Ahtes Kapitel, Pforzheim im 14, Jahrhundert,
So lebte fie denn mandes Jahr im Stillen
In Pforzheim’s Klofter, dienend Allen gern;
Sie fannte nur den einz'gen Wunſch und Willen,
Zu wandeln auf bem rechten Pfad zum Herrn.
Erft als fih nahte ihre letzte Stunde,
Da löste endlich fie der Zunge Band,
Und nannte mit jhon balberblih'nem Munde
Den Namen von dem fernen Baterland:
„Am Thron von England ftand einft meine Wiege;
Mein Bater ift der König Eduard,
Man fjagte oft, ich trage feine Züge,
Als von der Welt mir nod gehuldigt ward.
Da follt! ih dem von Geldern mich wermähfen,
Dem Ungeliebten, dies trieb mich zur Flucht.
Was ic erlitten — laßt mich's nicht erzählen ;
Mir ward des Ungehoriams bitt're Frucht.
„Ich Hab’ gefehlet — und ich hab’ gebüßet ;
Gott ift gerecht, doch er ift guädig auch;
Er bat zulegt den Leidenokelch verfühet,
Gerührt von der Gebete Opferraud.
Grüßt mir den Vater! — Mög’ er mir vergeben —
Die Palme winkt — der Sieg ift endlich da.“ —
Eie lächelt jelig, es entihwand ihr Leben,
Und ausgelitten bat Eupbemia.
135
Aeuntes Kapitel
Pforzheim unter den Markgrafen Bernhard J., Jakob I,
und Kari 1.)
(Größtentheils 15. Jahrhundert.)
F 1. Allgemeines.
Die beiden Söhne, welche Rudolf VI. oder der Lange hinterließ,
nämlich Bernhard I und Rudolf VII. (S. 93), waren bei dem Tode
ihres Vaters noch minderjährig, weshalb fie unter die Bormundichaft
von Kurfürft Ruprecht I. von der Pfalz geitellt wurden. Diefelbe
icheint jedoch um 1380 zu Ende gegangen zu fein; denn in biefem
Jahr nahmen beide Brüder eine Theilung der väterlichen Lande vor,
wobei Bernhard I. die Städte Pforzheim und Durlach fammt der
untern Markgrafichaft, Rudolf aber Baden erhielt. Mit dem Tode des
Letztern, welcher 1391 erfolgte, wurde die ganze Markgrafichaft in die
Hand Bernhards wieder vereinigt. Schon bei ihrem Negierungsantritt
hatten die beiden Brüder, denen nicht entgangen war, wie ſchädlich die
vielen bisherigen Theilungen auf das Anfehen des marfgräflichen Haufeg
eingewirkt ‚hatten, einen Erbvertrag miteinander abgeſchloſſen, worin feft-
gefet wurde, daß die Markgraffchaft Baden Fünftig nie mehr als zwei
Herren haben, das Recht der Erftaeburt gelten und eine Linie der
andern beim Ausfterben in ihrem Landestheile nachfolgen folle. Ebenſo
wurde die Veräußerung von Yand und Leuten gänzlich unterfagt und
bejtimmt, einerfeits wie e8 mit Verpfändungen gehalten werden, anderer:
jeits, welches das Einfommen nachgeborener Söhne und die Ausfteuer
ber Prinzeffinnen fein ſolle. Diefer Vertrag ift eine der wichtigften
1) Die allgemeinen Geihichtsquellen find meift die frühen; die befondern
find überall angegeben.
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15, Jahrhundert. 137
Handlungen Markgraf Bernhards, und es ift nur zu bedauern, daß er
unter feinen Nachfolgern nicht immer beachtet wurde.
Die vielen Fender! , welche Bernhard J. theils zur Wahrung jeiner
Yänder und der Ehre feines Haufes, theils zur Unterftügung von Bun-
deögenoffen und Freunden unternahm, können bier füglich übergangen)
und nur fo weit berührt werden, als die Stadt Pforzheim dabei
in irgend einer Meife genannt wird. So heldenmüthig im Krieg, ebenio
thätig und winfichtig war er in frieblihen Geſchäften, und jorgte nicht
nur für die Vermehrung feiner Länder, fondern au für deren innere
Ordnung und den Wohlitand feines Volkes. Markgraf Bernhard ftand
deshalb auch bei den andern deutſchen Fürſten in hohem Anfehen, und
mag den Beinamen des Großen, der ihm wielfach gegeben wird, eben
jo gut, wie mande andere Fürften verdienen, denen man dieſe Benen-
nung beizulegen pflegt, wenn er auch von allzu großer Leidenſchaftlichkeit
nicht frei zu fprechen tft.
Bon ben drei Söhnen Bernhards I. überlebte ihn nur einer,
Jakob I., der deshalb aud in dem ungetheilten Beſitz der badiſchen
Lande gelangte. Er regierte fie von 1431 bis 1453 mit dem Lobe
eines ebenſo gerechten und weiſen, als friedliebenden Fürſten. Durch
ihn wurde die Markgrafſchaft abermals nicht nur mit neuen Erwer⸗
bungen anſehnlich vergrößert, ſondern auch für Ordnung, namentlich
aber auch für die öffentliche Sicherheit beſtens geſorgt. In ſeinem
Teſtamente beſtimmte Markgraf Jakob, daß von ſeinen fünf Söhnen
drei, nämlich Karl, Bernhard und Georg ſeine Länder unter ſich theilen,
die beiden andern aber, Johann und Markus, ſich dem geiſtlichen Stande
widmen follten. 2) Nach dem Tode Jakobs ging jene Theilung auch
wirflich vor fih, und fam dabei Stadt und Amt Pforzheim, welch
letzteres damals aus den Orten Würm, Dietlingen, Ellmendingen,
Langenalb, Friolzheim, Ziefenbronn, Neuhanfen, Steinegg, Hamberg
und Lehningen beftand, an Bernhard, diejes Namens ber Zweite. Er
heit auch der Heilige, weil „in feinem fchönen Leibe eine noch ſchönere
Seele ihre Wohnung hatte, die er mit Demuth, Mitleiden und Heilig:
) Ausführlicheres darüber bei Sachs, 11., 177—296, zum Theil aud
bei Bader, bad. Landesgeſchichte, S. 326 fi. Preuſchen, 504 — 516, ſowie
in andern Geihichtswerfen. k
2) Erfierer wurde Erzbifhof von Trier, Leterer Biſchof von Lüttich.
138 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
feit, als der Krone aller Tugenden, zu ſchmücken fuchte,“') Aber ſchon
im folgenden Jahre, nämlich 1454, trat Markgraf Georg zu Pforzheim
feinen Yänderantheil an feine zwei ältern Brüder gegen eine Summe
von jährlichen 1000 Gulden ab, widmete fich ebenfalls dem geiſtlichen
Stande und wurde fpäter Bifchof von Mes. Als nun auch Bernhard IL.
feinem Bruder Karl die Regierung feines Landes übertrug und auf
einer Gejandtichaftsreife, die er im Auftrag des Kaifers Friedrichs ILL
an alle europäifchen Höfe zum Zweck eines Kreuzzuges machen jollte,
in Oberitalien 1458 plöglih ftarb, jo gelangte Karl I. in den Befit
der ganzen Markgrafichaft, und die Gefahr, die dem Anſehen des ba—
diſchen Hauſes durch abermalige Yänderzeriplitterung gedroht hatte, war
für jet wieder befeitigt. —
Markgraf Karl J. regierte von 1453 — 1475. Diefe Zeit war
eine Außerjt unruhvolle, da der kriegeriſche Sinn des Markgrafen, der
ihm auch den Beinamen des Kriegers zuzog, ihn mehrfad, verleitete,
fi in Händel zu mifchen, von denen er ein unbetheiligter Zuſchauer
hätte fein können. Wenn ihm auch das Lob eines guten und verftän-
digen Negenten gezollt wird, fo tadelt man auf der andern Seite das
an ihm, daß er in feinen Entſchlüſſen nicht die nöthige Feſtigkeit zeigte.
Unter den Kriegen Karls I. it feiner bekannter geworden, als der:
jenige, den er mit dem Kurfürften Friedrich dem Siegreichen von ber
Pfalz führte. Da derjelbe auch Pforzheim mehrfach berührt, fo
muß bier ausführlicher darauf eingegangen werden, 2)
Im Jahr 1461 entitanden nad dem Tode bes Erzbifchofs von
Mainz heftige Streitigkeiten bezüglich dev Perfon des Nachfolgers. Auf
der einen Seite machte ein Graf Diether von Iſenburg, auf der andern
Graf Adolph von Nafjan Anjprühe auf den erledigten Biſchofsſitz.
Des Erjtern nahm ſich der Kurfürſt Friedrih von der Pfalz an, für
den leßtern traten insbefondere der Markgraf Karl von Baden, Graf
Uri von Württemberg und Biſchof Georg von Meg, des Markt:
geafen Bruder, in die Schranken, und da eine friedliche Beilegung diefes
Streites nicht gelang, fo wurde zum Schwert gegriffen.
Kleinere VBerwüftungen gingen voraus; im Februar 1462 aber
) Sads, I, 509.
2) Bergl. Sachs, I, 432 ff. Bader, bad. Geſch. 354 ff, Häuſſer,
Geſch. der Pfalz, I., 369 ff. Stälin, württemb, Geſch., UI., 535 f., Mone,
Unellenfammlung, II, 140 ff.
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15, Jahrhundert. 139
wurde der Krieg ernftlich begennen. Der Kurfürft fiel mit ftarfer
Heeresmacht in die Markgrafichaft ein, drang bis gegen Bforzbeim
vor, verbrannte daſelbſt drei Dörfer und verbeerte das Remchinger Thal
(das Seitenthal der Pfinz, das von dem frühern Dorf Nemchingen oder
auch von Singen aus nah Königsbach und Stein führt,) mit Feuer und
Schwert. Dafür erfchienen im März verheerende Schaaren aus Mürt:
temberg und Baden in der Pfalz, drangen bis gegen Heidelberg vor,
verwüfteten die ganze Umgegend und legten eine Menge von Dörfern
in Aſche. Im Mai ging Markgraf Karl über den Rhein umd ver:
heerte die pfälziſchen Beſitzungen im Elſaß. Diefes langfame Hinzögern
und Länderverwüften ohne enticheidenden Schlag mußte Niemand vers
berblicher fein, als dem Pfalzgrafen. Es lag ibm darum Alles daran,
eine rafche Gelegenheit zur Entſcheidung zu erhalten, und dieje wurde
ihm von feinen Gegnern geboten. Durch falſche Benrtheilung der
Kräfte des Pfalzgrafen und fonftige irrige Nachrichten getäufcht, ent—
ichlofien fi die verbündeten Fürften, in Maſſe in der Pfalz einzufallen
und den Gegner durch einen gewaltigen Schlag zu überwältigen. Am
25. Juni vereinigten fich die badifchen und württembergiichen Heere bei
Pforzheim, einjchlieglih der Hilfstruppen von Trier und Met in
einer Gefammtjtärke von SOOO Mann zu Fuß und zu Noß.?) Beim
Eintritt in die Pfalz (bei Bretten) begann ein wahrer Verwüftungszug.
Manche Reiter bauden ihren Pferden breite Baumäfte an die Schwänze,
um in den Sornfeldern, durch welche fie ritten, dic Verwüftung zu vers
größern Ein Angriff auf die pfälzifche Weite Heidelsheim mißlang,
weil der Kurfürft, den die Verbündeten fern in Baiern glaubten, felber
darin war. Don dort zog das Heer weiter unter Brandlegung in allen
Dörfern bis gegen Heidelberg hin, mit kühnen Abfichten auf das dortige
Schloß und in der fihern Hoffnung, in kurzer Zeit die ganze Pfalz
einzunehmen, Bei St. Leon wurde eine MWagenburg gefchlagen und
das Fußvolk daſelbſt zurüctgelaffen, während die Fürften mit ihren 700
Pferden in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni einen Streifzug gegen
Sedenheim am Nedar hinunter machten. Am andern Tag aber
— — —
Graf Ulrich Hatte vorher an Markgraf Karl geſchrieben, er möge Für
ſehung thun, daß ihm und den Seinigen, wenn fie bet Pforzheim Nachtlager
hätten ober bis folgenden Freitag verziehen würden, Wein und Brob um billige
Bezahlung widerfahren möge. Steinhofer, HL, 59.
140 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
brach der Pfalzgraf, der ganz im der Stille feine Leute (über 2000
zu Fuß und 1000-1200 zu Pferde) gefammelt hatte, plötzlich aus
dem Schwesinger Wald hervor und überrafchte mit feiner Ueberzahl
die Gegner, welche, von ihrem Fußvolk abgefchnitten und zwifchen den
Nedar und Mhein eingeflemmt, die ungünftigfte Stellung Batten.
Heiß entbrannte die Schlacht, in welcher treß der muthvolliten Ge:
genwehr feiner Feinde der Pfalzgraf einen glänzenden Sieg erfocht
und den Markgrafen Karl von Baden, den Grafen Ulrich von
Miürttemberg und den Biſchof Georg von Met nebft vielen Herren
vom Abel gefangen nahm.!) Xebterer wurde auf das Schloß Eicholz—
beim bei Mannheim, die beiden Erjtern aber nach Heidelberg ge:
bradyt und nad erfolgter Heilung ihrer Wunden auf dem Schloß
bafelbft eingekerkert. Nach einjühriger Gefangenſchaft, während welcher
die Fürſten äußerſt ftreng gehalten und nicht nur in Feſſeln gelegt,
fondern fogar einmal fünf Wochen lang in den Stock geichlofien
wurden, jchlug endlich die Stunde der Befreiung, aber unter welchen
Bedingungen! Außerdem, daß die Fürſten verfprechen mußten, nie
mehr feindfelig gegen den Pfalzgrafen aufzutreten und ihm mit
dem Papſte, der ihn im den Bann getban, binnen Sahresfrift aus:
zuföhnen, im Falle der Nichterfüllung bei einer Strafe von 30,000
1) „Als ein A mit einem I aeziert, (M)
Bier Hufeilen waren formirt, (CCCC)
Eine Art und ber Apoftel Zahl, (LXII)
Geſchah die Schlacht am Nederthal.
Da ſchlug und fing ein junger Pfälzer
Einen Bader, Jäger und Sälzer,
Friedrich, der Siegreiche wohlgenannt,
Der Kurpfalz Zier durch alle Land,“
fo heißt es in einem Liebe aus damaliger Zeit. (Der Jäger ift der Württems
berger wegen des Jägerhorns, das er auf dem Helm führte, und ber Sälger
if der Bilhof von Meg wegen der reichen Ealzgefälle dieſes Hochſtifts). Be:
fannt ift auch die Ballade von Guſtav Ehwab: „Das Mahl zu Heidel—
berg,“ worin ber Dichter die Sage behandelt, daß der Pfalggraf feine Ge:
fangenen am erften Abend (Andere jagen bei der Freilaſſung) köſtlich bewirthet,
ihnen jedoch fein Brod vorgefeßt habe , weil fie ihm „feine Mühlen verbrannt
und feine Fruchtfelder verwüftet hätten,“ — Unter den Gefangenen, welche in
Mones Qucllenfammlung, III., 147 und 148 aufgezählt find, fcheinen auch
Pforzheimer geweſen zu fein, jo Wernher Plus, Martin Dietrih, Konrad Flach,
Hans Wolf, Ulrich Schoch, Hans Felder u. N.
Neuntes Kapitel. Pforzbeim im 15. Jahrhundert. 141
Gulden für den Markgrafen: mußte Lebterer auch noch verfchiedene
Ländereien abtreten oder Ansprüche, die er darauf geltend gemacht
hatte, aufgeben, die Stadt Pforzheim zu einem pfälzifhen
Leben machen, das dur nichts, als die Bezahlung von 40,000
Gulden aufgefagt werden könnte, und endlich außer den Aufrechnungen
für die Beköſtigung im Gefängniſſe als Löfegeld die für die dama—
lige Zeit ungeheure Summe von 100,000 Gulden, wovon 20,000
Gulden baar, bezahlen. 1) In der betreffenden Urkunde wurde aud)
feitgefegt, daß der Kurfürft das Geleit?) von Pforzheim nad) Bretten,
der Markgraf dagegen das von Bretten nach Pforzheim haben folle.
Bei jolhen Bedingungen durfte Friedrih den Markgrafen ſchon
feierlich entlaffen, was aud unter dem Schalle von Trompeten und
Pfeifen geichab.
Bon der Zeit an mar die Megierung des Markgrafen eine
durchaus friedlihe. Es wird zwar von einem hroniften 3) erzählt,
ber Markgraf fei 1469 dem Grafen von Württemberg mit 800 Mann
zu Pferd ins Land gefallen, habe ihm etlihe Dörfer in Brand ge:
ftedt und bei 2000 Schafe hinweg nah Pforzheim treiben lafjen.
Es iſt dies indefjen darum unmahrfcheinlich, weil beide Fürften damals
in jo guten Ginvernehmen ftanden, daß ſogar Graf Eberhard von
Württemberg für die Zeit feiner Abweſenheit (er wollte eine Pilger:
fahrt ins heilige Land machen) 1468 dem Markgrafen Karl die Re:
ı) Stälin, IM, 543. Wie fih der Markgraf diefe Gelder verſchaffte,
lefen wir in Eikhart Argtes v. Weiffenburg Geſchichte feiner Zeit,
(Mone, Archiv II., 269), wo es beißt: „Am obgenanten jare (1463) gab
feifer Friederich der Dritt dem marfgraven von Baden, feinem ſwager, bie
Judden-ſchatzung, alfo das ein iglicher Judde, der do was uber drei jare, jollt
geben ein gulden bevor us und darnach je dem britten (nad anderer Lesart
den zehmten, vergl. die Urfumdenmittheilung des Wiener Archivs im ben
Schriften des bad. Alterthumsvereins, Bd. II., S. 243.) pfenning alles ſins
guts, alſo, das dem marfgraven me dan zweimal hundert tauſend gulben, ale
man jagt’, wurden, dadurch er fins ſchadens wider zu fam. Zu dem het er
auch alles fin Tand geſchetzt.“ (Der Markgraf mußte jedoch [Baden,
12. März 1464] verſprechen, die Hälfte des reinen Ertrags ber Judenſteuer,
nah Abzug der Einfammlungstoften, dem Kaifer nah Frankfurt ober um zu
übermagen. Vergl. die Ehriften des badiſchen Altertyumsvereins Bd. I.
&. 243.)
2) Vergl. S. 127.
®) Bernhard Herzog in der Elſaßiſchen Chronik.“
142 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert,
gierung ber öſterreichiſchen Vorlande übertrug. 1) Bejonders war Mart-
graf Karl darauf bedacht, feine Länder zu vermehren, was ihm gleich
jeinen Borfahren auch gelang. Bon mehreren jeiner Regierungshandlungen,
welche Pforzheim betreffen, wird unten die Rede fen. Karl I
tarb am 24. Februar 1475 an der Peſt in feiner Reſidenzſtadt
Baden,
$ 2. Befonderes.
Markgraf Bernhard IL hielt oft feinen Hof im Pforzheim,
wenn ihm auch fein unruhiger Geift nicht geftattete, im ingend einer
Stadt feine ftändige Mefidenz zu nehmen. Im Befige aller ritter:
lihen Eigenſchaften, Eriegerifch fein ganzes Leben bindurd, war Bern:
bard bejtindig von einer großen Zahl jeiner adeligen Vaſallen um:
geben, welche ihn im Krieg unterftügen, im Frieden aber den Glanz
jeines Hofes erhöhen mußten. Unter denjelben ragte durch Reichthum
vor Allen hervor: Heinrih Göldlin von Tiefenau,?) einem alten
Patriciergefchlechte Pforzheims angehörig (S. 85). Seine Vorfahren
hatten mehrfach das Schultheißenamt daſelbſt bekleidet (S. 103), und
es ſtand überhaupt die Familie Göldlin in der Stadt in großem
Anfchen. Mit dieſem Heinrih Göldlin gerieth Markgraf Bernhard
in einen heftigen Streit, dem wahrſcheinlich Geldforderungen zu Grunde
lagen, und der jo weit führte, daß der Markgraf feinen Vaſallen zu
Pforzheim für feinen Feind erklärte, fo daß Gölblin aus Pforzheim und
der Markgrafſchaft flichen mußte. Da wurde er von tiefem Haß gegen
den Markgrafen erfüllt, und überall fein Recht, oder feine Rache gegen
denfelben, oder vielleicht Beides fuchend, begab er fich in den Schuß
des Grafen von Württemberg. Darüber beklagte fich der Markgraf,
und es entftand daraus ein heftiger Streit zwifchen beiden Fürften, der
1399 durch ein Schiedsgericht zu Leonberg beendigt werden follte. Die
Zuſammenkunft war aber eine fruchtloſe, ebenjo eine andere zu Weil
der Stadt, bis emdlih 1402 in Vaihingen die Streitjache dahin ent:
jchieden wurde, daß Graf Eberhard dem Markgrafen gegen Göldlin
behilffich fein müſſe.
) Stälin, II, 564.
2) Vergl. Lottbammer, Pforzbeims Vorzeit, 147 ff.
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 143
Diejer zog nunmehr nad Züri, we er fich als Bürger aufnehmen
ließ !) und alsbald auch zum erften Reichsvogt gewählt wurde, Bon
dort aus verfuchte er aufs Neue feine Nechte gegen den Markgrafen
geltend zu machen, und legte jogar zu dem Ende dem Kaifer Ruprecht
von der Pfalz Briefe und Urkunden vor mit der Bitte, ihm zu dem
Seinigen zu verhelfen. 2) Die Urkunden wurden aber ſowohl von dem
Markgrafen, als von den faiferlichen Räthen für umächt erklärt. Nach
dem Tode Göldlins ernenerte jein Sohn Heinrich 1414 feine Forbe-
rungen an Bernhard, und als fie ibm nicht gewährt wurden, kam es
zu offener Fehde, da fich die Zürcher ihres Mitbürgere annahmen.
Doch wurde noch im mämlichen Jahre der lange Streit durch einen
Vergleich beendigt, bei welchem fich der Markgraf zu Gunſten der Ya:
milte Göldlins zu einer Entihädigung verftanden zu baben ſcheint. 3)
Wie Pforzheim fehr häufig von den Fürften der an die Markgraf:
ſchaft angrenzenden Länder zu ihren Zuſammenkünften gewählt wurde,
wenn irgend gemeinichaftliche Verabredungen zu treffen oder Streitigkeiten
zu fchlichten waren, fo fchlofien au am 14. Januar 1400 der Kur:
fürft Muprecht von der Pfalz und der Herzog Lupold der Dide, dem
die Regierung der öfterreichifchen Vorlande übertragen war, zu Pforz:
beim — wahrfcheinlih unter den Augen Markgraf Bernhards, —
einen Vertrag mit einander, welcher zwar zunächſt auf die Erhaltung
der Ruhe und Sicherheit ihrer Länder abzielte, aber den bechgehenden
Planen Ruprehts, der wenige Tage nachher zum römiſchen Kaifer ge:
wäblt wurde, and ſonſt fürderlidy fein mochte. Welches Inhalts diejer
Vertrag war, gebt daraus bervor, daß Graf Eberhard von Württem:
berg darin von den zu Befebdenden ausdrüdlih ausgenommen wurde.
Das oben (S. 96) ſchon erwähnte Privilegium, welches Kaiſer
Wenzel dem Markgrafen Bernhard 1382 verlieh, nach welchem „fein
— — „Derfelb ri Göldlin was von Pforzheimb vß des Marge
grafen Land, von finen vordern, und bat ouch etwas Nechtung an ber Etadt
ze Tforgheim, und was vor Jaren als er etwas Epänne mit dem Marggraven
gebebt, gen Zürich gezogen, und da Burger worden" x, Tſchudi, Schweizer
Ehrenif, J., 674.
2) Nach einer Notiz im Piorzbeimer Archiv belief ſich feine Schuldforberung
an den Markgrafen auf die ungeheure Summe von 60,000 Gulden.
) Bergl. Tſchudi, J., 674 und Sachs I., 235. Das Geläleht ber
Goͤldlin von Tiefenau fommt fpäter in Pforzheim nicht mehr vor.
144 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert.
Fürft, Herr oder Stadt oder fonft Jemand keinen der Seinen zu
Burger abempfahen, und, wenn es ſchon vorher geſchehen wäre, ſolches
null und nichtig fein ſolle,“ verwidelte den Markgrafen in mehrfache
Händel, namentlih mit den Städten, gegen welche er nie die, freund:
lichften Gefinnungen begte, jo unter Anderm 1397 mit der Stadt Speier,
weil der Rath derjelben um 1394 einige markgräflibe Unterthanen und
Reibeigene aus Pforzheim und Ettlingen zu Bürgern aufgenommen
hatte.“) Diefer Streit kam bis vor den Kaijer Wenzel, der ihn zu
Gunften der Stadt Speier entjchied ,2) jedoch den Herren das Recht
zugefland, ihre Leute innerhalb Jahresfriſt zurückfordern zu dürfen. Aus
ähnlicher Urſache, die verichiedene Pladereien im Gefolge hatte, erhob
fih um 1420 ein Öitreit zwiſchen Bernhard und den breisgauijchen
Städten, der 1424 eine Verwüjtung der Markgrafſchaft nach fich zog
und dur den Vertrag von Mühlburg beendigt wurde.3) Zwiſchen
Markgraf Bernhard und Württemberg, das auch am Kriege theilge—
nommen hatte, kam es zu einen bejondern Vergleich, bei welchen feſtge—
feßt wurde, daß die Richtung, zu Pforzbeim gemadt (?), bei Strafe
von 5000 Gulden beibehalten werden ſollte. — Berührte diefe Ver:
beerung des Landes die Gegend von Pforzheim und die Stadt felbft
weniger, als die im Rheinthal gelegenen Theile der Markgrafihaft, jo
war dafür ein Krieg im Jahr 1402 dem an Württemberg anftoßenden
marfgräflihen Lande um fo verderblicher geweſen, weil Graf Eberhard
in Württemberg, mit weldem Markgraf Bernhard ohnehin nicht im
freundfchaftlichiten nachbarlichen Verhältniſſe lebte, mit andern Fürſten,
die der auf Bernhard wegen Ungehorſams erboste Kaiſer Ruprecht gegen
ibn aufgeboten hatte, nebft diefem felbft vermüftend im die ihm zunächft
gelegenen Theile von Baden eingefallen war. Ob Pforzheim auch da—
bei gelitten babe, it nicht befannt,
Am 9. Auguft 1418 beherbergte Pforzheim in feinen Mauern
wieder einen hoben Gaft, nämlich den Kaifer Sigmund, von dem Konzil in
Konftanz wohl zur Genüge, aber gerade nicht von der vortbeilbafteften
1) Nebenbei aud, weil die Speierer dem Markgrafen für verſchiedene Be:
Ihädigungen, welche feinen Ländern in vorbergegangenen Kriegen erwachſen
waren, feine Entihädigung leiften wollten.
) Lehmann, Speierer Chronik, ©, 848,
’) Vergl. Königshofen in Mone, Quelleniammlung, 1, 255 u. 285,
und Sachs, II, 264 ff.
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 145
Seite bekannt. Er reiste damals in Schwaben umber und hatte fich
einige Tage in Baden aufgehalten, von wo er über Ettlingen, Pforzheim
und Weil der Stadt nad Eflingen ıc. Fam. Markgraf Bernhard erwies
dem Kaifer viel Aufmerkfamkeit und veranftaltete ihm zu Ehren namentlid)
große Fagden ‚1) mozu die ausgedehnten Waldungen des Landes, zu denen
bamals der Hagenſchieß 2) jchon gehörte, reichlich Gelegenheit boten.
Daß die Lehensverbindlichkeit gegen Mainz wegen Weißenftein ꝛc.
(S. 95) nody unter Markgraf Bernhard fortdauerte, erfehen wir daraus, daß
derfelbe am Dienftag nach Judica 1426 von dem Kurfürften Konrad
von Mainz zu Pforzheim aufs Neue mit Burg Weißenftein ſammt Zus
behör, dem Schultheigenamt, dem altem Ungeld und den Mühlen zu Pforz-
beim belehnt wurde, Diejes Lehenverhälmig nahm inbefjen bald nachher ein
Ende;3) denn im Jahr 1444 trug bereits Dietrich von Gemmingen
das Schloß Weigenftein ſammt Zugehör von der Martgrafſchaft zu
Lehen, nachdem derſelbe 1439 mit feiner Ehefrau Agnes von Sidingen
die Dörfer Neuhaufen und Lehningen, den fechsten Theil an ben Dör—
fern Tiefenbronn, Friolsheim und Mühlhauſen, desgleichen feinen Theil
an den Weihern auf der Struott, wie auch feine Zinfe und Rechte zu
Reichenbach, Hobenwarth, Schellbronn und Mödlingen um 4200 fl.,
ſowie im Jahr 1440 feinen Theil an Steinegg, Burgftadel und Thal,
um 450 Gulden an den Markgrafen Jatob I, verkauft hatte. Das
Schloß Steinegg fammt dem Thal, der Mühle und Sägmühle, auch
verſchiedene Waldungen erhielt ſodann Dietrid von Gemmingen von
Jakob I. 1448 als Erbleben zurück; dag Gleiche geſchah nochmals 1461
durch Markgraf Karl I, und wurde dabei die Erbbelehnung auch auf
) Der Markgraff von Baden tet dem Konig große Ere und furte in umb
in feinem Land jagen, Eberb. Winded bei Stälin, III, 415.
2) Ueber ven Hagenſchieß vrgl. auch S. 72, Die älteften Nachrichten über ben:
felben in einem ber Lagerbücher, die in der Regiftratur des Forſtamts Pforzheim
fi befinden, reihen zwar nur bis 1499; doch geichieht des Hagenſchießes als
Eigentyum ber Markgrafen von Baden ſchon um 1460 (S. 157), 1461 bei
Sachs, 11.,427 und in einer Urkunde des ftädtifchen Archivs von 1480 Erwähnung.
3) d. b. es begann von Neuem, ald Weißenflein wieder an die Markgrafen
zurüdgefallen war, So finden fich Lehenbriefe Über Burg Weißenftein, Schult:
heißenamt, Weinungeld und Mühlen zu Pforzheim vom 17. April 1583, aus:
geftellt von Erzbiihof Wolfgang und vom 7. Februar 1711 von Erzbiſchof Lo:
tbar Franz. Wann dicfes Lebensverbältnig aufgehört bat, weiß ich nicht.
(Vgl, Lüinig, corp. jur. feud, Il, 189 bis 192.)
Pflüger, Pforzheim. 10
146 _ Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert,
die Dörfer Tiefenbronn, Hamberg, Schellbrenn, Hohenwarth, Neuhauſen,
Müůhlhauſen und Lehningen, mit den dazu gehörigen Unterthanen, Steuern,
Wildbännen und befonders den Wald, der Hagenſchieß genannt, ausge:
dehnt, nachdem der gleiche Markgraf zwei Jahre vorher, nämlich 1459,
auch die Belehnung mit Weißenftein erneuert und die Dörfer Huchen:
feld und Büchenbronn hinzugefügt hatte. Xebteres Lehen blieb indeſſen
nicht bei ber von Gemmingen’ihen Familie Denn fhen 1464 wurde
es nebſt Dillften von Karl L an Heflo von Kaltenthal ale
Mannlehen (d. 5. nur auf die männliche Nachkommenſchaft ferterbend)
übertragen, und zwar unter den gleichen Bedingungen, wie es Diet:
rich von Gemmingen erhalten hatte, namentlich mit Vorbehalt des Oeff⸗
mungsrechtes, d. h. der Beſitzer von Weißenftein mußte den Lehensherrn
zu allen Zeiten ohne Weigerung in das Schloß aufnehmen. Doc
blieb Weißenſtein auch nicht bei diefem Geſchlecht, fondern wechielte feine
Befiter noch mehrmals, So beſaß es 1488 ein Edler von Ehingen,
1512 kam es an Reinhard von Neubauien (©. 69), 1566 an
Martin von Remchingen, der es aber nicht lange behielt, fondern
an den Markgrafen von Baden, wie die Sage berichtet, wieder -verfpielt
haben fol. Bon der Zeit an verichwindet MWeißenftein allmählig aus
der Geſchichte, und fcheint das untere Schloß nie gewaltfam zerftört,
fondern nach und nad) zerfallen zu jein.
Im Jahr 1451 fab Pforzbeim, wie da8 früher ſchon mehrmals
der Tall gewejen war, eine Anzahl Fürften in feinen Mauern verjammelt,
E8 war nämlich zwiſchen Ludwig, Herrn zu Lichtenberg, und den Grafen
von Leiningen ein heftiger Streit entbrannt, der nad der rohen Sitte
feiner Zeit fogleih auch zu gegenfeitigen Länderverwüſtungen führte.
Markgraf Jakob fuchte Frieden zu ftiften, und nachdem zwei Konvente,
zu Heidelberg und Speier, nicht zum erwünſchten Ziel geführt, kamen
die ftreitenden Parthien nebft den Friedensvermittlern, darunter Biſchof
Reinhard von Speier, Markgraf Albrecht von Brandenburg, Markgraf
Jakob von Baden und der Deutjchmeifter Soft von Venningen, zu Pforz:
beim zufammen, wo der früher ſchon geichlofiene Waffenftillitand bis
auf den Dreikönigstag des folgenden Jahres verlängert wurde. Der
Streit felbft aber ging erft bei einer neuen Zuſammenkunft zu Straß:
burg 1452 vollftändig zu Ende.
Um 27. Juni 1473 beherbergte Pforzheim wiederum einen
bohen Saft, nämlih den Kaifer Friedrih III. Derjelbe fam vom.
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 147
Reichstag von Augsburg, wo er vergeblich vwerfucht hatte, die Fürften zu
einem Kriege gegen die Türken und zu einem Feldzug gegen Karl den
Kühnen von Burgumd zu beitimmen, und reiste num über Ulm, Göp:
pingen, Eßlingen, Stuttgart, Leonberg, Weil und Pforzheim nad
Baden, um dort feinem Schwager, dem Markgrafen Karl, jowie feiner
Schwefter einen Beſuch zu mäcen.1) Welche Ehrenbezeugungen dem
Kaifer von der Stadt Pforzheim bei der Durchreife erwieſen wurden,
darüber ift nichts befannt. Groß werden fie übrigens nicht geweſen fein,
da Friedrich III. in Deutichland in Feiner befondern Achtung ftand und
in feiner Perſon die Hoheit des Meichs nicht wenig berabgefunfen war.?)
6 3. Inneres.
a, Stäbtifhe Verhältniffe im Allgemeinen.
Was die Entwidlung der ftädtiichen Verhältniſſe, insbefondere die
Einrichtung des Ortsregimentes betrifft, wie ſich daffelbe im fünfzehnten
Jahrhundert geftaltete, jo hat fih noch eine merhwürdige „Ordnung,
wie Gericht, Rath, Bürger: und Baumeifter erwäbhlt wer:
den jollen“, vom 10. November 1409, aljo aus der Negierungszeit
Bernhards I, erhalten.?) Da diefelbe indefjen mit der Stadterdnung
von 1491 und den in den folgenden Jahren als Zuſätze und Ergän—
») Karl I. hatte zur Gemahlin Katharina, eine Tochter von Herzog Ernft
dem Eifernen von Deftreih, dem Vater Friedrihs IM. Die Hochzeit mit ber:
felben war 1447 in Pforzheim aufs Prachtvollfte begangen worben.
2) „Er reit aljo in dem lande umb al ein betteler und ſchatz ein flatt
noch der anderen. Zuoleft ritt er gon Metze und bettelt ouch da ſelbeß. Gr
bett dem rich ouch nie Fein guots, die wil er feifler was, — — Darnach zoge
er in Swoben und bettelt in allen richftetten draffter, jo in Swoben ligen.
Zuo left fam er gon Dugsburg, do er vor ouch gewefien was und zertte bo
und wolt nyeman nuetz geben umb das fin." Fortiegungen des Königs:
bofen in Mone, Quellenſammlung, 3., 265. — Auf dem folgenden Reiche:
tag zu Augsburg blieb der Kaifer an Zehrungskoſſen 6736 Gulden ſchuldig;
die Kölner mußten ihm auslöfen. Als der Kaifer abreifen wollte, hielt ber
Zunftmeifter ber Hufſchmiede wegen einer Forderung, die er er an ben Hof zu
machen hatte, die faiferlihen Pferde auf. Stälin. HL, 569.
*) Kopialbuch im ſtädtiſchen Arhiv, S. 194 fi. — Markgräfliger Vogt
zu Piorzbeim, der wahrſcheinlich bei der Abfaſſung diefer Wahlorbnung mit
wirfte, war um jene Zeit (ficher 1412) Albreht von BER TE 63).
448 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
zungen bderjelben gegebenen andern Ordnungen im engiten Zufammen-
bang fteht, fo mag fie auch erft weiter unten am gehörigen Ort
umftändlicher berücfichtigt werden. Nicht unerwähnt kann ich bier
laſſen, daß die Stadt Pforzheim mehrfach die Ehre hatte, für Hleinere
und größere Anlehen, welche die Markgrafen, namentlich Karl J., mad:
ten, Bürge und Mitfhuldnerin zu werden, fo 1454 für eine Summe
von 13 fl. 20 r., melde Markgraf Bernhard von Wernher Goflin
aufgenommen, ferner für 1200 Gulden, welche Bernhard an Heinrich
von Berwangen und Albrecht von Zeutern fchuldete, fodann für andere
Schulden desfelben im Betrag von 1950 Gulden, — ebenfo für 100
Gulden, welche Markgraf Karl I. 1459 von Berchtold Horder von
Gertringen, für 1000 Gulden, weldhe er 1469 von den Mormfern zu
Straßburg, für 1000 Gulden, welche er im nämlichen Jahr von Dechant,
Kapitel und Vikarien des Chores im Hochſtift zu Speier, für 400 Gul:
ben, die er ebenfalls im Jahr 1469 von Dechant, Kapitel und Vilarien
des Hochftifts zu Straßburg, für 1200, melde er abermals 1469 von
Probft, Dechant und Kapitel des Stiftes zum jungen St. Peter, für
40 Gulden, welche er 1472 von unferer lieben Frauen Kirche zu Tie—
fenbronn aufnahm u. f. w. Bei der Stadt felbft wurden ebenfalls An-
leben gemacht, jo 3. B. 1450 von den Söhnen Jakob I, Karl, Bern:
hard und Georg. Die Summe ift jedoch nicht genannt. 1) Es brachten
ſolche Umftände die Stadt, die felber mehr als einmal in der Rage war,
zu Geldaufnahmen fchreiten zu müſſen, häufig in Verlegenheit, und die
auf folche Weiſe entftandenen Schulden, zu denen fpäter noch verfchiebene
andere kamen, lagen wie ein Alp auf der Stadt und wurden namentlich)
im 17. Jahrhundert, während deffen faum die Zinſen derſelben bezahlt
werden Fonnten, immer größer und bdrüdender, Ich werde darauf
zurückkommen,
b. Kirhe und Schule.
(Errichtung eines Kollegiatftiftes, Reformation der
Klöfter, Gründung einer lateinifhen Schule.)
Das Wichtigfte, was in kirchlicher Hinficht im Laufe des 15. Jahre
bunderts gejhab, war die Umwandlung der Pfarrkirche zu St. Michael
) Alle dieje Angaben find ehemaligen Aufzeichnungen im Stadtarchiv
entnommen.
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhunbert. 149
in ein Kollegiatftift. Das Beifpiel, das Jakob I. in der Stadt Baden
gegeben hatte, indem er dafelbft 1452 die Hauptpfarrkirche zu einer
Stiftskirche erhob, ahmte fein Sohn Karl I zu Pforzheim im Jahr 1460
nach, nachdem der Papſt Pius IL. am 29, November 1459 von Mantua
aus feine Zuftimmung zu diefer Ummandlung gegeben und den Biſchof
Johann zu Speier, ſowie den dortigen Domherrn Rutker von Lauter—
burg mit der Einrichtung des Stifts, ſoweit dieſelbe die geiſtliche Be—
hörde anging, beauftragt hatte. Ferner verordnete der Papſt auch die
Kleidung , deren ſich die Stiftsherren bedienen jollten.1) Das Kapitel
des neuen Stiftes bejtand aus einem Dechant, 12 Kanonikern, 12 Vika—
rien oder Kaplänen, welche den Gottesdienft nach der ihnen vorgefchrie:
benen Ordnung beforgen mußten und die Erfpektanten für die Stifte:
pfründen waren, ferner 2 Mietblingen (Helfern) und 4 Chorjchülern. 2)
Erfter Dekan war 3) Jodokus Bonet. Zu den erjten Chorherrn gehörten:
Magifter Sebaftin, Mag. Melchior, Lizentiat Peter Gößlin, Jakob
Gößlin, Ambrofius von Kirchheim, Nik, Dorfe, Nik, Dude, Bernhard
lad, Joh. Eberlin, Peter Dufer; es kamen noch dazu: ob. Gerud
und oft Müller; — zu den Vikarien gehörten: Joh. Bader, Job.
Boner, Leonhard Bannwarth, Joh. Befideym (Beſika), Math. Zürcher,
Joh. Bender, Heinrich von Durlach, Theodor Rappenherr, Joh. Ruder:
mann, Joh. Weiler. Bon den Chorhern wurde jpäter einem das Amt
eines Kuftos, einem andern das des Sängers übertragen. Eine Probftei
des Michaelftiftes wurde jeboch erſt jpäter (1505) errichtet. Bezüglich der
Beſetzung aller diefer Pfründen, ſoweit das Recht dazu nicht in andern Hän-
den war, behielt fi der Markgraf das Patronatreht vor, und mußte dag
Kapitel jedem neuen Landesfürften, wie dag 5. B. 1521 geſchah, Huldigen
und bekennen, daß die Mitglieder desſelben „Sr, fürftl, Gnaden gehor:
ſame Kapläne, und berjelbe ihr Landesfürft und Superattendens fei.“
Das Beſetzungsrecht aller Pfründen fuchte Markgraf Karl durch Tauſch
und Kauf nach und nah an ſich zu bringen, und taufchte unter andern
ihon 1460 an Herrenalb das Patronatreht der Kirche zu Nußbaum
1) Der betreffende Akt wurde am Mittwoh vor Allerheiligen (27. Oft.)
1460 durch den Faiferlihen Notar Johann Seelbah aufgenommen. Beral.
Alten bes Landesarchivs.
2) „Die geiftlihen Güter in Land betreffend und beren Meftitutiongere:
fution“ im Lanbesardiv.
9) Akten bes Landesarchivs.
150 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
und der Frühmeſſe zu Göbrichen gegen die Leihung der Pfründen umferer
lieben Frauen und St. Johannes des Täufers, Solcher Pfründen mit
den entfprechenden Altären in der Kirche war e8 eine bedeutende Zahl,
und fie hatten zum Theil fehr reiche Einkünfte, So treffen wir einen
St. Fabians: und St. Sebaftians:- Altar, einen St. Lauren—
tius⸗Altar, einen St. Ratbarinen: Altar, einen St. Matthäus:
Altar, einen Altar der heil. drei Könige, einen Altar der beit.
Dreifaltigkeit, einen St. Mar. Magbdalenen: Altar, einen
St. Thomas: und Andreas: Altar, einen St. Peter: und Baule:
Altar (ſchon 1347), ein St. Johannes des Täufers- und Evan:
geliften: Altar, einen Altar Cireumcisionis Domini oder ber
Beichneibung des Herrn, (von Graf Wilhelm von Eberftein 1431 ge:
ftiftet), 1) einen St. Jakobs: Altar, einen St. Nillaufen:Altar,
einen St. Foften- Altar, einen Altar Omnium sanctorum oder
Allerheiligen, unferer Frauen-Altar (Shen 1413 erwähnt) und
einen St. Michaels: Altar.2) Andere Prründen waren noch: bie
Pfarrei zu St Michael (durch Kichtenthal zu vergeben, S. 104), bie
Präbdikantenpfründe und die Spitalpfarrei. 3) Das Einkommen des
St. Micaelftiftes war ein fehr anfehnliches und weist 3. B. das Stifte:
lagerbuch von 1502 Gülten auf zu Glappach, Nußbom, Ufpringen,
Kufjelbronn, Würm, Wurmberg, Düm, Buchinpron, Hamberg, Woffen-
ftein, Nieffern, Entzberg, Brebingen, Tütlingen, (Dietlingen), Birkenfeld,
Menshenm, Wyſſach, Löchkeym, (Löchgau), Wimßheym, Utingen, Tilftein,
Dürmentz, Küngspach, Birkenfeld, Pfortzheim, (hier am meiſten); ferner
2/3 des Kornzehntens zu Reichenbach (das andere 1/, bezog die St. Mar:
tinsficche), und es fcheint, daß hauptfähhlich zur Aufbemahrung diefer
Truchtbezüge das Stift 1482 vom Vogt Hans von Königsbach namens
des Markgrafen den alten Herrfchaftsipeicher erfauftee Sonſt mußten
die Stiftsherren zu Pforzheim verfprechen, Feine Güter an fich zu
bringen, welche der Herrichaft eigen, betbar, fteuerbar oder bienftbar
!) Der Grabftein desſelben ift in ‚der Schloffirdhe, links vom nördlichen
Eingang.
2) Mehrere diefer Pfründen waren 1365, 1411 und 1414 geftiftet worden,
die zweitlegte durch Pfafi Wernher und jeine Schwefter Irmel.
®) Bergl. hiezu das Stiftslagerbuh von 1502 und das Stifts-, Lager:
und Zinébuch von 1559 im Landesarchiv,
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15, Jahrhundert. 151
wären, (um bie Einfünfte der Herrſchaft nicht zu ſchmälern, weil alle
geiftlihen Güter abgabenfrei waren, vergl. ©. 76), und jollte dem
Markgrafen, "wenn das Stift je dergleichen Güter in der Markgraf
ſchaft Baden oder den dazu gehörigen Herrſchaften erwerben würde,
das Miederloofungsrecht zuftehen. — Entſprechende Wohnungen wur:
den den Stiftsherren unterhalb der Schloßkirche in der Prediger:
oder Pfarrgafie eingerichtet. Diefelden brannten jedoch im orleand’
ſchen Kriege 1689 mit der Stadt nieder. Die Trümmer der Stifte
berrenwohnungen ftanden aber noch 1778, wurden indeß bald ba=
vauf abgebrochen und der Platz in einen Garten verwandelt, umter
welchem fich aber die Stiftskeller zum Theil bis Heute erhalten haben.
° Ueber die innere Organifation des Stifts ift weniger bekannt. Da
indeffen anzunehmen ift, daß diefelbe ber des Chorherrenftiftes in Baden
entſprach, fo mögen einige Mittheilungen aus dem Statut des leiter
bier ihre Stelle finden. 1) Als Einkommen follte der Probſt jährlich
100 Gulden, der Dedant 50, der Euftos und der Sänger jeder 40,
ein anderer Ganonitus ober ein Vikar 30 Gulden beziehen. 2) Die
Stiftsgeiftlichen hatten von dem Wein, ben fie zu eigenem Gebraud
einlegten, Kein Ungeld zu bezahlen, doch durfte ein Prälat nicht mehr
als vier, ein Canonikus nur drei, ein Vikar nur zwei Fuder Wein ein
fegen. Dem Markgrafen blieb das Präfentationsrecht vorbehalten. Unter
den zwölf Stiftsberren follten vier Doktoren oder Lizentiaten, die andern
“aber fromme und gelehrte, aus rechtmäßiger Ehe erzeugte Männer fein,
Was den leiten Punkt anbetrifit, jo behielten fi die Markgrafen dns
Recht vor, ausnahmsweiſe ihre eigenen natürlichen Söhne in Vorſchlag
zu bringen, und ſollten dieſelben ohne Widerrede angenommen werden,
Im Falle zwiſchen den Markgrafen, ihren Beamten oder Untertanen
und den Siftsherrn und dem Kapitel ein Streit entjtehen würde, ſollte —
ſelbe durch ein Schiedsgericht erlebigt werden, von beſſen vier Mitglie⸗
dern zwei aus den Räthen des Fürſten und zwei aus dem Kapitel
ernannt wurden. Weun dieſelben nicht einig werden konnten, mußte noch
eine fünfte Perſon als weiterer Schiedsrichter erwählt werden, und zwar
je nachdem der Streit eine geiſtliche oder weltliche Sache betraf, entvede
durch die Geiftlichen oder die Näthe. Beim Ausſpruch deg Sciedsge-
1) Sachs, H,, 358 ff., nach dem Cod. dipl. Bad,
2) An Pforzheim müſſen indeß die einzelnen Pfründen beſſer dotirt gt:
weſen fein, beim die zu Mar, Magd, Altar trug 3. B. 42 fl. j
152 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
vichts in feiner derartigen Zuſammenſetzung ſollte es alsdann fein
Bewenden haben.
Eine wichtige Veränderung war ſchon 1443 mit einigen Klöftern ber
Stadt vorgegangen. Es kann als bekannt vorausgefeßt werben, wie
traurig ſich nach und nad) die Juftände der Kirche geftaltet hatten, und
wie namentlich die. Klofterzudyt in Verfall gerathen war. Allgemein
theilten deshalb alle Beffergefinnten den Wunſch einer Reformation ber
Kirche an Haupt und Gliedern, und der Ruf nad) einer ſolchen hatte
bauptfächlich die Kirchenverfammlung in Konftanz veranlaßt, welche von
1414 — 1418 ftattfand, aber bezüglich einer Kirchenverbeſſerung leider
fein Ergebniß hatte, jondern im Gegentheil den frommen Johann Huß,
der eime foldhe angeftrebt hatte, zum Scheiterhaufen verurtheilte. Bald
nach Beendigung des Konftanzer Konzils trat ein anderes zu Baſel
zufammen 1431 — 1443, das troß der Proteftationen des Papftes zur
Berbeilerung des Kirchenregiments und der Kirchenzucht emergifche Be:
ſchlüſſe faßte und unter Anderm eine Reformation der Klöfter befahl.
Alsbald berief Markgraf Jakob I. den Franziskaner-Guardian Nikolaus
Garoli von Heidelberg zu diefem Zwecke nah Pforzheim. Derfelbe
gehörte zu den fog. „Obfervanten,“ oder „ben mindern Brüdern von
ber Obſervanz“, zum Theil auch „Recollekten“, d. h. „Eingezogene” ge:
nannt, welche einen beſondern Zweig des Franziskanerordens bildeten,
als folder nad langen Berfolgumgen von der Kirchenverfammlung zu
Konftanz anerfammt worden waren, und ſich durch ftrengere Beobachtung
der Kloftergelübde auszeichneten, bejtändig barfuß gingen (daher der
Name „Barfüher *), und fpäter über die übrigen Franziskaner, ober
„Sonventualen, Dlinoriten der gemilderten Regel“ die Oberhand befamen.
Bereits hatte Caroli aud das Franzisfanerflofter in Heidelberg, wohin
er mit drei Orbensbrüdern auf den Wunſch des Kurfürften Ludwig
aus Frankreich gelommen war, reformirt, und vollführte diefes Wert
nun auch in Pforzheim. Im Einverftändniß mit dem Bevollmächtigten
des Markgrafen, Paul Lutran (Leutrum) von Ertingen!) und einem
1) Wahrſcheinlich berjelbe, dem Markgraf Karl 1458 „einen Garten zu
Pforzheim vor dem Altorfer (Altftädter) Thor am Wafler und an ber Prediger
Garten, genannt Friedrich Tyfels Wyer Garten“ gegen eine Schuld abtrat,
welche Lutran namens jeiner rau an den Markgrafen zu fordern hatte,
Sads, Il, 405.
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 153
Erperten, den der Markgraf ebenfalls ernannt hatte, 1) wurde das orb⸗
nungswibrig erworbene Vermögen des Franziskanerkloſters eingezogen
und dem Spital in Pforzheim mit der Bedingung überwiefen, an das
Sichenhaus zum heiligen Georg (S. 119) jährlih 10 Gulden abzu—
geben, wovon 5 zur Grbaltung der Gebäulichkeiten und 5 zu
jonftigen Bebürfnifien verwendet werden jollten. Den Mönden wurde
bloß ein Kapital von 400 Gulden zur Anfhaffung von Büchern und
zu der Baunerhaltung des Klofters beftimmt. Auch im Innern des
Klofters wurden Reformen vorgenommen, die Zucht verfchärft, die Mönche
zu ernſtern Beihäftigungen angehalten und überhaupt die Umwandlung
ber bisherigen „Konventualen“ in „Obfervanten“ bewerkitelligt. (Bei den
Barfüßern wurde am 8. September 1467 begraben: Johann Nir von
Hohened, gen. von: Engenberg, ehemals Biſchof von Speier. Er hatte
diefe Würde freiwillig niedergelegt und ſich mit Vorbehalt eines jähr:
lichen Einkommens 1464 zu feinen Freunden nach Pforzheim begeben.) 2)
Aehnliche Veränderungen gingen mit dem rauenflofter ber Domi-
nilanerinnen vor. Mochten fih auch bier, wie allenthalben, die
Nonnen gegen die Neformen noch widerfpenftiger als die Mönche zeigen, 9)
fo gelang es dem Markgrafen doch, das Klofter durch feine Maafregeln
in fo guten Ruf zu bringen, 4) daß fünf Bewohnerinnen besfelben 1463
ins Württembergifche berufen wurden, um dort Ähnliche Ordnung ein
zuführen, fo namentlich in dem Kloſter Offenhauſen oder Gnadenzell,
defien Nonnen durch ihre ausichweifende Lebensart großes Aergerniß
erregten. Sie fanden aber gar keine Folgſamkeit, trafen Scherben an,
auf die Treppen geftreut, damit man die Ankunft der Mufternonnen
befier höre und Zeit gewinne zum Verſtecken fehr ungeiftlicher Gegen:
fände. Da meinten die für armen Schweftern beftändig, und ließen
— ·— —
) Vergl. Bierordt, Geſchichte der Reformation in Baden, J. 33.
2) Lehmann, Speierer Chronik, S. 1009.
°) Der von feiner Zeit hochverehrte Karthäuſer zu Güterſtein bei Urach,
Eonrad von Mündingen, batte ſchon einige Wochen nad Beginn der Nefor:
mationsbeftrebungen des Markgrafen einen beiftimmenden Brief an denſelben
geſchrieben und ihn aufgefordert, auch unter bie geiftlichen Frauen Zucht und
Ordnung zu bringen, jedoch die charakteriſtiſche Aeußerung beigefügt : „Ber:
knöpfet einen Sad Flöhe, jo viel ihr möget ; dannoch enthupfen und verſchlupfen
fie.” Bierorbt, L, 35.
*%) Es war, fagt ber ſchwäb. Chroniſt Grufins, mit hohen Mauern umgeben
und wohl beſchloſſen, und waren viel ehrlicher und frommer Jungfrauen darin,
154 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
fi auch durch die zürmende Frage eines Kartbäufers wenig tröften :
„Meint ihr, man babe euch ins Paradies geheilt und nicht zur Beflerung
ſchlimmer Sitten? Und würdet ihr euch in Pforzheim nicht ſchämen,
wenn ihr unverrichteter Sache heimkämt?“ — Dennoh mußten die armen
Nomen ohne vollzogene Reformation zurück.“)
! Markgraf Jakob hatte auch mit noch andern Klöftern Verbeſſe—
rungen im Sinne. Leider gingen aber die Früchte des Bafeler Konzils
durch die Wiener Goncordate, weldye der ſchweche Kaifer Friedrich II.
mit dem Papft Eugen IV, 1448 abſchloß, wieder verloren, weshalb
auch der Markgraf die weitere Neformation feiner Klöſter nicht durch:
ſetzen konnte, ſo daß wahricheinlich die Mehrzahl derfelben in Pforz:
beim unangefochten blieb. (In dem der Eifterzienferinnen hatte
fich Kurz vorher eine Tochter des Markgrafen Bernbard, Margaretha,
als Nonne befunden und ftarb darin 1431.)
Aber auch ſonſt hatte ſich in Pforzheim das Bedürfniß nad Kir:
chenverbeſſerung geltend gemacht und fogar die huſſitiſche Lehre Eingang
gefunden. Ein buffitiicher Priefter, Friedrich Reiſer, kam mehrmals, fo
auch 1446 nach Pforzheim und gab fid) dafeldft, wie anderwärts, Mühe,
bie Zahl der „Bekannten“, wie man die heimlichen Huffitenfreunde
nannte, zu vermehren. In Straßburg aber fpürten ihn die Domini-
faner aus, und er wurde daſelbſt 1458 nebſt vielen feiner Anhänger
verbrannt, Unter andern Zeugen der Verhöre erfcheint auch eine Porz:
bheimerin, welche einen Bekenner ber verfolgten Lehre mit dem Namen
„Johannes von Rhein” bezeichnete; diejer babe ihr zu Pforzheim in
ihres Vaters Haus den Entfhluß, Nonne zu werden, ansgerebet und
fie an einen andern ältern Prediger gewiefen, durch welchen ihr Haube
an die herrichende Kirche vollends wanfend geworden fei.3)
Eine recht erfreuliche Erſcheinung in dem fünfzehnten Jahrhundert
it zu Pforzheim die Gründung einer lateinifhen Schule, Das
Bebürfnig nad folden von Klöſtern unabhängigen Anftalten war in
damaliger Seit um jo fühlbarer geworden, je mehr die Kloöoſterſchulen
in Verfall gerathen waren. Wer in Pforzheim jene Schule ins Leben
vief und wann dies geſchah, it unbekannt. Möglich, daß ihre Grün:
dung mit der des St. Michaelſtiftes zufammenbing, deren vielen Geift:
U) Vierordt, I. 36.
2) Kolb, Lerikon I, 62.
») Bierordt, I., 59, ff,
Reuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert, 155
lichen durch den Unterricht an der Iateinifhen Schule eine paſſende Be—
ihäftigung geboten war. Gewiß it, daß die Schule ſchon in den lebten
Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts ſich in Blüte befand und
viele andere ähnlihe Anjtalten weit überragte. Hatte doch ſchon Jo:
hann Meuchlin zwifchen 1460 und 1470 feine erſte gelehrte Bildung
an diefer Anjtalt geholt, und war nach feiner eigenen Verfiherung !)
eine große Zahl von Gelehrten aus Pforzheim hervorgegangen, die bem
Grund ihrer umfaffenden Bildung ebenfalls auf dev Mittelſchule dieſer
Stadt gelegt hatten.
ec. Gewerbe und Handel, berridhaftlide Einkünfte in
Pforzheim, Bruderihaften, Preiſe der Lebensmittel,
Wurden jo die geiftigen Intereſſen in erfreulicher Weiſe gepflegt, ſo
mag die Frage am Platze ſein, was denn im fünfzehnten Jahrhundert
zur Förderung der materiellen Intereſſen Pforzheims geſchehen ſei und
welchen Fortgang namentlich die gewerbliche Entwicklung, der Haudel der
Stadt x, in dieſer Zeit genommen. Die Frage iſt ſchneller geſtellt,
- als beantwortet, da die vorbandenen jpärlichen Notizen nur wenig Auf:
ſchluß geben. Durch die vielen Kriege, welche namentlich Bernhard L,
jpäter auch fein Enkel Karl I, führten, mußte der Verkehr natürlich
vielfältig beeinträchtigt werden, und wie groß die Unficherbeit beiſpielweiſe
zu den Zeiten Karls I war, gebt daraus hervor, daß um 1460 Nie:
mand ſich unterftehen durfte, nur eine Stunde weit zu reifen, ohne der
Gefahr der Plünderung ausgefegt zu fein, und daß wegen der allgemein
berrfchenden Unficherheit fogar an vielen Orten verboten wurde, die
Frankfurter Meſſe zu befuchen.2) Inter ſolchen Umständen waren die
Bürger der Städte, wenn auch hinter den Mauern derjelben ficher, doch
in der Negel auf eim kleineres Feld gewerblicher Thätigkeit angewieſen,
1) De verbo mirifico, ed. Tub,,. 1514, p. 3.: „Literatorum ingens numerus
inde genitorum,“ Wer dieje früheſten Gelehrten Pforzheims waren, jagt uns
die Geſchichte nicht; wohl aber wird weiter unten von andern ausgezeichneten
Männern dieſer Art, die der folgenden Zeit angehören, die Rebe fein.
2) So warf umter Anderm auch ohne Scheu vor der geiftlihen und welt,
Macht 1440. der Ritter Sigfried von Zyllnhart den Kämmerer bes Papſtes, ber
von Frankfurt heimfehrte, nieder und fchleppte ihm als Gefangenen in das
Schloß Steinegg bei Pforzheim. Vierordt, I, 10.
156 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
welche zunächſt nur örtliche Bedürfniſſe umfaſſen konnte, und erſt einer
jpätern Zeit war es vorbehalten, derjelben einen erhöhten Aufihwung zu
geben. Immerhin aber mochte in den friedlichen Jahren, welche zwifchen
ben einzelnen Fehden lagen, Pforzheim fich eines in Anbetracht
ber Verhältniſſe lebhaften Verkehrs erfreuen, da, wie ſchon bemerft
wurde, mehrere Neihshauptitraken über diefe Stadt zogen und Pforz
beim eine jehr einträgliche ZJollftation für die Markgrafen war. Welch
Gewicht letztere auf diefe Einkünfte legten, jehen wir daraus, daß Karl J.
im Jahr 1468 bei Kaifer Friedrich III. ein Privilegium auswirkte, nad
welchem diefer, um den Betrügereien der Fubrleute ein Ende zu machen,
bie zur Umgehung des Zolles zu Pforzheim und Durlad von der
Straße abfuhren, diefen Fuhrleuten bei einer Strafe von zehen Mark
löthigen Goldes befahl, den gewöhnlichen Zoll alsdann entweder zu
Singen, oder wo es jonft dem Markgrafen gefällig wäre, zu entrichten.
Wie viel in Pforzheim an Zöllen bezahlt wurde, darüber gibt ung
ein altes Verzeichnig der herrſchaftlichen Einkünfte in Pforzheim, Huchen-
feld und Büchenbronn, 1) Aufihluß. Nach demfelben mußte um die
Mitte des 15. Jahrhunderts in Pforzheim an Wafferzoll entrichtet
werden: von 100 Hölzern oder Borden, groß oder Mein, 8 Schilling
Pfennig (2 fl. 6 fr. vergl. ©. 129) von gezimmertem Holz von
40 Schub Länge und darunter, für jedes Stüd 1 Pfennig (1'/; fr.);
— an RLandzoll: ein Magen voll Eifen zahlt 14 Pig. (etwas über
18 kr.), Salz oder Wein 8 Pfg., ein Kard voll Wein 2 Pfg., eine
Tonne voll Honig, Häring, Fiſche ꝛc. 3 Pfg., ein Zentner Wachs 3 Pfg.,
ein Karren voll MWildwerk für Kürfchner und Schuhmader auf jedes
Pferd 15 Pig., ein Karren voll gebrochenen Knoblauchs das Pferd 15
Pfg., Knoblauch mit Kraut daran 4 Pfg., ein Wagen voll Gewand, die
für die Frankfurter Meſſe bejtimmt find, für das Pierd 3 Sch. Pig.,
ift der Wagen nicht voll, jedes Stück Tuch 2 Pfg., ein Wagen voll
ausgeführter Butter, Schmalz, Unfhlitt ꝛc. jedes Pferd 15 Pig, ein
Wagen voll ausgeführter Speichen, Reife, Felgen 2 Pfg., ein Wagen voll
Frucht in die Stadt 2 Pfg. ein Pferd, das Frucht trägt, 1 Heller, jeder
Wagen voll Frucht aus der Stadt 1 Heller, ein Pferd, das auf dem
Viehmarkt gekauft oder verkauft wird, 1 Pfg., 2 Schafe 1 Pfg., ein Pferd,
') 8 befindet ſich im Landesarhiv und wurde um 1460 aufgeftellt,
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 157
das durch die Stadt geführt oder getrieben wird, 2 Pfg., ein Rind
2 Pig., 2 Schweine 2 Pfg,, 2 Schafe auch 2 Pfg. u. f. w. — Außer
dem Zoll bezog der Markgraf in Pforzheim an Bete: von jedem
100 Gulden Steuerkapital 1 Gulden, auf Michaeli zu bezahlen; doch
wurde 1474 der Stadt Pforzheim von Markgraf Karl ein Freiheitsbrief
ausgeſtellt, daß die Bürger von ihren Gütern, liegenden oder fahrenden,
mehr nicht, als 1 Schilling von 100 fl. bezahlen ſollten. Im nämlichen
Jahr übergab auch Markgraf Karl, was ein neuer Beweis feiner wohl:
wollenden Gefinnung gegen die Stadt Pforzheim war, derſelben das
am Markt gelegene Kaufhaus ſammt allen Gefällen. — Ungelb:
von je 15 Maaß Wein 1 Maaß, wovon jedoch die Stadt die Hälfte
bezog (unter Markgraf Karl aus befonderer Gnade bis auf MWiederruf
das Ganze); — Zinfe: 3.2. von den 26 erblic, verliehenen Mebel-
bänten von jedem 10 Sch. Pig. (2 fl. 37 kr.) außer I Sch. Pig. Zunft:
geld, das die Mebger zu bezahlen hatten; von ben Brotbänken der Bäder
zahlte jeder 10 Sch. Pig. (neben 15 Sch. Pig. Zunftgeld); außerdem
bezog die Herrfchaft Zinfe von ihrer Waltmühle und Oelmühle an der
Enz (damals aber in den Händen der Stadt), ihrer Ziegelſcheuer,
3 Schleifmühlen, 2 Kupfermühlen, Sägemühle im Hagenfchieß, von
Weingärten, Häufern, Jahrmärkten ꝛc.; — Wafferzinfe: vom Fiſch—
waffer unterhalb der Altftädter Brüde und oberhalb der jetzigen Non:
nenmühle bis Birkenfeld, Fiſchbankzins ꝛc. — Wiefenzinfe: von der
Scheuern-, Bleichwieſe ꝛꝛc. Mühlzinfe: von dr Wagmiühle
(vergl. unten) jährlih 39 Malter Kernen und 39 Malter Roggen, und
zwar alle 14 Tage von beiden Fruchtgattungen je 12 Simri (das Malter
faßte aljo 8 Simri); von der andern Mühle oder Spitalmühle
bei der untern Badftube, alfo der jetzigen Eich mühle, jührli 39 Malter
Kernen und eben fo viel Roggen; von der Schepplers Mühle, jet
Kloftermühle, jährlih 291/, Malter Kernen und eben jo viel Roggen;
von der Göppingers- oder Pfriemenz, jest Nonnenmäühle von
beiden Fruchtforten 26 Malter; von der Zwingelmühle jebt Ober
mühle 26 Maltr; — ferner gehörten der Herrfchaft ſämmtliche
Frevel, groß und Mein, — endlich eine Anzahl Wälder in der Ge:
gend von Pforzheim, darunter namentlih der Hagenſchieß, über den ein
eigener Förfter gejeht war. Was den Zehnten betrifft, ſo bezog dem:
felben noch 1401 das Klofter Hirſchau allein, und zwar den großen und
158 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert.
Heinen Zehnten, 1) mußte aber dafür in Pforzheim dem Markgrafen
betändig ein Pferd mit einem Knecht und einen wohlgerüfteten Wagen
zu Reiſen halten und den Jägern bei Jagden Zehrung geben. Später
war der Zehnten zwiichen Hirſchau und Lichtenthal getheilt, und wird der
Verpflichtung zur Stellung eines Wagens nicht mehr erwähnt, wohl
aber der Lieferung von 200 Bund Stroh in den fürftlihen Marftall,
und der Verpflichtung, die Jagdhnnde des Fürſten zu füttern, wenn ders
jelbe in der Gegend von Pforzheim jage.
Eine nicht unbedeutende Einkommensquelle war für mande Ges
bietsherrn auch das Geleit (5. 127). An deu gerade im 15. Jahr:
bundert durch die wiedererwacdhte Raub: und Fehdeluſt des zahlreichen
Adels ehr unruhigen Zeiten war diefelbe Vorficht für den Handel noth—
wendig, welde im 13. Jahrhundert die mächtigen Verbindungen der
Hanſa und: des rheinischen Städtebundes hervorgerufen batten. Die
Fürften hatten auch allmählig einfehen gelernt, daß ein ficherer Verkehr
jewohl ihren Unterthanen — was nun freilich weniger in Anſchlag ges
bracht wurde — als namentlich den fürftlichen Kaſſen von Vortheil fei,
und um die öffentliche Sicherheit zu befördern, wurden häufig Veran:
ftaltungen bezüglich des Geleits der Kauflente und der Kaufmannswaaren
getroffen und Verträge darüber abgeſchloſſen. Die erfte Nachricht über
einen ſolchen Vertrag, welcher Pforzheim betraf, ift von 4452. In
diefem Jahr verabredete fih Markgraf Jakob mit dem Kurfürften von der
Pfalz dahin, daß Baden die Handelsleute von Pforzheim nad Bretten
zu dem alten Galgen und auf der andern Strafe zu der Ziegelhütte im
Rinklingen, Pfalz aber von diefen beiden Punkten nad Pforzheim geleiten
follte. Diefer Vertrag wurde 1463 (S. 141) dahin abgeändert, daß umge:
tehrt Baden das Geleit von Bretten nach Prorzbeim, und Pfalz von Pforz⸗
beim nad) Bretten haben ſollte. Es bielt jedoch, ſehr ſchwer, die gefchlofienen
Verträge Über das Geleit immer aufrecht zu erhalten. Bald wurde geffagt,
dag Diefer zu wenig Mannſchaft ſchicke und die Straßen nicht ſicher
halte, bald ſollte Jener den Kaufleuten zu viel Geleitsgeld abnehmen.
Daher kommt e8, daß wir von Zeit zu Zeit neue Beſtimmungen fiber
bas Geleitweien finden.
Welche Gewerbe in Pforzheim befonders blühten, geht aus mehreren
Vergl. „Inſtrumen tirte Kundſchaft über die Rräftationes, fo das Kloſter
Hirſchau“ ıc. im Pandesardiv.
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert, 159
Urkunden, insbejondere den verfchiedenen Gewerbordnungen bervor, welche
zum Theil noch im fünfzehnten, zum größten Theil aber zu Anfang des
jechszehnten Jahrhunderts für die Stadt gegeben wurden. Es wird
davon weiter unten ausführlich gehandelt werden. Daß aber im
fünfzehnten Jahrhundert ſchon eine große Gewerbthätigkeit in Pforzheim
geherrſcht haben und Kunſt wie Wiſſenſchaft ſorgfältig gepflegt worden
fein muß, geht daraus hervor, daß Reuchlin bereits 1503 ſeine Vater—
ſtadt „honor artificum fabricatrix ingeniorum“ nannte, ') d. h. eine
Ehre oder Zierde der Künftler und Hervorbringerin bedeutender geiftiger
Kräfte. Aus Pforzheim war der finnige Holzfchneider Johannes Kern,
der die Chorftühle in der Stiftsfirche zu Baden verfertigte. In Pforz⸗
heim, als der wichtigſten Stadt der Markgrafſchaft, war auch die fürſt⸗
liche Münzſtätte; denn wir finden unterm Jahr 1413 einen „Jakob
Pröglin, Münzmeiſter, zu Pforzheim geſeſſen,“ aufgeführt. (Unterm
25. November 1421 vertaufte Markgraf Bernhard an denſelben und
defien Frau Anna die Badftube, zu und um die Stadt gelegen, die
früher Heinrich; von Berwangen zu Lehen befefien, auch einige Stücke im
Hagenſchieß, auch zu Eutingen und Söllingen gelegen, jowie verjchiedene
Gefälle und Zinjen zu Darmsbach, Pforzheim und Ottenhaufen, Güter
und Zinje zu Dietlingen und endlich den vierten Theil von Nußbaum
und ber dort fälligen Bete und Zinfen um 550 fl.) 2) Daß Pforzheim
auch einen fehr geſchickten Armbruſtmacher beſaß, erfehen wir daraus,
dag Markgraf Karl I. 1466 diejen „Michael Armbrufter den Jungen
zu Pforzheim von befundern unfern Gnaden, aud das er dem unfern
zu Pfortzheim mit finem handtwerk befterbaß vor gefin möge,“ alfo
wegen feiner für die damalige Zeit, in welcher Schießgewehre noch wenig
verbreitet waren, wichtigen Kumft, von allen Steuern, Frohnden und
jonjtigen Laften befreite. Der Name „Armbrufter“ ift in der betreffen:
den Urkunde Handwerks: und Geſchlechtsname zugleich, wie wir ſolchen
Dezeichnungen in damaliger Zeit häufig begegnen. Se finden wir um
1400 3) unter den Pforzheimer Bürgern einen Heinrich Goldſchmied,
Klaus Kantengieper, Heinz Wollenfchläger, Hans und Berthold Spengler,
Aberlin Schreiner, Kunz Murer, Arnold Fiſcher, Wetzlin Taugenhauer
1) So ſagt Schwarz im Heidelberger BREIT IINERDENNNN, bei ber
Preisvertheilung von 1811, S. 21.
?) Herrenalber Archiv.
) In Repertorien und Urkunden des Landesarchivs.
160 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
u. A. m, Unter den Gewerben jcheint das der Wollenweber ſchon
damals jehr ftark vertreten geweien zu fein. Neben dem obengenannten
Goldihmied kommt gleichzeitig auch ein Bürklin Kremer der Ringlein-
macher vor,
+ Antereffant find die verfchiedenen Bruderihaften, die ſchon im
Laufe des 15. Jahrhunderts unter den Angehörigen verſchiedener Zünfte
beftanden. Das Handwerk hatte nämlid eine doppelte Innung oder
Bereinigung, eine rechtliche, die in der Junftordnung enthalten war, und
eine religiöfe, wofür die Bruderfchaft beftimmt wurde, Beide Beziehungen
bielten das Gewerbe in Ehrbarkeit zufammen, führten zu gegenfeitiger
Hilfeleiftung und gaben der Arbeit Weihe und Troſt. 1) So iſt
1423 2) einer Bruderſchaft zwifchen ben Bäckerknechten und den
Meiftern und Pflegern des Siechenfpitals zu Pforzheim, und zus
gleih der Stiftung einer Jahreszeit dur die Bäckerknechte erwähnt.
Durd jene war die Pflege und Verforgung erkranfter oder arbeitsun:
fähiger Handwerksangehörigen gefichert, durch dieje den gegenfeitig ein—
gegangenen Verbindlichkeiten die religiöfe Weihe gegeben. Einer ähnlichen
Bruderſchaft von Seiten des Schneiderhandwerks begegnen wir im
Jahr 1410, der Tuer und Weber 1469, der Weingärtner 1491,
(diefelben bejaßen in der Altjtädter Kirche einen eigenen Altar, den zu
St. Pantaleon), der Zimmerleute 1509, der Schuhmader 15293) xc.
— Neben diefen Bruderſchaften bei einzelnen Zünften beftand aber unter
ber Bürgerichaft ſchon 1407 auch eine allgemeine Vereinigung, welche
man „St. Mattbiefen Bruderfhaft” hieß.) Das Vermögen
aller dieſer Bruderſchaften wurde jpäter (1533) zu einem allgemeinen
Almofenfond verichmolzen. Wir werden darauf zurüdtommen.
Wie wichtig die Mühlen der Stadt waren, geht daraus hervor,
daß dieſelben nebft Meifenftein und dem Schultheißenamt zu Pforzheim
1338 zu einem mainzijchen Lehen gemacht wurden (S. 95), in welchem
Verhältniß fie noch lange ſich befanden. Sie find im Borftehenden
bereit genannt, Man ficht daraus, daß die vier Mühlen, welde
Pforzheim heute befitt, chen vor 400 Jahren vorhanden waren, bie
fünfte aber, die Wagmühle, verichwunden it. Sie lag in der großen
) Vergl. Mone, Zeitichrift I, 3.
2) Urkunde des Landesardivs.
2) Lagerbudh des Almojens — (Stabtardiv.)
*) Lagerbuch des Almoiens (Stadtarchiv).
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert, 161
Gerdergaffe, wo ein Mühlrad mit der Jahrzahl 1568 am Haufe des
Gärtners Frank den Ort diefer Mühle, die hinten an den Mühlkanal
ſtieß, noch bezeichnet. Außerdem werden an andern Wafferwerfen auf:
geführt: Hufe und Waffenfihmiedmühlen, (befanden ſich da, wo jett
der obere Hammer ift), weiter abwärts am Kanal Walk- und Schleif:
mühlen , and eine Delfchlage, die obere und untere Stampf- oder Rin-
denmühle der Gerber, KRupfermüblen ꝛc., die Delichlag: und Schleif—
mühle in der Altjtadt bei der St. Nikolauskapelle. Auch an Sägmühlen
war fein Mangel, und befand ſich die Stadt felbft im Befit einer ſolchen,
welche einem „Stadtſäger“ zur Beſorgung übergeben war.“) Daß auch
die Flößerei im 15. und 16. Jahrhundert in Vfüte war, jagt ung ein
geographifcher Schriftiteller, der in der Mitte des 16. Jahrhunderts
lebte, in folgenden Worten:?2) „Das Volk, fo bei der Kinzig wohnt,
beionders um Wolfach, ernähret ſich mit den großen Bauhölzern, die fie
durch die Kinzig in den Rhein flözen und groß Geld jührlid erobern.
Desgleihen thun die von Gersbach und andern Flecken, die an ber
Murg gelegen find, gleihwie die von Pforzbeim groß Flöz
in den Neckar treiben.“ Ausführlicheres über die gewerblichen
Verhältniſſe der Stadt im folgenden Kapitel.
Es waren oben die Gehalte erwähnt, die den Stiftsherrn zu Baden
und auch in gleichem Verhältniſſe denen zu Pforzheim ausgeworfen
wurden. Wem jene Summen nieder vorkommen, der vergeſſe nicht, daß
ihnen die damaligen Preiſe der wichtigſten Lebensbedürfniſſe entſprachen.
Einige Mittheilungen darüber dürften nicht am unrechten Platze fein.
Zu Anfang des 15. Jahrhunderts wurden zu Durlach ein Malter 9
Korn um 4 bis 5 Schillinge (48 fr. bis 1 fl.), eine Ohm Wein um
10 Schilling (2 fl. 3 kr.), ein Hammel oder ein Schaf um 41/, Schil⸗
ling (56 fr.), zwei Kühe und ein Kalb um 5 Pfund (20 fl. 30 fr.)
verfauft und für einen (auswärtigen) Schüler jührlih 4 bis &1/, ‘Pfund
(16 fl. 24 — 18 fl. 27 fr.) fammt einem Sad Kom als Koftgeld
bezahlt. %)
Nach ftatiftifchen Zufammenftellungen über die Preije der Lebens⸗
y Koptalbuch im Stabtarhiw, S. 239: „Stadtſägersordnung.“
) Seb. Münſter, Cosmographia. WERE
») Ein damalines Malter hatte 8 Simri oder Mepen, 1 Simrt hatte
4 Bierling, ein Bierling — 4 Viertel oder Meflein.
) Sads, IL, 337, 4
Pflüger, Pforzheim,
162 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
mittel während der leßten fieben Jahrhunderte,) die auf die jegt üb-
lichen Maafe, (alſo bei den Getreideforten und Hülſenfrüchten auf das
neubadiihe Malter) berechnet find, koſtete im 15, Jahrhundert das
Malter Kernen oder Waizen im beutigen Baden durchſchnittlich 1 fl.
30 kr., Halbwaizen, Erbſen und Linjen 1 fl. 19 fr., Korn, Molzer und
Bohnen 1 fl. 2 kr, Gerſte und Welſchkorn 56 fr., Dintel 36 fr., Haber
32 fr., der ZJentner Heu 9 fr., ein Bund Strob 1 fr. Dem entiprechend
waren die Holzpreife. Im Jahr 1517 koſtete bei Pforzheim das Klafter
Holz 31, bis 4 fd), und noch am Schluſſe des 17. Jahrhunderts
wurde das Klafter (gemifchtes) Brennholz in den Piorzbeimer Stadt:
waldungen um nicht mehr als 30 fr, verkauft, und ein Klafter Gipfel:
ober Abholz kam nicht höher, als auf 4—8 Kreuzer zu fteben, 3)
d. Stadttbeile, Bürgergeihledter.
Schließlich mögen noch diejenigen Stadttheife, ſtädtiſchen Anftalten xc.,
welche im 15. Jahrhundert zum erften Male vorkommen, fowie
die Namen mancher Bürger aus diefer Zeit aufgeführt werden, Von
Stadtthoren finden wir des Brögingertbors und Häufer
vor demfelben, alio in der Brötzinger Voritadt, die fchen 1323 vor:
fommt, ferner wieder des Altorfer: oder Altftädter Thors, des Schleif—
thors fammt dem Pla davor, neh immer aud eines Tränkthors
und Predigertbors, in welch leßteres fich das Frauenthor (S. 79)
verwandelt zu haben jcheint, erwähnt. Letztere beiden Thore beweifen,
daß das Kloſter der Dominikanerinnen ſammt andern Gebäuden noch
immer außerhalb der Stadtmauer (extra muros) lag, was auch durd)
Urfunden beftätigt wird; ferner findet fih ein Steintbörlein. Bon
Straßen werden außer den im vorigen Kapitel ſchon genannten die
Altftädter Gafjen, die obere und untere Lauergaſſe (Xower: auch
Löwergafie, d. h. Loh- oder Gerbergaffe), eine Judengaffe, das
Darfüßergäßle, die „SIappergaffen“ (den 1400), wie die
jeige Baumftraße vor ihrer Umtaufe hieß, die Schelmengaffe (untere
Augafie), die Kloftergaffe, die Brunnengaffe (verlingerte Lamm—
) Bergl. Heunifh und Bader, „das Großherzogthum Baden.“
2) Gött. hist. magaz,, VIII. 347 und 352.
») Pforzheimer Bürgermeifterrehnung von 1688,
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert, 163
ſtraße) aufgeführt. — Von den Gebäuden, welche für Geſundheits-,
Armen: und Krankenpflege beftimmt waren, müſſen neben den drei
Spitälern, die Pforzheim damals beſaß, nämlich dem Siechenfpital,
dem Spital zum heiligen Geift und der St. Georgenpflege, aud das
Seelhaus und bie zwei Badftuben genannt werden, Jenes Tag in
der Brötzinger Vorftadt, beftand jchen 1456 und hatte die Auf
gabe, nicht nur Arme überhaupt, fondern namentlich Franfe und durch
reifende Bettler mit „Holz, Schmalz und Salz“ nad Notbdurft zu
verfehen. 1) Die eine Babjtube, die obere, lag am Mühlbach unmit—
telbar Hinter dem Schofgitter, die untere befand ſich beim jeßigen
ftädtifchen Waiſenhaus. An ſolchen Badſtuben, die entweder Eigenthum
der betreffenden Herrſchaft oder der Gemeinden waren und durch Ver—
kauf oft auch in Privathände übergingen, fehlte es früher in feiner Stadt,
ja kaum in Dörfern, und es wurde fehr darauf gehalten, daß fie in
gutem Zuftand blieben und Gejunden wie Kranken dienen konnten.
Gewöhnlich waren Dampfbadeinrichtungen damit verbunden. — Bon
fonftigen Häufern der Stadt möge bier noch der adeligen ewähnt
werden, deren Pforzheim als bedeutendſte Stadt des Landes, die an den
adelreichen Kraichgau amftieß, ſchon im 15. Jahrhundert eine ziemliche
Zahl aufweiſen konnte. Es gehörten dazu: 1400 das Haus Eberhards
von Gertringen, 1401 des Hans von Wachingen, 1443 das
Haus Friedrihs von Enzberg, genannt Bitfcher, beim Barfüßer Kir
hof; 1451 das von Raul von Leutrum beim Prediger Kloſter; 1468
das von Dietrih von Gemmingen im der Kloftergaffe; 1477 die
Flehingen'ſche Behaufung, die früher Wendel von Remchingen
gehört hatte, 1478 das Haus von Hang von Berwangen am Kirch:
oder Schloßberg; 1480 das freiberrlich von Nippenburg’fhe Haus,
ebenfalls am Kirchberg; 1482 Haus und Garten von Hans von Kö—
nigs bach bei der oberm Badſtube; 1491 das Haus von Hans Eber:
hard von Reiſchach, im der Altftädter Gaſſe, das früher denen von
Storjhedel gehört hatte; 1492 das Haus Wilhelms v. Neipperg.
Pforzheimer Bürger, deren Namen im 15. Jahrhundert in Urkun—
den, Lagerbüchern, auf Grabfteinen ıc. vorfommen, waren: 2) Michael Arme
») Lagerbuch des Almofens von 1711 im Stadtarchiv.
2) Diejenigen Geichlechter, die fich feit jener Zeit bis heute in Pforabeint
erhalten haben, find wie früher durch geiperrten Drud begeldpne. R
164 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
brufter, Hang Bauer 1411, Hänslin Beth 1400, Kunzlin Bender,
Friedrich Berfch der Zimmermann (vielleicht der Erbauer der frühern Altjtädter
Kirche? Vergl. S. 106), Ulrich Blau, Kunz Brachert, Ulrich Brodbed,
Hans Buchmüß, Hänslin Bull, Jerg Dreier, Hans Dulwer, Lug Dürr:
mann, Klaus Dürrmenz, Hang Engelhard, Heinz Fallinbach, Hans Filer
der Schloffer, Hans Fink 1400, Arnold Fiſcher, Hans Fiſchlin, Hans
Frank, Aberlin Fürft, Hans Geiger 1400, Michel Gerwig 1486,
Jakob Gilg, Hänslin Goldeijen, Heinrih Goldfhmidt, Klaus Göppinger,
Hang Groß der Eeiler 1447, Heinrich Güldenmeifter, Konrad Gürtler,
Heinz Hagdorn, Heidrich Hemler, Friedrich Heing, Konrad Hintermeier,
Hirtenhans (pachtet 1403 von Markgraf Bernhard das obere Bad in
Liebenzell um jährlide 20 fl), Peter Hubenſchmied, Aberlin Huter,
Soft Hutmader, Ulrich Kayſer 1460, Klaus Kantengießer, Joh.
Kern, Schreiner (vielleiht der ©. 159 genannte Künftler?), Soft
Kepler, Jakob Kiefer 1479, Kunz Knebel, Berthold Knittel, Klaus
Koch 1480, Nikolaus Kommerell 1430 (Grabftein in der Schloß:
firhe), Hans Kraft, Friedrich Krieg, Walther Künlin 1400 (vergl.
©. 133), Jakob Landzwinger, Wernher Lieſch, Hans Lungel, Joft Lu $
1460, Kunz Mäulin (Mäufe, Meulen, Meyle) 1401, Hans Maler
1491, Berthold Mennlin, Peter Meglin, Mathis Müller 1400, Kunz
Murer, Burkhard Narr, Joh. Nettinger (Grabftein in der Schloßtirche),
Benz Deſchelbronn, Thomas Palm, Bertſche Pfenner, Herrmann
Pfifter, Hans Ratmann, N. Neinfleifh, Michael Reinhard, Michael
Räpple 1413, Georg Reuchlin, Wernher Riih, Kunz Ruf, N. Rüf:
lin (Mieflin, Niefle) der Weber 1400, Günther Sattler 1400,
Hänfel Schäfer 1455, Kunz Scheff, N. Scheppler, Friglin Scherer,
Ulin Schmidt 1400, Otto Schneider 1400, Burkhard Schreiber,
Aberlin Schreiner, Stephan Schuhmacher, Reinhard Seyler der Waffen:
Ihmied, N, Sigelin (Siegele, Eiegle) der Schwertfeger 1400, Peter
Suler (Grabftein in der Schloffirhe), Peter Start, Michael Strub,
Hans Stuberlin, Klaus Stump, Weblin Taugenhauer, Hans Traute
mann, Albert Tree, Friedrich Tyfel oder Teufel Grabſtein in der
Schloßkirche mit einer abſcheulichen Teufelsfratze, vergl. S. 152), Hänslin
Unger oder Ungerer der Gerber 1411, Hänslin Vetter, Konrad
Wagner 1419, Hans Wappeler, Endris Wecher 1480, Aberlin
Wegener, Heinz Weidenbufh, Hans MWeidenlaub, Kunzlin Weinzicher,
hauncs Reuchli Phoraenfi en 3
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Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 165
Heinz Weißenbach, Burkhard Wetzlin, MWendel MWilderfinn 1471,
Heinz Wirme, Heinz Wollenichläger, Aberlin Wücklinger, Paul Wyler.
54 Johann Wendlin.
Diefer ausgezeichnete Mann, einer „der Brennpunkte literarifcher
Reftrebungen in dem Zeitalter der Morgenröthe humaniſtiſcher Geiſtes—
bildung, ein Hauptbegründer der ernitern Beichäftigung mit ber griecht-
ſchen Sprache,” und — für die chriſtliche Welt — „Bahnbrecher zur
Kenntniß der Hebräifchen,” 1) auch „Norläufer der Reformation,“ wie
er ſonſt vielfach genannt wird, verdient wohl in einer Gefchichte feiner
Paterftadt befondere Berückſichtigung. Wenn er auch feine umfaffende
Thätiafert nicht innerhalb der Mauern derfelben entfaltete, ja feine Wirk—
ſamkeit, foweit dieſelbe mit dienftlicher Stellung verbunden war, größten:
tbeils nicht einmal feinen Naterlande angehörte, fo mag doch Pforzheim
immerhin darauf ſtolz fein, den Mann erzeugt zu haben, der einft einen
fo nahbaltigen Einfluß auf feine Zeit ausgeübt bat, daß noch heute
„die Anfinge und Grundlagen unferer Bildung vielfach auf ihn zurück⸗
weiſen“, und der dadurch, daß er zu dem in ſeinem Zeitalter „beginnen
den Kampf des freien Geiſtes gegen menſchliche Autorität, der Glaubens—
freibeit gegen Glaubenszwang“ 2) einen Hauptanſtoß gegeben, der ganzen
Menfhbeit angehört.
Johann Neuchlin wurbe am 28. Dezember 1455, alfo während
der Menierung des Markarafen Karl J., geboren. Sein Vater war
Georg Reuchlin, und beffeidete wahrfcheinfich das Amt eines Vermalters
des Klofterauts bei den Dominifanern. Derſelbe hatte außer Johann
noch einen Sohn, Dionyſius, der fpäter ebenfo mie fein Bruder eine
wiſſenſchaftliche Laufbahn betrat, und eine Tochter, Eliſabeth, welche den
1) Stälin, IT, 717.
2) Veral. die Schrift: „Johann Reuchlin, eine biographiſche Stizze“
von Lamev, die bier hauptlählih zu Grund gelegt ift. Belannt-
lich hatte Reuchlin fhon früher auch feine Biographen gefunden, ſo
namentlich feinen fandsmann Mad (Vita Reuchlini, Durlach 1687), "ferner
Schnurrer, Mayerhoff, Erhard ꝛc. Auch Gehres gikt in feiner kleinen
Pforzheimer Chronif* einen Lebendabriß Reuchlins nad „Schubarts Titeraris
fchen Fragmenten.“
166 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert,
eben fo reichen, als gründlich gebildeten Johann Reuter in Bretten
heirathete und dadurch die Großmutter Melauchthons wurde. ')
In feiner Jugend beſuchte Johann Neuchlin die damals blühende
Schule feiner Vaterftadt und legte bier einen guten Grund in der lateis
nifchen Sprache und in der Muſik. Im Alter von 141/, Jahren bezog
er die Univerfität Freiburg, wo er am 19, Mai 1470 als akademiſcher
Bürger eingefehrieben wurde und aufs Eifrigite philoſophiſche Studien
betrieb, Nach feiner Rückkehr von Freiburg wurde er wegen feiner
ſchönen Stimme unter die Hofjänger aufgenommen, und es mag wohl
während dieſes Aufenthalts in feiner Baterftadt gewefen fein, daß er
an ber Anftalt, der er früher als Schüler angehörte, nun aud) aushilis-
weife als Lehrer unterrichtete. Markgraf Karl, der auf den talentvollen
Jüngling aufmerkfam geworden war, erwäblte ihn 1473 zum Begleiter
feines dritten Sohnes, des Prinzen Friedrich,?) auf die Hochſchule zu
Paris, Hier ſetzte Reuchlin nicht nur feine in Freiburg begounenen
Studien fort, fondern er warf ſich auch mit großem Eifer auf die Er:
lernung dev griechiſchen Sprache. Aber noch im nämlichen Jahr mußte
er Paris wieder verlafien, wahrſcheinlich um den Prinzen Friedrich in
die Heimath zurück zu begleiten. Doch ſchon im folgenden Jahr 1474
finden wir deu ftrebfamen Jüngling auf der Univerfität zu Bafel, wo
mit Lernen, aber auch mit Lehren drei fruchtbare Jahre vergingen ; denn
Reuchlin hielt dafelbft bereits Worlefungen über die lateinische Sprache
und erflärte feinen Zuhörern die Klaſſiker. Zugleich arbeitete er daſelbſt
ein Iateinifches Wörterbuch aus, das erfte Werk, welches von ihn erfchien. 3)
Ja, der junge Mann, der bereits 1474 Baccalaureus und 1477 Magifter
ber Philofophie geworden war, eröffnete fogar Vorlefungen über die
griechiſche Sprache, die ihm aber von Seiten der Mönche unter den
Basler Lehrern, welche befürdhteten, daß derartige Studien von der
Religion abführen möchten, ſolche Anfeindungen zugegen, daß Reuchlin,
vielleicht in Folge derfelben, Bafel verlieh und zum zweiten Mal nad
Paris ging. Dort wußte er ſich durch Abſchreiben griechiſcher Schriften
1) Ihre Tochter Barbara wurde nämlich die Frau Georg Schwarzerbs,
Rüftmeifters zu Bretten; aus biefer Ehe ging Philipp Echwarzerb oder Me-
landtbon hervor,
2) Derfelbe war 1458 geboren, wurbe 1496 Biſchof von Utrecht und ftarb
1517. Sads, H., 627 fi.
) Es erlebte von 1477—1504 nit weniger als 23 Auflagen.
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 167
nicht nur die Mittel zu jeinen weitern Studien und zur Anſchaffung
von Büchern, die damals noch ehr thener waren, zu verfchaffen, ſondern
jenes Abfchreiben brachte ihm auch großen geiftigen Gewinn, da er da:
durch tiefer in die Schriftfteller eindrang und ganze Stellen feinem Ge-
dächtniß einprͤgte. Schon 1448 begab ſich aber Neuchlin nach Orleang,
we er zuerit Vorlefungen über griechiſche und lateinische Sprache bielt,
auch eine griechiſche Grammatik ausarbeitete, nebenbei aber auch juriſtiſche
Studien betrieb. Diefelben ſetzte er nachher in Poitiers fort und kehrte
1481 als Lizentiat des bürgerlichen Nechtes in feine Heimath zurüd.
Da er bier für feine Kenntniſſe und fein wiſſenſchaftliches Streben den
rechten Boden nicht finden mochte, fondern nach einem umfaffendern Wir:
kungskreis Nerlangen trug, fo wählte er die Univerfititsftadt Tübingen
zu feinem Aufenthalt. Dort praftizirte ev zuerft als Advokat, wurde
aber noh im Jahr 1481 als Vicentiat der Univerfitit immatrikulirt,
las als Privatdocent über griechifche Sprache und erwarb ſich den Grad
eines Doktors der Rechte. Dort verbeirathete er ſich auch und lebte
mit feiner Fran in langer und glücficher, wenn auch kinderloſer Ehe,
Von Tübingen ans befuchte er wohl auch von Zeit zu Zeit feine Water:
ftadt Pforzheim; doc fcheint es zu einem längern Aufenthalt daſelbſt
nie mehr gekommen zu fen.
Durch eine Fertigkeit im Lateiniſchſprechen wurde Neuchlin mit dem
Herzog von Mürttemberg, Eberhard im Bart befannt, der ein ſolches
Vertranen zu ihm faßte, daß er ibm zu feinem täglichen Gefellichafter,
Seheimfchreiber und geheimen Rath machte. Den Herzog mußte Neuchlin
auch auf einer Meife nach Nom begleiten, wo eine Yateinijche Rede, welche
letterer vor dent Papſt ımd den Karbinälen hielt, große Verwunderung
errente. Nach der Rückkehr nahm er mit dem Hofe feinen MWohnfik
in Etnttgart, wo er 1484 Aſſeſſor beim Hofgeriht und 1485 zum
Anwalt de8 Dominifanerordeng für ganz Deutfchland gewählt wurde.
Von Stuttgart aus machte er auch mehrere Geſchäftsreiſen, To 1492
mit dem Herzog Eberhard zu Kaiſer Friedrich III. nad Linz, wo
er fih Bis ins folgende Jahr aufbielt und‘ fammt feinem Bruder
nicht nur in den Adelsitand erhoben wurde, fondern auch den Titel und
die Mechte eines kaiſerlichen Pfalzgrafen erhielt. Dort fand er enblid
auch die langgeſuchte Gelegenheit, die hebräifche Sprache zu lernen, indem
er darin von dem Faiferlichen Leibarzt Loans, einem Juden, unter:
richtet wurde,
168 Neuntes Kapitel, Piorzheim im 15. Jahrhundert.
Bald nad) feiner Rückkehr nach Stuttgart gab er feine berühmte
Schrift: „Womwundertbätigen Wort” 1) heraus, Leider war feines
Bleibens daſelbſt nicht mehr lange; denn als Herzog Eberhard 1496 ftarb,
mußte Reuchlin Württemberg als Flüchtling verlaffen, da Eberhard ber
Züngere fein Feind war, Er wandte ſich nad) Heidelberg, wo er frobe
Tage verlebte und mehrere Werte ſchrieb, jedoch ein akademiſches Lehr:
amt nicht beffeidete, Der Kurfürſt ernannte ihn 1497 zum kurfürftlichen
Rath und oberiten Zuchtmeifter der Furfürftlichen Söhne gegen hundert
Gulden Gehalt, ein Hofkleid und Entihädigung für zwei Pferde. Auch
Reuchlins Bruder, Dionys, war damals in Heidelberg, ftieß aber in feinen
Bemühungen, einen Lehrftubl für griechifche Sprache an ber Univerfität
zu errichten, auf den entfchiedeniten Widerſtand der dortigen Mönche. 2)
Von dort machte J. Reuchlin im Auftrag des Kurfürften 1498 feine zweite
Meife nach Nom, erntete dafelbjt durch feine Gelehrjamkeit von Neuem
allgemeine Bewunderung, und hatte die Freude, bald nachher wieder nad)
Mürttemberg zurückkehren zu können, da ſich die Verhältniſſe unterdeſſen
geändert hatten. Aufs Neue gab er fi dort wiſſenſchaftlichen Arbeiten
bin, die mehrere Schriften zur Folge hatten, 3) aber freilih auch durch
die Gefchäfte eines Bundesrichters des ſchwäbiſchen Kreiſes, wozu er
1502 mit einem Gehalt von 200 Gulden ernannt wurde, häufige Un:
terbrechungen erlitten. Nebenbei fette er das Studium der hebräifchen
Sprache fleißig fort, und es iſt faſt umbegreiflich, wie er zu allen diefen
Beſchäftigungen und Studien, wozu neben einer Korreſpondenz, die ſich
auf die gelehrte Welt in Deutihland, Frankreich und Italien ausdehnte,
noch verjchiedene Reiſen und Gefandtichaften kamen, Zeit und Kräfte
finden Fonnte. Im Jahr 1506 erſchienen feine „Anfangsgründe
des Hebräiſchen“ (Pforzheim bei Anshelm), ein Werk, wodurch
Reuchlin auf diefem Gebiet die Bahn brach. Von Stuttgart aus mochte
!) De verbo mirifico. Die erften Auflagen erfchienen in Bajel, die fpätern
in Tübingen.
2) Dieler jüngere Reuchlin ſteht im Matrikelbuch der Univerfität Heidel—
berg am 26. Auli 1498 eingelchrieben als M. Dionysius Rüchlin de Pforzen,
») So auch bie Gelegenbeitfihrift: „Doktor johanes Reuchlins tütich miſſive.
warumb bie Juden fo lang in ellend find. Datum in Wyhenacht
feiertagen zu einem guten feligen jar, Ad anum 1505. Gedrudt susPfopgheim. *
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15, Jahrhundert. 169
er auch dann und warın wieder nach Pforzheim gekommen fein, und vermutb-
lich hielt er bei einem folchen Beſuch die Vorträge, an welche der ſogenannte
Reuchlin'ſche Hörfaal in der Schloßkirche, das einzige Denkmal, das
feine Daterftadt noch aufzuweifen bat, erinnert, ) Bei feinem jedesma-
ligen Aufenthalt in Pforzheim, wo fid ven 1507 an der Grofneffe
Reuchlins, Philipp Melanchthon aus Bretten befand, 2) prüfte er auch
immer jorgfältig die Nortichritte des Knaben und belchnte fie bald mit
griechifchen, bald mit Inteinijchen Büchern. Bei einer diefer Befuchareifen
wurde Reuchlin von den gerade verfammelten Geiftlihen des Pforzheimer
Landfapitels zum Gaſtmahl geladen; da trat nad) Beendigung des Mahles
der geliebte Knabe mit Irenikus und andern Mitichülern vor die Gäfte
und führte eine Tateinifche Komödie auf, welche Reuchlin damals
herausgegeben hatte. Bei diefer Gelegenheit verwandelte auch Neuchlin
den bdeutichen Namen des Knaben, Schwarzerd, in das griechifche
Melandhtben. 3)
Bald darauf begann der „Judenſtreit“, der die übrige Lebenszeit
Reuchlins fo ſehr verbittern follte. Fin getaufter Jude, Johann Pfeffer:
korn, griff theils aus eigenem Haß gegen feine ehemaligen Religionsgenoflen,
theils als Werkzeug der Dominikaner zu Köln, die Juden durch Wort
und Schrift aufs Heftigite an und befchuldigte fie, daf in ihren Schriften
gottegläfterlihe Dinge enthalten wären. Die Sache erregte großes Auf:
feben und kam bis vor den Kaifer Marimilian, der die Vernichtung
aller bebräifhen Bücher gebot, welche eine Schmähung bes Chriſtenthums
1) Diefes „Collegium Reuchlinianum“ befindet ſich über der ehemaligen
Sakriſtei (Süpjeite ber Schloßkirche). Dort war auch die Bibliothef Reuchlins
(S. 171) aufgeftellt. Der Grabftein, den Reuchlin feiner Mutter mit ber
Anschrift fegte: „Elissae Eckinae Georgii Reuchlin uxori, Johannes Capnion filius
matri pientissimae posuit,“ ift Yeiber nicht mehr aufjufinden, obgleich er noch
vor wenigen Jahren vorhanden geweſen ſein muß.
2) Nah dem Tode des Vaters und Großvaters Melanchthons zog die
Wittwe des Letztern, die Schweſter Reuchlins, 1507 mit ihren zwei Enkeln nach
Pforzheim, wo Philipp die Tateiniihe Schule befuchte.
3) Nach der Sitte der Gelehrten jener Zeit. Der griechiſche Name Reuch—
lins war Kapnion. Es ift auffallend, daß Reuchlin unter dieſem Namen
wenig, Melanchthon dagegen unter feinem deutſchen Namen Schwarzerb fait
gar nicht befannt ift,
170 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15, Jahrhundert.
enthielten. Da letsterer Umſtand aber ſchwer zu ermitteln war, jo ging
Pfefferkorn noch weiter und verlangte, dak alle Vücher der Juden, mit
Ausnahme des neuen Teftamentes, verbrannt werden follten. Darüber
wurden von mehreren Univerfitäten und Gelehrten, unter andern auch
von Reuchlin, Gutachten eingeholt, und dieſer erklärte ſich 1510 ent:
jchieden gegen ein jolches gewalttbätiges Nerfahren, das ſicher die erwartete
Wirkung nicht haben, fondern nur Erbitterung erzeugen werde, und das
ohnehin auch gar nicht nerechtiertigt fei, da die Bücher der Juden nichts
Schlimmes, fondern im Gegentheil recht viel Gutes enthielten, das fich
auch der Chriſt zu nutz machen könnte. Lebt fielen aber die Domini:
kaner mit aller Gebäffigfeit über ihn ber, und Pfefferkoru gab gemein:
ihaftlih mit dem Profejior und Dominifanerprior Jakob von Hong:
ftraten eine Schrift unter dem Titel „Handipiegel* heraus, welche die
gröbften Schmähungen gegen Neuchlin entbielt. Reuchlin blieb aber feinen
Gegnern die Antwort nicht ichuldig und fchrieb feinen „Augenipiegel,“ 1)
werin er ſich auf das Kräftigfte vertbeidigte. Damit hatte er aber
Del ins Feuer gegofien; dem jett fing der Streit erjt recht an, und
namentlich wandte fich der Angriff der Mönche nunmehr gegen die eben
genannte Schrift. Es würde zu weit führen, bier den ganzen Nerlauf
des literariſchen Kampfes zu verfolgen; es genüge die Bemerkung, daf
faft das ganze gelehrte Deutichland daran Theil nahm, und die aufge:
Härtern Geifter auf der Seite Reuchlins ftanden, darunter auch die be:
rühmten Ritter Ulrich von Hutten und Kranz von Sickingen. Nament:
lich war es leßterer, der durch fein energiſches Auftreten für Reuchlin
die Dominikaner in Köln dahin brachte, daß fie in Nom am Ende felber
die Niederichlagung des wegen Reuchlin eingeleiteten Prozeſſes erwirken
und diefem die durch denjelben erwachſenen Koften wieder erfeßen mußten.
Nach Außen bin aber batte diefer Streit mächtig gewirft und die
Geiſter jo aufgeregt, daß er den Möncen gegenüber mit der Feder noch
lange fortgejett wurde. Nicht wenig trug auch das Zuſammenſchaaren
der ausgezeichnetften Männer Deutichlands um Reuchlin dazu bei, daß
dadurch für die bald darauf erfolgende Reformation eine breite Grund:
lage gewonnen wurde und Luther mit feinem entſchiedenen Auftreten
nicht vereinzelt bdaftand, Diefer Reformator hatte vor Reuchlin die
T— — — nr
) 1511 bei Anshelm in Tübingen erſchienen.
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert, 171
größte Hochachtung, was namentlich der Brief beweist, den er am
14, Dezember 1518 an ihn ſchrieb, und Reuchlin rief bei der eriten
Nachricht von dem offenen Auftreten Luthers erfreut aus: „ott Lob,
num haben fie einen Mann gefunden, der ihnen fo bfutfaure Arbeit
machen wird, dab fie mich alten Mann wohl im Frieden werden bin
fahren laſſen!“
Doch follte den alten Mann noch verichiedenes Ungemach treffen.
Wegen gefährlicher Kriegsunruben war er 1509 genöthigt, nach Angol:
ftadt zu flüchten, ohne die Liebe feines Lebens, feine Bibliothek, mitneb:
men zu können. Im Anfang fitt er dafelbit bittern Mangel; ſpäter
beſſerten ſich aber feine Verhältniſſe wieder, namentlih als er am der
dortigen Univerfität Borlefungen über griechiiche und bebräiiche Sprache
eröffnete. Bald aber vertrieb ihn die Peit wieder aus Ingolſtadt und
er Fehrte nah Stuttgart zurüd, wo er fein Hausweſen wieder einzurich
ten gedachte, Aber die Univerfitit Tübingen ließ ihn einladen, dafelbit
feine Vorlefungen fortzufeben. Schon waren die nöthigen Einleitungen
dazu getroffen; bereits hatte die Kunde, daß der berühmte Mann wieder
leie, viele Studenten, uamentlich aus Heidelberg herbeigezogen: als bie
andauernde Kränflichfeit Neuchlins in ein gefährliches Fieber ausichlug.
Vergebens war 1522 eine Badkur in Yiebenzell; man brachte den
Kranken nah Stuttgart zurüf und am 30. Juni 1522, in feinem
67. Jahre, Fam Neuchlin zur Ruhe. Auf dem Lazarethkirchhofe in
Stuttgart liegt er begraben.
Seiner Vaterſtadt hatte er ſchon ein Jahr vor feinem Tode feine
reiche Bibliothet mit der Beitimmung vermacht, daß diefelbe im
St, Mihaeleftift dafelbft zu freiem Gebrauch aufgeftellt werden jellte.
Pforzheim beſitzt aber diefe Bibliothek Tängft nicht mehr. Sie wurde
nämlidy im dreißigjährigen Krieg nach Weilerftadt geflüchtet, und nad
mancherlei Terfchleppungen kam der Neft davon in die Großherz. Hof:
bibliothet in Karlsruhe, wo ſich namentlich auch noch die auf Pergament
geichriebene hebräiſche Bibel befindet, melde Kaifer Friedrich III. Reuch—
lin in Linz gejchenft hatte. — Zu Anfang diefes Jahrhunderts war in
der Schloßfirche noch der Katheder und Bücherkaften Reuchlins zu ſehen. 9
Das Geſchlecht der Reuchlin, das in Pforzheim längſt nicht mehr
") Roller, Beſchreib. von Pforzheim, ©. 15.
172 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
vorkommt , hat der Bruder von Johannes, Dionys, fortgepflanzt. Derfelbe
wurde nämlich ſpäter Geiftliher im Elſaß, nahm eifrigen Antheil an der
Reformation und verbeirathete fich. In jenem Land und im gleihen Stand
blieben fpäter auch die meiften feiner Nachtommen, und blüht das Ge:
ichledht der Neuchlin ſowohl in den Niederlanden, als in Mürttemberg
nody fort. 3)
1) Frübere Biographen Reudlins ftellten unter Mittheilung von Geſchlechts—
vegiftern die Behauptung auf, daß das Gefchlecht der Neuchlin 1788 mit einem
in biefem Jahre zu Straßburg verftorbenen Geifllihen, Friedrich Jakob N,’
erloſchen ſei. Es bat jedoch ein 1782 ebenfalls au Straßburg mit Tod abge:
gangener Wundarzt, Andreas Franz Reuchlin, männliche Nahfommen'haft
binterlaffen, und ftammen bie noch lebenden Reuchlin " (darunter der Ge:
Ichichtichreiber Herrmann Reudlin) von ibm ber. — Das diefem Abichnitt
beigenebene Bildniß Johann Reuchlins ift nach dem Delporträt gemacht,
welches aus ber Berlajienihaft des erften ausführliben Biographen Reuchlins,
des Profeffors Mai in Gießen, in ber bortigen Univerfitätsbibliotbef aufbe:
wahrt wird und auch ſchon Thormwaldien für feine Walhallabüſte gedient bat.
Das Facfimile ift einem der Reuchlin'ſchen bebräifchen Godices in der Großh.
Hofbibliothef zu Karlsruhe entnommen. — Beides, Porträt und Facſimile,
findet fi bereits als Titelbild in der ofen angeführten Schrift: „Johann
Reudlin, eine biograpbiihen Skizze v. Dr. Lamey“, und fonnte der noch
vorhandene Stein, ber bort fhon zu lithographiſchen Abzügen diente, aud
bier benüßt werben,
%
—i
Schntes Rapitel.
Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
(1475 — 1515.)
$1. Allgemeines. 1)
Markgraf Karl I. hatte drei Söhne Hinterlaffen. Der jüngfte,
Friedrich, betrat die geiftliche Yaufbahn, während die beiden ältern, Chri-
ftoph und Albredyt, 1475 vom Kaifer die Belehnung mit den badifchen
Landen empfingen und bdiejelben auch gemeinfchaftlid regierten. Im
Jahr 1482 geſchah jedoch eine Theilung zwifchen den beiden jungen
Markgrafen; allein ſchon nach 6 Jahren vereinigte Chriftoph nad) erfolg:
tem Tode feines Bruders Albrecht ſämmtliche badische Lande wieder in
feiner Hand. Diejelben beftanden damals aus der Markgrafihaft Ba:
den, welche die Nemter Pforzheim, Durlach, Ettlingen, Mühlburg,
Graben, Kuppenheim, Naftetten, Steinbah, Neu:Eberftein, Bühl und
Stollhofen umfaßte, aus der Herrſchaft Hahberg, der halben Graf:
ſchaft Eberftein, der halben Herrichaft Lahr (pfandweife), den Aem—
tern Altenfteig und Liebenzell und der halben Grafihaft Spon-
beim. Während feiner langen Megierungszeit aber vergrößerte Mark:
graf Ehriftoph fein Land durch zahlreiche Erwerbungen, fo namentlicd)
in Folge eines Erbvertrags mit dem fetten Sprößling des hachbergifchen
Haufes durch die Landgrafihaft Sauſenberg mit den Herrichaften
Nöten und Badenweiler. Von fonjtigen Erwerbungen in der Nähe
von Pforzheim find folgende zu nennen: Im Jahr 1483 übergab
Bartholomäus von Gertringen an Markgraf Ehriftoph zwei Theile an
dem Dorf Wyler (Weiler), die Theile an den Vogteien zu Singen
1) Vergl. biezu neben Sahs und andern mehrfach ſchon angeführten
Werken für badtiche Gefchichte namentlich den Aufſatz: Eine altbadiihe Fürſten—
geftalt, von Bader in feiner Babenia (Jahrgang 1858),
174 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
und Mutſchelbach mit allen Zugehörungen, den Hof zu Treyß (Trais
bei Königsbady), zwei Huben zu Nöttingen, 1'/, Huben zu Wilferdingen,
den halben Kirchenfag und halben Laienzehnten zu Nöttingen, wie er
(Gertringer) und feine Vorfahren Solches von der Markgrafihaft Baden
zu Leben getragen, gegen ein jührliches Leibgeding won 100 Gulden.
Schon das Jahr vorber 1482 batte er von Abt Johannes und dem
Konvent des Klofters Maulbronn ein Biertheil des Dorfes Niefern
um 1200 Gulden gekauft; zwei weitere Viertel des Ortes erftand der
Markgraf 1510 von Ritter Georg ven Bad um 2400 Gulden und
ein gegen der Frühmeſſe zu Altenfteig übernommenes Kapital von 1000
Pfund Hellers, nebjt der Verbindlichkeit einer jührlidhen Gülte von
2 Pfund Hellers und 8 Malter Korngelds an die Frühmeſſe zu Nie:
fern. Im eben genannten Jahr 1482 erfaufte der Markgraf von Elfe
Billing, Wittwe des Heinrih Wyler zu Pforzheim, ein Viertheil des
Dorfes Eifingen um 550 Gulden; ein weiteres Viertel diefes Ortes
erftand er 1495 von dem Nitter Ludwig von Illingen, genannt von
Nfingen, um 1519 Gulden. 1) Einen Theil des Dorfes hatte ſchon
Markgraf Bernhard 1415 von Reinhard Hofwart von Kirchheim erfauft,
fo daß alſo jeßt das ganze Eifingen badiih war. — Benerft mag bier
noch werden, daß Markgraf Chriſtoph im Jahr 1499 die Burg Liebeneck,
weldye ſchon 1466 nebit dem Dorfe Würm von den beiden Markgrafen
Bernhard und Karl um die Summe von 800 fl. an den Pforzheimer
Obervogt Paul Leutram (Pentium) don Grtingen verpfändet worden
war, an den Sohn desjelben, Ludwig Leutrum ven Ertingen, fammt
dem Dorfe Würm mit „Leuten, Gütern, Beten, Steuern, Zinfen, Ge:
füllen, Gerichten, Freveln, Einungen, Dienften und Frobndienften, Wald,
Waſſer, Aeckern 20," als Erblehen übergab, und daß Liebeneck bis zum
Jahr 1823, wo ein Austauſch verſchiedener Herrichaftsgüter gegen
') Von den beiden Zeugen: Konrad von Enzberg und Erhardt Theurlinger
oder Thorlinger findet fich dev Grabftein des letztern, der 1480 das freiberrt,
von Nippenburg’ihe Haus am Schloßberg faufte, in der Schloßkirche. Auf
demielben erblidt man die &eftalt Thorlingers im ritterlidem Gewand, neben
ihm die feiner Frau. Der Grabftein trägt die Umfhrift: Anno dni 1528 vl
den fünft tag mertz starb der vest Erhart Thorlinger. Anno dni 1472 vl sundag
Fer philippi vnd Jacobi starb die ersam fraw vrsel Thorlingerin der sel in
riden ruhe. — Konrad von GEnzberg flarb 1497 und wurde bei den Barfüßern
begraben. (Grufius, ſchwäb. Chronik.)
Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 175
Leutrum'ſche Beſitzungen ftattfand und die Burg felbft fammt bem
umliegenden Orundeigenthum wieder an den Staat fiel, im Beſitz ge:
nannter Familie war, 1)
Außer den angeführten Ermwerbungen wurde Markgraf Chriftopb von
Kaiſer Friedrich III. und deffen Sohn Kaifer Marimilian J., denen er
wichtige Dienfte leiftete, als Belohnung dafür mit verfchiedenen Ländereien
belehnt und unter Anderm auch zum Gouverneur des Herzogthums
Luxemburg ernannt.
Obwohl fih nun Ehriftoph an Reichsgeſchäften lebhaft betbeiligte
und dabei wie wenige andere Fürften das volle Vertrauen der beiben
genannten Kaiſer genoß, am deren Hof er ſich deshalb auch häufig be:
fand, jo war er dennoch für das eigene Haus und Volk jo landesväterlich
beforgt und thätig, daß man ihn mit vollem Recht den „Karl Friedrich“
feiner Zeit nennen darf. Denn abgefehen von den Grgänzungen und
Erweiterungen feiner Lande, lag ihm deren inmere Sicherheit und Orb:
nung zunächſt am Herzen. |
Strenge hielt der Markgraf in feinen Gebieten auf die Handhabung
des vom Kaifer Marimilian 1495 verfündeten ewigen Landfriedens,
deſſen Einführung dur ihn felbit fo jehr gefördert worden war, und
ebenfo trat er gemeinfchaftlih mit andern Reichsſtänden dem Umweſen
der Vehmgerichte Eräftig entgegen. Irrungen und ftreitige Verbältnifie
int Land oder mit benachbarten Herren und Städten ſuchte der friedfame
Fürſt durch Verträge zu fchlichten und zu vereinigen, während feine
Schutzbündniſſe mit den angejehenften Häuſern die Markgrafſchaft nad
1) Da die Herrn von Leutrum in der Geſchichte Pforzheims vielfach vorfemmen,
jo mögen einige Notizen über dieſelben hier fteben, Tie Ramilie von Ertingen ent:
ſpraug aus dem Orte Ertinger (jet ein Marftfleden von etwa 2000 Einwohnern)
bei Riedlingen (Württemberg) an der Donau, wo fie auf ber benachbarten Höhe
eine Burg erbaut hatte. In Urkunden des Ciſterzienſer-Kloſters Salem fommen
ſchon 1280 ein Adelbert, Heinrich umd Bertbold von Ertingen vor. Die Er:
tiger gebörten urfprünglich zu den Lehensleuten der Grafen von Martiteir,
verbreiteten ficy aber nachmals in verichiedenen Gegenden. Ein Aft ber Familie
fiedelte fih zu Biberach bürgerfich an und erlofh 1440 mit dem dortigen Bür:
germeifter Sigmund von Ertingen. Der ambdere Aft dagegen pflanzte ſich in
dem Zweig der Leutrum von Ertingen bis auf unfere Tage fort, wobei ber
alte alemaniihe Mannsname Liutram in ber Familie erblih und durch Bor:
jegung anderer Perjonennamen Gejhlehtsname wurde, (Die Schreibart
Leutrum ifteigentlic unrichtig.) Vergl. hiezu: Bader, Herrmann V., ©. 101,
176 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
Außen bin befeftigten. Hauptjäcdhlid aber war Chriſtoph auf eime zeit:
gemäße Erneuerung der alten Landes: und Stadtordnungen bedacht.
Was er darin für Pforzheim that, wird in einem befondern Kapitel
ausführlich gezeigt werden. Es darf uns deshalb nicht wundern, wenn
ihm ein Zeitgenofje 1) folgendes Zeugniß gibt: „An Seelenadel und
Biederkeit übertrifft der Markgraf von Baden alle übrigen Fürſten im
Deutſchland; die ganze Zeit ber bat der Kaifer nichts Wichtiges ohne
ihn unternommen, da er auch einer der verftändigften und tapferjten
Herren des Reiches iſt.“ Von feiner durch und durch ehrenhaften Ge:
finnung zeugt namentlich jein Benehmen gegen den Pfalzgrafen Philipp.
Diefer war vom Kaiſer in die Acht erklärt worden, und verſchiedene
Fürſten benüßten diefen Umftand, um im Trüben zu fifchen und
Ländereien des geächteten Fürften an fich zu reißen. Auch dem Mar:
grafen mutbete man zu, bei einer jo günftigen Gelegenheit dasjenige
wieder an ſich zu bringen, was der ‘Pfälzer Fri feinem Vater ab-
genommen hatte. Allein Chriftoph wies ſolch Anſinnen mit den
Worten von fih: „Ehr' und Eid geh'n über Land und
Bent!“
Nur einen großen Fehler beging der edle Fürft für die Zus
kunft jeines Landes: bie Vertheilung besjelben unter feine drei
weltlichen Söhne! Er traf nämlih 1515 die leidige Verfügung, da
nad jeinem Tode fein ältefter Sohn Bernhard die fponheimifchen
und Inremburgiichen, fein mittlerer Sohn Philipp die badifchen,
eberſteiniſchen und Tahrifchen, der jüngfte aber, Ernft, die hachbergi—
ihen, ſauſenburgiſchen, rötelnſchen und badenweilerſchen Lande und
Beſitzungen erhalten folle. Wegen Kränklichkeit übergab er feinen
Söhnen ſchon damals die Verwaltung der bezeichneten Länder auf
vier Sabre, Bald jedoch gefellte ſich bei ihm zu des Leibes Blödig—
feit auch noch eine Gemüthstrankheit, jo daß er unter die Wormunde
haft feiner eigenen Söhne geſetzt werden mußte. Der greife Herr
erlangte feine Gejundheit nicht wieder, lebte aber neh bis 1527,
in weldem Jahr er in feinem Scloffe zu Baden verfchied.
Die Megierung des Markgrafen Chriſtoph ſowohl, als feiner
nächjten Nachfolger fiel in eine Aufßerft bewegte Zeit. Unter ben
1) Beroaldo, ber Erzieher bes erften Sohnes von Chriſtoph, in ber
Widmung einer von ihm herausgegebenen Echrift.
Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 177
altherfömmlichen Einrichtungen, Verfaſſungen, Geſetzen, Sitten und
Anſchauungen, welhe dem Mittelalter fein eigenthünliches Gepräge
verlieben, hatten fih gar manche überlebt, während eine Menge jo
bedeutender Neuerungen in das öffentliche und Privatleben eindrangen
und fih dort geltend machten, daß dadurch für die menſchliche Ge:
jellichaft eine neue Kulturperiode begründet wurde. Cs geſchah dies
bauptfählih durch die jo wichtigen Erfindungen und Entdeckungen,
welche im 15. Jahrhundert und zum Theil ſchon früher gemacht
wurden Don erjtern ift namentlich die des Schießpulvers und
ber Buchdruderfunft, von den Entdeckungen die des Seewegs nad
Oſtindien und insbejondere von Amerifa zu nennen. Durd alle
diefe Ereigniffe traten im Wiſſenſchaft und Kunft, in Kirche uud
Staat, in Politit und Kriegswefen, in Handel und Gewerbe, ſolche
Veränderungen ein, daß jene Zeit wohl mit der unjern, in der Dampf:
maſchinen, Eiſenbahnen und Telegraphen eine jo wichtige Rolle jpielen
und bereits jo mächtige Umgeftaltungen zu Stande gebracht haben,
wohl verglichen werden fan. Am meiften machte fi aber die Er:
regtbeit der Geiſter auf kirchlichem Gebiete geltend, und es füllt noch
in bie legten Yebensjahre des Markgrafen Chriſtoph, die freilich bereits
geiftig umnachtet waren, jenes folgenreiche Ereigniß, welches in der
Geſchichte unter dem Namen der Reformation bekannt ift. Bei
ihr wird jedoeh exit im 42. Kapitel ausführlicher verweilt werden,
$ 2. Beſonderes.
Markgraf Chriſtoph hatte jeine gewöhnliche Nefidenz in Baden, wo
er zuerſt im oben oder alten, fpäter aber in dem von feinem Vater
Karl I, gebauten neuen Schlofje wohnte. Im Stadtbrief von 1510
erflärte Chriſtoph die Stadt Baden für die „erſte und fürnehmfte” feines
Fürjtentbums; doch machte ihr darin Pforzheim als größte Stadt
des Landes immerhin Konkurrenz. Vorübergehend mag fi der Mark:
graf aud im Pforzheim aufgehalten haben; zu einem längern Verweilen
jheint es nie gefommen zu fein; wenigitens findet ſich fiber joldes nir—
gends eine Andeutung, Wie wohl übrigens Chriſtoph der Stadt wollte
und welden Werth er auf fie legte, zeigt fi am Beiten in der „Orb:
nung und Polizei,“ welde er ihr 1491 verlieh. Wir werben im
Pflüger, Pforzheim. 12
178 Zehnttes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
folgenden Kapitel ausführlicher dabei verweilen. Wir benterfen nur bier
ſchon, daß ſich der edle Fürſt durch feinen Freiheitsbrief in der Stadt
Pforzheim ein Denkmal gefett hat, das mehrere Jahrhunderte überdauerte;
und wenn der Brief auch bei veränderten Zeitverbältniffen feine Bedeu:
tung verlor und zuletzt ganz außer Kraft trat, jo verdient doch der Fürſt,
ber einſt Pforzheim fo manche Vortheile zumandte und damit eigentlich
ben erjten Grund zur fpätern Bedeutung der Stadt legte, für immer
ein dankbares Andenken
Sehen wir ıms nad diefen Vorausſchickungen näber nach demjeni-
gen um, was für die innere Gefchichte der Stadt in mehrfacher Be—
ziehbung von Bedeutung it. Den Zoll, der dem Markgrafen Karl TI.
von Kaifer Friebrich II. von allen Fuhrleuten auf allen Straßen inner:
halb einer Meile von Pforzheim zu erbeben verjtattet wurde (S. 156),
beftätigte derſelbe Kaiſer 1477 auch dem Markgrafen Chriſtoph, wodurch
dieſem eine nicht unbedeutende Quelle des Einkommens offen blieb, die
er auch ſpäter für ſich allein in Anſpruch nahm, als er von andern in—
direkten Steuern einen Theil der Stadt überließ. Im Jahr 1482
verſicherte Markgraf Chriſtoph eine Summe von 600 Gulden, welche
Markgraf Albrecht von Brandenburg dem Stift Baden, wo ſeine Toch—
ter Amalie begraben war, gegeben hatte, auf die Städte Pforzheim und
Ettlingen. 1) Der Enwicklung des Handels und der Gewerbe war ber
ber Stadt 1491 verlichene Privilegienbrief äußerſt günftig, da verjchie:
dene Beitimmungen desjelben, wie 3. B. die Errichtung eines Geld:
wechſels, bauptiächlih darauf beredinet waren. Zu den Gewerben, bie
damals, wie früber ſchon, im befonderer Blüte ftanden, jcheint in erſter
Reihe das der Tuchmacher gebört zu haben. Diefelben waren entweder
Tucher, die ganzes Tuch machten oder Sergenweber, bie Sarſch
(serge) oder leichten Wollenzeug verfertigten; e8 gehörten zum Hand—
wert aber auch noch die andern Gewerbe, die fih mit der Verarbeitung
ber Wolle befchäftigten, alfo Spinner, Kämmer, Walter u. dgl. Für
dies MWollengewerbe, das damals in der ganzen Markgraficaft von
großer Bedeutung gemefen zu fein fcheint, erjchien 1486 eine eigene
„Wollenweberordnung”, die nicht weniger als 128 Paragraphen zählte
und als frübes Beifpiel einer Gewerbeordnung für ein ganzes Fürſten—
') Sache, II, %.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 179
thum alle Beachtung verdient. ') An die Tucherzunft verkaufte
die Stadt mit Genehmigung des Markgrafen unterm 19. Februar 1497
ihre „wa'tmuele mit der selftaßn und jlvfimne'e an der Enß, auch die
bofjtatt dazwueſchen ußwendig Bretzynger vorſtat by der ziegelbuette,
ſunder auch den ramgarten underhalb dem nuwen thurn hinder der
obermmele gelegen, mit iv aller begriffe, vecbten ımd zuegeberungen.” 2)
Dafür mußte das Gewerbe auf Martini eines jeden Jahres bezahlen:
an bie herrſchaftliche Amtskellerei zu Pforsbeim 7 Pfund 6 Sch. Pfg,
dem Spital auf Frohnfaſten 1 Pfd. 2, Sch. Pfg. an St. Antonien
Altar 4 Bio, an St. Michaels Stiftsbau 10 Sch Pfg., ebendahin auf
Pfingften 2'/, Sch. Pf. und dem Frauenkloſter (der Dominikanerinnen)
vom Rahmgarten 101/, Eh. Pf. Dafür erbielt aber das Gewerbe
auch den Ertrag von der mit der Walkmühle verbundenen Delichlag
und Schleifmühle mit jährlichen 4 id. 24/, Sch. Pig. Aus diefen
Lajten, die ein Kapital von über 1000 Gulden repräfentirten, geht ber:
vor, daß die Zahl derer, weldhe dem Mollengewerbe angehörten, ſehr
bedeutend gewelen fein muß. Ohne Zins wurde den Tuchern ferner
überlafen „um ire tuochramen fuerter zuftellen und ufzurichten“ der
„plaß ußwendig der ftatt fleiftbore underbalb dev ſteynyn Bruden zwiſchen
der ſtattmuere und der Ente.“ Ebenſo wurde ihnen bei der Walkmühle
jelbft ein Plat eingeräumt, um „zwo ramen zuo wiflingen (grober, ges:
wöhnlich ſchwarzer Zeug, deffen Zettel Leinengarn, der Einichlag Wolle,)
oder tuochen zu ſetzen“ Kerner wurde ihnen vom Markgrafen zuge
fichert, daß er ihnen, wen fie „ein nuw waldmuele an der Wirm bus
wen woelten”, zu dieiem Zwecke „ein gelegen hofſtatt dartzuo auch ome
finden zins und andere befwernis geben und“ volgen laſſen woelle.“
Man fieht hieraus, wie fehr der Markgraf diejes wichtige Gewerbe zu
heben bemüht war. Schen einige Jahre nad dem Webergang der
Malfmühle an die Tuchmacher gerietben diefe 1504 in Streit mit dem
DObermüller Theus Müller wegen des Neinigens des Mühlkanals, der
durch den Markgrafen geichlichtet wurde. 3)
) Eie ift abgebrudt in Mones Zeirichrift, IX, 147 ff. Ein Sergenweber
war auch Hans von Lienzingen, deſſen Grabftein fib außen an ber Eitofeite der
Schloßlirche befindet und der 1519 farb.
2) Urkunde im ftädtiichen Archiv. Vergl. auch Zeitſchrift für Geſchichte
be& Oberrheins, IX., 160.
Vergleich im ſtädt. Archiv, 12 *
180 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Ehriftopb.
Aus den Gewerbeordnungen, die Markgraf Chriſtoph gegeben but
und von denen unten mehr die Rede fein wird, läßt fich entnehmen,
daß auch noch andere Gewerbe damals in Pforzheim von großer Ber
deutung waren und Pforzheim überhaupt, wie früber ihen, den Rang
als erfte Gewerbitadt der Markgraffchait behauptete, Weiter oben
(S. 159) war bemerkt, daß Pforzheim einen geſchickten Armbruſtmacher
gehabt hätte. Einen „Hubenſchmied“, (E. 164) d. b. Hauben- oder
Pickelhaubenſchmied erhielt es 1491 und wurden demjelben in Anbetracht,
daß er „feines handwerks geübt und ſuübtyl“ fer, vom Markgrafen be-
fondere Freiheiten verlieben, wie dies im Mittelalter bei Waffenichmieden
nicht felten geichab.?) Letztere waren in Pforzheim natürlich ſehr notb-
wendig, da jeder Bürger wehrhaft fein mußte. — Wie früher des ge:
ſchickten Holzichnigers Johannes Kern erwähnt wurde, fo treffen weir
450% auf einen ähnlichen Pforzheimer Künftler, Antonius Bil d—
ſchnitzer,?) bei dem, wie in andern Källen, letterer Name zugleich
Geſchäfts- und Gefchlechtsbezeihnung war. Näberes über ibn und feine
Geſchicklichkeit iſt jedoch nicht bekannt,
Der Piorzbeimer Gelehrtenichule, die unter der Negierung Markgraf
Chriſtophs ihre größte Blüte erreichte, werden wir einen befondern Abschnitt
widmen. Gleiches ſoll bezüglich der Buchdruckerei geſchehen die Pforzheim
fhon 1502 erbielt. Erwähnensmerth find aber bier neh zwei Männer,
die ſich als Schriftiteller in ihrem Fach ausgezeichnet haben, Der eine
ift Alerander Hug, Stadtichreiber zu Pforzbeim ſchon um 1487 bie
noch 1529 (vorher in gleicher Eigenihaft zu Calw). Gr gab ein Buch
heraus unter dem Titel: „Nhetorica und Kormulare beinab aller
Schreiberei.” Dasfelbe wurde im 16. Jahrhundert in Tübingen häufig
aufgelegt. 3) — Der andere, der einen großen Namen in dev Arznei:
funde batte, ift Jobamı Widmann, in lat. Ueberſetzung Salicetus,
) Vergl. Mone, Zeitſchrift, VI., 186.
2) Piorzheimer Lagerbuch von 1502, ©. 35 und Mones Anzeiger, V., 390,
3) Bergl. Stälin, IN, 777. — Ein Brief, der wabriheinlih ven ibm
berrüßrt und am Samftag nach Martini 1486 aefchrieben ift, (er ift bloß
„Stadtichreiber von Pforzheim“ unterzeichnet), findet fib im Landesarchiv.
Derfelbe ift an den damals in Baden fih aufhaltenden Vogt von Pforzbeim, Hans
von Küngfpach, gerichtet und betrifft Ungeld- und andere Einzüge. Cine
Nachſchrift am Schluß lautet: „Lieber junfger wüſt ich das ir ein brettipil zu
Baden vermöchten, jo wölt ich zu euch fomen.”
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Ghriftoph. 181
genannt Möch inger (nad Maichingen, feinem Geburtsort). In Pavia
in der Arzneitunde ausgebildet und mit dem Doktorhute geſchmückt,
wurde er 1480 markgräflich badiſcher Leibarzt zu Raſtatt und 1484
ordentlicher Lehrer der Arzneikunde an der Univerſität zu Tübingen, wo
er großen Beifall fand, Im Auguſt 1492 betellte ihn Kaifer Meari-
milian zum Yehrer der Arzneitunde in freiburg; doch zug ihn bereite
im September des Jahres 1493 Eberhard im Bart wieder zu ſich alg
Xeibarzt und Profejjor in Tübingen, Im Jahr 1506 wurde Wid—
mann Ulmer Stadtarzt, bald darauf marfgräflih badifcher Yeibarzt in
Pforzheim, als welder er 1524 ſtarb. Als Schriftiteller machte er ji
verdient durch Teine gedrudtten Abhandlungen: „Truetatus de pustulis
quae vulgato nomine dieuntur Mal de Franzos,“ (Tübingen,
1497), — „Bon der Peſt“ (De pestilentia perutilis, Tübingen,
1501, vermuthlih 2. Auflage, da diefe Schrift ſchon im der vorher:
gehenden citirt wird), — „Bom Wildbad“ (Traetatus de balneis
therımarum ferinarum vulgo Wildbaden, Tübingen, 1513), —
„Negimen, wie man fi in peftilenzialiihem Lufft halten
ſoll“, (Straßburg, 1519). Xebtere Schrift ijt ein ungearbeiteter Aus—
zug der erſtgenannten, den Widmann laut der Vorrede feinen Töchtern
zu Liebe in deutfcher Sprache gemacht und zum Bejten des gemeinen
Volkes dem Drud übergeben bat. ')
Wenden wir ung munmebr zu den Kirchen und Klöſtern der Stadt.
Die durch Markgraf Karl I. durch den Anbau eines neuen Chores
vergrößerte Stiftsfirhe zu St. Michael erhielt auch durch Markgraf
) Vergleiche Fuchs, die älteften Echriftiteller über die Luftjeuche in Deuiſch⸗
land, Göttingen 1843, S. 396, ſowie die Schriften des Alterthumevereins zu
Baden, IM, 244 ımd Stälin, HE, 774. — Das Andenken Ridmanne erbält
in Pforzheim cine fteinerne Tafel an einem der vordern Pfeiler der Schloßkirche,
worauf fih die Anichrift findet: Anne dni 1522 hat der wirbig hochgelert
ber Johan Widman genannt Moechinger der Artznei doctor fin ampt ven
Ho chwirdigen Sacrament des fronlichnams unſers bern Iheſu erifti
allen Donerſtag In einigkeit zu Singen geftifft uff dem alltar der heiligen drey
funig.* Nah der Stiftungsurkunde im Landesarchiv beſtimmte er dazu ein
Kapital von 190 fl. Der Grabflein einer 1551 gefterbenen Tochter Wid—
manns, Cordula, verebelichten Grempin, befindet fich ebenfalls in ber edioh:
Arche. Sie wird in der Vorrede der letzten der oben angeführten Schriften
genannt,
182 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
Chriſtoph 1487 einen Anbau auf der Nordfeite, wie die dafelbft noch
fichtbare Jahrzahl Heweist. Freitih wurde die Symetrie des Baues
badurdy nicht wenig geſtört. Doch bat man im neuerer Zeit (1808)
wenigitens dag Dach des Anbaues, das die jchönen gothiſchen Fenſter des
Mittelſchiffs ganz verdedte, wieder entfernt, Daß der Dehant des
Stiftes 1496 Paul Plus hieß, erfahren wir aus einer KRaufurkunde,
nad) welcher Markgraf Chriſtoph von ihm und dem Amtsfeller Hans
Bremgarten zu Pforzheim, als Vormündern der Kinder Hanfens von
Niefern, den achten Theil von Sölingen ſammt verjchiedenen Gütern
und Gülten daſelbſt und in Berghauſen erfaufte, 1) Ihm jcheint So:
hann Schölderlin gefolgt zu fein, der 1517 eine Abſchrift des Pforzheimer
Privifegienbriefes mitbeglaubigt.) Im Jahr 1505 errichtete Chriftoph
eine Propftei des Michaelftiftes, (S. 149) wozu der Biſchof von Speier
unter der Bedingung feine Eimvilligung gab, daß ein Viertheil der
Gefälle des erften Jahres bei der Einſetzung eines jeden neuen
Vropftes an ihm bezahlt werden mühte. 3) Es rief diefe Beftimmung
mehrfach Neklamationen herver, jo 1538 bei Ernennung des Propftes
Aftmann und 1552 bei Georg Bod. ) — Tas Patronatsredht behielt
fich indeg der Markgraf vor. 9) — Im nämlichen Jahr erwarb derfelbe
von der Stadt Pforzheim das Recht der Leihung der Kanonien von
St. Fabian und St. Sebaſtian, wofür er der Stadt die Gerechtigkeit
zu St. Laurentins Altar einräumte, 6) Hauptfählih aus Grabiteinen
der Schloßkirche erfahren wir auch die Namen einiger Stiftögeiftlichen,
jo 1485 des Vikars Johann Befeda (S. 149), 1506 des Vikars
Johann Maver, 1491 geichieht Hanien Malers, des Kaplans bes
Altars St. Peter und Pauls im Stift zu Pforzheim Erwähnung , 7)
1497 de8 Mag. Joh. Gram, der Canonifus geworden, 9) von 1510
1) Sachs, I, 54.
2) Städtifches Ardiv.
s) Lib. spirit, Spirit, VIII. 106,
+) Landesarchiv.
3) Sads, IIL., 75.
%) Sachs, IH, 75.
) Hiſtoriſch geneal. Nachrichten der Fam. Maler, ©. 1.
*) Lib, spirit. dioec, Spir. ©. 34.
Zehmtes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 183
findet jich der Grabſtein des Canonikus Nikolaus Wyler, 1) der ſchon
1484 als Bifar des Stifts vorfommt. ?) 1521 wird Joh. Pleuß als
Canonikus und Ganter genannt, nachdem Markgraf Philipp das Jahr
zuvor „des Sängers Amt” geitiftet hatte. Daß der Pforzheimer Stadt:
Pfarrer bis 1510 ein Dr. Peugler 3) war, und fein Nachfolger Lukas
Schleppel 1511 Weihbiihef zu Speier wurde, mag bier auch Erwäh—
nung finden ,%) ebenjo, daß fich zwiichen feinem Nachfolger Mathis in
Pforzheim und den dortigen Bettelmönden ein heftiger Streit erhob, den
der Biſchof won Epeier dur den nach Pforzheim gefandten Dr. Gallus
ichlichtete. 59) Auf Mathis folgte 1520 Pfarrer Paul Pfeffer, der in
genanntem Jahr der St. Matthijenbruderihaft (S. 160) 20 ff. mit der
Bedingung vermachte, daß der Zins von 4 Gulden jährlich zur Aus:
theilung von Brod an arme Leute verwendet werden jollte, 65) 1539
wird ein Dietrih Weiler als Pfarrer in Pforzheim genannt. Dem
Ruralkapitel wurde 1539 geftattet, ein eigenes Haus zu bauen; das:
jelbe wurde jedoch 1559 wieder verkauft. — Außer den ſchon genann-
ten Grabmiälern der Schloffirche mögen noch folgende, die dem 15. und
16. Jahrhundert angehören, bier angeführt werden, jo weit fie nicht
fonft vorfommen: Bon 1518 findet fih ein Denkſtein, betreffend die
Stiftung einer Meſſe durch Burkard von Reiſchach, Landhofmeifters 7)
zu Baden, am Altare der heil, Dreifaltigkeit zu leſen, 1532 von So:
1) Der Grabe oder eigentlih Gedenkſtein ift an einem Pfeiler des Mittel:
Ichiffs befeftigt. Die Anichrift lauter: Anno dmi 1510 uff den 10. tag July
ift der wirdig ber Miclaus Wyler canonid diß Stifts geftorben Ein ftifft Zweye
mes uff heilig crüß altar ein von der beilligen drivaltigfeit uff Euntag zu
leſen, die andere uff mitwoch von dem liden crifti zu fingen Zu troft fin vatter
und mutter geſchwiſterig Auch die er inſunderheit vermeynt und allen glaubigen
felen Die heilig drivaltikcit und das liden Grifti wol ir Selen gnedig barm:
bergig tröſtlich ſin. In Pace quiescant Amen,“
2) Tiorzbeim, Renovation 1580 (im Landetardiv).
’) Sein Grabftein iſt in der Schloßkirche.
*) Remling, I, 221.
5) Adami theol. v. Pelican.
°), Repertorium im Landesarchiv.
7) Da diefer Name, wie der des Haushofmeifters nody mehrmals vorfommen
wird, fo jei bier bemerft, dap der Landhofmeiſter Überall im Lande ben
Fürften als deſſen oberfter Befehls» und Willensträger vertrat, während bem
Haushofmeifter die Leitung alles desjeninen oblag, was den Hofftaat
und bie Hoföfonomie beiraf. Bergl, Bader, Badenia, I, 65.
184 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
hannes Hochberg und feinem 1543 geſtorbenen Bruder Sebaſtian Hoch—
berg; (erſterer war Propſt des Michaelſtifts und beglaubigte als folder
1517 eine Abichrift des Privilegienbriefes, nachher wurde er Kanzler
des Markgrafen, — Sebaſtian Hochberg beffeidete das Amt eines
Küchenmeiſters); 1533 von Veit Breitjchmert dem eltern; von 1543
findet ſich eine hölzerne Gedenktafel für Aıına von Ehingen, Bernhard von
Hartens Ehefrau; von 1555 ift der Grabftein von Bernhard Friebrid,
MWidergrin von Stauffburg (Staufenberg), der am 12. Juli 1558 durch
den marfgräflichen Kammerjunker Wolf Kifcher im Schloffe zu Pforz-
beim entleibt wurde. 1) Die übrigen Denkmäler werden an den dazu
geeigneten Orten genannt werben,
Ein intereffantes Grabmal der Schlofirhe vom Jahr 1498 verdient
indefien noch befondere Erwähnung Es ift das eines „Johann,
Freigrafen von Kleinegypten.“ Der Stein lag früher im
mittleren Gang der Schlokfirhe vor der Kanzel, ift aber jest an dem
Pfeiler aufgeftellt, der bei der Safriftei das Mittelfchiff von der vordern
linten Seitenkapelle fcheidet. Die Umfchrift lautet wörtlihb: Anno
dni 1498 vf mentag nach vrbani starb der wolgeborn her Johan
frygraf vsz klein egipten dem got gnad des sel got barmherzig
sy.2) Auf dem Grabſtein befindet fich eim viergetheiltes Wappen;
auf zwei einander übers Kreuz entgegenjtehenden Feldern befindet ſich
je ein fpringender Hirſch, auf jedem der beiden andern ein Stern über
einem liegenden Halbmond. Auf dem Schild fist ein gekrönter Helm,
über welchem abermals Stern und Halbmond ericheinen. Diefer reis
graf Johann war ein Oberft der Zigeuner, diejes morgenländifchen,
wahrſcheinlich aus Indien oder aus Nordafrika abjtammenden Volkes,
das 1417 zum erften Mal in Deuticland auftauchte, wohin einzelne
Horden desjelben, immer mit einem führer an der Spite, aus ber
Moldau eingewandert zu fein feheinen. Nach der Schweiz kamen ihrer
im Jahr 1418 auf einmal 14000. Man bielt fie anfangs für Bil:
ger, die aus dem gelobten Land kämen, that ihnen nichts zu Leide und
ertbeilte ihnen fogar Schuß- und Freiheitsbriefe, jo Kaiſer Sigismund
im Jahr 1423. Ihr erftes Erſcheinen in den jest badischen Landes-
—
) Lagerbuch des Almoſens von 1711 im Stadtarchiv.
) In der „ſchwäb. Chronik“ von Grufius find Thl. III. noch zwei andere
ähnlidhe Grabſchriften von Ziegeuneranführern aufgezeichnet. Wo ſich diefelben
befinden, iſt nicht angegeben,
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 185
theilen Fällt ins Jahr 1422.15) Nah Konftanz und Umgegend kamen
fie 1430. Man batte jedoch bereits erfannt, weß Geiftes Kinder fie
ſeien?) und unterließ nicht, die nöthigen Vorſichtsmaßregeln gegen fie
zu gebrauchen. Sicherlich geſchah dies and, als eine Horde der Zigeuner
13498 vor den Thoren Pforzheims erfchien und, wie die Sage berichtet,
genöthigt wide, um die Stadt herum zu ziehen, weil ihr die Thore
verschlofien blieben. Das Zigeunergäßchen, N jebt Lindenſtraße,
foll davon den Namen erhalten haben, ine Ausnahme fell bloß mit
dem kranken Zigeuneroberft gemacht worden fein, der dann in der Stadt
ftarb und in der Schloßkirche beigefett wurde. Noch jet übrigens
bier bemerft, daß früher (fo noch 1735) eine ähnliche Tafel, wie der
eben befchriebene Grabſtein, ſich auch in der Kirche zu Brößingen befand.
Sie zeigte das Bild eines Mannes, mit einem Rinde an ber Hand,
ſammt einem Mappen und der Umfchrift: „Anno domini 1552 ben
23. April ftarb der Woblgeborne Herr Antoni Frey-Graff aus Klein:
Egipten des Seel Gott gnädig und barmberzig ſeye.“ 4)
Gehen mir von der Etiftsfirhe zu St. Michael über zu der
1) „Als die beiden genant Arraciner des erſten in bis fant
fament 1422, An dem veraeihriten jare an Dornftan vor 1. Mleriontaa
(16. Juli) do fam ein Herkon, bier bergon Michel von Egiptenland, har in
das Wieſental wol mit 50 Pierden und was ein ungeftalt jwarkes Volt und
warent vor me ze Baſel und anders wo gefin. Das jelbe Volk was aller
menglichen unwert und warent allewegen zuo velde und unter keim tache, und
battent von dem babeft und unserm herrn dem fung und ven andern berrn
guote geleigbriefe, das balfe ſy alles nuß, man batt ſy dannocht ungern, und
warent och frowen under inen.“ Fortichungen des Königshofen in Mo-
nes Quellenſammlung, 1., 298.
2) In dem 1430 jar do fam ein jchwarz folf gezogen, hieſſ man Ziginer
und warent uſſ dem mindern Gaipten x. Die zugent mer ben jechs ober
fiben jar in allem fand mit groffer armnot und ellend und mit groſſer untrum,
war fie ftalent, was ft an foment und wie es in (ihnen) werden moct mit
zoberliften, warjagen, und menger band fund und Tift, die fi tribent ꝛc. Kom
fanzer Chronik in Mones Quelleniammluna, 1., 334.
s) Der Name besjelten kommt jhon 1565 vor, Es iſt indeſſen bereits
(S. 12) bemerkt worden, daß der Name Zigeumerftraße oder Zigeunergäßchen
auf römtichen Urſprung bindeutet.
4) Pforzheimer Diozeß, Kirchen: und Schul : Beichreibung von 1735 (im
Yandesardiv).
186 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
St. Martins: ober Altftädterfirde, jo finden fi auch über
diefe für den gegenwärtigen Zeitraum einige furze Notizen. Nocd immer
waren neben Würm die Orte Duchenfeld, Dill: und Weißenitein (S. 105)
in diefelbe eingepfarrt und mußten aud) ihre Todten zur Beerdigung babin
verbringen. Für Huchenfeld trat 1496 darin eine Aenderung ein, indem
nady einem zwijchen dem Weihbiſchof von Zpeier, dem Pfarrer der
Altjtadt und der Gemeinde Huchenfeld zu Stande gekommenen Vergleidy
letere ihre Todten von nun an im Orte felbit beerdigte. ') Im Jahr 1504
jtifteten Konrad Stahel und feine Frau eine MWiefe zu dem Altar
St. Anna in der Martinskirche. 2) Ferner erfahren wir, 3) daß im
Jahr 1512 der Altftadtpfarrei eine neue Einrichtung gegeben wurbe.
Worin diefe bejtand, weiß ich nicht zu jagen. In ebendemjelben Jahre
erfolgte dafelbit die Präfentation eines neuen Geiftliben, und zwar tie
gewöhnlich durch einen Abgefandten des Biſchofs von Speier, dies Mal
durh den Domherrn Thomas Truchſeß. 4) Diefe Geiftlihen waren
aber eigentlih nur Helfer oder Diakonen, da die Altftadtkicche von
St. Michael aus pafterirt wurde,
Dak das Franziskanerkloſter fein Vermögen 1443 verlor
und auf das Nothwendigite beichränft wurde, ift bereits (©, 152) er:
zählt worden. Von der fpätern Armuth der Mönche zeugt ein Brief
aus der Zeit von 1483—1490, den der Straßburger Kanonikus Peter
Schott fchrieb und der vermutblih an einen eimflußreichen Prediger in
Straßburg gerichtet war. 5) Er Sagt darin unter Anderm: „Die
Franziskaner wollen für nächſten Sonntag Cantate ein Kapitel halten
in ihrem Pforzheimer Klofter, das aber aus Armuth eine fo große
Verfammlung nicht zu ermähren vermag, zumal da wegen ber vorzu:
nehmenden Wahl eines Provinzials die Zahl ungewöhnlich groß fein
wird. Sprich dem Volk zu, daß es dem auf Almojenfammeln ausge:
iandten Mater reichlih ipende, meldyer in Bologna mein Beichtvater
(1478 ff.) mehrere Jahre lang geweſen ift. Dieje Pforzheimer find
1) Urkunde im Landesardiv.
2) Generalia, Religion, Kirchengut ꝛc. in ber Markgrafihaft Baden betr.
1629, Generallandisardiv.
5) Aus Sads, IV., 135.
NEbendaſelbſt.
>) Siehe deſſen Schrift: Lubrucatjunculae, S. 154.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 187
gute Leute und fogenannte Obfervanten.” Das endlihe Schickſal dieſes
Klefters wird unten bei der Geſchichte der Neformation erzählt werden,
Das Spital oder Klofter zum heiligen Geijte in der Brößinger
Vorſtadt erhielt 1600 im der Perſon des Matthias Hütlin einen
ſehr wackern Meifter. Der Generalvifitator der alemanifchen Klöfter
zum. heiligen Geift, Rulin Kyſel, Meifter zu Stephansfeld im Elſaß,
befahl nämlich, daß das Spital zu Pforzheim einen andern Meifter
wählen müſſe. Der Markgraf präfentirte dazu den genannten Hütlin, der
die Stelle auch erhielt, 1) und fie im Jahr 1514 noch bekleidete, wo
er mit Joch. Bes, Prüzepter und Meifter zu Gröningen einen Bertrag
abſchloß. Sein Nachfolger war wahrjcheinlih Nikolaus Faßmann, wegen
deſſen Berlaffenihaft der Markgraf 1544 mit Marr von Ruffach, dem
Drdensmeifter zu Stepbangfeld, einen Vergleich traf, 2) Ihm folgte
Johann Fabri, der aber ihen 1547 ale Ordensmeiſter nach Stephans⸗
feld berufen wurbde.3) Daß zu den damaligen Brüdern des Heiliggeifis
lofters auch Joh. Schwebel gehörte, wird unten bei der Gefchichte der
Reformation erzählt werden. Gin anderer SKomventual hieß 1528
Barth, Schweizer.
Das HFrauenklofter der Dominitanerinnen zu Maria
Magdalena nahm Markgraf Ghriftop im Jahr 1487 in feinen
befondern Schuß, nebſt defien Dörfern Brögingen, Springen und
Eutingen. Zugleich nahm er dasjelbe von der neuen (1486 pro:
viforifch gegebenen) Ordnung aus, d. b. er befreite es von ber
Bezahlung des Ungelds von Mein, Fleifh und Frucht ꝛc. Dagegen
verfchrieben ihm die Nonnen ein jährliches Schirmgeld von 2b Gul:
den und verftanden fich dazu, dem Markgrafen mit ihrer Unter:
thanen Fuhr und Dienjt gewärtig zu .jein. Genannte drei Dörfer
erhielten darum audy 1509 einen Frohndienſtbrief. ) Daß der jog.
Oberhof, ähnlich wie der dortige Schafhof, bei Iſpringen ebenfalls den
Klofterfrauen gehörte und 1486 im Erbbeftand gegeben wurde, erfehen
mir aus einer Urkunde von jenem Jahr, 5) iner Heinen baulichen
ı) Generalia, Religion, Kirhengut, Spitäler ꝛc. in der Markgraiſchaft
Baden betr.
2) Sachs, IV., 43.
s, Alten des Landesarchivs.
1) Sache, HI. 197,
>) Akten Großh. Oberamts.
188 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Marfarıf Chriſtoph.
Veränderung des Kloſters mag bier auch erwähnt werden, In ihrem
Garten an der Stadtmauer machten die Klofterfrauen ftatt des bisherigen
hölzernen Gedrills eine Mauer, wovon das Kloſter die eine, die Stadt
die andere Hälfte bezahlen mußte. 9) Da indejien nicht lange nadıber
die Stadtmauer um das Frauenkloſter gezogen wurde und dasſelbe ale:
dann nicht mehr extra muros (auswendig der Yauer) war, fo verpflich—
tete ficdy die Stadt, dafür zu ſorgen, daß das Geficht der Mauer wicht
gegen das Klofter gerichtet werde, und zu dieſem Behufe das erforder:
liche Dielwerk machen zu laſſen und ewiglich zu unterhalten. Dafür
bezahlten die Nonnen der Stadt die Summe von 200 fl. — Bom
Klofter der Eifterzienferinnen, das nur jelten aus dem Dunkel
bervortritt, in welches die Geſchichte desſelben gebüllt ift, erfahren wir,
dag Ottilia, die zweite 1480 geborene Tochter Markgraf Chriſtophs,
die den geiftlichen Stand erwählte, Aebtiffin desjelben war. 2)
Verweilen wir noch einen Augenblick bei den Namen derjenigen
Perſonen, melde vorzugsweiſe die Obrigkeit in Pforzheim bildeten. Als
Obervogt in Pforzheim wird 1484 Hans von Kingsbadh (Könige:
ba), 1512 ff. Binder oder Bindardt, Landſchad von Steinach genannt, 3)
deſſen Unterfchritt auch die 1517 aefertigte Abſchrift des Privilegienbriefs
trägt. 9) Das Amt eines Schultbeiken befleideten bis 1476 Bal-
thajar Wels (veral. oben S. 87)5) 14854 Hans Tulwer, 6) 1499*
Paul Hofmann, 7) 1501 Laurenz Ganshorn, gen, Widmann. #) — Zum
eriten Male erfahren wir aud in diefem Yeitabfchnitte die Namen einiger
Pforzheimer Bürgermeifter. Im Jahr 1486 befleidete diefe Stelle
Johannes Meibel, 9) 1498 Konrad Wnler, 1%) um 1510 Lauren; Gans:
j N Freiungen der Markgrafſchaft Baden. Landesardiv.
*) Petri Suev, Eccles. S. 667.
3) Zeitſchr. 1. d. Geſch. des Oberrbeins, I., 226.
4) Im ſtädtiſchen Archiv,
5) Sein Grabſtein befindet ſich in der Schloßkirche. Auf demſelben er;
blidt man das Wappen der Welle, drei Tbürme, und unter diefen ein großes
lateiniſches W.
s) Generalia, Kirchen ꝛc. ©. 173.
7) Regiſter, darnach allerhandt der Stadt Handlungen zu ſuchen, Lade O.
(Stadtarchiv).
s) Generalia, Kirchen ꝛc.
) Stadtordnung von 1486 im Landesarchiv.
10) Ertract Vertrags, wie es in der Mühle an ber Würm, Tiefenbronner
Gemarkung, gehalten werden ſoll. (Siadtarchivp.)
Zebntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 189
bern, 3) 1517 Heinrich Lueſch,?) um 1520 Peter Wonzieher 3) ꝛc.
— Die „zwölf ratsbern die ouch vrteil ſprechen jollen” (vergl. unten
„Stadterdnung,”) hießen 1486: Hans Plus, Konrad Wyler, (diefe
Beiden gebörten zugleich zu den 4 Negenten, vergl, unten), Dans Dul—⸗
ber, Hans Lueſch, Balthaiar Schell, Gabriel Engelbart, Kung Sattler,
Wendel Heilgenboupt, Thomann Sattler, Klaus Göppinger, Laurenz
Widmann, Michael Nüfflin, Die „zwölff von der gemeinde” (Aus:
ihuR) waren: Dietrid Wyler, Ludwig Lienzinger (diefe Beiden Re:
genten), Hänſin Kumerell, Hänfin Teichlin, Hänin Lienbart, Hanns
von Hall, Martin von Biberad, Joh Hutmacher, Gerwig Pur (Bauer)
der Jung, Michel Gerwik, Martin Badanen und Jerg Tryer (Dreier).
53. Gründung einer Buchdrucherei in Pforzheim, (1502).
Nachdem Johann Suttenberg um das Jahr 1440 die jegensreiche
Srfindung der Buchdruckerkunſt gemacht hatte, war nad) wenigen Jahr—
zehnten ſchon eine ziemliche Anzahl von Drucdereien in Deutſchland ge:
gründet, Die ältefte Spur einer Drudichrift, welche in unferm engern
Vaterlande erſchienen ift, findet fih 1466, und zwar zu Heidelberg,
Augsburg erhielt eine Druderei 1468, Um, Eßlingen und Lauingen
1473, Waubenern 1475, Freiburg 1480, Urach 1481, Reutlingen
und Memmingen 1482, Stuttgart 1486, Konftanz 1489, Offenburg
1496, Tübingen 1498.
An Pforzheim wurde die erſte Druderei durh Thomas Ans:
beim oder Anselm aus Baden im Jahr 1502 gegründet. Der
Umstand, daß er fich jelbjt bei der Unterfchrift eines durch ihn gedruckten
Merfes ale Magifter bezeichnet und daß er in den freundfchaft:
fichften Beziehungen zu Reuchlin ſtand, der ihm fogar folde Titel
gab, wie fie damals nur Gelehrten zufamen — mag beweifen, daß er
fein gewöhnlicher Buchdruder war, ſondern eine fehr umfafjende, ja
gelehrte Bildung beſaß. Daß gelehrte Männer die Gründung von
Drudereien unternahmen, war überhaupt in feinen Zeiten nichts Seltenes,
1) Abjchrift des Priv, Briefs von 1517 im Stadtarchiv.
2) Ebendaſelbſt.
3) Lagerbuch von 1527.
) Stadtordnung von 1436 im Landesardiv,
190 Zehntes Kapitel. Pforzbeim unter Markaraf Chriſtoph.
Im Verlag Anshelms erfchien während der Zeit, da er in Pforzheim
fein Gefchäft betrieb (1502 — 1511), eine Menge von Schriften, die
ſich durch ſolch fchönen und korrelten Druck auszeichneten, daß Anshelm
zu den berühmteſten Buchdrudern feiner Zeit gezählt wurde. Daß diefes
Lob ein durchaus verdientes war, wird Jeder anerkennen, ber Gelegen:
beit hatte, einzelne noch vorhandene Exemplare folder Schriften zu feben
Es gebören dazu: ') „Dr. Brants Traum“ (1502); — „Behend
und hübſch Rechnung vf allen Kauffmannſchaften“ (1502); —
„Memorabilesevangelistarum figurae“ (1502, 2. Auflage
1504); — Johannis Reucehlini L. L. Doctoris Liber conges-
torum de arte praedicandi (1504 und 1508); — Magnen efi
Babani Mauri de Landibus sanetae Crueis“ x. (1503); —
„Rabani Mauri de Institutione Clericorum opuseulum
aureum“ (1504, zweite Auflage 1505); — „Henriei BebeHi
_ opusenla varia“ (1504); — „Rationarium Evangelistarum
omniuam“ ıc.; (1505, neue Auflagen 1507, 1510); — „Doftor johanes
Reuchlins tütfh miſſive warumb die Anden fo lang in
ellend find. Datum in Wyhenacht Feiertagen zu einem guten
feligen jar. Ad annum 1505. Gedruckt zu Pfortzheim;“ —
„Joh. Reuehlini Phorcensis Rudimenta hebraica“
(1506; eines der am verzüglichiten ausgeftatteten Druckwerke
Anshelms, das allein ſchon hinreichen würde, ihm einen ehrenvollen
Platz in der Geichichte der Buchdruckerkunſt zu fihen); — „Ja-
cobi Wimphelingii Apologia pro republica christiana“ x.
(1566); — „Grammatica Jacobi Henrichmanni‘ x,
(1506, 2. Auflage 1507, weitere Auflage 1508); — „Epistolae
Franecisei Philelfi ex originario transsumptae“ (1506); —
„Roberti Gaguini de arte metrificandi libelli‘ :«c,
(1506); — „Opuseulum de sagis maleficis Martini Plantsch
concionatoris Tubingensis“ (1507); — „Jac. Wimphelingii
Schlettstattensis Theosophi Oratio desaneto spirituzc. (1507)
„Cassiodorus senator de anima“ ıc, (1507); — „Bucolica
Antonii Geraldini poetae laureati et protonotarii apostoliei‘
(150%); — „Joh. Reuchlini Phorcensis Sergius vel Capitis
caput cum commentario Georgii Simleri“ (1507, 2. Ausg. 1508);
) Vergl. Rangers Annalen der ältern beutichen Literatur, 8. Bd.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 19%
— „Commentaria epistolarım confieiendarum Henrici Be-
belii‘ ꝛ⁊c. (1508, neue Aufl. 1509, 1510); -- „Joh. Reuch-
lini Phorcensis Scenica progymnasmata cum commentario Georgli
Simleri“ (1508, neue Aufl. 1509); — „Ein nutzlich regiment wider
die boſen fransojen mit ettlichen Fugen fragftüden, von Alerander
Spt” (1509; der Nebtiffin Eliſabeth Schötlin gewidmet); — „Opera
Bebeliana“ (1509); — „Jacobi Wimphelingii Sletstadiensis
Elegantiae majores“ :c. (1509, neue Aufl. 1510); — „Bartholo-
maei Coloniensis Dialogus mythologieus“ (1509); — „P. V.
(Virgilii) M. opuscula cum familiari expositione‘“ (1510); —
„Annotationes Phil, Beroaldii Bonomiensis in commentarios
Servii, Virgiliani commentatoris“ (1510); — ‚Joh, Brassicani
institutiones“ ac. (1510); — „Vocabularius Joh. Altenstaig
Mindelheimensis“ ⁊c. (1511); — „Liber hymnorum in metra
noviter redactorum, Apologia et defensio poätice ac oratorie
majestatis“ ⁊c. (Jahr ungewiß).
Man wird aus diefem Verzeichniß, das anf Vollftändigkeit keinen
Anfpruch macht, entnehmen können, weld ein rübriger Verleger und
Druder Anshelm war und welche ausgezeichneten Schriften aus feiner
Dffizin bervorgingen. In feiner Druderei fol Melanchthon, der ſich
damals auf der Pforzheimer Schule befand, eine Zeitlang das Amt eines
Korreftors veriehen haben. Im Jahr 1511 zog Anshelm von Porz:
heim nad Tübingen ') und ließ fihb 1515 im Hagenau nieder. An
beiden Orten errichtete er Drudereien und verlegte eine Menge der frei:
finnigften Werke, in Tübingen namentlich viele Schriften Reuchlins.
Kräftige Unterftügung fand er dabei an Wolfgang Aert, Druder,
Philolog und Dichter zugleich. Diefer war ein vertrauter Freund Reuch—
ling, des Erasmus und Ulrichs von Hutten, und hatte feinen geringen
Antheil an der Ausarbeitung der epist. obscurorum virorum (Briefe
ber Dunfelmänner). Wahrfcheinlich arbeitete er als Gehilfe bei Anshelm,
was er bei feinen zablreihen Verbindungen gewiß nicht geihban haben
1) Wir begegnen übrigens dem Namen Anshelm auch jpäter nod in Pforz:
beim. Im Sabre 1548 fommt ein Johann Ansbelm, 1565 ein Kaipar und
ein Hans Anshelm vor; fpäter 1632 ein Anton, 1650 ein Martin und 1662
ein Hans Anshelm. Db dies Nachlommen von Thomas Anshelm waren, weiß
ih nidt.
192 Zehntes Kapitel. Pforzbeim unter Markgraf Chriſtoph.
würde, wenn nicht Anshelm ein feines Umgangs würdiger Mann ge
wefen wäre.
Ob bei dem Wegzug Anshelms nad) Tübingen 1511 auch zugleich
eine Verlegung feiner Pforzheimer Druderei dahin ftattfand, oder ob er
in Tübingen ein neues derartiges Geichäft begründete und feine Druderei
in Pforzheim in andere Hände überging: das vermag ich nicht anzugeben,
Se viel ift gewiß, daß die Behauptung von Gehres in feiner „Pforz—
beimer Ehronik,“ Pforzheim babe von Id an bis zum Beginn des
19. Jahrhunderts keine Druderei mebr gehabt, entſchieden unrichtig ift;
denn in den Jahren 1522 und 23 treffen wir als Budöruder in
Piorzbeim Johannes Greiffenberger. eben diefem feinem eigent:
lichen Geſchäft befliß er ſich auch der Malerei ') und war überdies der
Verfaſſer mehrerer Schriften, die er felber drudte und verlegte, 2) Man
erfieht dies aus der erjten dieſer Schriften, die genen „die falſchen
Propheten“ gerichtet ift. Nachdem ſich Greiffenberger auf dem Titel:
blatt als Verfaſſer derfelben genannt bat, ſteht am Ende der Schrift, fo
daß bierin die Angabe des Druders und Drudortes zu erfennen ift:
Bon mir Johannes Grevfienberger zu Pforzheym, 1524. Wahrſchein—
ich verlegte er auch Schwebels „Ermahnung zu den Queftionfiern“
1522 umd deſſen „Nredigt vom guten Hirten,“ 1524, 3)
Zur Bervollitändigung dieſes Abfchnittes mag, wenn wir auch ber
Zeit etwas vorauseilen, bemerkt werben, daß die Greyffenberger'ſche
Offizin in der Folge vermuthlicd wieder erlofhen it und Pforzheim
vorübergehend Feine Druderer beſaß. Es läßt fich dies daraus ſchließen,
daß Markgraf Karl II. bei Einführung der Reformation 1956 die
„neue badische Kirchenordnung”“ nicht in feiner Mefidenz Pforzheim druden
ließ, (was doch ficher aefcheben wäre, wenn diefelbe eine Druckerei gehabt
hätte), jondern in Tübingen. Allein ſchon vom Dezember 1557 an
ericbienen bei Georg Nabe in Pforzheim wieder nach einander mebrere
Schriften, meiſt theologischen Inhalts, fo 3. B. eine von einem Edelmann
am Hofe des Markgrafen in lateiniſcher Sprache verfaßte und von
Pfarrer Iſrael Achatius in Pierzbeim ins Deutſche überfegte Schrift:
„Wahrhafter Bericht alter und nener, das ift ewangelifher und papiſti—
15 Nürnberger Gelchrienferifon von Will, I, 571.
2) Vergl. unten Gefchichte der Reformation in Pforzheim.
3) Vergl. unten Echmwebrls Lebensbejchreibung und ‚Geſchichte der Refor:
mation“ in Pforzheim.
Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 193
jcher Lehre.” — Im Jahr 1569 verlegte Nabe die „geiftliche immer:
währende Praktik (Kalender) auf das Jahr 1560” v. Mag. Kaſpar
Brunnmyl, lutheriſchem Prediger in Geißlingen, — ferner die zweite
Auflage einer ſchon 1557 zu Tübingen herausgekommenen Schrift:
„Kurzer und einfältiger Bericht von des Herren Nachtmahl,“ von
Dr. Andreä, mit einer Vorrede von Brenz, endlidy das „verbütfchiert
mit < Siegelm verichloffene Buch“ von Seh. Frank. Am Jahr 1560
erichien bei Nabe ein Werk über „forftlihe Oberherrlichkeit“ von Noe
Meurer, wohl die ältefte Schrift diefer Art und heut zu Tage noch
brauchbar.
Mit der Verlegung der Reſidenz von Pforzheim nah Durlach
1565 jcheint Pforzheim auch jeine Druderei wieder verloren zu haben,
Wenigſtens verlautet von einer ſolchen in der folgenden Zeit nichts mehr.
Erft dem laufenden Jahrhundert war es vorbehalten, Pforzheim wieder
mit einer Prefie zu verfehen. Ich, werde weiter unten darauf zurüd-
fommen.
$ 4 Die Pforzhrimer Gelehrtenſchule um 1500,
Welch ehrenvollen Rang die Iateinifhe Schule zu Pforzheim unter
ähnlichen Anftalten bald nach ihrer Gründung einnahm, ift ſchon oben
(=. 155) gefagt worden. Die Zeit ihrer größten Blüte fcheinen aber
die zwei erften Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts gewefen zu fein ine
Reihe ausgezeichneter Lehrer und eine große Menge Später berühmt ge:
wordener Schüler liefern Zeugniß, in welch vortrefflihem Stande fich
die Pforzheimer Schule befand. Von jenen verdienen folgende befondere
Erwähnung: Georg Simmler. Gr war zu Wimpfen geboren, hatte
fh zu einem der ausgezeichnetiten Schüler Reuchlins herangebildet und
wurde Nektor in Pforzheim, welche Stelle er bis 1511 bekleidete. Yon
feiner Befähigung als’ Lehrer und feinem erfolgreichen Wirken zeugen
die Worte eines feiner Schüler, ran; Irenicus, welder fi") über
Simmler alfo ausſpricht: „Daß id) ja des trefflichen Lehrers nicht zu
erwähnen vergefje! Immer werde ich die vielfeitigen Kenntniffe Georg
Simmlers rühmen, der lange mein Lehrer war, und unter defjen Zucht:
ruthe ich zuerft geftanden und meine geringen Fähigkeiten ausgebildet
BEREITEN
') Jrenicus, Exeges. Germ., U,
Pflüger, Yorzbeim. 13
194 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
babe, dem ich mehr, als meinem eigenen Water verpflichtet bin, ja dem
ich nächſt Gott Alles verdanke, was ich gelernt. Diefer Mann unter:
wies mid in beiden Spraden (in der Iateinifchen und griechiſchen).“
Auch Melanchthon ſpendet diefem feinem Lehrer das größte Lob. Im
Sahr 1514 verließ Simmler Pforzheim, um einem Ruf als Lehrer der
Rechte an die Univerfitäit Tübingen zu folgen.) An feine Etelle trat
Sohann Unger (1511 — 1524). Von ibm wird unten ausführlicher
bie Rede fein. Auf Unger folgte als Rektor Martin Hilsbad, Ein
Kollege von ihm war Job. Meifter, der 1538 in Pforzheim ftarb.
Später bekleidete die Stelle eines Rektors Bobhard, genannt Schü,
der 1552 dem Magiftrat zu Pforzheim ein Bud: „‚de studio literarum‘‘
widmete. Schon früher hatte an der Pforzheimer Schule Jakob
Wimpfeling aus Schlettftadt gelehrt und während feines dortigen
Aufenthaltes (er war um 1502 in Pforzheim) eine große literariſche
Thätigkeit entfaltet?) Er wird in der Geſchichte der Meformation
weiter vorkommen. in Kollege Simmlers in Pforzheim war Johann
Hildebrand aus Schwehingen, der früher feine Bildung an der näm:
lichen Schule erworben hatte, an welcher er nun als Lehrer und Kon:
reftor wirkte, Bei ihn hatte Melanchthon das Studium ber griechifchen
Sprache begonnen. Im nämlichen Jahr wie Simmler (151 1) zog auch
Hildebrand nad Tübingen, we er Profeffor, fpäter Ephorus wurde.
Sein Vorgänger in Pforzheim jcheint Gerhard Lift geweſen zu fein,
den Irenieus 3) feiner ausgezeichneten Sprachkenntniſſe wegen einen zweis
ten Reuchlin nennt, %) Gleichzeitig mit Simmler und Liſt lehrte in
Pforzheim Nikolaus Gerbel. Ausführlicheres fiber ihm wird unten
folgen. Unter den fonftigen Pforzheimer Lehrern der damaligen Zeit
ft Joh. Knoderer aus Motenburg a/R. nicht zu vergeſſen, der
früher auch ein Zögling der Pforzheimer Anftalt gewejen war. Er
trat in der Folge in württembergiſche Dienite und ſtieg dort zur Würde
eines Rathes und Kanzlers empor.
Bon denjenigen ausgezeichneten Männern, welche auf der Pforz
1) Vergl. Camerarius, Vita Melanchth, 7, Adami vita philos., 85, Secken-
dorf, hist. Luth. II., 158. Letzterer nennt fogar Simmler den Gründer ber
Pforzheimer Schule (S. 203).
?) Riegg. amoen. Frib., 267.
2) A. a. O.
*) Vergl. über ihn auch Lampadius, Beiträge, S. 203 ff.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 19%
heimer Schule den Grund zu ihrer Bildung legten, die aber
zum Theil ſchon eimer frübern, zum Theil einer fpätern Zeit ange:
bören, find befonders zu nennen: Melandtbon, Kapito,
Schmwebel, Frei, Glafer, Grynäus, Haller, Hebio,
Irenicus, Weftheimer, die beiden Wertwein — Melde
Umftände Philipp Melanchthon nah Pforzheim führten, wird
jpäter bei der Lebensgeſchichte Johann Ungers erzählt werben. Daß er
Profeſſor in Wittenberg und der treue Gehilfe Luthers beim Werke
der Meformation wurde, fann ich als befammt vorausſetzen. — Wolfgang
Kapito, einer der ausgezeichnetiten Zöglinge der Pforzheimer Schule,
1478 zu Hagenan geboren, wurde jpäter Doktor in drei Fakultäten,
Prediger in Bruchſal, bekleidete vor- und nachher akademische Stellen
zu Freiburg, Bafel und Strakburg und ftarb 1541 an der Pet. Er wirkte
eifrig für die Sadye ber Neformation. (Siehe unten.) 1) — Von Johann
Schwebel werde ich ausführlicher reden. — Adam frei, ein ge:
borener Pforzheimer, wurde Magifter und Kanter an der Stiftefirche
zu Baden. Gr begleitete den älteften Sohn Markgraf Chriſtophs, den
Prinzen Jakob, 1489 nah Nom, und wurde fpäter marfgräflicher
Kanzler. Er wurde zu den ausgezeichnetſten Juriſten feiner Zeit gerechnet
— Kafpar Glafer war ebenfalls zu Pforzheim geboren, wo fein
Geflecht damals in mehreren Gliedern blühte, 2) Er ift als gründlicher
Gelehrter bekannt. Im Jahr 1532 war er Lehrer an der lateinifchen
Schule zu Gemmingen, ging aber im folgenden Jahr nad Zweibrücken
ale Erzieher des dortigen Erbprinzen. Dafelbft wurde er nad) Schwebels
Tod 1540 Generalfuperintendent. — Simon Grynäus, eigentlich
Gryner oder Greiner, war 1493 zu Veringen im Hohenzoller'ſchen
geboren. In Pforzheim, wo er ben bereits in feinem Baterland erhal:
tenen Unterricht fortjeßte, ſchloß er innige Freundſchaft mit Melanchthon
und begleitete denjelben wahricheinlih auch nad Tübingen. Won dort
ging er nad Wien, wo er Profefjor der griechiſchen Sprache wurde,
Einige Jahre nachher finden wir ihn als Schulrektor in Ofen, wo ihn
aber feine Hinneigung zum Proteftantismus ins Gefängniß brachte, aus
— —
— — —
) Näheres fiber ihn in Adami, vii. Theol. und Se ckendorf, hist.
Luth, 1., $ 41, Nro. 4, Iſetin, IT, 428. 6.
2) Wir finden 1519 und 15%0 einen Utz Glaſer, Philipp Glaſer, Han
laser, Wilhelm Glaſer. 13*
196 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
welchem ihn nur die eifrige Fürſprache des ungariſchen Adels rettete.
Bald darauf kehrte er nach Deutſchland zurück und nahm in Heidelberg
eine Profeſſur der griechiſchen Sprache an. Noch einmal drobte ibm
in Speier das Gefängniß; doch enttam er nach Baſel, wo er nad
einem bewegten Leben endlich Ruhe fand, Er ftarb daielbft am 1. Auguft
1541.) — Berthold Haller,?) zu Rotweil geboren, erhielt feinen
eriten Unterricht in Pforzheim zur Zeit, als die dortige Schule unter
Simmler in jhönfter Blüte ftand. Lehrer und Meitichüler, unter letztern
wieder Melanchthon, waren geeignet, den ohnedem lernbegierigen Yüng:
ling zu ausgezeichnetem Fleiß anzufpomen. Melanchthon erinnerte ſich
Hallers auch im fpätern Jahren nod mit großem Wohlwollen. Im
18. Lebensjahre ging Haller auf die hohe Schule nah Köln, von we er
in jeine Vaterftadt zurückkehrte. Im Jahr 1513 ging er nad Bern,
wo er das Werk der Neformation begann und vollendete. 3) — Kafpar
Hedio, eigentlih Hevdt, 1494 in Ettlingen geboren, auf der Schule
zu Porzbeim, jpäter auf der Hochſchule zu Freiburg gebildet, war in
ber Folge Lehrer in Baſel, Hofprediger in Mainz, Domprediger in
Straßburg, wo er für die Suche der Reformation aufs Eifrigfte wirkte,
Er ftarb dajelbft am 17. Oktober 1553. — Franz Arenicus, eigentlich
Friedlieb, ebenfalls aus Ettlingen gebürtig (um 1495), erhielt feinen
eriten Unterricht in jeiner Waterftadt, vertaufchte jedoch denſelben bald
mit dem der Schule in Pforzheim, wo er mit Melanchthon gleich Gry—
näus, Haller u. A. ſich innig befreundete. Dort nahm er auch an dem
Scauipiel Theil, weldes vor Reuchlin aufgeführt wurde, als biefer
einft von Stuttgart in feine Vaterjtadt fam (S. 169). Später jtudirte
Irenieus in Tübingen umd Heidelberg, wurde an legterm Orte Magifter
1518 Rektor der dortigen Katharinenſchule und Mitglied der philofophi-
ſchen Fakultät, 1524 Stadtpfarrer in Ettlingen, 1530 nad) feiner Ber:
treibung von dort Pfarrer in Gemmingen. Er ftarb um 1565.) —
Bartholomäus Weitheimer, 1499 in Pforzheim geboren, ſcheint
um 1525 Kaplan in Raftatt geweien zu fein, wo er den Drud einer
*) Näheres fiber ihn Riegg. amoen, Frib., p. ?11.
) Bergl. über ihn: Kirchhofer, Bertb. Haller oder die Neformition in
Bern, Züri, 1828.
3) Eiſenlohr, Kirchengeihichte und Melch. Kirchhofer, a. a. D.
4, Camerarius, vita Melanchth, p. 8, und Cent epist. Henr. Schweb.
No, 23, p. 68.
Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 197
Schrift des württembergiichen Neformators Brenz: „Bon Milterung
der Fürſten gegen die auffrürifchen Bauern“ veranftaltete. Er zeichnete
ſich auch ſpäter nicht nur als theologiſcher Schriftfteller , Sondern auch
als gelebrter Buchdrucker aus. Gr ftarb als Greis in Horburg in der
Grafſchaft Mömpelgard, unter deren Neformatoren er einen ehrenvollen
lag einnimmt Gleich feinem Landsmann Reuchlin wermachte er feiner
Vaterſtadt feine Bibliothek. (Dieielbe wurde im vorigen Kahrbundert
nah Durlach gebracht und später mit der Hofbibliothek in Karlsruhe
vereinigt.) -— Ghriftepb Wertwein war um 1510 in Pforzheim
geboren. Er ftammte aus einer alten Familie (S. 77).') Im Jahr
1536 kam er nach freiburg, nachdem er vorher in Tübingen ftudirt
hatte, wurde fpäter Doktor in Padua, worauf er nach Wien ging Dort
wurde er Almofengeber und Hefprediger von Kaiſer Ferdinand I, und
endlich Biſchof von (wieneriſch) Neuftadt. Nach dem Tode des Biſchofs
Naufen von Mien erhielt er deflen Etelle und wurde nun auch des
Kaifers Gewiſſensrath. Er ftarb daſelbſt M. Mai 1553, nachdem er
noch vor feinem Tode feiner Waterftadt ein Kapital von 300 Gulden
zum Beſten armer Ztudirender vermacht hatte, — Mathias Wert:
wein, des Vorigen jüngerer Bruder, geboren um 1520 in ‘Pforzheim,
itudirte von 154 an in freiburg. Später folgte er feinem ältern
Bruder nah Wien, wurde 1552 Domberr an der dortigen Metropoli:
tantirhe, am 17. September 1553 Dekan bes Domtapitels, 1556
Dompropft und Kanzler der Univerfität, und erhielt die Würde eines kaiſer—
lichen Pfalzgrafen. Am Jahr 1559 gab er jenen Poſten auf, wurde
alsdann Domberr in Augsburg, fpäter in Briren und zugleih Kanzler
des dortigen Fürſtbiſchofs, wo er 6. Now. 1580 ftarb. Er machte vor
feinem Tode eine Stiftung im Betrag von 6000 Gulden für ſechs
ſtudirende Sünglinge, theils von Briren, tbeild von Pforzheim. Diefelbe
aing jedoch im dreigigjährigen Krieg wieder verloren,
Andere ebenfalls berühmte Männer, theils geborene Pforzheimer,
theils Zöglinge der dortigen Schule, waren aus diefer und etwas ſpä—
terer Zeit: Hieronymus Ju dus, Doktor beider Rechte und Rektor zu
1) Aus derielben fommen noch vor: Peter Wertwein 1521, Philipp W.
1565; ein anderer Peter W., wahrfcheinlih Sohn bes eben genannten, war
1565 Amtmann des Frauenflofters zu Pforzheim, Ghriftopb Wertwein, ber
um 1620 ftarb, ift der letzte biefer Familie geweſen.
198 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſteph.
Freiburg, 1523 (aus Pforzheim); 1) Mart. Mercator aus Pforzheim,
1526 Lehrer an der Tat. Schule zu ſchwäb. Hall;?) Johann Lorhard,
vermuthlich ebenfalls aus Pforzheim, Profefior des Gymnaſiums in
Durlach, ftarb 1609 in hohem Alter als Prediger zu St. Gallen; 3)
Joh. Marquard, Doktor der Rechte, aus Pforzheim gebürtig, gehörte
zu den Räthen des Markgrafen Ernſt und murbe von diefem auf den
Neichstag nach Negensburg geſchickt 154159) Konrad Detinger, eben:
falls ein geborener Pforzheimer, trat im den Dienft des Laudgrafen von
Heilen und war 1534 Hefprediger des Herzogs Ulrih von Württem—
berg; 5) Peter Bilfinger, Johann Schopf, Schroppius, Rot
u. U m.
Bereits im zweiten Viertel des ſechszehnten Jahrhunderts, als
Pforzheim feine berühmteften Lehrer verloren hatte und Feine ebenbürtigen
Kräfte an ihre Stelle traten, hörte dev Ruhm derſelben allmählig auf.
Viel trug nun allerdings auch der Umstand dazu bei, daß andere ähn—
liche Anſtalten gegründet wurden und raſch zur Blüte gelangten, ie
namentlich die Schule zu Straßburg, jpäter (1586) auch das Gymna—
fium zu Durlach.
$5. Gründung der Singergefelfhaft. (1501.)
In diejenige Zeit, deren Daritellung die Aufgabe dieſes Kapitels
it, fallt auf die Entjtehung des älteſten Vereins unferer Stadt, nämlich
ber Singergeſellſchaft. Schon ihr Alter, in gleichem Grade aber
auch die Neranlafjung ihrer Gründung läßt fie intereffant genug erſchei—
nen, um ihr einen bejondern Abjchnitt zu widmen und Unterfuchungen
über ihre Entjtehung anzuftellen.
Die älteſte, urkundlich belegte Nachricht von dem Beftehen der
Eingergejellichaft ift von 1683. Am 17. Oktober jenes Jahres nämlich
erihien laut noch vorhandenen Rathoprotokolls Herr Niklaus Burkard
der Goldſchmied Namens der Singergefellihaft als damaliger
ı) Riegg. amoen. Frib,
2) Pfaff, württemb. Geſch. ©. 9.
3) Eijenlohr, Kırdengeihichte.
) Sachs, IV, Al.
°) Fischlin, memor, theol. Wuert. I, 3.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 199
Obermeifter derjelben und Elagte gegen Hans Knaus, daß diefer 20 fl.
in bie Gejellichaft ichulde, die zur Kirche in Pforzheim verehrt (vermacht)
worden ſeien. Weitere zuverläffige Runde über den Verein gibt das
im Jahr 1701 angelegte und noch vorhandene neue Stammbuch des:
felben. Damals erfolgte nämlid, nachdem während bes verheerenden
orleans'ſchen Krieges die alljährlihen Verſammlungen der Gefellfchaft
unterblieben waren, ihre neue Konftituirung, und zwar durch diejenigen
Männer, welche ſchon im Jahr 1694 Mitglieder des Vereins geweien
und 1701 noch amı Leben waren. Zu diefen gehörte u. A. auch der Glafer
Chriſtoph Wilderfinn, der nach feiner eigenen Angabe im Stammbud
der Gefellichaft 1684 beigetreten war und 1689 die Stelle eines Ober:
meifters bekleidet hatte, Auf der eriten Seite des Buches findet ſich
num folgende Bemerkung: „Diefe löbl. Sengergeſelſchaft rübret von
Einer erichredlichen peit Zeit ber, im Jahr 1501, wo fi niemant
mehr zu dem andern getrauet, ohne feinen Dodt zu fuchen, und ift
das erfte Buch durch den Brant verbrant worden ano 1692. niemant
ift berechtigt solche aufzuheben, oder weg zu nehmen.” Wer dieie Zeilen
geſchrieben, ift dabei nicht angegeben. Es ijt indeß mit Sicherheit an:
zunehmen, daß es dur ein Mitglied der Gefellichaft geſchah, welches
das Ältere, 1692 verbrannte Stammbuch gelefen und obige Mittheilung
über das Jahr der Gründung des Vereins und die Veranlaſſung dazu
daraus geichöpft hatte. Ob mım jenes ältere Stammbuch, welches in
erwähnter Notiz als das „erite” bezeichnet wird, auch das urjprüngliche,
d. h. ein bei ber Gründung im Jahr 1501 begonnenes war, ob über:
haupt damals, oder nicht erſt ipäter eim foldhes angelegt und die An:
gaben über die Gründung der Veberlieferung oder geſchehenen Aufzeich-
nungen entnommen wurden: das Alles läßt ſich nicht mehr ermitteln.
Immerhin aber fteht die Ueberlieferung, die ſich bis heute lebendig er:
balten hat, jener Angabe im dermaligen Stammbud) beftätigend zur
Seite und weiß diefelbe noch mehr zu vervollftändigen. Als im Jahr
1501, fo erzählt fie, eine fürchterlihe Peft wüthete, der Nachbar den
Nachbar verließ, jeder fein Haus verichloß, die bilflofe Lage der Kranken
noch fchredficher war, als der Tod ſelbſt und manche Geftorbene in ben
Kammern, wo fie verfdieden waren, vermesten: da bildete ſich im
Piorzheim ein Verein der biebderften Menſchen, welche ſich unter einander
verbanden, ihren erkrankten Mitbürgern umentgeldlihe Hilfe zu leiften,
feinen im Tod zu verlaflen und nicht nur für ihr Begräbniß Sorge zu
200 Zehntes Kapitel. Pforzheim umter Markgraf Chriſtoph.
tragen, ſondern fie auch unter Abfingung frommer Lieber zu ihrer legten
Muhbeftätte zu begleiten (daher der Name „Singergefellihaft“).
Zu fteter Erinnerung an dieje Peſt und an die aufopfernde Nächſten—
liebe, die ſich dabei Fundgegeben, dauerte der Verein auch noch nad)
dem Aufhören der Seuche fort, und er bat fich, wie befannt, bis auf
den heutigen Tag, wenn aud, jelbftverjtändlich mit verändertem Zweck
erbalten.
An dem hoben Witer der Singergefellihaft läßt fi nah dem
Bisherigen eben jo wenig zweifeln, als der Erzählung von der Veran-
lafjung derfelben irgend gegründete Bedenken entgegen ſtehen. Nabe aber
liegt dabei noch die Frage, von welcher Art denn eigentlich die Peſt
gewefen, die zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Pforzheim jo ver:
beerend aufgetreten jein fol, Weder mündliche, noch fehriftliche Weber:
fteferungen geben im Pforzheim felber auf diefe Frage Beſcheid. Es
ift darum nöthig, denſelben anderweitig zu ſuchen. Er läßt fi auch
finden, fällt aber auf eine Weife aus, die eine erläuternde Einleitung
nothwendig macht.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderes tauchte in Deutfchland eine
abfcheuliche Krankheit auf, von der die Chroniften jener Zeit behaup:
ten, daß diefelbe durch deutfche und ſchweizeriſche Landsknechte, bie
in franzöſiſchem Dienft nach Neapel gekommen waren, nad Deutich-
land gebracht worden fei. Ihre Verbreitung war eine fo raſche, daß
fie im Verlauf weniger Jahre ganz Europa durdizog, und in man:
den Gegenden, namentlih im Sübdeutſchland, fogar mit großer Hef—
tigfeit epibemifch auftrat. Das Uebel ſchonte keines Geſchlechts, keines
Alters, 1) keines Standes, 2?) Geiftliche wie Weltlihe, Vornehme wie
Niedrige wurden befallen. Fragen wir, wie das möglid war, fo geben
uns medizinische Schriftiteller jener Zeit darüber Auskunft. Sie erklären,
—
1) Hieronymus Emfer von Ulm zählt in einer 1510 von ihm erſchie—
nenen Echrift eine Menge von Kindern auf, melde von ber Seuche befallen
wurden.
?) Man weiß heute noch eine Menge von Namen theil® durch ihren Rang,
theils durch ihre Bildung hervorragender Perſonen, welche zwiichen 1495 und 1510
von ber Seuche ergriffen wurden, lo Ulrich von Hutten, der auch jpäter baran
farb, der Bifchof Hieronymus von Brandenburg, Herzog Ernft von Sadjen,
Heinrich III., Graf von Schaumburg u. A Auch der Markgraf Philipp von
Baden mußte 1533 der Krankheit erliegen.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. PA!
baß die Anſteckung ſchon durch das Zuſammenwohnen mit Kranken, die
Benũtzung von Kleidern, Betten, Babdanftalten, hirurgifchen Inftrumen:
ten, Trink- und Tiſchgeräthen, welche in ihrem Gebrauch gewefen, dus
Küffen und einfache Berührung mit der Hand erfolgt ſei; ja man be:
bauptete fogar, daß der Athem der Kranken und die von ihnen aus:
gehende Luft binreichend fei, um ebenfalls von der Seuche befallen zu
werden. Wenn wir nun weiter erfahren, wie jehr die Gefundheitspolizei
damals noch im Argen lag, wie die Abjonderung der Angeftedten,
namentlich in der erſten Zeit des Auftretens der Seuche, wirklich fo ſehr
vernahläffigt wurde, daR in Bädern, Gafthäufern, Barbierftuben ıc.,
Kranke und Gefunde durch einander ſich derfelben Gefäße bedienten , jo
daß beifpielmweife der Kurfürſt von der Pfalz durd eine eigene Verord—
nung biefem Mißbrauch Einhalt thun mußte; 1) wenn ferner, wie es
bekannt ift, die Aerzte fich ganz rath- und thatlos zeigten, und bei ber
Neuheit ber Seuche ihnen fein Mittel gegen dieſelbe bekannt war: jo
bürfen wir ung nicht mehr wundern, daR diefelbe ſolche allgemeine Wers
breitung finden und fo verbeerend auftreten konnte, namentlich da auch,
wie werfichert wird, ihr Charakter ein noch viel bösartigerer war, ale er
es heut zu Tage if. Alle Zeitgenoffen fhildern die Krankheit, wie fie
damals auftrat, als ein häßliches, furchtbares, bösartiges und giftiges
Uebel, vor dem die Menfchheit zurückſchaudere, das den Leib auszchre,
den Geift erſchöpfe und die Kranken in lebendige Keichen verwandle.
Sie that ſich in der Regel bald nach ihrem Beginn dadurch Fund, daß
fie ihr Gift über den ganzen Körper ergok und dieſes einen Hautaus—
ſchlag erzeugte, der ſich entweder zu diden Kruften geitaltete, oder in
warzen= ober zapfenartige Geſchwüre überging, die ſchwarzes Blut und
ftinfende, giftige Jauche ergefien, nicht felten bis auf die Knochen drangen
und Fäulniß Über den ganzen Körper verbreiteten, Nicht wenigen Sran:
ten fielen die Najen ab, andern brannte das Uebel die Wangen hinweg
oder Fächer in den Leib, zumeilen wurden felbjt die Augen zerftört und
die Knochen blosgelegt. Der Verlauf der Krankheit war in der Megel
ein ehr Tangwieriger und darum um jo qualvollerer, und endigte in
den meiſten Fällen mit einem jammervollen Tod, namentlich wenn den
Kranken Löcher in den Hals fielen, daß fie Feine Nahrung mehr zu fich
nehmen Fonnten. Aber auch diejenigen, die wieder genafen, trugen von
ı) Pfälzer Kop. Buch XVII., und Häuffer, Geſch. der Pfalz l. 457,
202 Zehntes Kapitel. Pforzheim umter Markgraf Chriſtoph.
der Krankheit lebenslängliche Gebreiten davon. „Es warb vil armer
leuthen darvon vergifftet, Lamm, feldſiech, etliche Famend umb band und
füß,“ fagt ein Schriftteller der damaligen Seit. 1)
Wenn nun diefe Krankheit jo fürdyterliche Erfcheinungen zeigte und
fo leicht fi auf Andere übertrug, fo darf es ung nicht befrembden, wenn
der Freund den Freund, der Bruder den Bruder floh, wenn manche
Kranke auf die elendefte Weife, oft durch Hunger, zu Grunde gingen,
wenn felbit die Ausſätzigen, deren es damals nicht wenige gab, nicht
mit jolhen Kranken zuſammenwohnen und verkehren wollten, weil fie
fürchteten, von einem noch fchlimmern Uebel, als das ihre war, befallen
zu werben. ?)
Daß es eine derartige Seuche und keine andere Peſt war, die zu
Anfang des 16. Jahrhunderts in Pforzheim fo entfeliche Verheerungen
anrichtete und die Gründung der Singergejellichaft veranlafte, läßt fidh
wohl nicht bezweifeln. Es ſpricht dafür auch der Umftand, daß jene
Krankheit zu gleicher Zeit, wie in Pforzheim, auch in andern jetzt
badiihen Städten geherrict bat, jo 3. DB. in Freiburg, wo 1501
ber Peſt ausdrüdlih erwähnt wird, 3) jo in dem mäher liegenden
Bretten, wo dieie Krankheit, an der auch der dortige Schulmeifter litt,
Beranlaffung wurde, daß der Großvater Melanchthons diefen aus ber
Schule nahm und für feinen Entel einen eigenen Hauslehrev hielt, —
jo mamentlih in Heidelberg, wo, wie ein Geſchichtsſchreiber verfichert, %)
die Seuche in Stadt und Umgegend zu Anfang des 16. Jahrhunderts
gränzenlos wüthete, und, wie oben ſchon erwähnt, cin furfürftliches Dekret 5)
) Siebold Schilling, Prieſter m Zürich, bei Mever:Ahrene:
Geſchichtliche Notizen über die Luſtſeuche in der Schweiz, 1841, ©. 17.
2) Zu dieſer Darftellung der Entitebung und Berbreitung der Seuche und
ihrer äußern Eriheinung wurde bauptlählih benützt: Fuchs, die älteften
Schriftfteller üter die Luſtſeuche in Deutfchland von 1495— 1510. (Göttingen,
1843.) In diefem Buch find 13 folder Schriften, darumter auch Job. Wid—
manne „Tractatus de pustulis“ (fiche oben ©. 181) vollftändig abgedruckt
und aus vielen andern (jo aud us Widmanns „de pestilentia‘“) Belegftellen
miitgetbeilt. Am Schluß gibt der Herausgeber eine Furze Darftelung der epis
demiſchen Luftfeuche in Deutſchland.
3) Sautier, Pbilaniropen von Freiburg, ober die Stifter und Wohlthäter
der Univerfität, ©. 144.
) Häuſſer, Geſchichte der Pfalz, 1. 457,
5) Ebendaielbit.
Zchntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 203
bervorrief, das mit den Morten beginnt: „Als der allmechtig got ein
ſchwere anhengig Tangwierig krankheit difer Ziten ober die menſchen diefer
gegend verbengt, die von einem zum andern greiffet, genant die franzofen,
vnd es nun Etlich Jar gewert und noch kein vfhoren bat“ ac. Unmwahr:
ſcheinlich it bloß das, daß die Seuche in Pforzheim nur im Jahr 1501
geberricht hat. Sie mag ſchon einige Jahre vorher dafelbft fich gezeigt,
icheint aber 1501 ihren Höhenpunkt erreicht, und damals neben andern
Mafregeln dagegen auch die Gründung der Singergefellihaft als eines
freiwilligen Vereins zur Folge gehabt zu haben, deſſen Mitglieder ſich
die Pflege der fonft verlafienen Kranken und die Beitattung der der
Seuche erlegenen Todten zur Aufgabe machten.
Daß die Krankheit auch in den folgenden Jahren noch fortdauerte,
erjehen wir aus einer 1509 in Pforzheim (vergl. S. 191) erichienenen
Schrift, die zugleich wiederum einen Beweis dafür Tiefert, daß die
peitartige Seuche in Pforzheim wirflih von der bezeichneten Art
geweſen. Die Aebtiffin des Dominikanerinnenklofters zu Pforzheim,
Eliſabeth Schöttin, hatte dem Meiſter (Arzte) Alerander Sys (Seiz)
daſelbſt fünf Fragen über die herrſchende Seuche vorpelegt. 1) Diefer
beantwortete fie in einer Echrift, welche den Titel führte: „Ein
nuglich regiment wider die bofen Frangofen mit ettlichen Eugen Frag:
ſtücken.“ Der Berfafjer behauptet darin, daß die Krankheit im Jahr
1491 in Alvernia (Auvergne) angefangen habe und „eine rut und ftraff des
Himmelsfürften, unfer Sünd damit zu ftraffen,“ jei, 2) Wenn Seiz feine
Schrift unbefangen der erwähnten Aebtiſſin widmete; wenn auch ber
mehrfach angeführte Johann Widmann 1519 feinen Töchtern zu lieb
einen deutſchen Auszug aus feiner ſchon 1497 über diefen Gegenjtand
erfchienenen Schrift machte; wenn endlih auch Ulrich von Hutten eine
Schrift über den gleichen Gegenjtand 1519 ganz arglos dem Erz:
bifhof von Mainz widmete: fo geht daraus hervor, daß die Krankheit
damals nicht den en anrüchigen Charakter trug, wie das heut zu Tage der
1) Berg. Bierorbt, Geſchichte der evang. Kirche in Baden, II,, 99.
2) Die Anfiht, daß die Seuche cine Etrafe Gottes fei, wel ſich die
Menichen durch ihre umverbejierlihen Eünden, dur ihre Gottesläfterungen,
ihren Hochmuth, und vorzüglih durd das häßliche Lafter der Unkeuſchheit zu—
gezogen hätten, fand weite Verbreitung. Im Jahr 1495 erließ Kaifer Maxi—
milian ein Edikt gegen die Gottesläfterer, worin ausdrücklich erwähnt wird,
baß neben andern Plagen vorzüglich die Luftfeuche VBeranlaffung gebe, die Frevler,
welde den Zorn Gottes crregten, firenge zu beftrafen,
204 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
Fall iſt. Es erflärt ſich diefes ohnehin auch daraus, daß eine Anſteckung
ganz leicht erfolgen und jomit den meiften der von der Seuche Behafeten
der Vorwurf der Unfittlichkeit nicht gemacht werden formte. Groß aber ift
das Verdienſt jener Männer, welche die Singergeſellſchaft gründeten und
bereitwillig Gefundheit und Leben aufs Spiel feßen, um ihren von ber
eelerregenden Seuche befallenen Mitbürgern oder deren Angehörigen
Troſt und Hilfe zu bringen oder, wenn fie deſſen nicht mehr bedurften,
ein ehrliches Begräbniß zu verichaffen. Wenn die Namen diefer Edeln
auch nicht bekannt find, fo wird doch ihr Andenken in beftändigem
Segen bleiben!
Anbang.
Die Pe in Pforzheim (1501).
Welch Lärmen, welch Gebränge
Stört Pforzheim's Morgenruh'?
Was treibt in bunter Menge
Das Volk dem Rathhaus zu ?
O wär’ ed nie geiprodhen
Das Ihanervolle Wort:
„Die Veit ift ausgebrochen!“
So tönt’d von Ort zu Ort.
Heute rotb,
Morgen todt —
Hilf uns, Herr, in der legten Noth !
Und wer noch wandelt im goldnen Licht,
Gedenke des Todes, der Chriftenpflicht!
D Keid! In jedem Haufe
Kehrt Klag’ und Jammer ein;
Die Würgerin, die granfe,
Berihont nit Groß und Klein;
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 205
Das Kind, den Fräft’gen Gatten,
Das Weib im Schönheitsglang,
Din Greis, den alterämatten,
Tie Braut im Myrthenkranz.
Heute rotb,
Morgen tobt —
Hilf uns, Herr, in der feßten Notb !
Und wer noch wandelt im goldnen Licht,
GEedenke des Todes, der Chriftenpflicht!
Verödet ſtehn die Straßen,
Es ſchweigt der Arbeit Schall,
Des Hirten muntres Plaien,
Sefang und Beitichenfnall;
Die Sterb’glod’ bört man hallen,
Der Nonnen Klagepfalm,
Biel hundert Opfer fallen
Jach wie des Graſes Halm.
Heute roth, *
Morgen todt —
Hilf uns, Herr, in der letzten Noth!
Und wer nech wandelt im goldnen Licht,
Gedenke des Todes, der Chriſtenpflicht!
Der Kirchhof wird zu enge,
Er ſträubt ſich mehr und mehr,
Der Todten ſchwere Menge
Zu faſſen nach Begehr;
Am Wege, vor den Thüren
Häuft ſich der Leichen Zahl:
Kein Menſch will ſie berühren,
Es ſteigt die Angſt und Dual.
Heute roth,
Morgen todt —
Hilf uns, Herr in der letzten Notb !
Und wer noch wandelt im goldnen Picht,
Gedenke des Todes, der Ghriftenpflicht !
Der Bruder flieht die Schweiter,
Den Hausherren das Geſind,
Ten Freund der Freund, fein beiter,
Die Mutter jelbft ihr Kind.
Seiprengt find alle Bande
Der Eitte, der Natur;
206 Zehnter Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriftopb,
Wer übt noeh Macht im Lande ?
Die Veit ift Herrin nur!
Heute rotb,
Morgen todt —
Hilf uns, Herr, in ber legten Notb!
Und wer noch wandelt im aoldbıren Licht,
Gedenke des Todes, ber Chriſtenpflicht!
Derweil nun, peſigepeinigt,
Die Stadt voll Jammers war,
Hat Rathes ſich vereinigt
Von Bürgern eine Schaar
Und glaubensſtark geſchloſſen
Den edlen Singerbund;
Viel wackre Gildgenoſſen
Gelobten ſich's zur Stund:
„Was euch droht,
Dual und Tod,
Pakt uns lindern der Kranken Noth!
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Er üb’ an den Todten die Chriftenpflict!“
So führten fie mit Singen
Ahr Amt, der Stabt zum Heil,
So Hohen als Geringen
Ward Hilf und Troft zu Theil;
Die Lich’ und Treue kehrte
Zurüd in’s Thal der Enz,
Und Gott im Himmel wehrte .
Dem Grimm der Peſtilenz.
Heute roth,
Morgen todt —
Hilf dem Nächſten nach Gottes Gebot!
Wer weiß, warın die Noth in’s Hans dir bricht!
Gedenke des Todes, der Chriftenpflicht ‘
86. Dur Sittengefhidte jener Beit. 9)
Die vorhandenen Quellen geftatten zwar die vollftändige Entwerfung
eines Sittenbildes für jene Zeit nicht; indeffen find einzelne Pinfelftriche
1) Hauptlächlich mach vereinzelten Notizen aus Schriftſtücken des ſtädtiſchen
Archive,
Rehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 907
zu einem foldyen -immerbin imtereffant genug, um bier in möglichitem
Zuſammenhang mitgetheilt zu werben.
Daß die damaligen Sitten zum Theil ftrenger als die heutigen
waren, erſehen wir aus einigen Beitimmungen der Yandesordnung ?) von
1495. So jellten z. B. Gottesläfterer, die bei Gottes oder feiner lieben
Heiligen Namen, Gliedern oder fonft ſchwören oder in anderer Weife
Gott dem Schöpfer Unehre tbun, auch alle, die mit ſolchen Leuten ver:
fehren, fie beherbergen oder ihnen zutrinfen würden, hart bejtraft und
im Lande gar nicht geduldet werden. Wer der Ehre einer Jungfrau
zu nahe trat, mußte ihr, wenn er fie nicht ehelichen wollte oder konnte,
dafür eine bedeutende Geldiumme als Entihädigung bezahlen. Auf
Ehebruch war eine Strafe von 10 Pfund ‘Pfennig (etwa 42 fl.) geſetzt ıc.
Troß der ftrengen Strafen, welche für derartige Vergeben beftimmt waren,
ſah es im Punkte der Sittlichfeit in damaliger Zeit im Allgemeinen viel
ihlimmer aus, als heut zu Tage, und diejenigen haben jehr Unrecht,
welche meinen, daß man in der „guten alten Zeit“ im bdiefer Beziehung
weniger zu Hagen gehabt hätte.
An Pforzheim, wie in manchen andern deutichen Städten, machte
damals der fteigende Yurus, der übertriebene Aufwand bei Taufen, Hoch—
zeiten 2c. Geſetze dagegen nothwendig. So wurde 3. B. im Jahr 1495
beftimmt, daß bei Strafe won zehn Pfund Pfennig zu einer Hochzeit
nicht mehr als fünfzig Perionen geladen und über „Fünf gemeiner Efien“
nicht gegeben werden dürften. Ein Hochzeitgefchenf durfte nicht über
2 Schilling Pfennig (gegen 30 kr.) betragen ; nur nahe Berwandte und Auge
ländifche durften geben, fo viel ihnen beliebte. Kindbettgeichenfe waren bei
Strafe von 30 Schilling Pfennig verboten, Tauf- oder Pathengeſchenke
durften den Betrag von 2 Schilling Pfennig nicht überfteigen. Aehnliche
Verbote mußten gegen das Spielen erlafjen werden, Damals übliche
Spiele waren namentlich das Damenbrett, 2) die Würfel und bie Kar:
ten. Letztere, befanntlich eine franzöſiſche Erfindung aus dem Anfang
des 15. Jahrhunderts, waren fchon zu Ende desielben in Pforzheim
) Eiche elftes Kapitel.
2) Verfprady ja doch der Pforzheimer Stadtfchreiber X. Hug dem in Baden
befindlichen Pforzheimer Vogt, Hans von Königsbach, zu ihm zu fommen, wenn
er „ein Bretiſpiel vermöchte“ (S. 180).
208 Zehntes Kapitel. Piorzheim unter Markgraf Chriſtoph.
befannt. 1) Damals wurden aber alle dergleihen Spiele unterfagt, und
nur gejtattet, „um Kurzweil“ und nicht höher, denn um einen Pfennig
zu fpielen. Einzelnen ftädtiichen Bedienfteten, wie namentlih den Büt—
teln, waren die Karten und Würfel im Wirthshaus ganz verboten und
nur auf dem Rath- oder Kaufhaus erlaubt.
Daß man in der „guten, alten Zeit“ eben jo wenig als heut zu
Tage einen ſchmackhaften Biffen und einen guten Trunk verichmäbte,
dafür Tafjen fich manche Beweiſe beibringen. Namentlih aber wurde
ein „Zrunf“, wo es immer anging, mit jedem Geſchäft verbunden und
auch immer zum Voraus bedungen. Sehr häufig mußte audy der Ge:
meindefädel dazu berbalten, und die Mitglieder der ſtädtiſchen Behörden
pflegten darin am wenigjten zu knauſern, wenn ihnen jelbjt etwas davon
zu gut fam. Es boten foldhe Anläffe, Etwas zu „verzehren“, Erſatz
für Diäten, von denen in Geld feine ausbezahlt wurden. Wie man
fih dafür ſchadlos hielt, zeigt unter Anderm eine Schäfereirechnung, die
zwar aus etwas fpäterer Zeit ftammt, 2) aber zu der Annahme beredh-
tigt, da es früher auch nicht anders gehalten worden, Die ganze Ein:
nahme der Schäferei, die damals in Stadt und Altftadt aus 1356 Stüd
Schafen beitand, belief ſich auf 145 fl. 14 fr. Davon blieb außer dem
unumgänglich nötbigen Ausgaben, worunter z. B. für Papier 2 fr., für
- Stellung der Rechnung 24 fr. und ein Ertragefchenf für den Efribenten
von 13 fr., nicht mehr reine Einnahme übrig, ale 13 fl. 48 ir.; das
Uebrige wurde größtentheild „verzehrt“, und zwar nahmen Alle daran
Theil, die mit der Schäferei irgend Etwas zu thun hatten. So heit
es unter Anderem: „Als mit den Echäfern das Yamm mad alter
Gewohnheit verzehrt worden, gingen bei Schwertwirth Chriſtoph Leonhard
drauf 7 fl. 24 fr.“ ; ferner: „Bei Einziehung des Salzgeldes wurben
durch Bürgermeifter, Bau: und Pferchmeifter, die Schäfer und ihre
Weiber verzehrt 10 fl. 52 fr.” u, ſ. w. So finden wir and in ben
alten Zunftrechnungen bei jeder Gelegenheit einen „Trunk“ verrechnet.
Driginell ift jedenfalls aud der Umfiand, daß auf dem Rathhauſe zur
Bequenlichkeit der Gerichts: und Rathsverwandten ein eigener Koch be:
ftellt war. Auch an einem „Tanzboden“ fehlte es auf dem Rathhaus
— — — — ——
1) Die bedeutendſten Spielkartenfabriken waren zu jener Zeit in Ulm, von
wo bdiefelben in Fäſſern bis nad Sizilien, ja in alle Welt verihidt wurden.
?) Vom Jahr 1629,
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 209
nicht. Don Weinen waren damals die befannteften und getrunfenften:
Zandwein, Ortenaner, Breisgauer, Elſäßer, Rheinwein. Keine diefer
Weinforten durfte aber bei hoher Strafe mit einer andern gemifcht wer-
den; ebenfo war das Weinanmachen ꝛc. ftreng unterfagt und nur das
Schwefeln geftattet. Ein Berfahren, den Wein füß zu erhalten, war
damals fchon befannt. Neuer Wein durfte jedod ohne Erlaubnig Bür—
germeifters und Raths vor Martini nicht ausgeichenft werden. Daß
man auch zu Haus dem Weine fleißig zufprach, beweist eine Beftim-
mung der Ungeldorönung, wornach bei Bezahlung eines Averfums für
bas MWeinungeld auf eine Perfon jährlih 3 Ohm gerechnet wurden;
dabei zählten vom Gefinde zwei Perfonen für eine. Dem unbefchräntten
Zehen in den Wirthehäufern ſchob der damals chen üblihe „Nacht—
gulden” einen Miegel vor, den nach der Polizeiftunde, welche im Som:
mer auf 10, im Winter auf 9 Uhr feftgefett war, Gaft und Wirth
bezahlen mußten. Die Maaß gewöhnlichen Weins koſtete durchfchnittlich
2 Pfennig, Daß neben den Mein: damals auch das Biertrinfen
üblich war, davon babe ich feine Spur gefunden, wenn nicht der Aus:
drud „Maltzenſchow“ (Malzihau?), der fi in einem Beſcheid vom
Sahr 1507 findet, *) etwa auf die damals bier übliche Kunft der Be:
reitung des edeln Gerftenfaftes eine Folgerung geftattet. In dem Pri—
vilegienbrief (fiehe unten) kommt übrigens ein Ungeld vom Bier nicht vor;
basjelbe würde doch ficherlich nicht gefehlt haben, wenn fehen ein Bier—
verzapf in größerm Umfange ftattgefunden hätte. Erit im Lagerbuch von
1615 ift die Rede vom Ungeld von Wein und Bier.
Die üblihften Speifen, welche namentlich die Wirthshänfer ihren
Gäften boten, waren Suppe, Eier, Fleiſch, Fiſche, letztere gebraten, ges
baden, gejotten und gefulzt, ferner Stodfifhe und Häringe, weld
legtere, nach dem Umftand zu jchließen, daß ein eigener Häringſchauer
in der Stadt beftellt war, vielleicht in verhäftnikmäßig größern Quan—
titäten als heut zu Tage verzehrt wurden. Das Stüd galt 1 Pfennig.
Eier Faufte man damals 5 Stüd um 1 Pfennig, An Fiſchſorten wur:
ben verfpeist: Forellen, Karpfen, Hechte, Barben, Eſchen, Nafen, Schupp:
fiſche. Auch Krebſe feinen beliebt gewefen zu fein. Daß der Markt
gewöhnlich auch mit Geflügel verfehen war, ift verſchiedenen Angaben
1) Beſcheid vff Allerhand Punkten, vßbeth, Abzug, Priefter gueter, Reifige
Knecht, hußweinungelt der vom Abel, vnd ber Malgenfhow halb, anno 1507
(früher in der Lade Q im ftädtiichen Archiv, fpäter verloren gegangen).
Pflüger, Pforzheim. 14
210 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
zu entnehmen. Was die Fleiſchpreiſe betrifft, fo galt damals 1 Pfund
Kalb:, Lämmer- und Kützfleiſch 4 Pfennig und fo nad) Verhältniß auch
die übrigen Fleiſchſorten; ein Kalbsgekrös Koftete 5 Pfg., ein Kützlein—
oder Lämmergekrös 4 Pfg., ein Kalbstopf 5 Pfg., vier Kalbsfüße 3 Pfg.,
ein Ochfenmagen 1 Sch. Pfg., ein hinterer Darm 8 Pfg., ein Engbeutel
6 Pfg., ein Fuß 5 Pig. Auf den Umfang des Fleiſchverbrauchs läßt
fi) aus dem Viehſtande, der fehr bedeutend war, einigermaßen ein
Schluß ziehen, Natürlic; waren die eben angegebenen Preiſe die nor:
malen; zur Zeit einer Theurung ftiegen fie auch und riefen jogar außer:
ordentliche Maaßregeln hervor. So wurde 3. B. im Jahr 1548 (Sonn:
tag nach Medardus) wegen dev Theurung des Fleiſches und der Fiſche
den Wirthen fireng unterfagt, an leifchtagen Beides zuſammen zu be
reiten; an verbotenen, d. b. an Faſttagen durften fie, außer für Kranke,
bei jchwerer Strafe kein Fleiſch kochen,
Bon Gewürzen wurden außer den gewöhnlichen (Salz, Kümmel ꝛc.)
auch Ingwer, Zimmt, Nägelein, Muskatnüſſe ꝛc. benügt. Aus deufelben
machte man verfchiedene Mifhungen, die mit den Namen Süßwürz,
Speifwürz und Pfefferwürz bezeichnet wurden, Das vorgefchriebene
Nezept derjelben war folgendes: Zu einem Pfund Süßwürz nahm
man 14 Loth Ingwer, 4 Loth Mustatnüffe, 6 Loth Zimmt, 2 Loth
Nägelein, 6 Loth Pariskörner und 34/, oder 4 Loth Safran; zu einem
Pfund Speiswürz kamen 12 Loth Ingwer, 5 Loth Zimmt, 4 Loth
Mustaten, 4 Loth Pfeffer, 6 Loth Parisförner und 31/, Loth Safran;
zu einem Pfund Pfefferwäürz wurden 14 Loth Ingwer, 3 Loth
Musfaten, 6 Loth Zimmt, 2 Loth Nägelein, 4 Loth Grenn (grains ??)
und 3 Loth Pfeffer genommen, 1) Die einzelnen Beftandtheile diefer
Würzen mußten vorher forgfältig getrodnet und geſtoßen werden. Den
Berkauf beforgten eigene Würzkrämer, die namentlih auf Jahrmärkten
und Kirchweihen ihre Geſchäfte machten, und denen ftreng auf die Finger
gejehen wurde, damit fein Betrug unterlief. 2)
Die Kleidungsftoffe, welche in jener Zeit verwendet wurden, bes
ftanden hauptfächlih aus Linnen und aus Wolle, Zum volitändigen
1) Die Rehnung bei diefen Rezepten ift eine etwas wunberliche; beim
erften fommen auf das Pfund 351, —36, beim zweiten 341/,, beim britten
32 Roth.
2) Bergl. hiezu Würzlrämerordnung, von Markgraf Ehriftoph am Montag
nah St, Maria Magbalenentag 1515 gegeben. (Stabtardiv.)
Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 211
Anzug einer Bürgersfrau gehörten: ein Unterhemd, ein Unterrock, ein
Oberrock, ein Schaubenrod, 1) ein Gürtel, der manch Mal mit Silber
oder Gold beſetzt war, ein Mantel und ein Schleier.
Dak damals die Leichen nicht nur auf den Kirchhöfen, fondern noch
immer auch in den Kirchen jelbjt begraben wurden, iſt befannt. Der
Gebrauch der hölzernen Särge ſcheint jedoch noch nicht allgemein geweſen
zu fein. Es geht dies aus einigen Beitimmungen der im nächften Ka—
pitel folgenden „Todtengräberordnung“ hervor. Wurden nämlich mehrere
Leichen (auf einander) in ein Grab gelegt, jo mußte diefes für jede der:
felben einen Schub tiefer gemacht werden, Wären fie in Gärgen ge
weien, jo hätte ein Schub nicht bingereicht. Ferner heißt es darin:
Kommt eine Leiche von Fremden her in einem Baum (Todtenbaum, wie
im Oberland der Sarg noch heute genannt wird), oder begehrt Je—
mand, in einem Baum begraben zu werden, fo mag das geſchehen ıc.
Die Werfleute und Taglöhner mußten Sommers und Winters
Morgens an die Arbeit gehen, jobald es fo hell war, daß man eines
Pfennigs Münz oder Gepräge erkennen konnte, Feierabend wurde ges
macht, wenn man das Salve läutete. Zu welcher Zeit dies gejchehen
ſollte, hatte der Bürgermeifter nad Beſchluß Gerichts und Raths zu
beftimmen. In ähnlicher Weiſe wurden Morgens and die Thore der
Stadt „aufgeläutet.“
Der Glaube an Heren ftand in jener Zeit noch im fchönften
Flor, und wie allgemein verbreitet derfelbe war, lehrt die Bulle von
Papft Innozenz VIII vom Jahr 1484, durch welche die Herenprogefie
eine feftere und geordnete Einrichtung bekamen. Auch in Pforzheim
ſcheint es am ſolchen nicht gefehlt zu haben. 2) So erwähnen alte Akten 3)
einer Anna Nodin von Mfingen (Eifingen) als einer Here vom Jahr
1491, ebenfo der alten Hebamme von da; ferner der Barbara Dres
berin und Brigitta Segerin von Dietlingen von 1532, der Doro
thea Hugin von Hucenfeld von 1524, der Hebamme von Pforzheim,
die deswegen den Namen der Unboldin erhielt, von 1491, ber Katha—
) Ein Tſchauben⸗- oder Tſchobenrock, mit einem Tſchoben, d. h. einem
beſondern Leibchen.
2) In Pforzheim wurde 1507 auch eine Schrift: „Ueber bie Heren gebrudt,
deren Berfafler ber Pfarrer Mart. Plantfh von Tübingen war (S. 1%).
*) ‚Regiſtrum, darnach allerhandt der Stadt Pfortzheym Handlungen zue
ſuchen,“ früher im hieſigen Stadtarchiv, jetzt aber nicht mehr —
212 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
rina Hedin und der Menſchin von Bilfingen aus der nämlichen
Zeit. Wie die Prozefie ausfielen und ob und wie die der Hexerei
Beſchuldigten beftraft wurden, ift in den Akten nicht geſagt. Meift
traf der unglüdjelige Verdacht der Hererei die Weiber, befonders
wenn fie alt, gebeugt und triefiugig waren; aber es kamen aud
Beifpiele von Männern vor, die ſich mit dem Verhexen abgaben, jo
zwei Männer aus Dietlingen, Edart und Schnefels, im Jahr
1533. — Eines Herenprozefies, der zwar in eine etwas fpätere Zeit
fällt, kann bier gleich mit erwähnt werden. Derfelbe fpielt in Er:
fingen im Jahr 1576. Als der frauenalbiihe Amtmann Chriftopb
Rothfuß am 23. Dftober jenes Jahres in Erfingen Herrengericht
hielt, wurde die dortige Hebamme, Margaretba Bauerbader, all-
gemein der Hererei beichuldigt. Sie verbere die Weiber, wenn fie
niederfommen wollten, greife das Vieh an, lähme und tödte es,
Meiber und Kinder in Erfingen und Bilfingen entfetten ſich vor ihr,
und die Pfarrberrn beider Orte wollten kein Kind mehr taufen, wenn
die Hebanıme dabei fei. Auf diefe Klagen bin wurde biefelbe ge:
fangen gejeßt und am 1. Dezember zu Ettlingen verbrannt, Schon
einige Jahre vorher (1573) waren drei Weiber aus Erfingen wegen
Hererei in Unterfuchung genommen worden. Zwei davon, Mar:
garetba Burkard und Katharina Hildebrandin, ftarben in Ba-
den auf dem Scheiterhaufen,; die dritte, Anton Rots Frau, ent:
leibte fich felbit im Gefängnifle. 1) Ergötzlich tft eime Bittſchrift, welche
Schultheiß, Gericht und Gemeinde zu Erfingen und Bilfingen unterm
7. Februar 1577 an den Markgrafen zu Baden richteten, und wo—
in fie ihn um Gottes willen baten, daß er fie doch von ihren
vielen böfen Weibern (Heren), die mit Lähmung und Tödtung des
Viehs fortwährend großen Schaden anrichteten, befreien möchte. Ob
und wie der Markgraf diefer Bitte entiprochen bat, vermag ich nicht
zu fagen. 2)
2) Vergl. hiezu: Debuftion, das Recht bes marggr. Haujes Baden auf
bas Klofter Frauenalb, S. 134, 252 und 334,
2) Andere Beiträge zur GSittengefhichte des 15. und 16. Jahrhunderts
find im folgenden Kapitel zu finden,
Elftes Rapitel.
Stadtverfaffung von 1500, N)
F 1. Worbemerkungen. „Ordnung und Polizei” von 1491. 7)
Zu denjenigen Städten, deren innere NVerbältniffe unter Markgraf
Chriſtoph und durch denjelben in einer Weile geregelt wurden, die for
wohl dem frühern Herfommen die lebenskräftigen Elemente entnahm,
als denfelben auch neue zeitgemäße Beſtimmungen anfügte, welche bie
Grundlage zu weiterer fröhlicher Entwiclung bildeten, gehörte auch Piorz-
beim. Don jeher ein Kleinod in der Krone ihrer Fürſten und darum
immer der Gegenjtand befonderer Aufmerkfamfeit derfelben hatte ſich
die Stadt feit ihrem Anfall an Baden ihren Landesherrn beftändig fo
ergeben gezeigt, dak Markgraf Chriſtoph befchloß, ihr im Anerkennung
der feinen Vorfahren bewiefenen Treue und um ihren Wohlftand und
ihre Blüte zu befördern, befondere Freibeiten zu verleihen und alle ihre
innern Verbältnifie im Sinne derfelben zu ordnen und zu befeftigen.
Der Anfang dazu wurde gemacht durch eine „Ordnung vnd fry—
beit der ſtat pfortzheym“, melde der Markgraf der Stadt auf
4) Der nachſtehenden Darftellung find hHauptfächlic Urkunden, Kopialbücherx.
bes Stadt-, zum Theil auch des Landesarhivs zu Grunde gelegt. Bergleis
chungs weiſe wurden auch die „Ordnungen“ anderer Orte, fo 3. B. von Raftatt,
(Mone, bad. Archiv, I. und Eifinger: Zur Topographie und Geſchichte von
Raftatt, Beilage zum Prgeumsprogramm von 1855), Baden x. (Zeitſchrift
für die Gedichte des Oberrheins, IV., 291 und 129 fi.) benützt.
2) Es kommen in dielem Kapitel viele Geldangaben vor. Um den Leſern
die Reduktion auf den heutigen Geldwerth zu erleichtern, bemerle ich mit Hin—
weifung auf das ©. 129 und 130 Gefagte, daß ber Heller zu /, Kreuzer, bet
Piennig zu 1 Kr., der Schilling Pfennig zu 12 Kr., das Pfund Heller zu
2 Gulden, das Pfund Piennig zu 4 Gulden in runder und bequemer Summe
berechnet werben fann.
214 Elftes Kapitel. Stadtverfafiung von 1500.
St. Michels des heiligen Erzengels Tag (29. Sept.) 1486, und zwar
vorläufig auf 6 Jahre und unter der Bedingung verlieh, „daß, ob in
ſechs jaren, den mechften nad) dato dißs brieffs nacheynander volgende,
wir oder vnnßere erben, an vnfjelbs vnnd an vat, befunnden würden,
das jolliche ordnungen, fryheiten vnnd vfffagungen, innhalt der gemelten
verſchrybungen, vns vnd den von Pfortzheym mit guot noch nützlich
werent, das mir dann ſollichs gang vnnd gar wibderumb abtuon
onnd vfiheben” ꝛc. An die Stelle diefer proviforiichen Stabtordnung
trat no vor Umfluß genannter 6 Jahre eine definitive „Ordnung und
Polizei”, welche Markgraf Ehriftoph der Stadt am Montag nad) Neu:
jahr 1491 ertheilte, und welde in der Hauptfache mit ber erften „Orb:
nung und Freiheit” von 1486 übereinftimmte, in Manchem aber auch
Beränderungen eintreten ließ, welche fid) durch die gemachten Erfahrungen
als eine Nothwendigkeit herauggeftellt hatten,
Im Allgemeinen enthielten die von Markgraf Chriftoph ertheilten
Städteorbnungen eine Menge theils gemeinfamer, theils befonderer, den
Dertlichkeiten der betreffenden Städte angepaßter Beftimmungen, welche
unmittelbar auf Förderung der Freiheit, Sicherheit, Ruhe und Gedeih—
Vichkeit ihrer Bewohner berechnet waren, Dody darf nicht überfehen mer:
den, daß fie auch eine Vermehrung der fürftlichen Einnahmen bezwedten,
indem fie die direften Steuern aufboben und dafür die Verbrauchsacciſe
einführten, welche weit mehr abwarf, da ihr die Geiftlichkeit, der Adel
und die herrichaftlichen Diener, wenn auch theilweife unter etwas ver:
änderten Beftimmungen, ebenfo unterlagen, wie die Bürger. (In einer
Woche Oftobers 1486 gingen beifpielweije in Pforzheim ein an Salzgeld,
Weinungeld, Fleifhungeld, Fruchtungeld und Gtättgeld beinahe 57 Pfb.
Pfennig oder gegen 300 Gulden, was jährlih an 15000 fl. machte, —
eine bedeutende Summe für jene Zeit.) 1) Die gleihmäßiger ver:
theilte Steuerpfliht mußte aber wohlthätig auf das ftädtifche Leben wirken
und vermöglidhe Fremde berbeiziehen, wodurd Gewerbe; Handel und
Wandel nur gewinnen konnten. So mußten ſich bald die Stadtbriefe
als eine Einrichtung bewähren, welche allfeitig von den fegensreicdhiten
Folgen begleitet war, 2)
Der „Ordnung und Polizei” folgte für Pforzheim nad und nach,
1) Stadtordnung von 1486 im Lanbesardiv,
®) Bergl. Babers (neue) Badenia, J., 68.
Elfles Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500, 215
— nicht auf ein Mal, fondern wie ſich unter Zugrundlegung derfelben
das Bedürfniß dazu ergab — eine Menge anderer „Ordnungen,“ durch
"welche das Ortsregiment, das Gewerbswefen ꝛc. zeitgemäß geregelt wurden.
Diele derfelben wurden aus früherer Zeit beibehalten, andere neu ge:
geben, zum Theil noch von Markgraf Chriſtoph felber, zum Theil von
und unter feinen nächſten Nachfolgern, und fpäter nach Bedürfniß ergänzt
und verändert. Alle aber bildeten ein ineinandergreifendes Ganzes, das
ung über die innen Verhältniſſe der Stadt, wie ſich diefelben zu Ende
bes 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts geftalteten, die interefian-
teften Auffchlüffe ertheilt und darum bier ausführlicher befprocdhen wer:
den muß. Ehe ich es jedoch verfuche, ein Bild diefer Verhältniſſe zu
entwerfen, müffen einige Bemerkungen vorausgeſchickt werden. Die wid):
tigfte der erwähnten „Ordmungen”, nämlich die „neue Ordnung und
Bolizei” von 1491, ift noch im Original vorhanden und zwar im ftäd-
tifchen Archiv. Es ift ein ehrmwürdiges Dokument, aus 8 zufammenge:
befteten Pergamentblättern beftehend, wovon 6 befchrieben find und 2 den
Umfchlag bilden. An der durcigezogenen roth: und gelbfeidenen Schnur
hängen die Siegel des Markgrafen und der Stadt Pforzheim. (Letzteres
ift das ſchon ©. 79 beichriebene). 1) Bon den übrigen „Ordnungen“
find bloß Kopien vorhanden, die in ein Bud) 2) gefammelt find. Sie
alle ausführlich mitzutheilen, wäre zu umſtändlich und würde allzu viel
Raum in Anfprudy nehmen. Ich werde ftatt defien verfuchen, dem
weſentlichen Inhalt derfelben in einem Gefammtbild darzuftellen und
diefem, wie es gerade nöthig ift, einzelne Stellen aus jenen Ordnungen
ausführlicher einzufchalten. Die Schwierigkeit diefes Gefhäfts dürfte etwaige
Mängel in der fachlichen VBolftändigkeit entichuldigen. Die Stadtordnung
von 1491 felber aber möge zuerft ganz folgen.
1) Außerdem find im flädtifhen Archiv 3 Kopien davon, eine von 1517,
eine zweite von 1693 und eine britte von 1716, ine größere Anzahl von
Abſchriften befindet fi im Landesarchiv bei jpätern Alten, namentlid ben-
jenigen, welde den zu Anfang bes 18. Jahrhunderts ausgebrodenen Privis
legienftreit betreffen.
*) Dasjelbe bildet einen ftarken Folianten von 339 beichriebenen Blättern,
und icheint gegen Ende des 17. Jahrhunderts vom bamaligen Stabtichreiber
Boch angelegt worden zu fein. Die Aufeinanderfolge der Einträge ift durchaus
feine chronologiſche, fondern es berricht darin die größte Willfür, was aud bie
Ueberfiht jehr erichwert,
216 Elftes Kapitel. Stadtverfafjung von 1500,
Derer von Pforzheim neue Ordnung und Polizei. !)
A. Einleitung.
Wir Chriftoph, von Gottes Gnaden Markgraf zu Baden ꝛc. und
Graf zu Sponheim, befenmen öffentlich mit diefem Brief und thun fund
allen denen, die ihn immer anjehen, lefen oder hören leſen: Nachdem
wir aus angeborner fürftliher Natur geneigt und begierig find, den
Unfern, die ſich täglich gegen uns gehorſamlich erzeigen und halten, ung
auch mit Willen und Treuen dienen, ſolche unfere Hilfe und Gnade
guädiglich mitzutheilen, durch die fie mit Förderung des gemeinen Nutzens
an Ehre und Gut mögen zu Aufgang kommen: darum, und fo bie
ebrfamen unfere lieben und getreuen Bürgermeiiter, Gericht, Rath und
Gemeinde unferer Stadt Pforzheim fich gegen unſere Vordern löblicher
Gedächtniß und ung allweaher, zu Schimpf und zu Emit, mit getreuen
Darftreden, Hilfe und Steuer gehorfamlicdy erzeigt, willig und wohl ge:
halten haben, und dergleichen biefür auch thun follen uns, allen unfern
Erben und Nachkommen, die Markgrafen zu Baden, und der Stadt
Pforzheim regierende Herren zu fein geordnet werden, und dann aud)
bedenken, wiewohl die gemeldte unfere Stadt Pforzheim mit fammt
der Altenftadt und den Norftädten daran in unferm Fürftenthbum der
Markgrafihaft ein merklich Glied, und zum Handel und Wandel am
Beften gelegen: fo ift fie doch bisher nicht höher, denn andere unfere
Städte in der gemeldten unferer Markgrafſchaft, gefreit, und lange Zeit
mehr zum Ab- denn Aufgang gerichtet geweſen. Solches auf befjern
Weg zu bringen, han wir aus ehgemeldter fürftlicher Mildigfeit und
fonders gnädigen Willens, fo wir zu der gemeldten unferer Stadt Pforz-
beim und ihren Einwohnern tragen, mit guter VBorbetrahtung und nad)
unferer Freunde und Räthe gepflogenem zeitigem Gutbedünken und Mathe
die Obgemeldten von Pforzheim etwas mehr und weiter wollen freien,
Bolizeien und Ordnungen geben, durch die in künftigen Zeiten biefelbe
unfere Stadt von ihr ſelbſt gebefjert und zu mehrerer Achtung, Bau
und unzergänglichem Weſen gehalten und gehandhabt, dieſelben Einwohner
1) Dies beſſern Verſtändniſſes wegen iſt die Urkunde in heut zu Tage übli—
cher Orthographie und Interpunktion mitgetheilt. Die einzelnen Paragraphen,
die im Original bloß durch etwas größere Schrift der erſten Worte angedeutet
ſind, wurden hier nummerirt, mit Ueberſchriften verſehen und der leichtern
Ueberſicht wegen unter vier Hauptrubrilen gebracht.
Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500, 27
auch an Ehren und Gut zunehmen und Anbere von auswendigen Orten
deſto mehr gereizt und hinein zu ziehen begierig werden mögen, inſon—
derheit fo Alle, die jetzund da wohnen oder hinfür dahin ziehen, mit
ihren Nahrungen in allerlei Werbungen frei und unverborgen bdafelbit
dar und dannen bandthieren, üben, braucen und "handeln mögen zu
ihrem Beten; freiem und geben auch jetund den genannten Einwoh—
nern zu Pforzheim, in der Altenftadt und den Vorftädten daran, gegen
wärtigen und künftigen, ihren Erben und Nachfommen, eine neue Freiung,
Ordnung, Satung und Polizei für uns, alle unfere Erben und Nach—
tommen Markgrafen zu Baden, wiffentli und unwiderruflich in Kraft
diefes Briefes, als wir denn Solches von eigener Macht wohl thun
mögen und biemit gethan haben wollen, Alles in der förmlichſten Weiſe,
wie das in⸗ und außerhalb der Rechte und Gewohnheiten am kräftigſten
und bejtendlichften fein fol, fann und mag, inmaßen und tie von
Punkten zu Punften hernach eigentlich gefchrieben ſteht.
B. Ordnung,
4. (Steuer: und Frobndfreiheit.) Zum Erftn fo haben
wir fie frei gemacht und gejegt und freien fie auch williglih und wohl
bedachtlich durch Kraft diefes Briefes alio, daß fie auch alle ihre Nach⸗
kommen in derſelben unſrer Stadt Pforzheim, auch in der Altenſtadt
und in den Vorſtädten, nun fürbaß mehr aller Bete, Schatzung, Steuer
Frohndienſt, Landſchadens, Führung und aller Beſchwerniß, nicht auege
nommen, in künftigen Zeiten und Tagen ewiglich ganz frei, ledig, unbe—
tkümmert und ungedrängt ſein und bleiben, ſondern das Alles nicht mehr
geben ober thun, wir aud, ihmen Soldyes nicht mehr auffegen oder zus
mutben , noch das von unfern Wegen fchaffen oder geftatten follen noch
wollen in keiner Weiſe weiter, denn wie nachfolgt.
2. Gerſönliche Freiheit.) Weiter haben wir fie auch gefreiet,
daß wir, noch unfere Erben oder Nachkommen, nod Jemand von unfern
Wegen keinen Bürger oder Einwohner unfrer Stadt Pforzheim, aud
in der Altenftadt und Vorftädten, nun und hernachmals an ihren Leibern
oder Gütern nicht anders, denn zu Recht angreifen und faben, fie auch
mit Thürmen oder Blöden, 1) noch Soldyes zu geihehen ſchaffen follen,
) An den Fußblod einichließen, Der Gefangene mußte figen nnd feine
Füße ausftreden, die zwiſchen zwei durchlöcherte Balken eingeißglofien wurben.
218 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500.
noch wollen, e8 ſei denn vorhin durch unfer Gericht dafelbit zu Pforzheim
mit Recht erfannt, — ausgejchieden, 1) ob es wäre, daß derfelbe Bürger
oder Einwohner zu Pforzheim um feine Verhandlungen nicht Bürgen
hätte oder für ſich felber an feinem eigenen Gut nicht vermöchte, dafelbft
dem Rechte nachzukommen und genug zu tbun, und dann Bürgermeifter
und Rath zu Pforzheim fich des: oder derfelben auch nicht wollten an-
nehmen, uns, oder an unfrer Statt unferen Amtleuten oder Schultheigen
zu Pforzheim, den- oder diefelben auf unfer Gefinnen zurücdhalten und
handhaben, als wir ihnen hierin zu thun Macht geben: alsdann fo
mögen biefelben unfere, unferer Erben und Nachkommen Amtleute oder
Schultheißen, fo je zu Zeiten fein werden, den: oder diefelben im Thurm
oder fonft behalten, damit man des Nechten von ihnen fidher fein und
befommen möge. Doch in allmeg ausgenommen, ob die That oder der
Mißhandel den Leib oder das Leben berührte; um Solches mögen wir,
unfere Erben und Nachkommen den: oder dieſelben mit Recht und nicht
weiter ftrafen laſſen.
3. (Strafreht über die fürftlihen Diener) Wir haben
ung doch infonderheit vorbehalten, unfere Amtleute, Diener und Knechte
zu Pforzheim zu jedem Mal um ihre Händel ihres Amtes halber im
Thurm und fonft zu ftrafen, wie wir das bisher dafelbit zu Pforzheim
und in andern unjern Gebieten zu thun Macht ban.
4. (Freizügigkeit) Wir geben, gönnen und erlauben auch
biemit den genannten unfern Bürgern und Einwohnern und allen ihren
Nachkommen der vorgenannten unſern Stadt und den Vorſtädten einen
freien Zug, alfo daß fie mit ihren Leibern und allen ihren Gütern aus
und ein mögen ziehen, fahren, wohnen und kommen, wann und wohin
einem Jeglichen, er fei reich oder arm, je zu Zeiten füglich eben und
gelegen wäre, Doch daß derfelbe, der alfo von Pforzheim ziehen wollte,
dies thue mit Wiffen eines Schultheißen bdafelbit, und daß er fich zuvor
mit allen feinen Schulönern vertrage. Und ob fi Icht 2) in Zeit feines
Weſens dafelbft begeben hätte, darum foll er dem Schultheißen Ber:
ſprechniß thun, daß Solches mit Recht zu Pforzheim, und nirgends
andersmo gerechtfertigt und ohne ferneres Ziehen ausgetragen werde,
und darauf auf Stund nad folder Verfprechniß feiner vorgethanen
Pflicht, desgleichen feines Leibes und Gutes ganz unverhindert ledig fein.
!) ausgenommen. *) Etwas,
Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 219
Eie mögen auch in- oder außerhalb der Stadt Pforzheim und außer
unferm Fürſtenthum der Markgrafihaft Baden an fremdem Ende,
wohin und warn fie wollen, mannen und weiben !) dazu mit ihrem Gut,
liegendem und fahrenden, werben und handeln, das verfegen, verkaufen,
verändern, fich jelbft damit verfehen und in allweg damit gefahren, 2)
thun und laflen, wie einem Jeden zu jeder Zeit allergefälligft und nütz—
Kichft ift und fein mag, ohne Irrung, Eintrag und Hinderniß unfer,
unferer Erben und Nachkommen und Männiglihs von unfern Wegen.
Es foll und mag auch ein jeglicher unfer Bürger und Einwohner zu
Pforzheim fein Gewerbe mit Gewahr aus und ein und zu Pforzheim
treiben und führen, und einem jeden davon Lie Stadt mit Ein= und
Ausfahren ganz offen fein, e8 wäre denn, daß feiner Gewahr in der
Stadt bedürflich und noth wäre.
5. (Gemeindsgut und Nutungen.) Wir erneuern und be
ftätigen auch für uns, unfere Erben und Nachkommen in Kraft diefes
Briefs den genannten Bürgermeijter, Gericht, Rath und ganzer Ge:
meinde zu Pforzheim, auch in der Altenftadt und den Worftädten und
ihren Nachkommen, alle ihre Almenden, Wälder, Waſſer, Wonn, Waide,
Zwing und Bänn, befonders auch ihre Almend und Kallhartwälder ber:
maßen, daß fie die Dehmen 3) von denjelben beiden Wäldern einen jeg:
lichen Fünftigen Jahres nußen und nießen follen und mögen. Doch
follen fie eines jeglichen Jahres, fo die Eder tragen, um ſolche Nutzung
und Nießung ung und unfern Erben ein Pfund Pfennig zu Belenntniß
unfrer fürftlihen Obrigkeit geben und ausrichten. Darnach fo erneuern
und betätigen wir aud fir ung, unfere Erben und Nachkommen ihnen
und ihren Nachkommen alle ihre Rechte und Freiheiten, gönnen und
laſſen ihnen auch dazu ihre Gefälle, Weggeld, Meßgeld, Waggeld, Kauf:
haus, Stättgeld darauf, Nathhaus, Zwingelf, 2) Stadtgraben, Ziegel:
bütten, Waltmühle, Schleifmühlen, Fiichenzen, 5) Waſchhäuſer, und aud)
die Rügungen der Mebger, Bäder und Müller, Felder und Wälder,
ob und wie fie das Alles und Jedes bejonders bei weiland unfern
Bordern und Voreltern löblicher Gedächtniß und ung bis auf beut
+) Einen Mann oder ein Weib nehmen, *) verfahren. *) Waldertrag
bezüglich der Eichelmaft oder des Eckerichs. +) Zwinger, der Zwiſchenraum
zwiſchen der kleinen äußern und der größern innern Stadtmauer. 5) Fiſchwaſſer,
Fiſchrecht.
220 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500,
Datum diefer Ordnung mit Briefen oder fonft hergebracht und noch
haben, fie dabei bleiben zu laſſen, aljo daß fie das alles Jetztgemeldete
binfür ausrichten, befeßen und entjegen, und zum Beften und Nüslichiten
zu allermalen verhandeln follen und mögen, Und um daß Solches
nah Nubß und füglicd geichehen und gehandelt werden möge, jo follen
fie zu jeder Zeit, fo fie defhalb Ordnung machen wollen, unſern Schult-
heißen dazu berufen, und wo demjelben nichts Beſſeres, benn ihre Auflag
oder Fürnehmen wäre, bedünfen wollte, fo ſoll er Macht haben, Soldyes
aufzuhalten, weitern unfern Rath darunter zu haben,
6. (Deffentlihe Ruhe) tem fürder, fo haben wir geordnet,
ob oder wann es ſich füge, daß ziween Bürger oder Einwohner uneins
würden und dem Schultheigen deßhalb Klage käme, fo mag er jeder
Partei gebieten unfern Frieden bei zehn Pfund Pfennigen. Ober fo,
zween auf der Gaſſe, oder wo das wäre, in Gezänk oder Hader kümen
fo ſollen ein Schultheiß, Bürgermeijter, ein jeder Richter oder Gebüttel,
die das jehen oder hören, denfelben auch unfern Frieden gebieten bei
fünf Pfund Pfennigen; und welcher dann über jold Gebot dem Andern
Schmach, Schande oder Schaden zufügen würde oder zu gefchehen
ſchüfe, es wäre mit Worten oder Werfen, derjelbe brüchige Theil fol
dann folcher obgemeldten Poen, 1) bei der daun einem “eben Frieden
geboten wäre, verfallen fein, davon uns drei Theile und der Stadt das
vierte zufteben foll.
7. Qlusnabme der berrfhaftliden Rechte.) Doch fo
haben wir uns, unfern Erben und Nachkommen, Markgrafen zu Baden,
in. dieſer vorgefchriebenen Freiung namentlich vorbehalten unfere fürftliche
Obrigkeit und Herrlichkeit, Geleit und Wildbänne, Gebot und Verbot,
dazu alle unfere Gülten, Zinfe, Renten und Gefälle, wie und wovon
ung die bisher zu Pforzheim in der Stadt, der Altenjtadbt und Vor:
jtädten gefallen, eingebracht und verrechnet find, oder hinfür zuftehen
würden, cs ſei von Hänfern, Hofftätten, Mühlen, Aeckern, Wiefen,
Gärten, Wafjern, Wäldern, Feldern, Dehmen, Zöllen, Freveln, Unrechten,
Einungen, Bußen, Metzelbänken, Brodbänten u, A., wie foldes Alles
auf ung kommen, und wir es bisher ingehabt, und nad) laut unjerer
Zinsbücher durch unfere Amtleute, Keller und Knechte haben einbringen
ı) Strafe.
Elftes Kapitel. Stadtverfafjung von 1500, 24
laſſen, genützt und genofjen, und gemeinlich alles das, fo unfrer Obrig-
keit anhängig, und durch weiland unfre Vordern feliger Gedächtnig und
ung über das, jo wir den Unfern von Pforzheim, wie vor und nad in
diefem Brief begriffen und mit ausgebrüdten Worten gefebt und beftimmt
ift, zugeftellt, dafelbft zu Pforzheim hergebradht und bisher gebraucht und
inne gehabt haben, gar nichts ausgenommen,
8. (Kriegsfteuer und Kriegspflidten) Wir haben ung
and) ausgedungen, wäre ‚es Sad, 1) daß wir, oder unfere Nachkommen,
Markgrafen zu Baden, einer oder mehrere, der dann unferer Stadt Pforz⸗
beim rechter Kürft oder regierender Herr wäre, gegen Jemand nieder-
legen 2) oder gefangen würden, davor Gott der Allmächtige uns allzeit
behüten wolle, daß wir dann nach Gelegenheit der Sache von den Un:
fern won Pforzheim in der Stadt, aud) in der Altenftadt und in den
Vorftädten eine ziemliche Steuer und Schatzung fordern, auffegen und
nehmen mögen, fie audy fchuldig und pflichtig fein follen, die zu geben,
in der Summe und Maſſe ungefähr, als fie von andern eigenen Leuten
unfers Fürſtenthums aufgefett, gebeifchen und genommen würde; und
ſoll doch darnach, fo oft das geichebe, diefe unfere Freiheit gleichwohl
ungefhwächt, fondern allweg zu ihren Kräften bleiben, gehalten und
dadurch nicht überfahren fein, noch werden. Die von Pforzheim follen
auch im allen Kriegsgefihäften ung mit aller Hilf gehorfam fein und
bfeiben, wie andere uniere Lande und Leute, ungefährlich ; desgleichen mit
Stallungen zu Schimpf 3) und zu Ernſt, die zugurüften nad unjern
Geboten und Gelegenheit der Sache gehorfam fein, Dazu, ob ober
wann einiger Zugriff, Beichädigung oder andere Aufruhren in unſrer
Markgrafichaft geſchehen, und gemeinlich fo dick unfere Amtleute fie zu
Zeiten Noth bedünken und die Unfern von Pforzheim deshalb von ihnen
oder ihretwegen ermahnt würden, daß fie dann nacheilen, retten und
helfen follen nady allem ihrem Vermögen, wie andere die Unfern dag
zu thun auch ſchuldig find,
9. (Fürſtliche Schulden.) Ob auch wir, unfere Erben und
Nachkommen hiefür einigerlei Hauptguts zu vergulten aufnehmen ) und
die von Pforzheim, ſammthaft oder ſonderlich, 5) mit und zu uns oder
*) Wenn es geſchehen ſollte. *) unterliegen. ?) Bei Feierlichkeiten, =
Aufzügen, Turnieren x, 4) Ein verzinsliches Kapital aufnehmen. ®) mi
andern Städten zufammen, ober für fid allein,
239 Elftes Kapitel. Stadtverfaifung von 1500,
ohne ung für ſich jelbit, zu Bürgen und Mitſchuldnern geben und ſetzen
würden, da jollen fie auf unfere Schadloshriefe, jo wir ihnen bie in
ziemlicher Form zuſchicken und geben laſſen, allmeg auch gehorfam fein,
zu thun ohne Widerrede.
10. (Berbindungen.) Es follen aud) die obgenannten Bürger:
meifter , Gericht, Nath und Gemeinde noh Einwohner, fammthaft noch
fonderlich, unter ihnen felber noch mit jemand Anderm feinerlei Bündniß
machen, zufammen verichreiben, geloben, ſchwören noch verheißen ohne
unfer, unferer Erben und Nachkommen Wiffen und Willen,
11. (Gerihtswefen) Es joll auch hinfür unfer Gerichtsſtab
zu Pforzheim gehalten und gehandhabt werden durch unfere Amtleute
und Schultheißen, jo wir jederzeit zu Pforzheim haben, nad) laut der
Drdnungen, die wir ihnen zu allen Malen geben werden, mit aufgefeßten
ztemlichen und billigen Poenen darin begriffen, zu Handhabung desſelben
unferes Stabs. Dod fol diefelbe Amtsordnung den Punkten, hierin
ausgedrückt, denen von Pforzheim feinen Abbruch bringen. Diefelben
Gebote und Poenen follen auch alle von unferm Schultheigen und Amt:
mann aufbewahrt, ung und unfern Erben drei Theile, und der Stadt
Pforzheim und aud) ihren Nadyfommen der vierte Theil zur Beſſerung der
Stadt folgen und werden, Ob aber wäre, daß Einer ſolche Poene
nicht zu geben hätte, den mögen wir aus ber Stadt verbannen; doch
ausgeſchieden unſer Geleit, Wildbänne und hohe Obrigkeit, mögen wir
mit Geboten und Strafen verbieten und halten nach unferm Gefallen.
12. (Stadtwade.) tem, wenn Thurmknechte, Wächter und
Thorwarte von der Stadt beſtellt und gedingt werden, das foll ge:
ſchehen im Beifein unferes Schultheißen an unferer Statt, demfelben fie
auch von unjern Wegen zuvorderft follen geloben und ſchwören und
darnach der Stadt, wie fi) denn einem Jeglichen nach Gelegenheit feines
Dienftes zu ſchwören gebührt,
13, (Thorſchluß.) tem, die Schlüffel zu allen Thoren unferer
Stadt Pforzheim ſoll haben unfer Schultheiß, und es mit Auf und
Zufcließen derfelben Thore Tag und Nachts halten nad) unferm Beſcheib.
14. (Bürgerannahme) tem, ein jeglicher Fremder, der gen
Pforzheim ziehen will, foll von unferm Schultheißen angenonımen werben
und geben einen Schilling Pfennig der Etadt, einen Schilling Pfennig
dem Schultheißen und einen Schilling Pfennig den Gebütteln,
Eiftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500, 293
Und um daß den genannten Bürgermeifter, Gericht, Rath und
Gemeinde und Einwohnern unferer Stadt Pforzheim mit fanımt ber
Atenjtadt und den Vorſtädten und ihren Nachkommen diefe vorgefchrie-
bene unfere Freiung und Begnadigung deſto fruchtbarlicher und ftattlicher
erichiegen und ihnen zum Aufgang und Nuten, als es denn in ung aus
ehrbaren und nothdürftigen Urfachen gemeint und angefehen ift, dienen
möge: fo haben wir geießt und geordnet diefe nachgejchriebene Polizei,
dinfür von ihnen gehalten zu werden,
15. (Mehlaccie.) Zum Griten, daß ein jeglicher Bürger oder
Einwohner, geiftlih und weltlih, auch ein jeglicher Bäder und Müller,
Niemand ausgenommen, zu Pforzheim, der Altenftadt und den Vorftädten
von allen Früchten, die er zur Mühle thut und zu Brod verbaden läßt
ober jelber verbadt, zu rechtem Ungeld geben foll, nämlih von einem
jeden Malter Kernen zwölf Piennig, von jedem Malter Roggen
neun Pfennig, von jedem Malter Dinkel ſechs Pfennig und von jedem
Malter Gerfte, die geftampft *) oder gegerbt würde, drei Pfennig. Und
ob des etwas mehr oder minder ungerad wäre, darnach von jedem
Simri Kernen anderthalb Pfennig und von einem ungeraden Simri
Roggen auch anderthalb Pfennig, von "zwei Simri Roggen dritthalb
Pfennig, von einem ungeraden Sinwi Dinkel einen Pfennig, oder von
zwei Simri Dinkel anderthalb Pfennig und von einem jeden ungeraden
Simri Gerfte einen halben Pfennig.
16. Beeidigung des Mühlgefindes auf die Xccife.)
Item, kein Müller, jeine Hausfrau, Knechte, Mägde, Kinder noch Ges
finde follen bei ihrem Eide, fo fie deshalb jährlich und zu jedem Geding
oder Eingeng eines neuen Geſindes ſonderlich ſchwören werden, keinem
Bürger noch Einwohner zu Pforzheim keinerlei Frucht, weder Kernen,
Roggen oder Dinkel zu mahlen noch keinerlei Gerſte zu ſtampfen oder
zu gerben auf die Mühle ſchütten, ſie haben denn zuvor dagegen die
Wortzeichen 2) von dem, des die Frucht iſt, in ihren Händen und Gewalt.
#) gerollt. 2) Wortzeichen waren die Wahrs oder Beweiszeichen für ben
bezahlten Accis. Cie beftanden in Pforzheim in runden Blechftüden von ber
Größe eines halben Guldens, auf denen mit Buchftaben und Zahlen ber Name
der Mühle, fowie die Menge und Gattung ber zu mahlenden Frucht angegeben
war, Später traten Zettel an deren Stelle.
294 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500.
17. (Desgleihen der Bäder) tem und desgleichen fo foll
der Bäder feinem Bürger nod) Einwohner zu Pforzheim, der Altenftadt
und den Vorftädten, geiftlichen noch weltlichen, noch auch feinem Müller
oder ihm ſelber, — denn die Müller und Bäder gleicher Weife mie
Andere hierin auch begriffen fein jollen, — feine Frucht oder Mehl zu
Brod baden, er babe denn zuvor auch die Mortzeichen, deshalb erlöst,
in jenen Händen und Gewalt. Es ſoll aud Fein Bürger noch Ein:
wohner, geiſtlich noch weltlih, noch ihr Gefinde Fein fremd Mehl kaufen,
und ob Jemand anders, dem die Bäder, ihm ſelbſt baden wollte, ber
fol doch fein Brod davon verkaufen. -
‚18 (Mehlverkauf.) Auch fol kein Müller einer Perſon auf
einmal mehr denn ein men!) Mebls verkaufen oder zu Kauf geben,
aber wie did?) eine oder mehrere Perfonen kommen und Mehl be-
gehren zu Kaufen, fo mag er& ihnen geben und fein Mal mehr denn
ein men, Ä
19. Weinihant) Zum Andern, den Weinſchank betreffend,
ordnen und fegen wir: Welcher Bürger oder Einwohner, geiftlih oder
weltlih, Niemand ausgenommen, zu Pforzheim, in der Altenftadt und
den Vorſtädten Mein ſchenken will, der ſoll Kein Faß zu verſchenken
antechen, es fei denn zuvor von den Geſchworenen verfiegelt, Wann
auch ein Faß, alfo verfiegelt, zu ſchenken angeftochen würde, fo fell es
ganz verungeldet und von jeder Ohm 8 Maag Weins in Geld ge:
geben werden,
20. (Weinacceis) tem, weldyer Bürger oder Eimvohner zu
Pforzheim, der Altenftadt und den Vorftädten Wein einlegen will, der
joU von dem, fo er in feinem Haus vertrinkt, zu Ungeld geben von jeder
Ohm 6 Piennig.
21, (Fleiſchaecis.) Zum Dritten, das Fleiſch betreffend, ordnen
wir, daß ein jeder Metger von einem jeden Zentner Fleiſch won Rin—
dern, Ochſen, Kühen, Kälbern und Schweinen, das fie metzgen und
verfaufen, 18 Pfennig zu rechtem Ungeld geben foll; und ob des etwas
minder oder ungerad wäre, fo geben je fünf Pfund 1 Pfennig, und wie
ſich des nach Markzahl je zu Zeiten begibt und gebührt. — tem, von
einem jeglichen Milchkalb fol man geben zu Ungeld 5 Pfennig, —
stem, ob auch ein Bürger oder Einwohner, geiſtlich oder weltlich, zu
) Imi, der vierte Theil eines Simris, *) oft.
Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500, 225
Pforzheim in feinem Haus einigerlei Vieh, was das wäre, nichts ang:
genommen, mebgen laſſen wollte, daven fell er zu Ungeld geben und
thun, mie vorfteht, gleicher Weiſe der Mebger davon geben und thun
muß. Ausgenommen jeglicher Hanshabe ") follen ungeldfrei fein eines
jegliches Jahres die allererften zwei Schweine und nicht mehr, fo fie in
den Häufern metzgen nnd brauchen; die fibrigen Schweine alle, die ein
Jeder desſelben Jahres metzgen laffen würde, foll er vwerungelden mie
anderes Fleiſch, und alfo von jedem Zentner 18 Pfennig geben, und
allweg fo foll ein jegliches Jahr damit an- und ausgeben auf St. Mar-
tins Tag. Und doch vorbehalten die Priejterichaft und den Adel, die
jegt zu Pforzheim find und künftiglich dabin ziehen: wie wir Markgraf
Chriſtoph oder unfere Erben diefelben des Ungelds halb halten und
lafjen werden, dabei foll e8 bleiben, und wie fie alfo von ung gelafien,
davon foll denen von Pforzheim ihr Viertheil werden, wie von Anderm.
22. (Salzverkauf.) Zum Bierten ordnen wir, daß binfür der
Salztauf zu Pforzheim uns Markgraf Chriſtoph, unfern Erben und
Nachkommen und der Stadt zuftehen und bleiben, alſo daß Niemand
dafelbft oder außerhalb in der Altenftadt und den Vorftädten, geiftlich
noch weltlih, bei Poene Leibs und Guts in feinem Haus feinerlei Salz,
wober ihm das kommen möchte, brauchen foll, ev babe denn dasſelbe Salz
von der Stadt erfauft. Und ob wohl etliche Bürger oder Einwohner
zu Pforzheim mit Salz werben ?) wollten oder würden, fo follen fie doch
davon in ihren Häufern bei vorgefchriebener Poene ganz nichts verbrauchen,
no ihr Gefinde davon brauchen laſſen. Ob aber Eines Hausfrau
oder Gefinde das thäten, die follen auch alfo, wie vorfteht, geftraft wer—
den und das obgemeldte der Stadt Salz von ber Stadt zum Nützlichſten
gekauft und verkauft werden mit ziemlichem beicheidenem Gewinne. Der:
ſelbe Gewinn foll auch zu Ungeld gegeben und verrechnet werden.
233. (Strafe der Uebertreter.) Welder Bürger oder Ein:
wohner , wer der wäre, Niemand ausgenommen, durch fich felbft, feine
Hausfrau, Kinder oder Gefinde an obgefchriebenen Ordnungen und Une
gelden, es wäre von Brod, Fleiſch, Wein, Salz oder Anderem, Acht ver:
halten oder verichlagen würde, der: oder diefelben follen darum geftraft
werden an Leib und an Gut, alſo, daß ein Jeder, welcher das von dem
Andern gejehen oder wiſſens hätte, bei feinem Eid unſerm Vogt oder
1) Haushaltung. 2) handeln.
Pflüger, Pforzheim. 15
2296 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500.
Schultheißen zu Pforzheim anf Stund anbringen, diefelben denn mit
fammt dem Bürgermeifter gegen dem- ober denſelben ftrad die Strafe
an Leib und Gut vornehmen und auffegen follen nad) der Verſchuldigung.
24, GBeſchränkung der Unterkäufe) Item alle Unter:
käufe follen hinfür aufzuheben, durch unfre Bürger zu Pforzheim, Ge:
riht, Rath und ihre Nachkommen beftellt und verjehen, und alſo zus
fammt dem Stättgeld, fo fürder auf dem Markt zu Pforzheim wird
fallen, in unfere Theilung wie von anderm Ungeld, als vorjtehet, gegeben
und gelegt werden.
25. (PfundzolL)t) Alter Pfundzoll von Gewerbe und Kauf:
mannſchaft allerhand Gewaare foll fürohin gemindert fein, und von
jedem Gulden nicht mehr denn ein Pfennig gegeben werden. Doc uns
ergriffen den Landzoll; derſelbe Pfundzoll und Landzoll fol uns, unfern
Erben und Nachkommen allein zuftehen und bleiben wie von Alters ber.
26. (Grund: und Kapitalfteuer der Ausmärker.) tem,
was Ausleute, fie jeien geiftlih oder weltlich, Güter zu Pforzheim haben
ober überfommen werden, die von Alters her nicht gefreiet find, es feien
Pfennig, Gülten, Häufer, Aeder, Weingärten, Wiefen, Gärten oder
Anderes in der Bet Hertommen, auch die folhe Güter felber nicht be—
figen, ſoll ziemliche Bet gejeßt und von ihnen gegeben werben.
27. (Geldwedjel.) Item es fol aud ein Gold- und Geld:
wechfel zu Pforzheim aufgerichtet und allweg von einem Schultheißen
mit fammt dem Bürgermeifter zum KHöchiten verliehen werben.
28, Berrehnung, Vertheilung und Verwendung der
Steuergefälle; Beftellung der Steuerbeamten) Das ob:
gefchriebene Ungeld alles, von Frucht, Brod, Wein, Salz, Fleiſch mit
ber Ausbet, jol durch die Schreiber und Knechte, die man dazu ordnet,
getreulih aufgehoben, eingefanmelt und alle Jahre auf eine beftimmte
Zeit ung Markgraf Chriftoph, unfern Erben und Nachkommen Mark:
grafen, oder unfern Näthen , die wir zu allen Malen an unferer Statt
dazu ordnen und ſchicken, vor Bürgermeifter, Gericht und Rath, auch
einer Anzahl der Gemeinde, von denen von Pforzheim dazu gemählt,
dafelbft zu Pforzheim Einnehmens und Ausgebens ehrbarlich verrechnet
und in 4 Xheile getheilt werden, Davon follen wir aufheben und
nehmen 3 Theile, und die von Pforzheim den übrigen 4. Theil. Mit
) Raufaccis von Waaren.
Eiftes Kapitel. Stadtorrfaffung von 1500, 227
demfelben 4. Theil follen fie in gutem, gebührlichem Ban, Beflerung
und billigem Weſen unzergänglic halten und handhaben und davon
verloßnen der Stadt Graben, Zwingelf, Mauern, Thore, Thürme,
Brüden, Wege, Stege, Strafen und andere der Stadt Bann und
Zugehörde, dazu alle Wachten, Huten , nichts ausgenommen; dann das
Schloß, Frohndienſt umd andere ihre anliegende Nothdurft, und ſich ſelbſt,
noch feinen Einwohner, zu keinem Wege ferner beſchweren, noch drängen,
Aber den Knechten und Sammlern obgejchriebenen Gefälls alles follen
wir, unfere Erben und Nachkommen nad Anzahl unjerer aufgehobenen
3 Theile allweg geben umd ausrichten 3 Theile an ihrem Lohn, darum
fie werben gedingt, und die von Pforzheim nach Martzahl ihres Vier:
theils auch den 4. Theil an ihrem Lohne geben. Diejelben Schreiber,
Knete und Diener follen auch jest anfänglich von und, mit fammt
unfern Bürgern zu Pforzheim beftellt und angenommen, auch bei ihren
Handlungen und Dienften getreulich gehandhabt und beſchirmt werden,
Wenn aber derſelben Knechte einer hinfür Todes abgeht oder fonft ab
geſetzt wird, als wir des nad) eines Jeglichen Verſchulden Macht haben,
fo jollen wir, unfere Erben und Nachkommen und darnad) die von’
Pforzheim, je Einen um den Andern zu beitellen benennen, alſo, baß
fein Theil darin Vortheil haben oder ſuchen möge; doch jo ſollen fie
ung und der Stadt allweg getreulich geloben und ſchwören, als ſich ihr
jedes Dienftes halb gebührt.
29. Rehnungsabhör.) Es follen auch die Obgemeldten von
Pforzheim um den obgefchriebenen 4. Theil des Ungelds, auch anderer
ihrer Gefälle, vor ung, unfern Räthen oder Amtleuten, oder wen mir
dazu ordnen oder ſchicken werden, eines jeden Jahres auf einen benannten
Tag Rechnung thun, wo und wie Solches angelegt und verwendet fei;
doch ob ung eines Jahres auf den benannten Tag die Unfern zu fchicen
oder zu ordnen nicht füglich oder gelegen jein würde, fo mögen wir foldhe
Rechnung ändern oder fürfchieben nach unferm Gefallen.
D. Schluß.
30. (Befehl zur Aufrehthaltung diejer Drbnung.)
Und wir Markgraf Chriftoph ubgenannt gereden und verſprechen bei
unfern fürftlihen Treuen, Würden und Ehren für ung, alle unfere
Erben und Nachkommen Markgrafen zu Baden ıc., bie, Wie vorfteht,
298 Eiftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500.
regierende Herrn zu Pforzheim find, die worgemeldten Birgermeifter,
Gericht, Rath, ganze Gemeinde und Einwohner der Stadt Pforzheim
mit der Altenftadt und den Vorftädten und ihre Nachkommen bei allen
obgeichriebenen Stüden, Punkten und Artikeln, und auch bei andern
obgemeldten Freiheiten zu handhaben, zu ſchützen und zu fchirmen und
darein nichts zu Tegen, oder zu tragen, durch ung felbft, unfere Amtlente
oder Jemand von unfertwegen, auch Niemand, welches Standes ber fei,
wider dies obgefchriebene Ungeld, Ordnung und Neuerung zu freien,
denn mit der Unfern von Pforzheim Willen, ausgenommen Priefter und
Ehdelleute, mit denen follen wir es Macht haben, zu halten, wie in
einem befondern Punkt hievon begriffen if. Sondern wir beißen und
gebieten ernftlich und feitiglic für uns, unfere Erben und Nachkommen,
allen unjern Amtleuten, Bögten, Schultheißen, Kellen, Zollern und
allen Andern, die jeßt in unferm Dienft zu Pforzbeim find und hernach
immer bdargefeßt werden, daß fie bei ihren Eiden und Pflichten, ung
jeder Zeit gethan, die vielgenannten unfere lieben getreuen Bürgermeifter,
Gericht, Rath und Gemeinde und alle Einwohner der Stadt Pforzheim,
auch in der Altenftabt und in den Vorftädten und alle ihre Nachkommen,
bei Allen vorgefchriebenen Almenden, Wäldern, Waflern, Wonnen und
Waiden und bei allen obgerührten Freiheiten verbleiben laſſen und ſich
nicht dawider legen, Hinderung thun, oder dazu tragen noch gefcheben
laſſen, mit Worten oder Werken, fo lieb einem eben fei, fchwere Un:
gnad deshalb zu vermeiden. Endlich jo fegen und ordnen wir, daß die
von Pforzheim in der Stadt, Altenftadt und den Vorftädten, und ihre
Nachkommen, nach unferm Tode unjern Erben und Nachkommen Mark:
grafen, wie vorfteht, nicht huldigen, geloben noch ſchwören ſollen, e8 fei
denn, daß diefelben unſere Nachkommen Bürgermeiftern, Gericht, Rath
und ganzer Gemeinde dafelbft zuvor in ziemlicher Form werfchrieben
und verfprochen haben, fie bei allen obgemeldten Freiheiten, Satzungen
und Ordnungen inhaltlich diefes Briefs verbleiben und weiter ungebrängt
zu laffen, fie auch dabei zu fchirmen und zu handhaben.
31. (Revifion diefer Ordnung, Gelöbnif der Stadt.)
Wir behalten auch uns und ihnen hierin vor, alfo ob diefe Neuerung,
Gnade und Freiheit jegund nicht fo gründlich als noth bedacht wäre,
fondern ſich hernach etwas Mehreres, Minderes oder Anderes erfinden
würde, uns und der Stadt auch nutz und gut: daß wir dann zu beiden
Theilen fammthaft, und doch kein Theil ohme des andern Gunſt, Wiſſen
Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 229
und Millen, infonderheit dasielbe alfo zu Beſſerung auch fegen , ordnen
und handeln mögen, es fei von Pfundzoll, Brüdenzoll oder allerlei
anderer Gewaare und Aufällen, wie ſich Solches jederzeit nach Gelegen-
heit erheifchen würde, alle Gefährde, Untreue und Arglift hierin gänzlich
vermieden und ausgeichieben, Und des Alles zu wahrer Urkunde, fo
haben wir Markgraf Chriſtoph unſer Inſiegel öffentlich thun henken
an eime feidene Schnur, durch diefen Brief, in Buchsweiſe auf ſechs
Blätter geichrieben, gezogen; und wir vielgenannte Bürgermeifter, Gericht,
Rath und ganze Gemeinde der Stadt Pforzheim, mit der Altenftadt
und den Vorftädten, befennen und verjehen alle einbellig und unfcheidenlich,
dbaß wir Mlle und Jegliche des voftgenannten unfers gnädigen, lieben
Herrn Markgrafen Chriſtophs Freiung, Ordnung und Neuerung inhalt:
lich diefes DBriefes zu befondern großen Gnaden in billiger Dankbarkeit
aufgenommen haben; wir, unfer aller Erben und Nachkommen follen
und wollen auch allen Punkten und Artifeln, bierin begriffen, ganz
unabbrüchlih, getreulih, ehrbarlih und aufrichtiglich nachkommen, bie
vollziehen und vollführen, wie das in allen und jeglichen Worten hievor
don uns gefchrieben fteht, ohne alle Gefährde. Und des Alles auch zu
wahrer Urkunde und mehrerem Gezeugniß, Jo haben wir ber Stadt
Pforzheim Inſiegel zu des benannten, unferes gnädigen Herrn Inſiegel
an biefelbe jeidene Schnur auch gehängt am diefen Brief, der zween
gleichlautende geichrieben find, ung Markgraf Chriftoph der eine, und
ung, Bürgermeifter, Gericht, Math und ganzer Gemeinde der Stadt
Pforzheim, der ander. — Gegeben auf der Kanzlei zu Baden auf
Montag nady dem beiligen Jahrstag zu Latein Circumeisionis domini 1)
genannt, als man zählt nad Chrifti unfers Herrn Geburt Taufend
BVierhundert Neunzig und Ein Jahr.
Ein wichtiges Seitenftüd zu diefer „Stadterdnung * bildete die
„Landsordnung, bey Leben Maragraf Chriftephen vßgangen.“ 2)
Wie ſchon ihr Titel fagt, galt fie nicht bloß der Stadt Pforzheim, fonz
dern überhaupt der Markgraffchaft Baden; doch mag fie für Pforz-
heim befonders zurecht gemacht worden fein, um mit ber einige Jahre
vorher gegebenen Stadtordnung im Einklang zu ftehen. Darauf deuten
ı) Montag nad Neujahr, —
) Dieſelbe iſt datirt vom Montag nach Kreuzerhöhung 1495 und füllt im
Copialbuch 27 Blätter,
230 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500,
wenigftens alle die Stellen, in denen von der Stadt befondere Rede ift.
Nach entſprechendem Eingang, welcher die Beitimmung enthält, daß bie
Sandesordnung alle Jahre ein Mal öffentlich vorgelefen werben ſolle,
fommt zuerit der Befehl, daß alle Bürger, Einwohner, (fo auch Knete;
Bürgersföhne ıc.) die über 14 Jahre alt wären, dem Fürſten den Hul-
digungseid ſchwören müßten; alsdann folgen Beitimmungen über Erb:
ichaftsangelegenbeiten, über Pflegſchaften, ſowohl für Minderjährige, als
für die kirchlichen Fonds, Beitrafung von Gottesläfterern, Verbot der
Spiele, Beitrafung von fleifglichen Vergeben, wie Ehebruch, Beftrafung von
Geiftlihen bei etwaigen Vergeben, Verkauf ıc. von berrichaftlicgen Lehen:
oder Zinsgütern, Inſtandhaltung öffentlicher Gebäude, baupelizeiliche
Beftimmungen, Bewahung der Stadtmauern und Stadtthore und Ber:
fahren bei Oeffnung der letztern zu ungewöhnlicher Zeit, Strafen für
Berderbung von Yandgräben, Wehrhägen ꝛc., Verpflichtung zum Nach—
eilen und Retten bei Ueberfällen und Angriffen, Inſtandhaltung ber
Straßen, Verbot von Bündniffen und Gefelichaften gegen die Regierung,
Berbot von allzugroßem Aufwand und Gejchenfen bei Hochzeiten, Rind:
taufen ꝛc., Verbot des Stationirensg (mit Ausnahmen), 1) Verbot des
Anbringens einer Klage anders, denn beim zuftändigen Gericht, Verbot
des Wuchers, der Weinverfälfhung, der Vermiſchung verjchiedenartiger
Weine, Strafen für Umgebung des Zolles und Ungeldes, Strafen für
verjchiedene Frevel, (Verlegungen, VBerwundungen) ohne Zulafjung einer
Appellation, Strafen für Wilddiebftahl ꝛc. — Den „fürftlihen Amtleu:
ten“ wird in diefer Landesordnung vielfach eingefchärft, fich fireng dar:
nach zu richten und die geſetzlichen Beſtimmungen derjelben überall, wo
es erforderlich ei, zur Geltung zu bringen.
Was num die übrigen „Ordnungen“ ‚betrifft, jo laſſen fich bie
weientlichften Beftimmungen derjelben ſammt andern babin gehörigen
Notizen, die fih da und dort zerſtreut vorfinden, ſowie endlich das, was
fi) als Ergebnik von Vergleihungen berausftellt, des leichtern Verftänd-
nifjes wegen am beiten unter gewiſſe allgemeine Geſichtspunkte zufam-
menbringen, die eine geordnete Weberjicht gewähren. Es joll deshalb
in den nachfolgenden ‘Paragraphen zuerft vom Ortsvorftand, fodann
von den Gemeindedienjten, hernach von der Bürgerfchaft und
) Auch im Hochſtift Speier wurde ben Pforzheimer Dominikanern 1541
das Betteln verboten, (Archivakten.)
-
Elftes Kapitel, Stabtverfafjung von 1500. 231
zulet von der allgemeinen und befondeın Polizei, foweit diefelbe in
ber Stadtordnung nicht ſchon berührt tft, gehandelt werben.
$ 2. Der Ortsvorftand.
Derfelbe theilte fih in eine rihterliche und eine verwaltende
Behörde, fo daß alſo Juſtiz und Adminiftration von einander getrennt
waren. Erſtere wurde beforgt durch Schultheiß und Geridt,
Iegtere dur Bürgermeifter und Rath. Tiefe uralte Einrichtung
zweier ftäbtifhen Kollegien war in der proviſoriſchen Stadtordnung von
1486 zu ändern verfucht worden. Yon Geriht wurde darin Umgang
genommen und defien Befugnifje dem Rathe übertragen, von dem bei
gerichtlichen Verhandlungen der Bürgermeifter nicht Mitglied war, fondern
der alsdann vom Schultheißen präfidirt wurde. Der ganze Nath wurde
nur bei wichtigen adminiftrativen Angelegenheiten zufammenberufen und
auch manchmal noch, „wenn die Sad) dapffer und trefienlih” war, die
„12 von der Gemeinde” als weiteres Kollegium dazu genommen, die
indefien nur rathen, nicht beſchließen, aber bei der Bürgermeiſterwahl
mitwirken durften, Die gemeinen täglichen Händel jollte der Bürger:
meifter mit den 4 fog. Negenten ohne Zuziehen des Nathes erledigen.
Bon lehtern wurden 2 aus dem Rathe und 2 aus den Zwölfen von
der Gemeinde genommen, und zwar follten es aus beiden Kollegien
die „vernänftigiten, tauglichſten und weifeften“ fein, Diefe Einrichtung
ſcheint fi indefjen nicht erprobt zu haben; denn es wurde ſchon 1487
die Zahl der Negenten auf 2 ermäßigt und fpäter wieder ganz auf bie
frühere Einrichtung zurüdgegangen, als der Privilegienbrief von 1491
definitive Geltung erhielt. Die Kompetenz beider Kollegien, aljo des
Gerichts und Mathe, war indefjen nicht ſcharf abgegränzt, und vertraten
fih audy die Mitglieder derjelben, wenn es nöthig war, gegenfeitig bie
Stellen. Manche wichtige Berathungen und Beihlußfaffungen fanden
in gemeinfchaftliher Sitzung ftatt. , .
A. Schultbeif und Gericht.
Den Schultheiken (päter „Untervogt” oder „Amtmann“) er:
uannte der Landesherr ohne Zuthun der Gemeinde. eine Pflichten
232 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500.
und Defugniffe waren ihm im einer befondern Schultheigenordnung
vorgezeichnet. Laut derielben war ihm mit Hinweifung auf der Stadt
Freiheiten unterfagt, einen Bürger anders, als unter den dort angegebenen
Borausfegungen gefänglich einziehen zu laſſen. Letzteres durfte aber unbe:
dingt geicheben, wenn ein Bürger wegen Schulden oder Vergehungen
flüchtig ging und ergriffen wurde, Blieb Einer wegen Schulden über ein
Vierteljahr weg, fo mußte der Schultheiß durch gerichtlichen Zugriff auf
das Vermögen des Flüchtigen defjen Schulönern zur Zahlung verhelfen.
Per einer Vorladung des Schultheiken „aus Verachtung oder ohne
redliche Urſache“ keine Folge leiftete, durfte vor ihm rechtlich belangt und
wegen Ungehorfams zur Strafe gezogen werden. Gegen Strafen, melde
von Schultheiß, VBürgermeifter, Gericht und Rath erkannt worden waren,
fand, foren fie nicht Leib und Leben betrafen, Appellation an ben
Schultheißen Statt; wurde jedod das erfte Urtbeil beftätigt, fo mußte
der Beklagte eine weitere Strafe von 10 Schilling Pfennig „für feine
Widerſetzlichkeit“ bezahlen, Weigerte er fich defien, fo wurde ihm aus:
gepfändet; im Fall weiterer ARiderfetlichkeit durfte ihn der Schultheik
in den Thurm werfen laſſen. Cingriffe in die Rechte und Freiheiten
ber Stadt waren dem Schultheißen ftreng unterfagt. *) Dem Wegzug
eines Bürgers oder Einwohners durfte er Feine Echwierigfeiten in den
Meg legen, wenn derfelbe dabei die vorgefchriebenen geſetzlichen Formen
beobaditete, Ber Pfändungen und Zugriffen auf Tiegende Güter durfte
der Schultheiß ohne Wiſſen des Bürgermeifters, Gerichts und Raths
gegen den Veflagten nicht vorfahren. Am Schluß der Schultheißenorb:
nung folgen einige Beſtimmungen über gerichtliche Vorladungen, über
die Bedingungen bei Bürgerannahmen, welche ebenfalls Sache des Schult:
heißen waren (ftebe unten), über Schuldffagen ꝛc. — Ueber das Ver:
fahren bei gerichtlichen Pfändungen waren dem Schultheißen, in deſſen
Kompetenz fie hauptſächlich gebörten, ausführliche Vorſchriften ertheilt.
Die betreffende „ Ordnung” enthält die Ueberſchrift: „Wie man nm
Schulden nad der Stadt Recht pfänden, Hagen und angreifen mag,”
mit den Unterrubrifen: Wie man pfänden fol; von fahrenden Pfän—
bern; von lebenden Pfändern; wer des Schultheigen oder Bürgermeifters
1) Daß dies nicht immer befolgt wurde, erhellt aus einer Klagichrift, welche
um 1500 Bürgermeifter und Rath beim Marfarafen einreichten, und worin
fie fih in 13 Klagpunften über das Benehmen des Schultheißen beſchwerten.
Eiftes Kapitel, Stadtverfafiung von 1500. 233
gemachte Ziel nicht Hält; jo Eimer nicht zu bezahlen bätte; auf wen
und wie man Lagen joll; wie Lidlohn bezahlt werden foll; was Lidlohn
ft; von Bezahlung des Hanszinjes; wie Kinder bezahlen ſollen; wie
geſtorbener nd verdorbener Leute Schulden bezahlt werden \ollen; t) wie
fiegende Güter umgefchlagen oder angegriffen werben jollen um verfallene
Gült, ebenfo von Schulden wegen ꝛc.; am Schluß: Feſtſetzungen im
Einzelnen darüber, was fahrende und liegende Güter feien ꝛc. Neben
derartigen Funktionen hatte der Schultheiß die Schlüſſel ſämmtlicher
Thore der Stadt zu verwahren (S. 222), die von der Stadt ange:
ſtellten Thurmknechte, Wächter und Thorwarte im Namen des Fürften
zu beeidigen (©. 222). — Die Zahl der Richter war zwölf,
und wurben diefelben aus der Bürgerichaft genommen. Die Art und
Weiſe der Wahl der Richter beitimmte eine befondere Wahlordnung.
Diefelben wurden jedes Mal Für ein Jahr gewählt. Nach Umlauf
diefer Zeit verfammelten fich ſämmtliche Richter, erhielten vom markgräf-
lichen Landhofmeiſter und Räthen, oder an deren Stelle vom Vogt und
Schultheiß ihren Abſchied und verliefen das Zimmer, in weldem nur
Landhofmeifter und Näthe, oder Vogt und Schultheiß ſammt dem Bür—
germeifter und Stadtfchreiber zurücblieben. Der Bürgermeifter fchlug
nun einen bisherigen Richter zum Mitglied des neuen Gerichts vor, und
wenn die anmwefenden Fürftlihen Beamten gegen denjelben nichts einzu—
wenden wuhten, fo wurde er hereingerufen, vom Stadtichreiber alg Richter
ins Protofoll eingetragen und nahm feinen Plab ein. Diefer erite
Nichter ernannte den zweiten, der zweite den dritten zc., alle aus dem
bisherigen Gericht, und immer mit Genehmigung der anweſenden fürſtlichen
Beamten, bis zehm Richter ihre Plätze eingenommen hatten, Diefe
wählten dann gemeinfchaftlich die zwei noch fehlenden Mitglieder des
Kollegiums, durften dazu jedoch die zwei noch außen ftehenden Mitglieder
des alten Gerichts nicht nehmen. Auf diefe Art mußte ſich das Bericht
innerhalb 6 Jahren nad und nad) neu ergänzen, indem jedes Jahr
2 Mitglieder austraten. Mehr durften es ohne merfliche Urfache nicht
fein; doch follte, wenn ſolche vorhanden, die Zahl der überhaupt aus:
tretenden Mitglieder 4 keinesfalls tberfteigen. — Die Kompetenz des
Gerichts, ſowie das Gerihtsverfahren beftimmte theils die Ge:
rihtsordnung, theils eine Menge einzelner, darauf bezüglicher
E,') Angefangen auf Thomae Apostoli An. 1508,
234 Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500.
Artikel, welche folgende Ueberfehriften führen: Wie um liegende Güter
erkannt werben fol, — wie Einer ben Andern feiner Ehre befagen
mag, — wie das Gericht erkennen foll in Sadyen, bie Ehre betreffen,
— von Belohnung des Gerichts, und zwar: von gewöhnlichen Gerichte:
tagen, von Xeftamenten und Gemächten, von VBerunterpfandung, von
vertagten fremden Parteien, von Verurtheilen won Fremden, von Ur:
theilen, fo die Untergericht holen, von Kaufgerichten, von verjammelten
Gerichten, außerhalb der gemeinen Gerichte, von Kundſchaften der
Bürger; Poenen, jo dem Gericht zugehörig; Belohnung von Untergängen ;
von verganteten Gütern; — von ben Ungehorfamen, fo die verichuldeten
Poenen nicht geben wollen. Es geht daraus, fowie aus dem ziemlich
ausführlichen Nichtereid bervor, daß das Ortögericht die Eivilgeriht®
barkeit in erfter Inſtanz befaß, and verſchiedene polizeiliche
Gefchäfte zu erledigen hatte, ferner die Aufficht über die Waifenpflege
führte x. Davon, daß diefen ftädtifchen Untergericht auch die Rechts—
pflege in Kriminalſachen zuftand, babe ich kaum Beweiſe auffinden
tönnen. Diejelbe fcheint im Gegentheil den hiezu angeftellten fürftlichen
Amtleuten faft in allen Theilen überwiefen geweſen zu fein. Den vor Ge
richt ericheinenden Parteien durften Fürſprecher beratbend zur Geite
ftehen und fie auf Verlangen wohl auch ganz vertreten. Näheres da-
rüber enthielt die „Ordnung der Fürſprecher“, denen die nöthigen
Beftimmungen über „Belohnung der Fürſprecher“ nachfolgten.
Jeder Fürfprecher oder Fürſprech mußte, wenn er nicht rechtzeitig vor Gericht
erfchien, ſechs Schillinge Strafe bezahlen, Wer einen fremden oder andern
Fürſprech, als die gejetten, brauchte, mußte letztern nicht defto weniger
ihren Lohn geben. In gewöhnlichen Streitfachen durfte fein Fürſprech
vor Geriht ohne befondere Erlaubniß deöfelben mehr als zwei Mal
reden und follte fih dabei möglichiter Kürze befleißigen „Ionder Spitz
oder Reit oder Schmähwert der Parteien;“ in ſchweren und wichtigen
Sachen jedoch durften die Fürfpreche reden, fo oft und „did“ fie woll-
ten, damit „Leine Partei gefäumt werde," Keiner durfte dem Andern
in feine Rede fallen mit fpiten Morten bei Strafe eines Schillings
Pfennig; wer ungegründete Klage erhob oder in Schuldfahen eine
größere Summe einklagte, als er zu fordern hatte, wurde um 10 Schil⸗
ling Pfennig geftraft. Wer mit feinem Fürſprech nicht zufrieden war,
durfte einen andern nehmen, jedody nicht den des Gegners. Kein Für:
Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 235
fprech durfte nach Austrag der Sache weder auf der Parteien Koften
in einem Wirthshaus zehren, noch fonft „Koften auf diefelben treiben,”
auch kein Gefchent nehmen. Bon jeder gemeinen Sache durfte der Fürs
ſprech nicht mehr als einen Schilling Pfennig Lohn nehmen; bei wich:
tigern Rechtsſachen erhielt er das Gleiche von jebem Gerichtstage, auf
welchem bdiefelben verhandelt wurden ; doch durfte er ohme ber Parteien
Rath und Willen die Sache nicht hinausziehen, um etwa mehr Lohn
zu befommen, Ein Fremder mußte den doppelten Lohn bezahlen. In
ſchweren Sachen konnte der Fürſprech dem Schultheißen und Gericht bie
Feſtſetzung einer entſprechenden höhern Taxe überlafien. Was ein Für:
fprech außergerichtlich für eine Partei that, darüber hatte er ſich felbft
mit derfelben zu verftändigen; wurden fie nicht einig, fo ſetzte das Gericht
bie Tare feit xc,
B. Bürgermeifter und Rath.
Wie fhon erwähnt, bildeten diefelben den ad miniftrativen Theil
der Ortöbehörde. Der Rath wurde auf gleiche Weije, wie das Gericht
gewählt (fiehe oben), und beftand wie diefes ebenfalls aus zwölf Mit:
gliedern, Geriht und Rath wählten gemeinfhaftlih den Bürger:
meifter, auch immer nur auf ein Jahr. Auch bier fchrieb die mehr
erwähnte Wahlordnung das Verfahren vor. Nachdem ſich alle Richter
und Räthe verfammelt hatten, mußten fie ſammt dem bisherigen Bürger:
meifter ab: und dann nach einander einzeln wieder eintreten, um vor dem
Landhofmeifter und Räthen, oder Vogt und Schultheiß ihre Stimmen
abzugeben, die der Stabtichreiber in das Protokoll eintrug. Zuerſt
ftimmte der alte Bürgermeiſter, dann ein Rath, dann ein Richter,
dann wieder ein Rath u. ſ. f., bis Alle ihre Stimmen abgegeben batten,
Wer die meiften Stimmen erhielt, war für das nächſte Jahr Bürger—
meifter. Den Dienftfreis und die Befugniffe desjelben enthielt einestheils
die „Ordnung eines Bürgermeifters“, anderentheils der Eid,
ben derſelbe bei Antritt feines Amts zu ſchwören hatte. Im erften
Monat feines Amtsjahres mußte er Schultheiß, Gericht und Rath um
fiih verfammeln und eben auf feinen Eid fragen, ob er „inmwendig ober
auswendig ber Stadt etwas gehört ober für fich ſelbſt gedacht oder
236 Elites Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500.
wiſſend hätt, das unſerm gnädigen Herrn, oder der Stadt oder der
Bürgerſchaft zu Nutz oder Schaden komme.“ "Das Alles mußte dann
der Stadtjchreiber notiren, und es wurde gelegentlich durch Gericht und
Rath darüber berathen und die möthigen Beſchlüſſe gefaßt. Der
Bürgermeifter hatte überdies das Gemeindsvermögen zu verwalten, bie
Einnahmen und Ausgaben zu bejorgen, am Echluffe feines Dienftjahres
Rechnung abzulegen und durfte feinem Nachfolger keine Ausſtände hinter:
laſſen. Er hatte die Beſchlüſſe des Gerichts und Raths zu vollziehen,
und follte. „Für fich jelbit wider den Rath ganz nichts handeln, fondern
er foll dem Gericht und Natb ihr Befehl aehorfamen und nicht wider:
wärtig ſein;“ auch follte er auf der Stadt „Freiheiten, Recht und Ge:
wohnbeiten, auch ihre Gerechtigkeit, Gefällt, Nutzung und, Gebau ein
fleißig Auffeben haben.” Ihm lag ferner ob die Aufficht über alle Be:
dienfteten der Stadt, die Handhabung der Polizei in Stadt, Feld und
Wald, gemeinschaftlich mit dem Baumeifter die Aufficht über alle ſtäd—
tischen Gebäude und Neubauten ꝛc. So oft er es für nothwendig fand,
mußte er Gericht und Rath zufammen berufen. Die Beobachtung des
Amtsgeheimmniffes war ihm zur ftrengen Pflicht gemacht. Wie weit be-
züglich mancher Ausgaben feine Kompetenz ging, fieht man daraus, daß
er 3. B. feinen „Bau der Sadt halb für fich ſelbſt ohne Beſcheid Ge:
richts und Raths thun durfte über zwei Pfund Pfennig“ u. dgl. Sein
jährlicher Gehalt betrug 16 Gnlden. — Cine Ordnung des Raths
finde ich nirgends; wohl aber einen „NRatbs: Eid", der jedoch in ganz
allgemeinen Ausdrüden abgefaßt it. Uebrigens ift aus dem Risherigen
ber größte Theil der Amtsbefugnifie des Rathskollegiums fchen zu ent:
nehmen. Durch Schultheiß, Vürgermeifter und Nath wurde z. B.
auch die Brunnenordnung vom 13. Sept. 1526 erlafien, während
bie Baupolizei von Schultheiß, Bürgermeifter und Gericht gehand:
habt wurde.
Nie Schon oben bemerkt, fahen in manchen Angelegenheiten Ge:
richt und Rath gemeinschaftlich, und diefe gemeinfame Kompetenz
fcheint eine ziemlich umfänglihe geweien zu fein. So wurden alle ftäd:
tiſchen Dienfte durch Gericht und Rath beſetzt. Die „Beckhenord⸗
nung“ von 1511 wurde durch Schultheiß, Bürgermeiſter, Gericht und
Rath gegeben, die Mühlenviſitationen wurden ebenfalls durch Abgeord—
nete Gerichts und Raths vorgenommen ıc.
Elftes Kapitel. Stabtverfaffung won 1500, 237
$ 3. Die Gemeindedienfte.
Die Zahl derfelben war ſehr groß. Jeder der Bedienfteten erhielt
jeine einfache, klar abgefaßte Dienjtinftrultion ; auch war jedem derjelben
ein bejonderer Eid vorgeſchrieben, den er bei Antritt jeines Dienftes zu
ſchwören hatte. In diefen Eidformularen waren zum Theil die Dienſt⸗
verrichtungen wieder enthalten, die jedem Einzelnen zur Pflicht gemacht
wurden, nur in etwas abgefürzter Form. Die Dienfteide fingen faft
alle mit den Worten an: „Ihr werdet mit Treuen geloben und zu
Gott dem Allmächtigen ſchwören, unjerm gnäbigjten Herin und der Stadt
getreu und hold zu fein, ihren Nutzen zu fürdern und vor Schaden zu
warnen“ ꝛc. Alle dieſe ſtädtiſchen Dienjte wurden bezahlt, aber in der
Regel immer nur auf ein “Jahr verliehen. Da die Dienjtinftruftionen
fi in der Hauptquelle, woraus diefe Mittheilungen geſchöpft wurden, 1) in
feiner beftimmten Ordnung folgen, fondern darin zerjtreut enthalten find,
jo will ih in Aufzählung der ſtädtiſchen Dienfte die Neihenfolge der
vorgejchriebenen Eide, die Feine zufällige zu ſein fcheint, beobachten, und
bloß noch bemerken, daß diefe Dienfte theils polizeilicher,. theils blono—
miſcher, theils ſonſt anderer Natur waren.
1. Der Stadtſchreiber.“) Gr hatte alle ſtädtiſchen Schrei—
bereien zu beſorgen, und konnte ſich dabei von einem oder mehreren
Gehilfen unterſtützen laſſen. Dieſen war ein beſonderer Eid, der „Sub—
ſtituten-Eid“ vorgeſchrieben, wenn einer von ihnen die Stelle des Stadt—
IHreibers in feinem „Abweſen oder jonjt” vertreten mußte. Weber bie
Belohnung des Stadtſchreibers finde ich Aufihlug in der Anſtellungs—
urfunde von Dioniſius Kejjl3) als Nachfolger Alexander Hugs
(©. 180), dem die Stadtjchreiberei fein Lebtag verichrieben gewest und
noch iſt.“ Diefer Kefjl erhielt jährlich auf Martini 20 Gulden Britt:
bald Schilling Pfennig (1486 hatte die Stadtichreibersbejoldung nur
12 Gulden betragen), dazu 10 Klafter Holz und verfchiedene Gefälle,
mußte fich aber eine balbjährlihe Kündigung gefallen lajien, „wenn er
fi) Erenhalb oder ſunſt jo liederlich vnnd onfängtlich bielte, das es
nit möcht geduldet werden.“ Sonſt war die Anftellung eine lebenslängliche,
') Dem mehrfad erwähnten Kopialbudh.
°) Eine „Stadtihreiberserbnung * finde ich nirgends, wohl aber einen
„Stadtfchreibers:Cio*,
9) Sie befindet fih im ftädtifchen Archiv und ift vom 7. April 1529 batirt.
238 Eiftes Kapitel, Stadtverfaffung von 1500.
2. Der Baumeifter, Derfelbe fcheint neben dem Stadtfchreiber
die wichtigfte Perfon unter den ftädtifchen Bedienſteten geweſen zu fein.
Ich fchließe dies namentlich daraus, daß er nad ber Wahlordnung von
4409 unmittelbar nady dem Bürgermeifter und auf gleiche Weiſe wie
biefer gewählt wurde. Er konnte aus dem Rath oder aus ber Bürger:
haft genommen werden, Im letztern Galle erfolgte feine Wahl auf
unbeftimmte Seit. Der Baumeifter hatte die Oberauffiht über alle
fädtifchen Gebäude, Thore, Mauern, Brunnen, Brüden, die Schoß:
gitter ꝛc. zu führen, (die nächſte Aufficht über die Brüden, Brunnen und
Schoßgitter hatten die anweſenden Nahbarn, bei den Schoßgittern
namentlich die betr. Wafferwerksbefiger ,) gemeinſchaftlich mit dem Bür—
. germeifter oder einem von bdiefem Beauftragten die Weggelöftöde aufzu:
fchließen, an den Jahrmärkten mit einem Mitglied des Gerichts ober
Raths das Stättgeld einzuziehen, die ftäbtifchen Taglöhner und Arbeiter
auszubezahlen, Lebteres jedoch nicht, ohne einen „Gezeugen“ bei ſich zu
haben. Einen Bau, deſſen Anfchlag über 1 Pfund Pfennig betrug,
durfte er nur in Beifein des DBürgermeifters verdingen, ohne Erlaubniß
Gerichts und Mathe durfte er der Stadt feines Jahres über 1 Pfund
Pfennig abverdienen, auch ihr nichts zu kaufen geben oder abfaufen ꝛc.,
(1486 waren e8 fogar zwei „Buwhern“, von denen derjenige, ber das
Geld „innympt vnd vßgipt“, jährlich 3 Gulden, der andere 2 Gulden
bezog ).
3. Die Ungelder, die laut $ 28 der Stabtordnung von ber
Stadt und ber Herrihaft, und zwar abwechſelnd angeftellt wurden, hatten
das Ungeld vom Wein zu erheben. Wegen der Einziehung des Wein:
ungeldes bei Privaten mußten fie alljährlih um Martini in alle Keller
geben. (Die Ohm Wein Foftete 6 Pfennig. Vergleiche $ 20 ber
Stadtordmung.)
4. Der Kornfhreiber mußte das Ungeld von der Mablfrucht
erheben und zugleich die Bäder und Bürger kontroliren, ob fie fein
fremdes Mehl verbadten, beziehungsweife verbaden Tießen. Zu dem
Ende hatte er zwei Bücher zu führen ; in dem einen waren alle Müller
mit ihren Kunden, in dem andern alle Bäder mit ihren Runden
verzeichnet. Jeden Samftag Mittag nah 1 Uhr mußte er auf das
Rathhaus kommen, um fein Ungeld, gleich den übrigen Erhebern des:
jelben, abzuliefern. Dort mußten aud fümmtlide Müller und Bäcker
der gegenjeitigen Kontrole wegen erſcheinen. Das eingenommene Ungeld
Eiftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 239
batte der Bürgermeifter alljährlich mit der Herrſchaft zu verrechnen. —
Der Kornfhreiber bezog einen jährlichen Gehalt von 10 Pd. Pfennig,
5. Der Salzmeffer hatte den Salzverfauf, weldher laut $ 22
des Privilegienbriefs Regal der Herrichaft und der Stadt war, zu be
forgen. Es war ihm zur firengen Pflicht gemacht, Reichen und Armen
gleich zu meflen, (das Salz wurde nämlich damals nicht ausgemogen,
ſondern ausgemeſſen, oder e8 fam in Scheibenform in den Handel,)
gegen Fremde freundlich zu fein und Niemand zu lang warten zu laſſen.
Bei Licht Salz herzugeben, war er nicht verpflichtet, ebenfomwenig am
Sonn = und Feiertagen, ausgenommen am Fremde. Das erlöste Geld
mußte er getreulich abliefern. Machte er ſich einer Verlegung ber ihm
vorgefchriebenen Ordnung fehuldig, oder rechnete er „einen unmäßigen
Abgang”, fo konnte ihm dur Schultheiß, VBürgermeifter, Gericht und
Rath „über Nacht“ der Salzverkauf abgenommen werden. Sein jähr:
licher Gehalt betrug 5 Pfund Pfennig.
6. Die drei Fleifhwäger und der Fleiſchſchreiber mußten
bei jebem Metzger alle Fleiihtage das vorhandene Fleiſch auf der Fleiſch⸗
wage wägen, ſammt der Zahl der Kälber, Hämmel und Schafe auf:
zeichnen und von etwaigen Defrandationen die Anzeige machen. eben
Samstag Nachmittag mußten ſodann alle Metzger aufs Rathhaus
fommen und in Gegenwart des Fleiſchſchreibers nad den Notizen des:
felben das Ungeld bezahlen. Fleiſchſchreiber und Fleiſchwäger bezogen
einen jährlichen Gehalt von je 31/, Pfund Pfennig.
7. Die Weinfiegler und Weinfhreiber hatten jedes Faß
Wein, das in einen Keller gelegt wurde, auf dem einem Boden zu
„verpitfhaften”, jedes Faß, das angeftochen wurde, zu verfiegeln und
feine Größe und den Preis des Weines zu notiren. Jeder bezog dafür
jährlich 34/5, Pfund Pfennig.
8. Die zwei Faßeicher und der Eichſchreiber. Jene mußten
beim Eichen „die Meffer ſtecken“ und nad) erfolgter Eichung die „Kerfen
gegen einander abzählen,“ jede Woche wenigftens ein Mal in die Keller
aller Wirthe und Weinjchenten gehen, um nad den Siegeln auf den
Fäffern zu jehen, und alle Ieeren Fäſſer, die fie vorfanden, alsbald mit-
nehmen und eichen. Bon einem Faß, das bis zu drei Ohm bielt, bes
kamen fie 1 Pfennig, bis zu 6 Ohm 2, über 6 Ohm 3 Pfennig ıc. Der
Eicherlohn in der Altitadt dagegen betrug von jedem „Vierling” auf oder ab
5 Pfennig, von einem halben Fuder 7 Pfennig. Das Maaß der Fäffer
240 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500.
hatte der Eichſchreiber zu notiren. Lebterer hatte ein jährliches Ein:
fommen von 6 Pfund Piennig.
9, Die Brodihauer!) mußten jede Woche ein bis drei Mal
bei Tag ober bei Macht bei jedem Bäder das Brod und zwar ſowohl
zu Hans, als „unter den Hütten oder auf den Brodbänken“ befichtigen,
und wenn es zu Klein, oder verwäflert oder nicht weiß genug war, fo
hatten fie die Befugniß, es zu konfisziren und den Bäder jedes Mal
um 10 Schilling Pfennig zu ftrafen. War dies drei Mal nad einander
geichehen, jo konnte im fernen Wiederholungsfall eine noch höhere Strafe
angefett, ja dem Bäder das Handwerk für eine Zeit lang niedergelegt
werden.
10. Die drei Fleiſchſchauer oder Fleiſchſchätzer, von denen
der eime vom Gericht, der andere vom Rath und der dritte von ber
Gemeinde ernannt wurde, mußten jeden Morgen mit zwei gefchworenen
Metzgern in die Metzig neben und mit denfelben das Fleiſch befehen
und ſchätzen, jegliches nah feinem Werth, Sie batten überhaupt die
Auffiht über den leifchverkauf, und mußten nöthigenfalis den Bürger:
meifter die Anzeige machen, wenn fie etwas nicht in Ordnung fanden.
Fleiſch, das „pfennig (finnig), beinbrüchig oder fonft nicht Kaufmannsgut
oder währichaft“ war, durften fie in der Metzig nicht feil bieten Iaffen,
jondern mußten es aus derjelben auf die fog. „Pfinnbant“ (Finnigbank)
verweifen. Wenn ein Schauer zu ſpät kam oder ausblieb, fo wurde
er geftraft,
41. Der Fiſchſchauer hatte die Aufficht über den Fiſchmarkt.
Wenn er ivgend verbotene Garne, Hamen ꝛc. von fremden ober heimi—
ſchen Fifchern auf dem Markt oder ſonſt auffand, jo mußte er es rügen
und dem Bürgermeifter die Anzeige machen. Keinen Fiſch, der nicht
Kaufmannsgut war, durfte er verkaufen und keinen Salmen oder Lade
ungeſchätzt ausſchneiden laſſen.
12. Der Häringſchauer mußte dem Aufbrechen einer jeden
Tonne Häringe beitvohnen, und wenn die Häringe nicht in der Ordnung
waren, fo durften fie nicht verkauft, fondern die Tonne mußte ſogleich
wieder zugeichlagen werden. Von jeder Tonne zu bejeben erhielt ber
Häringfchauer einen Häring oder einen Pfennig. Bei Strafe von 5
!) Die Ordnung der Brobfhauer enthält einen Zuſatzartikel vom 16. Sep:
tember 1555,
Giftes Kapitel. Stabtverfafiung von 1500, 241
Schilling Pfennig durfte keiner eine Tonne Häringe aufbreben ohne in
Gegenwart eines Schauers.
13. Die Eicher für Meß, Mask, Wag md Gemwidt
durften ihren Dienft nicht anders, denn in Gemeinfchaft beforgen und
mußten dazu das Mufter: Gewicht, Maaß und -Meß beim Bürger:
meifter, der es in einem befondern Tröglein verwahrte, ablangen. Alle
Jahre mußten fie in der Stadt das Gewicht und Maaß bejehen und
probiren und nöthigenfalls umändern, was aber nicht mehr zu Ändern
war, oder ſich zu Hein erfand, zerſchlagen.
14. Die zwei Marktmeiſter mußten die Aufficht über die Märkte
führen, den Verkauf von Allem, was nicht Kaufmannsgut war, verbieten,
alle Vorkäufe vor Beginn des Marktes verhindern, und durften auch nicht
zulafien, daß Einer dem Andern in den Handel fiel ıc.
15. Die Korumeſſer durften feine Frucht, die nicht Kaufmanns—
gut oder des Marktes nicht werib war, verkaufen belfen und fie auch
nicht mefjen, ebenfo keine Frucht, die nicht vorher um eine bejtimmte
Summe gelauft worden war. Sie durften von Niemanden ein Gejchent
annehmen, mußten ehrlich und unparteiiſch meſſen, jeden Betrug anzeigen
und den auf die Stadt kommenden Untheil am Meßgeld getreulih ab-
liefern. Der Ungeldtontrole wegen durfte in feinen Sad mehr, als ein
Malter gemefjen werden.
16. Der Wagknecht mußte alle Frucht auf der jtädtiichen
Wage wägen, bevor fie in die Mühle Fam, ebenjo das aus der Mühle
zurüdtommende Mehl fammt der Kleie; auch mußte er beim Ab: umd
Aufladen behitflich ſein. Dafür erbielt er für einen Sad von 6 Simri
an 41 Pfennig, unter 6 Simri 1 Heller.
17. Der Weinfticher hatte die Aufficht über den Wein zu führen,
ber zu Markt gebracht wurde. Er durfte den Mein, den er nicht ale
Kaufmannsgut erfand, vom Markt zurüchveifen und hatte, wenn er ihn
für verfälfcht bielt, die Anzeige zu machen. Niemand als der Wein
fticher oder die, denen er es erlaubte, durften Wein anftechen und ver:
fuchen Iafien, aber an Markttagen nirgends anders, denn auf dem Markt,
im Winter nicht vor 9, im Sommer nicht vor 8 Uhr. Ein Fremder,
ber Wein zu Marfte brachte, durfte ihn ausſchenken, aber nur auf ber
Achſe; er mußte fein Pferd, Schiff und Geſchirr dabei behalten, jeben
Tag einen Heller an der Maaß abſchlagen und durfte feinen Wein
mehr hinwegführen.
Pflüger, Pforzheim. 16
242 Eiftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500.
18, Die Untergänger waren fowohl Neldmejjer als Mark—
fteinfeger. Von einem Morgen zu mefjen erhielten fie 4 Pfennig,
von einem Stein zu fegen von jeber Partei 3 Pfennig.
19. Die Büttel oder Stadtinehte waren Gerichtsdiener,
Gerichtsvollzieher, Gerichtsboten, Gefangenwärter, Polizeidiener, Aus:
rufer ꝛc. Leder von ihnen erhielt außer feinem Dienfitleid und außer
den Necidenzien jährlih 21 Gulden Lohn. Wer ihnen eine Garbe von
dem Felde gab, der war ihnen für jenes Jahr fein „Fürbietgeld“ vor
Gericht ſchuldig. |
20. Die Biertlente oder Viertmeifter mußten in den
VBorftädten ein fleiiges Auffehen haben auf alle „Spiel, Gezänt,
Hader, Aufruhr und ander Unfuhr,“ ebenjo auf alle werbächtigen Leute
„au Fuß und Roß“, um nöthigenfalls fogleich die erforderliche Anzeige
machen zu können.
M. Die Thorwarte und Thorzuſchließer in der Stadt
und den Vorftädten hatten neben forgfältiger Wache den Zoll und das
Weggeld zu erheben und in die betreffenden Stöde zu legen; ferner
durften fie von jedem Karren Holz, das ein Fremder einführte, eim
Scheit und von jedem Magen zwei Scheiter für fich nehmen. Cine
befondere Inſtruktion hatte der „Obere-Mühl-Thürleins-Zuſchließer.“
22, Die Schar: und Nachtwächter in Stadt und Vorftädten
mußten, wenn fie ihre ftündlicyen Rundgänge durch bie Stadt machten,
die Schlöffer und Ketten an den Thoren rütteln, was fie fanden, aufheben
und am Morgen abgeben, die Stunden rufen, nächtliche Mubeftörer zur
Ordnung weifen oder auch verhaften ꝛc. Die Borftadt : Nachtwächter
hatten denen ber Stadt, wenn fie von der Stadtmauer zu ihnen
berüberriefen oder jchellten, zu antworten, alles Verdächtige ihren
DViertmeiftern oder dem Bürgermeifter anzuzeigen ꝛc. Die Scharwädhter
auf der Mauer wurden jede Nacht drei Mal abgelöst. Der Wächter,
der über St. Michaels Kirchhof ging, mußte dem Wächter auf dem
Schloßthurm jede Naht ein oder zwei Mal zurufen.
23. Der Stadtzimmermann und Stadtmaurer mußten
gemeinfhaftlih mit den Thorwärtern die Thore, Werren (MWehre) und
Zugbrüden, mit den dazu beauftragten Nachbarn die Brüden, Brunnen
und Schoßgitter, mit den Scharwächtern die Stadtmauern in Acht
baben und wenn fie etwas mangelhaft fanden, dem Bürger: oder
Baumeifter die Anzeige machen. Keiner durfte für ftädtifche Arbeiten
Elftes Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500, 243
mehr als zwei Gejellen verwenden; wenn er aber einen Alkord ge
macht Hatte, fo viel er wollte. Gin Meifter erhielt 2 Schilling 9 Pfg.,
ein Geſelle 2 Schilling 4 Pig. Taglohn. Ueberdies durfte der
Zimmermann alle Späne behalten, die unter dritthalb Schub lang
waren.
24. Der Tuch- oder Wollenſchauer mußte, ſo oft er es
für nöthig hielt, das von den Tuchmachern verfertigte Tuch an den
Rahmen oder auf der Tafel nah Farbe, Breite, Stoff ꝛe. unter:
fuchen, ebenfo die Gewichte, Gefchirre und was font zu des Hand:
werls Ordnung gehörte, und wenn er etwas nicht vecht erfand,
jo war ex verpflichtet, Anzeige zu mahen. (Sole Schauer be—
fanden bei allen Zünften und hatten über die ordnungsmäßige Be-
ſchaffenheit der Waaren zu wachen. Der Tuchſchauer möge als Beifpiel
für alle übrigen gelten.)
25. Die Feldſchützen. Ihre Dienftverrichtungen wichen von
den heute üblichen nicht ab. An Lohn befamen fie außer ihrem Anz
theil an den Strafen von den Feldbeſitzern nad Umftänden 4, 2 oder
1 Garben Frudt. ')
26. Die Waldſchützen.
27, Der Schäfer hatte eine ſehr umfaffende Dienftinftruftion,
welche die damalige Wichtigkeit der Schäferei beweist, Eigene Schafe
durfte er nicht über 125 halten, Kein Bürger durfte mehr als 16
Schafe oder Hämmel halten; von Fremden durfte der Schäfer keine
annehmen zc. An Belohnung erhielt er von jedem Schaf oder Hammel
5 Pfennig und von jedem Lamm 1 Pfennig, Dem Schäfer zur Seite
fanden
28. Die Pferhmeifter, nämlich zwei für die Stadt und einer
für die Aliſtadt. Cie Hatten alle auf dem Pferd; bezüglichen Anord-
nungen zu treffen, nach denen ſich der Schäfer richten mußte.
29. Die Hirten. Die Zahl derfelben muß groß geweſen fein,
da das» Vieh ans der Stadt, der Altftadt und den Vorſtädten gefondert
gewaibet werden mußte, und bie einzelnen Viehgattungen abermals ges
trennt waren. Genau war vorgejchrieben, wohin die Pferde, die Kühe,
die Schweine, die Schafe, die Ziegen und die Gänfe getrieben werben
1) Die Feldſchützenordnung ift wie bie meiften andern Orbnungen ohne
Datum, entbält aber einen Nachtrag vom Tonnerftag nad — 1551.
*
24 Elftes Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500.
durften und welche Maiden zum Grafen benützt werben ſollten. Ebenſo
finde ich genaue Bezeichnungen darüber, wie meit fih das Waidrecht
der umliegenden Dörfer erftredte. Den Hirten war ein befonderer Eid
vorgefchrieben. Einen eigenen Eid aber mußten wiederum bie Exderid
hirten ſchwören, mweldye die Schweine in den Wald zu treiben hatten,
wo diefen die Eicheln, Bucheln, wilden Aepfel und Birnen zur Nahrung
dienten. Der Ederich galt nämlich als ein Maftmittel, auf das damals
noch großer Werth gelegt wurde. (Es gebt dies auch aus $ D der
Stabdtordnung hervor.)
30. Der Meßner. Neben dem ürften und der Stadt mußte
er auch den Geiftlihen Gehorſam ſchwören, auf Kirchen und Gloden
fleißig Acht haben, die Kirchen rein und fauber halten, deren Gefäße
und Zierden fleißig verwahren, die Uhren in gehörigem Stand halten
und weder zu früh, noch zu fpät läuten. Sein Jahrlohn beftand in
31/, Pfund Pfennig, die er vom St. Michaels Pfleger erhielt; dazu bie
Aceidenzien.
31. Der Tobtengräber. Er mußte zwei Maße haben für die
Tiefe der Gräber, ein 5t/,ichühiges für Kinder, ein 61/, ſchühiges für
Erwachſene. Gräber in der Kirche mußten aber noch einen Schub tiefer
fein. Kamen mehrere Leihen in ein Grab zufammen, fo mußte für
jebe noh ein Schub Tiefe zugegeben werden. Arme Leute aus dem
„elenden Haus" mußte er umfonft begraben. Leichname von Hingerich:
teten war er zu beerdigen nicht verbunden. Ihm lag die Verpflichtung
ob, den Kirchhof fauber zu erhalten.
32. Der Wafenmeifter. Auf beide MWochenmarkttage mußte
er in das Schindhaus geben, um die Ausihindlinge hinweg zu tragen.
Erfuhr er, daß in einem Ort zwei Rinder oder zwei Kühe gefallen
feien, fo mußte er die Mebger darauf aufmerffam machen; ftarben aber
in einem Drte ſchnell nacheinander drei Rinder oder Kühe, fo mußte
er ben Mebgern bdenfelben verbieten, und dies Verbot blieb fo lange in
Kraft, bis innerhalb ſechs Wochen und drei Tagen daſelbſt Fein Vieh
mehr gefallen oder erfranft war. Für das Abziehen ıc. eines geftorbenen
Stüdes Vieh erhielt er feinen vorgeichriebenen Lohn, mußte aber dem
Befiger die Haut ins Haus liefern, Von diefem Lohn mußte er jedes
Jahr auf Martini dem Nachrichter in Baden den Gulden bezahlen, den
die Stadt demſelben zu entrichten ſchuldig war.
33. Der Shulmeifter. Alle Schüler, die über 14 Jahr alt
Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 245
waren, mußte er dem Fürften und der Stadt Treue ſchwören laffen und
bie Kinder jämmtlicher Bürger und Fremden nad; beftem Verſtändniß
und zu ihrem Nusen und Künften, guten Sitten und Tugenden lehren
und unterweiien. Er ſelbſt jollte jeinen Schülern mit gutem Beifpiel
verangehen, ſich nicht mit weltlichen und ungebührlichen Händen unter
die Laien mischen, zu keinem Tanz, auch ohne redliche Urfache des Nachts
nicht auf die Straßen geben, daſelbſt nicht bofiren, (!) noch andere Un:
gebühr treiben, aud Fein Spiel-thun ꝛc. Von den Schülern bezog er
fein Schulgeld, nämlich auf Frohnfaften von jedem Kind 2 Schilling
Pfennig, von armen Kindern aber nur 1 Schilling Pfennig und an
Dftern 50 Eier oder dafür 10 Pfennig; fonft durfte er fie, mit Aus—
nahme eines Scyeites Holz, das jedes Kind während des Winters all-
täglich bringen mußte, (oder ftatt defien für die Dauer eines Winters
1 Pfennig), mit andern Forderungen, als Oefen- Fenftergeld ꝛc. nicht
bebelligen; ebenjo von feinen Helfern keine Beſchwerung der Schüler
leiden, ausgenommen, wenn fie denjelben bejondere Unterrichtsftunden
ertheilten ꝛc. Wie jeder andere ftädtifche Bedienſtete mußte auch der
Schulmeiſter jedes Neujahr von Neuem „um die Schule bitten.“ Aug
Orten, wo anftedende Krankheiten herrſchten, durfte er feinen Schüler
aufnehmen.
34. Die Windwächter mußten bei entjtehenden ftarfen Winden
die ganze Nacht bindurd alle Straßen der Stadt durchgehen und auf
etwaige Feuersgefahr Acht geben, Gegenjtände, welde der Wind von
ben Häufern auf die Straßen geworfen hatte, aufheben und dem Eigen:
thümer wieder zuitellen ꝛc.
35. Der Stadtfäger. Er war zur Beforgung der der Stadt
gehörigen Sägmühle geſetzt und erhielt für das Sägen von Borden,
Latten ꝛc. die vorgefchriebene Belohnung. Der Lohn von Privaten,
welche die ſtädtiſche Sägmühle benüßten, fiel zur Hälfte der Stadt zu.
36. Der Biebjhauer 1) Hatte alles gefallene Vieh zu befichtigen
und jogleic die Anzeige zu machen, wenn ſich etwas Verdächtiges vorge
1) Diefe Stelle, jowie aud die Mehrzahl ber folgenden, ſcheint erft ſpäter
freitt worden zu fein. Es jtammen überhaupt die Eide, welche den woch fol-
genven und theilweiſe auch dem bisherigen Angaben zu Grunde Liegen, aus
fpäterer Zeit. (Sie flehen nit im Kopialbuch, jonbern auf zeritreuten Blät-
tern, die in demſelben liegen.)
246 Elftes Kapitel. Stadtverfaffiung von 1500.
funden. Er mußte überhaupt die „bei dem Nindvieh, Pferden, Schafen,
Schweinen und anderm im gemeinen Leben vortommenden Vieh obwaltenden
Krankheiten fleißig erforihen und die Merkmale, woraus die etwa vor:
handenen Mängel ficher abzunehmen, aud; wohl befannt machen“, die
Urkunden und Xtteftate gewilienhaft ausftellen und namentlich bei brohen-
ben Seuchen alle Mafregeln treffen oder veranlafien, welche die Verbrei-
tung berfelben verbindern konnten,
37. Der Waghausinſpektor mußte auf die im Waghaus be
findlihen Waaren Acht haben, Wag und Gewicht in Ordnung halten,
jedem Fremden und Einheimischen auf Verlangen feine Waare getreulich
wägen, von Zeit zu Zeit das Gewicht prüfen und das mangelhafte in
gehörigen Stand bringen laſſen, das Waggeld erheben und auffchreiben,
und der Stadt wie der Herrihaft den daran gebührenden Antheil all:
jährlich abliefern,
38. Der Hanfwäger hatte Ähnliche Funktionen.
39. Die Stadtprofuratoren hatten die Verpflichtung, jedes
Mal, wenn’ es nöthig war, vor dem Oberamt und Bürgermeifteramt
pünktlich zu erfcheinen, jeden Klienten nach beftem Wiſſen zu be:
rathen, Alles gewifienhaft vor Gericht mündlich oder jchriftlich vorzutragen
und Niemand über die gefegliche Belohnung zu fordern, die Ordnung
bei Taufen, Hochzeiten und Leichen zu überwachen, bei Todesfällen bes
bufs der Obfignation fogleich dem Stadtfchreiber die Anzeige zu machen,
bei Anventuren und Theilungen als Taratoren zu fungiven, anvertrautes
Geld getreulich zu verwalten ꝛc.
40. Die Holzmeſſer.
41, Der Heubinder. Jeder Bund Heu mußte 24 Pfund
wiegen ac.
42. Der Keuerfhauer.
43. Die Wingertbüter.
44, Der Armentrantenwärter hatte über das Seelhaus
(S. 163), die Kreuzkirche und den anftopenden Gottesacker die Aufficht
zu führen und diejelben in gutem Stand zu erhalten, die Uhr im der
genannten Kirche aufzuziehen und zu richten, die ihm übergebenen Ge:
räthe, Bettgewand ꝛc. zu reinigen und in gutem Stand zu erhalten, die
im Seelhaus aufgenommenen Armen menfchenfreundlih zu behandeln,
bie Kranken zu pflegen ıc.
Eiftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 247
$4 Die Bürgerfdaft,
Bergleihen wir den Eid, den die Bürgerichaft Pforzbeims im
Jahr 1348 ihren Fürften hatte ſchwören müſſen (©. 96), mit den
Beitimmungen des Privilegienbriefes von 1491, worin volle Freizügigkeit
geftattet, jede Art von Frohndienſt, Schatzung, Steuer ꝛc. aufgehoben
und die Dürgerjhaft überhaupt auf alle Weife „gefreit“ war, fo
fann uns nicht entgeben, wie fehr ſich die Verhältniſſe zum Bortheil der
Bürger geändert hatten. Mußte doch nad der meuen Ordnung jeder
Bürger jchwören, daß er keinen „nachfolgenden Leibesherrn“ (d. h. keinen,
ber von früher Anſprüche auf ihm machen könne,) habe und namentlich
aller Leibeigenſchaft ledig feil Nirgends finden wir auch eine
Spur mehr von Verbindlichkeiten und Dienftleiftungen, wie diefelben mit
dem Verhältniß der Leibeigenichaft zuſammenhiengen.
Es ift oben des Bürgereides gedadyt worden. Derſelbe enthält
außer dem erwähnten Eingang das Veriprechen, fih nad der Stadt
Drdnung zu richten, ohne Erlaubnig des Schultheigen (Untervogts) nicht
wegzuziehen, ohne den im Privilegienbrief vorgejchriebenen Verpflichtungen
nachgekommen zu fein. Ferner mußte beſchworen werden, daß das vorgezeigte
Gewehr Eigenthum und nicht entiehnt fei, und daß es der betreffende
Bürger nicht verkaufen wolle. Der Schultbeiß, der die Bürgerannahmen
zu beforgen hatte, durfte nämlich feinen annehmen, der nicht jein Mann:
recht (d. h. Freiheit von Leibeigenichaft), ziemliche Habe, einen Harniſch
und ein Gewehr, damit er für die Noth gerüftet jei, befaß. Daß biefe
Bedingungen noch lange aufrecht erhalten wurden, erjehen wir aus den
Rathsprotokollen des folgenden Jahrhunderts, worin ausdrüdlih gejagt
ift, daß jeder aufzunehmende Bürger fein Mannrecht beweifen müſſe und
keiner fein Bürgerrecht antreten dürfe, ev habe denn zuvor fein Gewehr
präfentirt und feine Schuldigkeit (wegen Bürgerannahme) entrichtet.
Ebenſo durfte auch keiner beirathen, der nicht vorher fich feine Waffen
anfchaffte, und diefe konnten einem Bürger, der zahlungsunfähig wurde,
fo wenig, als jein Handwerkszeug genommen werden, Bezüglich der
Wehrhaftigkeit der Bürger hatten die fürftlichen Amtleute überhaupt
fireng darauf zu jehen, daß, wie es in ber Landesordnung von 1495
heißt, „die Unfern mit ihrem Harnifch, Gezelten, Neiswägen, Gewehren
und Anderm zum Krieg, desgleichen mit Leitern, Haken, Eimern und
anderer Bereitfchaft zu Feuersnöthen allweg und in fteter Nüftung be>
248 Elftes Kapitel. Stabtverfailung von 1500.
ftellt und geordnet ferien.” Aber aud in Friedenszeiten mußten die
Bürger, wenn e8 die Noth erforderte, „nacheilen und retten” (S. 230),
im Falle die Stadtknechte allein nicht fertig werden konnten. So lange
die betreffenden Bürger auswärts und ihrer nicht über 15 waren, erhielt
jeder „für einen Tag und eine Nacht, für Lieferung und alle Ding“
3 Schilling Sold; bei größerer Zahl war man ihnen zu verabreichen
nichts fchuldig, wenn nicht Gericht und Math aus befonderer Urſache
anders beichloffen. Zu Kriegszeiten durfte fein Bürger ohne Urlaub
des Schultheißen auf einen Jahrmarkt ziehen; wenn es nothwendig er:
fchien, Konnte der Schulthei die Bürger, die das thun wollten, „mit
Drdnung eines Hauptmanns und mit ziemlichen Gewehren“ dahin ziehen
laſſen. — Das Bürgereinfaufsgeld betrug laut Privilegienbriefs
3 Schilling Pfennig; einen davon erbielt die Herrichaft, den zweiten bie
Stadt und der dritte fiel den Bütteln zu (S. 222). Jeder Bürger war
zu allen Nemtern wählbar, wenn auch das aftive Wahlrecht ein beſchränktes
war. Doch wurden jedenfalls auch Gericht, Math und Bürgermeifter
urfprünglid von der ganzen Gemeine gewählt.
Daft die ganze Bürgerſchaft in Zünfte eingetheilt war und bdiefe
auch einen militärifchen Zweck hatten, ift früher ſchon (S. 124) bemerkt
worden Wie groß die Zahl derfelben im 15. und 16. Jahrhundert
war, ift nirgends angegeben; wohl aber ift fpäter immer von 24 Zünf:
ten die Rede. Daß dazu chen um 1500 die der Metger, Bäder,
Wirthe (und Kaufleute), Flößer, Fiſcher, Schneider, Schuhmacher, Küfer,
Goldſchmiede (und Glaſer) u. A. gehörten, gebt aus den unten folgen:
den Gewerbeordnungen hervor.
55. Polizeilihe Einrichtungen unb Anordnungen.
Manche derfelben find chen im Bisherigen, namentlich auch in ber
Stadtordmumg ſelber berührt worden, da die amtlichen Verrichtungen
jehr vieler Bedienfteten polizeilicher Natıır waren. Indeſſen wurden
dabei mehr die Perfonen als die Sache berücfichtigt; andere Verhältnifie,
die im dem vielgegliederten ftädtiichen Gemeinweſen von großer Wichtig:
feit waren, konnten dort weniger berührt werden, fo daß eine befondere,
wenn auch gedrängte Darftellung derfelben notbwendig erfcheint, um das
Stadtbild, defien Ausmalung der Zweck diefes Kapitels ift, zu ergänzen.
Elftes Kapitel. Stabtverfaflung von 1500. 249
Am beften laſſen fi jene polizeilichen Einrichtungen und Anorb:
nungen in ſolche, welche mehr allgemeiner Natur, waren, und in
ſolche, welche auf befondere Verhältniffe, wie 3. B. auf das Gewerbe:
weien Bezug hatten, eintheilen.
A. Ullgemeine Polizei.
1. Feldordnung.
Das, mas fich aus dem mehrerwähnten Kopialbuche unter dieier
Ueberſchrift zufammenfaffen läßt, befteht aus ſechs verſchiedenen Artikeln,
welde folgende Meberichriften führen: Vom Bau des Feldes und Zu:
adergeben, von der Feldalmend, von Feldbäumen, vom Wegfchneiden in
der Ernte, vom Wegmäben, von Feldrügungen. jeder diefer Artikel
zerfällt wieder in einzelne „\tems oder Paragraphen, welche meiſtens
Verbote enthalten und denfelben die auf die Lebertretung geſetzten Stra:
fen beifügen. So mußte 3. B., wer chne Erlaubniß über einen einge
füeten Ader fuhr, 10 Schilling Pfennig, wer von einer Almend jich
etwas aneignete, 2 Prund Pfennig, wer ohne Erlaubniß des Bürger—
meifters einen Baum auf feinem Feld umhieb, 10 Schilling Pfennig
Strafe bezahlen ꝛc.
2. Waldordnung.
Un hierher gehörigen Beitimmungen finde idy nichts, als einen
Artikel, überfhrieben: Von der Stadt Waldeingung. Er enthält u. A.
die Beftimmung, daß, wenn ein „gemeiner Hau“ erfolgte, der Platz
eine Zeitlang von dem Vieh gehegt werden follte, damit der Wald
wieder wachie; ferner, wer ftehend Holz abbieb, fo groß als ein Geiſel—
fteden oder größer, mußte Strafe oder MWaldeinigung im Betrag von
171, Schilling Pfennig bezahlen ꝛc. Wer aber in der Nacht oder
Morgens ohne Erlaubnik im Wald Holz bieb, wurde gerichtlich geitraft.
3. Marftordnung.
Jede Woche waren zwei Wohenmärfte, am Mittwoh und
Samftag, beide mit urfprünglich gleichen Freiheiten. Das wurde aber
fpäter 1) dahin abgeändert, daß nur der Mittwoch ganz frei fein, am
Samstag dagegen ein fremder Krämer auf erhobene Klage nicht feil
ı) Auf Montag nach Aubilate 1556 durch Beichluß des Schultheißen,
Bürgermeifters, Gerichts und Raths.
250 Elftes Kapitel. Stadtverfafjung von 1500.
haben dürfe, damit „ben Bürgern nicht das Brod von dem Mund ab:
gejchnitten werde.“ A Gegenftände, die zu Markt gebracht wurden,
durften nur auf dem Markt ſelbſt verfauft werden, und fein Thorwart
ober Zuhüter durfte ſich unterftehen, unter dem Thore etwas an Schmalz,
Käfe, Eiern, Hühnern, Vögeln, Obft u. dgl. zu faufen oder zu beftellen,
Ebenfo durfte auch fein Händler, und zwar Sommers (von Georgi bis
Michaeli) vor 10 Uhr und Winters (von Michaeli bis Georgi) vor
{1 Uhr bei Strafe von 5 Schilling Pfennig Etwas kaufen oder beftellen,
und aud an andern Tagen mußten die Waaren zuerjt wenigftens zwei
Stunden feil geboten worden fein. Jeder Bürger, der feil Gut über
einen Gulden an Werth Faufte, mußte Andere auf Verlangen am Kauf
Theil nehmen laſſen, damit „feine Theurung gemacht werde.” Mas
ben Frucht markt betrifft, fo durfte Keiner, geiftlich, weltlich , fremd
oder einheimifch bei Strafe von 1 Pfund Pfermig „Fruchtred haben
oder feilfen”, fo lang das Marktfühnlein noch ausgeftet war. Alle
Fruchtläufe durften nur im Kaufhaus geſchehen. Kein Bäder noch
Anderer durfte mit unbeftimmten Worten, wie: was die Frucht gelten
werde, jo viel wolle er auch zahlen u. dgl. kaufen, fondern er mußte
immer mit beftinnmten Worten erklären, wie viel er geben wolle. Müller
und Verkäufer durften ohne befondere Erlaubniß des Bürgermeifters
vor 12 Uhr keine Frucht kaufen. Wer größere Quantitäten Frucht
kaufte, mußte Andere auf ihr Berlangen daran Theil nehmen lafien.
Roggen oder Dinkel jollte vor dem Hafer ausgemefjen werden. Wer
einen Sad, voll oder leer, auf den Zahltiſch legte oder jtellte, mußte
dafür 5 Pfennig Strafe zahlen ꝛc. Die Fruchtverkäufer durften ihr
eigen Maaß mitbringen, doch mußte es vor dem Gebrauch in der Stabt
geeicht werben. Wer Fein eigenes Maaß mitbrachte, durfte nur das ber
Stadt benußen, mußte aber 1 Pfennig bezahlen; dafür befam er auf
einen Tag „ein Simmerin, ein halb Simmerm und einen Vierling.“
Veber die Vieh: und Jahrmärkte finde ich wenig, von letztern nur
ben Betrag des Standgeldes für Tuchkrämer und daß ihrer jährlich 4
gehalten wurden. — Die Ordnung des Marktes bandhabten zwei
Marktmeifter (S. 241).
4, Brunnenordnung. ‘)
ı) „Dur Schultheiß, Bürgermeifter und Rath fürgenommen und beichloj:
fen auf den 13. Sept. Anno domini 1526.”
Elftes Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500. 21
Bon einem untergeſetzten Kübel durfte Niemand weglaufen, und
ben vollen mußte man gleich binmwegtragen. In die Brunnenkäften durfte
fein Fiſchkorb gelegt, darin kein Tuch genebt, fein Stockfiſch, Häring,
Reif, Beſen, Schaub, Geſchirr u. dgl. geftoßen oder gewaichen, babei
fein Kraut, Wendel, Fenfter, Kübel, Zuber, Schub u. dgl. gewaichen
und zu den Brunnen kein Feget, Wuft, Mift u. dgl. getragen noch ge:
fehlittet werden. Auf alles Zuwiderhandeln waren angemeifene Gelb:
ftrafen geſetzt. Die zwei nächiten Nachbarn eines jeben Brunnens hatten
barüber zu wachen, daß derſelbe ſich (S. 238) immer in gebörigem
Stand befand, und im entgegengefeßten Fall bem Bürger: oder Bau:
meifter die Anzeige zu machen.
d. Bauordnung. (Bom Bau von Häufern und FE
Ver einen Neubau aufführen wollte, durfte den alten nicht eher
abreigen, bevor er von Schultheiß, Bürgermeiſter und Gericht oder ben
bon ihnen dazu Geordneten bejehen worden war, damit "der neue Ban
auf der Almend nicht weiter vorgefegt werde, als der alte, in Ueber:
ſtoß an einem Haufe durfte ohne Erlaubniß nicht über 11/, Schub
berausgehen, und war in engen Gafien beim unterften Stod gar nicht
geftattet. Wer gegen einen Nachbar Traufrecht haben follte, mußte wie
diefer 14/, Schuh Tiegen laſſen, wenn nicht Recht und Billigkeit es
anders verlangten, Unterfagt war, ohne befondere Erlaubnik des Schult:
beißen, Bürgermeifters und Gerichts Abtritte in Winkel zu richten, wo
vorher Feiner geweien, Waſſerſteine in eine gangbare Straße zu richten
ohne Kanal am Haus berunter, dem Nachbarn ohne deſſen Bewilligung
„ein Geficht ins Haus zu machen”, das Licht zu verbauen, auf feinen
Nachbar „zu fhütten oder zu werfen ohne befondere Gerechtigkeit oder
redliche Urſache.“ Ein „Geſicht vom Himmel herab“ konnte jebech nicht
verwehrt werden. Wer ohne Berechtigung auf einen Almendplat battte,
mußte den Bau binnen Monatsfrift wieder abthun, — Die Landesord-
nung von 1495 enthält überdies folgende baupolizeiliche Beftiimmungen :
Jeder Neubau muß wenigftens Eniehoch von der Erde untermanert ſein,
damit die Schwellen nicht fo bald faulen. Alle alten und neuen Ge
bäude follen mit „Leimen, Schornfteinen und fonften Feuers halber ver:
jehen fein.“ Zwei vom Gericht müflen jedes Jahr wenigſtens zwei
Mal behufs der Feuerfchau ꝛc. umgeben.
252 Elftes Kapitel. Stadtverfaiiung von 1500.
6. Reinlihfeitspolizei. !)
In den Straßen durfte von Niemand, der einen eigenen Hof oder
Miftplap hatte, Mift gemacht werden, und überhaupt kein „Gefperr“
ftattfinden, (mit Ausnahme einiger Häuferbefiter); ebenfo mußte der Plat
beim Schleifthor in: und auswendig der Stadt umbelegt und unverfperrt
bleiben, mit Ausnahme von Holz oder Dielen, die man, drei Tage da:
ſelbſt aufgefeßt Lafjen durfte „Kerich, Gemüll, Aſchen, zerbrochene
Häfen“ ꝛc. durfte man nicht auf die Straßen und in Winkel werfen,
ebenjo wenig „einig todt Thier, Schelm, Hund, Katzen, Schwein, Gäns,
Hühner, Natten, Mäuß u. dgl.“; eritere Gegenjtände mußte man vor
die Stadt hinaus (in die „Krüpfen bei der Bleichftaffel“) tragen, letztere
entweder ins Maffer werfen oder dem Wafenmeifter abliefern. (Bon
Waflerfteinen und Priveten fiehe Bauordnung.) Fließende Kloaken durf-
ten nur bei großem Negen, und wenn das aladann nicht geſchah, jedenfalls
nur bei Nacht gereinigt werden. Andere zu bejchütten, bei Tag oder
Nacht, oder zu bewerfen, namentlich wenn die betr, Perfonen bei Nacht
ein Licht trugen, war bei Strafe unterfagt. In jeder Gafje waren ein
ober zwei Bürger aufgeftellt, „ein Auffehen zu haben“ und Ungehörig-
keiten dem Bürger: oder Baumeifter anzuzeigen,
T. Siderbeitspolizei.
Ich finde bierüber nur zerftreute Beftimmungen, von denen bie
meisten in den Dienftinftruftionen und den Eiden der Büttel, Schar:
wächter zc. enthalten und ſchon zum Theil berührt worden find. Es
gehört hierher noch: Man durfte Niemanden ohne Erlaubniß des
Schultheißen oder Bürgermeifters länger als 8 Tage beherbergen.
8. Maaß und Gewidt.
Nah vereinzelten Angaben und darauf geſtützten Vergleichungen
und Berechnungen betrug :
Längenmaaß: eine Ruthe — 16 Schub oder 8 Pforzheimer
Ellen; ein Schub — 12 Zoll, Dabei die Bemerkung: „Die Längen
der Ruth findet man am Glockenthurm zu St. Michael gegen der Gruft
bei der Ziegelformb.“ (Dies ift, fo viel mir bekannt, auch beim Ein-
1) „Ordnung des Mifts, Keritt, der Wafferftein und Priveten“
(ohne Datum). Ferner: „Ordnung Miſts“, duch die Rathéverordneten
in Beifein bes Kanzlerd Oswald Gutt, des Vogts Volder von Uetzlingen
und des Dr. Marquard, allen fürſtlichen Räthen, verfaßt auf Dienſtag nach
Pfingſten 1539.
Eiftes Kapitel. Stavtverfaffung von 1500, 253
gang im das Freiburger Münfter der Fall.) Bei wen man eine Elle
fand, die um zwei Heller zu kurz war, wurde um 11/, Schilling ge:
firaft; 3 oder 4 Heller zu kurz koſteten 5 Schilling; noch mehr zu
furz zog gerichtlihe Strafe mad ſich. In der Stadt durften Ellen:
waaren nur nad Ellen verkauft werden, welche der Stadt Zeichen trugen.
Klaftermaak: Jedes Klafter mußte 61, Schub hoch und
61/, Schuh weit oder breit, jedes Sceit Holz 41/, Schub lang fein.
Ungemeffenes Holz durfte nicht — auch nicht verſchiedenes Holz
vermiſcht werden.
Getreidemaaß. Ein Walter hatte 8 Simmerin, 1 Sim:
merin faßte 4 Imi oder 4 Vierling oder 3 Dreiling. Von rauber
Frucht (Spelz, Haber) hatte das Malter 10 Simmerin.
Flüſſigkeits maaß. Eine Ohm betrug 12 Biertel, ein Viertel
6 Maaf.
Gewicht Genaue Beitimmungen darüber finde ich nicht; es
fheinen indeß bie verſchiedenen Gewichtsabitufungen dieſelben wie beut
zu Tage (Zentner, Pfund, Loth, Quinichen, Gerftenkörner) geweſen zu
fein, ebenfo ihr Verhältniß zu einander, Ob ber fpätere Unterſchied
zwifchen Frohngewicht und Kramgewicht (meld letzteres etwas
leichter als erfteres war,) ſchon beſtand, vermag ich nicht anzugeben. —
Die Krämer durften an Wagen und Gewichten fein Blei, Eifen ober
Stein zc. hängen bei Poen von 1 Pfund Pfennig, War ein Pfundge
wicht um 1/, Loth zu leicht, fo zog das eine Strafe von 3 Pfund
Pfennig nach fi); ein ganzes Roth koftete 5 Pfund Pfennig; noch mehr
wurde gerichtlich beitraft,
B. Beſonbere Polizei.
Diefelbe umfahte, wie ſchon oben bemerkt, die verfchiebenen Ge:
werbeordnungen. Diefe wurden natürlich nicht alle auf ein Mal
gegeben, auch nicht auf längere Zeit unabänderlich feftgefegt, ſondern
erhielten nach Bedürfniß und Umpftänden zeitgemäße Zuſätze und Um:
wandlungen, weshalb fich beifpielweife in dem vielerwähnten Kopialbuche
neben der von Schultheiß, VBürgermeifter, Gericht und Rath im Jahr
4511 gegebenen „Beckhenordnung“ nod eine alte „Bedhenorb:
nung von der Cantzley geben“ von 1506 findet. Bon allgemeinen
254 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500.
Beitimmungen über das Gewerbsweien ftoße ich auf wenige, jo auf das
Verbot der Benübung auswärtiger Handwerksleute ohne Erlaubniß des
Bürgermeifters bei Strafe von 10 Schilling ‘Pfennig u. ſ. w. Alle
Gewerbeordnungen bier vollftändig mitzutheilen würde natürlich zu weit
führen. Ich beſchränke mich deshalb auf die wichtigen und gebe
das Mefentlichfte derielben im Auszug. Meine Quellen enthalten deren
folgende: Müller:, Bäder:, Mebger:, Wirths:, Würzkrä—
mer:, Fiſcher-, Flößer:, Ziegler, Dahdederordbnung.
Nach einem noch eriftirenden Verzeichniß deſſen, was das ſtädtiſche Archiv
vor 1689 enthielt, fanden fi in der Lade B. B.: Ordnungen aller
Handwerke, davon fpeziell angeführt: Deß ſchnyderhandtwerkhs, ber
ſchuhmacher, der Bader (gar Allt), des Eueffer handtwerkhs u, j. w.
1. Müllerordnung.
Nach verfchiedenen Beftimmungen über die Art und Beichaffenheit
der Getreidemaafe der Müller, die Mühlfteine und fonftige Mübleins
richtungen wird ihnen das Kaufen von Frucht im Haus oder auswendig
der Stadt ohne beiondere Erlaubniß des Bürgermeifters, aber auch in
dieſem Fall nur zu eigenem Gebraud, nicht um fie wieder zu verlaufen,
bei hoher Strafe unterfagt, ebenfo die Annahme und das Mahlen von
Frucht ohne erhaltene Wortzeihen (S. 223), und wenn damit die
Fruchtmenge nicht übereinftimmte, jo mußten fie die Anzeige machen,
Leder Müller durfte nur feinen Kunden mahlen. Er durfte feinen
Mühlknecht nod Lehrling länger als acht Tage behalten, ohne daß der
felbe dem Schultheißen gelobt hatte, die Ordnung des Ungeldes zu bes
obadyten. Der den Mühlfnechten vorgeichriebene Eid war ein fehr and
führliher. Sie mußten fich darin verbindlih machen, den Müller des
Ungeldes wegen zu Fontroliren und nicht ohne Urlaub des Schultheißen
hinweg zu wandern. Auch die Frauen, Kinder und Dienftboten der
Müller mußten ſchwören, ohne die Meifter oder Knechte Feine Frucht
anzunehmen (S. 2235). Die Müller mußten die Frucht aus den Kun
benhäufern abholen und das Mehl wieder dahin verbringen Che aber
die Frucht in die Mühle kam, mußte fie auf der ftädtifchen Wage durch
den dazu beftellten Wagfnecht gewogen werben, ebenfo, wenn Mehl,
Kleie ıc. aus der Mühle zurückkamen. Molzer und Abgang durften
von einem Malter Kernen 16 Pfund, von gemiſchter Frucht 15 Pfunb
und vom Roggen 14 Bund betragen. Ohne Willen und Willen bes
Eigentümers durfte keine Frucht genegt werden, Geſchah es, jo mußte
Elftes Kapitel. Stebtverfaflung von 1500. 255
der Müller den Wagknecht in Kenntniß ſetzen, um ben Abgang darnach
bemefjen zu Fönnen An Mülter oder Molger durften fie nehmen:
Bon einem Malter Kaufternen einen gebäuften Vierling Kernen
und einen geftrichenen Vierling Mehl; von einem Malter Gerbfernen,
den man mahlt und gerbt, 4, Simri Kernen und einen geftrichenen
Vierling Mehls; von einem Malter Roggen oder gemifchter Frucht
1/, Simri geftrihen und kein Mehl; von einem Malter Haber, zu
Mehl gemahlen, 1 geſtrich. Vierling Mehl. ferner von einem Malter
Dinkel zu gerben 2 Pfennig; von einem Malter Kernen oder Roggen
zu beuteln 1 Kreuzer. Sämmtliche Mühlen mußten jährlih 2 bis 4
Mal durch Abgeordnete Gerichts und Raths vifitirt werden (S. 236).
2. Bäderordnung. 1)
Ein neuangehender Bädermeifter mufte das Mann: und Bürger:
recht haben und als Einftand 4 Pfund Heller und eine „mäßige Kan:
ten”, ſowie der Herrfchaft 10 Schilling Pfennig „Hüttenzins“ geben.
Er mußte der Meifter Stubentnecht fein und ihnen Wein und Brod
zutragen, bi® ein anderer neuer Meifter an feine Stelle kam. An ge:
botenen Feiertagen durfte vor der Predigt nicht ausgetragen werden.
Die verordneten Meifter und Stubenmeifter mußten jedes Jahr Rech—
nung ablegen. Kein Meifter durfte von einem Lehrfnaben weniger
Lehrgeld nehmen, als 3 Pfund Pfennig; außerdem hatte dieſer „ge:
meinem Handwerk” zu geben eine mäßige Kanten und 1 Pfund Wade
oder 21/, Schilling Pfennig, und den Knaben auch 1 Pfund Wade
ober 21/, Schilling Pfennig. Kein Meifter durfte einem andern einen
Knecht abdingen, auch keinen nehmen, der, wenn er vorher einem andern
Meifter irgend Schaden angerichtet, diejen nicht zuvor erſetzt hatte. Die
Beftimmungen über „Fruchtkauf von Bädern und Müllern“, von ber
„Bäder Schwein und wohin fie die treiben follen“, von der „Bäder
und Müller Metzeln“ — mögen hier Üübergangen werden. Alle Tage,
mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen, mußten die Bäder frifches
Brod haben, und dasjelbe unter „den Hütten“, d. 5. in einem gemein-
ſchaftlichen Verkaufhaus gleich ben Metzgern feil bieten. Zu Haus durf-
ten fie nur an Fremde und ausnahmsweiſe zur Nachtzeit verkaufen,
Das gewöhnliche Brod bejtand in Zweipfenniglaiben und Hellerweden,
') Bon 1511, mit Zufägen v. 12. Eept. 1558, 13. Nov. 1562 u. 14, Mai
1582, und Hinweiſung auf eine ältere Bäderorbnnung von 1506.
956 Elftes Kapitel, Stadtverfaſſung von 1500.
im Falle eines Fruchtaufſchlags auch in Vierpfenniglaiben, doch nur mit
Erlaubniß des DBürgermeifters, Die Preife änderten ſich alfo nicht,
wohl aber das Gewicht, Herrichte Mangel an feilem Brod, fo wurden
die Bäder geftraft. Keiner durfte an mehr als einem Laden feil haben.
Schlecht gebadenes Brod durfte nur mit Erlaubniß der Brodſchauer und
zwar um ermäßigten Preis und außerhalb der Hütte verkauft werben.
Die Bäder durften Niemand Brod verweigern und mußten Dreinbrod
geben. Eine befondere Abtheilung der Bäder bildeten die „Haus:
bedben“, die den Yeuten ihr Brod aus dem ihnen überbradyten Mehl
baden, erforderlichen Falls auch in den Häujern kneten mußten, alsdann
aber für fih zum Verkauf nicht baden durften. Sie erhielten von einem
Malter Mehl zu baden 1 Schilling 10 Pfennig, Frucht-, Mahl
und Badproben wurden von Zeit zu Zeit von Bürgermeifter, Gericht
und Math vorgenommen, Am Schluß der Bäderordnung wird ange
geben, wie ſich die Bäder des Ungeldes wegen in den Mühlen halten
follten.
3. Meggerordnung.
Leder neuangehende Meifter zahlte in die Zunft 10 Gulden; eines
Metgers Sohn oder eines Bürgers Sohn, der eine Mebgerstochter bei:
vathete, bezahlte nichts. in angebender Lehrling zahlte ins Handwerk
5 Schilling Pfennig, eine mäßige Kanten und 2 Pfund Wade „an
unferer lieben Frauen Kerz.“ Keiner durfte einen Knecht nehmen, der
nicht gute Zeugniſſe aufweifen fonnte. Kein Metzger durfte einem andern
in einen Kauf fallen, Ungefchättes Fleiſch durfte nicht verfauft werden.
Alles Vieh mußte im Schlachthaus gefchlachtet werden. Stein Metzger
durfte das leifch in feinem Haufe ausbauen, fendern nur „unter ben
Hütten", d. b. in der gemeinichaftlichen Mebig, wo jeder feine Tleifch:
bank hatte, die aber nicht länger ald 7 Schub fein durfte Am Som:
mer durfte vor 5 und im Winter vor 7 Uhr kein Fleiſch in die Metzig
gebraht und alle Fleiſchſorten mußten gefondert aufgehängt werben.
Fanden die Fleiſchſchauer das Fleiſch übelriehend und überhaupt nicht
in der Ordnung, jo durfte es nicht in dev Metzig, fondern mußte außer:
balb derfelben um geringern Preis auf der ſog. „Pfinnbant* (S. 240)
ausgehauen werden. Dahin gehörten aud) die Farren, die geringen Schafe,
bag Eberfleiich, das Fleiſch von unverheilten Schweingmüttern u. ſ. w.
Wurde aber das Fleiſch ganz verdorben erfunden, fo mußte es der Metzger
bei Verlierung des Handwerks dem Wafenmeifter überliefen. Diefem
Eljtes Kapitel. Stabtverfafjung von 1500, 257
wurden auch finnige Schweine zuerkannt, Wer am Ofterabend fchlachtete,
übernahm dadurch die Verpflichtung, die Metig das ganze Jahr hin:
durch mit Fleiſch verforgen zu helfen; wer das Schlachten an jenem
Abend unterlieh, hatte das Schlachtrecht für das ganze Jahr verwirkt,
(Krankheitsfälle ausgenommen). Alles Fleiſch mußte mit dem Rücken
gegen die Mebig aufgehängt werden. Niemand durfte einem Fleiſch—
käufer entgegen laufen oder ihm zurufen. Mer Schweine oder Rind—
fleifch feil hatte, durfte Fein anderes Fleisch daneben ausbauen, im lettern
Fall nur Kalbfleiſch, Kiten: und Lämmerfleifh. Das Loos entichied,
welhe zwei Metger eine Woche hindurch Hammel: oder Schaffleiſch
(getrennt) und Fein anderes daneben feil haben mußten; doch durften
Schafe und Himmel nad St. Andreastag (30. November) nicht ge:
ftochen werden, Tettere höchſtens mit Erlaubnig des Bürgermeiſters.
Zur Abgabe von Kalbfleifch waren die Metger nicht verpflichtet, wenn
man nicht Nindfleifch dazu nahm; eine Ausnahme davon machten Kranke,
Schwangere und SKindbetterinnen. Sonft mußte der Mebger Jeder—
man, Reichen und Armen, das Fleiſch geben, wo man e8 verlangte;
der Ausichlag durfte nicht mit einer andern Fleiſchſorte gemacht werden.
Blut von verichiedenen Thieren durfte nicht vermiſcht, und die Würfte
von jedem Schwein mußten gefondert verfauft werden. Bratwürfte durften
nicht gemacht werden „denn von Quallen, damit fie das Gebein nicht
zu genau fchinden”; anderes Fleiſch dazu zu nehmen, war unterfagt.
Ein Kalb mußte wenigjtens vierthalb Wochen, eine Geiß 16 Tage alt
fein, Vieh, das erft innerhalb 14 Tagen gerindert hatte, durfte nicht
gefhlachtet werben bei Berluft des Handwerks; ebenſo war unterfagt,
Vieh von St. Georgen (dem Leprojenhaus) zu kaufen u. f. w.
4. Wirtbsordnung. 1)
Zwiſchen Gaftgebern und Weinſchenken wurde ein Unterſchied ge
macht. Gaftgeber konnte nur fein, wer Stallung für 10 Pferde beſaß
und mit Futter ꝛc. dafür verfehen war, ebenfo auch 10 Perſonen über:
nachten Konnte. Bloße Weinfchenten durften Niemand beherbergen, auch
feine andern Speifen hergeben, als Käs und Brod; bloß die Jahrmärkte
) Am Dienftag nad Pauli Belehrung 1541 entworfen vom Vogt Bolfer
von Ueglingen, Dr. Marguart, dem Schultbeißen Ulrich Sayler, dem Bürger:
meifter Peter Goiflin und etlichen des Naths, beftätigt von Markgraf Ernft,
mit Berufung auf einen Abſchied von 1531 und mit einem Zujag vom Sonn:
tag nah Medardus 1548,
Pflüger, Pforzheim. 17
258 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500.
geftatteten eine Ausnahme. Feder Gajtgeber mußte fernen Schild Haben,
jeden fremden Gaft beherbergen und nad feinem Wunſch bewirthen;
wer einen Fremden ohne genügende Urſache ausſchlug, mußte 1 Pfund
Pfennig Strafe bezahlen. Jeder Wirth und Weinfchent war verbunden,
alle „Frevel und Unfuhr“, die fih in der MWirtbfchaft erhoben, den
Schultheißen, Bürgermeifter oder den Stadtknechten anzuzeigen; feiner
durfte bei Strafe von 1 Gulden einen Bürger im Sommer nad 10,
im Winter nad 9 Uhr in feinem Haufe dulden, ausgenommen, wenn
er einem Fremden Gefellichaft leiftete, oder jonft ein ehrhaftes Gefchäft
hatte. Keim Bürger durfte am Sonntag unter der Predigt im MWirthe-
haus fißen, auch nicht im der Stadt herumftehen oder fpazieren, bei
Strafe eines Guldens, die im erften Kalle auch den Wirth traf. —
Ein jeder Wirth oder Weinfchent, der ein oder mehrere Faß Wein aus:
fhenten wollte, mußte den Wein bei Strafe dur den Büttel ausrufen
faffen, der dafür eine Maaß Wein oder 2 Pfennig erhielt. =
5. Flößerordnung. 9)
Kein Schiffer oder Flößer durfte angenommen werden, wenn er
nicht in Pforzheim oder der Markgraifchaft anfäßig war und fein Mann:
recht hatte. Kein Holzhauer durfte zugleich Flößer fein und umgekehrt.
Jeder, der im Lauf eines Jahres fein Handwerk auszuüben dachte,
mußte auf einen beftimmten Tag einen halben Gulden erlegen; die da:
durch erzielte Summe jollte auf Erhaltung der Floßwege, unbeſchadet
der Wehre und der Mühlkanäle, verwendet werben. Eines Flößers
Sohn, der an die Stelle feines veritorbenen Vaters trat, mußte 2 fl.
Einftand bezahlen; ein Anderer, der das Flößerhandwerk ergriff und
nicht eines Meifters Sohn war, 1 Gulden, wer lettern nicht auf den
beftimmten Tag pünktlich entrichtete, verlor für jenes Jahr das Recht,
für ſich felber zu flößen. Die kinderlofe Wittwe eines Flößers durfte
noch ein Jahr lang mit Hilfe eines tauglichen Knechtes das Handwerk
fortfegen; hatte fie Kinder, von denen eines über 10 Jahre alt war,
fo übte fie das Gewerbe ihres verftorbenen Mannes unbeſchränkt aus,
wenn fie ſich nicht wieder verheivathete. Werzichtete fie auf ihr echt,
wollten aber das die Kinder nicht, jo follte jedes bderjelben zur „Hand:
babung ihrer Erbgerechtigkeit” jährlich einen Schilling Pfennig in bie
) Am 19. April 1501 „von weinen und bevelbe“ des Markgrafen Ehriftopb
„der Schifferſchaft zu Pforgheym geben“.
Elftes Kapitel. Stadwerfaſſung von 1500. 259
Zunftkaſſe bezahlen. Weber die Kaufs- und Verkaufspläte des Holzes
am Rhein, Nedar und ben Nebenbächen follten jedes Jahr feite Beſtim—
mungen getroffen werden. Wer, wie oben erwähnt, feinen halben Gul-
ben bezahlt und fi damit das Recht des Flößens für ein Jahr er:
worben hatte, follte bei Etrafe von 6 Gulden feinen Knechtslohn zu
verdienen ſuchen; nur im Falle von großem Maffer, wenn nicht gemig
Knete aufzutreiben waren und die Notb fchnelle Hilfe gebot, durfte
foldye von Meiftern in Anfprucd genommen werben. Bei Verzollung,
Ausbindung und Ablieferung des Holzes durfte im Verbinderungsfall
Stellvertretung jtattfinden. in Flößer, der mit einem Floße in Pforz-
heim gerade abzufabren im Begriff war, durfte Knechte, die eben von
einer Floßfahrt zurüctehrten, in Anfpruc nehmen, auch wenn ihr bis—
beriger Meifter fie bereits mit dem Auftrag zu weiterer Arbeit nad
Haufe geſchickt hatte; einem Meifter jedoch, der nicht in diefer Ordnung
begriffen war, durften Knechte, bei denen dies der Fall, nicht helfen bei
Strafe von 1 Gulden, Gleiches galt von den Meiftern bezüglich der anzu:
ftellenden Knechte. Jeder, der ein Jahr hindurch Knecht fein wollte,
mußte fi auf einen beftimmten Tag vor dem Amtmann und den vier
verordneten Meiftern, die jedes Jahr durch das Loos gezogen wurden,
ftellen und ſich einfchreiben laffen, mußte aber desjelbigen Jahres ein
Knecht und durfte fein Schiffer fein bei Strafe von 3 Gulden. Dingte
ein Meifter einen Knecht und kam der eine oder der andere feinen Ver:
pflihtungen, der Knecht im Arbeiten, der Meifter im Arbeitgeben, nicht
nad, fo hatte das für den Schuldigen die Folge einer Strafe von einem
Ort (S. 129) für jeden Tag, wovon die eine Hälfte der Obrigfeit, die andere
ben Betbeiligten zufiel. Welcher Flößer Holz verkaufte im Werth von
60 bis 100 Gulden, der mußte einen andern Meifter am Handel Theil
nehmen laſſen; betrug der Werth 130 Gulden und darüber, fo mußte fich
der Betreffende 2, bei 160 Gulden und darüber 3 Theifnehmer gefallen
laſſen, die durchs Roos beſtimmt wurden. Wenn ein Fremder behufs
Holzkaufs nad Pforzhäm kam, dem durfte Feiner nachlaufen, fondern er
mußte vor den Amtmann und die Verordneten gewieſen werben, welche
dann einen billigen Preis machten und immer zwei von den Schiffern
ber Reihe nach beftimmten, die den Handel übernehmen follten. Kein
Schiffer durfte jährlich mehr denn 5000 Stüd Holz oder Bord vom
Walde beftellen und verführen; was darüber war, verfiel der Herrichaft
und der Schifferihaft. Die Floßzeit follte an al, und am
260 Elftes Kapitel. Stadtverfafjung von 1500.
Gallustag (16. Oft.) aufhören, damit die Schiffer „die heylig zyt ber
vaften und oftern, auch zu wyhennachten deßbas mögen anbeym blyben
und inen uff dem wafler Feltin und wynters halb nit ſchade erwachſe;“
auf die Uebertretung dieſer Beftimmung war eine Strafe von 10 Gul—
den geſetzt. Knechte, welche im Walde arbeiteten, erhielten täglich nebit
der Koft 2 Plappart (nad) unjerm Gelde 18— 20 kr.), auf dem Waſſer
ohne Koft 4 Mappart, Auf einen Sanıftag oder Vorabend eines Feier⸗
tages in Pforzheim mit einem Floß anzufahren, war bei Strafe von
2 Pfund Pfennig unterfagt. Unterhalb Pforzheim durfte fein Holz am
Sägmühlen verfauft werden bei Strafe von 5 Pfund Pfennig; dafür
mußten aber die Pforzheimer Beamten den Flößern behilflich fein, daß
ihre Sägklötze zu Pforzheim von den Sägern rechtzeitig beforgt wurden.
Welcher Pforzheimer Flößer mit einem Waldſchiffer, (dev das Holz auf
Enz; Würm und Nagold nad Pforzheim brachte,) einen Holzkauf zu
feftem Preis auf ein Jahr abgeſchloſſen hatte, der war bei einer Strafe
von 10 Schilling Pfennig daran gebumden, wenn nicht beide Theile ſich
gütlich verglichen. Wenn ein Zimmermann das Holz zu einem Bau
auf dem Waſſer transportiven wollte, fo mußte er das Geſchäft durch
die Floßknechte um den Taglohn beſorgen lafjen, oder ex mußte es dem
Meiftern im Accord übertragen. Alles Holz mußte nach einer bejtimme
ten Größe gehauen werden, doch mur was als „Kaufmannsgut“ gelten
konnte. Alle Jahr fand vor dem Amtmann und den verorbneten 4
Meiftern Rügung ftatt, wobei Meifter und Knechte bei ihrem Eide Alles
angeben mußten, was irgend gegen die Flößerordnung geſchehen fei, um
jedes Zuwiderhandeln mit der vorgefchriebenen Strafe zu belegen. Wer
nicht erfchien, durfte für jenes Jahr das Gewerbe nidt ausüben und
wurde, wenn das Ausbleiben ein „frevenliches”“ war, noch obendrein um
10 Gulden geftraft. Am Montag nad Dreikönig jeden Jahrs mußte
Bruberfchaftstag gehalten werden bei Strafe von 1 Pfund Wade
„unferer lieben Frauen“; demfelben folgte eine Seelenmefje für die ab:
geftorbenen Zunftgenofjen; zum Nügungstag wurde immer der darauf fol
gende Montag angefeßt; an einem weiter anberaumten Tag jedes Jahr
mußte die Flößerordnung verlefen werden. Welcher Flößer einen andern
Flößer an einem Kauf oder Verkauf hinderte, verfiel in eine Strafe
von 5 Pfund Pfennig. Von allen Strafen fiel der Herrichaft und ber
Stadt die eine Hälfte, der Scifferfchaft die amdere zu; erftere Hälfte
Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 261
wurde zwiſchen Herrſchaft und Stadt wie das Ungeld getheilt (zu 3%,
und 1/,). —
Die Flößerordnung wurde 1555 bedeutend abgeändert und auf
die kurzen Beftimmungen von 17 Paragraphen rebucirt, die im Mefent:
lichen folgende Beitimmungen enthalten: 1) Wer noch nie geflößt bat,
muß vorerft 5 Sch. Pig. erlegen. — Wer keinen Flößer zum Vater
hat und Feines Meiſters Tochter zur Ehe nimmt, muß vor der Meifter:
ſchaft erft Bürger werden und LO Gulden bezahlen, heiratet er aber eines
Meifters Tochter, nur fl. — Wird eines Meifters Sohn Meifter ohne
ſolche Heirat, jo zahlt er 2 fl., nimmt er aber eines Meifters Tochter,
fo gibt er nichts. — Das Flößen fängt an auf Mitfaften und hört an
Martini auf. — enn ein Meifter oder fein Knecht zu Pforzheim
angefahren ift, jo foll ihm fein anderer das Land hinab vorlaufen oder
ſchicken und feine Maare anbieten, damit dem erjten der Nerfauf nicht
verdorben werde. — Schmähen ſich die Flößer über ihr Gefährt, fo
verliert der Knecht mie der Meifter die Arbeit, bis fie fich rechtlich ver:
tragen haben. — Kein Flöker darf von dem Andern Holz leihen, auch
ohne beiondern Befehl Fein zurück gebliebenes Holz nachführen. — Ein
Schiffherr darf mır mit einem Flößer einen Jahrkauf abſchließen und
feinem andern Holz geben, bis der erfte Käufer fein bedungenes Quan—
tum empfangen hat. — Jeder Meifter darf nur 3 Flöhe auf einmal
abführen, nur beim Hochwaſſer fann er daraus 3 machen. — Wenn
ein Knecht zur Minterszeit aus Noth von einen Meijter Geld auf
Arbeit Teiht, fo darf er feinem andern Meiſter arbeiten, bis er den Vor—
ſchuß abverdient hat, — Keiner darf dem Andern fein Holzzeichen ab:
bauen oder fich zueignen, fonft wird ihm die MWafferftraße verboten. —
Wenn ein Holzhauer falfche oder gar Feine Zeichen anf das Holz macht,
fo verliert er feinen Lohn und wird geitraft, — Ein Knecht, der mit
bem Meifter dns Land hinabfährt, muß bei demfelben bleiben, fo Tang
er ihn braucht. — Kein Knecht darf ohne Miffen und Willen feines
Meifters etwas auf den Floß laden; wenn aber ein Knecht dem Meifter
vom Walde hilft (alfo von oben herab), jo joll es mit der Ladung wie
bisher gehalten werden, — Wer diefer Ordnung nicht nachkommmt, und
ihre Strafen nicht erlegt, wird aus der Geſellſchaft ausgeſhloſen und
um 5 fl. geftraft. — Bon allen Einnahmen der Schifſerſchaft gehört
1) Vergl. Mone, Zeitihrift, AL, 274.
262 Eiftes Kapitel. Stadiverfaffung von 1500,
die Hälfte der Herrichaft, eim Viertel der Gejellichaft und ein Viertel
dem Almofen zu Pforzheim — Es werden 2 Flößer anfgeftellt, um
diefe Ordnung zu handhaben. — Im Jahr 1588 wurde dieſer Flößer:
ordnung noch beigefügt, daß derjenige, der flößen wolle und ſchon ein
Gewerbe treibe, 20 Gulden zu bezahlen habe. —
Die übrigen Ordnungen übergehend, füge ich nur noch den weient:
lichen Anhalt einer andern an, weil diefelbe fich auf die jetzige Haupt:
induftrie Pforzheims bezieht und vielleicht Stoff zu Vergleihungen bietet.
Ich meine die
6. Goldſchmiedsordnung.
Sie umfahte auch zugleich alle Silberarbeiten, und waren letztere
viel häufiger, als goldene. Gegoſſene filberne Waaren mußten 14, ge
fchmiebete 141/, Töthig fen. Wurden fie von den Schauern, bie alle
richtigen Waaren zu zeichnen hatten, geringer an Gehalt gefunden, fo
hatten dieſe das Recht, fie zufammenzuichlagen, und der Goldſchmied
wurde nody obendrein für jede Mark um einen Gulden geftraft. Legirt
durfte das Silber nur mit Kupfer oder Meffing werden. Uebertretungs:
fälle wurden mit Konfisfation der Waaren beitraft. Silberne Waaren
wurden häufig vergoldet oder goldplatirt; fonnten fie aber die Kratzbürſte
nicht aushalten, jo waren fie bei Strafe verboten. Vergoldete Waaren
durften nicht von Neuem, meifingene gar nicht vergoldet werben, mit
Ausnahme von Monftranzen. Keiner durfte eine Münze jo vergolden, daß
fie dem Gold oder Gulden gleih war, ohne ein Loch hindurchzuſchlagen.
Kelche, Kruzifire und andere Kirchengeräthe durfte man von verdächtigen
Leuten nicht Faufen. Glasflüſſe und falfche Edelfteine in Gold zu fafien,
galt für Betrug, und war Soldes nur für einen Fürften erlaubt. Das
Gold wurde für den gewöhnlichen Verkehr bezüglich feines Gehalts nicht
nad; Karaten berechnet, fondern im Allgemeinen nur vheinifch, ungarifch,
und Dukaten- Gold unterfhieden. Bei Strafe war verboten ungarifch
oder Dukatengold für fein Gold, rheinifches Gold für Dukatengold und
überhaupt „böferes für befjeres" auszugeben.
Schlußbemerfung.
Werfen wir nod einmal einen prüfenden Rückblick auf die Beftim:
mungen diefer „Ztadtordnung“ und alle die verfchiedenen fonftigen Ein-
richtungen, welche damit im Zufammenbang ftanden, fo Können wir ihnen
‘
Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 263
unfern Beifall, ja unfere Bewunderung nicht verfagen. Nirgends ver:
[äugnet fi, wenn auch manche Beftimmungen etwas Meinlich erfceinen,
ber Geift der Humanität und der Billigkeit, dem fie entiprungen, und
diefer Umftand mag namentlich diejenigen eines Beſſern belehren, welche
mit Geringihäßung, ja Verachtung auf die Gebräuche und Einrichtungen
älterer Zeit zurüczubliden pflegen und mit Bezug auf diefelben ſich fo
gern der Ausdrüde „Roheit“ und „Barbarei” bedienen. Zugleich ver:
ratben aber auch alle diefe Vorfchriften eine Erfahrung, eine fo tiefe
Kenntniß der Lebensverbältnifie bis in die fcheinbar geringfügigften Ein:
zelheiten, daß fie gegen manche auf dem Bureau und hinter dem Schreib:
pult gemachten Verfügungen und Verordnungen fpäterer Zeit nicht wenig
abftehen und feinen Augenbli zweifelhaft fein fann, wohin fich beim
Vergleich die Schale größerer Jwedmäßigfeit neigen muß. Es ift daher
auch nicht zu verwundern, wenn bie Bürger von Pforzheim auf ihre
Privilegien und ihre ganze Stadtverfaffung ftolz waren und mit Eifer:
ſucht darüber wachten, daß auch nicht der kleinſte Buchſtabe bavon ver:
legt wurde. Es wird fpäter Gelegenheit geben, zu zeigen, wie biefer
Geift, der dem im ben Meichsftädten zur Leit ihrer Blüte herrſchenden
wenig nachgab, Großes und Schönes bewirkte, aber auch auf der andern
Seite die Stadt mehr als ein Mal in unangenehme und fchrwierige
Händel verwidelte,
Swölftes Kapitel,
Pforzheim unter den Markgrafen Philipp, Ernft und Karl IE. !)
(1515 — 1577.)
$ 1. Allgemeines.
Es iſt ſchon S. 176 bemerkt worden, in welcher Weife die durch
Markgraf Chriftoph vorgenommene Theilung ftattgefunden und daf fein
zweiter Sohn Philipp dabei die Markgrafichaft Baden fammt den
eberfteinifchen und geroldsedifchen Beſitzungen erhalten habe. Diefer Fürft
hatte Kriegsluft und Kriegskunſt ſchon als Jüngling unter franzöftfchen
Fahnen im Kampf gegen die Türken bewährt und war aud ein Freunb
ber Wiſſenſchaft. Don feiner Stellung zur Reformation und feinen
Sympathien für die evangeliſche Lehre wird in einem befondern Ab:
fchnitt die Rede fein. Wie fein Vater auf die Vermehrung feiner Land:
haften bedacht, mußte er verfchiedene neue Ermwerbungen zu machen.
So erkaufte er u. A. 1529 den vierten Theil des Dorfes Niefern
fammt dem Burgftadel, auch den halben Antheil an der Kelter bafelbft
von Konrad von Mallftein, der all dies Befistbum von den Herren
von Enzberg erftanden und von den Markgrafen von Baden zu Leben
getragen hatte, um 1500 Gulden.) Damit war nunmehr (vergl.
©. 174) das ganze Dorf Niefern badifch geworden, (Das PBatronat:
recht der dortigen Kirche hatte ſchon 1323 Markgraf Rudolf vom Klofter
Einsheim erworben und Markgraf Bernhard um 1417 diefelbe an bie
Präfenz der St. Michaelskirche in Pforzheim gegeben, jedody der Kirche
zu Niefern daraus jährlih 45 Malter Korn, Dinkel und Heu, 1 Ruder
Mein, den Meinen Zehnten zc. zugefchieden.) Ebenſo faufte Markgraf
) Die gelhichtlihen Hauptquellen find die nämlichen wie früher; bie be-
fondern find überall angegeben.
*) Sad, IL, 184.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 265
Philipp im Jahr 1531 vom Klofter Herrenalb das Darf Göbrichen
fammt allen Nubungen, Gerechtigfeiten und Zubehörden, und löste
gleichzeitig den Zehnten von Göbrichen und Stein von den Stiftsherren
von Baden um 3000 fl. ein. (Bon genanntem Dorf hatte Herrenalb
die Hälfte 1290 von den Herrn von Enzberg, bie andere Hälfte 1390
von Heinrich von Hovingen erworben.) ') Von Mürttemberg fam um
1528 das Dorf Dietlingen durch Taufh an das marfgräfliche Haus,
und wurde dafür die Hälfte des Dorfes Schwann, ein Viertel des
Dorfes Dobel, ein Viertel von Dennach und die Burg Straubenhart
(S. 67) hingegeben.?) (Dietlingen hatte, che es württembergiſch wurde,
ben Herrn von Straubenhart und von Remchingen gehört, und war 1335
und 1346 an Württemberg übergeyangen,)
Mährend der Negierungszeit des Markgrafen brad der Banern:
frieg aus, bei dem wir um jo mehr verweilen müfjen, als er aud)
in ber Marfgraffchafi Baden und in der Nähe von Pforzheim fpielte,
Der Zuftand der Bauern am Ende des 15. Jahrhunderts war
ein trauriger. Sie biegen „arme Leute”, und waren das in der That.
Die Laft der Keibeigenihaft, der Steuern und Abgaben verfchiebenfter
Art lag ſchwer auf ihnen, und rüdfichtslofe Behandlung der Bauern,
nargentlih von Seiten des Adels, war an der Tagesordnung. Recht
konnten die Unterdrückten in ber Negel nicht finden, und auch die Land:
tage verfchafften Feine Abhilfe, da der Banernftand auf denselben nicht
vertreten war. Zu all diefer Noth kam vielfache Bedrängniß, herbei:
geführt durch die Landsknechte, die ſich, da fie oft fich felber überlaffen
waren, auf Plünderung des Landmannes verlegten. Auf der einen Seite,
nämlid, bei Fürften, Adel und Geiftlichfeit herrichte Lurus und Schwel-
gerei, auf der andern bie bitterfte Noth. Unter foldyen Umständen ift
es nicht zu verwundern, wenn unter den Bauern nach und nach- eine
Gährung entftand und bald vereinzelte Erhebungen derfelben von der
übeln Stimmung Zeugniß gaben, die unter ihnen Platz gegriffen hatte.
Solches geſchah ſchon 1476 im Taubergrund und 1493 im Elſaß, we
die Bauern ihr Bündniß „Bundſchuh“ nannten. (So hieß die all
gemeine Fußbefleidung der Bauern, und da fie diefelbe auch auf Stangen
voraustrugen oder auf ihre Fahnen malen ließen, fo galt bald der Aus:
1) Sachs, III. 185,
2) Sads, IV, 17.
266 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
druck „Bundfchuh” als gleichbedeutend mit Bauernaufruhr.) Im Jahr 1502
trat in dem biſchöflich-ſpeieriſchen Dorfe Untergrombach die Unzu:
friedenheit mit den beftebenden Verhältniſſen, insbefondere der Haß gegen
die überreiche Geiftlichkeit, ebenfalls in einem Bundfhuh zu Tage. Der:
felbe fand bald auch in andern Ortichaften Theilnehmer, fo in Bruchſal,
Kislau, Föhlingen, Weingarten, bis nah Erjingen, wo der Bürger:
meifter ermordet wurde, und Pforzheim berüber, („von Pforgen
viel und von andern Orten und Gnben”,)1) jo daß ihre Zahl auf
etwa 7000 angewachsen fein fol. Die Bauern legten ihre Wünſche
und forderungen in 14 Artikeln nieder und hatten nichts Anderes im
Einn, als die biſchöflichen und fürftlichen Amtsfite und die Klöfter zu
überfallen und Fürften, Adel und Geiftlichkeit zur Bewilligung deſſen,
was fie verlangten, zu zwingen. An ber Spite des Bundſchuhes ftand
ein Grombacher Bauer, Joß Fritz. Die Lofung und das Erkennungs—
zeichen der Verſchworenen war der Sprud:
Mas iſt das für ein Weſen?
Vor den Pfaffen fann man nicht genefen.
Aber die Sache wurde durd einen Mann aus der Markgrafichaft
Baden, Namens Laur Rapp, an die Bifchöfe von Speier und Straf-
burg und an den Markgrafen von Baden verratben.2) Raſch mwurbe
nun eine große Anzahl von Bundſchuhern feftgenommen, 10 derfelben
enthauptet und geviertbeilt und an den Straßen als MWarnungszeichen
aufgehängt; Andern wurden die Finger abgehauen, drei des Landes ver:
wiefen , noch Andere am Vermögen geftraft. Fritz von Grombach, der
„des Bundſchuchs haubtmann und anfenger geweßt”, wußte zu enttommen.
Laur Rapp aber erhielt als Belohnung nicht nur reiche Geldgeichente,
fondern auch eine Stuhlbrüderpfründe zu Epeier. — Bon Theilnehmern
diefes Bundſchuhs aus Pforzheim und Umgegend fommen vor: Kon
rad Beiperleuter von Pforzheim, Ambrofius und Kafpar Eberle von
Brößingen und Martin Kreußler von Erfingen.
Aehnliche vereinzelte Vereinigungen und zum Theil Aufftände fan:
ben 1512 unter dem Mamen „der arme Konrad” in Württemberg,
1513 zu Lehen bei Freiburg, 1514 zu Bühl und Umgegend ftatt, bie
endlih 1525 die Flamme des Bauernkrieges allenthalben, im jetigen
') Bericht bes Landfchreibers Brenz in Mones Archiv, IL, 165.
3) Bergl, Mone, bad. Archiv IE, 165 ff.
Zmwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 967
Baden namentlich im Seekreis und im Taubergrund, blutig emporlobderte
und die fchredlichiten Gräuel im Gefolge hatte. Eine ausführliche
Schilderung diefes Krieges kann nicht unfere Aufgabe ſein. Es genüge
die Mittbeilung, daß nicht mur im manchen Gegenden Württembergs,
ven wo fi) nad der Schladht von Böblingen der dortige Vogt Leon:
hard DBreitichwert ſchutzſuchend nad Pforzheim flüchtete, ') fondern
auch im Brurhein wieder Aufftände losbrachen und die Bauern der untern
Markgrafſchaft fih demſelben anichlofien. Sie zogen in der Palmwoche
1525 vor Durlah, wo die Bürger 2500 der Aufrührer aufnahmen
und ihren Vogt ins Gefängnig warfen, Ein anderer Haufe fand zu
Berghaufen günjtige Aufnahme. Die Bauern fielen namentlih über
die Klöfter ber und Gottesaue, Herrenalb, Frauenalb und Schwarzach
wurden auggeplündert und verbrannt. Markgraf Philipp ſuchte zuerft
ben Aufftand mit Gewalt zu unterdrüden und ließ z. B. in Berghaufen
durch feine Reiſigen mehrere Häufer niederbrennen. Bald aber gewann
er bie Ueberzeugung, daß er auf diefem Weg nicht zum Ziele gelangen
tönne, Er trat deshalb im friedliche Unterhandlung mit ben Bauern
und hatte die (freude, zu ſehen, daß fie freimillig wieder zum Gehorfan
zurückkehrten. Aehnliches geichahb im Oberland, wo Markgraf Exnit der
Empörung ebenfalls ein baldiges Ende machte. Anderwärts aber wurde
die Flamme des Aufruhrs mit Strömen von Blut gelöfht, mehr als
100,000 Bauern ſollen in diefem Kriege das Leben verloren haben und
das Loos ber Befiegten wurde noch härter, als es vorher geweſen.
Markgraf Philipp ftarb 1533 zu Baden, wo er auch beigeſetzt
wurde. Seine Gemahlin hatte ihm 6 Kinder geboren, von denen aber nur
eine Tochter den Vater überlebte, Es fam deshalb zu einer Theilung feiner
Lande unter feine zwei Brüder Bernhard und Ernft, nachdem fie zuerft
verfucht Hatten, diefelben gemeinichaftlich zu regieren. Dabei erhielt Ernft
zu feinen oberländifchen Beſitzungen auch den untern Theil der Mart:
graffhaft mit der Hauptftadt Pforzheim, Bernhard aber den obern
Theil mit der Stadt Baden Diefe Markgrafen find die Gründer
der zwei Linien Baden-Baden, welche aud die bernhardiniſche,
und Baden: Pforzheim, ſpäter Baden-Durlach, welche aud) die
erneftinifche gemannt wurde. Beide Linien wurden erft nad dem
ı) Zimmermann, Geichichte des Bauernkriegs, IL, 147 fi.
268 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Ausfterben der Markgrafen von Baden : Baden im Jahr 1771 wieder
dauernd vereinigt.
Markgraf Ernft war ein gerechter und friedliebender Fürſt, aus
deifen Handlungen überall! Mäfigung und Klugheit bervorleuchteten.
Sein Verbältniß zur MNeformation und zur evangelifchen Lehre wird
weiter unten gefchildert werden. Am Jahr 1537 machte er einen Ent:
wurf zur Theilung feines Landes unter feine drei Söhne Albrecht,
Rernbard und Karl. Indeſſen ftarb Mibreht noch vor feinem Water
4552, und auch defien Bruder Bernhard, der dem Vater durd fein
zügellofes Leben viel Kummer bereitet batte, folgte ihm zu Anfang des
Jahres 1553 nad. Er wurde in der fürftlichen Gruft umter der
Schloßkirche zu Pforzheim, die Markgraf Ernft als Familienbegräbniß
hatte erbanen laſſen, beigeſetzt. Sein Standbild befindet fi an ber
rechten Seitenwand des Chores (von der Kirche ansgefehen), und trägt
das Fußgeſtell eine entſprechende Anschrift. Auch auf dem Boden des
Chores ijt eine Grabichrift des Prinzen. — Markgraf Ernſt ſelbſt ftarb
am 6. Februar 1553 und wurde ebenfalls in der Schloßkirche zu Pforz-
heim begraben. Mitten im Chor derfelben ift das prachtvolle Denkmal
diefes Fürften mit Umfchrift zu Sehen. Es zeigt die Tiegende neharniichte
Seftalt des Markgrafen, neben ihm die feiner zweiten Gemahlin Urfula
von Rofenfeld. Zu deren Füßen liegt ein in Stein ausgehauener Hund,
ber die eheliche Treue, und zu denen des Markgrafen ein Löwe, ber
bie Stärfe oder Tapferkeit voritellen ſoll. (Die erfte Gemahlin von
Markgraf Ernit, Eliſabeth von Brandenburg ift in Stuttgart, die dritte,
Anna Bombaftin von Hohenheim, in Sulzburg begraben.) ")
Der Erbe aller Befitungen des Marfarafen Ernft war fein jüngfter
Sohn, Markgraf Kart Il. der von 1553—1577 regierte. Vorzügliche
Anlagen des Gemüthes und treffliche, auf reliniöfe Grundſätze geftütte
Erziehung ließen ihn des Vaters würdigſter Nachfolger werden. Seine
wichtigfte Megierungsbandhng war die Ginführung der Neformation in
feinen: Lande, von der unten ausführlicher die Mede fein wird, Geachtet
von dem Kaifer und den Fürſten des Meiches und geliebt von feinen
1) In ber Schloßfirche befindet fih der Grabftein einer 1546 geftorbenen
Anna von Hohenheim, genannt Bomkaftin, geb, Schilling von Kannſtadt. Sie
war wahrfgeinlih die Mutter der Obengenannten und vermutblih die Ge:
mablin von Ulrich Bombaft von Hohenheim, der den Markgrafen Emft 1530
auf einer Reife nach Augsburg begleitete. Vergl. Sachs, IV., 21.
Awölfies Kapitel, Piorzheim im 16. Jahrhundert. 269
Unterthanen nimmt Karl II, eine der erſten Stellen unter den badifchen
Fürften ein, Wie alle guten Negenten wußte auch er trefflihe Diener
zu wählen, und unter ihnen batte namentlich fein Kanzler Martin Ach t:
ſynit oder Amelius, aus Freiburg i. B. gebürtig, den der Markgraf
ichon im deſſen W. Jahre zu diefer Würde und der Kaifer Ferdinand 1.
in den Adelftand erhob, großen Antheil an der Wirkfamfeit des Meart:
grafen. Es mag bier bemerkt werden, daß derjelbe 1556 dns Schloß
Niefernburg erbaute, das ein Denkmal der vom Fürſten erhaltenen
Gnabdenbezeugungen fein und ihm zum ruhigen Aufenthalt im Alter
dienen follte. Zu diefem Zwecke Hatte ihm der Wiarfgraf den „frei
adelichen alten Burgftadgl zu Niefern jammt Zubehör“, darunter 46 Mor:
gen Maldungen, von denen ein Dijtrift heute noch das „Freiherrn⸗
wäldchen” heißt ') 1555 übergeben. Er ſchrieb fi) deshalb auch: Herr
zu Niefernburg. Einige noch vorhandene Anjchriften am Schloſſe, das
nad) dem Tod Achtiynits in die Hände feines Tochtermanns, des Amt:
manns Johann Wolf von Mundelsheim kam, und 1711 fammt den
dazu gehörigen Waldungen wieder an die Herrſchaft zurüdfiel, 2) nad
einander verjchiedenen Zwecken gedient und ſich vor etlichen Jahren in
eine Kinderrettungsanftalt verwandelt hat, beziehen ſich auf die Erbauung
desjelben. Das Grabmal Achtſynits it in der Schloßkirche zu Porz
beim, und zwar gleidy links vom nördlichen Eingang. Man erblidt auf
demſelben die in Etein ausgehauenen Geftalten des Kanzlers felber und
rechts und linfs von ibm zweier Franen, alle drei aber fehr beichädigt.
Ueber benjelben fteht auf einer Tafel von ſchwarzem Marmor eine
größere lateiniſche Inſchrift. Nicht weit von dieſem Denkmal findet ſich
an ber Wand audy der Grabftein der Gemahlin Achtſynits, Eliſabeth,
einer gebornen von Peftetten, geftorben 1579. Achtſynit jelber ftarb
1592. Ich werde auf ihn bei der Geſchichte der Reformation in Pforz:
beim zurückkommen.
Markgraf Karl II. ftarb 1577 in Durlach, wo er an ber Stelle
eines Jagdſchloſſes ein geräumiges Schloß nach eigenem Plane und unter
eigener Aufficht Hatte aufführen Iaffen, das nach feinem Gründer bie
Karlsburg genannt wurde, Der Fürft, welcher feine Arbeiter eigen:
1) Beihreibung des Forftreviers Seehaus von Arnsperger in ber Regiftratur
des Forſtamte Pforzheim.
2) Nieferner Lagerbuch,
270 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert.
händig ausbezahlte, erhielt davon den Beinamen: Karl mit der Taſche.
Die Stadt Durlach, die er verichönerte und mit neuen Thoren verſah,
ſprach ihre Dankbarkeit durch Aufftellung feines Standbildes auf dem
Marktbrunnen aus, wo es heute noch zu fehen if. — Der Leichnam
des Fürften wurde in der Gruft zu Pforzheim beigeſetzt Im der Mitte
der bintern Ehorwand befindet fi fein prachtvolles Monument, und
zeigt das Standbild des Markgrafen, rechts und links davon die Stand:
bilder feiner beiden Gemahlinnen Kunigunde von Brandenburg und Anna
von Velden. Außerdem ftehben im Chor noch die Statuen eines
Sohnes von Karl II., des Prinzen Albrecht, der in Folge feiner Aus:
ſchweifungen ſchon 1574 im 20. Lebensjahre ftarb, und der beiden in
jugendlihem Alter verblichenen Prinzeffinen Maria (+ 1561) und Anna
Maria (+ 1573).
$ 2. Befonderes.
Pforzheim feinen Fürften gegenüber.
Mit der Markgrafibaft war bei der Yandestheilung von 1515
auh Pforzheim an ben Markgrafen Philipp gekommen. Es mag
bier bemerkt werden, daß im Theilungsvertrag unter Andern auch Bür—
germeifter, Gericht und Rath der Stadt Pforzheim als Zeuge aufgeführt
find. *) Die Bürgerfchaft dajelbft hatte dem Kürften indeſſen ſchon 1510
gehuldigt, weil damals (ja ſchon 15U5) eine Dispofition zur Theilung
getroffen worden war, wogegen der Markgraf ihr folgenden Revers aus:
ftellte: 2) „Wir Philips von gottes gnaden Marggraue zuo Baden ac.
Bekennen mit diefem brieffe: Nachdem der Hochgeborn furjt und herr
herr Chriſtoph Marggraue zuo Baden vnnd Hochberg, Grafe zu Spanheim,
herr zu Roteln mund Sufemberg, vufer aller Liebfter herr vnnd vatter
in feiner väterlichen gnaden fatung, ordnung, zufheibung, vertheilung
vnnd letitem willen zwiſchen vnnſern gebrüdern vnnd vnns jüngjtes zu
Mulinberg vffgericht, vnns vnnd vnnſer eelich libserben mennlichs ge:
ſlechts, nach ſiner Vätterlihen gnaden abgang todes, den gott lanng vff:
zuhalten hatt, zu rechten regierenden fürſten vnnd erben des löblichen
1) Sachs, III., 105.
2) Er befindet ſich im ſtädtiſchen Archiv.
Zwölftes Kapitel. Piorzbeim im 16, Jahrhundert, 271
fürftenthumbs der Marggrauefchaft Baden fampt andern geordnet vnnd
zugefcheiden hatt, vnnd die erfamen vnnſern lieben getruwen Burgermeifter,
gericht, rate vnnd gemeinde der Statt Pfortzheim vnns vff defjelben
onnjers lieben herrn vnnd vatters schriftlichen befigelten beuelhe huldung
vnnd vorpfliht getun, Nah abgangk ſiner Vätterlichen gnaden vnns,
vnnd ob wir alsdann nit im leben weren, das gott gnediglich verhüten
wölle, vnnſere eeliche Inbserben, Mannesperfonen, So wir bie hinter
vnns verlaſſen betten, zu iren waren vnnd rechten regierenden fürften,
bern vnnd erben anzunemen, gewonlih huldung zu thund vnns oder
benjelben vnnſern erben, Mannsperfonen, als irer rechten berrichafft zu
gehorjamen vnnd gewertig zu find, inn aller mafle fie benannten vnnſerm
lieben bern vnnd vatter by irem leben vnnd bisher geweit vnnd noch
find, — So haben wir inen die fruheit, Polizei unnd Ordnung, die
gemelter vnnſer lieber herr vatter inen vor jaren thunm geben am Datum:
„Beben vff der Cansly zu Baden vff Mentag nad dem heiligen jars—
tage, zu latein Gircumcifionis domini genant, als man zalt nad Erifti
onfers lieben bern geburt Tuſend Vierhundert Nuntzig vnnd ein jare”
— gnediglidy confirmiert vnnd beftetigt, Confirmieren vnnd beftetigen
inen die hiemit inn kraft dies brieffs. Gereden vnnd verfprechen auch
by vnnſerer furftlichen wirden vnnd eren, fie dabei gnediglich bliben zu
laſſen, zu fhüßen, ſchirmen vnnd handhaben, damibder nit zu find oder
zu tund, nod Schaffen getun werden im Eheiner wege alles one geuerde.
— Unnd des zu urdhunde han wir vnnſer inſigel tun benden an diefen
brieffe, der Geben ift zu Pforzbeim vff Mittwoch nach der heiligen Eilf
tujend jungffraumwen tag anno domini Millefime Quingentefimo Decimo
(1510).“ — Tie Beftätigung der Freiheiten der Stadt wurde nad dem
Tod des Markgrafen Ehriftoph unterm 29, Auguft 1527 erneuert. 1)
Menn nun auch obige Urkunde von Pforzheim datirt ift, fo hatte
doch Markgraf Philipp feine Reſidenz nicht in diefer Stadt, fondern in
Baden. Er fcheint jedody dann und wann herüber gefommen zu fein,
vielleicht um des edeln Waidwerks zu pflegen; es fpricht wenigitens da—
für der Umstand, daß in einem Verzeichniffe von Urkunden des alten,
im orleans’shen Kriege größtentheils verbrannten und verlorenen Stadt:
archives fich folgende Notiz findet: „In der Laden B ift die Eopie einer
1) Urkunde im Stabtardiv.
2972 Zwölftes Kapitel. Pforgbeim im 16, Jahrhundert.
Dankfagung derer von Pforzheim gegen meinen gnädigen Herrn, ben
Markgrafen, von wegen eines geſchenkten Hirſches anno 1522.
Zwifchen dem Markgrafen von Baden und dem Herzog von Würt—
temberg wurde 1916 ein Vertrag weges des Geleits (S. 158) in ber
Gegend von Pforzheim abgefchloffen. 1) Der Markgraf folle, fo wurde
beftimmt, das Geleit von Pforzheim bis an das Thor von Neuenbürg,
der Herzog von da bis an die Vorftadt von Pforzheim haben. In
ähnlicher Weiſe jollte es zwiſchen Neuenbürg einerfeits und Ettlingen,
Sernsbah und Ellmendingen andererjeits gehalten werden Diejenigen
Perſonen, weldye von Pforzheim nad) Gernsbach, ohne nah Neuenbürg
zu geben, fi) Gegeben wollten, jellte der Markgraf bis nah Schwann,
ber Herzog von da bis Gernsbach begleiten; bei umgekehrter Reife aber
jollte erfterer das Geleit von Gernsbady nad) Schwann, letzterer von da
nad Pforzheim haben. Bejondere Beitimmungen über das Geleit erließ
Markgraf Philipp unterm 11. April 1530 von Baden aus an feinen
Bogt zu Pforzheim ,2) worin gefagt ift, daß man in Betrachtung ber
jesigen geſchwinden (d. h. gefährlichen) Zeiten allerlei „Nothdurft des
Geleites” vornehmen müſſe. Es wurde darum fortgefegt: Das Geleite
ſolle befehligen der Vogt jelber, oder ein Wirth, oder ein ehrbarer Ge:
jelle, und zwar fo, „daß derſelbe denjenigen, fo zu Zyten ber Frankfurter
Mefien oder fonit kommen und Glaits begehren, es ſeyen Kauffleute
oder andere, von unfertiwegen by dem Wyer oder See jenfeits Dieffen-
brunn gelegen, da unfer Glait anfahet, daffelb unfer Glait empfahe
und annehme.“ Hierauf follten die Geleitleute den Reifenden mit ihren
Geleitbüchſen durch Ziefenbronn und den Hagenſchieß nah Pforzheim
begleiten, jedody nicht weiter, und von jedem Geleiteten nicht mehr als
12 Piennig fordern und annehmen. Wenn Einer etwas Vedächtiges
erbliden würde, folle er es fogleich anzeigen, ebenfo der Geleitſuchende,
wenn er etwas tiber den Geleitsmann zu Hagen babe,
Eines Vertrages, den Baden mit Württemberg wegen des Flößens
auf der Enz, Nagold und Würm 1517 abſchloß und der eine Er:
neuerung des Floßvertrages von 1342 (S. 125) war, mag bier auch
gedacht werden.
Im Jahr 1532 konnten die Bewohner Pforzheims Zeugen eines
1) Steinhofer, württemb, Ehronif, J., 265.
2) Alten des Landesarchivs.
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16, Jahrhundert, 273
militärifhen Schauſpiels fein. Die beiden Markgrafen Philipp und
Ernft hatten nämlih beichloffen, den Kaiſer Karl V. in dem damals
ausgebrocyenen Türkenkrieg mit Truppen zu unterjtüßen. Weber diejelben
wurde im Juli genannten Jahres bei Pforzhein eine große Mufterung
gehalten, der die beiden Kürften beimohnten, *)
Nach dem Tode des Markgrafen Philipp Huldigte Pforzheim feinen
beiden Brüdern Bernhard und Ernſt gemeinjhaftlih, und wurde aud
der Stadt von denfelben unterm 1. Dezember 1533 der üblihe Nevers
wegen ihrer Freiheiten ausgeftellt. 2) Als jedoch die oben bereits er:
wähnte Theilung vorgenommen war, verlegte Markgraf Ernit
1535 feine Refidenz von Sulzburg nah Pforzheim, das
nun nach längerer Unterbrechung wieder ein ftändiger Fürſtenſitz wurde.
Aus welchen Theilen damals das Schloß in Pforzheim beftand, erfahren
wir aus der Lagerbudyerneuerung von 1527, aus der unten Mit:
theilungen folgen. Ueber die Hofhaltung des Markgrafen in Pforzheim
find noch einige intereffante Einzelheiten anf unjere Zeit gelommen, die
von Bartholomäus Saftrow, einem geborenen Pommer, herrühren,
welcher eine Zeitlang Schreiber auf der markgräflihen Kanzlei zu Pforz⸗
heim war und feine wechjelvollen Lebensſchickſale felber beichrieben hat. 3)
Zu Hofe, fagt er, wurde fparfam bausgehalten, daß es gleihwohl fürft-
lid) und löblich herging. Die Lebensweife war von der pommerſchen
Art fehr verfchieden, an Fleiſch und Fiihen, allerlei Zugemüß, gefottenen
Feigen, Haferbrei und mancherlei Kraut. Dazu gab es ziemlich Brod,
und ein Jeder befam in einem zinnernen Becher bei anderthalb Stüd
Tiihwein, womit man, namentlid) des Sommers, lange nicht veichen
konnte. Auf der Räthe Tiſche wurde zwei Mal eingefchenkt, während
die Schreiber fih mit einem geringern Maaß begnügen mußten. Den
Kanzler Oswald Gutt fehildert Saſtrow als einen alten, grämlichen
Mann, der den Screibern fehr auf 'die Finger gefehen habe. (Diefen
Eindrud macht aud fein Bild auf feinem Grabftein in der Schloßkirche.)
Von dem Markgrafen Ernft wird gefagt, daß er ein frommer Herr und
ı) Sachs, IV., %.
?) Urkunde im Stadtarchiv,
2) Vergl. Bartbolemäi Saftrowen Herlommen, Geburt und Lauff feines :
ganzen Lebens, herausgegeben v. ©. Eh. F. Mohnike, (Greifswald, 1823)
Thl. H., S. 2366 ff., und Bartholomäus Saftrow, ein merkwürdiger
Lebenslauf des 16. Jahrhunderts, von Ludw. Grote. (Halle, 3. Zride 1860.)
Pflüger, Pforzheim. 18
274 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
fparfamer Haushalter gemefen fe, der feinen Lande wohl vorgeftanden
babe. Sein Gemad hatte der Fürft unmittelbar über dem Haupteingang
des Schloffes, um Alles überfehen zu können, was vorging. Bei feiner
fleigigen Aufficht konnte nicht Teicht ein Verſehen oder eine Untreue feiner
Diener unentdedt bleiben, Dabei trugen ſich dann zumeilen ſehr poffir-
rihe Scenen zu, worüber der Markgraf fein Gelächter und feine Kurz—
weil hatte. Einsmals, fo erzählt Saftrow, wollte der Küchenmteifter
einen jchönen großen Karpfen ftehlen und verftedte ihn unter den Mantel,
um ihn fo mit hinunter zu nehmen. Allein der Fiſch war fo groß, daß
fein Schwanz unter dem Mantel hervorgudte, Als der Markgraf es
bemerkte, rief er den Küchenmeifter zurüd und fagte: „Hörft du,
wenn du wieder einen Karpfen ftehlen wilft, fo nimm entweder einen
Heinern Fiſch oder einen längern Mantel!“ — Ein ander Mal kamen
zwei Köche aus der Küche, um Binunter zu gehen. Der eine hatte
zwei rein gemachte Kapaunen Binten in die Riemen gehängt. Nun
brachte man gerade etliche Fäffer Wein in den Keller, Als ber Mart:
graf die beiden Köche vorüber geben ſah, rief er ihnen zu, fie follten
Hand mit anlegen. Sogleich fprangen fie zu und warfen ihre Mäntel
ab; aber der, welcher die Kapaunen genommen hatte, vergaß derfelben,
Als er nun mit am Geile arbeitete, wippten ihm die Kapaunen auf
den Lenden. Der Markgraf mußte herzlich lachen; feine Gemahlin mußte
audy kommen, um die Kurzweil mit anzufehen, und fo wurde der Dieb
vor dem ganzen Hofgefinde beſchämt. — Wenn Markgraf Ernft einen
Gefangenen fiten hatte, den man abthun follte, jo hatte er folgenden
Gebrauch: Er ließ den Miffethäter, wenn er zum Richtplage hinaus:
geführt werden follte, vor fi) kommen und verbat ſich mit ihm, daß ers
ihm verzeihen follte, was er ihm thun Taffen müßte. Dann redete er
ihm zu, er follte nicht verzagen; denn der Sohn Gottes hätte nicht um
ber Gerechten, jondern um der Sünder, alfo auch um feinettwillen fein
Blut mildiglich vergoffen, daran follte er nicht zweifeln, Damit gab er
ihm die Hand und Tieß ihn abführen, 1) —
1) Wie fih Saſtrow felber einmal in einer großen Berlegenbeit zu helfen
wußte, erzählt er in erwähntem Buch ın fehr Tauniger Weife. Er hatte ein
“ wichtiges Dokument zu kopiren. Es war, fagt er, fo viel, daß man die größte
Kälberbaut dazu nehmen und noch wohl enge fehreiben mußte. Bartholomäus
war zwar nicht wenig darob bekümmert, weil er e8 dem arämlichen Kanzler, der
mit Scheltworten und Strafen gleich bei der Hand war, nicht recht zu machen
Zwölfies Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 275
Bei den wohlwollenden Gefinnungen des Markgrafen ift es natür:
lich, dak ihm auch die Pforzheimer fehr zugethan waren, Zum Zeichen
ihres Dankes für erwieſene fürftliche Huld ließen fie 1538 ein fteinernes
Standbild des Fürſten anfertigen, das fie auf den Marktbrunnen ftellten,
wo es heute noch zu fehen iſt. Es zeigt die geharniſchte Geftalt des
Markgrafen, jedoch mit entblößtem Haupte; die rechte Hand ſtützt fich
auf feinen Schild, die linke umfaßt das Schwert. Unten am Brummen
war früber die Inſchrift: AN. MDXXXVIN PRINZIPE HERNESTO
MARCHIONE BADENSI CIVITAS PHORCENSIS F. FECIT,
db. h. „Im Jahr 1538 Hat die Stadt Pforzheim dem Markgrafen
Ernſt von Baden (diefes Denkmal) errrichten laſſen.“ 1)
Da der zweite Sohn Ernſts, Markgraf Bernhard, dem die Stadt
Pforzheim bereits 1550 gebuldigt hatte, 2) gleich dem erften noch vor
dem Vater ftarb, jo kam die ganze Markgraffchaft mit Pforzheim an
Karl II. Den üblichen Revers bezüglich der Stadt Freiheiten ftellte er
fürchtete; doch ging er fleißig an die Arbeit. Nun hatte er bereits zwei Tage
an dieſem Briefe gefhrieben, da entdedte er, daß er gleih zu Anfange mehr
als eine ganze Zeile im Goncepte überfchlaaen hatte. Bartholomäus wußte
erfi feinem Leibe feinen Rath; doch beſann er fih und fiel auf folgende Kriege:
liſt. Das Haus Pforzheim lag auf einem bohen Berge, die Kanzlei unten in
der Stadt. Als man nun Mittags zu Tiſche blies, blieb er bis zuleßt in ber
Kanzlei, ergriff eine Kage, tunfte der den Ehwanz ins Tintenfaß und jagte
fie dann über den Brief. Da wurde der ganze Brief mit Tinte bejudelt, und
die Epuren der Kakenfüße waren nicht zu verfennen, Nach diefem Kunfiftüce
ſchloß Saſtrow die Kanzlei zu und ging auch zu Tiſch. Nah dem Eſſen lieh
er die andern Kanzleiverwandten vor fich hinunter gehen. Als die die Kanzlei
aufſchloſſen, ſprang ihnen die Kate unter die Augen. Zugleich jahen fie, wie
auf dem Tiſche hausgchalten war. Hernach fam auch Saftrew, Nun zeigten
ihm die Andern den Brief und erzählten, wie die Kate gegen ihnen aus ber
Kanzlei geiprungen wäre, Sie fünnten nicht wiffen, fagter fie, wer bie Katze
verfchlofien hätte. Saſtrow fiellte ſich ſehr verdrießlih und war übel zufrieden,
daß er’ben Fleiß und die Arbeit umfonft gethan hätte, Die Andern mußten
ihr noch zufrieden ſprechen. Alſo ift er mit allen Ehren beſtanden. Hätte er
feine Zuflucht nicht zu diefer Lift genommen, jo würde es nicht ausgeblieben
fein, er hätte etliche Tage im Thurme panem doloris (Schmerzensbrod) eſſen
müſſen.
1) Ein Stein mit dem badiſchen Wappen, deſſen Umſchrift mit der Jahr:
zahl 1537 auf Markgraf Ernft lautet, ſteht in der Schloßkirche.
2) Revers im Stadtarchiv.
15*
276 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
unterm 10, Februar 1553 aus.) Der bald nad feinem Regierungs:
antritt zu Pforzheim verfammelte Landtag bewilligte dem Markgrafen
„zur Erzeigung unterthänigen Gehorfams, auch Ringerung und Erleich—
terung feiner merflihen hohen und gar unerträglidhen Schulden und
Landesbeſchwerden“ eine fünfzehnjährige Hilfe, die in einer Abgabe von
1 Ort (1/, Pfennig) von 100 fl. Steuerkapital und dem Maaßpfennig
beftand. Dabei hatte ſich auch die Stadt Pforzheim dazu verſtan—
den, dem Markgrafen auf 15 Jahre Tang jährlih 1000 Gulden zu
bezahlen, „doch ihrer Freiheit (wornach fie von Entrichtung jeder direkten
Steuer befreit war) in alle Wege unnadhtheilig und unfhädlih.” Da:
gegen erlaubte der Markgraf, daß die Stadt Pforzheim während diefer
15 Jahre von jeder Maaß Wein, die in Pforzheim in Wirthshäufern
oder fonft ausgeſchenkt würde, 1 Heller erheben dürfe. 2) Nod vor
Umlauf diefer Zeit jedoch hatte fih der Markgraf mit der Landſchaft
dahin verftändigt, daß die bewilligte Steuer wieder wegfallen, der Maaß—
pfennig dagegen nicht nur 15 Jahre lang, fondern für immer bezahlt
werden folle. ine ähnliche Zumuthung, die auf 15 Jahre bemilligten
1000 Gulden „erwiglich” zu entrichten, wies die Stadt Pforzheim zurüd,
da fie „eine ſolche ewigliche Beſchwerde nicht auf fid laden wolle,“
Doc verftand fie fich dazu, jene Summe zu bezahlen, „jo lang Sr. fürft:
lichen Gnaden männliche Xeibserben und Erbers:Erben in abfteigender
Linie vorhanden“, erbat fit) aber, da megen vielfältigen Mißwachſes und
daraus entftandener Theurung (fiehe unten) der bisher erhobene Maaß—
beller zur Entrihtung der 1000 Gulden nicht bingereicht hätte, die Er—
laubniß , künftig ftatt defien einen Maafpfennig, ähnlich wie im ganzen
Land, erheben zu dürfen. Dies wurde ihr am Dienstag nad Indica
41573 vom Markgrafen Karl auch geitattet. 3) Wir werden auf diefe
gegenfeitigen Bewilligungen weiter unten zurückkommen.
Das wichtigſte Ereigniß für Pforzheim, das fih unter der Regie—
rung des Markgrafen Karl II. zutrug, war die 1565 erfolgte Ber:
legung der Refidenz von Pforzheim nah Durlach. Als Urſache
derjelben wird gewöhnlich angegeben, daß die Pforzheimer deshalb den
1) Er ift im Stabtardiv und trägt die eigenhändige Unterfchrift des
Markgrafen, während ben frühern Reverſen nur das Siegel der betreffenden
Fürſten angehängt if.
?) Urkunde im Stabtarhiv v, 11. Nov. 1554.
2) Urkunde im Stadtarchiv.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 277
Unwillen des Markgrafen erregt hätten, weil fie ſich zu einer Jagdfrohnd
nicht verfteben wollten, die er ihnen — allerdings ihren Privilegien ent:
gegen — zugemutbet babe. Der Grund der Verlegung ift aber wohl
eber darin zu fuchen, daß der Markgraf mehr in der Mitte feiner eigent-
lich badischen Landestheile wohnen wollte und darum Durlach zu feiner
Refidenz wählte. Bon der Klugheit Karls II. ift nur ein wohlüber:
Iegter Beweggrund für folden Entſchluß zu vermuten, In Durlach
war jhon 1532 ein fürftliches Schloß; t) feit 1563 wurde es aber
erweitert und vom Markgrafen Karl II. Karleburg genannt. Es war
alſo die 1565 gefchehene Verlegung nicht die Folge eines plötzlich ge
faßten Entſchluſſes. Nah der Sage foll längere Zeit eine Tafel am
Schloſſe in Pforzheim befeftigt gewefen fein, worauf die Urfache folder
Beränderung angegeben geweſen wäre: 2) Intereſſant bleibt immerhin
no das, daß ber Markgraf 1558, alfo nur wenige Jahre vor der
Berlegung,. innerhalb des Echlofjes zu Pforzbeim eine neue Kanzlei er:
bauen ließ. Bon derſelben ift noch ein Denfftein vorhanden, der fid) der:
malen hinter der Domänenverwaltung befindet. Unter der Jahrzahl iſt
das badiſche Wappen mit dem Bildniß des Markgrafen Karls IL, und
darunter ftehen folgende lateiniſche Diftichen : 3)
Carolus has princeps Badensis construit aedes,
Ut sint consiliis Curia sancta bonis.
Hic populo par est aequas praescribere leges,
Omnibus ex merito reddere jura suo;
Ambiguas justo decidere tramite causas
Et celeri miseras fine juvare preces,
Hine procul affectus animi seponere pravos
Et rem judicio noscere quamque bono,
Auf deutſch: „Der badiihe Fürſt Karl führte diefes Gebäude
auf, daß es fei ein geheiligter Gerichtshof für gute Urtheilsſprüche. Hier
geziemt es fich, dem Volke gleiche Geſetze vorzufchreiben und Jedem nad)
Berdienft Gerechtigkeit widerfahren zu laffen, auf gerechtem Weg zweifel-
bafte Fälle zu entfcheiden und durch ſchnellen Entſcheid die Bitten des
) Durlacher Lagerbuch von 1532 (vergl, Bierordt, Geſchichte ber Karle:
ruher Mittelfchule, ©. 9).
2) Sachs IV., 140.
) Die auch Sachs IV., 140 und nah ihm Gehres, S. 22, aber mit
Auslafjung zweier Zeilen mittheifen.
278 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16, Jahrhundert.
Elenden zu erledigen, weit von hier die verkehrten Leidenſchaften zu
verbannen und jede Sache durch gerechtes Urtheil zum Austrag zu
bringen!“ — Ein anderer Stein mit Wappen aus der Regierungszeit
Karls II., nämlich von 1575, befindet ſich über dem Schloßthor.
Bon dem 1577 erfolgten Tode des Markgrafen und feiner Bei:
fetung in Pforzheim ift oben (S. 270) ſchon die Rede geweſen.
Es ift ſchon im neunten Kapitel (S. 156 ff.) eine Ueberſicht der
Einkünfte gegeben worden, welche die Markgrafen von Baden (be. die
Herrſchaft) in Pforzheim bezogen. Bei Anlegung eines neuen Lager⸗
buchs im Jahr 1527, 1) alſo unter Markgraf Philipp, wurden diejelben
abermals verzeichnet und zufammengeftellt, und zwar in größerer Boll:
ftändigfeit ala früher, weshalb es um jo weniger überflüffig fein dürfte,
das Verzeichniß ebenfalls hier mitzutbeilen, als dasſelbe manche belehrende
Einzelheiten enthält. |
Die Lagerbucherneuerung geihab durch „Leonhard Weibel,
Kellner, und Leonhard Maler von Calw, weiland des Stadtſchreibers
Diener zu Pforzheim, von kaiſerlicher Macht offenen (öffentlichen) No—
tarius.“ Zeugen waren: Philipp Bollandt, Schultheiß, Auguftin Leon⸗
hardt, Bürgermeiſter, Peter Wynzieher, alter Bürgermeiſter und Hans
Braun des Raths, alle zu Pforzheim. — Es wurden in Pforzheim an
Strafen bezahlt: Für einen Blutrinsfrevel, d. h. wenn Einer
einen Andern blutrünftig ſchlug, 4 Gulden 4 Schilling Pfennig; 2) für
einen Klein- oder Trodenfrevel, d. b, für eine thätliche Beleidigung,
die nicht mit einer Vervundung verbunden war, 1 fl. 4 Sch. Pfg.;
für ein groß Unrecht, d. b. eine grobe, abfichtliche Verlegung oder
Nichtachtung der Polizeiordnung 1 fl. 1 Sch. Pig; für ein Flein
Unrecht, alio eine minder bedeutende Vernachläſſigung derjelben
5 Sch. Pf.; für eine Lügainung, d. h. eine abfichtlihe Täuſchung
richterlicher Perfonen 3 Sch. Pf.; für eine Spielainung, wem
Säfte in einem Wirthshauſe verbotene Spiele fpielten, 5 Sch. Pie.
Alte diefe Strafen gehörten dem Markgrafen allein. Dagegen gehörten
von einem Friebbruch, d. b. wenn Einer, nachdem ihm Friede ge
1) Dasjelbe befindet fih im Landesarchiv zu Karlsrube.
2) Rırgl. S. 129 und die zweite Note ©. 213. Zu vergeſſen iſt nicht, -
daß ber Rechnungsgulden zu Anfang des 16. Jahrhunderts 2 fl. 524/, Er.
des heutigen Geldes betrug und daß 14 Sch. Pig. auf I Gulden gingen,
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 279
boten war, mit Schimpfreden ac. fortfuhr, fowie von fonftigen Strafen
und dem Ungeld 3/, dem Fürften und 1/, der Stadt, wie es $ 28
des Treibeitenbriefes von 1491 vorſchrieb. — Diejenigen Bewohner
Pforzheims, welche leibeigene Ausleute waren, auf die alfo die Freiheiten
der Stadt feine Anwendung fanden, wurden behbauptredtet, d. 5.
nad ihrem Tode hatte der Markgraf das Recht, ben beiten Theil ihrer
Habe, namentlich das ſchönſte Stüd Vieh, für fih in Anſpruch zu
nehmen,
Die Berleidung und Präfentation der Pfründen gebt, fo heißt
es weiter, an die Kanzlei nad) Baden. — Der große Zehnten in Porz
beim gehört den Klöftern Lichtenthal und Hirſchau zu gleichen Theilen
zu. Davon geben fie jährlih an den Marftall zu Pforzheim gut
Roggenſtroh 200 Bürden. Auch müfjen die Lichtenthaler Nonnen die
Sügerpferde und Hunde des Markgrafen, fo oft diefe zu Pforzheim liegen,
beftreuen (S. 158).
Des Markgrafen eigene Güter find: 1. Das Schloß
mit dem Zwingelgarten gegen die Stadt herab, aud mit Marftall,
Scheuer, Hof und Hofraithe, dazu „dem nähern Zwingel ufjerhalben
zwijchen den beiden Stadtmauern vom Schloß hinab bis an ben Leit:
gaftthurm, aud der Kirchhof (ſelbſwerſtändlich auch vie Schloßkirche)
— ohne alle Beſchwerung der Stadt." Zum Schloß gebört ferner
der Schloßgarten am Eifinger Weg (der fpätere Waifenhausgarten).
Der Klofterfrauen zu Pforzheim arme Leute (Leibeigene) in ihren
Dörfern zu Brößingen, Eutingen und Iſpringen müfjen das gemeldte
Schloß in Frohnd beholzen. — 2. Die Bleihwiefe am Mebelgraben.
Diefelbe zinst auf Martini an Sankt Thomas und Andreas Altar zu
St Michael in Pforzheim 1 fl. 6 Sch. Pig. md 3 Faſtnachtshennen
oder dafür 2 Sch. Pig., geftiftet durch weyland Wernher Göldlin laut
der Gonfirmation von 1412 (©. 86). Die Büchenbronner und Suchen:
felder müffen diefe Wiefe in der Frohnd beforgen, und die Brößginger
müfjen das Heu heimführen in den Marftall. — Die Kelter in ber
Altftadt (vor dem jetzigen Gafthaus zum Ochſen) gehört dem Mart-
grafen; dahin find die Pforzheimer Weinberge gebannt; das Fuder gibt
4 Viertel Kelterwein. — Der Rande, Weg: und Waſſerzoll ge
hört dem Markgrafen allein. — Vom Stättgeld am freien Markt
gehört 1/,, an Jahrmärkten das Ganze der Stadt. — Die Metger geben
Zunftgeld I Sch. Pig. Jede Metzelbank, deren 26 find, zinst
280 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
10 St. Pfg, macht alfo 18 fl. 8 Sch. Fig. — Die Büderzunft gibt
von ihren 2 Mebelbänten, um ihre Schweine dort auszubauen, bes
Jahres 1 fl. 6 Sch. Pfg. — Jeder Metzger, der feine eigene Bank
bat und doch metzelt, zahlt dem Markgrafen 5 Sch. Pig, — Die
Bäderzunft zahlt 1 fl. 1 Sch. Pfg. Ein Bäder, jo allein gebeu-
teltes oder Moggenmehl badt und in feinem Haus feil hat, zahlt dem
Markgrafen 5 Sch. Pig.; trägt er es aber in die Hütten, 10 Sch. Pig.
Mer Jahr vor Martini anfängt oder aufhört zu baden, zahlt für
diefes halbe Jahr 5 Sch. Pig. — Jeder Fiicher zu Pforzheim oder
nächite Nachbar, der auf der Fiſchbank in Pforzheim feil hat, zahlt dem
Markgrafen jährlid 3 Sch. Pig; ein Fremder aber- zahlt 6 Sch. Pfg.
Der Fiſchbankzins erträgt ungefähr 10 Sch. Pig. — Das Wein:
ungeld !) beträgt für Wirthe je die zehnte Maas, Jeder Bürger, wenn
er nicht deswegen gefreit ift, gibt von jeder Ohm Legweins 6 Pfg. Hans:
ungeld, und welcher Bürger oder Inwohner Malvafier, Neinfaldt, Ber:
neticher 2) ober dergl. fühen Wein von Zapfen jchenft, gibt davon ent:
weder die zehnte Maaß von der Ohm, oder die alte große Maas. —
4 Malter Kernen gibt Fruchtungeld 1 Sch. Pig, 1 Mitr. Kom
9 Big, 1 Mitr. Dinkel 6 Pig. — Bon jedem gemebelten Zentner
Fleiſch beträgt das Ungeld 18 Pfg., und von 5 ungeraden Pfd. je
1 Pig; von 1 Kalb 5 Pig; von 1 Hammel, Schaf, Geiß, Bock
4 Pfg.; wenn ein ſolches Thier noch fehr jung ift, fo wird nichts bezahlt.
Bon allem diefem Ungeld gehört der Stadt 1/,. — In den Salzkauf
legt der Markgraf 3/,, die Stadt 1/,, und der Geminnft wird auch fo
getheilt. — Mühlenzins (vergl. S. 157): Claus Müller von
Mühlhauſen hat erblich die Wagmühle, zinst alle 14 Tage 12 Simri
Kernen und 12 Simri Korn (Pforzh. Maas); Georg Herichner hatte
erblicdy die Spitalmühle, zinst alle 14 Tage 10 Sr. Kernen und
10 Sr. Roggen; Henfin Leonhardts Erben (1527 Michael Geiger)
haben erblich die Kloftermühle an der Ichbrücke (Eichmühle), zinfen
alle 14 Tage 9 Er. Kernen und 9 Sr. Roggen; Klaus Göppinger
(1527 Hans Geiger) hat erblich die Nonnen: oder Bfriemenmühle
i) Man vergl. zum Folgenden die Befimmungen des Privilegienbriefes
von 1491, ©. 224.
») Malvafier — cin griehifcher Wein aus Napoli di Malvafia in Morca ;
Reinfaldt war Wein aus Rivoglio in Italien. Woher der Vernetſcher ſtammte,
weiß ih nicht.
Bi Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 281
am Frauenkloſter und der Stadtmauer, zinst alle 14 Tage 8 Sr. Ker:
nen und 8 Sr. Roggen; Peter Müller bat erblih die Zwingel:
mühle (Obermühle) bei dem obern Bad, zinst alle 14 Tage 5 Sr.
Kernen und 8 Sr. Roggen. — Der Nonnenmaher (Kaftrater)
zahlt für die Erlanbniß, das „Amt Pforzheim zu beſchnyden“, 1 fl. —
Stefan Engelfried der Plattner (Harniſchmacher) zinst von feiner Balier:
mühle, genannt Keſſelmühle, an der Enz bei der Walkmühle herab,
gegen Melchior Waffenichmieds Mühle über, 1 Pfund 6 Sch. Pf.;
Mel. Waffenſchmied zinst von feiner Schleifmühle 1 fl.; Us
Melchior Lederlin, Pulvermacher und Alt und Jung Hubenfchmied zinjen
von der Baliermühle, oberhalb der Walfmühle an Stoffel Waffen:
ſchmied gelegen, 1 Pfd. Pfg.; Valtin und Stoffel Waffenſchmied zinjen
von ihrer Schleifmühle unten an beiden Hubenſchmieden 10 Sch.
Pfg.; die Meifter Gerber Handwerks zinien von ihrer neuen Ninden:
mühle, fo vorber eine Balier- und Schyleifmühle und Conrad Huben:
ſchmieds gewefen ift, gegen ihrer andern Mühle über an dem ven Nip⸗
penburg'ſchen Garten gelegen, 11 fl. 11 Sch. Pfg.; Hs. Kepler zinst
von feiner Kupfermühle im Krebenweiler an der Enz vorm Alt:
ftädter Thor unter der Lohmühle 1 fl. 6 Sch. Pig; Hs. Lutz der
Säger hat erblid die Sägmühle ober der äußern Ziegelhütte gelegen,
zinst jährlich 4 fl. 4 Sch. Pfg.; Bürgermeifter und Rath zu Pforzheim
zinfen jährlih aus der unten Sägmühle, unter dem großen Weg
auf dem Mörth arlegen, dem Markgrafen 1 fl. — Jährlicher Waffer:
zins in die Stellerei: Hs. Beil ſammt feinen 3 Gebrüdern, ferner He.
Lungel im Spital, Erhard Vetter mit feinen Brüdern, Leonhard Vetter,
Georg Bauer fammt feines Bruders Sohn, Claus Billing, Wendel
Reinhard und H8. Reinhard haben das Fiſchwaſſer von der St. Mar:
tinsfirche und der Altftadt Bis zur Meuracher Kling, geben für jede
Frohnfaften 33 Sch. Pfg., thut jährlich 9 fl. 6 Sch. Pfg.; wenn Einer
von ihnen ohne männliche Erben mit Tod abgeht, Fällt fein Antheil dem
Markgrafen wieder zu. So viel Lächſe darin gefangen werden , jollen
fie in die Kellerei geliefert werden, und befommen die Fiſcher für jeden
Lachs 3 Sch. Pfg. Bon genannten Mannlehen find vergangenen Jahres
4 Stüd, genannt Hillerwed, unferm Herrn Markgrafen zugeſtorben.
Das Fiſchwaſſer an der Enz von der Spitalmühle über Birkenfeld bis an
die Tennenfurt hat Ib. Geiger, zinst 12 fl. ; Claus Göppinger zinst jährl.
vom Waſſerabfall oder Kager bei feiner Mühle 7 Sch. Pig; 98.
232 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Rüfflin vom Wafferabfall bei der Wagmühle 11.4 Sch Pia; —
Up Ritters Wittwe zinst von einer Haus: und Hofraithe in der Klofter:
gaffe, zwifchen der gemeinen Straße und Math, Meerwein gelegen, 1 fl.;
Ambrofius Start, genannt Holzſchuhmacher, zinst von jenem Haus
bei der obern Badftube zwifchen Wendel Eattlers und Matern Weilers
Scheuer hinter Junker Hans Kechlers von Schwandorf Gürtlein 2 fl. ;
die Herrſchaft zinst auf Michaelis 15 Sch. Pig. von neunten Theil
des Zehntens in Dietlingen an die Pfründe zu St. Georg zu Pforz-
beim; — item zinst auch die Herrſchaft 2 Sch. 3 Pfg., ferner 200
Eier, 1 Halb Huhn, 1 Malter Korn, 41 Malter Dinkel, T Matter Haber
an St. Cath. Altar zu St. Michael vom halben Laienzehnten zu
Nöttingen, der auch dafür Unterpfand ift laut eines Briefes v. 1494.
$ 3. Inneres,
Wir ftoßen in diefem Zeitabfchnitt mehrfadh auf Streitigkeiten,
welche ſich zwifchen Pforzheim und etlichen Nachbarn der Stadt erho:
ben haben. Ging aud die Maidberechtigung im Hagenſchieß, welche
den Herrn von Leutrum zuftand, im Jahr 1524 im Wege friedlichen
Vertrags don Wurmberg auf Pforzheim über, das fi dafür zur
Ablieferung von jührlihen 18 Malter Hafer an die Herren Ludwig
Chriſtoph, Georg und Philipp von Leutrum verpflichtete, ) fo entbrannte
dafür ein heißer Streit zwiſchen Pforzheim und Würm wegen Holzbe—
rechtigung. Derfelbe fam bis vor das Reichskammergericht in Speier und
wurde nad jahrelanger Daner des Prozefies 10660 zu Gunften Würms
entfchieden. 2) Die Sache ift nicht wichtig genug, um ausführlich darauf
einzugehen. Wegen des Maidgangs auf dem Node, der zu mehrfachen
Irrungen Beranlafjung gegeben, kam es 1543 zu einem Vergleich zwiſchen
Pforzheim und dem Junker Reinhard von Neuhaufen zu Weißenſtein,
und abermals wegen Dlarfungsitreitigteiten und Wiehtrieb im Kallert
zwifchen den beiden gleichen ZTheilen 1547 zu einer gütlichen Ueber:
einkunft. 3) —
1) Kopialbuch im ſtädtiſchen Archiv,
9) Urtheilsbrief im ftädtifchen Archiv. Außen darauf ſteht: Tara zwölf
Gulden.
2) Urkunden im Stabtardiv.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 283
Im Jahr 1569 übergab Markgraf Karl der Stadt Pforzheim
ben Eckerich im Hagenſchieß auf Pforzheimer Gemarkung gegen einen
jährlichen Dehmen (hier Ederichzins) von QOO Gulden, die unablöslich
fein ſollten; doch blieb mehreren Perſonen das Recht vorbehalten, ihre
Schweine dehmenfrei Laufen zu Inffen, fo dem Vogt zu Pforzheim 2,
dem Amtskeller 2, dem Waldförfter 2, dem Herrn von Leutrum 20,
bem Kanzler Achtſynit oder dem Inhaber von Niefernburg 12 Schweine, !)
Man mag daraus wiederholt (vergl. ©. 244) entnehmen, welcher. Werth
damals auf die Eichelmaft gelegt wurde. Der Dehmen von 200 fl.
wurde indeffen, wie wir jpäter fehen werben, felten oder nie bezahlt, fo
daß er zuleßt zu einer ungebenern Summe anwuchs und zu Streitige
keiten zwiſchen Stadt und Herrſchaft Veranlaſſung wurde. — Des Kaufe
von einem Stück Mald an der Strutt, zwiſchen der Stadt und St. Geor:
gen Wald gelegen, den die Etadt Mforzheim 1531 von dem Bürger
Hans Dütlinger und feiner Frau Anna Rüflerin um 50 fl. erftand,
mag bier ebenfalls Erwähnung geichehen. 2)
Bon größerm Intereſſe dürfte es fein, zu erfahren, daß die Stadt
Pforzheim im Jahre 1538 die Ehre Hatte, beim Vehmgericht ber:
Hagt zu werden. Dies geihah durch einen gewiffen Jerg Fünfftetter —
ang welcher Urjache, weiß ich nicht — und zwar bei dem Freiſtuhl zu
Medenbach in Weftphalen. Aus dem fpäter in diefer Sache erfolgten
Urtheil des Reichskammergerichts zu Speier 3) läßt ſich entnehmen, daß
einer der „angemaßten“ Stuhlherrn, ein gewiffer Heinrich Beckmann,
der ſich nannte „einen Freigrafen und Richter des Freiſtuhls in Weſt⸗
phalen zu Medenbach“, einen „nichtigen, muthwilligen, freventlichen
Spruch“ hatte ausgehen und auch durch einen heimlichen Boten an das
Rathhaus in Bretten anſchlagen laſſen. Ebenſo hatten die Stuhlrichter
Philipp Schenk von Schweinsberg und Johann Farmund oder Vor—
mund nebſt dem genannten Beckmann gemeinſchaftlich eine Ladung an
bie von Pforzheim ergehen lafjen, die man an ber „Stadtporten" ein—
geſteckt fand, und als derfelben Feine Folge geleiftet wurde, jo hatten fie
bie von Pforzheim für ungehorſame, unehrlihe, verfäumte, werachtetete,
) Urkunde im Landesarchiv.
2) Urkunde im Stadtarchiv. An derſelben bängt das Siegel des Vogtes
Eberhard von Reifhad.
2) Es befand ſich früher auf dem Pforzheimer Stabtardiv, ift aber jebt
nicht mehr vorhanden,
984 Zwöoölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
verurtbeilte, treulofe und meineidige Leute erklärt, die alles Rechts ent:
feßt, vom Frieden in den Unfrieden ꝛc. gejeht jeien. Da man in Pforz-
beim aber allen diefen Urtheilsiprüchen Feine Gültigkeit beilegte, jo wurde
ihrer Etliche, die auf die Frankfurter Meſſe gereist waren, nämlich ber
Bürgermeifter Peter Gößlin, Klaus Engelhard, Jakob Ryſyſin (Reiß—
eifen), Klaus Baihinger und Stoffel Hochſt, am 14. Zeptember 15.58
von einem, der von genannten Stuhlrichtern als Anwalt geſendet worben
war, nämlich Peter Scheyd von Medenbach, „angefallen und angeregt,
vermeinter nichtiger beimlicher Acht halben und zu ihrem großen Schaden,
Berluft und Nachtbeil dafelbft in der Meſſe, da fie ihrer Handierung -
und Kaufmannfchaft warten und einfaufen jollten, aufgehalten.“ Leber
alle dieſe Unziemlichkeiten führte Markgraf Ernft Klage bei dem Reihe:
fammergericht, weiches alle Urtheile der erwähnten Freiſchöppen für nichtig
erklärte, den Beckmaun in die Gerichtsfojten verurtheilte, die verflagten
Stuhlherrn aber, ſowie den erg Fünfftetter freiſprach.
Nühmend muß hier einiger im Lauf des 16 Jahrhunderts ge
madyten Stiftungen zu wohltbätigen Zwecken gedacht werden, die ſich
zum Theil bis auf unſere Tage erhalten haben. Es gehört dazu in
erfter Meihe die des ftäbtiihen Almofens. Um das Jahr 1533
wurden ſämmtliche Brubderihaftsfonds von Pforzheim (vergl. ©. 160)
fammt dem des GSeelhanies (S. 163) mit dem Haus jelber zu einem
gemeinſchaftlichen Almoſenfond verihmolzen, 1) woher fid) auch deſſen
Urfprung datirt. Da bderjelbe von der Bürgerjchaft und den Zünften
berrührte, jo erhielten Bürgermeifter, Gericht und Math die Aufficht nnd
das Berfügungsreht darüber, hatten die Aimofenpfleger ein: und abzu—
fegen und die jährliche Abhör der Rechnung in Gegenwart der Beamten
und des eriten Stabdtgeiftlihen vornehmen zu laſſen. Das Almofen er-
hielt in der Folge mandye zum Theil veiche Bermächtnifie, fo 1548 von
oh. Lutz, Bilar des Domftifts zu Speier 300 fl., 1552 von Peter
Göplin 100 fl., 1554 von Thomas Heppler 100 fl., 1557 von Lukas
Piftorius 100 fl., 1568 und 1575 von Marzelf Wolff und Frau
200 fl., 1570 und 1572 von Peter Gößlins Witte 120 fl. u. f. w.
Bon frühern Stiftungen hatte das Almofen auch die Verpflichtung über:
1) Ragerbuch des Almoſens von Pforzheim (im Stadtarhiv). Es ift darin
auch von der Älteften Almoienrehnung von 1533 die Rede; dieſelbe ift aber
nicht mehr vorhanden.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16 Jahrhundert. 285
nommen, arme Kindbetterinmen zu unterftügen, an die lateiniſche Schule
für Pflege des Kicchengefangs jährlich 12 Gulden zu bezahlen u. dgl. m.
— Einer Stiftung von 300 fl., welche Chriftoph Wertwein, ein
geborner Pforzheimer, ſpäter Biſchof in Wien und Beichtvater von Kaifer
Ferdinand I. (vergl. S. 197), 1555 in das Almofen aus Dankbarkeit
dafür, daß er felber als Unterftügung beim Studiren etliche Gefälle
einer Pfründe von St. Michael bezogen, zum Beten armer Etubirender
machte, muß deshalb noch befendere Erwähnung geſchehen, weil dieſe
Summe fpäter (1763) aus dem Stadtalmofen wieder ausgefchieden wurde
und feither bejondere Rechnung darüber geführt wird,
Eine Ähnliche Stiftung von 600 Gulden, wozu 1564 weitere 200
Gulden famen, machte 1559 ein anderer Pforzheimer, nämlih Peter
Geiger, „Kanonitus des Stiftes zu Baden. Die Zinfen follten nad
dem Tode des Stifters für 6 junge Knaben, darunter für einen, der
Theologie ftudiren würde, beftimmt fein. Diejelden mußten aber dem
Geiger'ſchen Geſchlechte angehören, und nur im Fall davon nicht genug
vorhanden wären, durften auch andere fromme und unvermögende Dür-
gersfinder, insbefondere von Pforzheim, genommen werden. Jeder auf—
zunehmende Knabe folle 7 Sabre alt fein und 7 Jahr lang das Schul:
geld für ihm bezahlt werben. Bei einem alsdann in Gegenwart Bür-
germeifters, Gerichts und Raths, ſowie der zwei Aelteften des Geiger’ichen
Geſchlechts vorzunehmenden Prüfung Tolle der fähigfte und geſchickteſte
der Knaben zum Studium der Theologie beftinmt, die andern aber zu
Handwerkern in die Lehre gethan werden, Der Ausgewählte hatte num
Grammatik, Dialektik und Rhetorik zu ſtudiren und fodann auf diejenige
Univerfität zu geben, wo die MWifjenfchaft der Theologie am reinften ges
lehrt würde. Dem Stipendiaten, der 6 Jahre lang jährlih 25 Gulden
erhielt, wurde zur Pflicht gemacht, fleißig und anftändig, letzteres bejons
ders auch in der Kleidung zu fein. Nach vollendeten Studium follte
er verpflichtet fein, feinem Waterland , namentlich der Stadt Tforzheim
mit chriſtlicher Lehre, Predigen, Austheilen der Sakramente ꝛc. zu dienen,
und wenn er in Pforzheim feine Anftellung erhalten könne, fo folle er
ein Fahr die Bürgerskinder in Pforzheim im Katechismus unterrichten,
und wenn er dies zur Zufriedenheit gethan, fo jolle er das Stipendium
mit 25 Gulden erhalten, Wer fit) aber von den Stipendiaten nicht
gut aufführe, der folle 2/5 des Stipendiums wieder erftatten Wer
ben erwähnten Katehismusunterricht verweigere, der ſolle , zurück⸗
286 Zwolftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
erftatten. Wenn derjenige, ber ein Stipendium genoſſen, im Inland
feine Anftellung finde, fo dürfe er auch ins Ausland gehen. Mer
während des Studiums die Theologie aufgebe, folle das Stipendium
nicht mehr bekommen. Wer durch Krankheit unfähig werde, das geiftliche
Amt zu führen, dem folle ber oben vermerkte Erſatz erfaffen fein. 1) —
Peter Geiger ftarb 1569 zu Baden und befleidete, wie auf feinem im
der Marienkapelle der dortigen Stiftskirche befindlichen Grabftein erficht:
lich, zufeßt das Amt eines Vicedekans des Stiftes. 2)
Eine Stiftung anderer Art darf bier nicht vergeflen werden. Der
Kanzler Achtſynit vermachte um 1560 ein Kapital von 100 Gulden mit
der Beftimmung, daß die Zinſen davon mit jährlichen 5 Gulden jedes
Jahr oder alle 3. Fahre bei Abhör der Bürgermeifterrechnung vertrunfen
werden follten, und zwar in Niefernburger Gutebelmein. 3) Diejer Auf-
lage kamen die betreffenden Väter der Stadt viele Jahre bindurd ges
treulich nach, verfchmähten indefjen auch einen befjern Trunk nicht, wenn
fie die Luft dazu anwandelte. Im Jahren, wo wegen unterbliebener
Abhör der Rechnung auch kein Stiftungswein vertrunfen wurde, ift dies
in fpätern ftädtifchen Nechnungen als etwas ſehr Wichtiges immer ges
treulich bemerkt.
Um diefelbe Zeit, als mehrere diefer Stiftungen gemacht wurden,
tritt auch ein Heute noch in Pforzheim beftehender Verein aus dem
Dumkel hervor, das über feiner Entftehung ſchwebt. Es ift dies bie
Schüpengejellfhaft. Sie muß ſchon jehr früh gegründet werden
fein, vielleicht gleichzeitig mit den Schübengejellichaften anderer Städte,
wie folche beiſpielweiſe Schon 1451 zu Offenburg und 1459 zu Billingen
beitanden, ) Gewöhnlich erwählten fie ben heiligen Sebaſtian, welcher
der Sage nach mit Pfeilen erfchofjen worden fein joll, zu ihrem Schu:
patron und gaben fich deshalb den Namen „St, Sebaftiansbruderichaf-
ten," Die Mitglieder derjelben gebrauchten bei ihren Webungen ur
2) Diefe Beflimmungen find dem Rathsprotofoll von 1711 entnommen.
Der Stiftungskrief ift bier nicht mehr vorhanden.
2) Auf dem Kirchhof zu Pforzheim, und zwar an ber jüdlichen Wand ber
Kapelle, befindet fih ber Srabflein einer „Urjula Geigerin“, Wittwe bes
Torftverwalters Ib. Meerwein, welche 1718 ftarb und auf dem Grabflein als
die Letzte des Geſchlechtes des Geiger'ſchen Stipendienftifters bezeichnet ift.
2) Sads, IV, 179.
) Mone, Zeitſchrift V., 486 und VIN., 76,
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 287
fprünglich die Armbruft, fpäter, nachdem das Schießpulver erfunden und
andere Schießwaffen in Gebraud; gekommen waren, bie Büchſe. Arms
bruft= und Büchſenſchützen kommen in Pforzheim ſchon im Jahr 1487
vor. Damals wurde nämlich denfelben „zu Handhabung der Stadt zu
Schimpf und zu Emft etwas Freiung zugelafien, alſo daß ein Seber
jein Geſchütz frei tragen und damit kurzweilen und ſchießen mag, es ſei
Vogel, Enten u. dgl. Ob aber einer Haſen oder Gewild ſchießen würbe,
fo ſoll er von jedem eine geſetzte Poenn geben, wie das im Land zu
Württemberg und anderswo wird gehalten.“ ) Bon Markgraf Philipp
erging 1529 die Weifung an die Stadt Pforzheim, Armbruſtſchützen
nah Speier zu ſchiden.?) Intereſſant ift das Schützenfeſt, das die
Scüßengefellihaft zu Pforzheim im Jahr 1561 veranftaltete, und ver:
dient dasfelbe eine eingehendere Bejchreibung. Als 1561 die Schüben:
gefellichaft zu Pforzheim den Markgrafen Karl IL um die Erlaubniß
bat, ein Schießen halten zu dürfen, geftattete es diefer nicht nur, fondern
ſchenkte auch der Gefellfchaft als Hauptgewinn für das Schüßenfeft einen
fetten Ochfen, und beauftragte einen feiner Eden, Hans Sebolb von
Siglingen, 3) die nöthigen Anordnungen für diefes Feſt zu treffen. Dem:
felben wurden zu diefem Zweck von Seiten des Raths und der Schüben:
gejellichaft einige Mitglieder beigegeben. Zunächſt wurden nun durch
Öffentliche Ausſchreiben die auswärtigen Schützen zu diefem Schießen
feierlichft eingeladen und dabei befannt gemacht, daß derjenige, welcher
unter 15 Schüſſen nah der Scheibe biefelbe am öfterften treffen würde,
beim Hauptichießen den erwähnten Maftochfen ober ftatt deſſen in Geld
30 Gulden, beim Nachſchießen aber 12 Gulden erhalten follte. Neben
dem wohl gebauten Schützenhauſe, das vor dem brößinger Thor ftand
und außer den Schiefftänden einen weiten Saal fammt einer freunds
lichen Sommerlaube enthielt, wurden noch zwei Hütten errichtet, in denen
man die Büchfen wifhen und laden konnte; überdies hatte man für bie
) Alten des Landesarchivs, mit der Ueberichrift: Allerhand Ordnung und
Polizeifahen 1487,
2) Schreiben bes Marfarafen, im Stadtarchiv.
) Der Grabftein desielben findet fi in der Kirche zu Stein. Er zeigt
folgende Inſchrift: Anno domini 1570 d. 29. Nov. ift in Gott veriieden bet
ebel und firenge Herr Hans Gebold von Siglingen, des durchl. und hochgeb.
Herrn Ludwig von Bourbon, Prinzen zu Gonde, Herzogen zu Angien, gewester
Obrifter Über ein Regiment Landsfnecht, dem Gott genad, Amen.
ass Zwölftes Kapitel. Piorzbeim im 16. Jahrhundert.
hohe Herrſchaft ſechs Zelte dabei aufgefchlagen. Scheiben waren im
Menge da und daneben Hütten, hinter denen die Zeiger ficher ftehen
konnten. Am 3. October begannen die Teftlichkeiten. Man zog mit
Pfeifen und Trommeln unter dem VBoraustritt eines Fahnenträgers auf
den Schübenplan hinaus, wofelbft der Etadtfchreiber Jehann Groß bie
Eröffnungsrede hielt. Alsdann erwählte man die jogenannten Neuner,
denen das Gefchäft oblag, Alles, was das Schießen felbft betraf, zu
ordnen. Hiezu wurde Namens des Markgrafen, des weiſen Raths der
Stadt, der Schüßengefellichaft, ferner von Kurpfalz, Württemberg, der
Stadt Straßburg, der Ritterfchaft, der Markgrafihaft Baden und der
geiftlichen Fürftenftädte je ein Mitglied ernannt. Dieſe Neuner erwähl:
ten die Zeiger und andere zuverläffige Männer, die auf die Schüffe
Acht geben ſollten; hierauf wurden die Schiehregeln verlefen, die Büchſen
unterfucht und die betrügeriich zugerichteten verworfen. Nun machten
die Neuner ſechs Looſe, um die Reihenfolge der Schützen zu bejtimmen,
nämlih: für den Marfgrafen, feine Nitter und Dienerjhaft, für
Kurpfalz, für das römifhe Reich, für Württemberg, für bie
untere Markgrafſchaft, und endlich für die Nitterfhaft und den
Adel. Ein jeder Schüße mußte jodann einen Gulden einlegen, um
daraus Gewinnfte machen zu können. Sonntage den 5. Dftober
fing das Sceibenichießen an, Wenn ein Schüße die Scheibe getroffen
batte, gab man ihm eine Fahne im die Hand und führte ihn zum
Schreiber bin, der den Schuß einfchrieb. Den Schützen hatte der Mark—
graf ein Fuder Wein gejchenkt; alle Pritfcyer hatte er neu gekleidet und
ihnen filberne Schilde gegeben; aud lud der freigebige Fürft die Neuner
oft zu Gaſte. Auf dem Schießplane waren zur Beluftigung des Volkes
and Spielbuden errichtet, in denen man um mäßigen Einſatz Silber:
und Zinngefchirr gewinnen konnte, Die Pritſcher hatten allenthalben
vollauf zu thun; denn fo oft Jemand einen ungeſchickten Streih machte,
befam er die Pritſche. Am Freitag den 10. Oftober fing man an, zu
ftehen; am folgenden Tage wurde der Preisochſe aufgeführt. "Zwei
Jünglinge in weißem Anzug, mit Fähnlein in der Hand, gingen voraus,
und zwei fchöne Jungfrauen, ebenfalls weiß gelleidet, führten den Ochſen,
den man mit einer feidenen Dede geziert hatte, auf welche des Mark:
grafen und feiner Gemahlin Wappen geftidt waren. Eine große Anzahl
Bürger, mit Harniſchen angethan, folgte Mit Trommeln und Pfeifen.
Den Zug beſchloß der Stadtrath. Als derfelbe an Ort und Stelle
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert. 289
angefommen war, ftellten fih die Herren in einen Kreis und nahmen
die Jungfrauen mit dem Ochfen hinein. Cine bderfelben trug einen
goldenen Kranz in der Hand, den fie dem Sieger im Wettfchießen,
Hans Schatz aus Straßburg (der den beiten Schuß gethan hatte), feier:
lichft überreichte. Den Preisohjen aber gewann Jakob Laftner von
Kuppenheim. Nun ging es an die Austbeilung ber Geldpreife, die fich
in ledernen Sädeln befanden, welche man an lange, oben mit Fahnen
gezierte Stangen aufgehangen hatte. Es waren deren im Ganzen 38,
Einem Schügen wurde jein Preis jammt Fahne wieder abgenommen,
weil fich feine Büchfe nachträglich als unrichtig erwies. Dem Schützen Hans
Balthas Mutſchaß aus Zürich wurde ein Schwein zu Theil, damit er
den weiten Weg nicht umfenft gemacht haben möchte. Mean hatte auch
nach einem hölzernen Mann geſchoſſen, und für die drei beiten Schüffe
barauf waren ebenfalls Preife ausgejegt. Der Stadtichreiber Groß
erklärte Hierauf das Schießen für beendigt und ftattete ſowohl den
Neunern, als allen auswärtigen Schüßen im Namen der Stadt und
der Schüßengefellichaft feinen Dant ab, worauf Hans Schatz aus
Straßburg einige pafjende Worte erwiderte. Sonntags darauf begann
das Nachſchießen, welches zwei Tage dauerte. Den erften Preis dabei
gewann Jakob Bachofen aus Züri, Damit ſchloß das Schützenfeſt.
Unter den auswärtigen Beſuchern desfelben war auch der Leineweber
und Meifterfänger Heinrih Gehring aus Zürich. Derfelbe befchrieb
nachgehends das Feſt mit allen jeinen Einzelheiten im einem langen Ges
dichte, das er dem Markgrafen Karl II. widmete. 1) Er jchildert darin
unter Anderm auch verichiedene Arten von Voltsbeluftigungen, weldye
außer den ſchon angeführten mit dem Schützenfeſt verbunden waren,
Es mögen zwei darauf bezügliche Stellen ang jeinem Meiftergefang, je:
doch zu befjerem Berftändnig in jegt üblicher Schreibweife, hier ange:
führt werden:
) Dasfelbe ift diefer Beihreibung zu Grund gelegt. Es befindet fih Heute
noch auf Großh. Hofbibliothet in Karlsruhe, hat 33 Blätter Tert und auf 12
weitern Blättern die Abbildung des Preisochſen mit feiner Dede (jogar von 2
Seiten) und jämmtliher Schügenfahnen, von denen aber eine ausſieht, wie bie
andere, nur baf fie bald links, bald rechts flattern. Poſſelt Hat biefe inter
reffante Handfchrift zuerft benügt zu einer Schilderung des Pforzheimer Schü:
genfeftes in feinem wiffenfchaftlihen Magazin HE, 642, (1788).
Pflüger, Pforzheim. 19
290 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Ein’ Pritſchenbrück' war auch gemacht,
Der hat gar Mander g'nug gelacht,
Denn fie war g’bauen auf der Enz.
Ich wünſch' den Narr'n bie Peftilenz,
Sie haben mich geworfen d'rein.
Ich acht’, fie find mir feind gefein,
Sie hätten mich fonft nicht gebabet;
Doch hat es mir nicht viel geichadet x.
Ferner:
Potz Lung, Eins hätt' ich ſchier vergeſſen:
Man thät auch da die Mäuler meſſen,
Und welcher die größte Goſchen hätt',
Der gewann ein'n Käs gleich an der Stätt'.
Des Meſſens Mancher g'nug thät lachen,
Man map, daß Manchem die Lefzen krachen.
Es kam ein Bau'r, derſelb' war voll,
Ohn' Zweifel war's ein grober Droll,
Hieß Stoffel Ruf von Weißenſtein.
Er hatt ein Mündlein, als ich mein',
Was mehr denn fieben Zollen weit;
Der g’wann ben Ks zu jelber Zeit.
Von dem ich Abenteuer muß jagen:
Den Käs bat er nit heimgetragen,
Eondern ift mit unter die Bauern g'ſeſſen,
Und haben ihn gleich von dannen g'freſſen.
Sp weit die Älteften Nachrichten über die Pforzheimer Schützenge—
ſellſchaft. Wir werden auf diefelbe fpäter zurückkommen.
Es mag hier noch einiger fonftigen Ereigniffe gedacht werden, die
gewöhnlich in Chroniken eine große Rolle jpielen, immerbin aber für
diejenigen Bewohner Pforzbeims, die damals lebten, von Wichtigkeit waren.
Wir meinen damit Feuersbrünfte, große Waffer, Theurung,
wohlfeile Zeit ꝛe. — Daß Pforzheim früher von Bränden heimgeſucht
wurde, erfehen wir aus einer Abjchrift des Privilegienbriefes, die im
Jahr 1517 angefertigt wurde, 1) und worin es beißt, daß „viele der
Stadt nützliche Briefe verbronnen“ ſeien. — Ein Eisgang riß 1522 die
„Steynin Bruden“ (S. 122), nämlich die Auer Brücke, mit ſich fort, 2)
und abermals geihah dies 1573. Unter Markgraf Karl wurde bierauf
N Stadtardiv.
2) Stabtardiv.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 994
diejenige Brüde erbaut, deren Pfeiler der großen Ueberſchwemmung bes
Jahres 1824 zum Dfer fielen. Ein beute noch erhaltener Stein gibt
von jenem Brüdenbau von 1573 Zeugniß. Seine Inſchrift Tautet :
Anno MDLXXII.
Das Eys vnd gros Wassergüssen
Die Bruck mit Gwalt zv Stvckn rissen
Darvmb ein Rat zv nuz der gmaind
Den Pfeiler sezt von starken Stein
Der Landsfürst Marggrav Carolvs
Den ersten Stein legt on Verdruss, :
Der Theurung von 1548, die fogar eine Verordnung des
Markgrafen Ernſt hervorrief, durch melde das Fleiſcheſſen beſchraͤnkt
wurde (S. 210), gingen- 1539 und 1540 zwei MWeinjahre voraus, wie
folge nicht oft vorkommen. Schon 1539 gab es fo außerordentlich viel
Wein, daß nad) dem Chronikreim
Tauiend fünfbundert dreißig und neun
Galten die Fäfler mehr als ber Wein.
Der Wein von 1540 übertraf aber an Menge und Güte feinen
Borgänger noch. Im Elſaß gab e8 Orte, wo man die Schweine mit
Trauben fütterte, und im Breisgau gebrauchte. man Wein ftatt Waffer
zum Eichen der Fäſſer.) Viele Leute foffen fi, wie ein alter Bericht
fagt, zu tobt. Ein Edelmann ließ feine Bauern feinen Wein in der
Frohnd austrinten, und wöchentlich zweimal gingen fie, mit Brod und
Käſe verfehen, an diefes Tuftige Gefchäft. Händel und blutige Köpfe
gab es dann genug, und der Edelmann ftand fi als Gerichtsherr dabei
befjer, als wenn er den Mein verfauft hätte, 2) — Der großen Theu:
rung von 1563 gedenten folgende Zeilen, die man heute noch an der
in jenem Jahr gebauten Scheuer der Niefernburg leſen kann:
Als ich thet bauen diefe Scheuer,
Da war bie Frucht fehr clemm und theuer;
Fünf Gulden galt ein Malter Kern,
Der Roden fünfzig Batzen gern;
Mit zwanzig Bapen warb bezahlt
Der Hafer und zu Mehl gemahlt.
1 Vergl. Bader, Badenia (die neue), I, 40.
2 äuſſer, Geichichte der Pfalz, 1., 586.
) 9 eichichte de —
292 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert.
Und ſtund die Frucht im Feld jo reich,
Daß man nit dendet der geleich;
Auch als die Ernt' ward g'chnitten cin,
Gleich ward geftillt des Hungers Rein.
Die neue Frucht um halbes Geld
Dian näher faujt, denn obgemelt.
Dem lieben Gott ſey Danf und Preiß
Um Leibes und der Seelen Speiß.
$4 Die Stadt ſelbſt.
„Pfortzheym ift nicht groß, bat mur eine Kirche (2), liegt gar im
Grunde an einer fchönen Iuftigen Wifen, dadurch laufft ein clares, ge:
fundes Waſſer, gibt allerlei wohlichmedende Fifche, daran man bes
Sommers gar gute Kurzweile haben Fan, zwuſchen vberaus hohen Ber:
gen, jo mit Holgungen, einer Wiltnuffen nicht vngleich, bewachſen, fo
guth Wildbreth gibt. Das fürftlihe Schloß ligt woll niderich, aber
respeetu oppidi (im Bergleih zur Stadt) zimblich hoch; jenft bat die
Statt viel gelerter, beicheidener, freuntlicher, wollerzogener Leute, vnnd
Alles, was man zur Leibes Notturft, auch Erhaltunge zeitliches Lebens
in Geſuntheit vnnd Kranchheit von Nöten, an elerten, Ungelerten,
Apotheken, Balbiern, Wirthshenfern, allerlei Handtwerfern, nichts aus:
genommen, im Predigen vnnd Geſängen Guangeliiche Religion.” So
ſchildert der ihen ©. 273 fi. erwähnte Saftrew die Eindrücke, weldye
Pforzheim auf ihn während eines Aufenthaltes in diefer Stadt machte,
der vom 24. Juni 1544 bis 16. April 1545 dauerte. 1) — Der
Meifterfinger Heinrih Sebring, der 1561 das Schützenfeſt zu Pforz—
beim bejchrigb, weiß für das Lob der Stadt nicht genug Worte zu
finden; er rühmt ihren weitverbreiteten Handel, ihre Gewerbe, den da—
hinftrömenden Ueberfluß, namentlich aber auch die vielen und guten Ser:
bergen. — In einem 1543 erftmals erichienenen, berühmten geographifchen
Werke 2) wird von Pforzheim, nachdem von Gründung der Stadt und
ihren frühern Herrn die Nede geweien, Folgendes gejagt: „Es ift faft
1) B. Saftromw, Herfommen sc, berausgeg. ton Mohnike (Greifswald,
18531 1, 266, — nen bearbeitet von Grote (Halle, 1560) ©. 142,
*; Gosmograpbed, oder Beſchreibung aller Länder x. durch Sebaſtia—
num Winnjterum. Gedruckt zu Ball 1543,
Zwötftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 293
die fürnemſte ftatt jo die Marggrauen in jrer herrichafft haben, wiewol
Baden des heiffen waſſers halbs eines groffen anfehens und namens.
Es ligt Pfortzheim in einer gegend genannt am Hagenſchieß.“ Ja,
Münfter ftellt uns fogar ein Bild des damaligen Pforzheim vor Augen;
da imdeflen derfelbe Holzichnitt noch verfchiedene Male in der „Cosmo:
graphey“ vorfommt und auch als Abbildung anderer Städte dient, fo
dag man nicht weiß, welche Stadt er eigentlih bedeuten fell, fo unter:
laffen wir die Mittbeilung diefer Abbildung, und zwar um fo mehr,
weil fie mit dem wirklichen Pforzheim jener und jeßiger Zeit gar feine
Aehnlichkeit hat.
Mas Saſtrow über die Einrichtungen der Stadt für Geſundheits
pflege Sagt, läßt fi aus andern Quellen allerdings belegen. in Bub:
wig Germann oder Germey der Arzt, ach kurzweg Meifter Ludwig ge:
nannt, fommt 1502, 1514 und 1520 vor. Zweier weitern Aerzte aus
jener Zeit, nämlich Johann Widmanns und Alexander Seitz's ift be
reits (©. 180 ımd 203) Erwähnung aeiheben. Gin fräterer Kollege
von ihnen war Philipp Schopff, wahrſcheinlich aus Pforzheim felbft
gebürtig, der 1565 Magifter zu Tübingen, 1575 Arzt im Kreuznach
und fpäter Arzt in Pforzheim war und 1587 die Stelle eines Pro:
feffors der Natunwifienichaft an dem neugegründeten Gymnaſium zu
Durlach befleidete. Schon während feiner Amtsthätigkeit in Pforzbeim
machte er fich als medizinischer Schriftfteller bekannt, 1) . Als Apotheker
zu Pforzheim wird 1562 bereits Michael Gröninger genannt. Zweier
öffentlichen Badftuben ift oben (©. 163) ſchon erwähnt. Auch an
Privatbadeinrichtungen muß es nicht gefehlt haben; denn 1536 verkaufte
„Margarethe von Velberg, Wittwe Sebaftians von Gültlingen, an
Dietrich von Gemmingen Haus, Hofraitbe, Brunnen, Badſtube, Stal:
lung und Zubehörde im WPredigergäklein.“ 2) Minder gefund waren
damals die Wohnungen, in denen man durchfchnittlich ſehr beichränft
wohnte. Man traf deshalb in faft allen Häufern behufs der Raumge—
winnung jene Einrichtung, nad) welcher die Betten auf einer Art Empor:
bühne, zu der man auf einer Treppe hinaufſtieg, fich befanden, und
s) Vierordt, Geſchichte ver Karlsruger Mittelihufe, ©. 15. — Der
Grabjtein eines Peter Echopff, der 1574 farb und vielleicht ein Bruder des
Obigen war, befindet fich auf dem Kirchhofe, wahricheinlih vom Kreuzlirchhofe
dahin gebradit.
2) Repertorium im Landesarchiv.
294 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Nahrhundert.
zwar oft fo nahe an der Dede des Zimmers, dag man faum ind Bett
gelangen konnte und leicht den Kopf an der Dede anftieß, wenn man
benfelben, im Bett Tiegend, etwa erhob. Auch die Mintel zwifchen den
Häufern, die man heute noch jo häufig trifft, die aber damals nirgends
fehlten, trugen vermöge ber Ausdünftungen der dorthin einmündenden
Abtritte, Waflerfteine sc. zur Pflege der Gejundheit eben nicht ſonderlich
bei. Wie es mit der Straßenreinlichkeit beftellt war, mag bie bereits
(S. 252) angeführte „Miftordnung” von 1533 beweifen.
Mas Saftrow und Gehring über die große Gewerbthätigkeit
Pforzheims jagen, hatte allerdings feine Richtigkeit, und find dafür im
Frühern ſchon mehrfach Nachweiſe geliefert worden, namentlich in den
vielen Gewerbordnungen und in ber Angabe der Namen der einzelnen
Handwerksmeifter, in Zufammenftellung der vielen Mühlen, als Mablz,
Schleif⸗, Balier-, Säg⸗, Oele, Ninden:, Kupfer, Waltmühlen ꝛc. Wird
ja auch in der Stadtordnung von 4491 ausdrüdlich gejagt, daß Pforz-
beim unter den Städten der Markgraffhaft für „Handel und Mandel
am beiten gelegen fei.” Sehr ftark waren fortwährend bie Gewerbe
ber Tuer und Seidenweber („Engeljeitweber“), jowie ber Ger
ber vertreten, und wurden mit den Erzeugniſſen bderjelben viele auswär⸗
tige Märkte, au die Mefje zu Frankfurt bezogen. Pforzheim beſaß
1527 auch einen Bildhauer, H8. Zimmermann von Xiefenbronn, ?)
1533 einen „Urlinmader“ (Uhrmacher),2) 1566 einen Orgel:
macher Gg. Schweizer, ?) und waren nod andere, zum Theil feltene
Gewerbe dafelbft vertreten, War ſchon früher eines Armbruftmachers
(S, 159) und eines Pickelhaubenſchmieds (S. 180) erwähnt, jo kom—
men nun auh Waffenſchmie de überhaupt (S, 2831), darunter ein
PBlattner oder Harnifhmacher vor, fo genannt, weil damals für die
Banzerhemden die Harnifche mit Eifenplatten in Gebraud kamen, Auch
das Gewerbe der Sporer war in Pforzheim vertreten und hatte ſchon
Karl I. einem Angehörigen desfelben verichiedene Freiheiten verliehen.
Eines Pulvermachers Leberlin gefchieht 1527 Erwähnung (S. 281).
Daß es auch an Juden nicht fehlte, zeigt der früher ſchon vorgekommene
1) Lagerbucherneuerung von 1527.
) Ariikul und Beichwerniß der Stadt ꝛe., früher in ber Lade BR im Stabt-
archiv, und 1539 in der Beichreibung der Gefälle des Frauenkloſters.
3) Beichr, der zehntfreien Aeder von 1566.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 295
’
Name einer Judengaſſe, jowie verfchtedene Stellen in alten Urkun—
den, wo vom ihmen die Rede if. Dbiger Name dürfte fogar der Ber:
muthung Raum geben, daß die Juden mit ihren Wohnungen auf einen
beftimmten Theil der Stadt bejchräuft waren, wie es auch in andern
Städten vielfach der Fall war.
Daß Pforzheim auch, wie Saftrow jagt, viel gelehrte Leute be
fefien habe, dafür folgen in den nächſten Abſchnitten diefes Kapitels
einige Belege. Das fechszehnte Jahrhundert mit feinen gewaltigen Er:
eigniffen, namentlich der Neformation, wedte überhaupt manche geiftige
Kraft, und in Pforzheim trugen die dortige Gelehrtenſchule, die Buch—
druderei zc. das Ihre dazu bei. Auch die edle Dichtkunft muß in
Pforzheim forgiam gepflegt worden jein; denn in einem Ötraßburger
Meiftergefang von 1597, der aljo eimer faum fpätern Zeit angehört,
als diejenige ift, welche in diefem Kapitel behandelt wird, heißt es:
Noch leben heut
Zu Leipzig und zu Dresven,
Zu Eplingen, Nördlingen, Wien, Breslau,
Zu Danzig, Bafel, Steyer,
Zu Kolmar, Frankfurt, Hagenau,
Am römiſchen Reich zu Speier,
Meißenburg gleich,
Pforzheim iſt reid
An Dichtern, wie wir Iefen, *)
Wenn Saftrow nur von einer Kirche in Pforzheim fpricht, fo meinte
er damit wohl die Stiftgficche zu St. Michael. Die Kirche der Altftadt be:
trachtete er als nicht zur eigentlichen Stadt gehörig; die übrigen Kirchen
hatten als Kfofterfirchen ihre befondern Beftimmungen, waren alfo eigent-
lich feine Stadtfirhen. Erft nach Aufhebung der Klöfter, von der im
nächften Abschnitt bei der Gefchichte der Neformation in Pforzheim die
Rede fein wird, trat darin ein anderes Verhältniß ein. Es möge hier
bemerft werden, daß die Kollatur der Stiftskirche, die 1344 an Lid:
tenthal übergegangen war, unterm 15. Mai 1555 vom Klofter dem
Markgrafen Karl wieder abgetreten wurde. Es mußte aber zur Kom:
petenz aus feinem Zehnten zu Pforzheim 15 Malter Korn, 40 Malter
Dinkel, 10 Malter Haber und 15 Ohm Mein abgeben, wogegen ber
Markgraf veriprach, das Klofter am Einzug feiner dortigen Gefälle nicht
) Lobſtein, Geſchichte der Mufil im Elſaß (1840) ©. 2.
296 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
hindern zu wollen. Gegen Erlegung einer Summe ton 250 Gulden
wurde Lichtenthal auch von der Verpflichtung der Fütterung der fürft-
Tichen Jagdhunde in Pforzheim (S. 158) in feinem dortigen Zehnthaufe
und der Scheuer, ſowie von andern Koften entbunden, mußte ſich aber
dazu verftehen, jährlih 100 Bund Zehntſtroh in das Schloß und 150
weitere Bund zur Streuung der Hunde abzugeben, wogegen dev Mift
der letztern den Zehntbeftändern überlaffen wurde. Ein ähnliches Ueber:
einfommen wurde mit Lichtentbal 1573 megen des Novalzehntens zu
Pforzheim, d. 5. des Zehntens von neuangelegten Feldern getroffen,
und mußte fih das Klofter u. N, dazu verftehen, den Markgrafen für
die Vergangenheit eine Entfhädigungsfumme von 1000 fl. zu bezahlen.
Noch jei hier erwähnt, daß 1577 die Regierung ein Haus im ber Pre:
diger: oder Pfarrgaffe, das bis 1536 einer Fran von Gültlingen, dann
den Gemmingen im Hagenſchieß gehört hatte (S. 293), 1543 an
Ehrifteph von Landenberg und fpäter in noch andere Hände übergegangen
war, anfaufte und dasfelbe zur Diakonatswohnung beftinmte.
Sm den frühern Kapiteln find immer bie Theile der Stadt, bie
zum erften Mal genannt werben, als Straken, Thore, Brücken ıc. mit
den in den betreffenden Zeitabfchnitten vorkommenden Bürgergefchlechtern
überfichtlih zufammengeftellt worden Es mag dies auch bier wieder
geichehen, jedoch bezüglicy der letztern nur mit denjenigen, die heute noch
eriftiren, da die Angabe aller Bürger, welche in den für die Daritellung
der Verbältniffe des 16. Jahrhunderts benübten Quellen vorkommen, zu
weit führen würde. 1)
E8 werden genannt: A. Stadttbore (außer den frühen):
1500 das Steinbrüdertbor (an der Auer Brüde), 1500 das
Erkerthor (in der Altjtadt), 1500 das Auer Brunnenthor (am
Ende der Krenzitraße in der Au; aud dies wird mand Mal Erkerthor
genannt), um 1500 das obere Mühltbörlein (bei ber obern
Mühle), 1502 das obere Grabenthor oder obere Brößinger:
thor (am Ende der obern Borftadt), 1502 das Hillerthor (am
Ende der obern Augaſſe), 1502 das Schelmen- oder Gauchthor
(am Ende der untern Augaſſe; erfterer Name deutet darauf hin, daß
*) Eine vollftändige und zufammenhängende Beſchreibung bes aften Pforz:
heim folgt im 15. Kapitel; bdiefelbe paßt aber in dem meiften Theifen ſchon auf
bas Pforzheim des 16. Jahrhunderts.
Zwölfies Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert. 297
vor bdemfelben eine Begräbnißftätte oder ein Schindanger war, denn
„Schelm“ heißt altbeutih ein Kadaver; der andere Name datirt ſich
von Erhard Gauch, der dort wohnte und auch einen Garten, den Gauch—
garten, befaß;) 1502 das obere Brunnenthor (wahrſcheinlich das
Schäferthor bei der Schäferbrüde); 1527 das Heiligfreuztbor (am
Ende der Vorſtadt bei der jetigen Beckh'ſchen Bierbranerei); 1530 das
Thörlein unterhalb des Schleifthors, wo die Jahrzahl der Erbauung
noch vorhanden, Des Brötzinger- und Altjtädtertbors it fchen
früher Erwähnung geicheben.
B. Straßen: Die Brötzingergaſſe, die obere Yamımgaffe,
die Brüder: ober Brüderbronnengaſſe, das Barfüßergäßle,
die Scheuerngaffe, der Kirch: oder Schloßberg, das Höllgäfte,
die Tränkgaſſe (jebt Deimlingsitrake), die Kloſter gaſſe (beim Schwert),
ber Kloſterhof (Maifenhausplag), das Mühl gäßlein (beim Kloſter—
bof), der Hiller (obere Augafie), die Schelmen gafie untere Augaffe),
die beiden La ner gaſſen (Gerbergafien), die Vieh gaſſe (Spitalitraße),
die Kutzen bach (Kauzenbach, jetzt Theaterſtraße), das Roß gäßle
(Roſenſtraße), die Kirch gaſſe (Schloßkirchenweg), die Predigergaſſe
(Pfarrgaſſe), die Altſtädter-, Altdorfer- oder Altheimer- (Alte
mer) gaffe, die St. Niklauſengaſſe (in der Altftadt an der Kapelle
gleiches Namens vorbei).
C. Namen von Gaſſen oder Plätzen ıc. in der nähern
ober entferntern Umgebung der Stadt: Der Viehmarkt
(vor dem Altftädter Thor unten am Waffer), das Prläfter (Sophien—
ftraße), der Budenberg, das Mennfeld, das Nagoldfeld, die
Bleihwiefe, der Metelgraben, die Wart, außerhalb der 3 Anne,
das Mod, der Meiherberg, das Meihergäßile, der Kreben:
weiler, das Bronnengäßle (vor dem Altftädter Thor), das Zigeu:
nergäßlein (1565), der Egeliee (1565, der jett verſchwundene fog.
Nägeliee), der Tilgraben (1565), die Wifflinger Steige, ber
Shlofgarten im Krebenmeiler u. ſ. w. Es geht aus dieiem Allem
bervor, daß Umfang, Eintheilung ıc. der Stadt ſchon vor 300 Aahren
faft dieielben tie heute waren, wenn diefe nun freifich damals nech ihre
Befeftigungswerfe vollftändig beſaß. Daß fie auch mit Geſchütz verſehen
war, ergibt fih daraus, daß 1523 „zwei Feldichlangen und etliche Stein“
(Steinkugeln zum Schießen) nah Piorzbeim geſchickt wurden, und 1584
298 Zmwölftes Kapitel. Piorzbeim im 16. Jahrhundert.
die Markgrafen Bernhard und Ernſt einen Büchſenmeiſter dahin entfand-
ten, um das Geſchütz zu befichtigen. 1)
Fragen wir nad einzelnen wichtigern, namentlich auch öffentlichen
Gebäuden, die ſich damals in Pforzheim befanden, und deren Bau zum
Theil in das 16. Jahrhundert fällt, jo mögen folgende genannt werden:
Das Rathhaus, unter Markgraf Karl IE 1557 gebaut, und zwar
an der Stelle des bisherigen Kaufbaufes am Markt, das dann damit
verbunden wurde; (das frühere Rathhaus lag in der Bröginger Gaffe,
wie eine Urkunde von 1502 beweist; das jetzige Rathhaus iſt aber auch
nicht mehr das von 1557, ſondern erit nad dem orleans'ſchen Krieg
gebaut); — die Stadtſchreiberei (das jegige Rupp'ſche Haus am
Markt), unter Markgraf Ernft 1552 gebaut, wie aus dem daran befind-
lichen Wappen mit Jahrzahl noch heute erfichtlih; — das freiherrlich von
Schauenburg’ihe Haus am Schloßkirchenweg (jest Veltmann und
Mater) mit der Inſchrift: Melcher von Schauwenburg, Hofmeifter von
Pfortzen, 1556; — das freiherrlih von Flehing en' ſche Haus (jetzt Die:
terlin’fche Bierbranerei) mit dem Flehingen'ſchen und Göler'ſchen Wappen
und der Anfchrift: „Anno dmni 1567 hat Ludwig Wolf von und zu
Flehingen und Anna von Flehingen, geborne Gollerin (d. h. Gölerin
von Navensburg) diefe Behaufung erbaut;“ 2) — das Schlachthaus
1568 erbaut. — Im Jahr 1585 wurde auch unterhalb der Altſtadt ein
neuer Kirchhof angelegt?) der jet noch bemütt wird, Das erfte Ein-
gangsthor auf der Nordſeite des Kirchhofs wurde, wie die darüber be
findliche Jahrzahl zeigt, 1687 gebaut. Der Erfte, der auf diefem neuen
Kirchhof feine Nuheftätte fand, war 1588 Klaus Engelhard des Ge
richts. Mit der Anlegung diefes Friedhofes ging der Kirchhof um die
Schloßkirche ein, und reihen auch die Jahrzahlen der Denkmäler dafelbft
nur bis 1579; bloß der Kanzler Achtfinit + 1592 fcheint noch dort
begraben worden zu fein. Es mögen die übrigen in Pforzheim noch
vorhandenen Jahrzahlen und Snjchriften aus dem 16. Jahrhundert,
joweit fie nicht ſchon vorgekommen, der Neihenfolge nach zufammengeftellt
werden: 1527 Stein im Garten von G. 2. Kliehnle, in einer Ceiten-
wand eingemanert, (über der Jahrzahl jteht noch die von 1698); 1531:
) Notizen aus dem Stabtardiv,
2) Der Nämliche hat auch 1556 das Schloß zu Flebingen erbaut, wie bie
daran befindliche Inſchrift beweist,
2) Notiz im Kirhenbud von 1717.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 299
Jahrzahl über einer zugemauerten Gartenthüre unterhalb der Schloßkirche;
1542: Jahrzahl über einer zugemauerten Gartenthür in der Pfarrgafie;
1554: Stein mit zwei Wappen, (bei einer im Juli 1858 im Thal abge:
brochenen Brücke aufgefunden); 1554: Stein mit Pforzheimer Stadt:
wappen am Fuchs'ſchen Haus in der Brößinger Vorſtadt; 1555: Haus
von Schreinermeifter Veihl unterhalb der Schloßkirche (es ſoll früher
den Herrn don Sachſenheim gehört haben); 1558: Gartenpfoften am
Holzgartenweg, (am andern Pfoſten fteht: ren. 1784); 1560: Jahrzahl
auf einem Gartenpfoften in der verlängerten untern Augaſſe (jet nicht
mehr vorhanden), 1560: Pfoſten in der Iheaterftraße von Baltas
Jelin (jetst nicht mehr vorhanden); 1561: Gartenpfoften in der Altftadt;
1564: Stein mit einem Iateinifchen Diftihon (Chronoftihon), früher
am letzten Haus der Calwer Straße, jetzt im Befite des Herrn Fabri—
kanten Neubäufer ; die Inſchrift lautet:
TeMpora qVe ponant rogltas sepes operosas
Litera Verba refert ponDere nota tlbl.
db. 5. „bu fragft, welche Zeit dieſe mühfamen Umzäunungen fette? Der
durch feine Bedeutung bekannte Buchſtabe gibt dir darüber Auskunft.”
(Unter ſolchen Buchſtaben find in obigen Verſen diejenigen zu verftehen,
welche zugleich Zahlen bedeuten und des befiern Auffindens wegen
groß gedrudt find; aljo M = 1000, D = 500, L= 50, VYYIV =
10, I+I+I-+I = 4, zufammen 1564.) Diefer Stein rührt wahrſchein—
ih von einer Umfriedigungsmaner der frühern St. George: Pflege, die
in ber Nähe ftand, oder von der ehemaligen Stadtmauer, vielleicht auch
von einem Garten her; — 1565: Gartenpfoften am Holzgartenmweg ;
1566: Gartenpfoften in der Altftadt ; 1566 (und 1570): Jahrzahlen mit
Wappen am Gartenhaus von W. Neuhäuſer an der St. Georgsiteige ;
1568: Haus von Gärtner Frank in der großen Gerbergafie; es ftand
dafelbft, wie auch das darauf befindliche Mühlrad zeigt, früher die Wag—
mühle (S. 160); 1574: ältefter Grabftein auf dem Kirchhof (Peter
Schopf und Frau); 1584: älteſter Grabftein auf dem Friedhofe bei der
Altftädter Kirche (Joachim Giftheil, Pfarrer zu Nöttingen) ; 1584: Gars
tenpfoften in der Altſtadt; 1584: Stein in einer Mauer an der Dill-
fteiner Straße; 1587: Jahrzahl mit zwei Wappen über dem öſtlichen
Eingang ins Amtshaus; 1594: Thörchen in der Stadtmaner bei der
300 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
Gruner’fchen Lohſtampfe; 1595: Gaftbaus zum Karpfen in der Au;
1596 : Jahrzahl mit Wappen am Rohreck'ſchen Haufe, 1596: Grabftein,
im Hof von Peter Dittler eingemanert (Hans Veit Breitfchwert); 1599:
Grabftein von Schiffer Abrecht, mit hübſcher bildficher Darftellung, auf
dem Aitftädter Kirchhof.
Auf die Lage einzelner Privathäufer der Stadt einzugehen, würde
zu weit führen, obgleich dazu Anhaltspunkte genug geboten wären; es
möge deshalb nur noch wie früher der adelichen Häufer gedacht werben,
deren Zahl aud im 16. Jahrhundert fehr bedeutend war, da Pforzheim
als größte Stadt der ganzen Markgrafſchaft und Reſidenz bderfelben auf
den ummwohnenden Adel keine geringe Anziehungskraft übte. Es waren
folgende : 1500 von Hertingshanfen (am Viehmarft); 1501 Bern:
hard von Bach; 1501 Ludwig von Eifingen; 1502 Hans von
Weiſſach (Gerbergafie); 1502 Sans von Lomersheim (große Ger:
bergaffe); 1502 Anton von Sertringen (hinter dem Predigerkloſter);
1502 Jörg von Münchingen (Bröginger Vorftadt); 1502 Philjpp
Leutrum ven Ertingen (beim Predigerflofter); 1536 Sebaftian von
Gültlingen (Predigergäßlein, ging an Vietrih von Gemmingen ac,
fiebe oben); 1537 Ludwig von Neipperg (Kirch- oder Schloßberg)
1539 Konrad von Wallftein; 1544 von Riepur (beim Schloß);
1548 Chriſtoph von Landenberg (beim Prediger: Kirdhof); 1555
Ehriftoph von Mündingen (beim Prediger Kloſter); 1556 Melchior
von Schauenburg?) (unterhalb des Schloffes), ging 1560 über an
Mäntel von Steinfels, (dev noch zwei Käufer in Pforzheim befaß);
1558 Peter von Menzingen; 1560 Sebold von Siglingen; 1560
von Kaltentbal (am Schloßberg); 1560 Gred von Kochendorf;
1567 Ludwig Wolff von Flebingen (in der Lammſtraße); 1569
Kechler von Schwandorf (beim obern Bad), 2?) 1570 Daniel von
Remchingen (am PViehmarft);3) 1572 Ludwig von Neubaufen
1) Der Grabftein einer 1555 geftorbenen 11 Monat alten Kunigunde von
Schauenburg, wahrfcheinlich eines Töchterhens des Obigen, ift in der Schloß:
kirche.
» 9) Der Grabſtein eines Hans Kechler von Schwandorf und feiner Frau
Margaretha von Windel vom Jahr 1507 ift in ber Echloßfirche.
s) An der Schloßfirche ift ber Grabſtein einer 1562 geftorbenen Katharina
von Remchingen, geb. Schenfin von Winterftetten.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 301
(im Predigergäßlein); 1577 Hans Dietrih von Nothafft (am Brö—
ginger Thor); 1579 Gremp von Freudenſtein (am Viehmarft),
Bon jebt noch vorhandenen Bürgergefchhlechtern kommen fchon im
16. Jahrhundert vor: 1) Aab (Ab, Ap, Ch, Obb,) Baftian, Simon
Hans, Bartle 1519, — Abrecht (Abricht, Obrecht, Obriht, Obrid,),
Hans, 1502, — Baumann, Hans, 1565, — Beder, Wilhelm,
1502, — Bub, Hans 1519, — Bud, Aban, 1539, — Deim:
ling, Bechtold und Valentin 1565, — Dittler, Mathias, 1519, —
Enderle, Beter, 1519, — Erhard, Peter, 1519, — Effig, Hans,
1539, — Eunchele (Eihlin, Aichelin, Nicyelem ,) Simon und Hans,
1519, — Fauler, Erhard, 1502, — Felner oder Feldner, Michel,
1583, — Heinzelmann, Georg, 1565, — Jaifer (Jaißle, Seisle,
Jaißlin), Jakob, Hafner, 1583, — Keller, Hans, 1519, — Ker—
her, Matth. (502, — Lenz, (Lenß, Link, Linz, Lynße, Leins), Jörg,
1502, — Leyerle, Jakob, 1539, — Lotthammer, Jerg, 1502, —
Meerwein, Mattb., 1502, — Meier, Klaus, 1519, — Ringer,
Adam, Leineweber, 1565, — Rotbader, Merander, 1509, — Saif,
Jakob, 1519, — Schäfer, Endris, 1565, — Schanz, Joh., 1533,
— Ehmibdt, Stoffel, Steffen, Jakob, Wendel, Simon, Bartlin, 1519,
— Stieß, Jakob, 1519, — Türk, erg, 1519. —
XSchließlich mögen hier noch, wie immer, die Namen der erſten Be—
amten der Stadt überſichtlich zuſammengeſtellt werden. (Vergl. S. 188.)
Obervögte waren: 1518 Blicker Landſchad von Steinach, 1526
Stephan von Gültlingen, 1531 Eberhard von Reiſchach, 1541 Volker
von Uzlingen, 1565 Chriſt. Mever, Bogtamtsverweier, 1565 Chriſtoph
Kechler von Schwandorf, 1580 Chriſtoph Schöner von Straubenhart,
1588 und 1589 Valentin Kurz, Ober: und Unternogtamtsverweier,
1589 Hans erg Stein von Neichenftein, 1590 bis 1596 Piſtor von
Senslitz. — As Schultheißen werden genannt: 1521 Joh. With.
Heß, 1527 Philipp Vollandt, 1541 Ulrich Sayler, 1567 oh. Hörger.
— Bürgermeifter waren: 1527 Auguftin Lennhardt, 1533 bis
1538 Peter Gößlin, 1566 Jakob Simmerer, 1580 Veit Breitfchwert,
1582 Hans Krumm, 1585 Peter Gößlin.
) Man vergleiche dazu die Zufammenftelungen S. 133 und 164.
302 Zwölftes Kapitel, Pforzbeim im 16, Jahrhundert.
8 5. Kirchliche Werhältniffe Pforzheims im Weforationszeitalter, 1)
A. Vor der Einführung der Reformation in
Baden-Durlach.
(1517 - 1666)
Die geſetzliche Einführung der Reformation in Baden-Durlach, alſo
auch in Pforzheim, erfolgte zwar erſt im Jahr 1556; aber die erſten
Verſuche, der Lehre Luthers in diefer Stadt Eingang zu verichaffen,
fallen im eine weit frühere Zeit, und es ift jedenfalls eine eigenthümliche
Erſcheinung, daß diejenigen Männer, am denen der Faden der Refor:
mationsgeſchichte in unſerm Vaterlande fortläuft, meiſt geborene Pfor—⸗
heimer oder Zöglinge der Pforzheimer Schule waren. Ebenſo darf
nicht unbemerkt gelaſſen werden, daß die Pforzheimer, in deren früherer
Geſchichte als eigener Charakterzug das Beſtreben, Alles, was fie unter:
nahmen, ganz, Nichts Halb zu thun, mehr als einmal zu Tage tritt,
ſich der neuen Lehre eben fo entichieden zumwandten, als fie bisher eifrig
fatholifch geweien waren. Sie beiwiefen fih in der Folge auch als
ſolche, welche nie wankten, fondern der evangelifchen Lehre, wie fie von
Wittenberg ausgegangen, unter allen Umftänden treu blieben. Die Vors
fälle der Sahre 1601, 1604, 1622, 1635 und 1643, die weiter unten
erzählt werden follen, mögen dafür den Beweis liefern.
Es kann als befannt vorausgejeßt werden, weldes große Verderben
nach und nad in der Kirche eingerifen und wie der Ruf nad einer
Reformation derfelben an Haupt und Gliedern immer lauter und drin-
gender geworden war. Sehr viel zur Verbreitung foldyer Ideen trug
die um das Jahr 1440 von Guttenberg aus Mainz erfundene Buch—
druderfunft bei. Die Schriften, welche die Zuftände der Kirche beleuch—
teten und durch die Prefie mit fo leichter Mühe vervielfältigt werben
konnten, wurden allenthalben begierig gelefen und bereiteten die Gemüther
auf die wichtige Veränderuug vor, welde nun bald erfolgen jollte,
Auch in Pforzheim wirkten verfchiedene Umftände zufammen, der
— — — — — —
1) Hauptquellen: Vierordt, Geſchichte der evangeliſchen Kirche in Ba:
den; — Vierordt, de Johanne Ungero, Pforzhemiensi (Beilage zum Karle:
ruber Lyzeumsprogramm für 1844), Alten und Manufcripte des Landesarchivs,
verichiebene Schriftftüide des Stadtarhivs, Wo aus noch andern Quellen ges
ſchöpft wurde, ift dies unter dem Tert bemerkt,
Zwoͤlftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 303
nenen Lehre einen günftigen Boden zu bereiten, Daß früher ſchon
die huffitiiche Lehre in Pforzheim Eingang gefunden, ift bereits (S. 154)
erwähnt worden, und mochte diefer Umſtand nicht wenig dazu beigetragen
haben, mande Bewohner der Stadt auf das, was noth that, aufmerkjam
zu machen. Die damals jo blühende Pforzheimer Schule, in welder
die klaſſiſchen Studien mit Eifer gepflegt wurden und aus der fo viele
für die Reformation begeifterte Männer bervorgingen, mochte auch dazu
mitwirken, die Köpfe ihrer fonjtigen Pforzheimer Schüler zu erhellen und
für Neformationsideen empfänglich zu machen. Aus der Druderei von
Anshelm in Pforzheim (Seite 189 ff.) gingen verfchiedene Schriften
hervor, welche kirchliche Gegenftände betrafen und chne Zweifel aud in
der Stadt, in welder fie and Licht traten, mit Begierde gelefen wurden.
Außer den Schriften Reuchling ift hierher namentlicdy ein Buh Wimpfe:
lings 9 zu rechnen, welches im Jahr 1506 in Pforzheim erfchien und
in dem er unter Anderm über die pofjenhaften Auftritte Hagt, welde in
ber Kirche vorkämen, z. B. wenn Mönche einen Laien unter ihren Zu:
börern dazu beftellten, daß er ihnen mitten in der Predigt allerlei kurz—
weilige Einwürfe made. So babe er unlängft mit angehört, wie ein
Prediger mit den Worten unterbrochen worden fei: „Du lügft, du feiſter
Mönch!“ Gewöhnlich erhebe dann das Volk ein ſchallendes Gelächter,
und fo werde die evangelifche Wahrheit in elende Pofjenreißerei verkehrt.
— Wie durch folhe Schriften, fo wurden auch durch ſatyriſche Bilder,
die man da und dort fogar an und in den Kirchen antraf, manche Miß⸗
bräuche und Mißſtände gegeißelt. So befand ſich in der Stiftskirche
zu Pforzheim bis zum Jahr 1556 ein ſehr altes, kunſtreich geſticktes
Kifien an der Rückwand desjenigen Lehnftuhls, auf welchem der Probit
des Stiftes zu ſitzen pflegte. Es ftellte einen Wolf vor mit einer
Mönhskapuze, aus der eine geraubte Gans auf feinem Rücken herab:
hing. Der Wolf ftand auf einer Kanzel, unter welcher ein Fuchs lauerte,
[a8 aus einem Buche vor und hatte als Zuhörer eine Menge Gänfe,
1) Vergl. S. 190: Jacobi Wimphelingii Apologia pro republica christiana.
Jakob Wimpfeling aus Schlettſtadt war einer der eifrigften Borfämpfer für
die Reformation. Er griff in zahlreichen Scriften die kirchlichen Mißbräuche
an und wirkte and; im Geiſte der religiöien Aufflärung euf feine Schüler ein,
während ev als Lehrer in Heibelbern, Freiburg, Straßburg und Schlettſtadt
thätig war.
304 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
die im aufgefperrten Schnabel Paternofter trugen. Nings um den Wolf
jtand der Reim:
Ich will euch guitte Fablen sagen,
bis ich füll den meinen Kragen,
Mit weldem Eifer ſelbſt Kloftergeiftlihe den Lehren, welche durch
die Neformation zur Geltung kamen, jhen im Voraus zugethan waren,
und mit welcher Entſchiedenheit fie fi) dazu befannten, davon gibt ein
Beifpiel der Guardian des Franzisfanerflofters zu Pforzheim, Konrad
Kürsner, auch Pelikan genannt. Derſelbe war ein Schüler Reuch—
fing, wurde 1501 in Pforzheim ordinirt und hatte ſchon 1506 in Bafel,
wo er nod vor feinem Lehrer Neuchlin (1503) eine Anleitung zum
Studium der hebräiſchen Spracde herausgegeben batte — der frübelte
gedrudte Verſuch dieier Art — feine Zweifel bezüglich verfchiedener Lehren
der Kirche nicht geheim gehalten. Während er die erwähnte Stelle im
ranziskanerflofter zu Pforzheim (1511 — 151%) beffeidete, 1) ftand er
in den freumdfchaftlichiten Beziehungen zu Oetolampad (Hausſchein)
in Heidelberg 2) und dem Prediger Wolfgang Capito (S. 195) in
Bruchſal. Die Freunde kamen oft zufammen, und bei einer der Unter:
redungen, welche fie bei jolchen Gelegenheiten pflegen, theilte Kürsner
dem Prediger von Bruchfal auf deffen Bitte feine Anficht vom heiligen
Abendmahl mit und fügte hinzu, es fei Pflicht des geiftigen Menſchen,
nicht alle Lehren der beftehenden Kirche ohne Weiteres binzunchmen,
fondern fie nad) den Haren Ausdrud der biblifhen Offenbarung, als
der höchſten Einficht, einer Prüfung zu unterwerfen. Als Kürsner noch
Manches in ähnlichem Sinn über die fegenannten Firdylichen Autoritäten
binzufügte, verficherte Capito, der Meifter habe ihm aus der Seele ge:
redet, und auf die Zeit Habe man ſich zu freuen, wo die erkannte
Wahrheit nimmer in der Bruft verjchleffen werden müffe Es läßt fi .
1) Gleichzeitig mit Kürsner war auch Sebaftian Münfter in dieſes Klo:
fter getreten. Er verließ dasielbe aber bald wieder, um 1515 in Tübingen ge
meinfhafılih mit Melanchthon feine Studien fortzufeßen, und wurde ipäter
Profefior der hebräiſchen Sprache und Hofprediger zu Heidelberg. Unter feinen
zahlreihen Schriften ift befonders die dent he Kosmographie zu bemerken, die
er zuerſt 1543 herausgab. (Vergl. S 292.)
2) Damals Lehrer der griechiichen Sprache daſelbſt, ipäter Profeffor an ber
Univerfität in Baſel. Bekanntlich nimmt er unter den ſchweizeriſchen Nefor:
matoren eine ehrenvolle Stelie ein. Er ſtarb zu Bafel im Jahr 1531.
Zwölfies Kapitel, Pforzheim im 16 Jahrhundert. 305
wohl annehmen, daß Kürsner auch bei andern ähnlichen Veranlafjungen
aus feinen Anfichten über manche Kirchenlehren kein Hehl machte. Daß
ev es beiſpielweiſe feinem jüngern Freunde Schwebel 1) gegenüber gelhan,
it gewiß. 2)
As Luther in Wittenberg fi) gegen den Abloß erboben mb jeme
Anfichten über den Mißbrauch, den die Kirchengewalt damit trieb, am
3. Oktober 1517, dem Geburtstag der Neformation, durch jeine ID
Site ausgeſprochen hatte, waren letztere im wenigen Wochen mit Hilfe
der Preſſe in ganz Deutſchland verbreitet, und fanden gleich andern
Schriften Luthers, die jenen Theſen bald nadfolgten, mie z. B. über
„den ehelichen Stand,” über das „Papſtthum“, an den „chriftlichen Adel
deutſcher Nation“ ꝛc. allenthaiben die lebhafteſte Zuftimmung. Aus
verſchiedenen Theilen unferes Landes erhielt Luther Zufchriiten, worin die
Freude über fein Auftreten ausgeiprochen war und der Fühne Neformator
ermuntert wurde, auf der betvetenen Bahn fortzufchreiten, — jo ven
einem Geiftlihen in Ettlingen, ferner von dem Domherrn Johann von
Botzheim aus Konftanz, von Kafpar Hedio, damals in Bafel, von Se:
baftian Hofmeifter, Profeffor im Franzistanerklofter zu Konftarz u. A. m.
Kürsner hörte die 95 Sätze in der Gegend von Bafel an der Tafel
eines Kommenthurs öffentlich vorlefen, und befannte ſich im Gegenwart
aller Gäfte mit freudiger Entihiedenheit zu den darin ausgefprochenen
Anfichten. Wie der alte Reuchlin die Nachricht von dem Auftreten
Luthers aufnahm, ift oben ſchon (S. 171) erwähnt worden,
Auch in Pforzheim jelbft jollte es an einem Meanne nicht fehlen,
der den Muth hatte, öffentlich die Sache Luthers zu der ſeinigen zu
machen. Johann Schwebel, ein geborener Pforzheimer und damals als
junger Mönch im Heiliggeiſtkloſter ſeiner Vaterſtadt ſich aufhaltend, durch
Kürsner und ſeinen Jugendfreund Melanchthon längſt für die Ideen
der Reformation gewonnen, fing im Jahr 1519 mit großer Entſchie—
benheit im Sinne Luthers zu predigen an. Allein fein Auftreten batte
für ihn die Folge, dah er vom Markgrafen Philipp den Befehl erhielt,
Pforzheim zu verlafien. Daß jedoch der ausgeftreute Same nicht vers
!) Man vergleiche hier wie überall, wo von Schwebel die Rede ift, deſſen
Lebensbeichreibung.
2) Es fei Über Kürsner bier noch in Kürze bemerkt, daß er im erften Jahr
ber Reformation fein Ordenskleid ablegte, ſich verehelichte und in hohem Alter,
als Profeffor der griechiſchen und hebräiſchen Sprache in Zürich farb,
Pflüger, Pforzheim. 20
306 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert.
loren war, zeigt die Geſchichte dev folgenden Jahre, und mag das Auf:
treten Schwebels mit Urfache geweſen fein, daß ſchon 1520 und in den
folgenden Jahren viele Konventualen des Predigerflofters zu Pforzheim
basfelbe verließen und in den weltlichen Stand zurüdtraten. Zu den:
jenigen, weldye in Pforzheim alsbald für die Sache der Meformation
gewonnen worden waren, gehörte auch Georg. von Leutrum, und wenn
‚Schwebel ihn und die andern Pforzheimer Freunde der evangelifchen
Wahrheit von feinem Eril aus zur Standhaftigfeit ermahnt, jo geht da—
rang bervor, daß die Lehre Yuthers in Pforzheim auch fonftige Anhänger
zählte. Diefe mochten nicht wenig darüber erfreut fein, daß Schwebel
vom Markgrafen noch int nämlihen Jahr die Erlaubnig erhielt, in feine
Baterftadt zurüczufehren. Sicher war aud) ein vorübergebender Aufent-
halt Huttens !) in Pforzheim im Sommer 1521 nit ohne Einfluß
auf die Entwidlung der Verhältniſſe geblieben. Was den Markgrafen
Philipp betrifft, dem damals, wie bereits erzählt, die untere Markgraf:
ihaft und jomit auch Pforzheim gehörte, jo darf aus der Vertreibung
Schwebels keineswegs gefchloffen werden, daß jener Fürft der Sache der
Reformation abhold geweſen wäre Er zeigte ſich im Gegentheil in den
folgenden Jahren als Gönner gemäßigter Neformationsmaßregeln, und
zwar nicht bloß in Bezug auf fein eigenes Land, fondern bald nachher
als kaiſerlicher Neicheftattbalter oder Vorſitzender des Neichsregimentg,
wozu er 1524 durch das Vertrauen in feine amerfannten Einfichten be—
rufen wurde. Freilich mochte gerade diefes wichtige Amt auch mit Ur:
ſache fein, daß Philipp ſich ſpäter nicht entichieden in die Reihe der
evangeliichen Neichsitände ſtellte. Schon jeit 1520 hielt er die Kollas
toren badifcher Pfarreien mit Strenge an, für gewiffenhafte Beſetzung
„' Bei Gelegenheit eines Befuches, den er Franz von Sidingen machte,
weldher fih damals in Wildbad aufhielt. Vergl. „Ulrih von Hutten,“ von
Dr, D. F. Etrauf. 1857 Thl. IV., ©. 196, wo von bieiem „Ritt nad Pforze
heim“ in wenigen Morten bie Rebe ift. „Ulrich von Hutten, der geiftvolle,
mutbige Kämpfer für Licht, Freiheit und Recht, ber Luther feinen Schuß ans
geboten hatte, dev Mitbefimpfer ber Mönche in den Briefen ber Dunfelmänner,
ber trefjlihde Dichter, dev deutihe Mann, ber 400 Kronen Jahresgehalt ver:
ſchmähte, weil Frankreich, nicht Deutichland fie ihm bot, der in freiwilliger
Armuth lebte und nur feine Feder binterließ, vom Papft verfolgt und von den
Fürſten aufgegeben war, ftarb 1523 einſam und verbannt auf der Infel Ufnau
im Züricher Eee, fon im 36. Jahre feines Lebens, aber unvergefien von ber
Nachwelt.” (Böttiger, deutſche Gefhichte, S. 398.)
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 307
ber letztern zu forgen. Ebenſo befahl er in einem Ausichreiben an bie
Pfarrer vom 6. Septeniber 1522, den Frieden der Kirche zu erhalten,
ohne Zankſucht das Volk aus der heiligen Schrift als der Quelle des
göttlichen Wortes zu belchren, aber feine Aenderung in der Meſſe oder
im übrigen Gottesdienſt vorzunehmen, ehe eine folhe Aenderung durch
eine allgemeine Kirhenverfammlung angeordnet werde. Da:
rauf bauten Philipp und die folgenden badiihen Markgrafen ihre Hoff-
nung bezüglich einer Kirchenverbeflerung, und die Hoffnung auf eine
geſetzliche Löſung der kirchlichen Fragen auf jolhem Wege war der Haupt:
grund, daß die Reformation in Baden erft fpäter als in manchen andern
deutfchen Ländern eingeführt wurde. Ebenſo wird es daraus erflärlich,
warum auch Markgraf Philipp bei feiner Achtung vor der Faiferlichen
Autorität und den Beſchlüſſen der Neichsverfammfungen, je nachdem die:
jelben den Neformationsbeitrebungen günftiger lauteten oder ihnen ent:
gegentraten, auch fein Benehmen in feinem Lande diefen Beftrebungen
gegenüber einrichtete, fo jehr er im Allgemeinen von der Nothwendigkeit
einer Kirchenverbefjerung überzeugt war.
As die Prejien Pforzheims im Sinne der Reformation thätig
zu werben begannen, legte ihnen ber Markgraf keine Schwierigkeiten in
den Weg. Datirt vom 1. Dezember 1522 erihhien in Pforzheim eine
Druckſchrift Schwebelg unter dem Titel: „Ermahnung zu den Queftio
nirern, überflüffige Koften abzuftellen.“ (Vergl. ©. 192.) Eine Pre:
digt: „Ueber den guten Hirten Chriftus“, weldye Schwebel bei einem
neuen Beſuche in feiner Vaterſtadt 1524 in der Spitalfirche dafelbit ge:
halten hatte, erfchien ebenfalls im Drud, und erlebte in kurzer Zeit
drei Auflagen, deren eine von einem Brief Gerbels 1) begleitet war,
worin er feine Landsleute zu Pforzheim ermabnt, der einmal erfannten
evangeliichen Wahrheit treu zu bleiben. Sogar ein Laie trat damals
zu Pforzheim für die Sache der Neformation als Schriftiteller auf:
Johannes Grenffenberger, Buchdruder und Maler zugleich (S. 192).
Eine feiner Schriften richtete fi gegen „die falfchen Propheten, vor
denen uns Chriftus gewarnt bat,“ und fordert die Welt auf, die Augen
zu öffnen bei den „Gräueln der Möndye, Biſchöfe und Doktoren ber
boden Schulen, melde nicht Chriftum predigen.” Im einer andern
1) Dan vergleiche die Lebensbefchreibung biefes jo ausgezeichneten Zöglings
und jpätern Lehrers der Pforzheimer Schule. 90°
308 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Schrift, melde unter dem Titel erſchien: „Dieß Biechlin zaygt an,
was ung lernen und gelernt haben unſer Maiſter der Geſchrift“ —
vertheidigt er Luthers Lehre vom rechten Glauben gegen die Werkheilig—
keit. Eine dritte, welche die Aufſchrift führt: „Die Welt ſagt, ſy
ſehe kain Beſſerung von denen, die ſy lutheriſch nennt“, erlebte gleich
nach ihrem Erſcheinen 1524 eine zweite Auflage. Eine vierte, gleichfalls
vom Jahr 1524, enthält „eine chriſtenliche Antwordt denen, die da ſprechen,
das Evangelium hab' fein Kraft von der Kirchen.“ In einer fünften,
mit dem Wahlſpruche: „Den Arınen würdt das Evangelium geprebdigt”,
veripricht Grenffenberger „ein trojtlihe ermanung den angefochtenen im
Gewiſſen,“ und ſo läßt er fih noch in drei andern gleichzeitigen Meinen
Schriften über Ähnliche Gegenftände aus. 1)
Sobald die Neichstagbeichlüffe zu Nürnberg nimmer fo ungünftig
gegen die Nefermation lauteten, beförderte auch Markgraf Philipp ent:
fchiedene Neformationsfreunde zu wichtigen geiftlichen Stellen. Als
Stadtpfarrer zu Ettlingen erſcheint z. B. der gelehrte Irenicus
(S. 196), und befand fich derjelbe fogar im Gefolge des Markgrafen,
als diefer fich 1526 zu dem Reichstag nad) Spever begab. Hier pre:
digte Irenikus offen in evangeliihem Sinne. Die Predigeritelle an ber
Stiftsfirche zu Pforzheim übertrug der Markgraf 1524 dem aus diefer
Stadt gebürtigen Augendlebrer Melanchthons, Johann Unger oder
Ungerer,?) nachdem derjelbe von 1511—1524 die Stelle eines Rek—
tors an der dortigen lateiniſchen Schule befleidet hatte, und erlaubte ihm
fogar 1527 die Ehe, ohne ihm feine Pfründe zu entziehen. Im Ge:
gentheil erhielt Ungerer mehrfach Beweiſe der Gewogenbeit feines Fürſten.
Hatte Markgraf Philipp in ſolcher Weiſe weſentlich im Sinne
tirchlicher Verbeſſerungen gewirkt, jo nahm er ſeit dem Jahr 1925 noch
andere wichtige Neformen vor, namentlich als der Neichstag zu Speyer
1526 den Beſchluß gefaßt batte, daß bis zum Zuſtandekommen einer
allgemeinen Kirchenverfammlung jeder Neihsftand es in feinem Gebiete
in Religionsfachen fo balten könne, wie er es vor Gott und dem Kaifer
zu verantworten ſich getraue. So ftellte er in feinem Lande feine
Geiftlichen mehr an ohne ftrenge Prüfung ihrer Tauglichkeit, drang auch
nicht auf Eheloſigkeit derfelben, weil diefe auf Volt und Priefter gleich
ı) Banzers Annalen, IH., 96, 180, 285, 331.
*) Näheres Über ihn in feiner Lobenebefhreibung.
Zwötftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jabrbundert. 309
ſchädlich wirke. Solche Klerifer, die, ftatt ihren Dienftpflichten nachzu—
fonımen, die Pfründen anderswo verzehrten, erklärte er berfelben für
verluftig und z0g die Pfründen zum Wortheil der Kirche ein. Dies
geſchah unter Anderm dem Frühmeßner Jakob Sehemann in der Alt:
ſtadt zu Pforzheim Ihm wurde, weil er nicht Präfenz leiftete, feine
Pfründe, deren Kollatur das Jahr vorber dem Markgrafen durch das
Kloſter Hirihau übergeben worden war, laut fürftlihen, an den Vogt
Etefan von Gültlingen zu Pforzheim gerichteten Schreibens vom 26. Juli
1526 genommen und beftimmt, daß die Cinfünfte derjelben, die in
Geld, Hühnern, Früchten und Zehnten beftanden, durch zwei ehrbare
Männer verwaltet und zur Wiederherftellung des Langhaufes der Alt:
ftädter Kirche verwendet werden fellten. (Ueberbaupt wurde auch bie
Altftadt damals wieder zu einer eigenen Pfarrei erhoben, nachdem fie
lange Zeit bindurd von der Schloßkirche aus durch Helfer verfehen
“ worden war. Als Filiale gehörten dazu: Würm, Huchenfeld, Dillftein
und ein Theil von Weißenſtein (wo die jetige Kirche ihen 1521 ftand),
fowie das Sonderfiehenhaus zu St. Georg.) Auf der andern Seite
fuchte aber auch der Markgraf die geiunfenen Pfarrkompetenzen wieder
zu erhöhen, wie ein Schreiben vom Jahr 15% (Samftag nad Dionys)
an Vogt, Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht und Nath der Stadt Pforz—
beim beweist. Wie früher ſchon, jo ertheilte er auch im diefem Jahr
einigen Pforzheimer Dominikanern die Erlaubniß zum Austritt aus
ihrem Kloſter. 1) Ihre Namen find: Balthaſar Sarhirt aus Lieben:
zell, Andreas Biel aus Gartadı, Balthafar Wurm aus Liebenzell, Bat
thafar Haen aus Pforzheim, Alerander Frei aus Mertesheim und
Peter Walter aus Enſisheim. Außerdem ſuchte der Markgraf die
Prozeffionen allmälig abzufhaffen, die Feier der Meſſe auf die Some
und Fefttage zu beichränfen, die Belehrung durch Predigten zu verviel:
fältigen, weshalb er ſolche auch am den Werktagen zu halten gebot. Als
Glaubensnorm empfahl er den Geiftlichen die heilige Schrift, die er
1529 in deufcher Sprache zu Durlach druden lief. Beim Gottesdienft
führte er deutſche Gefänge ein und erlaubte den Geiftlichen, Kranken, die
es verlangten, das Abendmahl unter beiderlei Geftalt zu reihen. Sonfs
geftattete jedody der Markgraf am äußern Gottesdienft feine Nenderung,
und ließ namentlid die Abſchaffung dev Mefie nicht zu, obgleich ihm
) Züngler Notare: Religion, Kirhengut, Spitäler ꝛc. 1629.
310 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert.
ihen i. 3. 1526 Männer, wie der erwähnte Irenikus, wiederholt zu:
ſprachen. Ja, er beftrafte fogar ſolche Geiſtliche, welche ſich in äußern
Kultformen Willkürlichkeiten erlaubten, und ließ z. B. den Pfarrer von
Dürrn bei Pforzheim, welcher an manchen Sonntagen keine Meſſe oder
doch nur eine deutſche las, auch Salz und Waſſer nimmer ſegnete, durch
den Vogt Stefan von Gültlingen zu Pforzheim, indem er in die an
Anſehen ſehr geſunkene Strafgewalt der Biſchöfe eingriff, geradezu ein-
ſperren. Sonſt nahm ſich der Markgraf evangeliſch geſinnter Geiſtlichen,
welche in andern deutſchen Gebieten ihres Glaubens wegen bedrängt
wurden, gerne an, und übertrug unter Anderm dem Subprior des
Kloſters Herrenalb, welcher der lutheriſchen Lehre zugethan und aus dem
Kloſter in feine Vaterſtadt Pforzheim geflohen war, 1530 die Pfarrei Weiler.
Es ift oben ſchon bemerkt worden, daß Markgraf Philipp ſich in
Religionsſachen immer gern an die Neichstagsbefchlüffe hielt. Wenn dieſe
den Neformationsbeftrebungen günftiger lauteten, fo war er auch nicht
abgeneigt, manche zeitgemäße Aenderungen zu gejtatten; doch Konnte er
fih mit rajchen Neformen nie befreunden und drang befenders feit 1928
auf Beibehaltung der hergebrachten Kultformen und Miedereinführung
vieler Geremonien, die durch mande Geiftliche eingeftellt worden waren.
As der Markgraf jedoeh auf dem Neichstag von Speier 1529, auf
dem bekanntlich die evangeliichen Reichsſtände wegen ihrer Proteſtation
gegen den Reichstagsabjchied den Namen Proteftanten erhielten, um:
fonft bemüht geweien war, der neuen Kirche einen gefeglichen Beftand
zu verichaffen, als vollends von dem Neihstag in Augsburg 1530 auf
weldhem die Proteftanten dem Kaiſer ihr von Melanchthon verfaßtes
Glaubensbekenntniß, die fogenannte Augsburger Konfeſſion, über:
reichten, nur feindfelige Beſchlüſſe gegen die ewangeliiche Lehre erfolgten:
da fügte fich auch Philipp in den meiften Stüden dem Sinn der Reiche:
abſchiede und fiel, wie fich ein damaliger Chroniſt ausdrüdt, „fein ge
mad) wieder zum Papſtthum abe.“ Möglih, daß aud das Zureden
zweier Eaiferlihen Räthe, die den Markgrafen 1528 in feiner Refidenz
Baden befucht Hatten, nicht ohne Erfolg geblieben war, und daß bie
Furcht ver der Ungnade des wieder nach Deutſchland zurüdgefehrten
Kaijers 1) ihn mit bewog, in feinen Begünftigungen der Reformation
ı) Karl V, hatte vorher in Italien einen biutigen Krieg mit Franz I,
von Frankreich geführt, unb war überhaupt mehr im Ausland, als in Deutfch-
land jelbft beicäftigt.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 311
manche Beſchränkungen eintreten zu laſſen. Viele der Reformation
ftreng zugethane Geiftliche, die anderswo ein Unterfommen finden konn:
ten, fuchten deshalb die badiſchen Dienfte zu verlafien, fo 3. B. ber
mehrermähnte Irenikus in Ettlingen, der 1530 einem Ruf nach Gem:
mingen folgte; andere legten geradezu ihre Stellen nieder. Diefe Ber:
änderung in den Gefinnungen und dem Benehmen des Markgrafen war
auch nicht ohne Einfluß auf die Geftaltung der Firchlichen Verhältniſſe
zu Pforzheim.
Die Bewohner diejer Stadt waren bereits der Lehre Luthers eifri
zugethan und hielten jehr darauf, daß ihnen das Wort Gottes nicht nur
recht fleißig, fondern auch im Sinne der heiligen Schrift verkündet
würde. So fehr man nun auch mit dem Stiftsprediger Unger zufries
den war, dem deshalb manche Beweiſe der Liebe und Verehrung, jo:
wohl von Seiten des Markgrafen, als der Bürger, zu Theil wurden,
fo wenig ſchien leßtern ihr Pfarrer zu genügen, woran mun freilich
fein körperlicher Zuſtand hauptſächlich die Schuld trug. Es wendete fich
deshalb Schultheig und Gericht am Mittwoch nah St; Thomas 1529
mit folgender Bitte an den Markgrafen: „Wiewol wir ein gut Zytt
nit wenig gebredhen und mangel an unferem Pfar befunden, derohalb
wir gut fug gehapt, folicdy gebrechen an Ewre fürftliche Gnaden langen
ze lafien; haben wir ung doch gelitten, der hoffnung, es folle ſich mit
ime gebefjert haben. Diewyl aber fich jun Krankheit täglich mert, alfo
daß er ganz felten ußgon, und, wann er gleidy webern (d. h. predigen)
mag, iſt er doch jo heißerer Ned, daß man ine nit merden noch verjton
fann, und zu dem allem er fein geſchickten oder touglihen Miethern
(Vikar oder Diakon), mit dem ein Gemeind verfehen (wäre, bat): haben
wir nit jollen unterlafjen, Ewrer Fürftlichen Gnaden de anzuzeigen, und
bitten underteniglih, Ewrer Fürftl. Gnaden welle bierzu gnedigs Inſehen
tbon, unferen jetigen Pfarh mit einer andern pfrund in ander weg,
dbargegen ung mit einem gefchieten Pfarhern, fo der gemeind mit ver:
fündung des Wortes Gottes und fonft vorſton konde, gnediglich ver:
ſehen.“ — Diejer Bitte war noch eine andere beigefügt, woraus einer:
ſeits hervorgeht, wie fehr der ftädtifchen Behörde daran gelegen war, die
Predigten möglichit allen Bewohnern der Stadt zugänglich zu machen,
andererjeit8 entnommen werden kann, daß ähnliche Klagen, wie man fie
beut zu Tage noch oft vernimmt, ſchon wor mehr als 300 Jahren laut
wurden. „Am Andern,“ fo beißt es weiter in der erwähnten Bittfchrift,
12 Zwölftee Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
„nachdem, daß der Kirchgang zu St. Micheln in die Pfarrkirch etwas
mühſam und kindenden wybern, alten kranken Lüten, ouch ſonderlich den
armen, ſo mit Kindern beladen und der Kirchen wytt geſeſſen (d. h.
weit von der Kirche entfernt wohnen), beſchwerlich, alſo daß viel Volkes
das Gottes wort nit hören, (darzu es, wo zu den Parfußern oder Pre⸗
digern dasſelb verkund wurde, mit gutem Fug kommen mecht): were
unſer meinung und undertenig bitten an Ew. Fürſtl. Gn., zu bewilligen,
daß die Predigt Freytags und Werktage beſchehe in einem der clöfter
durch den Pfarrer und Predifanten. Die Brüder (Mönde) könten in
derfelben zutt mit irem gefang abfton und dem Worte Gottes
vum (Raum) geben“ — Welcher Beſcheid auf bie letztere Bitte
erfolgte, weiß ich nicht; was das erftere Anfuchen betrifft, fo fcheint der
Markgraf den Pforzheimern den Rath gegeben zu haben, einen Theil
der pfarramtlicen Geſchäfte durch Angerer beforgen zu laffen; wenn
dies aber nicht ginge und der Diakon feiner Stelle nicht gewachfen fei,
jo möchten fie ſich jelber nach einem andern tauglichen Pfarrer umfehen
und von ihrer Wahl der fürftl, Kanzlei in Baden bie erforderliche
Anzeige machen. Darauf erfolgte eine zweite Eingabe, batirt vom
Sonntag nad Sirtus 1530, worin Schultheiß und Gericht die Noth—
wendigfeit eines andern Pfarrers wiederholt darlegten, da der bisherige
mit dem beiten Willen wegen fortdauernder Krankheit feinen Verpflich⸗
tungen nicht nachkommen könne, der Miethling aber ein junger Geſell
und der Bürde nicht gewachſen ſei, und der Präbdikant (Unger) mit
Predigen genug zu thun habe, I) — Am gleichen Tage (7, Auguft)
wandten ſich Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht und Rath mit folgendem
Schreiben an den Pfarrer Melchior Hellwerf zu Löchgau (bei Befig:
beim im heutigen Württemberg): „An den wolgelerten erfamen
Meifter Melchior, Pfarhern zu Yodheim, unfern fenders guten Freund.
— Nachdem unfer Pfarher Lyps halb zur Berfehung der Pfar untaug:
lid, haben wir von unſers gnädinen Hern Näth bevelb, umb ein an:
dern umbgeſehen und inen anzuzeigen, Dewyl wir dann bericht (find),
daß der almechtig üch mitt ler und fynen gaben gnediglic begabt, fo
ift am üch unfer frundlich bitt, iv wellet üch ſolich pfarr (darzu wir üch
*) In diefem Echreiben ift von „fterbenden Läufen“ in Piorzbeim
die Rede; auch in Freiburg berrfchte damals bie Peſt, d. b. eine anſteckende
Krankheit.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 313
beruffen) unterziehen und zu uns verfügen. Wellen wir uns gern ber:
maß halten, daß ir darob mwolgefallens tragen, und zwyfflen nitt, ber
allmechtig Gott werd biezu fun gnad ouch geben, alfo daß es zu funem
Lob und unnfer aller Befferung dienen werde, und fo üch gelegen wer, „
unnfer Bitt zu hören, wellet üch mit zeiger diß zu uns verfügen, um
von Sachen zu reden; wo nitt, bitten wir body Euer Antwort. Datum
fonntags nah Sirti anno XXX. Schnltheiß, Bürgermeifter, Gericht
und Kath der Stadt Pforzheim.“ — Schon unterm 10. Auguft erfolgte
eine Antwort „Meifter Melchiors an ſyne günftigen Lusherrn in Pfortz—
beim”, worin er jagt, daß er mehr „erichredt als erfreut” fei, in eine
„ſolch fürftlihe Stadt zu geben“, und ſich Bedenkzeit ausbittet. Er
nahm auch wirklich den Ruf nach Pforzheim nicht an, weshalb der bie-
berige alte Pfarrer, der fein Umvermögen, den pfarramtlichen Pflichten
nachzukommen, felbjt einfahb, dem Markgrafen den Kanonikus Marr an
ber Stiftsfirche zu Pforzheim zu feinem Nachfolger vorfchlug. Auf eine
vom Markgrafen an die Vorgeſetzten zu Pforzheim unterm 1. März
1532 gerichtete Anfrage, ob der Empfohlene zu fraglicher Stelle auch
geeignet jei, erfolgte unterm 12. März der Beicheid, daß fie nicht wüß—
ten, und auch nicht zu beurtheilen im Stande wären, wie er predigen
könne; was aber jeine Perſon angebe, jo hätten fie Bericht, daß er
„von den franzofen ichaden, dazu das pobagra habe, allio das er die
Zytt Hin nit vil inn der kirchen gewest, we er dann lips bledigkeit halb
nit mocht webern ꝛc.“ — Endlich im Juni jenes Jahres erhielten bie
N forzheimer einen Pfarrer in der Perfon des Johann Wieland, eines
gebornen Keimsheimers und bisherigen Dechanten des Ruralkapitele
Dberrieringen im Herzogthum Württemberg, welches ſich damals noch
in öſterreichiſcher Gewalt unter ſtreug-katholiſchen Kirhenformen befand,
Schon am 6. Juli trat derjelbe in den Stand ber Ehe, wobei ber
Prediger Unger die Trauung vollzog und drei andere Pforzheimer
Geiftliche, nämlich Dr. Rot, genannt Vaihinger, Johann Wild und 30:
bann Schwarz Zeugen waren. So hatte Unger einen Kollegen gefun—
den, der ihn im feinen veformatorifchen Beſtrebungen aufs Kräftigfte
unterftüßte,
Diefelben ſtießen jedoch bald auf große Schwierigkeiten, da ſich
mittlerweile die Verbältniffe in der oben angegebenen Weife zu Unguniten
firchlicher Reformen geändert hatten. Markgraf Philipp batte unterm
13. Juni 1531 ein Ausfchreiden an alle feine Amtleute, jo auch am
314 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
den Kurz vorher nad Pforzheim gelommenen Vogt Eberhard von Rei:
ſchach, erlaffen, welcher dasjelbe auch ſogleich publicirte, und worin den
Beamten befohlen war, genau darüber Bericht zu erftatten, wie es bie
einzelnen Geiftlichen ihres Bezirkes mit der Taufe, der Beichte, dem
Abendmahl, der Mefje, den Geremonien ꝛc. hielten. Zugleich ertheilte
ber Markgraf dem Benannten die Inftruftion, ftreng darüber zu wachen,
daß die heilige Schrift nur im Sinne der kath. Kirche ausgelegt, alle
Tefttage gefeiert, an jedem derfelben Predigt und Meſſe gehalten, alle
Fafttage und Geremonien genau beobachtet, das Volk jedoch hinreichend be—
lehrt werden jolle, damit e8 nicht auf dieje Auferlichen Uebungen, fon-
dern auf Ehriftum allein fein Vertrauen ſetze. Jeder Beamte follte
überdies eine jchriftliche Erklärung der einzelnen Pfarrer, ob fie diefen
firhlihen Anordnungen nachzukommen geſonnen feien, ber Regierung
überfenden, die das Meitere jodann anordnen werde,
Da diefe Regierungsbefehle und ebenſo ein anderer gegen bie
deutfche Sprache bei Taufen den frühern Erlaß, nad welchem den
Kranken der Kelch beim Abendmahl bewilligt worden war, nicht
aufboben, fo blieb der Kelch auch im Uebung; ebenfo war die Priefterehe
durch jene Verordnung nicht verboten, wie aucd aus der Verheirathung
Wielands hervorgebt. Als jedoch bald darauf der Shelfer desfelben, den
Chorrock am Arm, mit Hoftie und Kelch, beides bededt, zu einem
Kranken gehen wollte, fo traten ihm auf Befehl des Vogtes Eberhard
von Reiſchach die Stadtknechte in den Weg, mit dem Bebeuten, „er
folle ſolches fürder abftellen.“ Darauf wandte fid) Wieland zwei Mal
mit Beichwerden an den Stadtratb und ftellte demſelben vor, daß ſchon
manche Sterbende, feit der Kelch nicht mehr gereicht werden dürfe, er:
- Märt hätten, lieber „unverfehen und uff Gottes Barmberzigkeit ſcheiden
zu wöllen.” Auch über die Wiedereinführung der lateiniſchen Sprade
bei Zaufen als einer Sprache, die ja doch Niemand verftehe, befchwere
fi die Gemeinde, und Viele drohten, die Neugeborenen in andere Orte
zu tragen. Er bitte aljo, dahin zu wirken, daß die frühern Verwil—
ligungen aufrecht erhalten würden; geſchehe dies nicht, jo müſſe er bitten,
ihn der Pfarrei, auf welche er ohne fein Zuthun berufen worden ſei,
wieder zu entheben. Beide Vorſtellungen Wielands überfandte der
Stadtrath mit einem Beiberiht an den Markgrafen. Geht aus jenen
bervor, welche Gelinnungen in der Gemeinde über Taufe und Abend:
mahl herrſchten, jo erfahren wir aus diefem die Anfichten des Stadt:
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 315
raths darüber, und können aus Beiden erfehen, wie ſehr ſchon manche
Lehren der Reformation in Pforzheim Wurzel gefaßt hatten und mit
welcher Entſchiedenheit diejelben auch von der weltlichen Behörde der
Stadt geltend gemacht wurden. Der Bericht des Stadtraths lautet
wörtlich (mit Hinweglaſſung des Eingangs und Schluſſes): „1. Er ſt—
lich dewil in reichung des touffs by uns nie nichts geendert, ſondern
alle weſentliche Stuck und Ceremonien bisher gehalten worden ſind, ußer
daß mit Wiſſen Ew. Fürſtl. Gnaden die latiniſch ſprach in die tütſch
verdolmetſcht oder verteuſcht, damit ein jeder wiſſen mag, wozu der touff
nutz, was gehandelt, welche inſatzung und wie der touff beſchehe, und
damit der verderplichen Seet des Wiedertouffs merklicher widerſtand be
ſchehe, wie ſich dann dieſelb Sect allhie offtmals inſlichen wollen: 1)
ſo bitten wir Ew. Fürſtl. Gn. underteniglich und lut, umb Gottes Ehr
und der armen Gewiſſen und der Selen Seligkeit willen, die wolle gne—
diglich zulaſſen, die Kinder teutſch zu touffen. — 2. Am An:
dern, dewil Ew. Fürſtl. Gn. ußſchreiben, jo in Ew. Fürſtl. Gn. Land
allenthalb offentlich verkündt, ußtrucklich, vermag, daß den Kranken in
Todesnöten das heilig Nachtmal Chriſti (d. h. unter beiderlei
Geſtalt) gehalten werden möge, und dewil vil erlich und fromme Lüt
bisher mit Nießung des heiligen Nachtmals uß dieſer Zyt ungezwyvelt
Gott gefelliglich geſcheiden ſind: ſo bitten wir Ew. Fürſtl. Gn. abermals
underteniglichſt, die wolle daßelb hinfüro uns und andern gnediglichſt
nitt verhalten, ſondern, unſres Herrn Chriſti Inſatzung nach, ſyn heiligſt
Lip und Blut im heiligen Sacrament in Nöten gedyhen, und den ellen-
den Swermern und Zwingliften (1) nitt Naum geben, den armen Grey:
gen in legten Nöten ir Heil und Troft nitt entziehen, noch dahin kom:
men laſſen, daß fie ohne dieß göttlich und höchſt Sacrament mit größter
geverd irer Selen hinfaren.“
Diefe Bitten des Pfarrers nd der Gemeinde batten den gewünſch⸗
ı) Zu den Wiedertäufern aus unferer Gegend, welche namentlich in dem
unter Öfterreichiicher Herrichaft ſtehenden Miürttemberg aufs Graufamfte verfolgt
wurben, gehörte au Georg Baumann, ein Bürger aus Bauſchlott, der zwar
anfangs duch ſchreckliches Foltern zim Widerrufe gebracht wurde, gleich darauf
aber feine Reue barüber zu erfennen gab und von Neuem der furchtbar ftrafen-
ben Gewalt unter das Antlig trat. Zwei andere Wiedertäufer aus Bilfingen,
Eberlin Scott und Konrad Schütz ergriffen 1543 bie Flucht, als man fie als
folge erkannte. Ihre Güter wurden hierauf Fonfiscirt.
316 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
ten Erfolg nicht. Im Gegentheil mehrten ſich fogar die Verfolgungen
und Entlafjungen proteftantiih gefinnter Geiftlihen, und namentlich
mußte auch aus Pforzheim Melanchthons gelehrter und frommer Freund,
der Schulreftor Michael Hilsbach (S. 194) fortzieben; er fuchte und
fand mit feiner zahleihen Familie eine Unterkunft im Zweibrückiſchen.
Zulegt wurden jogar Unger und Wieland gefänglih von Pforzheim
nach Baden geführt, um dort durch die Räthe des Marfgrafen verhört
zu werden. Sie erhielten zwar nach geböriger Wertheidigung in Bälde
ihre Freiheit wieder und wurden ihres Amtes auch nicht enthoben; doch
benütte Wieland die erfte Gelegenheit, welche fih ihm darbot, die
Markgrafſchaft zu verlaflen, und, vom Herzog Ulrih von Württemberg
als Superintendent nach Vaihingen berufen, in fein Vaterland zurüczu:
fehren, das 1554 den Defterreichern wieder entriffen worden war,
Markgraf Thilipp ftarb am 17. September 1533, nachdem er
wenige Monate vor jeinem Tode das Verbot Firdlicher Veränderungen
in Gebeten, Gefängen und Geremonien wiederholt hatte.
An feinen Nachfolger Markgraf Ernſt fand die Neformatien zwar
feinen ftrengen Gegner, aber auch feinen Beförderer. Mild von Charakter
und allen gewaltſamen Mafregeln abgeneigt, ließ er in Pforzheim den
Religionszuftand fo, wie er ihn angetroffen. Dem Prediger Unger gab
er vielfältige Beweife feines Wohlwollens und feiner Hochachtung, erflärte
die Ehe desjelben für rechtmäßig und nahm ibn, jeine rau und feine
Kinder in feinen beſondern Schutz. Inter ſolchen Umständen darf es
nicht auffallen, wenn der oben ſchon (S. 213) erwähnte Saftrew ſich
bei feiner Defchreibung der Stadt Piorzbeim des Ausdrucks bedient :
„Pforzheim hat in Predigten und Gefängen evangelifche Neligion.” —
Mie fein verftorbener Bruder Philipp hielt Markgraf Ernſt jedoch die
Hoffnung feit, daß die Erledigung der Firchlichen Streitigkeiten durd ein
allgemeines Konzil erfolgen und auf diejem gejetlichen Wege auch eine
Kirchenverbefierung zu Stande gebracht werden würde. An diefem Sinne
war auch die Inſtruktion abgefaßt, die er dem Dr, Altmann, Propſt
des St. Micaelftiftes zu Pforzheim, nad Hagenau zu einem Reli:
gionsgeſpräch mitgab, das daſelbſt zwiſchen katholiſchen und evangelischen
Theologen ftattfinden follte. Aſtmann wurde beauftragt, dahin zu wir:
ten, daß die DBefeitigung der Lehrftreitigkeiten einem allgemeinen oder
nationalsdeutichen Gonzil iibermwiefen, die Geiſtlichen aber zu einem gott:
jeligen Leben mit aller Strenge angehalten werden follten. Wie er jelber
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 317
darauf drang, zeigte 1538 fein Verfahren gegen den Pforzheimer Kane:
nifer Michael Hahn, den er, weil er mit einer gejchiedenen Ehefrau in
verbotenem Umgang lebte und mit ihr Kinder erzeugte, gefänglich nad
Spever führen und deffen Beihälterin er des Landes verweilen ließ. 1)
Auch in feinem Teftamente, welches der Markgraf ſchon 1537 verfakte,
verordnete er, daß ohne Conzil- und Reichtagsbeſchluß nichts an der
alten Religion geändert werden folltee Er mußte fpäter freilich die
Veberzeugung gewinnen, daß auf diefem Wege eine Reformation nicht
zu Stande kommen konnte. Unter den Geiftlichen unierer Gegend, welche
um jene Zeit (1536) ſich offen zur evangelifchen Lehre bekannten und
nicht nur zur Ehe fchritten, fondern auch das Abendmahl unter beiberlei
Geſtalt zu reichen anfingen, befand fi der Pfarrer Düſſing von Er:
fingen, 2) das dem Klofter Herrenalb gebörte, aber, wie das ganze Ges
biet dieſes Klofters, der Landeshobeit des Markgrafen von Baden-Baden
unterworfen war. Der damalige Markgraf Bernhard III. befannte
fih ebenfalls zur augsburgifhen Konfeflion.
Der evangelifchen Lehre, die fich feit 30 Jahren gegen alle Erwar:
tung fait im allen Theilen Deutichlands verbreitet hatte und bereits
Millionen von Anhängern zählte, drohte indeflen neh ein Mal eine
große Gefahr, die ihren ferneren Beitand eine Zeitlang fehr in Frage
ftellte. Immer ſchroffer hatte ſich nad) und nad) das gegenfeitige Ver:
hältniß zwiſchen Katholiten und Proteftanten geftaltet, und der Kaijer,
der nach Beendigung feiner auswärtigen Kriege wieder in Deutichland
erfchienen war und aufs Neue Kriegsrüftungen betrieb, gab den evan-
geliſchen Reichsftinden auf ihre Frage nah dem Grund derfelben bie
Antwort: Er beabfichtige, mit einigen Ungehorfamen dem Rechte gemäß
zu verfahren Schnell rüſteten fie fih zur Gegemwehr und erneuerten
im Winter 1545 auf 46 zu Frankfurt den Bund, der bereits 1531
zu Schmalkalden von ihnen abgeichfofien war. Noch im Jahr 1546
brach der Krieg aus, der in der Geſchichte unter dem Namen des
ſchmalkaldiſchen bekannt iſt. Da unter den Proteftanten Feine rechte
Einigfeit herrſchte und ihr Heer troß feiner Meberlegenheit durch unfchlüf-
figes Zaudern die günftigfte Zeit. verftreichen ließ, jo unterwarf fich ber
Kaijer fchnell nicht nur die evangelisch gefinnten ſchwäbiſchen Neicheftädte,
1) Alten des Landesardivs,
2) Er beiratbete jogar eine „VBegine oder graue Waldſchweſter.“ (Convents⸗
bericht weg. Pir. Düſſing v. 1549.)
318 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
fondern auch den Kurfürften von der Pfalz, rücdte nah Sachſen, wo er
1547 den Sieg von Mühlberg erfoht und den Kurfürften Johann
Friedrih von Sachſen und bald darauf auch den Landarafen Philipp
von Hefien, alſo die beiden Häupter des fhmalfaldifchen Bundes, ge:
fangen nahm. Das Schickſal des Proteftantismus in Deutfchland wäre
entichieden geweſen, wenn nicht politifche Gründe und das gefpannte
Verbältniß, in welchem der Kaifer damals zu dem Papfte ſtand, fowie
die Ueberzeugung, welche jener auf feinem Zuge durch Deutichland von
ber großen Verbreitung der evangelifchen Lehre gewonnen hatte, in Karl V.
eine Veränderung feiner Anfichten und Pläne hervorgebracht hätte. Er
war zu der Einficht gefommen, daß auf dem Wege ftrenger Gemalt
nicht durchgegriffen werden fonnte, und ertbeilte deßhalb, um die getrenn-
ten Religionsparteien der Vereinigung näher zu führen, drei deutichen
Theologen, darunter einem evangeliichen, den Auftrag, einen Entwurf
auszuarbeiten, nad welchem ſich die beiden Religionstbeile einftweilen
(interim) zu richten hätten, Es wurden in demfelben faſt alle katholiſchen
Einrichtungen beibehalten und den Proteftanten feine weitere Zugeftänd:
niffe gemacht, als daß fie den Kelch im Abendmahl beibehalten durften
und ihrem Geiftlihen die Ehe geftattet war. Diefes Interim wurde
auf dem Reichstag zu Augsburg 1548 als Reichsgeſetz verkündet, troß
der Einſprache ber Proteftanten und der allgemeinen Unzufriedenheit
welche dasſelbe hervorrief. Denn auch Nom war damit nicht einver:
ftanden, nannte e8 eine Ketzerei und zwang durch förmliche Entzweiung
ben Kaifer, auf die proteftantifchen Reichsſtände, wenigftens auf die
mächtigern, mehr Nüdficht zu nehmen, als dies ſonſt gefchehen wäre.
In Folge des Interims war der Zuftand der ewangelifchen Kirche
in Deutfchland ein fehr gedrüdter und wurde ihre weitere Entwidlung
und Verbreitung dadurch wejentlic gehemmt. Weberall mußte die Mefie
wieder eingeführt werden, die Faftengebote wurden verfchärft ıc. Lebteres
geichah beifpielweife auch durh Markgraf Ernſt, der am 8. Juni 1548
in allen badifchen Orten, fo auch in Pforzheim, „mit beleuteter Glockhen“
öffentlich verkünden Tieß, daß an den verbotenen (d. h. Faſt-) Tagen bei
Strafe von 10 Pfund Pfennig, Kranke ausgenommen, in keiner Her:
berg oder offenenen Gejellihaft, bei Hochzeiten ꝛc., Fleiſch gegeſſen wer:
den dürfe, Doch nahm der Fürft dabei nicht das Interim, fondern die
berrichende Theurung zum Vorwand, und verordnete zugleich, daß auch
an Fleiſchtagen aus diefem Grunde nicht zugleich Fiſche in einem Wirths:
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 319
baufe verabreicht werden dürfen, außer an Sole von der Herrfchaft,
an Grafen, Herren vom Abel ıc. 1)
Unerwartet fchnell änderten ſich aber nach einigen Jahren ſchon die
Berhältniffe wieder zu Gunſten der Proteftanten. Der Herzog Morik
von Sachſen, der, obgleich) Proteftant, ſich dem fchmalfaldiihen Bund
nicht angeichloffen, ſondern auf die Seite bes Kaifers geftellt hatte, mochte
über fein Benehmen feinen Glaubensgenofien gegenüber Neue empfinden
und jest erjt die Gefahr erkennen, in melde die evangelifche Kirche durch
fein Mitverfchulden gerathen war. Auch war er nicht wenig darüber
entrüftet, daß der Kaiſer die beiden gefangenen Häupter des ſchmalkal—⸗
diſchen Bundes bis jegt nicht freigegeben hatte, Genug, — Meorik
überfiel den Kaijer plötzlich mit anſehnlicher Heeresmacht in Insbrud
und zwang ihn 1552 zu dem Dertrage von Paſſau, worin der Kaifer den
Proteftanten verjchiedene Zugeſtändniſſe machen und das Berfprechen ber
möglichſt baldigen Abſchließung eines fihern und dauernden Religion:
friedens geben mußte. Diefer kam nach langen Verhandlungen im
Jahr 1555 in Augsburg zu Stande. Durch ihn erhielt die evangelifche
Kirche gefeglihe Geltung und rechtlichen Beſtand.
B. Einführung der Reformation,
(1556 ff.)
Schon nad) der Abichliefung des Bertrages von Paſſau 1552
ging der greife Markgraf Ernft mit dem Gedanken um, der evangelifchen
Lehre öffentlich beizutreten, Er hatte ſich überzeugt, daß feine Hoffnung
auf Entfernung der kirchlichen Mißbräuche durch ein Conzil eine vergeb:
liche ſei, und glaubte fi jetzt zu jenem Schritte geſetzlich berechtigt.
In diefer Anficht wurde er namentlich durch feinen Hofprediger Truden-
brot beftärft, mit welchem ſich der Markgraf über die Einführung der
Kirchenwerbefierung bereits bejprochen hatte. Uber der Tod kam der
Ausführung feines Vorhabens 1553 zuvor,
Sein Sohn und Nachfolger Karl II. war der evangelifchen Lehre
jehr geneigt und hatte fih auf den Wunſch feines Vaters auch mit einer
1) Der Erlaß findet fih S. 67 des mehrerwähnten Kopienbuches im Pforz⸗
beimer Archiv als Anhang zu der Wirthsordnung von 1541 und if ſchon
©. 210 geführt worden,
320 Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert
evangelifchen Prinzeffin vermählt. Doch trug er noch Bedenken, in feinen
Lande den geſetzlichen Eintritt der Reformation zu begründen, bevor ber
verbeißene Religionsfriede förmlich abgeſchloſſen war. Dieſe Bedenklich—
keiten nährte namentlich der alte Kanzler Dr. Oswald Gut. Doch
dieſer ſtarb nach einer dreißigiährigen Verwaltung feines Amtes am
28. März 1554 in Pforzheim, 1) und an feine Stelle trat Dr. Martin
Achtſynit (Amelius), ein auf der Hochſchule feiner Vaterſtadt Frei:
burg gebildeter Juriä, und kurz vorher vom Kaiſer Ferdinand in den
Adelftand erhoben. Kaum war der Neligionsfriede am 25. September
1555 in Augsburg verkündet, jo trat jeßt Karl II. unter dem Schuß
der Meichsgefeße offen an die Seite der proteftantifchen Fürften, und
ber lebhafte Antheil, womit er die evangeliſche Kirche feines Landes
gründen und bis am feinen Tod befeftigen half, erwarb ihm im Munde
feines Volfes den Beinamen des Frommen.
Noch im Jahr 1555 begann er das Werk der Reformation damit,
daß er die Zahl der Klöfter im feiner Reſidenz Pforzheim allmählig
zu vermindern fuchte. Die Neihe der Aufhebung traf zuerft die Klöſter
der Franziskaner und Dominikaner. 2) Bei dem Michaelſtift begann er.
mit Cinziehung einzelner Kanonien, namentlich) aber der Dechantei, nad:
dem der bisherige Dechant refignirt und feine Haushälterin geehelicht
hatte. Vergebens rief der Kanonikus Johann Freyermund dagegen,
ſowie gegen die Neformationsverfuche des Markgrafen überhaupt, die
Hilfe des Biſchofs von Speier an. 3) (Der damalige Probft des Stiftes
hieß Georg Bo.) Dann fah ſich der Markgraf nad) tüchtigen Geift:
lichen um, denen er das Werk der Kirchenverbeflerung übertragen konnte.
In feinem eigenen Lande fand er ſolche nicht; denn Unger, der dazu
am beften zu gebrauchen yewejen wäre, war 1553 in hohem Alter ge:
ftorben, und andere hervorragende Kräfte ſcheinen nicht vorhanden geweien
zu fein. Deshalb bat fich der Markgraf aus mehreren andern Gebieten
tüichtige Gottesgelehrte aus, damit diejelben namentlich eine neue Kir—
henordnung für Baden-Durlady entwerfen follten. Es kamen alſo
nad Pforzheim Dr. Andrei von Göppingen, Dr. Mar Mörlin,
Hofprediger von Koburg, Dr. Johann Stöſſel von Heldburg und ber
1) Sein Grabftein, worauf fein Bild ausgehauen ift, befindet fih in ber
Schloßfirche lints vom Eingang in die Safriftei. (Berl. S. 273.)
2) Vergl. Kolb I, 61, und Sache IV., 80,
2) Alten des Generallandesardivns.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 321
Hofprediger Michael Diller von Heidelberg. An die Stelle Andreä's
trat jpäter Dr. Jakob Heerbrand von Giengen. Diefen vier geift:
lichen Herren wurden noch zwei weltliche Räthe beigegeben, und der
Vorſitz in diefer Reformationskommiſſion dem Kanzler Achtſynit über:
tragen. Nachdem der forgfältig berathene Neformationgentwurf die
Genehmigung des Markgrafen erhalten hatte, wurde berfelbe gebrudt
unter dem Namen: Kirhenordnung der Markgrafſchaft
Baden, Pforzheimer Theile, am 1. Juni 1556 dem Land ver-
kündet, und bei ber bald darauf folgenden allgemeinen Kirchenvifitation
jeber Gemeinde zur freien Annahme vorgelegt. Ueberall wurde fie mit
großer Freude begrüßt; nur von einer Gemeinde wird gefagt, daß fie
der Neuerung wibderftrebt habe, nämlich von Neulingen oder Neidlingen
bei Pforzheim. (Vergl. ©. 64.) 1)
Den Inhalt der neuen Kirchenordnung vollftändig anzugeben,
würde bier zu weit führen, ch theile deshalb nur die Hauptpunfte
derfelben in Kürze mit. Sie handelt zuerft von der Lehre und
Predigt des Wortes Gottes. As Duelle des Glaubens wird
die heilige Schrift zu fleihigem Gebraudy empfohlen; auf fie fol
die Predigt gegründet und die deutfhe Mutteriprade, ſowie
der deutſche Gemeindegejang bei allen Theilen des Gottesdienftes einge:
führt werden. Hierauf wird vorgeſchrieben, wie e8 mit der Spendung
der Saframente, nämfih der heiligen Taufe und des heiligen
Abenbmahls, jowie überhaupt beim Gottesdienste gehalten werden
folle; endlich wird darin über die Fefttage, das, was bei Trau—
ungen, Kranftenfommunionen, Reihenbegängniffen ze. zu be
obachten ſei, das Nöthige feftgefet und fchließlid verordnet, daß die
GSeiftlichen ſich bei allen kirchlichen Verrichtungen des gewöhnlichen Chor:
rocks bedienen follten.
Welche Veränderungen mit der Einführung der neuen Kirchenord—
nung in Pforzheim verbunden waren, wann daſelbſt der erfte evan-
gelifche Gottesdienft gehalten wurde -— darüber ſchweigen die Quellen,
Die Alten im Stadtarchiv, welche nähere Auskunft geben könnten, find
wie noch mande andere bei dem Brande von 1689 zu Grunde ge
gangen. Nur das erfahren wir, daß allen katholiſchen Geiftlihen der
3) Diele Angabe dürfte aber nicht richtig fein, ba ber Drt Neidlingen ſehr
wahrſcheinlich im 16. Jahrhundert nicht mehr exiſtirte.
Pflüger, Pforzheim. 21
329 Zwoͤlftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Stadt, welche nicht zur neuen Lehre fich befennen wollten, unterm
20. Auguft 1556 der Schuß und Schirm aufgefündet wurde. 1) Der
erfte evangeliſche Stadtgeiftliche, Spezial und Superintendent in Pforze
beim nad) Einführung der Reformation war ber erwähnte Dr. Heer:
brand jelber; ihm folgten 1558 Iſrael Achatius, um 1560-1580
Ruprecht Dürr, 1600 Benedift Ungerer, 1607 Konrad Jenni—
chius, 1618 Stephan Rohrfelder, 1630 Georg Wibel, 1648 ob,
Burkhard Erad, 1673 Lob. Phil. Weiniger, 1681 Matthäus
Kummer ꝛc.?) — Pfarrer der Altftadt war 1561 Erasmus Fes:
tus, 1565 Johann Grave, 1574 Nil. Mollinger, 1579 Kilian
Werner, 1582 Math. Konr. Berblinger, 1601 Ruprecht Grave,
1614 David Langenberger, 1635 Job. David Sauter, 1645
Petrus Kercher, 1651 Lob. Seuterlin, 1655 Elias Nietham—
mer, 1673 ob. Jak. Bürenftein, 1691 Berthold Deimling,
1736 Ernſt Ludwig Deimling ꝛc. — Ws Hofprediger erfcheint um
1556 Jakob Rat, nah ihm 1563 Reißenzahn, als Spitalpfarrer
Rorenz Fuchs, als Diakon ein Kak ꝛec. — Auch von einigen Yandorten
find noch die Geiftlihen bekannt, welche daſelbſt ſchon zur Zeit ber
Einführung der Reformation oder kurz nachher thätig waren, fo in
Brötzingen 1558 Leonhard Kiftler, im Ellmendingen um 1560 Peter
Rotenburg (+ 1583), Eutingen 1561 ob. Kleifhmann, Niefern
1561 Kilian Werner, Baufchlott 1581 Daniel Schrötlin, Eiſin—
gen 1580 Job. Raiter, Göbrichen 1561 Wolfgang Pfennig, Sttere-
bad 1569 Thomas Werner.
Sm Jahr 1557 hatte der eben genannte erfte evamgelifche Stabt⸗
geiftliche Pforzheims, Dr. Heerbrandt, noch die Pflicht der Seelforge bei
einem Sterbenden zu üben, der auf eine eigene Art nad Pforzheim
verjchlagen worden war, nämlich beim Markgrafen Albreht von
Brandenburg, wegen feines unruhigen Geiftes, feines Heldenmuthes
und feiner Schickſale auch der bdeutiche Alcibiades genannt. In die
Kämpfe jener Zeit vielfach verflochten und dieſelben zum Theil felbft
bervorrufend, war er, vom Kaifer geächtet, nach Frankreich geflohen und
kam eben, um Gnade bittend, nach Deutichland zurüd, als er bei einem
—
) Alten des Landesarchivs.
2) Diozeß Pforzbeim, Kirchen: und Schulenbeſchreibung von 1735 (Lan:
desarchiv) u. a. Quellen.
Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 323
Beſuch, den er feinem Schwager Karl II. in Pforzheim machte, in der
Blüte feiner Jahre am 8. Januar 1557 einen fchnellen Tod fand.
Er wurde in der fürftlichen Gruft dafelbft beigeſetzt. ) Wie fehr das
Unglüd feinen Stolz gebeugt hatte, davon zeugt das von ihm verfaßte
ſchöne Lied: „Was mein Gott will, geſcheh' allzeit.“
Nachdem die evangelifhen Fürften im Frühjahr 1558 auf einem
Konvent zu Frankfurt ihre unverbrüchlihe Anhänglichkeit an die auge:
burgiſche Konfeffion verfichert hatten, fo verfammelten fie fih auf Ein-
ladung Karls II. nochmals im Auguft deselben Jahres zu Pforzheim,
um das Band ihrer rühmlichen Eintracht aufs Neue zu befeftigen. Um
die gleiche Zeit fuchte ein Edelmann am Hofe des Markgrafen in einer
lateiniſch gefchriebenen Schrift den Beweis zu liefern, daß bie evan-
geliiche Lehre unrichtig als neue Neligion bezeichnet werbe, ſondern weit
älter, als die dermalige katholiſche ſei. Diefe Schrift wurde von Pfarrer
Iſrael Achatius zu Pforzheim ins Deutfche überjegt und unter dem
Titel: „Wahrhaftiger Bericht alter und neuer, das, iſt evangelifcher und
papiftifcher Lehre” bei Georg Nabe in Pforzheim gedrudt (S. 192).
Die Aufhebung der Pforzheimer Klöſter nahm indefjen ihren Fort-
gang. Diejenige des Auguftinerflofters, das ben Kanonifern und Ere-
mitern gemeinfchaftlicd gehörte, mag -um 1560,2) und die der andern,
foweit diefelben nicht ſchon bei oder vor der Einführung der Refor-
mation aufgehoben worden waren, um die nämliche Zeit erfolgt fein.
Der größte Theil der Möndye war indeffen ausgewandert; doch hielten
fih bis 1561 noch Dominikaner in Pforzheim auf. Am meiften Wider:
fireben fand der Markgraf bei den Nohnen, in Pforzheim namentlich
bei den Dominifanerinnen Er hatte ihre Einkünfte unter bie
Auffiht eines Schaffners geftellt und einigen Geiftlihen das eben jo
1) Sein fleinernes Standbild findet fi auf ber reiten Seite bes Chores
der Schloßkirche. Am Fuße besfelben ftcht die Inſchrift: "Anno 1557 den
8. Januarii ist Seligklich abgestorben der Durchleuchtig Hochgeborn Fürst,
Herr Albrecht der jünger, Marggraf zu Brandenburg, in Preussen, zu Stettin,
Pomern, der Cassuben und Wenden, auch in Schlesien, zu Oppeln und Ra-
üborn Herzog, Burggraf zu Nürenberg und Fürst zu Rügen, der Deutsch, streit-
bar und manlich Heldt, welcher vmb des Vatterlandts Deutscher nation frey-
heit, Landt und Leut, gut, ehr und blutt treulich zugesetztt und gewagt hot,
Seine alters im 35. vnd regimentzs im 16, jahr, der lieben selen verlihe gott
ein frolich urstendt, A.
2) Kolb, Lerifon II., 61,
21?
3 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
ſchwierige, als nutzloſe Gefhäft übertragen, ben twibderftrebenden Kloſter⸗
frauen Religionsunterricht zu ertheilen. Sie beſchwerten fih durch ihren
Provinzialen, Wilhelm Brand, bei Kaifer Ferdinand I. darüber, 1) daß
der Markgraf fie mit der neuen Religion fo fehr ängftige, fo daß fie
genöthigt ſeien, den Kaifer um Hilfe anzufleben und ihn zu bitten, fie
in das Klofter Kirchberg in Defterreih aufzumehmen. Zu diefem Be—
bufe möchte der Kaifer dahin wirken, daß ihnen mit Hab und Gut
freier Abzug geftattet oder do vom Markgrafen ein Jahrgeld zu ihrem
Unterhalt ausgeſetzt, oder endlich ein für alle Mal eine Abfindungsfumme
ausbezahlt werde, wobei fie ſich aber, falls die katholiſche Religion in
Pforzheim wieder eingeführt werden follte, ihre früheren Rechte vorbehiel-
ten. Der Kaijer verwies dem Markgrafen fein Vorgehen gegen bie
Klofterfrauen und fehiete zwei feiner Näthe nad Pforzheim, um das
Geſuch der Klofterfrauen zu unterftügen. Der Markgraf antwortete
bem Kaifer in einem bejondern Schreiben, daß er bereit fei, Sr. Maje
ftät zu willfahren, obgleih er durch die Reichsgeſetze dazu nicht ge
zungen werde, gegen die er ſich auch bisher in feinem Benehmen den
Dominikanerinnen gegenüber nicht verfehlt habe. Wenn er mit den
Klofterfrauen eine Reformation verfucht habe und fie zum fleißigen Anhören
ber Predigt göttlichen Wortes, fowie zum Leſen riftlicher Bücher anzu-
balten bemüht gewefen wäre, jo habe er nur gethan, wozu er als ihr
Landesherr berechtigt fei. Man märe jedoch dabei aufs Schonendfte zu
Merle gegangen. hr Vermögen könne er ihnen eben fo wenig ohne
Abzug ausfolgen, als es der Kaifer felbft in einem ähnlichen Fall thun
würde. Er erbiete ſich jedoch, "die Klofterfrauen, wenn fie nicht anders
wollten, entweder mit einer Abfindungsfumme oder einer lebenslänglichen
jährlihen Penfion ziehen zu lafien. Am 20. Juni 1564 wurde nun⸗—
mehr ein Vertrag entworfen und am 24. Auguft ausgefertigt, worin
fi) der Markgraf verpflichtete, ſämmtliche Klofterfranen nah Kirchberg
ziehen zu laſſen und ihnen ein für allemal in kürzefter Frift die Summe
von 410,000 fl. (itatt der von den Faiferlihen Näthen geforderten
12,000 fl.) auszubezahlen, überdies fie für das, was fie an Wein
Frucht, Vieh ꝛc. zurüdließen, mit weitern 1000 fl. entſchädigen zu
wollen. Dagegen mußten die Klofterfrauen auf all ihr bisheriges Be—
ſizthum und ihre Mechte für immer und ohne Vorbehalt verzichten.
1) Man vergl. hiezn Sachs, IV., 107 fi.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 325
Diefer Vergleich 1) wurde in gehöriger Form ausgefertigt, geflegelt und
von ber Subpriorin Anna Juliana Kirferin, (die Priorin Barbara
Shüsin war 1562 geftorben), der Schaffnerin Barbara Lychtin, ſowie
von ben Konventualinnen Dttilia Heffin, Apollonia Linhardtin, Apollonia
MWertweinin, Anna Mulmeifterin und Barbara SHeinin unterzeichnet,
ebenfo von dem Provinzial. Da der Kaifer Ferdinand I inzwiſchen
geftorben war und die Klofterfrauen befürcteten, die Laiferliche Beſtä—
tigung des erwähnten Vergleihs möchte allzulang auf ſich warten laffen,
fo Tieß der Markgraf die vorhandenen 39 Schweftern, (1556 waren es
ihrer einſchließlich der Laienfchweitern noch 46 gewefen), auf ihr Bitten
noch vorher abziehen und zahlte ihnen die für die Reife beftimmten 1000
Gulden fogleih aus. Am 1. Dezember 1564 erfolgte die Beftätigung
von Seiten Kaifer Marimilians II., worauf diefe Angelegenheit voll:
ftändig bereinigt wurde und der Markgraf in den Beſitz des Klofters
und deſſen was dazu gehörte (darunter auch der Waldungen bdesfelben,
von denen der fog. „Frauenwald“ heute noch an feine früheren Beſitze⸗
rinnen erinnert), gelangte,
Ausführlihes über die Vorkommniſſe in diefem Kloſter und
namentlich über das Widerftreben der Nonnen gegen eine Reformation
enthalten die Aufzeichnungen einer Kloſterfrau felber aus den Jahren
1556 —1564.2) Der Anfang davon lautet: „In dem MDL und
VI Jahr (1556) acht Täg vor Georgi: dazumal regiert in allem tüet:
hen Landt und allermeift die aller groß Ketzery bes Lutterers, und
uß Yngebung etlicher falfcher Rattgeber und prebicantten, die vil daruff
geprebiget und geleret haben wider die heiligen Sacramentten und ben
göttlichen Dienft, wider die geiftlichen in den clöftern, dadurch uffrierifch
gemacht fend worden die Fürften und Hern in etlichen landen und fteten,
alfo daß Teider, got erbarms, in der ftatt Pfortzheim, in der marggrof:
haft Baden und Hocberg gelegen, in welcher ftatt gelegen ift unßer
elofter umd gotzhuß, dazumal zu dißer Zyt predicant ift geweßen mit
namen Jacob rat, auch ander böß rattgeber, die haben unfern
fürften und bern marfgraff Karle dahin gebracht, unß gemalt zu thun
und uff den nümwen glauben zu bringen, und unß bes ein gewaltgbrieff
1) Er fleht vollftändig bei Sachs, IV,, 109-111.
2) Sie find abgedvrudt in: Katholiſche Tröfteinjamfeit, XIL,
S. 203-254 (Mainz bei Franz Kirchheim, 1858).
326 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16, Jahrhundert.
in unferm clofter vor dem ganzen Convent lafjen leſen, in dem Erſte
ung abgefünnt und abgefchlagen, fein meß me zu fingen, noch zu lefen,
weder heimlich noch offenlih, und haben uns uffgehept unßern goßbienft,
daß wir den mit me jollen vollbringen, weber heimlich noch offenlich,
jondern wir daran ergriffen würden, es ſy by Tag oder by nacht, fo werben
wir fallen in des fürften ungnaden. Auch fjollen wir in bie lutteriſch
predig gen und düetſch pfalmen fingen. Auch haben fie uns verbotten
al münd und pfaffen, die da fend uff unfer Religion, daß die nit me
zu ung follen gen weder heimlich noch offenlih by hoher großer ftraff,
aber wann man ein by un ergruff, fol man ihn von ftund an in dem
Durn werfien” ꝛc. — Es wird dann weiter erzählt, wie der genannte
Pfarrer Ra ihnen zwei Mal in der Woche gepredigt habe, wie nad)
ihm der Spitalpfarrer Lorenz Fuchs, ein „ußgeloffener münch“, ſodann
ein Präbdicant Kat aus Zwiefalten, der Pfarrer Iſrael (Uchatius),
Dr. Heerbrand, Dr. Ruprecht (Dürr), der Pfarrer Reißenzahn, kurz in
ſechs Jahren überhaupt 18 verfchiedene Geiftliche ſich die fruchtlofe
Mühe gegeben hätten, die Nonnen zu belehren; ja wie fogar einmal
die ganze badiſche Reformationskommiſſion (S. 320) mit dem Kanzler,
Doktor Jerg, Doktor Hänsle Schnydergeisle und Doktor Hans Schmid
zu gleichem vergeblihen Zwed ins Kloſter gefommen fei. Bitter wird
über einzelne diefer Geiftlihen geklagt, jo über Rab, daß er Gott und
bie lieben Heiligen ſchändlich ausgerichtet und geihmäht und zu deu
Klofterfrauen gefagt habe, man folle fie ausbrennen wie die fhädlichen
Naupennefter, weil fie mit ihrem ärgerlichen Leben das ganze Land ver:
wüſteten und verunreinigten; über Katz, der aud das Gift der Ketzerei
in die unfdhuldigen Herzen haben ausgießen wollen; fiber Adhatius, der
die Beichtväter der Nonnen Blatthengfte, Stabtfarren, Meßſäu, Seelen
mörder ꝛc. geheißen und das erfte Nachtmahl nad lutheriſchem Gebrauch
in der Kloſterkirche ausgetheilt habe; über Dr. Ruprecht, daß er fo
ſchändlich und abjheulih vom heiligen Sacrament und gegen den Papft
gepredigt und bdiefen den Antichrift genannt habe u. j.w. Dem Pfarrer
Heerbrandt, der den Nonnen freigeftellt hatte, zu beftimmen, warn es
ihnen eben und gelegen fei, daß er ihmen predige, wurde der Beſcheid,
daß er zu feinem Male ihnen gefchict fei. Am Jahre 1561, fo wird
weiter erzählt, Tieß der Kanzler durch drei Zimmerleute den Hochaltar
und das Gitter abbrechen, das fich zwiichen der Kirche und dem Chor
befand, damit „man künd jehen, ob wir an die predbig gen.” Balb
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 327
auch. wurde dem Klofter an die Stelle des langjährigen Amtmanns
Peter Wertwein ein neuer Schaffner, Konrad Bifchler von Hall, geſetzt,
den dag Klofter mit Weib und Kind und einer Magd abholen mußte,
Ueber deſſen gewaltthätiges Benehmen wird in den heftigften Ausdrüden.
geflagt, ebenſo über die ftrenge Eontrole, die er in Verwaltung des
Klofterguts ausübte und wober er den Nonnen fcharf auf die Finger
ſah. Im Jahr 1562 ließ er nad dem Tode der Priorin Barbara
Schütz alle Schlöffer inwendig an den Thüren des Klofters abbrechen
und an die Außenfeite derjelben anjchlagen, damit Niemand ohne fein
Wiſſen und Willen mehr ins Klofter gehen konnte; aud mußten ihm
alle Gültbriefe desjelden verabfolgt werden, Auf Kreuzerböhung wurden
alle Heiligenbilder aus der Kloſterkirche entfernt, ſämmtliche Altäre ab:
gebrochen und „ein abgöttijcher althar mitte in die kirchen gemacht, das
rauf fie ihre nachtmal geben.“ In der Adventszeit 1563 Fam der
Kanzler mit dem dermaligen Prediger des Klofters und den fürſtlichen
Räthen, fowie dem nach Pforzheim bejchiedenen Vogt Sebajtian Hor—
nold von Bietigheim, um die Nonnen in die „nümwe und feßerifche reli-
gion des Lutterers zu incorporyren.“ —" Er entband fie von allen
Kloftergelübden und den Höfterlihen Gebräuchen, und verkündete ihnen,
daß überhaupt eine neue Ordnung im Klofter werbe eingeführt werden;
hierauf Bielt ihnen Dr. Ruprecht eine ‘Predigt in gleichem Betreff und
wurde ihmen jodann aufgegeben, immer nur deutſch zu beten, was fie
aber nicht thaten. Auch auf fonftiges Zureden, das bei jeder einzeln
verfucht wurde, namentlid in Betreff ihrer Verheirathung, gaben alle
entſchieden abweifenden Beſcheid. Von den Büchern, welde die Nonnen
erhielten, um ſich daraus zu belehren, wurde fein einziges gelefen. Weil
die Nonnen nicht in deutſcher Sprache zu Tiſch beten wollten, jo aß
der Amtmann fammt jeinem Gefind mit ihnen und verrichtete mit diefem
abwechjelnd das Gebet; aber den Nonnen ift dabei „did weh vor lachen
geichehen; denn er (dev Amtmann) hat eine folliche wieſte ſtimm gehept,
als welt er un zerryßen und zerzerren.” Dem Dr. Dürr, der fie
fragte, wie ihnen feine neuefte Predigt gefallen habe, worin er fie in bie
Hölle verjegt, wurde von den Klofterfrauen wißig erwidert: „Mit wel:
chem Maße er ihnen mefje, folle ihm wieder gemefjen werden.“ iner
Predigt, die ihnen Dürr über den Eheftand hielt, folgte der einftimmige
Beicheid der Nonnen, daß feine von ihnen einen Mann wolle. Wieder:
holt wurde von ihnen darüber geflagt, daß immer jo viele weltliche Leute
328 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
im Klofter geweſen feien; „bet ift der Kantzler mit ben reihen kumen,
ve fein die predicanten zu ung kumen, yetz ift die Fürftin mit dem
frawen kumen, fo bat die kantzlerin mit ihren Findern binen geffen und
iſt den hinen bliben biß finfter nacht.” — Die Ankunft der kaiſer⸗
fihen Kommiffarien erregte im Kloſter große Freude, noch größere die
Hoffnung auf baldigen Auszug aus demfelben. Die Bemühungen Acht:
ſynits, die Nonnen zurüdzubalten, waren natürlich jetzt um fo weniger
von Erfolg. Auf ihn ift die Aufzeichnerin aller dieſer Vorkommniſſe
überhaupt nicht gut zu ſprechen; er fei, fagt fie, oft „in die Zellen ge:
loffen von einer zur andern, als wer er unfinnig und hat fo ein unzüch—
tig weßen und gebert gebept mit Füßen und lecken, fonderlich der jungen,
und ift fein Zell geweien, er bat gewißt, wo ein jegliche Int, und bat
ihn gar übel verdrofien, warn wir einander verhütt haben; — — er
bat auch etwa die in dem convent gehen, und bat fich zu den aller:
füngften geſetzt, und bat den ein follich Inchtfertig weßen geführt mit
reden und guffern, und bat gefagt, fie follen zu pforken belyben, fo well
er ihnen einen man geben und der gelychen.“ — Ueber die markgräf:
liche Kommiffion, welche die Aufnahme des beweglichen Eigentums bes
Klofters zu beforgen hatte, um darnach die den Nonnen zu Teiftende
Entihädigung bemeffen zu können, wird weiblich gefcholten, weil fie ben
Klofterfrauen gar nichts gelaffen habe; nicht einmal mehr ala 3 Kiffen ()
feien einer jeden geftattet worden, „Te haben unß das bunig genomen
und den gebrenten wein, den eßig, keß, düre öpffel- und birenſchnitz, das
unfchlit, das öl, birengefafft, und haben uns geftolen (!) böfen mit Tatt:
wergen, auch loben mit lattwergen, das wir alles mit großer arbeit und
mit großen Foften gemadyt haben, auch ſayffen; fie haben ung genoms
men die düren fifch, als ſtockfiſch, blattyslin, den fped und den ſchmer;
— — fie haben alle ding verbitfchirt, alle Feften, Famer, alle trög, all
felter, fie ſyen Hein oder groß geweßen“ ꝛc. — „Da wir nun“, fo heißt
es am Schluß diefer Aufzeichnungen, „uß dem clofter ſend kumen, da
ift eine folliche menge volks zugeloffen jung und alt, daß ich all myn
tag nit me volks gefehen hab. Da haben fie geweint; doch ift die Flag
der armen über fie all gangen, und fend unf weit uß gefolgt. — Dies
Alles und nody me, das zu vil zu ſchryben wer, ift unß begegnet in
dißen acht jaren, doch aber diß letzt jar bat unß me und fchredlicher
angriffen, und glaub ohne zwyffel, weren wir noch zu pforken, fo weren
wir zerfterrt worden und weren nüme bey einander. Got dem allmäch:
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert, 329
tigen ſy lob und ehr on end amen!“ — Go weit die Aufzeichnungen
unferer Klofterfrau, die uns troß ihrer Befangenheit manche interefjante
Blicke in die Klofterverhältniffe zur Zeit der Reformation thun läßt
Durh die Gebäulichkeiten des nun aufgehobenen Kloſters wurde
fpäter (1579) das anftoßende, von der Markgräfin Quitgarde 1322 er:
richtete Spital (S. 118) erweitert. 1) Dabei wurde feftgefegt, daß
darin 16 Herrenpfründen für männliche und weibliche Perfonen beftehen
follten, zur Hälfte für Hof: und andere Bebiente, zur andern Hälfte
für betagte fromme Leute aus der Markgrafihaft. (In dieſes Spital
vermadte die Markgräfin Anna, die Mittwe Karls IL, 1586 bie
Summe von 1000 fl.) Da eine bejondere Spitalfirche jetzt nicht mehr
nöthig war, weil dazu bie bisherige Klofterfirche verwendet werden konnte, fo.
wurde die Spitalfirche abgebrochen und an ihre Stelle bie Stadtmetzig er:
baut. 2) Auch die übrigen Klöfter hatten ſchon andere Beitimmungen erhalten.
Das Heiliggeiftfpital in der Bröginger Vorftadt verwandelte fich ebenfalls
in eine Metzig, die fpäter abgebrochen wurde; die Dominikanerkirche
wurde zur Stadtfirhe verwandelt ꝛc. — Gleich nad) Aufhebung bes
Klofters der Dominifanerinnen 1565 ließ der Markgraf eine Erneue—
rung der Gefälle desjelben vornehmen.
Sind im Bisherigen viele geborene Pforzheimer oder Zöglinge der
1) Akten Großh. Heil: und Pflegeanftalt.
2) Vielleicht erhielt damals die Kloſter- nunmehr Spitalfirche ein neues
Thürmchen, nämlich das noch vorhandene hübfche gothifche auf der Heil und
Pflegeanftalt, an bie Stelle des alten Thurmes, wenn ein folcher überhaupt
vorhanden gewejen war; denn das jegige Thürmchen ift jedenfalls nicht das
urjprüngliche des ihon um 1250 (S. 74) in Pforzheim erbauten Frauenffofters,
dba es ben fpätern gothiſchen Bauftil bes 15. oder 16. Jahrhunderts zeigt. Eine
Weberlieferung will wiſſen, daß das Thürmchen der Heil- und Pflegeanftalt von
einer andern Stelle, wo es früher geftanden, dahin verjegt worden fei. Es
iſt Died möglih, und könnte fi die Sache jo verhalten, daß fi das Thlrm-
hen früher auf der nahen Spitalfirche (unterhalb ber Kanne) befand und eine
Berfetung besielben erfolgte, als diefe Kirche, wie oben erwähnt, abgebrochen
wurbe. Bielleiht ift fragliches Thürmchen aud das bes frühern Heiliggeift:
fpitals in ber Bröginger Borftadbt. Immerhin muß, wenn eine Verſetzung
Kattfand, die Aufführung ber diden Grundmauer, welche das Thürmchen jett
trägt, gleichzeitig erfolgt fein, ba Beides wie aus einem Cup ericheint. Auch
pas ift möglih, da bei der Vereinigung der Gebäulicfeiten bes Klofters mit
dem Spital gewiß auch verihiebene bauliche Beränberungen darin vorgenommen
werben mußten.
330 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Pforzheimer Schule genannt worden, welche entjchiedene Anhänger und
Beförderer der Reformation waren, fo mag auch eines eifrigen Gegners
derfelben gedacht werben, als befien Geburtsftadt ebenfalls Pforzheim
bezeichnet wird. Es ift dies der Dominikaner Dr. Wendelin Kabri,
Derjelbe war um das Jahr 1520 Prediger im Nonnenklofter Zofingen _
bei Konftanz und wurde fpäter Generalvifar des Bisthums Konftanz.
As folher follte er 1527 einem Neligionsgefpräh in Konftanz, das
aber nicht zu Stande kam, anwohnen. Zwei Tage nachher, nämlih am
10. Mai 1527, treffen wir ihn als Mitglied des geiftlihen Gerichte,
welches den Frühmeßner Johannes Heuglin von Sernatingen in Meers:
burg zum Scheiterhaufen verurtheilte, weil ſelbſt die Folter dem Un-
‚glücklichen das Geftändnig nicht erprefien konnte, daß in Luthers Schrifs
ten lauter verdammenswürdige Ketzerei enthalten jei. Won der Gefühl:
loſigkeit Fabris zeugt fein Benehmen beim Verhör Heuglins. 1) — Nach
einer St. Galler Handfchrift 2) hat er folgende Schriften herausgegeben:
1. „Das ewig bail allen leſenden difen traftat wunſch ich Wendelinus
von Pforczen prediger ordens lesmiifter der göttlichen geſchrift.“ Es
ift ein Zraktat von dem Sakrament des Altars, und der Verfaſſer jagt
davon in der Vorrede: „Diffe materi hab ich zu tail geprediget zuo
Ravensperg in coena domini, und daz mertail zuo Gonftang in ſ.
Catherinã Hofter genant Zoffingen.“ Angehängt find diefer Schrift
2. eine Predigt; 3. ein Traktat über die Meſſe und jo nod) verſchiedene
andere Schriften und Predigten,
$ 6. Berühmte Pforzheimer aus dem Weformationszeitalter.
A. Johannes Unger. 3)
(1482— 1553.)
Zu denjenigen Pforzheimern, die fich nicht nur durch ihre Gelehrfam:
keit, ſondern auch, wie wir bereits oben gejehen, durch die wichtige Rolle
1) Bierordt, I, 283.
2) Vergl. Schriften des badiihen Altertyumsvereins, L, 256.
3) Hauptquellen: De Johanne Ungero, Pforzhemiensi, von Vierordt;
Geſchichte der evangelifhen Kirche, v. Vierordt; Manuferipte des Landes:
archivs u, j. w.
Zmwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 331
ausgezeichnet haben, welche fie zur Zeit der Meformation in der Ge:
jchichte ihres Vaterlandes und zum Theil aud ihrer Vaterſtadt fpielten,
gehört Unger. Diefer Grund, fowie der weitere Umftand, daß er der
Jugendlehrer Melanchthons war, find hinreichend, ihm eine ehrenvolle
Stelle umter den bedeutenden Männern zu fichern, welche feine Vater—
ftadt hervorgebracht hat.
Johannes Unger oder Ungerer wurde um dag Jahr 1482 zu
Pforzheim geboren. Er ſtammte aus einem Geſchlecht, das zu den
älteften der Stadt gehört und vielleicht fchon im 14. Jahrhundert fich
in berfelben eingebürgert haben mag. (Im Jahr 1411 kommt vor:
„Henslin Unger, der gerwer, Burger zu pforgheym“, 1480 Hans Unger,
der wysgerwer; fpäter, nämlich 1519, finden wir einen Chriſtmann Ungerer,
. einen Konrad Ungerer und noch viele andere diefes Namens), Nachdem
er bie Schule feiner Vaterſtadt abjolvirt hatte, widmete er ſich dem
Studium der Theologie und zugleich, wie dies die der Gottesgelehrtheit
Beflifienen damals nicht felten thaten, auch der na Auf welder
Univerfität dies geſchah, ijt nicht —
Nah Vollendung feiner Studien wurbe — im Jahr 1504
nach Bretten berufen. Dort war damals für den Unterricht der Jugend
ziemlich fchlecht geforgt; denn die Stadt befaß mur einen einzigen Schul:
meifter, der aber fo jehr an einer edelerregenden Krankheit litt (S. 202),
dag mande Eltern Anftand nahmen, ihm ihre Kinder zum Unterricht
amzuvertrauen. Aus diefem Grunde fah fih der Kaufmann und da—
malige pfälziihe Schultheiß in Bretten, Johann Reuter, nad) einem ges
fehicten Lehrer um, der feinem Enkel Philipp Schwarzerd oder Me—
Tandthon und einigen andern Knaben die nöthige Unterweifung ertheilen
follte. (Diefer Reuter, ein fehr unterrichteter Mann, war der Großvater
Melanhthons von mütterliher Seite; denn feine Tochter Barbara hatte
ben Bater Melanchthons, Georg Schwarzerd, welcher dag Amt eines
pfälzifhen Geſchũtzmeiſters in Bretten beffeidete, zum Manne.) Einen
zum Hauslehrer geeigneten Mann fand Reuter in Johannes Unger,
Diefer verweilte zum Zwecke folchen Unterrichts drei Jahre lang
(von 1504—1507) in Bretten und fand an dem beim Beginn desfel-
ben erft fiebenjährigen Melanchthon wohl feinen ausgezeichnetften Schüler.
Hören wir, wie diefer fpäter felbft über die Kenntniffe und die Lehrge—
ſchicklichkeit feines Lehrers urtheilt. „Ich babe,” jagte er, „die Tateinifche
Grammatik bei Johannes Unger, einem Pforzheimer, gelernt, einem ge:
332 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Iehrten und befcheidenen Mann, der mich mehr zum Reden und Unts
worten getrieben hat, als mir damals lieb geweſen iſt; jet erfenne ich
es dankbar, daß Unger gar nicht aufhörte, zu fragen.” Und an einem
andern Ort fagt Melandhtbon: „Ih habe einen Lehrer gehabt, ber
ein ausgezeichneter Grammatiker war, und mic ebenfalls mit Macht in
die Grammatik hineintrieb. Fir jeden Fehler gab er mir Schläge,
doch mit Mäßigung. Auf ſolche Meife machte er mid) ebenfalls zum
Grammatiker. Er war ein vortreffliher Mann und liebte mich wie
einen Sohn, ich ihn wie einen Water, obgleih er foldhe Strenge zeigte."
In einem kurzen Bericht, welcher 1560 in Wittenberg als Melanchthons
Nekrolog erfchien, ift Ungers ebenfalls gedacht und zugleicd auch, der
raſchen Fortſchritte, welche Melanchthon unter feiner Leitung gemacht
habe, Es heißt dort: „Da hielt ihnen Hang Reuter, ein feiner, vers
ftändiger Mann, der ſelbſt ftudirt Hatte, einen befondern Pädagogum,
Johann Hungerer, von Pfahlheim 1) genannt, der Iehret die Knaben in
das Großvaters Haus mit allem Fleiß. Und lernete Philippus für
Andere feine Grammatitam wohl, daß er fein fertig darinnen war. Da
nun der Großvater den Fleiß fpüret, kauft er ihnen ein Miffal, damit
ben Knaben neben anderer Lehr auch die Kirchengefänge eingebildet wür⸗
den; denn fie mußten ihm alle Feiertage mit zu Chor treten. Yu ber
Zeit zogen die großen Bachanten?) im Lande hin und wieder. So
denn Einer gen Bretta fam, fo betete der Großvater Philippum mit
Disputation an ihn. Es war aber felten Einer, der ihn beftehen mocht.
Das gefiel dem alten Mann faft wohl und hatte feine jonderliche Freud
daran, Auch gewann der Knab große Luſt zum Studiren. So ließ
es aud der Großvater an Büchern und andern Dingen nicht fehlen,
damit der Knab ja nicht gehindert würde,“
Im Dftober 1507 ftarb der Großvater Melanchthons, und wenige
Tage darauf folgte ihm der Vater des Knaben nah. Die Wittwe des
Erfteren, die Schweiter Johann Reuchlins, verließ nun Bretten, kehrte
in ihre Vaterſtadt Pforzheim zurüd und nahm ihre Enkel mit fih, um
ihnen Gelegenheit zu geben, die dortige Iateinifhe Schule befuchen
zu können.
1) Irrthümlich, ftatt Pforzheim.
2) Reifende Handwerksburſche des Lehrerftandes, die bald Ichrend, bald
lernend, immer aber bettelmd oder fechtend die Welt durchzogen,
Zwöolftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 333
Im Jahr 1511 Lehrte auch Unger in feine Baterftabt zurüd, nachdem
er, wie es fcheint, ben in Bretten angefangenen Unterricht mit andern
Knaben bis zu diefer Zeit fortgefebt hatte. Der feitherige Rektor
Georg Simmler in Pforzheim hatte nämlich einen Ruf als Lehrer der
echte nad) Tübingen erhalten. An feine Stelle trat nunmehr Unger
und befleidete diejelbe von 1511 bis 1524, alfo 13 Jahre lang, mit
dem fchöniten Erfolg. Wie ihn ein inniges Band aud ferner mit
feinem frühen Schüler Melanchthon verknüpfte, jo entitand auch bald
das freundſchaftliche Verhältniß zwiſchen Unger und ſolchen Männern,
deren Namen wir bei der Gefchichte der Meformation in unferm Water:
lande fo oft begegnen. Zum Schulfollegen hatte Unger in den erften
Fahren feines Rektorats den Johann Knoderer von Rottenburg
welcher fpäter einen Ruf nach Württemberg erhielt und dort zur Würde,
eines Kanzlers emporitieg (S. 194).
Im Jahr 1524 übertrug Markgraf Philipp an Unger, der wohl
des Sculftaubes fatt geworden war, wahrfcheinlih auf Verwendung
Melanchthons, der um diefe Zeit feine Vaterftadt und auch Pforzheim
befuchte , die Predigerftelle am Stifte dafelbft („die Predifanten-Pfründ
am St. Mihaelsftift”). Sicherlich trug auch das Berlangen, im Sinne
ber Meformation eine umfafjendere Thätigkeit zu entfalten, als dieſe
zwifchen den vier engen Wänden der Schulftube möglih war, nicht
wenig dazu bei, daß Unger ſich um erwähnte Stelle bewarb. Diefe
Thätigkeit konnte eine um jo freiere fein, als Markgraf Philipp, wie
das bereits oben ausführlicher auseinander geſetzt worden ift, damals
manche reformatorifchen Beitrebungen begünftigte und unter Anderm auch
ben Geiftlichen feines Landes Teine Schwierigkeiten in den Weg legte,
wenn fie in den Stand der Che zu treten fich entichloffen. Diefen
Schritt that au Unger im Jahr 1527 mit Genehmigung des Mark:
grafen. Wie fehr ihm derſelbe gewogen war, erjehen wir daraus, daß
Ungerer bald nachher (1529), als der Kanonitus Trutwein Mager zu
Pforzheim geftorben war,» aus ber eimgezogenen Pfründe desfelben (zu
Maria Magdalenen Altar) eine Gehaltszulage von 15 Gulden erhielt, 1)
um auch ferner „Gottes Chr zu fördern und damit die Bürger zu
N) Jenes Kanonikat ertrug 42 Gulden, bavon erhielt Ungerer 15, ber
Stabtpfarrer zu Pforzheim 7 Gulden; bie Übrigen 20 Gulden follten nad ber
Beſtimmung des Markgrafen zur Erhaltung des baufälligen Haufes verwendet
werben, das zu biejem Kanonifate gehörte.
334 Zwölftes Kapitel Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Pforzheim an Verkündigung des heiligen Gottesworts nit Abgang haben.”
Auch ſonſt gab ihm der Markgraf manche Beweife feines Wohlwollens.
Daß Unger auch in Pforzheim fehr beliebt war, erhellt aus dem ehren:
vollen Zeugniß, das ihm der Magiftrat dafelbft ausftellte: „Er ver:
fiht ſyne Predigen mit höchſtem Fleiß, erpietet fi) ouch, alle tag abends
zu Salve⸗Zyt ein freimil Stund ungeverlih ermanung und richtig zu
thun, wie man ſich in diefen fterbenden Leuffen (S. 312) und fonft
gegen Got den Herrn halten und mit getroftem Herzen wider den Tod
fechten und fempfen fol.”
Daß bei Markgraf Philipp in den Ietten Jahren feines Lebens
eine mächtige Sinnesänderung vorging und er fait alle von ihm einge
führte Neformen felbft wieder rüdgängig machte, ift oben fchon erzählt
worden, ebenfo, wie mande der Lehre Luthers zugethane Geiftliche ver:
folgt, ja ihrer Stellen entjeßt wurden, wenn fie es nicht vorzogen, die—
felben freiwillig niederlegen. Auch Unger follte erfahren, daß man, wie
Melanchthon fih darüber ausbrüdte, „um des Evangeliums willen auch)
leiden müſſe.“ Mit feinem freunde und gleichgefinnten Collegen, dem
kurz vorher nad) Pforzheim berufenen Pfarrer Wieland, wurde Unger
gefangen nad) Baden, der gewöhnlichen Nefidenz des Markgrafen, ge:
führt, um fich dort vor den Näthen besfelben feiner religiöfen Richtung
wegen zu verantworten. Dies gefhah mit folhem Freimuth und ſolcher
Unerfchrodenbeit und zugleich in jo bündig fchlagender Weiſe, daß Beide
fogleich wieder freigelaffen und ihrer Aemter nicht entſetzt wurden.
Eine rubige Zeit begann für Unger, als Markgraf Ernft feinem
Bruder Philipp in der Megierung des babiſchen Unterlandes 1535
nachgefolgt war und im Pforzheim feinen Sitz genommen hatte. Er
trug auf Unger, nachdem er defjen perfönlihe Bekanntſchaft gemacht,
die Achtung und das Wohlwollen über, das ihm bereits fein Vorgänger
gezollt hatte. Den deutlichften Beweis bievon gab er Ungern 1542,
Diefer hatte nämlich, weil zu befürchten ftand, daß feine Ehe von Sei:
ten des erzbiſchöflich-ſpeieriſchen Orbdinariats angefochten werden möchte,
ſich mit der Bitte an den Markgrafen gewandt, ihn, feine Frau und
feine Kinder in feinen befondern Schub zu nehmen. In dem darauf
erfolgten Erlaß des Markgrafen vom Chriftabend 1542 erflärte derfelbe,
„daß wir dem Allem nad gnediglich und mildiglih betracht und erwo—
gen Haben den getreuen Fleiß, Mühe und Arbeit und riften
liche Wolmeinung, fo obgemeldter Hanns Unger mit Verfehung bes
Zwolftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 335
Predigambts in unſer Statt Pforkbeim fo lange Jahr erzeigt, und be
wiefen hat, auch füro mit Gnaden und Hilff Gottes erzeigen und be-
weiſen mag, wie er denn, fo lang ihm Gott Vermöglichkeit verleihen
würdt, zu thon geneigt und erbüttig ift; und iſt auch genugſam kundt
und wiſſen gemacht, daß es mit feiner Eh, mie oben gemelt ergangen,
und dem Allem nach ganz unpilli were, daß gegen feiner Wohlthat
getreuen Dienft und emfigen Vleiß, den er in Lermung bes
hriftenlihen Volcks mit dem Worth Gottes erzeigt, feine Kinder, er oder
fein Hausfram an ihrer zeitlichen Habe, jo Ihm Gott verliehen, follten
durch einig Weg vernachtheiligt werben, und haben demnach, als ber
Landsfürft und in Crafft unſer Tandefürftlihen Oberfeit, mit gutem zeit—
lichem Rath wohlbebechtlih und us vielen redlihen gegründeten Urſachen
ben obgemeldten Hannfen Unger, fein ehelich Hausfraw und Kinder
in Unfer und Unfer Erben befondern Schub, Schirm und Vorſpruch
empfangen und uffgenommen” ꝛc. — Am gleichen Tage erhielt Unger
noch einen zweiten Erlaß des Fürften, werin ihm als Erſatz für bie
Einkünfte des Kanonifats des Altars Petri und Pauli, die er bisher
bezogen aber abgetreten hatte, „feiner Underhaltung, Leipfrund und
Befoldung halben, auch Befferung und Merung derfelben, im Anjehen
der merflihen Müe, Arbeit und Vleiß, fo er mit Verfündung
des heiligen Wort Gottes 18 Jar lang in unfer Statt Pforkheim ges
hapt,“ aus den Gefällen der Wallfahrtskirche der heiligen Jungfrau
zur Eich in der Nähe von Wilferdingen (it 1560 eingegangen) jährliche
100 Gulden zugewiefen wurden. Auch geftattete ihm der Markgraf,
in dem Haus, das zum erwähnten Kanonikate gehörte und das Unger
bisher bewohnt hatte, auch ferner bis an feinen Tod bleiben zu dürfen.
Ueber die letzten Lebensjahre Ungers ift nichts Näheres bekannt.
Im Jahr 1545 machte er in das Pforzheimer Almofen eine Stiftung
von 50 fl., deren Zinfen zu feinem Gedächtniß jedes Jahr auf Martini
an Arme ausgetheilt werden follten. Sicherlich hatte ſich Unger, als
Melanchthon im den Jahren 1536 und 1541 von Wittenberg aus wie:
derum Reifen in fein Vaterland machte, auch des Beſuches desjelben zu
erfreuen, und es mochte dem Lehrer nicht wenig ſchmeicheln, daß fein
früherer Schüler durch die Rolle, welche er bei der Neformation fpielte,
zu folher Berühmtheit gelangt war. Daß Unger fortfuhr, das Wort
Gottes rein und Tauter zu werfünden, erfahren wir von einem Ohren:
zeugen, der 1541 durch Pforzheim Lam und über Unger Folgendes
336 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
ſchreibt: „Ih babe in Pforzheim den alten Unger gejehen, diefen ”
beiten und reblichſten Mann, und: habe ihn die reine enangelifche Lehre
vom Sohn Gottes, unferm Herrn Jeſu Ehrifto, den Fürften und dem
Bolt auslegen hören.”
Die geſetzliche Einführung der Neformation in feinem Vaterland
follte Unger nicht mehr erleben. Er ftarb im April 1553 in feiner
Vaterftadt, nahdem ihm fein fürftliher Herr im Februar des nämlichen
Sahres vorausgegangen war. Doch hatte er noch vor feinem Tod durch
ben 1552 in Paflau abgefchloffenen Vertrag die freudige Gewißheit er-
langt, daß der neuen Kirche ficheres Fundament gegeben fei.
Bon den nähften Nachkommen Ungers ift mir nichts Näheres be—
kannt. Ob der Superintendent in Pforzheim, Benedikt Unger, dem
wir weiter unten beim Jahr 1601 begegnen werben, ein Sohn oder
ein Enkel von ihm war, vermag ich nicht anzugeben. Das Geſchlecht
der Unger oder Ungerer aber ift in Pforzheim bekauntlich no in as
reichen Gliedern vertreten.
B. Johannes Schwebel. !)
(1490 — 1540.)
Johannes Schweblin, gemöhnlid Schwebel genannt, wurde
1490 in Pforzheim von vermögliden Eltern geboren. Diefelben ſtamm—
ten aus Wafjerburg in Baiern.?) Von ihnen zum eifrigen Beſuch der
lateiniſchen Schule feiner Vaterftadt angehalten, machte Schwebel ſchon
in feiner Jugend die Bekanntſchaft Melanchthons, und es entfpann ſich
zwifchen Beiden ein inniges Verhältniß, das auch fpäter noch fortdauerte,
Im Jahr 1514 erhielt Schwebel in Straßburg die Prieftermeihe, mo:
rauf er in das Klofter oder Spital des heiligen Geiftes zu Pforzheim
) Quellen: Johannis Schwebelii vita auctore HenricoSchwebelio;
Seckendorf, historia Lutheri, I.; Entwurf einer Kirchen- und NReformations:
zefchichte von Zweibrüden, (Frankfurt 1784); Maji, vita Reuchlini; Lam pa⸗
dius, Beiträge, ©. 200 ff; deutſche Schriften von Schwebel, herausgegeben von
ieinem Sohn (Zweibrüden, 1597); Iſelin, Lexikon; Vierordt, Geſchichte
der’ evang. Kirche in Baben, J. x.
2) Das Pforzh. Lagerbud von 1527 führt einen Hans Shweblin in ber
Altſtadt auf; ein Schweble fommt in einem Müllerginsbudh v. 1519 vor.
Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert, 337
eintrat. Hier wurde er bald mit dem Guardian des Franziskanerkloſters,
Konrad Kürsmer oder Pelikan, bekannt, und Schwebel ſcheint fich die
aufgeflärten religiöfen Anſichten desſelben raſch angeeignet zu haben. 1)
Auch zu Gerbel jtand Schwebel ſchon während feines Klofteraufenthaltes
in den freundfchaftlichiten Beziehungen.
Als Luther am 31. Oft. 1517 feine 95 Thefen gegen den Ablaß
veröffentlicht hatte und ihnen bald auch noch andere Schriften folgen Tief,
fing Schwebel, der längft für die dee einer Neformation begeiftert war,
in Pforzheim 1519 im Sinne Luthers zu predigen an. Die nädjfte
Beranlaffung zu diefem offenen Auftreten mag der väterliche Freund
Schwebels, Pelican, geweſen fein, der ſich aber damals nicht mehr in
Pforzheim befand, fondern in Bafel aufhielt. Ebenſo mag der Brief:
wechſel, den er mit Melanchthon, damals Tängft in Wittenberg, führte,
nicht wenig zu diefem Entſchluß beigetragen oder ihn doch darin beftärkt
haben. Don diefen Briefen find manche noch vorhanden. 2) So richtete
Melanchthon an Schwebel am 11. Dez. 1519 ein Schreiben, 3) worin
er unter Anderm fagt: „m Juni ift mein Bote bei Euch gewefen.
Du fragft nach unferm Studium? Im Sommer habe idy den Matthäus
erflärt; ich würde Dir meinen Commentar darüber geſchickt haben, wenn
ber Bote nicht fo fehr geeilt hätte. Die des Nömerbriefs bin ich
Dir zu ſchicken bereit, Wenn ich doch mündlich mit Dir reden Könnte |
Grüße Reuchlin und Caſpar (Gfafer) und alle Freunde! 11. Dez.
1519." Mehrere andere diefer Briefe geben Zeugniß von dem engen
freundfchaftlihen Verhältniß, das zwifchen beiden geiſtesverwandten
Männern beftand. So theilte Melanchthon Schwebel im Vertrauen
feine von Luther abweichende Anſicht über das heilige Abendmahl mit
(1520), 4) und Melandython, defjen ängftliches und verfchloffenes Weien -
befannt ift, würde ficherlich nichts Derartiges Luthern gegenüber, ben er
fo unausfprechlich verehrte, geäußert haben, wenn der Empfänger bes
1) Vergl. hier wie überall: „Geſchichte der Reformation in Pforzheim,“
S. 304 ff.
2) Eie ftehen in Centuria epistolarum ad Schwebelium, 1597 herausgege:
ben vom Sohn Schwebels, dem Kanzler Heinrih Schwebel.
2) Dasſelbe ift überſchrieben: Philippus Mel. Johanni Schwebelio sacerdoti
sancti spiritus, fratri suo carissimo, d. h. Philipp Melanchthon an Joh.
Schwebel, Priefter des heiligen Geiftes, feinem geliebteften Bruder,
) Der Brief ſteht Seckendorf, hist, Luth,, l. 303.
Pflüger, Pforzheim, 22
338 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Briefes nicht in fo innigem freundſchaftlichem Verhältnig zu ihm geftan-
den wäre. Bon leterm gibt aber auch noch ein weiterer Brief Melanch—
thons vom nämlichen Jahr Zeugniß. Er fchreibt darin unter Anderm:
„Du irrft, wern Du glaubft, mein lieber Schwebel, daß ich von irgend
Jemand angenehmere Briefe erhalte, als von Dir, bdeffen Herz mir ſchon
fo lange erprobt ift. Meine heimathlichen Freunde haben mich faft alle
vergefien, aus den Augen, aus dem Sinn. Faſt bift Du nod ber
Einzige, der am mich denkt. Die Studien find mein Troſt. Luther ift
größer, als ih mit Worten ausdrüden kann; ich bemundere ihn mehr,
als Alcibiades feinen Sokrates. Ich ſchicke Dir einen Brief von Hutten,
Grüße Gerbel und Caſpar Glaſer.“ —
Das erfte Auftreten Schwebels in Pforzheim zu Gunſten der
Neformation fcheint indeffen nicht ganz den erwarteten Erfolg gehabt
zu haben. Sei es, daß bie Gemüther dazu noch nicht gehörig vorbereitet
“waren, oder daß Schwebel nicht mit der nöthigen Vorſicht und Klug:
beit verfuhr, oder daß Markgraf Philipp feine Ueberzeugung nicht theilte
ober doch Gründe hatte, ihr nicht zu folgen: genug, Schwebel mußte 1521
auf markgräflichen Befehl Pforzheim verlafien und ſah ſich genöthigt,
jenfeit3 des Rheins bei dem Ritter Franz von Sidingen auf ber Ebern:
burg Schuß zu fuchen. In dieſer „Herberge der Gerechtigkeit”, wie
die Reformationsfreunde Sickingens Burgen zu nennen pflegten, fanden
auch Dekolampad und andere ähnliche Männer bereitwillige Aufnahme. ?)
Dort fanden zwifchen ihnen und Sidingen, fowie den Rittern Ulrich
von Hutten, Dieter von Dalberg und Hartmuth von Eronberg
vielfache Befprehungen über Gegenftände politifher und religiöfer Natur
ftatt, am benen Schwebel den eifrigften Antheil nahm. Einer der
wichtigften Gegenftände ihrer Verhandlungen bildete die Meſſe. Sie waren
zuerft uneins, ob diefelbe abgefchafft oder im deutſcher Sprache beibehalten
werben ſolle. Zu letzterer, als einer vermittelnden Anficht, neigten ſich
zufeßt die meiften der Anweſenden, was zur Folge hatte, daß Sickingen
die deutſche Meffe auf allen feinen Gütern einführt. Die weitern
Punkte, über welche namentlich die beiden Ritter Hutten und Sickingen
2) Bekanntlich wurde auch Luther, als er zum Neichstag nah Worms
reiste, von Sidingen eingeladen, auf der Ebernburg Sicherheit zu fuchen,
wenn er es für nöthig fände; aber Luther machte von biefem Anerbieten feinen
Gebrauch.
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16, Jahrhundert. 339
Äh einigten, waren: 1. Einführung des Abendmahls unter beiden Ge
Kalten; 2. Abſchaffung des SHeiligenkultus; 3. Abſchaffung der öfter:
lihen Gelübde; 4. Abſchaffung des Cölibats. Daß Schwebel auch
diefer Anſicht huldigte, geht aus einer Stelle eines Briefes hervor, wo
er ſchreibt: „Daß ich die Meſſe deutfch leſe, halte ich für fein Ver—
gehen, jhäme mich auch deſſen nicht und brauche das Licht nicht zu
ſcheuen. Ich thue diefen Schritt öffentlich mit dem Wunfche, daß mir
alle darin nachfolgen möchten, Unrecht war es either, daß diefe heilige
Handlung in einer dem Laien umverftändlichen Sprache vorgetragen wurde.
Warum foll denn der Inhalt der heiligen Schrift, den fie mit Andacht
anhören, ein Geheimniß bleiben? Irre ich, fo bitte ich, daß die heilige
Schrift mich auf den Pfad der Wahrheit zurücführe “
Während feines Aufenthaltes auf der Ebernburg machte Schwebel
im Jahr 1522 in zwei Ausgaben ein Schreiben befannt, das Franz
von Sickingen an den Vater feiner Schwiegertechter, den Ritter Diet:
rich von Handſchuchsheim, gerichtet hatte und worin diefem feine Bedenk—
lichkeiten gegen die Einführung dev Meformation genommen werden
jollten. Schwebel begleitete diefe Schrift mit einem Vorwort an Georg
von Leutrum zu Pforzheim. In demfelben (datirt won der Ebern:
burg, 29. Juni 1522) lobt Schwebel jeines „lieben günftigen Junkers
Georg Luthrumer” chriſtliches Gemüth, bittet ihn, die Pforzheimer Freunde
der evangeliihen Wahrheit zur Standhaftigfeit zu ermahnen, und bes
dauert, daß er (Leutrum) nicht Zeuge fei, wie eifrig Franz von Sickingen
am Schickſal des Evangeliums Theil nehme. Die Sachen hätten ſich
heutigen Tages feltfam verkehrt; ehemals feien die Laien über das Geſetz
Gottes durch die Priefter unterrichtet worden; jegt müßten umgekehrt die
Priefter durch fromme Ritter, wie Sickingen und Cronberg, an Gottes
Gefe erinnert werben,
Markgraf Philipp hatte ſich mit Schwebel ſchon 1522 wieder
verföhnt, und es jcheint Tetterer im nämlichen Jahre entweder von der
Ebernburg oder von Landftuhl aus, wo ihm Franz von Sickingen nad
bereit8 erfolgter Ablegung feines Drdenskleides die Pfarrei übertragen
hatte, einen Beſuch in Pforzheim gemacht zu haben. Wenigftens ift
eine Schrift, die er herausgab und die von Hans Greiffenberg dafelbft
gebruct wurde, datirt: „Pforzheim den 1. Chriſtmonat 1522, Dies
ſelbe führt den Titel: „Ermanung zu den Uneftionirern (d. 5. Bettel-
mönden), überflüjfige Koften abzuftellen.“ Auf dem —— des
340 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Titelblattes ift der Papft mit der dreifachen Krone abgebildet, und zwar
binter einem vollen Sad ftehend , der die Auffchrift trägt: „Umb gelt
ein Ablaß, zu vwerfundigen gegen gelt.“ Nicht weit davon ſchwingt ein
Knabe in jeder Hand eine Schelle; zur Seite fteht eine gefüllte Geld:
fifte und niet ein Bauer, der Ablaß verlangt und dafür einen Hahn
und, wie es fcheint, ein neben ihm Tiegendes Schwein bietet. Diefe
Schrift, eine der intereffanteften und befannteften Schwebels, beginnt mit
den Worten: „Den würdigen, andechtigen Herren, fo wegen der armen
und fpitalen gunft balten (d. h. kollektiven) und Almuefen fammeln,
wünjchet Joannes Schweblin, Diener der armen, gnad und frieben
Gottes.” Der Schrift jelbft entnehmen wir folgende Stelle: „Für
die Armen zu forgen und zu fammeln ift Pflicht, befonders aber derer,
weldhe dazu geſetzt find. Letztere haben ſchon die Apoftel verordnet, die,
mit dem Worte Gottes befchäftigt, der Tiſche nicht warten konnten.
Noch jett gibt das Volk willig für die Armen; aber es kommen oft
Unmwürdige, welche recht gut arbeiten könnten. Die römifche Gewalt
läßt zu, daß Almoſen gefammelt werden, und wir reiten mit ſchwerer
Zehrung gen Rom, zahlen dort die Kopiften, Notarien, Sefretäre und
viele hundert Dufaten in des Papftes Kammer für ein Pergament mit
angehängten Blei, darin wir als päpftlihe Bevollmächtigte auf einige
Sabre beftellt werden zur Einziehung des Ablaſſes. Aber wozu bie
großen Koften, aus fremdem Land Erlaubnig zu holen? Jeder darf
in Nöthen Almojen ſammeln, und wozu römifchen Ablaß? Chriftus,
unfer lieber Herr und Seligmacher, hat uns genugfam angezeigt ben
höchſten Ablaß: Ihr habt mic, gefpeist, gefleidet, geträntt. Was wird
Chriſtus zu denen fagen, die ſich zueigen, was den Armen gegeben
wird? Das gefammelte Ablafgeld gebört den Letztern. — Wer den
Bann des Papftes fürchtet, der vernehme, was Chriftus zu einigen
Jüngern fagte, die gegen eine famaritifhe Stadt Feuer vom Himmel
verlangten: Des Menſchen Sohn ift nicht gekommen, zu verderben,
fondern felig zu machen, was verloren it. Die Summe für päpftliche
Bullen fteigt je mehr und mehr; bei jedem neuen Papft muß die Eon-
firmation der vergebenen Freiheiten friſch bezahlt werben mit vielem
Gelbe, und doch fagt Ehriftus: Meine Worte werden nicht vergehen!
Wollte man einmwenden, folche Botichaften und Gunften find nothwendig,
damit nicht Einer aus eigener Gewalt fich deffen anmaße, fo entgegne
ih: Aber nicht ſoll e8 mit fo großen Koften gefchehen, Die Gelder,
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 341
welche die Biſchöfe und Prälaten einfteden, follen den Armen zukommen.
Für ein Mandat muß man dem Biſchof 40 Gulden bezahlen oder auch
mehr; dann fommen aber erft noch Pfarrer, Frühmeßner, Kaplan, Schul:
meifter, Meiner, Eolleftores u. dal., welche alle ihre Jura haben und
von dem Bettel reich werden wollen. Wenn ein Tyrann die Armen
beraubte, würde Jedermann Mord über ihn fchreien. Dazu kommen
nod) mancherlei Stationiver, die das unverftändige Volk verführen, aus:
gelaufene Mönche, die für einen alten Bilbſtock ſammeln, der gut fein
fol gegen Peftilenz ıc., der ein Mittel fein foll gegen wüthende Hunde ꝛc.
Kurz, von 1000 Gulden, die gefammelt werden, kommen vielleicht nicht
10 an die Armen. Bedenket das wohl, auf daß es anders werde.”
Man fieht ſowohl aus einzelnen Stellen diefer Schrift, als aus der ge:
nauen Kenntniß, welche Echmebel über das ganze Weſen hat und an
ben Tag legt, daß er jelbft Meifter vom Fady und wohl eine Zeitlang
Dueftionirer geweſen war.
Im Jahr 1523 erbielt Schwebel einen Auf nad Zweibrücken,
wo Pfalzgraf Ludwig IT. ihn zum Supertntendenten ernannte und ihm
das Geſchäft der Neformation in Luthers Sinn und Geift auftrug. Um
fiher zu fein, nichts Voreiliges oder Unbefonnenes zu thun, berieth er
ſich vorher forgfältig mit Johann Sturm aus Straßburg, diefem
gelehrten Mann und eifrigen Meformationsfreunde, nub eine foldye
Mäßigung war um fo nothwendiger, als nad) dem Tode Ludwigs II.
von Zweibrüden defien Bruder Ruprecht die Vormundſchaft für den
minderjährigen Sohn Ludwigs, Wolfgang, übernahm und fih mit Ein
führung der Reformation nicht übereilte.
Schwebel befuchte auch im darauffolgenden Jahr 1524 feine geliebte
Vaterſtadt wieder, und hielt daſelbſt in der Spitalfirhe am Sonntage
Misericordias eine Predigt, die in mehreren Auflagen unter dem Titel:
„Vom guten Hirten“ gedruckt wurde, ine bderfelben ift von einem
Briefe des Schwebel innig befreundeten Nikolaus Gerbel in Straßburg
begleitet, worin berjelve feine ewangelifch gefinnten Landsleute in Pforze
beim auffordert, der einmal erkannten Wahrheit treu zu bleiben. Die
Bredigt (über Joh., 10) fpricht won der Pflicht des Predigers, bie
Sünde feines Standes zu verfhonen, vom Unterſchied zwiſchen dem
Hirten und dem Miethling, der ſich feldft, nicht die Schafe weide, ihnen
aber ſchwere, ja unerträgliche Laften auflege. „Der gute Hirte Jeſus
Chriſtus aber läßt frei die Speije, welche Gott gefhaffen hat, bindet
342 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
ung an feinen Tag und feine Zeit. Wehret auch nicht, ehelich zu werben
den Geiſtlichen, ſuchet nicht zeitlihe Ehre und Herrſchaft; denn Chriſtus
bat fein Leben gelafien für die Schafe, hat genug gethan für die Sün-
den der Welt, wovon ich nächſt Freitags geredet habe, 1) warne vor
ben Blinden, die Andere leiten wollen und mit ihnen in die Grube
fallen, Die „Miethling“ aber werfen auf, etliche den Bernharbum,
etliche den Franzisfum, die dritten den Dominifum u. dgl., daven fie
fidy nennen, obgleich nicht diefe für uns geftorben find.” Am Schluſſe
der Predigt heit es: „Ich acht, liche Freund und Brüder, daß Gott
gewollt hat, daß ich noch eins bei euch predigen jollt, wie jegund ge:
ſchehen ift, und eben das Evangelium, damit ich euch ermahnt, bei dem
Hirten zu bleiben, weil ev euch wiederum heimgeſucht und fein Wort
euch mittheilt, Iſt meine Bitte um Gottes willen, ihr mwollet bei dem
Evangelium bleiben und Niemand Tafjen abwenden; ob mir ſchon Gott
die Gnade nicht mehr thut, daß ich bei euch Fönnte predigen, will ich
jet ermahnt und gebeten haben, bei göttlicher Wahrheit zu bleiben und
Gott für mich zu bitten, daß idy im rechten Glauben bleibe, will ich
auch thun für euch. Hiemit Gott befohlen, Amen.”
Daß Schwebel mit dem Markgrafen Philipp jet auf beftem Fuße
ftand, gebt daraus hervor, daß er auf Verwendung besfelben, ala er
fid) no im Jahr 1524 verehelicyte, einen großen Theil des Vermögens
zurüd erhielt, weldhes er einft als junger Möndy feinem Klofter in Pforz:
beim zugewendet hatte. Schwebel hatte indeſſen den Markgrafen, mit
dem ihn das Schickſal mehrfach zufammenführte, durch und durch erkannt,
und ihm in einem Briefe, indem er ibm zu feinen Neformen Glüd
wünfchte, zugleich auch die Warnung zugerufen : „Ne respiceres Aegyp-
tum“, d. h. daß er fich nicht nach den Fleiſchtöpfen Aegyptens umſehen
jolle. Der weitere Verlauf der Reformation in Pforzheim beweist, wie
gegründet diefe Warnung war.
Sein wichtiges Amt als Superintendent in Zmeibrüden beffeidete
Schmwebel mit treuen Fleiße bis zu feinem Tode, welcher am 19. Mai
1540 erfolgte, nachdem er namentlic eine Reihe von Jahren hindurch
in freundfchaftlichitem Umgang mit Johann Bader, dem Stabdtpfarrer
zu Landau , gelebt hatte. Von feiner ſchriftſtelleriſchen Thätigkeit und
1) Beweis, daß Schwebel während biefes Aufenthaltes in Pforzheim nicht
nur ein Mal daſelbſt geprebigt hat.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 343
ber ausgebreiteten Korrefpondenz, weldye er. führte, zeugt eine größere
Anzahl von Schriften, die er theils felbft herausgab, theils fein ältefter
Sohn Heinrich zum Drude beförderte,
Der Nachfolger Schwebels in Zweibrüden wurde aud wieder ein
Pforzheimer, Kaſpar Glajer (S. 195), den er 1532 als Lehrer
und Erzieher des noch minderjährigen Herzogs Wolfgang dahin berufen
hatte,
Was den Charakter Schwebels betrifft, fo zeigte fich derſelbe ftets als
ein milder und verföhnlicher, und um des lieben Friedens willen war Schw,
oft mehr zur Nachgiebigkeit geneigt, als feine Freunde billigen wollten.
So wurde er von Gerbel, ald er 1521 eine Schrift herausgeben wollte,
deren Drud diefer bejorgen follte, wegen ber darin enthaltenen Stelle:
„Damit will ich dem Papſt feinen Ablaß nicht verworfen haben“, ges
tadelt und von Gerbel aufgefordert, diefelbe zu ftreihen. Daß er auf
ber Ebernburg nicht für Abſchaffung der Meffe ftimmte, ift bereits er:
zählt worden.
Unter den Theologen feiner Zeit nahm Schmwebel eine bedeutende
Etelle ein. Sein Lieblingsftudium war das Hebräifche, weshalb er oft
mit Juden verkehrte, was ihm die Katholiken nicht wenig zum Vorwurf
machten, indem fie fagten, er fite des Sabbaths unter den Juden und
lehre das Volk das Judenthum. Seine freiern Anfichten über manche
theologiſchen Streitpuntte brachten ihn fpäter bei den Lutheranern in
ben für die damalige Zeit entietlichen Verdacht, daß er ein Zwinglianer
fei. Daß er fi) namentlih in Bezug auf die Lehre vom heiligen
Abendmahl mehr der Auffaflung der reformirten Kirche zumeigte, gebt
aus mehreren Stellen feiner Schriften und fodann auch daraus hervor,
dag er die damit” ziemlich übereinftinnmende Confessio tetrapolitana,
d. h. das von den oberdeutichen Neihsftädten Straßburg, Konftanz,
Memmingen und Lindau dem Kaifer auf dem Reichstag in Augsburg
1530 neben der Augsburger Eonfeffion noch befonders überreichte Glau—
bensbefenntnig förmlih annahm. Don allem Warteieifer und Partei:
haß war er aber weit entfernt, und wollte auch weder lutheriſch noch
paulinifch heißen; nur ein Chriſt wollte er bleiben; „denn“, fagte er,
„wicht Luther ift für mic) geftorben, fondern Chriſtus.“
Mas die Familie und Nachkommen Schwebels betrifft, jo ift feines
älteften Sohnes Heinrich, der zweibrüdifher Nath, fpäter Kanzler
wurde und nicht nur feines Vaters Briefwechfel herausgab, fondern auch
344 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhunbert.
beffen Leben befchrieb, mehrfah erwähnt worden. 1601 Tebte Joh,
Ludw. Schwebel, zweibrüdifcher Beamter; 1) 1777 ftarb Nilol.
Schwebel, ein Gelehrter aus Nürnberg, Rektor an der Schule bafelbfi
und zu Ansbach, welcher mehrere Werke herausgab; — 1778 bis 1782
war Friedrich Schwebel Pfarrer zu Bijchweiler. 2) Der franzö—
ſiſche Generalkonſul in Tripolis 1833 hieß Schwebel.3) In Pfory
beim jelbft ift das Geſchlecht der Schwebel längit erlofchen,
C. Nikolaus Gerbel.?)
(1490— 1560.)
Nikolaus Gerbel war um 1490 in Pforzheim geboren und ber
Sohn eines Malers daſelbſt. Er befuchte in feiner Jugend bie fo be-
rühmte Schule feiner Waterftadt und begab fich fpäter zur Fortfegung
feiner Studien nad Köln. Schon damals (1507) knüpfte er einen
lebhaften Briefwechjel an mit Tritheim, dem berühmten Chroniften von
Hirſchau, 5) wie er denn auch fpäter in beftändigem fchriftlichen Verkehr
mit faft allen ausgezeichneten Männern jeiner Zeit ftand. — Bon Köln
ging Gerbel nah Tübingen, wo er 1508 Magifter wurde, 6) und kehrte
dann auf eine Zeit lang nach Pforzheim zurüd, wo er an der nämlichen
Schule, der er früher als Schüler angehört, und an welcher damals
Simmler und Lift wirkten, nunmehr auch als Lehrer thätig war. Um
feinen Kenntniffen einen noch weitern Umfang zu geben, begab er fich,
mit Empfehlungen feines väterlihen Freundes Reuchlin, namentlih ar
den ausgezeichneten Juriften Erifpinian verfehen, 1512 auf die Univer:
fität nah Wien, Er fcheint zuerft unfchlüffig geweien zu fein, welchen
Studien er fi) vorzugsweife hingeben ſollte; denn er ſchreibt an Pfing-
ften 1512 von Wien aus an Reudlin: 7) „Sch erwarte, was Du aus
ı) Rulmann, Geſchichte von Bijchweiler, ©. 33, 136,
2) Ebenpdafelbft, S. 116 und 139.
3) Greuzer, zur Gefchichte altrömifcher Kultur, ©. 105,
#) Quellen: überall angegeben.
5) Siehe die zwei Briefe in Trithemii Abbati Spanhemiensis epistolarum
familiarium libri duo, Hagenau, 1536, ©. 273; Jung, Beiträge, IL, 19.
s) Erufius, ſchwäb. Chronik, II., 368.
7) Der Brief fteht in: virorum illustrium epistolae ad Joh. Reuchlin,
lib I., Tub, 1514. (Jung, Beitr, IL, 195.)
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 345
mir machen willft. Soll ich die Griechen ftudiren? Sol ich Platoniker
werden? Soll id den Livius leſen?“ — Sein Hauptftudium jcheint
aber nunmehr die Nechtswilfenfchaft geworden zu fein, in welcher er fo
glänzende Fortſchritte machte, daß er in Wien felber, wenn auch nur
vorübergehend, den Lehrſtuhl befteigen konnte. 1) Auch trat Gerbel icon
damals als Schriftfteller auf 2) und begann damit eine Laufbahn, auf
welcher er in der Folge eine ungemeine Fruchtbarkeit entfaltete. Nach
zweijährigem Aufenthalte in Baſel (151% und 1515) ließ fi Gerber
in Straßburg als Rechtskonſulent nieder. Schon früher war er außer
mit dem fchon erwähnten Tritheim auch mit Ulrich von Hutten in
literariſche Verbindung getreten, welcher ihn zu den hauptjächlichiten Bes
förderern der klaſſiſchen Studien zählte, 3) ferner mit dem Freiburger
Juriſten Zafius, welder ebenfalls höchſt ehrenvoll über ihn urtheilt, #)
ebenfo mit feinem Augendfreunde Melanchthon und mit Erasmus
von Rotterdam, der ſich in einem Briefe 3) alfo über Gerbel ausſpricht:
„Seit manchem Jahr habe ich an feinem Umgang mehr Freude gehabt,
als an feinem, und von keinem Menjchen verjpreche ich mir Größeres,
als von „Beatus Rhenanus und von Gerbel.“
In Straßburg entwidelte er neben den Geſchäften, welche fein
Beruf mit fi bringen mußte, und zu denen auch die Löſung der
Rechtsftreitigkeiten des dortigen Domitiftes gehörte, eine erftaunliche
wiſſenſchaftliche Thätigkeit, namentlich auf den Gebieten ber alten Hlaf:
ſiſchen Literatur und der Geſchichte, und gehörte fhen 1518 zu den
berühmteften Männern feiner Zeit. So gab er in den Jahren 1515
und 1516 unter Anderm Ovids Metamorphofen, (Straßburg bei
Shurer) und den Terenz heraus. Als Luther das Werk der Refor:
mation begann, gehörte Gerbel zu denjenigen Männern, welche fich als—
bald mit großer Entſchiedenheit auf die Seite des fühnen Mönches in
Wittenberg ftellten und überhaupt an den Neligionsangelegenbeiten jener
Zeit den eifrigften Antheil nahmen, Aus diefem Grunde lag er mit
Ausdauer dem Studium de3 neuen Teftamentes, der Kirchenväter und
2) Bergl. Denis, Gefchichte der Wiener Buchbruderei, 1782,
?) Denis, Gefhichte ber Wiener Buchdruckerei, S. 85 und 192,
3) In der Vorrede zur erften Ausgabe des Livius (Mainz, 1518), welche
in Deutſchland erſchien.
4) Riegger, Udal, Zasii epist. S. 279 und 284. (Jung, H., 194.)
e) Röhrich, Reformationsgefchichte des Elfahes, J., 126,
dr
346 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
der neuern theologischen Schriften ob, vielleicht auch mit zu dem Zweck,
um feinen Freund und Lehrer Reuchlin in den Verfolgungen, welche
diefer damals auszuftehen hatte, nicht nur mit feiner Jurisprudenz und
feinen bumaniftiihen, ſondern auch feinen theologiihen Kenntnifien um
fo Fräftiger unterjtügen zu "Können. Noch mehr als alle Straßburger
Theologen ſetzte er fi mit den Wittenberger Neformatoren in engfte
Verbindung, und er war es hauptfächlihh, der burdy Verbreitung der
Schriften Luthers gemeinshaftlid mit Math. Zell in Straßburg am
meiften dazu beitrug, am Oberrhein die Gemüther für die Kehren
Luthers zu gewinnen, Dies gefhah vorzüglich dadurch, daß alle Schrifr
ten Luthers, um die große Nachfrage zu befriedigen, nachgebruckt wurden,
und zwar oft wenige Wochen nad dem Erſcheinen des Originale. Mit
ben Straßburger Geiftlichen, mit Ausnahme des erwähnten Matth. Zell,
war übrigens Gerbel nicht zufrieden; er fchreibt darüber an Schwebel:
„Hier in Straßburg find wir in zwei fich haſſende Parteien getheilt.
Straßburg ift mein Tod; nur Wenige haben EChriftum lieb; nur ein
Prediger (Zell) predigt das Evangelium; die anderen find Falt.“ 1)
Sein freundichaftliches Verhältniß zu Schwebel zeigt ein ſchon früher
(Juli 1519) am denfelben gefchriebener Brief. Gerbel fagt darin
u. 9: „Wenn Du aud über mein Nichtichreiben Llagft, jo bin ich
doch Dein alter Freund, befonders da Du von Kindheit an zu meinen
Freunden gehörft. Schreibe mir von Deinen Studien nnd grüße den
Meifter (nämlic des Heiliggeiftfpitals, in welchem fih Schwebel damals
noch befand, wahrfcheinlih Hütlin, S. 187) und Deine Brüder dafelbft }“
An Luther fchreibt Gerbel (18. Mai 1521), als jener auf dem
Reichstag in Worms war, einen Brief voller Liebe und Theilnahme;
aber berjelbe fcheint Luthern erft auf der Wartburg zu Handen gefoms
men zu fein. 2) Mit deffen übrigen Freunden mar Gerbel übrigens in
größter Angft über Luthers plötliches Verſchwinden bei der Nüdreije von
Worms, wurde jedoch von Luther in einem Brief, ben er unterm
1. Nov. von der Wartburg aus an Gerbel fchrieb, beruhigt. Er ver
ſprach, ihm feine neueften Schriften durch Spalatin zu fchiden und
wünſchte ihm Glück zu feiner neulich vollzogenen Heirath. Luther wurde
1) Kung, Beiträge, IL, 61.
2) Seckendorf, hist. Luth., V,, 361.
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16, Jahrhundert 347
fpüter auch Pathe feines erftgebornen Sohnes. 1) Noch im Jahr 1521
beforgte Gerbel eine Ausgabe des neuen Teſtamentes im Urterte (Has
genan in 40), da die Nachfragen nach diefem Buche kaum zu befriedigen
waren. Mit Eifer befämpfte er im ber Vorrebe den Grundſatz, daß
es-in ber hriftlichen Lehre Geheimmifie gäbe, welche der Menge nicht
mitgetheilt werden könnten, weil fie nicht empfänglid, dafür fei, und führt
bagegen an, daß Ehriftus ja much feine befeligende Lehre vor Fiſchern
u. dgl. gepredigt habe.
Ein abermaliges Schreiben Luthers an Gerbel ift vom 29, März
1522 batirt, „Ohne Zweifel“, beißt es darin, „ift mein Brief aus
der Wüfte (Martburg) Dir durch Phil. Melanchthon zugeſchickt worden.”
Luther erzählt in biefem Briefe unter Anderm, daß er in Wittenberg
babe Ruhe ftiften müflen. Im nämlichen Jahre Tieß Gerbel als Frucht
feiner theologiſchen Studien der Kirchenväter die Schriften des Hermas
in Straßburg druden 2) und fuhr auch fonft fort, die Schriften Luthers
in Straßburg, Hagenau und: zum Theil auch in Baſel ſo ſchnell als
möglich burch die Preſſe vervielfältigen zu Iafien. Wie er dadurch der
Sache ber Reformation vortreffliche Dienfte leiftete, fo nahm er fi
auch willig der Anhänger der Reformation an, wie unter Anderm ein
Empfehlungsbrief beweist, den er einem Geiftlihen an Zwingli mitgab.
„Der Mann“, fehreibt Gerbel, „ift lange im Gefängniffe gewefen und
wohl im Stande, fih, Frau und Kinder mit Hülfe einer Lehrftelle
burchzubringen.“ 3) Wie umfaffend die Studien Gerbel® waren, zeigt
eine Stelle aus einem Briefe von 1523, worin er felber fagt, daß er
ſich jetzt am liebften mit dem Hebräifchen befchäftige im Verein mit
feinem liebſten Straßburger Freunde Hebio. *)
Mit Luther fand Gerbel auch in den folgenden Fahren in un—
unterbrochener Korrefpondenz. Betrafen ihre Briefe meift theologifche
Gegenftände, jo einige derjelben bie Verirrungen Karlftadts, den Luther
des Chrgeizes beſchulbigt 9) und den Gerbel den Verläumder Luthers
nenmt: fo blieben auch ihre gegenfeitigen bäuslichen Verhältniſſe darin
ı) Röhrich, I., 309.
2) Jung, Beitr.
2) Säuler, I, 12.
*) Centuria epist, theol. ad Schweb., p. 38.
5) Luthers Werke, herausgegeben von Wald, XV., S. 2445, und 2452.
348 Awölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert.
nicht unberührt, Ms Gerbel fi im Jahr 1525 zum zweiten Male
mit einer gewifien Dorothea (es ift nichts Weiteres über fie bekannt)
verbeirathete, erhielt Luther fogleih Nachricht davon, und fchrieb deshalb
an Gerbel: 1) „Grüßet Eure Frau und bittet fie mir auf Pfingften
zur Gevatterin, wo es ein Töchterlein iſt; ift es aber ein Söhnlein, ſo
müßt Ihr Gevatter fein, wo Ahr mich deſſen würdig achtet.” (Der
Sohn hieß Johannes und murde des Vaters Liebling.) Und 1527
fchrieb wiederum Gerkel an Luther: „Sch bin wohl und erwarte näch—
fer Tage Segnung vom Herrn; denn meine Gattin ift in Hoffnung,
und ich weiß nicht, welche nahen Freuden, welde Süßigfeit fie mir ver
fpricht. Wenn das Ereigniß mit göttliher Gnade gut vorüber gebt,
was gibts, fage mir, Glücklicheres und Erhabeneres, als Gerbel?“
Als Probe des derben Briefſtyls Gerbels , defien er ſich manch Mal
bediente, wenn er an Bekannte fchrieb, mag folgende Stelle aus einem
Schreiben an Luther vom 23. März 1525 dienen: „Zu ganz ger
legener Zeit haft Dur mich, mein Luther, gemahnt, mich nicht darüber zu
wundern, daß, wenn wir unfere Mannſchaft aus dem Lager führen, ber
närriſche Satan fogleih auch Alles in Bereitichgft jet, um das Volt
Gottes zu bekämpfen. Wie wenn er (der Satan) nicht wüßte, daß die
Evangelifhen durch den heiligen Geift aufs Befte gepangert feien, und
daß derjenige, der recht hinterliftig zu fein meint, gerade zu allererft in
die Grube fällt! Als Du vor einigen Jahren die römifchen Priefter
und den ganzen römiſchen Sklaventroß derb durchbechelteft, wie fie es
verdient hatten, da war ihnen das body etwas zu hart” ꝛc. — In einem
andern Brief vom 21. Oft. 1530 mit der Aufichrift: „Dem durch
Frömmigkeit und Ausdauer ehrwürdigen Mann Martin Luther, dem
Beichüger, feinem Gevatter, feinen freundlichiten Grup Nikol. Gerbel,“
ermahnt er am Schluffe Luthern zur Standhaftigkeit mit den Worten :
„Bleibe Dir glei, wie Du Dir bisher beharrlich gleich geblieben bift,
und laß Dich durch Feine Menfchengunft von Gottes Gnade abwenden,“
Einer der legten Briefe Gerbels, vom 1. Auguſt 1544, ift an Meland:
thon gerichtet. Er empfiehlt deinfelben darin einen jungen Mann, Na-
mens Hieron. Bopp, der im Begriff war, die Univerfität Wittenberg zu
beziehen.
ı) Wald, XXL, 1004.
2) Schadaei, epist. de re sacramentaria, 1,
—ñN
E20
3
Zwölftee Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert. 349
Das Amt, das Gerbel in Straßburg zuletzt bekleidete, war das
eines Profeſſors der Geichichte, worin er, wie in manchen andern Wiſſen⸗
ſchaften, gründlich bewandert war. Auch die Muſe ſeines Vaters war
ihm hold, und wenn er ſich von den Sorgen eines ſo vielfach thätigen
Lebens zurückziehen konnte, fo füllte nicht ſelten die ſtille Beihäftigung
mit Malerei feine Stunden aus, wie aus manchen feiner Briefe an
Luther und aus einer gemalten Anſicht von Genua hervorgeht, mit der
er, als dem Werke feiner Hand, 1540 auf dem Tage zu Hagenau
einen feiner Gönner (ben franz. Geſandten Baif) befchenkte. 1) Gerbel
ftarb in hohem Alter zu Straßburg den 20. Januar 1560,
Auf den Charakter und die Gefinnung Gerbels laſſen fich ſchon
aus dem Bisherigen, namentlich aus den mitgetheilten Bruchſtücken
feiner Briefe, mande Schlüffe ziehen. Unter allen Straßburger Ge:
lehrten, die zur Zeit der Neformation lebten, zeichnete fich Feiner jo fehr
durch Eifer und Thätigkeit aus, als Gerbel, ber neben feinem Nechte-
ftudium aud die tbeologiihen Wiffenihaften in dem Umfang, den bie
Reformation ihnen gab, emfig verfolgte. 2) Er war einer ber eifrigiten
Beförderer der Reformation und bing mit glühender Verehrung nament:
ih an Luther. Von feiner Entſchiedenheit in Abſchaffung der kirchlichen
Mißbräuche zeugt fein Brief an Schwebel, worin er diefem über bie
Heußerung: damit will ich dem Papſte feinen Ablaß nicht verworfen
haben — gegründete Vorwürfe macht. Wegen feiner Gelehrfamteit und
feinen unermüdlichen wifjenichaftlichen Beftrebungen ſowohl, als wegen feiner
Zuverläffigkeit und Nechtichaffenheit ftand er bei feinen Zeitgenoſſen,
namentlich denjenigen, welche der Neformation zugethan waren, in höchſter
Achtung. Einen Beleg dazu liefert die allgemeine Entrüſtung, welche
darüber entitand, daß ein Ungenannter in einem Buche Über die Rhe—
torit Gerbel als Beiſpiel eines Kirchenräubers Hingeftellt hatte. Gerbels
Freunde, aufs Tieffte erbittert über eine ſolche Schmach, wandten fi
an Melanchthon, der den Verläumder Tante und dahin zu bringen
wußte, daß er öffentlich Abbitte that. Schließen wir die Worte bes
Lobes über unfern Landsmann mit denen eines damaligen Schriftftellers,?)
dann wird ung, indem wir auch auf das oben angeführte Urtheil bes
rühmter Zeitgenoffen über Gerbel nochmals verweifen, nichts mehr hin—
') Rohrich I, 311,
2) Xung, I, 61.
s) Thuanus, lib, 26,
350 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert.
zuzufegen übrig bleiben. „Nikolaus Gerbel von Pforzheim”, jo heißt
es bafelbit, „ein vortreffliher Mann, ausgezeichnet ebenſowohl durch
Gelehrſamkeit, als durch Feinheit feiner Sitten und feines Benehmens.“
Bon den Nachkommen Gerbels find nur wenige befannt, Sein Enfel,
Teodor Gerbel, war Rothichreiber in Straßburg.) Ein Nikolaus
Gerbel ftand 1573 im württembergifchen Dieuften. 2) Ein Georg
Gerbel kommt 1540 in Straßburg vor.3) Ein anderer Gerbel (ohne
bet. Vornamen) ebendafelbft 1590. 4) Eine Enkelin desfelben war die
Ehefrau des Lob. Pappus (um 1600). In Pforzheim felbft ift das
Geſchlecht der Gerbel, gleih dem der Schmwebel, Tängft nicht mehr
vorhanden.
N) Röhrid, I, 170,
2) Sattler, 5, 168.
®) Kolb, 3, 163.
*) Fecht, epist., ©. 877.
Dreischntes Aapitel
Pforzheim unter der vormundfchaftlihden Negierung und den
Markgrafen Ernft Friedrich und Georg Friedrich. ')
(1577 — 1622.)
$ 1. Allgemeines.
Karl II. hinterließ drei Söhne, Ernft Friedrih, Jakob und Georg
Friedrich, über welche aber, da fie beim Tode ihres Vaters noch min-
derjährig waren, eine Vormundfchaft niebergefegt wurde, Diefe Vor:
münder fetten wiederum eine Landesregierung unter dem Statthalter
Hans Landihad von Steinady ein, dem der Kanzler Achtſynit zur Geite
ftand. Von Beiden ift auch der wegen ber Freiheiten der Stadt Pforz⸗
beim übliche Mevers unterzeichnet, der unterm 1. Juni 1580 ausgeſtellt
wurde. ?2) Die vormundfhaftliche Negierung nahm jedoch ſchon 1585
ein Ende, nachdem dieſelbe nad) dem Wunſche der drei Brüder eine
abermalige Theilung der baben-durlachiſchen Lande beſchloſſen hatte,
Ernft Friedrich erhielt die untere Markgrafichaft, 3) nebſt Beſigheim,
Mundelsheim und Altenfteig; Jakob bekam die hochbergiſchen Beſitzungen
nebft Sulzburg; Georg Friedric) wurde Saufenberg, Röteln und Bas
denweiler zugeteilt. Jakob farb jedoch ſchon 1590, nachdem er vorher
noch zur katholiſchen Kirche. übergetreten war und bereits Anftalt ge:
troffen hatte, auch feine Untertanen wieder katholiſch zu machen; *)
1) Die allgemeinen geſchichtlichen Quellen find die frühern; die bejondern
find überall angegeben.
) Städtiiches Archiv.
) Der im flädtifchen Archiv befindliche BVeftätigungsbrief ber Freiheiten
ber Stabt ift vom 3. Februar 1585 datirt.
4) Markgraf Jakob Tiegt in der Gruft zu Pforzheim begraben. Erin
Standbild, welches bie ſchöne Leibesgeſtalt diefes Fürften zeigt, befindet fih im
Chor der Schloßlirche, und zwar, von ber Kirche aus gefehen, auf ber linfen
Seite besfelben.
352 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
und da ihm 1591 fein einziger männlicher Leibeserbe im Tode nad:
folgte, jo theilten fich feine Brüder im feine Befißungen. Wurde dadurch
dag Gebiet Ernſt Friedrichs vergrößert, fo dehnte er bald nachher feine
Herrſchaft auch in noch anderer Weife aus. Markgraf Eduard Fortunat
von Baden-Baden hatte fi) und fein Land durch feine Verfchwendu nid
in tiefe Schulden geftürzt und ging zufeßt mit dem Gedanken um, die
Markgrafſchaft ſammt dem Erbredht zu verkaufen. Nun waren beide
Marfgraffchaften wegen älterer Schulden ungetrennt verpfändet worden.
Mährend aber der durlachiiche Antheil daran längſt bezahlt war, hatten
die badiihen Schulden ſich immer mehr gefteigert, und zuletzt fuchten
die ältern Pfandgläubiger bei Baden: Durlach Befriedigung. Um fi
ficher zu stellen, ließ Ernft Friedrich 1594 Baden-Baden befeßen und
fih als Adminiſtrator huldigen. Alle Bemühungen Eduard Fortunats,
fein Land wieder zu erhalten, waren vergebens, ob er gleich feinem
Better Ernft Friedrih mit Gift, Zauberei and gedungenen Mördern
nach dem Leben trachtete, Nachdem er noch Falſchmünzerei und Stra:
Benraub getrieben, ftarb er 1600 in Folge eines Sturzes von eimer
fteinernen Treppe. Don den Anfprücden, die fein Sohn Wilhelm auf
Baden: Baden geltend zu machen fuchte, wird unten bei der Gefchichte
des dreifiigjährigen Krieges die Rede fein. Ebenfo energiſch, wie gegen
Eduard Fortunat, bewies ſich Ernſt Friedrich gegen das Klofter Frauen⸗
alb. Weil die dortigen Nonnen durd ihre unfittliche Lebensart viel
Aergerniß erregten, jo vertrieb er fie aus dem Klofter, worauf einige
nad; Lichtenthal gingen, andere ſich vermäßlten. Die Priorin Paula
von Weitershauſen begab ſich nach Pforzheim, wo fie 1609 ftarb. 1)
Wegen Baden-Baden war Ernſt Friedrich genöthigt, immer eine größere
Truppenmacht zu unterhalten, als es ſich mit den Kräften feines Landes
vertrug. In feiner Geldverlegenheit nahme nun der Markgraf zwei
Handlungen vor, die fpäter bitter beveut wurden, aber nicht mehr unge
fchehen gemacht werden konnten, Im Jahr 1595 verkaufte er an den
Herzog von Württemberg die Aemter Befigheim und Mundelsheim um
die Summe von 334,486 fl., — und 1603 ging er mit dem nämlichen
Fürſten einen Tauſch ein, der für diefen eben fo vortheilhaft, wie für
Ernft Friedrich und feine Nachfolger nachtheilig war. 2) Der Markgraf
1) Kolb, Lerifon, I., 295.
2) Der Taufchvertrag ift abgebrudt bei Kausler, Befchreibung bes Ober»
amts Neuenbürg, ©. 162.
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17, Jahrhundert, 353
gab an Württemberg Stadt, Schloß und Amt Altenfteig mit allen
Dörfern; ferner Stadt und Burg Liebenzell nebit den Dörfern Weiler
Haugjtett, Beinberg, Biefelsberg, Ober: und Unterlengenhardt, Maifen:
bach, Ernſtmühle, Dennjächt, Schwarzenberg, Kollbach, Igelsloch, Schöm—
‚Ag Monakam und Reihenbah mit allen Waldungen, Berechtigungen
xc., — dafür erhielt er von Württemberg die Orte Malſch, Langenftein:
bay, Auerbah, Dietenbaufen, Itters bach, Spielberg, die Mar:
kung von Obermutſchelbach zc. nebſt einer Ausgleihungsfumme von
481,700 Gulden. Diefes Geld ging fort, und die herrlichen Wal:
dungen, wie fie die obere Nagoldgegend aufweist, blieben für Baden
verloren!
Die religiöfen Wirrfale, welche der Hinneigung Ernſt Friedrichs
zur reformirten Lehre entiprangen, wird ein befonderer Abſchnitt behan-
deln. Der Markgraf ftarb 1604 und wurde in Pforzheim beigefeßt.
Sein Standbild im Chor der Schloßfiche (das erfte links, von der
Kirche aus geſehen,) zeigt die ftattliche Leibesgeſtalt dieſes Fürften. 1) °
Im Geſichte drückt ſich jene ftarre Unbeugfamfeit aus, die ein Haupt:
charakterzug Ernſt Friedrichs war. Da derielbe feine Nachkommen
binterließ, jo kam die ganze Markgrafſchaft, wie fie Ernſt Friedrich theils
ererbt, theils am fich gerifjen hatte, an feinen Bruder Georg Fried:
rich. 2)
Im Jahr 1573 geboren und ſehr forgfältig erzogen, hatte dieſer ſchon
frühe eine wiffenichaftlihe Richtung erhalten, die indeſſen fo wenig, als
der urfprüngli ſchwächliche Körper den Eriegeriihen Sinn des Fürſten
zu unterdrüden vermochte. Schen 1600 machte er einen Heerzug gegen
die Türken mit, 1610 befehligte er mit dem Kurfürften von Branden:
burg im Elfaß, 1618 jcleifte er Udenheim CPhilippsburg) ꝛc. Bon
feiner Theilnahme am breigigjährigen Krieg wird im folgenden Kapitel
gehandelt werden, Er war ein Meifter in der Kriegskunft und fchrieb
) Nah Sache, IV. 273 fol Ernft Friedrich, der im ſchönſten Mannes—
alter farb, (er war erft 44 Jahre alt,) in ben legten 10 Jahren feines Lebens
an den untern Ertremitäten gelähmt gewelen fein, fo daß er fih im einem
Seſſel oder einer Sänfte tragen laſſen mußte,
2) Der im Stadtarchiv befindlihe uno von Georg Friedrich eigenhändig
unterjhriebene Revers wegen der Privilegien ift vom 2. Mai 1604 batirt.
Pflüger, Pforzheim. 23
354 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert.
felber ein Werk darüber; 1) — doch wurde er bei feinen friegerifchen
Unternehmungen im Allgemeinen vom Glück wenig begünftigt.
Wegen der Behauptung von Baden-Baden mußte aud er fort:
während eine ſtarke Truppenmacht auf den Beinen erhalten, namentlich
da die Söhne Eduard Fortunats ihre Anfprüde zu erneuern nicht
unterliegen. Bon neuen Erwerbungen ift bier des Schlofies und des
halben Fleckens Baufchlott zu erwähnen, welche beiden Befißungen
Georg Friedrih ven Hans Chriſtoph von Landenberg 1604 um
16000 ft. erkaufte,
Mit der Miffenfchaft des Krieges verband Georg Friedrich aber
auch eine genaue Kenntmiß der Angelegenheiten und Bebdürfniffe feines
Landes, und er fuchte darauf alle feine Sorge zu verwenden. Die
Kirchenzucht überwachte er ftrenge, und der fromme Fürſt foll felber die
heilige Schrift mindeſtens fünfzig Mal ganz durdhgelefen haben. Beſon—
ders war er auch auf eine pünktliche Nechtspflege bedacht und Tieß zu
dem Ende ein eigenes Geſetzbuch bearbeiten.
Auf Georg Friedrich folgte nach MNiederlegung der Regierung
(fiehe unten) 1622 fein äftefter Sohn Friedrich V. (bis 1669). Er
wird in der Geichichte des dreikigjährigen Krieges vorkommen.
$ 2. Befonderes.
Pforzheim feinen Fürften gegenüber.
Hatte fi) die Stadt Pforzheim troß ihrer Privilegien ſchon unter
Karl II. dazu verftehen müſſen, ausnahmsweiſe direkte Abgaben, felbit:
verftändlich im der Hoffnung zu leiften, davon baldmöglichft wieder be=
freit zu werden, jo wurden ſolche Anmuthungen in der Folge wiederholt.
Dies geſchah 3. B. ſchon unter der Vormundſchaft 1582 in Betreff der
Longueville'ſchen Hilfsgelder. Damit hatte es folgende Be
wandtniß. Im Jahr 1503 war Philipp, der letzte Markgraf von
Hahberg-Saufenberg-Röteln geftorben und feine Länder waren laut Erb:
vertrags von 1490 in Ermangelung männlicher Nachkommen auf den
Markgrafen Chriſtoph von Baden übergegangen (S. 173). We fih
1) Die drei Foltobände besjelben, von des Markgrafen eigener Hand, be:
finden fih in der Manufcriptenfammflung ber Großberzoglichen Hofbibliotbef
zu Karlsruhe.
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert, 355
jedoch die einzige Tochter des vwerftorbenen Markgrafen Philipp, Johanna,
1504 mit dem Herzog Yudwig von Longueville vermäßlte, erhob diefer
Anſprüche auf die Känder feines Schwiegervaters, und es entitand da:
rang ein Prozeß, der beinahe 80 Jahre dauerte, bis er endlih am
28. Anguft 1581 durch Vergleich feine Erledigung fand. Die Familie
der Longueville entſagte allen Anfprücen auf bemerkte Linder, wofür
fie eine Entſchädigungsſumme ven 225,000 Gulden erhielt. Dieſe
wurde munmehr auf das Land zu einer „Fünfzehnjährigen Hilfe* in der
Meife umgelegt, daß von 100 Gulden Werthgut jährlih 8 Batzen be
zahft werden follten. Auch von der Stadt Pforzheim wurde troß ihrer
Brivilegten die gleiche Beiftener verlangt. Gin befonders erwählter Aus:
ſchuß begab fidy mit Bürgermeijter, Gericht und Rath am 3. Februar
1582 zur Verhandlung über diefen Gegenftand in das Schloß zu Pforz—
beim, wo eine fürftlihe Commiſſion ihrer harrte, die aus Hand
Philipp Landſchad von Steinach, Furfürftlic pfälziſchem Fauth (Wogt )
zu Bretten, dem Statthalter Hans Landſchad von Steinach, dem Kanzler
Achtſynit, dem Doktor - Chr. F. Kircher und dem Kammerrath
Mrd. Feurer beſtand. Wie früher ſchon, fo beriefen ſich die Pforzheimer
auch jet wieder auf ihre „Ordnung und Polizei von 1491”, Tant
welcher fie von allen direkten Steuern ꝛc. befreit ſeien; fie klagten, daß
die 1554 bemilligte jährliche Hilfe von 1000 Gulden (S. 276) fie
im bedeutende Schulden geftürzt babe, da der Maafpfennig zur VBeftrei:
tung diefer Summe nie binreihe; fie brachten auch fonft verfchiedene
Beſchwerden vor, namentlich daß die Stadt Pforzheim fi) „nit vmb
ein gering hauptgutb, als Bürgen vnd mitſchuldner, inn viel weg bikbär,
neben der Landichafit, vmb große Summa verſchrieben:“ — fie mußten
eben in den ſauern Apfel beiten, und fich zur Bezahlung der 8 Baten
vom Hundert, Freilich „ihrer Freiheit unbefchadet“, verftehen. Doc erlang:
ten fie wenigftens fo viel, daß ihnen für die Dauer der Bezahlung diefer
Longueville'ſchen Hilfsgelder die früher abverlangten jährlichen 1000 Gul:
den erlaſſen und fie auch eben fo lang jeder Reiche: und Kriegshilfe
enthoben fein follten Wit der Entbindung von den 1000 Gulden
durfte natürlich aud die Stadt den Maafpfennig nicht mehr einziehen,
fondern es nahm ihn die Herrichaft wie im ganzen Land fir fh in
Anſpruch; doch wurde der Stadt davon als einem neuen- „ofjaß” der
vierte Theil bewilligt, dem fie laut ihrer Privilegien von allem Umgeld
anzufprechen hatte. Die über ſolche Beſtimmungen —— Ur⸗
356 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
Funde 1) trägt die Unterfchriften der oben genannten fürftlihen Kommif-
fion, und es hängen an ihr die Siegel des Markgrafen, des Vogts
Schöner von Straubenhardt und das Siegel der Stadt, das aber nicht
mebr das frühere einfache, fondern bereits in zwei Hauptfelder getbeilte
ift.2) Da in der Urkunde die Namen der damaligen Mitglieder des
Gerichts und Raths, ſowie der Deputirten der Bürgerfchaft genannt
find, fo mögen diefelben auch bier eine Stelle finden, Gericht: Hang
Krumm, Bürgermeifter, 3) Veit Breitfhwert, Hans Nuef, Baumeifter,
Kaſpar Rohr, Klaus Engelhart, Hans Forcheimer, Dietrih Weiler,
Konrad Gupp, Konrad Pfuderer, Beat Viſcher, Jakob Simmerer, Peter
Göglin. Rath: Peter Genger, Mathis Meerwein, Fabian Stieß,
Mich. Ib, Grieninger, Hans Lienhart, Hs. 6. Klein, Hans Defchler,
36. Kercher, Matern Dolmetih, Mathis Klotz, Marzolf Schoch, Ege—
nolf Genger. Von der Gemeinde: at. Jößlin, Georg Schlund,
Hans Haan, Hans Silbereifen, Wendel Genger, Klaus Spitz, Heinrich
Mayer, Schreiner, Mart. Mang, Mich. Muolin, Georg Hofmann, Mel:
chior Kieß, Hans Widmann, Theus Schoch, 36. Meerwein, Georg
lacht, 36. Pfifterer, Hans Enderlin, Paulin Schefi, Hans Heufchlof,
Michel Beh, Peter Hügelin, 3b. Eafboier und Peter Plochinger.
Zu diefer nicht unbedeutenden Steuer kam nad) dem Megierungs-
antritt Ernſt Friedrichs noch eine andere. Theils zur Tilgung ber
ſchweren Schulden, die auf dem Lande lagen, theils zur Beftreitung der
1) Sie befindet fih im ftäbtifchen Arhiv und iſt vom 3, Februar 1582
datirt. Eine andere darauf ebenfalls bezügliche Urfunde trägt bas Datum bes
10, Mai 1582,
*) Während an der Etadtorönung von 1491 noch das alte Siegel von
1256 ff. (S. 79) hängt, findet ſich im ftäbtifchen Archiv bereits von 1521 an
ein neues Siegel, und zwar ift ber Stod desſelben noch vorhanden und trägt
auf der Rüdfeite die Jahrzahl 1521. Dies ſcheint das kleine Siegel der Stadt
Pforzheim geweien au fein; denn neben bemfelben findet fich auch ein bedeutend
größeres, Beide zeigen den Wappenſchild in zwei Hauptfelder getheilt; bas
linke enthält den badiſchen Wappen mit dem Querbalfen; bas rechte ift im
4 Fleinere Querfelder getheilt mit der Bezeihnung für rothe, weiße (Silber-),
blaue und gelbe (Gold:) Farbe — alſo wie das Wappen heute noch iſt. Die
Umigrift jenes Siegels von 1521 Tautet: S,SECRETVM,CIVIVM,IN,PHORZ-
HEIN,. Wann, dur wen und bei was für einer Veranlaffung Pforzheim
bas neue Wappen erbielt, ift unbefannt.
?) Hier war alfo der Bürgermeifter Mitglied des Gerichts, wenn auch
nicht Vorfigender desſelben.
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert. 357
Koften der fürftlichen Hofhaltung legte der Markgraf jeinen Unterthanen
neben den Longueville'schen Hilfsgeldern nody eine weitere Steuer von
4 Baten von 100 Gulden Werthgut auf, die fo lang als jene bezahlt
werden follte, und ftellte aud eine Erhöhung des Maafpfennigs in
Ausfiht. 1) Und die gefreite Stadt Pforzheim? Sie mußte ſich aber:
mals troß ihrer Privilegien gleih dem ganzen Lande zur Bezahlung
diefer Abgabe verjtehen, natürlicy nicht ohne Verwahrung , daß fie dies
ihrer Freiheiten unbeichadet thue; und der Markgraf ftellte ihr auch
einen dahin Tautenden Nevers aus. ?) Alle diefe papievenen Verwah—
rungen und Verfiherungen hatten aber feinen großen Werth; denn bie
Stadt kam aus der Bezahlung folder Abgaben gar nicht mehr heraus,
fondern fie wurden fpäter zur regelmäßigen und ordentlihen „Schatzung“,
wie wir weiter unten fehen werden. Damit war aber der $ 1 des
Privilegienbriefs thatſächlich außer Kraft geſetzt.
Es find im vorigen Kapitel (S. 278 ff.) aus der Yagerbud:
erneuerung von 1527 allerlei Mittheilungen gemacht worden. Eine
felhe wurde aud 1615 wieder vorgenommen. Es möge bier dasjenige,
worin ihre Ergebniffe von den frühern abweichen, überfichtlich zufammen:
geftellt werden. Zeugen bei der Lagerbucherneuerung waren die „ehren
baften, ehrfamen und beicheidenen Valentin und Berthold Deim:
ling, Mathes Efjig, Georg Art und Paulin Lotthammer.“ Zuerſt
folgen die nöthigen Beftimmungen über das Geleit. Diefelben ent:
fprachen noch immer den Verabredungen von 1516 (©. 272) und
1581, find aber durd folgende Beftimmungen ergänzt: Baden bat
das Geleitredht Tiefendbronn zu bis an das Mäfferlein, beim See
genannt; Wurmberg zu bis Mönsheim an dem Bad; Naihingen
zu bis Mühlacker; Speier zu wird von Pforzheim aus geleitet bis
Stein und von da nah Grombach zum hölzernen Bildſtock; Durlad
zu bis Durlach und von da nad Mühlburg oder Graben. — Die
Kaufleute, die zur Frankfurter Meſſe ziehen und durd) den Hagenſchieß
kommen, zahlen 13 Kreuzer (früher 12 Pf.); die, fo den Beutel (zwi:
ſchen Hucyenfeld und Reichenbach) herabziehen, zahlen 9 Kreuzer
Geleitgeld.
1) Urkunde im Stadtarchiv vom 15. Juli 1585. —
?) Er befindet ſich im Stadtarchiv und iſt vom Markgrafen eigenhändig
unterſchrieben.
358 Dreizehntes Kapitel, Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert,
Frevel und Unrecht: GVergl. ©. 275 fi) Ein Blut:
runsfrevel, d. 5. mit Mefier, Kolben, Stod, Waffen verwundet
oder biutrünftig gemacht, zahlt 3 Pfd. Pig. an den Fürſten; ein Heiner
oder trodfener Frevel mit trodenen Streichen, ohne daß ein Glied ge:
lähmt wird, zahlt 1 Pfd. Pig, mit der Fauft ein Stoß, daß Nafe
oder Mund bfutet, zahlt 1 Pfd. Pfg.; wer nad dem Andern zudt oder
fticht oder fchlägt, zablt 1 Pfd. Pfg.; wer nach dem Andern wirft und
ihn trifft, dag er blutrünftig wird, zahlt 3 Pfd. Pfg.; wer nach dem
Andern wirft und ihn trifft, aber nicht blutrünſtig macht, zahlt 3 Pfd.
Pig. Ein groß Unredt zahlt 15 Sch. Fig; ein Elein Unrecht
5 Cd. Pig; eine Lügainung 83Sch. Pig. ; eine Spielainung 5 Sch.
Pfg.; alle diefe Strafen gehören dem Markgrafen allem. Ein Frie—
dbensbrud zahlt 5 Ed. Pf.; davon gehören 3/, dem Fürften und 1/,
der Stadt. — Abzug. Die Bürger find frei laut Privilegienbriefs
von 1491. Fremde zahlen von 100 fl. 10 fl, 1/, dem Markgrafen,
ig der Stadt gehörig. — Bon den Gütern außerhalb Pforzheimer
Markung gebört der Abzug dem Fürften allein. — Hauptrecht und
Abzug von zugefefjenen Leuten. Jeder Manns: und Frauensperſon,
fo fonft leibeigen it, ‚nach ‘Pforzheim zieht und der dortigen Polizei
einverleibt ift, wird die Leibhennen- oder Leibjteuer ꝛc. erlaffen, nicht aber,
wenn die Leute wieder wegzieben. — Fruchtzehnten. Der große
Fruchtzehnten auf Pforzheimer Gemarkung gehört zur Hälfte dem Mark:
grafen, zur andern Hälfte dem Kloſter Lichtenthal, ausgenommen einige
Aecker ıc. 1) Dom großen Zchnten bat Lichtenthat jährlich zu liefern
dem Markgrafen AO Büſchel Roggenſtroh; nad) neuerm Vertrag mit
der Aebtijfin zu Lichtenthal von 1595 (S. 277) bloß noch 250 Büſchel.
— Der Hleinzehnten auf Pforzheimer Gemarkung von Sommergerfte
Hirſen, Erbien, Linjen, Hanf ꝛc. gehört der Pfarrei in der Altſtadt. —
Dem Markgrafen gehören eigen (vergl. ©. 279): a. Das Schloß
mit dem Swingelgarten daran gegen die Stadt zu, nebſt der Kanzlei,
dem Speicher, Marftall, Wagenpferditall, der Hofſchmiede, auch dem
Nebenzwingel außerhalb zwijchen beiden Stadtmanern vom Schloß hinab
bis an den Leitgaſtthurm, und der neue Garten außerhalb der Stadt
und dem Schloß an der Straße (15 Morgen groß, auf 3 Seiten neben
1) Diejenige Hälfte dis großen Schniens, wilde früber (©. 279) dem
Kloſter Hirſchau gehört hatte, war alfo an den Markgrafen übergegangen.
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 359
der Almendſtraße gelegen und oben an die Bremenbofäder jtoßend). b. Wie:
fen: Die Dleihwieje am Megelgraben; (die Büchenbronner und Huchen⸗
felder müfjen fie beforgen und mähen, aber der Markgraf muß das Heu
fahren laſſen); 1) die Scheuerwiefe zwifchen dem Scheuerberg und ber
Nagold; die Seewieſe, die Landſchaftwieſe, die Frauen-Langewiefe, die
Meiherwiefe. c. Die Sägmühle d. Die Kelter in der Altftadt.
e. Der Zoll.
Das Weggeld gehört der Stadt. Bezüglih des Standgel:
des, Umgeldes und Salzverkaufes fiehe 1527. In Betreff
des letztern enthält das Lagerbuch, von jpäterer Hand gefchrieben, die
Bemerkung: Der Markgraf hat den Salzbandel allein admodirt und
ber Stadt dafür als ihr Viertel 97 fl. durch die Obereinnehmerei Karle-
burg reichen laſſen. —
Jährliche Bet. Alle Bürger und Inwohner, jo der Stadt
Pforzheim Polizei, Begnadigung und Freiheiten unterworfen find und
bürgerlich dafelbjt wohnen, find frei von der Be. — Jährlicher
Vogtgulden. Bürgermeifter und Nath von wegen gemeiner Stadt
Pforzheim geben dem Markgrafen zum rechten, jährlichen, ewigen, unab—
läffigen Vogtgeld oder Gült auf Martini 10 fl. — Jährl. beftän:
diges Zunftgeld und Metzelbankzins (wie früher). — Jährl.
Brodbankzins. Die Brodbant neben der Megelbütte vorn am Markt
ift abgefhafft und “Jeder hat in feinem Haus feil; alſo fällt fein Zins
mehr. — Jährl. Fiſchbankzins. Die Fiſchbank ift auch vom
Markt abgeſchafft; alſo fällt auch fein Zins mehr. — Nunnenmader
(Viehverſchneider). Der Markgraf bat das Recht, Nunnenmacher anzu:
nehmen und ihnen die MWaide zu verleihen, trägt bisher 11/, Pfund. —
Wafenmeifter Die Waſenwaide zu Pforzheim, der Altftadt und
dem ganzen Pforzheimer Amt verleiht der Markgraf. Jedoch ift der
Mafenmeifter bisher von der Stadt beitellt und vom Schultheißen ver:
pflihtet worden und bezahlt jührlih dem Markgrafen 5 Pfund, —
Jährl. beftändiger Zins von Walt:, Schleif-, Balier-,
Säg: und Kupfermüblen (wie früher). — Ziegelbütte Georg
Haas als Inhaber der Ziegelhütte vor dem Bröbinger Thor zinst jähr:
®
) Früher hatten es die Brötzinger als Hörige des Frauenkofterd thun
müjjen (S. 279); letzteres war aber bei der Neformation eingezogen worden,
wodurch die Berpflichtung des Heuführens anf den Markgrafen felber überging.
360 Dreizehntes Kapitel. Pforzbeim vom 15, zum 17. Jahrhundert.
lich dem Markgrafen 10 Sch. Pig. (der fpätere Inhaber war Joachim
Leibbrand). -— Jährl. Waſſerzins, Gnadenlehen (wie früher).
— Wafferzing von Abfällen oder Kagen (mie jrüber). —
Jährl. beftändige Fruchtgülten, von den Mahlmühlen zu
Pforzheim gefallen, und follen ſolche Früchte auf den Speicher
geliefert werden, (wie früher, es waren immer noch 5 Mühlen: die
Wagmühle, die Spital- oder Efelsmühle, jest Kloſtermühle —, die
Eihmühle, die Nonnenmühle und die Zwingelmühle, jonft Obermühle
genannt), —
$ 3. Inneres,
Den Stiftungen zu mwohlthätigen Zwecken, deren im letzten Ka:
pitel gedacht wurde, müſſen bier einige weitere angereiht werden.
Im Jahr 1580 ftiftete der aus Pforzheim gebürtige Mathias
Merthwein, ein jüngerer Bruder des oben genannten Chriſtoph Werth:
wein, — früher Domberr in Augsburg, zulett Domberr und erzbiichöf:
licher Kanzler zu Briren in Torol, ein Kapital von 6000 Gulden
(S. 197), deffen Zinfen an jehs Jünglinge aus feinem oder feiner
dutter (einer geb. Münzinger aus Bauſchlott) Geſchlecht, die in reis
burg ftudiren würden, alljährli ausbezahlt werden follten. Im alle
feine väterlichen oder mütterlichen Verwandten von ihm vorhanden wären,
jollten drei junge Pforzheimer und drei Jünglinge aus Briren bie
Stiftung zu genießen haben. Ein bei den Freiburger Univerfitätsakten
niebergelegtes Verzeichnig weist nach, daß wirklich Studirende aus Pforz:
beim in den folgenden Jahren im Genuß des Stipendiums waren, fo
1588 ein Martin Mangold, 1606 Chriſtoph Gerwig, 1615 Johann
Serwig In den Striegen des 17. und 18. Jahrhunderts jcheint aber
das Stiftungsfapital verloren gegangen zu fein, wie das bei noch vielen
andern Freiburger Studienftiftungen der Jal war. Unterfuhungen ba:
rüber, welche im vorigen Jahrhundert angeftellt wurden, 1) haben zu
feinem befriedigenden Ergebniß geführt,
Am 29. Auguft 1602 machte der Fiorzbeimer Bürger und Han:
delsmann Kafpar Chriſtoph Rohr vor einer Neife, die er nach Stalien
„zu Erlernung der Sprachen und mehrerer Erfahrung” zu unternehmen
—— — — — —
) Bon Gehres. Bergl. deſſen Meine Pforzheimer Chronik, ©. 133 fi.
Dreizebntes Kapitel. Piorzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 361
gedachte, fein Teftament und beftinmte darin ein Kapital von 2000 fi.
„zur Unterhaltung zweier Studenten, welde der rechten augsburgifchen
Konfeffion zugetban, oder (mie fie genannt werden) Iutberifch feien; und
ſoll jährlich ein jeglicher von den ertragenen Zinſen JO Gulden acht
Jahre lang erhalten, die übrigen zwanzig Gulden aber follen zur Beffe:
rung bes Stipendii gereichen.“ — „Es fell aber,“ jo beißt es im
Teftament weiter, „die Kollatur bei einem ehrſamen Nath zu Pforzheim
ſtehen, doch dergeftalt, daß derielbe zuwörderft bedenke meine Befreundte
von Vater oder Mutter; wo aber feine Beireundte vorhanden wären, die,
fo aus der Stadt Pforzheim gebürtig, Andern preferiren; fo auch deren
Keiner mit Ernſt ftudiren oder feine Studia continuiren wollte, die
Markgräfifhen vor andern Ausländifchen damit begabe und immer
vaciren laſſe. Auch foll Keinem befagtes Beneficium conferirt werden,
er feie denn allerft bei einer Academie oder Univerfität. Letztlichem
follen ſolche beede Beneficiary alle 2 Jahre durch qualificirte Perfonen
entrveber bei der Akademie, da fie ftudiren, oder zu Pforzheim erami:
nirt werden, Beides in der ‚Religion und ihren Studiis, und fo fie in
der Religion irrig oder in Studiis nachläſſig befunden werden und fic)
nicht auf den rechten Weg wollten weifen laſſen, fell ein ehrſamer Nath
ihnen gemelt Beneficium entziehen und Andere, die es befier werth,
conferiren.” Auch dem Almofen vermachte Rohr 200 fl., von deren
Zinfen alle Jahre 8 Gulden vor der Pfarrfirhe an Hausarme, der
Neft an fonftige Arme ausgetheilt werden follten. Eine Anzahl fonftiger
Legate möge bier unberührt ‚bleiben. Zu Xeftamentsvollftredern er:
nannte Rohr den markgräflichen Rath Martin Sigwardt und den Ge:
richts- und Rathsherrn und nachmaligen Bürgermeifter Peter Maler. 1)
Seinen ſämmtlichen Erben hatte Rohr die Verpflichtung auferlegt, feiner
Mutter einen Grabftein jegen und für fie wie für ihn felbft nach feinem
Tode je ein auf einer Tafel gemaltes Epitaphium in der Pfarrkirche
anbringen zu laſſen; Feines diefev Denkmäler dürfe aber unter 50 fl.
koften. (Nach der Stipendienrehnung von 1604 wurden dafür 182 fl.
ausgegeben.) Nach den noch vorhandenen älteften Stipendienrecdinungen 2),
die bis 1636 reichen, betrug der Grundftod 1607 evit 2044 fl., 1614
I) Vergl. hiezu: Lagerbuch des Rohr'ſchen Stipendiums im Stadtardiv,
angelegt im Auguft 1710.
2) Im Stabtardiv,
362 Dreizebntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
bereits 2144 fl, 1623 war er auf 2533 fl. und 1632 auf 2788 ft.
geitiegen. Bon dem urfprünglichen Kapital waren 500 an die Stadt,
150 an die Gemeinde Niefern, das Webrige an Pforzheimer ausgeliehen.
Merrechner des Fonds war von 1604 bis 1613, alfe bis zu feinem Tod,
Beter Maler, von 1615 bis 1628 Jeremias Defchler, 1628 bis 1636
Joachim Bub. (1636 hören, wie jchon erwähnt, die Rechnungen auf.) 1)
Am Jahr 1616 machte auch der Bürger und Handelsmann Niko:
lans Fontelin eine Stiftung von 1000 Gulden, deren Zinſen eben:
falls als Beneficien an ftudirende Jünglinge verabreicht werden jollten.
(Die Ältefte noch vorbandene Echuldverfchreibung vom 29. Sept. 1625,
ausgeftellt von Jeſajas Hlindlin von Iſpringen über 56 fl., 2) nennt ale
Verrechner Joh. Grat, Baumeifter und Hans Ritter.) 3)
Nicht umerwähnt mag bier aud eine Stiftung des Pforzheimer
Bürgers Otto Beckh bleiben. Aus den Zinfen eines Kapitals von
1200 fl., das er für verichiedene wohlthätige Zwede ftiftete, ſollten
jährlich 8 fl. für die Geiftlichkeit und 5 für die Mufifgefellichaft der
Stadt Pforzheim zu einem gemeinfhaftliden Schmaufe verwendet wer:
den, der fpäter gewöhnlich am Feſt des heil. Yaurentius ftattfand und
erſt in neuerer Zeit nicht mehr gehalten wird, ?)
Es ift oben bereits von der Schützengeſellſchaft und ihrem
frühen Beitehen die Rede gewejen. Wir finden, daß Markgraf Georg
Friedrich ein befonderer Freund derjelben war und ihr zu einem beftän:
digen Gedächtniß ein Gnadengeld von jährlichen 15 fl. beftimmte, woran
1) Nah dem Schober’ichen Familienbuche ftebt dieſes Geſchlecht in weiblicher
Linie zu Rohr jowohl, als dem Stifter eines andern Stipendiums, nämlich
Peter Geiger, in verwandtichaftliher Beziehung.
2) Im Stadturdiv.
*) Auf dem Kirchhoſe, und zwar an der vordern Wand der dortigen Ka—
pelle befeftigt, fteht der von ber Kreuzkirche dabin gebrachte Grabftein, ben
Ritolaus Fontelin feiner 1606 geftorbenen Frau Barbara geb, Grieninger hat
jeßen lafjen, Die Ueberſchrift lautet:
Ihr Tiebe Brüder und Schweſtern mein,
Die hier im Herrn entichlafen jein,
Gott helf mir auch zu eich hinein!
Dies Nifolans Fundtelin bitt
Bon Gott, der wirds abichlagen nitt.
) Das Grabmal Dito Beh, der am 1. Januar 1625 ftarb, iſt im Chor
der Altftädter Kirche,
Dreizchutes Kapitel, Pforzbeim vom 16. zum 17, Jahrhundert, 368
die Stadt mit der Hälfte Antheil nahm. ') Georg Friedrich war über:
haupt der Stadt Pforzheim ſehr zugethan, auf den dieſe ſchon
große Hoffnungen ſetzte, als er noch nicht ihr Herr war, Die unten
folgende Geſchichte der Refigionsbedrüdungen von 1601 und 1604 gibt
davon Zeugniß. In den Taufbüchern aus der Zeit von 160 an it
er oft als Pathe von Bürgerfindern genannt. Im Jahr 1618 Hatten
ſich die Bürger von Pforzheim beſchwerend an den Markgrafen gewandt,
weil ihnen von Ceiten der marfgräflichen Kanzlei bezüglich der Abholung
eines neuen Spezials verjchiedbene Jumuthungen gemacht worden waren,
die fie mit ihren Privilegien nicht vereinbar fanden. In einem unterm
6. Sept. erlafienen Beſcheid erklärte dev Markgraf, daß die Pforzheimer
die „ohne jein Miffen an fie begehrte Abholung zu thun nicht fchuldig,
und von ihnen, daß fie fich derem verweigert, ganz vecht geichehen, wie
er fie denn weder dies Orts, no fonften wider ihre Privilegien im
Geringſten zu befchweren nicht gemeint, fondern dabei der Gebühr hand:
zuhaben und vielmehr diejelben nach Gelegenheit zu vermehren, als zu
ſchwächen gedenke.“ — Der Markgraf befahl jenem Ober: und Unter:
vogt zu Pforzheim, Johann Heinrich Mosbach von Lindenfels und
Stephan Heinrich Haffner, diefen feinen Befehl dem Bürgermeifter, Ge:
richt und Rath der Stadt in deren Verfammlung vorzulefen und ihnen
zugleich zu erkennen zu geben, daß fie, wenn ihnen künftig wieder der:
gleichen zugemuthet oder font wider ihre Privilegien etwas zugefügt
würde, fie fi bei ihm „um Hülf, deren fie fich unfehlbar zu getröften,
anmelden follten,“ 2) Dies Alles mag es erklären helfen, warum bie
Pforzheimer dem Markgrafen Georg Friedrich jo fehr zugethan waren.
Den Schluß dieſes Abſchnittes möge die Zufammenftellung der
Namen der Angestellten machen, die ſich zu Anfang des 17. Jahr:
hunderts in Pforzheim befanden. 3)
1) Statuten der Schügengeiellihaft,. — Am Jahr 1824 follte die herrſchaftl.
Gabe von 7 fl. 30 Er. aufhören, auf erfolgte Verwendung jedoch gab Groß—
berzog Ludwig die Weiſung, daß die ganze Summe von 15 fl. fünftig vom
Domänenärar übernommen werden jolle. Die Schügengefellihaft fliftete aus
biejer Beranlajjung einen jilbernen Pokal mit den Bildnifjen Georg Friedrichs
und Ludwigs.
2) Kopialbuch im ftädtiihen Ardiv.
- 3) Eie fommen im älteften Taufbuch (1607 — 1646), in Kopialbüchern,
Urkunden ꝛc. vor,
364 Dreizebntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
Dberpogt: Johann von Münjter 1601, Martin von Zandt
1607, Hans Reinhard Mosbah von Lindenfels 1611—18, Johann
Georg Bertram von Herſchbach 1621--34. — Forftmeifter: Emft
Jak. von Remdingen 1608 — 141, Phil. Joach. Gremp von Freuden:
ftein 1618 ---21, Heinrich Truſchſeß von Hoffingen 1624— 27. — Forft:
verwalter: Hans Jak Deimling 1623. — Untervogt: Hieron
Bechler 1607, Stepb. Heinr. Hafner 1609-23, Joh. Ib. Dienft
1629—34, Georg Faber 1642. — Syndikus: Georg Zobel
1608—W. — Amtsteller: Thomas Drach 1609—18. — Land—
fhaftseinnebmer: Joh. Pfiſterer 1613—16, Wendel Lang 1617,
ob. af. Geiger 1636. — Münzmeiſter: ob. Jakob 1609 und
40 (Münzgejell: Klemens Feuchter 1610, — Geiftliher: und
Stifts-VBerwalter: Nik. Kaufmann 1607-9, Meldior May
1610— 20, Job. Mart. Schmidt 1626—31. — Gegenfhreiber:
Hans Aychele 1612. — Aerzte: Dr. Mathäus Müller, Phyſikus
4608 —11, Dr. Zach. Herler 1609, Dr. Job. Gemp 1611 — 34,
Dr. ob. Pet. Auchter 1615—21, Dr. Dav, Gamerarius 1516-18.
Apotheker: ob. Joach. Grieninger 1608 — 34, ob. Barthold
1615--42. — Geistliche, und zwar erfter Stadtgeiſtlicher- und
Superintendent: Benedikt Ungerer 1601, ob. Conr. Jenichius
1607 — 17, M. Stephan NRohrfelder 1622 — 29, Joh, Org. Wibel
1630-46. — Altjtädter Pfarrer: M. Ruprecht Graf 1607 —14,
M. Dav. Langenburg 1617—38, Job. Dav. Sauter 1641 — 45. —
Spitalpfarrer: Girtus Sartor 1608, Leonh. Kiftier 1612 —14,
M. ob, Berlodyer 1617, M. Ehrift. Heinz 1619, Nik. Emmi 1633,
M. Wolfgang Schaupp 1634—42. — Witprediger: Dr. Thom.
Wegelein 1613 und 14. — Diafonen: Joh. Konrad Roßnagel
1607, M. Rupr. Hammer 1608—10, M. Joh. Berlocher 1609 und
— 10, M. Job. Jak. Rülich 1612, Ad, Seiffnev 1616 und 17, ob,
Agrikola 1618—23, Job. Mel. Büchelein 1623 — 33, Peter Walz
1625 — 30, (1632 Pfarrer in Niefern), Eberh. Lutz 1633, (erſter
Diakonus), M. Conr. Stalp 1633 (zweiter Diak.), Joh. Säuterlein
1636. — Lehrer an der lateinifhen Schule, und zwar Rektor:
M. Joh. Oder 1607—10, M. Dav. Langenberg 1613, Chr. Welſch
1629, Albert Herold 1640—42. — Praeceptor primarius: M. Dar.
Langenburg 1612 und 13, Tob. Gartelius 1615 —17. — Praeceptor
secundae classis und Cantor: Alb, Herold 1626. — Deuter,
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert. 365
Schulmeifter: Konrad Henderlein 1607, Eudarius Demutb 1612,
Andr. Tarer oder Dachſer 1618— 34, Joh. Fenn 1646. — Organiſt:
36. Ib. Schertlein 1615 — 17 (in letzterem Jahr wird er „Organift
und Zoller“ genannt), — Das Amt eines Bürgermeitters be
Heidete 1607 — 1609 Peter Maler 1), 1611 6. Simmerer, 1614 —
1621 Jeremias Deſchler, 1622 — 1627 Wolf Karle, 1629 _ 1639
abwechſelnd Joachim Bub und Hans Felder, 1642—1665 abwechſelnd
Georg Meeber, Hans Beh und Hans Friedrich Kern ꝛc.
$ 4, Veligionsunruhen in Pforzheim,
(1601 — 1604.) 2)
Markgraf Ernft Friedrich hatte Freude am Umgang mit gelehrten
Männern, der indeß auf feine Glaubensanfichten einen gewaltigen Einfluß
ausübte. Lebterer ging, da diefe Männer alle der Falvinifchen Lehre
zugethan waren, zuletst fo weit, daß der Markgraf fi 1599 felber
öffentlich zu diefer Lehre befannte und jeine Glaubensanfichten in einem
Religionsbuch, dem jog. Stafforter Buch, nieberlegte. Ernſt Friedrich
verlangte num, daß das ganze Yand ebenfalls die reformirte Lehre an-
nehmen ſollte. Der Stadt Durlach) wurden Prediger diefes Bekennt—
niffes aufgedrungen, und das Gleiche follte auch in Pforzheim gefcheben,
Hier aber traf der Markgraf auf einen Widerſtand, den er in folder
Stärke ficher nicht erwartet hatte. Es verdient das, mas ſich damals
in Pforzheim ereignete, eine ausführliche Darftellung.
Um 2. Auguſt 1601 predigte der Superintendent Benedikt Ungerer
über das Evangelium von den fafchen Propheten und wandte ſolches
—
) Sein Bildniß, wie das feiner Frau Barbara, geb, Kercher, befindet ſich
auf dem Rathhaus.
2) Quell.n: Beftendiger und warhaffter Bericht, Erflärung und Defen:
fonicrift Herrn Peter Ebergen, der Rechte Doktorn, nnd deß ꝛc. Kammer⸗
gerichts zu Speyr Abvocaten, wider bie newe Staffortiihe Kalvinifter und
Zwinglianer, betreffend die fürgefallene Religionehandlungen mit ber Stadt
Pforzheym u. ſ. w. Dept aufs New überjeben, marginirt und mit Bewilligung
bei Auctoris nahgedrudt im Jahr 1603 (49%); — BVierordt, Gedichte der
evangeliichen Kirche in Baden, IT, ©. 33-36; — Manuftripte bes Landes:
archlvo Die weitere Literatur Über diefe Vorfälle ſiehe Sachs, IV., 269.
366 Dreizehntes Kapitel, Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
anf die veformirten Geiſtlichen an. Darüber fing ber Obervogt
Johann von Münfter, der dem Gottesdienft amwohnte, in der Kirche
ſelbſt einen ärgerlichen Lärm an und ftieß die Drohung aus, „daß er
die lutheriſchen Geiftlihen in ihrer Religion zu Schanden machen ober
ein Schelm fein wolle.” Der Superintendent beſchwerte ſich darüber
bei dem Fürften, erhielt aber ftatt einer Antwort nad) einigen Tagen
ſammt dem Diakon, dem Spitalpfarrer und dem Pfarrer der Altftadt
feine Entlaffung. Die Bürger baten um Wiedereinfegung ihrer Geift-
lichen oder doch um andere augsburgiicher Konfeffion aus dem Oberland
oder dem benadhbarten Württemberg, fanden aber bei Hofe fein Gehör,
jo daß die Stadt einige Zeit ohne Seelforger war.
Am 29. Auguft fam eine Kutſche („mit vier weißen Pferden be:
ſpannt“) in Pforzheim an, welche den Statthalter Wilhelm Peblis
fammt drei veformirten Geiftlihen brachte. Auf die Nachricht davon
liefen die Bürger auf ihre Zunftituben zufammen und verpflichteten ſich
durch Handtreue, daß fie die kalviniſchen Prediger nicht annehmen woll-
ten. Am folgenden Tag (30, Auguft) ließ der Statthalter die Bürger:
ichaft auf das Nathhaus zufammenberufen („in ein Zimmer, welches
fonft ein Tanzboden war,“) hielt in Gegemvart des Obervogts, des
Sekretärs Grell und ber reformirten Geiftlihen eine Anrede wegen der
„Abſchaffung“ ihrer bisherigen Prediger und ftellte den Bürgern ihre neuen
Seeljorger vor. Er fonnte aber feine Rede nicht vollenden, weil die
Bürger zu räujpern, zu jchreien und mit den Füßen zu ftampfen ans
fingen, viele auch fih aus der Werfammlung entfernten. Es blieb dem
Statthalter zulett nichts Anderes übrig, als das Gleiche zu thun und
fi auf das Schloß zu begeben, er wurde aber auf der Straße von
der lieben Jugend und dem Pöbel verböhnt. 1) Nachmittags verſam—
melte fid die Bürgerfchaft abermals und befchloß, an den Markgrafen
die dringende Bitte zu richten, der Stadt die kalviniſchen Prediger ab:
zunehmen und ihr dafür Tutherifche zu geben. Zugleich wurde das Un:
weſen entfhuldigt, das die Jugend und das Gefinde angefangen, Auch
darauf erfolgte Feine Antwort; es fehlte jedoch nicht an Anzeichen von
gewaltſamen Manfregeln, welche man geyen die Stadt im Sinne hatte.
Darauf deutete man wenigftens auch die Anweſenheit eines pfälziſchen
Hauptmannd aus Bretten, der mehrmals über den Markt ging, was
——e
*) „Sie bohrten ihm den Ejel mach und ſchabten Rübchen.“
Dreizehntes Kapitel, Pforzheim wom 16. zum 17. Jahrhundert. 367
aud nicht ohne Verſpottung des Pöbels ablief. Auch ein Talvinifcher
Geiftliher, welder aus dem Wirthshauſe herausfehen wollte, wurde
ausgelacht, bis er endlich die Stadt wieder verließ. 1) Da die Pforze-
beimer von Hofe feinen Beſcheid erhichen, waren fie auf ihrer Hut,
nahmen den Neichsfammergerichtsadvofaten Ebert?) zu ihrem Sad:
walter an und jchwuren am 11. Sept, auf öffentlichen Markt unter
freiem Himmel, daß fie bei der reinen Lehre der augsburgifchen Kon:
feſſion leben und fterben wollten. 3) Hierauf liegen fie fich ein beſon—
deres filbernes Siegel mahen, auf weldem um das Bild des aufer:
ftehenden Grlöfers die Worte eingegraben ftanden: „Siegel der Ein
tracht zu Pforzheim“ (Sigillum Concordiae Phorcensis), verfiegelten
damit eine jchriftliche Erklärung, welche fie dem Markgrafen nad Dur:
lady jandten, und wählten einen Ausihuß von 13 angejehenen Männern,
welche die Neligionsgeichäfte beforgen und fich durch einen feierlichen Eid
verpflichten mußten, die augsburgiihe Konfejfion unverändert den Nach-
kommen zu überliefern. Der Ausihuß ſchickte auch auf Verlangen des
Magiftrats und der Bürgerfchaft den Stadtjchreiber nebft einigen andern
Bürgern an Markgraf Georg Friedrich, als ihren Fünftigen Erb:
herrn, auf die Hochburg ab, um feinen Beiftand in ihren Religionsbe—
drüdungen zu erbitten. Er gab ihnen die Erklärung, daß er an ihrer
Beftändigfeit, mit welcher fie in der einmal erfannten Wahrheit verharren
wollten, ein gnädiges Wohlgefallen habe; fie möchten ſich aber in Allem
1) „Uber jo voll, daß man hätte die Thür mit ihm aufrennen können,“
fagt Ebertz a. a. O. ©. 218,
2) Er war aus Jony geblrtig und mit einer Pforgheimerin verheirathet.
(Bierorbt, IE, 55.)
2) Derjelbe Eid lautet (in heutigem Deutih): „Sch gelote und ſchwöre
freiwillig, ungezwungen und ungebrungen einen leiblichen Eid zu Gott dem
Allmächtigen, daß ich zur Ehre Gottes, zur Erhaltung der wohlhergebrachten
augsburgiſchen Konfeffion und zur Verhütung alles Verweiſes bei ben Tieben
Nahlommen einer ganzen Gemeine Pforziihen Bürger: und geihworenen
Brübderfchaft zur Behauptung der väterlichen Religion mit Leib, Gut und Blut
treuen Briftand leiften und was dem Einen Widriges Tegegnet, jo anjeben
wolle, als jei cs mir felbft widerfahren; dem Gegner, wer der auch fein möge,
nichts Geheimes offenbaren, auch auf des von der Bürgerſchaft erwählten Ge:
ihrwornen-Ausichuffes begcehren aud da, wohin ich beichieden werde, einftellen
wolle; jedoch unferm gnädigen Fürften und Herrn in weltlihen Sachen unter:
thänigen gebührenden Gehorjam zu Teiflen unbenommen, Sp wahr mir Gott
belfe unb das heilige Evangelium!“
363 Dreizehntis Kapitel. Pforzbeim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
einer chriftlichen Beſcheidenheit befleißen, Für den Notbfall jagte er
ihnen feinen Beiftand vor dem Meichsgerichte zu.
In Durlady ſchienen die kalviniſtiſchen Räthe des Fürſten mittler:
weile eingejeben zu haben, daß man im Pforzheim etwas zu plump
vorangegangen wäre Sie fuchten deshalb alle Schuld der Unruhen,
die darob entitanden, auf den dortigen Obervogt zu wälzen, und theilten
dem Rathe der Stadt in einem fürftlihen Schreiben mit, man wolle
den Obervogt, weil man bemerfe, daß er in Pforzheim gehaßt wäre
und daß wohl feinetiwegen die dortigen Unruhen entjtanden jeien, von
dort verfegen. Er bekam auch wirklich die Weifung, fih nad Rem—
hingen zu begeben, verließ aber Pforzheim nicht, ohne den Bürgern noch
eine Meine Abichiedsrede zu halten. Es war nämlich am Tage feines
Abganges (17. Sept) Morgens 2 Uhr ein beftiges Erdbeben entitan:
ben; darauf hin hatte Münfter die Schwachheit, zu fagen, das fei ge:
ichehen, weil die Pforzheimer nicht Falvinifch werden wollten. („Für
einen proteftantifchen Edelmann ift dies faft zu läppiſch“, fest Ebertz
hinzu.)
Am nämlichen Tag entſtand aber in Pforzheim noch die größte
Verwirrung. Es hatte ſich nämlich das Gerücht verbreitet, daß die
Stadt in der kommenden Naht durch einige Hundert Mann Kriegs—⸗
knechte vom Schloßthor aus Überrumpelt werden ſolle. Es fand dies
Gerüht um fo mehr Glauben, da der Obervogt in Begleitung eines
marfgräflihen Hauptmanns an diefem Tage fehr fchnell abgereist war,
verfchiedene verdächtige Bürger ihre Effekten geflüchtet hatten und mehrere
Kaufleute, welche von der Frankfurter Mefje kamen, in Pforzheim nicht
übernachten wollten, fondern nad Tiefenbronn weiterritten. Ueberdies
vermuthete man einige Kompagnien pfälzifher Truppen in dem nahen
Heidelsheim, welche ſich dafelbft im Einverftändnig mit dem Markgrafen
zufammengezogen hätten. Alles in der Stadt gerieth nunmehr in De:
wegung. Die Bürger rüfteten ſich zu emergiicher Gegenwehr und ver:
ſammelten fih auf ihren Zünften; man verftärkte die Wachen und ftellte
au außerhalb der Stadt an mehreren Orten Spähwachen aus, fo auch
eine am Klaffnert (dem Wald gegen Durlach). Gegen Morgen er:
blicte diefe von ferne mehrere Fackeln, welde ſich gegen die Stadt zu
bewegten. Aufs ſchnellſte eilten nun die Spähmwächter mit der Kunde
in die Stadt, daß der Feind im Anzug begriffen je. Der Wächter
am Brößinger Thor meldete es fogleid) dem Dr. Ebertz; noch fchneller
Dreischntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 369
aber verbreitete fi in der Stadt die Kunde, daR bereits 400 Mann
in das Schloß gingelafien worden feien und die Gefahr den höchſten
Grad erreicht Habe. Ebertz nahm fih kaum Zeit zum Ankleiden, hing
ſich jelbft die Lärmtrommel um und ſchlug durch einige Straßen tüchtig
drauf los, bis der Stadttrommler fam und ihn ablöste Ebenfo wurde
die Sturmglode geläutet. Schnell hatte fich die Bürgerfchaft, der fich
die in Pforzheim Wohnenden vom Adel anichloffen, auf dem Marktplage
verfammelt, und Ebert rückte mit einem Theil derfelben vor das Schloß
mit der Aufforderung, ihm das Thor augenblicklich zu öffnen. Dem
Berlangen wurde durch des Amtskellers Schreiber fogleich entſprochen;
man fand aber im Schloß feine Spur von Truppen, beſetzte es jedoch
mit entjprechender Mannſchaft und lieh es mit einer Wagenburg umgeben,
Enbdlid) brach der Tag an; allein es war von Kriegsvölkern weit und
breit nichts zu fehen; wohl aber erfuhr man, daß wegen des Todes des
Ritters Wolfgang Dietrih von Gemmingen, welcher Tags zuvor in
Durlach geftorben, zwei Boten abgejchidt worden feien, welche ſich ber
Dunkelheit halber mit Fadeln verjehen hätten. Dieje hatten nım ben
Alarm in der Stadt veranlaft, Es mag an diefem Tag in Pforzheim
an langen Gefichtern nicht gefehlt haben.
Die Bürger mochten wohl denken, daß der Markgraf die Nachricht
von diefen Vorgängen nidyt gleichgiltig aufnehmen werde, und fchickten
deshalb am nämlichen Tag noch (18. Sept.) ein Entihuldigungsichreiben
nah Mühlburg ab, wo der Fürſt damals ſich anfhielt. Diefer, aufs
Heftigfte erbittert, verjammelte fogleic feine Näthe um ſich; aber fie
fanden die Anwendung von Waffengewalt unförderlih. Zwar der per:
ſönlich beleidigte Statthalter Peblis fchrieb drohend an die ftädtiiche
Obrigkeit zu Pforzheim, er werde fie alle mit Weib, Kind und Gefind
peinlich belangen; aber doch rieth er dem Markgrafen, man folle dem
reformirten Kult vorerft nur eine der Pforzheimer Kirchen zu öffnen
ſuchen. Auch der Dbervogt Münfter rieth von gewaltſamem Vorgehen
gegen eine Bürgerfchaft ab, mit der er nicht fertig hätte werden können,
obgleich er als Amtmann zu Wied am Niederrhein eine ganze Graffchaft
zur rechten Lehre belehrt habe. Es ſei namentlich zu befürchten, daß
viele von der Bürgerfchaft am Ende auswandeın und dem Markgraf
bedeutende Einnahmen an Zoll, Stener und Schakung verloren gehen
Pflüger, Pforzheim, 24
370 Dreigehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert,
möchten, Ebenſo war ein anderer rechtögelehrter Rath, Juſtus Neuber,
der Anficht, daf man die Sache etwas jubtiler hätte angreifen und nicht
drein fahren jollen, wie „der Hagel in die Häfen.“ Hätte man vorerft
gefucht, einige Pforzheimer für die reformirte Lehre zu gewinnen und
dahin zu bringen, ſelbſt um eimen Falvinifchen Geiftlichen anzubalten, fo
wäre es ficherlich beffer gegangen und die neue Lehre würde den Bür-
gern ſelbſt nicht mißfällig gewefen fein. In gleihem Sinn ftimmten die
übrigen Näthe (Joh. Rupr. Tiſchelin, Jakob Commali und Karl Paul);
fie wiefen auf die Gefahr eines allgemeinen Aufftandes bin, da auch
das Landvolk gut lutheriſch gefinnt fei und die Stadt Pforzheim auf
den Beiltand des Markgrafen Georg Friedrich zähle.
Darauf bin beſchloß der Markgraf, der Sache einen mehr politifchen
Charakter zu geben, die Religion weniger ins Spiel zu bringen, aber
gegen die unrubigiten Köpfe unter den Bürgern, namentlich gegen ihren
Rechtsbeiſtand Dr. Ebert, einen peinlihen Prozeß einzuleiten. Er
jandte darum am 25. September zwei Offiziere, den Hauptmann Karl
von Schernftetten und den Lieutenant MWeinfchent, nach Pforzheim und
gab ihnen ein Schreiben mit, worin er der Bürgerichaft ihr Benehmen
gegen den Statthalter Peblis, den Obervogt v. Münfter, ihren Troß,
ihre Halsftarrigkeit und ihr aufrühreriſches Weſen vorbielt und ihnen
gebot, ihr Bündniß aufzugeben; denen, die davon abgingen, follte ver:
ziehen, die übrigen aber mit peinlihen Strafen belegt werden, Am
26. September Vormittags 9 Uhr verfammelten diefe Abgeordneten
die Bürgerfchaft und lafen nach vorausgegangenem Trompetenfhall den
fürftlichen Befehl vor. Die Bürger verlangten eine Abichrift und Be:
denfzeit; erjtere wurde verweigert, leßtere bis Mittags 1 Uhr geftattet,
Während der Zwifchenzeit verfaßten die Bürger eine Erklärung und
Iafen fie öffentlich ab. Sie fagten darin, daß es nie ihr Wille geweſen,
noch wirklich fei, ihrem Fürften ungeborfam zu fein; fie verlangten mur:
1. bei ihrer bisherigen Iutberifchen Neligion gelaffen zu werden; mur
diefe hätten fie beichüten wollen, was fie bei ihrem ide bezeugen
könnten; 2. verlangten fie, bei ihrem Neligionseide zu bleiben, weil folder
gegen Niemanden gehe; 3. bäten fie aud um einen Iutherifchen Super:
intendenten und um Bejorgung von Kirche und Schule durch lutheriſche
Geiftlihe, und 4, um Mittheilung des fürftlichen Befehls, um fich ver
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert. 371
antworten zu können. Die fürftlihen Abgeordneten gingen auf biefe
Begehren nicht ein, bemühten fich aber, die Bürger zum Abfall von
ihrem Religionseid zu beivegen und betbenerten dabei mit derben Flüchen
(„der Teufel jolle fie mit Leib und Seel! holen“), daß der Religion
der Pforzheimer fein Eintrag mehr geichehen und daß Ebertz ſicher
Geleit Haben ſolle. a, der Hauptmann von Schornitetten erbot fi
fogar, ihnen die Kapitalbriefe über viele taufend Gulden, die er bei der
Landſchaft Liegen babe, als Unterpfand für die Aufrichtigfeit feiner Be:
theurungen zu hinterlegen. Die Bürger fchienen nicht ganz abgeneigt,
denfelben Glauben zu schenken, wurden aber von Eberk bald wieder
„berumgebracht,* Mittlerweile war vom Markgrafen der Befehl einge:
laufen, Ebert zu verbaften und gefangen nah Durlach abzuführen.
Als deshalb am andern Tage die beiden Abgejandten ſich abermals auf
dem Rathhaus eingefunden hatten, um diejenigen Bürger aufzunehmen,
welche bei dem bürgerlichen Huldigunggeid verharren wollten, (dazu
waren wohl alle geneigt ,) wurde jedem Einzelnen bei ſchwerer Xeibes:
ftrafe geboten, ſich des Dr. Ebertz in feiner Weile anzumehmen und
ruhig nad Haufe zu gehen. Um 4 Uhr Nachmittags wurde nun auch)
Ebert vorgerufen. Er ſäumte nicht, zu erfcheinen, da er fich zu jeder
Berantwortung bereit finden lafjen wollte, war aber nicht wenig erjtaunt,
als man ihm Arreft ankündigte und ihm befahl, alle Akten, die Huldi—
gung betreffend, ſowie auch das Geld, das die Bürger zufammengefchofien,
auszuliefern. Ebertz erklärte fih zu Allem bereit, jogar zum Arreſt,
wenn man ihm die Verficherung gebe, daß ihm keine Gewalt angethan
werde. Das wurde von den Abgeordneten zugefagt, jedoch am folgenden
Tage bei Fortiegung der Verhandlungen dazu bemerkt, daß Ebertz laut
eingetroffenen fürftlichen Befehls nach Durlach verbracht werden müſſe.
Dagegen proteftirte Ebertz, weil ihm natürlidy bei der Sache nicht wohl
zu Muthe war, und da ihm ohnehin Verfchiedenes, was in feiner Gegen:
wart vorging, jehr verdächtig erfchien, jo paßte er einen günftigen Augen:
blit ab und fprang unverfehens zur Thüre hinaus, Unter dem lauten
Zurufe, dag man ihn halten folle, folgte ihm Schernftetten nad, faßte
Eber& beim Aermel, als diefer eben das Treppengeländer ergriff, konnte
ihn aber nicht zurüdziehen, und jo purzelten Beide miteinander die halbe
Treppe hinunter. Mittlerweile war aud der Lieutenant Weinjchenf
j 24 *
372 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert,
nachgefprungen, brachte den Kopf Ebertz's unter feinen Arm, verftopfte
ihm, da er fortwährend laut nach den Bürgern fchrie , den Mund und
griff ihm nach der Gurgel, Durch das Rufen und Schreien aufmerkfam
gemacht, ſprang jegt ein Bürger, ein Wollenweber, mit einer Urt herbei,
ſchwang dieſelbe drohend gegen Weinſchenk umd rief aus: „Daß euch
potz Saferment ſchänd! Heißt das Fried und Geleit zugejagt ?“ Es wäre
jeboch um Ebert geſchehen geweien, da jetzt auch einige Kriegsfnechte
die Treppe herab nad) ihm ftießen, wenn ihm nicht der Schreiner Fo:
Hann Eichelin mit einer Hellebarde zu Hilfe gefommen wäre, Wein—
ſchenk mußte num von Eberg ablafjen, der mit einem Sa die Treppe
hinunter fprang und auf den Marktplatz eilte, wo ſich bereits die Bür—
gerichaft in Waffen aufzuftellen begann. Alles war aufgebracht über
das Benehmen der Offiziere, die nun im Rathhaus in fiherm Gewahr:
ſam gehalten wurden, („fie hatten fi) im Adler eine Mittagsmahlzeit
beftellt, daraus wurde aber eine Abendmahlzeit, weil fie bie 6 Uhr
Abends eingefperrt waren; nach mancherlei Veriprechungen wurden fie
endlich fortgelaffen und im Wirthshaus bewacht,“) bis Eberg ins Nürts
tembergifche in Sicherheit gebracht war. Von dort ging er über Bruch:
fal nach Speier, wo er zwar auf Begehren des Markgrafen durch ben
Magiftrat gefänglich eingezogen, aber durch das Reichskammergericht
bald wieder befreit und auch gegen ‚die ferneren Verfolgungen Ernft
Friedrichs in Schub genommen wurde,
Man follte nun glauben, die Erbitterung des Markgrafen müßte
einen noch höheren Grad erreicht und ihn zu noch fchärferen Maaßregeln
gegen die Pforzheimer bewogen haben. Von Beidem fand aber das
Gegentheil ftatt. Es fcheint, daß es den Bemühungen einiger Bürger,
darunter namentlic des Apothefers und Rathsherrn Mich. Joh. Grie-
ninger, gelang, den Markgrafen zu befänftigen und ihm über die '
Berhältnifie zu Pforzheim eine andere Anficht beizubringen. Auch war
ja jet derjenige, ben der Fürft für den Hauptanftifter und Rädels—
führer bei den Pforzheimer Unruben hielt, nämlich Ebertz, aus der
Stadt entfernt. Genug, es lief am 29, September ein Schreiben an
jene beiden Offiziere ein, worin der Markgraf ſich anheiſchig machte,
zur „Erklärung feines fanftmütbigen Gemüths“ den Bürgern ihre be:
gangenen bochiträflichen Frevel zu „condoniren und nachzuſehen“, wenn
Dreizchntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert. 373
fie die Bewachung der beiden fürftlichen Gefandten aufgeben nnd ver-
iprehen wollten, fidy des Dr. Eberb, dieſes ehr: und eidvergeffenen Ge:
jellen, welcher uns an unferer fürftlichen Ehr und Vepntation und in
anderm eg ehrendiebifcher, freventlicher Weile angegriffen,“ nicht mehr
anzunehmen. In einem Boftjeriptum zu dieſem Echreiben heißt es fer:
ner: „Uns jammert der armen unverjtändigen und verblendeten Leute
zu Pforzheim, daß fie um des ehr: und eidvergefienen Mannes, Peter
Ebertz willen, neuen Tumult angefangen und unter fo viel Hunderten
nicht Einer geweſen, ber da bedacht hätte, daß ſolches Ehrendiebes Ver—
baftung ihnen mehr zur Gnade, denn zur Ungnade angejeben, ja mehr
zur Ehre, denn zur Unehre, wie auch ihren Weibern und Kindern zum
Beiten gereicht ꝛc.“ Genug, die Pforzheimer fcheinen bezüglich der bei—
den Vefangenen dem Markgrafen zu Willen gemejen zu fein und auch
bald darauf ihre Iutberiichen Prediger, mit Ausnahme des Superinten:
benten,, wieder erhalten zu haben. Damit war ja auch der Grund zu
weiterer Widerſetzlichkeit für jetzt befeitigt.
Allein nah fast drei Jahren brady der Sturm, und zwar ernftlidher
als je, von Neuem los. Es follte ein wiederholter Verfuh gemacht
werden, die Stadt Pforzheim zur reformirten Lehre zu bringen, und
zwar, da andere Mittel fruchtlos erichienen, durch Gewalt. Am
14. April 1604 zog der Markgraf an der Spite einer Anzahl Solba—
ten, die er durch bewaffnete Bauern verſtärkt hatte, von Durlach aus gegen
die unfügfame Stadt, Als die Nachricht davon in Pforzheim eintraf,
verrammelten die Bürger ihre Thore mit Laftwagen und ähnlichen
Mitteln, wie fie die Eile des Augenblides ihnen darbot und griffen zu
den Waffen, um bie drohende Gefahr mit ftandhaftem Muthe zu em:
pfangen. Doc die weitere Kunde, die bei ihnen eintraf, lautete auf
eine ganz andere und unerwartete Weije. In Remchingen, dem ſchon
mehrerwähnten Flecken, der fich zwifchen Durlach und Pforzheim befand 1),
) Im Jahr 1735 war von demſelben noch die Kirche vorhanden und
wohnten bei derſelben aber nur noch 6 Haushaltungen. Die Orte Wilferdingen,
Singen und Kleinfteinbad waren bamals dahin eingepfarrt. (Pforzheimer
Diozes:, Kirchen: und Schulbeihreibung von 1735 im Landesarchiv.)
374 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
wurde der Markgraf an jenem 14. April vom Schlagfluß getroffen, der
feinem Leben nody am gleichen Tage ein Ende machte. Die Tradition
gibt als Grund davon den Aerger an, welchen der ſehr ftarf beleibte
Ernft Friedrich in Remchingen bei der eben eintreffenden Nachricht em:
pfunden babe, daß Pforzheim fich zur entichlofjenften Gegenwehr rüfte,
In ftillem Zuge kam feine Leiche in diefer Stadt an, um im fürftlichen
Erbbegräbniß dafelbft beigefeßt zu werden. Mit feinem Tode und
dem Negierungsantritt Georg Friedrichs hörten alle Religiongbedrüdun:
gen auf.
VBiersehntes Bapitel
Pforzheim während des dreißigiährigen Krieges. ')
(1618 — 1648.)
$ 1. Einleitung.
Der im Jahr 1555 zu Augsburg abgeicloffene Neligionsfriede
(S. 320) war leider nur ein Äußerlicher geweien. Unter dem evange—
liſfchen und katholiſchen Ständen Deutjchlands und den verichiedenen
Neligionsparteien überhaupt herrſchte feine Eintracht, fondern der Riß
wurde von Jahr zu Jahr größer, der Hader immer bitterer, bis endlic,
ein Krieg ausbrach, blutiger und anhaltender, als felbft die ſchwärzeſte
Ahnung ihn hätte vorausfagen können,
Da das gegenfeitige Mißtrauen zwiſchen Katholiten und Proteftan:
ten allmälig einen hohen Grad erreicht hatte und durch jeden ausgebo-
benen Soldaten, jeden reifenden Gejandten, jeden Kourierwechſel genährt
wurde, jo traten die meiften evangelifchen Fürften Deutichlands 1608
zu einem Bündniß zufammen, dag fie Union nannten. Zu den eif:
rigften Mitgliedern derfelben gehörte Markgraf Georg Friedrich von
Baden-Durlach. Ihm wurde das Kommando über einen Theil ber
aufzuftellenden Unionstruppen, nämlich die Neiterei, übertragen, während
der Kurfürft von der Pfalz das Direktorium des Bundes erhielt. Die
Gründung der Union rief bei den katholiſchen Nürften eine ähnliche Ver:
einigung, bie Liga, hervor, an deren Spike der Kurfürft Marimilian
von Baiern fich ftellte. Auf beiden Seiten wurden die umfaffenditen
Kriegsrüftungen betrieben, und auch in Baden-Durlach wußte der Mark:
graf die Zahl feiner Truppen nad und nad jo zu vermehren, daß er
im Jahr 1617 über eine Heeresmaht von 15,000 Mann, darunter
1) Quellen verfchieden, meift betr. Drts angegeben. J
376 Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißinjährigen Krieg.
viele geworbene Truppen, Mujterung halten konnte. Es gehörten dazu
auch die 4 Landwehrregimenter, die er gleich den übrigen Fürſten der
Union errichtet hatte, nämlich Unterbaden, Oberbaden, Hochberg und
Rötteln. Das erftgenannte hieß auch das weiße Negiment und beftand
aus Angehörigen aller zwiſchen Pforzheim und dem Rhein gelegenen
Drte. Eine der 9 Kompagnien des Megimentes hatte die Stadt
Pforzheim geſtellt. — Sole Kriegsrüftungen legten dem Lande
- fhwere Raften auf, „Man ift in diefem Jahre“, fo klagt 1614 die
Chronik des badiſchen Dorfes Britingen, 1) „mit Muſtern und Ererziven
der Untertbanen heftig umgegangen und bat, mit Weränderung ber
Mehren zu Fuß und zu Roß, auch mit Röcken und Kleidungen ber
ausgewählten Truppen große Koften gemacht.“ Nicht Tange nachher
erging aud ein Befehl des Markgrafen an feinen Vogt und Oberft-
lieutenant Bertram v. Herſchbach zu Pforzheim, nach welchem- er bezüg-
lich der Befeftigungswerke der badifhen Städte und Schlöffer genaue
Inſpektion halten und, wo nöthig, zu SHerftellung derielben das Erfor:
derliche vorkehren follte, 2) Vielleicht zu theilmeiier Dedung ſolcher Koften
oder ähnlicher Ausgaben war der Markgraf genöthigt, am St. Thomas:
tag (21. Dez.) 1617 bei den Pforzheimer Antsfleden ein Anlehen
von 1720 Gulden zu machen, das 4 Jahre lang nicht, nah Umfluß
berjelben aber, wenn noch nicht beimbezahlt, mit 5 vom Hundert verzinst
werben follte. 3)
Zur Erhöhung feiner Truppenmacht hatte nun freilich Georg Fried:
rich noch einen bejondern Grund Wie ſchon (S. 354) erzählt, befand
fi die Markgrafichaft Baden-Baden fortwährend in feinem Beſitz, weil
er den Kindern des Markgrafen Eduard Fortunat, der 1600 geitorben
war, die Erbfähigfeit nicht zugeftehen wollte. Sowohl die Mittwe
desjelben, als ihr äÄltefter Sohn Wilhelm fuchten die Anfprüche des
Lestern auf Baden» Baden zur Geltung zu bringen, Erſtere veiste
überall umber, und bei den Fatholifchen Fürſten und dem Kaifer felbft
fand fie ein um fo bereitwilligeres Ohr, als ihr Sohn eben diefer Kirche
—.
ı) Bierobt, I., 152,
2) Aften des Generallandesargivs,
3) Dbligatio von Herrn Markgraf Georg Friedrich Durqhlauqht geg. die
Pforzheimer Amtoflecken; im Stadtarchiv.
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 377
angehörte, während Georg Friedrich ein eifriger Lutheraner war. Bei
Ausbruch eines Krieges fand, fo fürdstete der Markgraf, der Befit von
Baben-Baden auf dem Spiel, und um ſich denfelben zu fichern und
nöthigenfalls felbft durch Maffengewalt zu vertheidigen, hatte er fo aus:
gebdehnte Rüftungen veranftaltet. Es Sollte fich ſpäter zeigen, daß feine
Befürchtungen nicht ungegründet waren.
Im Jahr 1618 brach in Böhmen der Krieg endlih aus, der
Deutichland dreißig Jahre lang verbeeren und fo unfäglihes Elend auch
über unfer engeres Vaterland und über Pforzheim bringen follte. Aus
den Trümmern zweier böhmischen Kirchen, welche die proteftantifchen
Untertbanen katholiſcher Gutsherrn gebaut hatten, die aber auf Befehl
der letztern wieder niedergeriffen wurden, fchlug die verberbliche Flamme
des Krieges empor.
82. Die erften Jahre des Krieges.
(1618— 1622,)
Die Böhmen hatten dem Kaifer Mathias den Gehorſam aufge:
fündigt und wollten nach defien Tode, durch glüdlihe Waffenthaten er:
mutbigt, audy feinen Nachfolger, den bigotten Kaifer Nerdinand IL,
nicht als ihren König anerkennen, fondern beriefen den Kurfürſten Fried:
rih V. von der Pfalz auf den böhmischen Thron, zu welchem er aber
weder Kopf, noch Herz, noch eine zum Kampfe geeignete Fauft mit:
brachte. In kurzer Zeit hatte fich deshalb das Waffenglück gewendet,
und mit Blipesichnelle ftürzte das vereinigte Heer der Liga ımd des
Kaifers, unter der Anführung Marimilians von Baiern, über das un:
glüktihe Böhmen, Am weißen Berg bei Prag wurde das Heer Trieb:
richs 29. Dit. (8. Nov.) 1) geſchlagen, und der König begab ſich auf
1) Die Lejer werben in der Geſchichte des 30jährigen Krieges ſowohl, als
während bes ganzen 17. Jahrhunderts, immer doppelten Daten begegnen.
Dies rührt von ber Kalenderverbefferung ber, die 1582 durch Papft Gregor XIII.
deöwegen vorgenommen wurde, weil ſich herausgeſtellt hatte, daß ber bisherige
julianifhe Kalender unrichtig und man damals in der Zeitrehnung um 10
Tage zurüd war. Es wurden deshalb im gemannten Jahr 10 Tage ausge:
X
378 BVierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
die ſchleunigſte Flucht. Da während feiner Abmwefenbeit aus der Pfalz
die Spanier unter Spinola in diefe eingedrungen waren, fo ſuchte er,
vom Kaifer geächtet und feiner Würde und feines Yandes für verluftig
erklärt, feine Zuflucht in Holland. Seine Sache jchien vettungslos ver:
foren, erhob fi aber von Neuem gegen die furchtbare Uebermacht
Deftreihs , Spaniens und der Liga durch die Tapferkeit einiger Män—
ner, welche für den Kurfürften und zugleich für die gefährdete proteſtan—
tische Kirche das Schwert ergriffen. Es waren dies der Graf Ernſt
von Mansfeld, der Herzog Chriftian von Braunfchweig und bald darauf
au der Markgraf Georg Friedrih von Baden.
Mar der Schauplag des Krieges in den eriten Jahren feiner
Dauer auf Böhmen und Deftreic bejchränft geweien, jo breitete er
fih bald über ganz Deutjchland aus und wurde ſchon im ‚Jahr 1621
in unfere Gegenden verlegt. Mansfeld, aus Böhmen verdrängt, hatte
ſich bis in die Mheinpfalz durchgeſchlagen und kämpfte bier nicht ohne
Erfolg gegen die eingedrungenen Spanier. Im Spätjahr 1621 brands
haste er Bruchfal und die übrigen bifchöflichen fpeieriichen Orte, und
bei diefem Anlaffe erhielt Pforzbeim jeine erften Kriegsgäfte, welde
duch ihre Ankunft nur zu deutlich verriethen, daß ihnen bald ſchlim—
mere nachfolgen würden. Es waren dies Einwohner von Bruchſal, ſowie
der umliegenden Orte, namentlicy von Grumbad und SHeidelsheim, welche
in Pforzheim vor den Mansfeld'ſchen eine Zuflucht fuchten. (13., 30.
Nov, 12.— 21., 26. Dez. 1621, 9. Jan. 1622)1). Der Graf von
Mansteld begab fich indefjen bald auf die linke Mheinfeite zurüd, wo er
dem biſchöflich ſtraßburgiſchen Gebiet ein gleiches Schickſal wie dem
fpeierifchen bereitete. Mittlerweile war auch der liguiſtiſche General
Tilly vom Main ber dur den Odenwald und das Nedarthal in die
Pfalz vorgedrungen, um den rechtsrheiniſchen Theil derfelben für den
Herzog Mar von Baiern zu beſetzen, während der Spanier Spinola
laffen und die erforberlihen Einrichtungen getroffen, um ber Wiederkehr äbn:
licher Jrrungen vorzubeugen. Den neuen verbeflerten oder gregorianiichen Ka:
lender nahmen aber bamals nur die Katholifen an; die Proteftanten entichloffen
fi viel jpäter erft dazu. Man hatte deshalb nod lange zwei Kalender neben
einander, nämlih den „alten“ und den „neuen Stils“, baher die doppelten
Daten. Das Datum neuen Stils ift oben immer in Klammer beigejegt.
*) Städtiſches Kirhenbud von 1607—1646, ©, 140, 141 und 142.
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreigigiährigen Krieg. 379
in der überrheinifchen Pfalz ftand. Zu diejen zwei feindlichen Heeren
fam noch ein drittes, welches der Bifchof von Straßburg, Erzherzog
Leopold, im Elſaß zufanınsengtaogen batte, — Grund genug für Mark:
graf Georg Friedrich, auf feiner Hut zu fein, um fich von dem drohen—
den Gewitter, das ſich über ihm zuſammenzog, nicht umvorbereitet
überfallen zu laſſen. Er fuchte deshalb feine ſchon ſehr beträchtliche
Truppenmacht noch mehr zu vergrößern, nahm den Herzog Wilhelm
von Weimar und deſſen ſpäter jo berühmt gewordenen Bruder Bern:
hard, ſowie den Herzog Magnus von Württemberg in feine Dienfte
und ließ in der Schweiz, den jüddeutichen Reichsſtädten und Weſtpha—
len erneuerte Werbungen anftellen. Es ſcheint, daß die Söldlinge,
welche Herzog Magnus dem Markgrafen zuführte, ſammt ihm einige
Zeit in Pforzheim in Garniſon lagen. Wenigſtens wird der Küchen—
meiſter des Herzogs als in der Stadt anweſend aufgeführt. Ein Ka—
pitin diefer Truppen hieß Georg Wolf von Landsberg, der ung am 26.
Dez. 1621 und 9. Jan. 1622 begegnet. Das Korps, weldes im
März als in der Stadt legend erwähnt 1) und von weldem ein Ka—
pitän Gültlinger, ein altwürttembergifcher adefiger Name, genannt wird,
ift wohl dasfelbe geweien.
Noch hatte indeffen der Markgraf am Kriege feinen thatfächlichen
Antheil genommen, und Oeſtreich gab fih alle Mühe, ihn nicht nur
davon abzuhalten, fondern ihn auch zur Entlaffung jener Truppen zu
bewegen. Der Erzherzog Leopold fuchte ihm namentlich darzuthun,
daß feine Befürchtungen wegen der Herausgabe von Baden-Baden ohne
allen Grund ſeien. Allein der Marggraf traute ſolchen Verſicherun—
gen nicht, und als vollends der vertriebene König Friedrich von Böhmen
aus feinem Eril unerwartet in Landau antam, mit Mansfeld in Ger:
mersheim zufammentraf und einen Eilboten um den andern an Georg
Friedrich mit der Bitte um Hilfe fandte, da brachte die ritterlihe Ges
finnung des Markgrafen für den verlafjenen Pfälzer den Entſchluß zur
Reife, fi offen am Kampfe zu betheiligen. Am 15. (25.) April
brad) er mit einem Heere von 15,000 Mann von Durlad auf und
zog über Stafforth in den Kraichgau. Dabin fette fih auch Mansfeld
in Bewegung, und bei Wiesloch Fam es zwilhen ihm und Tilly am
) Stãdtiſches Kirchenbuch
380 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigjäbrigen Krieg.
17. (27. April) zu einem Treffen, welches letzterer verlor. Tilly zog
fi) nunmehr über Einsheim nah Wimpfen zurüd, während Mansfeld
die Belagerung von Ladenburg unternabm,
$ 3. Die Schlacht bei Wimpfen
am 26. April (6. Mai) 1622. 1)
*
Wi —
9 — *
Das Schlachtfeld von Wimpfen.
H = Heilbronn, NG = Nedargartah, BH — Bellinger Hof,
OE =. Obereifisheim, TUE — Untereifisheim, Wi = Wimpfen, Bo
= Bonfeld, F = Fürfeld, Sch —= Schwaigen, Bi — Biberach;
— N = Neckar, BB = Bellinger Bah, Br = Brücke darüber,
Wa = Wartberg bei Biberach, DW — Dornet Wald; — I. —
erfte Aufftellung Markgraf Georg Friedrichs, I. — zweite Aufftellung
Georg Friedrichs, IT. — Tilly, IV. — Gordova.
) Quellen für diefen Abſchnitt ber Pforzheimer Geihichte, der von jeber
für einen Glanzpunft derfelben galt, find: Aften und Manufcripte Großb-
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 381
Nah dem Abzug Tilly's nahm der Markgraf Sinsheim, Hilsbach
und noch andere Orte ein, und folgte alsdann auf der Straße von
Schwaigern und Biberach den liguiftifhen Truppen nad), Bei letzterm
Drte nahm der Markgraf feine Stellung, während Tilly näher bei
MWimpfen ftand, Georg Friedrich war feinem Gegner an Macht über:
legen, weshalb Tilly in aller Eile den nicht weit entfernten General
Gonzalo de Cordova zu feiner Unterſtützung berbeirief: ein Umftand,
Generallandesardivs, darunter namentlih ein Schreiben, welches Georg Fried—
rih über die Wimpfener Schlacht acht Tage nad berfelben, nämlihd am 3,
(13.) Mai, von Durlah aus an den Markgrafen Joachim Ernft von Brandene
burg richtete, — ferner ein Schreiben des Sekretärs Abel an ben Nürnbergis
hen Stadtoberjten v. Leubelfingen, „wie es in der Wimpfener Schlacht berges
gangen,* — Alten aus ben Archiven der Städte Heilbronn und Wimpfen, —
Bericht eines ungenanntn Augenzeugen, (vaterländiihe Blätter von
Schreiber, 1812). — Deimling, & 8, bie vierhundert Pforzheimer (1788).
— Der durchlauchtigſten Fürſten und Markgrafen von Baben Leben ꝛc.,
(Frankfurt und Leipzig, 1693). — Heyd, Geihichte der Stadt Wimpfen
(Darmftadt, 1836) mit der gleichzeitigen „Relation eines Wimpfener Dominis
fanırd.” — Jäger, Gedichte der Stadt Heilbronn nach handſchriftlichen
Qucllen. — Khbevenmüller, Annales Ferdinandei, Band IX., (Leipzig,
1724). — Kontraktenbücher auf Großh. Amtsrevilorat zu Pforzheim. —
Laroche, die Schlacht bei Wimpfen, (Abhandlung in ber Beitfchrift für Kunſt
und Wiſſenſchaft des Krieges, Jahrgang 1846, Heft 7 und 8, Berlin). — La»
roche, der dreifigjäbrige Krieg vom militäriihen Standpunkt. (Schaffpaufen,
1848). — Leihtlen, Badens Kriegsverfafjung, beionders Landwehr und Lands
fturm im 17, Jahrhundert, (Karlsrube, 1815). — Mallinger, Th. Tag:
bücher 1613—1660, m Mone's Quellenſammlung I,, (Karlsruhe, 1854). —
Münd, E. Erinnerung an die Schlacht bei Wimpfen, (freiburg, 1824). —
Nicolai Helvieci Chronicon (1641). — Poſſelt, Dr. bem Baterlandstob,
der 400 Pforzheimer, (Karlörube, 1788). — Stiftungsregnungen im
Stadtarchiv zu Piorzheim (1604 —1633). — Taufbud, älteftes, ber Stadt:
pfarrei Pforzheim (1607-1646). — Theatrum Europaeum, I. (5. 626). —
Befanntlih ift auch der Heldentob der 400 Pforzheimer bei Wimpfen vielfach
dichterifch gefeiert worden, fo von Ferrand, Brauer, Bogel, Babo, Hofmann,
Dieter, Kempte u. A. Auch Tromlig bat bdenfelben zum Gegenitand einer
Noville gemacht. — Die nachfolgende Schilderung der Schlacht ift nach ihrer
militäriichen Seite meift nad) Laroche, als einem Mann vom Fach gegeben,
ber dazu hauptſächlich die betreffenden Alten aus den Archiven der Städte
Heilbronn und Wimpfen zu Grund gelegt bat. Selbftverftändlih find aber
auch die andern Duellen dabei mitbenüßt worben,
382 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
ber im Verlauf der Schlacht fehr zum Nachtheil des Markgrafen in
die Wagſchale fallen jollte,
Das ganze ftreitbare Heer Georg Friedrichs beftand, wie oben
bereits bemerkt, aus etwa 15,000 Mann, melde fih auf 6—8 Regi-
menter Fußvolt, 24 — 28 Weiterfähnlein und die Geſchützmannſchaft
vertbeilten. Zur Infanterie gehörten die vier ichon erwähnten Land:
wehrregimenter Oberbaden, Hochberg, NRötteln und Unterbaben oder
das weiße Negiment. Letzteres zählte 9 KRompagnien, wovon 2
auf Stadt und Amt Durlah, 1 auf das Amt Graben, 1 auf das
Amt Mühlburg, 1 auf die Stadt und 2 auf das Amt Pforzheim,
41 auf das Amt Staffortb (und nody einen Theil von Durlah) und 1
auf die Aemter Stein und Langenjteinbah kamen. jede Kompagnie
war 300 Wann, das ganze Regiment alſo 2700 Mann ſtark. Das:
jelbe wurde vom Oberſten v. Helmftädt befehligt. Stadt und Amt
Pforzheim jtellten aber gemeinjchaftlich mit Stein und Langenſteinbach auch
ein Neiterfähnlein, das 100 Mann zählte und, weil Pforzheim den
größten Theil davon ausrüjtete, das „Pforzheimer“ genannt wurde.
Ben den „400 Pforzheimern“, die in der Schlacht von Wimpfen
mitfämpften, war alſo weitaus der größte Theil von der Stadt Pforz:
heim geftellt. Außer den 4 Landwehrregimentern zählte das Heer Georg
Friedrihs 1 Pfälzer und 1 Weimarer Regiment. Diefe beiden hatten
dem Markgrafen die Herzoge Wilhelm und Bernhard von Weimar
zugeführt, Andere Theile des Fußvolfes waren ſolche Truppen, bie
der Markgraf felber in der Schweiz ıc. geworben. Ein ganzes Re:
giment Schwabenreiterei, 1500 Mann jtark, hatte Herzog Magnus von
Württemberg dem Markgrafen zugeführt. Die Kavallerie zählte über:
dies auch einige Abtheilungen Franzojen. In der nächſten Umgebung
des Markgrafen war feine Leibwache, eine 154 Mann ftarfe Abtbeilung
Reiterei und ein Fähnlein Fußvolk. Die Mannſchaft des leßteren trug
glänzende NRüftungen, und war Jeder mit zwei Rohren und außerdem
mit Schwert und Lanze ausgerüftet, Das jchwere Geſchütz zählte 40
Feldſtücke und außerdem 70 fogenannte Spit: oder Spiefwagen. Die:
jelben waren eine Erfindung des Markgrafen. ine Haubite, die leicht
gedreht werben konnte, rubte auf zwei Balken, welche wieder auf zwei
bis drei Achſen mit vier oder fehs Rädern auflagen, dody jo weit von
den Rädern entfernt, daß bdiefe mit dem Wagen leicht gewendet werden
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breikigjährigen Krieg 383
konnten. Die Ballen waren mit nad außen gerichteten eifernen Spiten
beichlagen, daher der Name Spitwagen. Diefelben leifteten vortreffliche
Dienfte gegen die Reiterei und wurden gewöhnlich in die vorderfte Reihe
der MWagenburg geftedt. Theils zur Errichtung einer ſolchen, theils zur
Fortſchaffung von Proviant, Munition, Sturm: und Echanzzeug, auch
von Schiffen zu einer Sciffbrüde, verfügte der Markgraf über 1800
Wagen. Geſchütz, Wagen ıc. ftanden unter dem Befehl des Feldzeug—
meifters Oberften Klaus von Böcklin. Als Unterfeldberr fommanbdirte
ber Wild: und Rheingraf Otto, Graf zu Salm; einzelne größere Ab:
theilungen der Truppen wurden, außer von ben ſchon gemeldeten Ser:
zogen von Weimar, dem Herzog Magnus von Württemberg und dem
Dberften von Helmftädst — von zwei Söhnen des Markgrafen, den
Prinzen Karl und Chriftoph, von dem Wild: und Rheingrafen Johann
Kafimir und den Herren v. Waldmannshaufen, Bertram v. Herſchbach,
Obervogt in Pforzheim und Sturzel von Buchheim geführt.
Kehren wir nad diefen Angaben zur Schilderung der Schlacht
jelber zurück. Der Markgraf ftellte fein Heer am Morgen des 26.
April (6. Mai) links und rechts der Straße auf, die von Biberach,
ben Bellinger Hof rechts laſſend, nach Obereifisheim führt. Er benüßte
dazu bauptjächlic die Anhöhen. Am Mücken des Heeres befand ſich
der Bellingerbach, der in damaliger Zeit, wo derlei Gewäſſer noch nicht
jo wie beut zu Tage regulivt waren, eine nicht unbedeutende Breite
und viele verfumpfte Stellen gehabt haben muß; Lebteres namentlich
war wenigſtens nach Karten der damaligen Zeit auch bei andern ähn—
lichen Bächen auf der benachbarten Gemarkung Heilbronn der Fall.
Diefe Umftände müſſen den Uebergang über biefen Bad nur mit
Hilfe von Stegen und Brücken geftattet haben, namentlich wenn
derjelbe, wie es am Schlahttag in Folge von vorausgegangenen
Regengüffen der Fall geweſen fein fol, auch noch angeſchwollen
war. Eine ſolche Brüde befand ſich jedenfalls beim Bellinger Hof; eine
andere, von ber ımten weiter die Rede fein wird und die von
größerer Bedeutung war, führte und führt noch auf der Landſtraße von
Wimpfen nad Heilbronn über den Bach, der ſich bald unterhalb der:
jelben in den Nedar ergießt. — Tilly ftand verdeckt im Obereifisheimer
Walde, der fi) längs eines Theils der Front der Badener hinzog.
Bald aber rüdte er aus demjelben bervor und begann ein lebhaftes
384 Bierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
Feuer auf die badiſche Reiterei, womit er die Schladht eröffnete. In
kurzer Zeit nahm das Gefecht eine größere Ausdehnung an, und Tilly
ftürzte ſich mit Heftigkeit auf den Markgrafen. Aber unerihütterlich
fümpften die Badener; Tillys Truppen mußten weichen, ein Theil feiner
MNeiterei ergriff fogav die Flucht, und die größte Unordnung drohte in
jeinem Heer einzureißen. Da jandte er — es war mittlerweile nahezu
Mittag geworden — zum Markgrafen und ließ um einen Waffenjtill:
ftand nachſuchen, den diefer allzu großmüthig bewilligte, jtatt feinen
Gegner zu vernichten. 1) Während der Dauer desjelben veränderte
Georg Friedrich feine Stellung, indem ev Truppen, Geſchütz, Wagen ꝛc.
von den Höhen herab auf das flache Feld gegen Obereijisheim führte, das
er bejeßte. Hinter ſich hatte der Markgraf fein Lager und feine Bagage,
zur Rechten den Nedar, zur Linken und im Rücken den Bellingerbad)
mit feinem Brüdenübergang. Dieje Veränderung der Aufjtellung, (die
in alten Chronifen jehr getadelt wird,) befhäftigte die Babener während
der brennenden Mittagshite, indeß die Liguiſten im Schatten des Wal:
des ausruhen und ſich erquiden konnten. Das badijche Heer überliek
fich jedoch fpäter aud der Ruhe.
Nach 1 Uhr fah der Markgraf im Rüden des liguiftiihen Heeres
Staubwolken auffteigen; und da er nicht anders glaubte, als dap
Mansfeld herbeiziehe, jo gab er raſch Befehl, die Schlacht zu erneuern
und, um für diefelbe mehr Raum zu gewinnen, ſämmtliche Zransport-
wagen über den Bad) zu führen. Nicht Mansfeld aber war e8, ber
berbeieilte, jondern Cordova, der Tilly mit anſehnlichen Streitkräften zu
Hilfe fam und ihm dadurdy die Uebermacht verſchaffte. Als die beiden
liguiftiichen Feldherrn die Abfahrt der Bagagewagen bemerften, glaubten
fie, der Markgraf habe ihre Vereinigung erfahren und beeile fih, den
Nücdzug anzutreten. Deshalb beſchloſſen fie, ungejäumt vorzugehen und
den Gegner anzugreifen, Bald entbrannte die Schlaht von Neuem,
und die Geſchütze feuerten jo heftig, daß die Chronik erzählt, es babe
gedonnert und geprafjelt, ald wenn Himmel und Erde zufammenbreden
wollten. Bald nad) dem Wiederbeginn der Schlaht hauchte Herzog
Magnus von Württemberg fein Heldenleben aus, Er wurde, da er
ı) So die Heilbronner Alten, Andere Quellen fpreben nur im Allgemei-
nen von einer zweiſtündigen Waffenrube.
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breigigjährigen Krieg. 385
mit allzu großer Kühnheit ſich umter die Feinde wagte, von feinen
Leuten getrennt und durch mehrere Schüffe und Hiebe zu Boden geftredt.
Von den badijchen Truppentheilen, welche Obereifisheim bejetst hatten,
wurde nach Erſtürmung des Ortes durd die Baiern eine Kompagnie
gefangen und fpäter ımter das liguiſtiſche Heer eingetbeilt,
MWährend diefer Vorgänge hatte ſich der Markgraf mit dem Haupt:
theil feines Heeres rubig im Hintertveffen bei der Wagenburg gehalten
und nur nad) Bedürfnig VBerftärfungen dahin entjandt, wo es noth:
wendig erſchien. Jetzt aber, da die Feinde immer mehr drängen, ftürmt
der tapfere badifche Fürſt mit voller Macht auf feinen Gegner ein und
jeine Truppen verrichten ſolche Wunder der Tapferkeit, daß die Liguiſten
auf allen Seiten meiden und ein Theil ihrer Meiterei nach der bei
impfen über den Neckar geichlagenen Schiffbrüde hin fich flüchtet.
Der Markgraf rückt mit feinen kampfbegeifterten Badenern nad) und der
Sieg ſcheint nicht mehr zweifelhaft. N
Plöglid) aber bricht Cordova aus einer big jegt nicht gejehenen
Verihanzung hervor und ſtürzt fich unvermuthet den raſch Wordringen:
den entgegen. 1) Zwar ridyten die badiſchen Truppen große Verheerun—
gen unter den Spaniern an, jo daß fürmliche Gaſſen in deren Reiben
entitehen. Aber die Weichenden hatten indefjen Zeit gewonnen, ſich wieder
zu jammeln und von allen Seiten auf die Badener zu werfen, die fi)
zum Rückzug entichließen mußten, Allein fchon aud hatten ſich die
Liguiften in ſtürmiſchem Andrang auf die Nücdzugslinie des Markgrafen
geworfen, und es entſpann ſich jeßt ein blutiger Kampf, in welchem
wegen des aufgeworfenen Ztaubes Freund und Feind kaum von einan—
der unterjchieden werden konnten. Noch aber hielten die Badener wader
Stand; noch hatte der Markgraf Hoffnung, dem Feinde alle Vortheile
zu entreigen: da zimdete ein Schuß den Pulvervorrath auf einem oder
mehreren der rückwärts ftehenden badifhen Wagen an, die nun mit
ungebenrem Getöje in die Luft flogen und mehrere hundert Menſchen
und Thiere verwundeten, was bei den Vordern die Meinung erzeugte,
der Feind jet ihnen ſchon im Nüden. 2) Das vermehrte die Unordnung,
1) Nach den Annal. Ferdinand, Bd. IX,, S. 1706 batte er Tilly 4000
Mann Fußvolf und 22 NReiterfähnlein zugeführt.
2) In der „Relation eines Mimpfener Dominifaners* wird erzählt, ein
Soldat von dem ſpaniſchen Reniment des Cordova habe während der Schlacht
in der Luft die Jungfrau Maria in glängendem Gewande geieben, welde die
Pflüger, Pforzhrim. 25
386 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg,
den Screen und die Verwirrung, welche Rauch, Staub und Schlacht—
lärm bereits veranlakt hatten, und ſchon fingen einzelne Heerestbeile des
Markgrafen zu weichen an. Zuerſt flohen die franzöfiichen Reiter,
welche die Spießwagen und das Geſchütz deden ſollten, und eilten Neckar—
gartach zu. Noch immer aber hält der Markgraf mit dem größten
Theil feines Fußvolkes und jeines Geſchützes Stand, und fucht nament:
lich jeine Wagenburg zu verteidigen, die von Tilly mit großer Heftig—
feit angegriffen wird. Hier, jo wie an der nahen Brüde über den
Bellinger Bad, verrichtet nun das badiihe weiße Regiment
Wunder der Tapferkeit und kämpft mit ſolchem Muthe und folder
Zobesverachtung, daß in kurzer Seit zwei baierifche Negimenter völlig
aufgerieben wurden. Tilly rief jofort die Spanier berbei, und nad
blutigem Kampfe gelang es ihm, neun badische Gefüge zu erobern,
die ſofort gegen die Truppen des Markgrafen gerichtet wurden. Aber
audy jest noch leiftete das weiße Negiment verzweiflungsvolle Gegen:
wehr, 1) und es war dabei — fo jet die Tradition hinzu — nament:
lih den Bforzbeimern die Aufgabe zugefallen, den Zugang oder den
Uebergang über die Brüde des Bellinger Baches zu vertbeidigen und
damit den Rückzug des Fürſten zu decken, der jeßt — es war Nach—
mittags gegen 4 Uhr — angetreten wurde, weil an eine Wiederher:
ftellung der Schlacht nicht mehr zu denken war. „As nun,” fo erzählt
die ins Einzelne gebende und poetiſch ausgeſchmückte Weberlieferung weis
ter, „in faufendem Galopp und unter donnerudem Viktoriarufen die
Katholifhen mit Zuwinken zum Sireite ermuntert und ihmen den Sieg ver:
fprocen Habe. Darauf ſei der Soldat ein wenig vorgegangen und babe zu:
fällig mit dem Zunder jeines Gewehres ein Geſchütz Tosgebrannt. Auf einmal
feien die Kugeln mit ungeheuerer Gewalt berausgefabren und hätten die Puls
verwagen des Feindes entzündet,
1) „Der Oberit Helmftädt hat fich meit bem weißen Regiment bis auf den
legten Mann gewehrt, hätte auch bie Viktorie erbalten, wenn nur bie Reiterei
Stand gehalten hätte, weldhe ſich aber jogleich davon gemacht, weil fie gar feine
Retirade hinter fih gehabt.” Eo berichtet der oben genannte „Augenzeuge“,
und mit ihm übereinflimmeno das Theat, Europ. 1., 627, ferner das auch
ſchon erwähnte Büchlein: „Der Fürften und Marggrafen zu Baaden Leben x.”
(Frankfurt, 1695), Seite 352. Auch in Nicolai Helvici Chronicon (1641)
S. 351 wird die Tapferkeit des weißen Regiments mit begeifterten Worten
gerühmt.
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg 387
feindliche Meiterei beranjagte, prallte ihr wilder Anlauf ab an der cher:
nen Bruft der Pforzheimer, welche die Brücke über den reißenden Bel—
linger Bach geiperrt hielten, während ihre Musketire, am Ufer hinter
Weiden aufgeftellt, manchen Gebarniichten ven feinem Moffe nieder:
ſchoſſen. Drei Mal griff die Kavallerie anz drei Mal ward fie zurück—
geichlagen. Nicht beſſer ging es einem Anfanterie-Megiment. Zwar
ftrecten jeine Kugeln dem vierten Theil der Pforzheimer in den Sand;
durch einen heftigen Ausfall ward es zerriffen und zurück gedrängt, und
im ſchönſter Ordnung zog ſich die Heldenſchaar in ihre alte Stellung
über die Brüde zurüd. Tilly, erftaunt, erfchüttert, begeiftert ob folder
Kühnbeit, ließ das Häuflein durch einen Trompeter auffordern, die
Brüde augen freien, ebrenvollen Abzug zu räumen. Der Antrag
ward verworfen, und der letzte Kampf, der heißefte, nahte heran,
Mährend nun aber die Liguniſten in zabllofer Menge ſich aufftellten,
jogar eine Teldichlange auffuhren, um alſo die Tapfern zu vernich:
ten; während fie unter Trommehvirbel und Trompetenklang beran-
rücten zur blutigen Entſcheidung: Iniete die dem Tod geweihte Schaar
nieder, umd über den Leichen ihrer Brüder und über den Leichen ihrer
Feinde jtieg der Gejang zum Himmel empor: „Ein fefte Burg ift
unfer Gott! — Der Feind felber war aufs tiefite ergriffen und
wagte nicht, fie im ihrer Andacht zu ſtören. Der letzte Kampf
beginnt. Gleich einem Cherub tritt Berthold Deimling, der Anführer
der Heldenichaar, die flatternde Fahne in der Hand, auf die Brücke vor
das zufammengeichmolzene Häuflein und ruft: „Gedenkt eures Schu:
res und ſteht!“ Gin Mustetenichuß zerichmettert ibm das rechte Bein;
er kniet auf das linke und ſchwingt die Fahne hoch empor, ine Trau—
benfügel zerreißt ihm den rechten Arm; er nimmt die Fahne in die linke
Hand, Noch einmal hebt er fie empor und finft alsdann, von feind:
licher Kugel durchbohrt, zu Boden. Gin Jüngling (dev Waffenichmied
Rofer) ergreift die Fahne, und gleich Löwen ſtürzen die Üübriggebliebenen
Achtzig dem Feinde entgegen über die Brüde. Furchtbar wüthet der
Tod; denn er mäht mit feiner ſchärfſten Senfe, mit der Verzweiflung.
Leichen tbürmen ſich auf Leichen; immer tiefer dringen die Pforzheimer
ein in den Feind. Gin Regiment desfelben öffnet ſich, es ſchließt ſich;
verſchwunden ift die Heldenſchaar, wie von einem Waſſerwirbel ver:
ſchlungen. Siehe, nod einmal flattert die weiße Fahne; noch einmal
biist ihre goldene Anschrift: „Ein' feite Burg ift ander mn über das
2D ®
388 Vierzebntes Kapitel. Pforzbeim tim breifigjährigen Krieg.
Feld des Todes: da jaust ein Schwert dur die Luft; die Fahne
finft; der letzte der Pforzheimer ift nicht mehr.”
Der Markgraf aber befand fich bereits in Sicherheit. Er traf
gegen Abend allen am Landthurm ein, der an der weitlihen Gränze
der Markung der Stadt Heilbronn am Wafjergraben jtand. Bon
Staub bededt und von Durft gequält, ruft er dem Zoller hinauf:
„Sebt mir einen Trunk, ich bin der alte Markgraf von Baden.” Der
Zoller aber hatte feinen Wein und reichte ihm unter vielen Entſchul—
digungen einen Trunk Waffere. Er leerte den Becher und ritt mweiter.1)
Tilly verfolgte den Markgrafen nicht, einestheild wohl, weil es zu
fpät dazu war, anderntbeils, weil er fich zu ſchwach dazu fühlte,
Nur die Spanier kamen bis Nedargartahd. Am Abend jedoch war die
ganze liguiftifhe Armee wieder in ihrem alten Lager verfammelt.
Die Schlacht hatte blutige Opfer gefordert, Won beiden Seiten
-bededten je 5000 Todte die Wablftatt, 2) Unter den badiicherfeits Ge:
fallenen waren außer dem Herzog Magnus von Württemberg auch ber
Pfalzgraf Chriftopb ven Birkenfeld und fonft viel edle Herren. Außer
dev gebliebenen Mannſchaft verlor aber Georg Friedrich aud fein
fümmtlihes Geihüß, eine bedeutende Zahl von Wagen, viele Muni—
tion und endlich feine ganze Kriegskaſſe, die an Geld über 225,000
Reichsthaler enthalten haben foll. 3)
Anbang.
Dies die Schilderung einer Schlacht, wobei ſowohl zuverläffige
geihichtliche Quellen zu Grund gelegt wurden, als auch, mo diefe nicht
ausreichten und namentlich über manche Einzelheiten des Kampfes bei
1) Tilly (in feinem ſehr einfeitig gehaltenen Schlachtberiht) und nad ihm
die Ann, Ferd. erzählen, der Markgraf bat auf feiner Flucht jogar die Leib—
rüflung weggeworfen, die hernach als Siegeszeihen dem Erzberzog Leopold
übermadht worben ſei.
°) Die Angaben barüber lauten indeß ſehr verichieden. Der Eefretär
Abel (S, 381) fagt, es feien von badiiher Scite nur 600 Mann auf ber
Wahlftatt geblieben, während man vom Feind 2500 Mann erlegt gefunden
babe.
2) Mallinger (fiehbe oben) gibt den Verluf des Markgrafen außer
Bierzehnntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 389
Mimpfen ſich nicht verbreiteten, der Tradition ihr Mecht wibderfuhr.
Jedenfalls darf dieje nicht ignorirt werden, wenn auch davon alles bas
wegfallen muß, was mit umwiderlegbarem geichichtlichem Nachweis im
Widerſpruch ſteht, oder fih auch nur damit nicht vereinigen läßt. Es
find hiezu noch einige Bemerkungen notbwendig.
Daß fih das weiße Megiment bei Wimpfen vor allen andern
durch Tapferkeit auszeichnete, iſt gefchichtlich bewiefen. Keine der oben
angeführten Quellen aber erwähnt etwas davon, daß fich irgend ein
Theil des Megimtentes noch beſonders bervorgetban hätte. Daraus
fließt aber nicht die Berechtigung, die Behauptung aufzuftellen, daß bie
Geſchichte von der Heldenthat der Biorzheimer bei Wimpfen eine Mythe
fei, wie dies von verfdiedenen Seiten geichehen if. Wollte man über:
baupt mit dem silentio inter aequales (dem Stillſchweigen unter den
Zeitgenofien) bei der Gefchichtichreibung einen Maaßitab anlegen und
darnach seine biftoriiche Kritif einrichten, fo müßten auch die Thaten
eines Leonidas, eines Tell, eines Winfelried zc. aus dem Buch der Ge:
fhichte geftrichen werden. Die Verfaſſer der erwähnten Schlachtberichte
fagen vielleicht deswegen nichts von der That der Pforzheimer, weil fie von ber
wadern Haltung des weißen Negiments nur überhaupt, und nicht aud
einzelner Fähnlein bdesielben vernahmen, oder weil fie die Beitandtbeile
des Megimentes nicht Fannten, alfo auch kein bejtimmtes Fähnlein des:
felben bezeichnen konnten, oder endlich, weil fie dies für unnöthig bielten,
da mit Nennung des weißen Negimentes im Allgemeinen der Pflicht
eines Berichterftatters Genüge gethan ſchien. Das kommt aud fonit
vor. Mie oft mag es fhon der Fall geweſen fein, daß beiſpielweiſe
ein ganzes Armeekorps nad erfochtenem Siege als dasjenige bezeichnet
wurde, das am meiften zum glnftigen Erfolg beigetragen babe, während
vielleicht nur ein einzelnes Negiment am rechten Ort und zu vechter Zeit
den Ausichlag gegeben hatte, Aber der Markgraf felber erwähnt nichts
davon, fo höre ich weiter einmwerfen. Ich frage dagegen: Sind denn
alle feine Briefe oder fonftige Schriftftücde, worin er Notizen über bie
Schlacht von Wimpfen niederlegte, no vorhanden? Ferner, — müßte
konſequenter Meife die tapfere Haltung des weißen Regimentes über:
haupt nicht ebenfalls in Zweifel gezogen werden, weil der Markgraf,
weil die Berichte Anderer ihrer auch nicht erwähnen? Und doch nimmt
fämmtlihem Gefhüß auf 50 Spitzwagen, 450 Munitionss und Bagagewanen
und am Geld auf 195000 Thaler, ferner auf 1100 Gefangene an, welde
Tilly machte. Vergl. Mone's Quellenfammlung, U., 530. Der Markgraf
ſelber ſchlug indeſſen ſeinen Verluſt nicht hoch an. In ſeinem ſchon erwähnten
Schreiben an den Markgrafen von Brandenburg ſagt er, die Schlacht ſei „ohne
beſonders großen Verluſt abgegangen, außer daß bie Artillerie und etlich Geld,
welches doch noch wohl zu verichmerzen und hoffentlich ins Fünftige wiederum
anderwärts einzubringen, babinten verblieb.”
390 Vierzebntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
man dieielbe als richtig und bewiefen an. Daß der Uebergang ‚über
den Bellinger Bach wichtig genug war, um zur Sicherung des Rückzugs
des Markgrafen mit Aufbietung aller Kräfte vertbeidigt zu werben,
leuchtet ein, ebenio, daß zur Beſetzuug der Brücke felber kein ganzes
Regiment erforderlich war, weil ein ſolches darauf oder zunächſt dahin:
ter und eine Strede längs des Bades kaum Platz gefunden hätte.
Zwar wird bezüglich dev Vertheidigung der genannten Brüde entgegen
gehalten t) daß eine folche ganz überflüffig gewefen fei, indem die Brücke
bei der Seichtigleit und der geringen Breite des Bellinger Baches auf
beiden Seiten von Fußvolk und Neiterei mit Leichtigkeit hätte umgangen
werden können. Diejer Annahme aber halten wir diejenige entgegen,
von der bereits oben (S. 383), auf gute Gründe gejtübt, ausgegangen
wurde, Es wird num freilich auch nody geltend gemacht, daß für die Wagen,
die der Markgraf bei Wiederaufnahme der Schlabt am Nadmittag
über den Bad zurüdbeordnete, bei ihrer großen Zahl eine Brücke
unmöglich hätte genügen können, folglih manche Wagen den Bad felber
hätten paifiren müffen, Um über die eine Brücde zu kommen, brauch—
ten die zahlreichen Wagen allerdings viel Zeit; gerade daraus aber, daR
nachher eine ſo große Anzahl derielben in die Hände des Feindes ge:
rieth, muß wohl mit Recht gefolgert werden, daß man wirklich nicht
Zeit genug gefunden batte, fie alle über den Bach und damit eher in
Sicerbeit zu bringen. Beweist nicht gerade diefer Umftand, daß in
der Nähe des Schlachtfeldes nur ein Uebergang verbanden war? —
Uber der Markgraf hätte doch ohne Zweifel, wenn der Bach jelber
wirklich nicht paifirt werden Fonnte, ſchon um feiner Sicherheit willen,
noch mehr Brüden jchlagen laſſen, fo böre ich ferner einwerfen. Viel—
leicht geihab dies auch und die Brüden (wohl einichlicklich derjenigen,
welche ſich beim Bellinger Hof befand,) wurden beim Andrängen des
Feindes raſch wieder abgebrochen, um ibm die Möglichkeit des Leber:
gangs zu benehmen. Wielleicht geichab es auch nicht, weil der Mark:
graf in jeiner Siegesgewißheit derlei Vorſichtsmaßregeln für überflüfjig
hielt. „Sie müſſen unfer fein, die Baiern, und das heute noch; mein
Leben je’ ich dran und werd’s nicht fchonen Was will der Haufe
gegen uns? Und an Succurs ift für ihn gar nicht zu denken. Laßt
fie nur ein paar Mal anprallen und fih verbluten, fie weichen gewiß
sc. 26”, diefe Worte des Markgrafen, die er beim Beginn der Schlacht
an feine Generäle richtete, drüden gewiß einen heben Grad folder Gie-
gewißheit aus.
ft im Bisherigen dargetban, daß der Annahme, daß fih ein
Theil des weißen Negimentes neben der tapfern Haltuny des letztern
im Ullgemeinen noch beſonders ausgezeichnet babe, durchaus feine ftich-
baltigen Gründe entgegen fteben, fo erhebt die Tradition diefen Umſtand,
1) Von Laroche, a. a. O.
Bierzebntes Kapitel. Pforzheim im breikigjährigen Krica. 391
ſowie, daß das Lob einer befonders beldenmütbigen Vertheidigung dem
Pforzbeimer Kähnlein gebühre, zur Gewißheit, wenn man
nämlich nur den Kern derielben feithält und fie aller fonftigen Zu:
taten, die mit der neichichtlichen Wahrheit nicht beſtehen können, ent:
Fleidet. Um dieſer Doppelpflicht eines Geichichtichreibers zu genügen,
müffen wir ſolche Tradition näber ins Auge faſſen.
Am Jahr 1788 aab der Pforzheimer Bürger und Kaufmann,
Ernſt Ludwig Deimling, durd das Leſen des franzöſiſchen Dra:
mas: „Tie Belagerung von Calais“ dazu veranlakt, unter dem Titel:
„die vierbundert Pforzheimer“ ein Buch heraus, worin eine
Erzählung , die fich in feiner Familie durch Ueberlieferung Tebendig er:
balten hatte, dramatisch bearbeitet war. Am Nachwort zu feinem Schau—
ipiel jagt er, daß er die Erzählung von der Heldentbat der 400 Pforz:
beimer nicht nur von feinem Water, Bechthold Deimling, der felber ein
Geſchichtskundiger geweſen, fondern ſchon als Knabe auch von alten Yeu-
ten, die das Grab Tängft dede, häufig vernommen. einem Vater babe
deſſen Bater, der geweſene Bürgermeiſter Chriſtoph Deimling, dieſe
Geſchichte auch oft erzählt, und dieſer habe ſie wieder aus dem Munde
ſeiner Großmutter, der Frau des Bürgermeiſters Berthold Deimling,
die ihren Mann zur Schlacht von Wimpfen begleitet habe, vernommen.
Dieſelbe ſei eine Tochter des Pfarrers Faber von Markgröningen und
eine Frau von beſter Erziehung und heroiſchem Charakter geweſen und
habe ein Alter von 78 Jahren erreicht, alſo lange genug gelebt, um
ihren Kindern und Enkeln die Begebenheit mit allen Umſtänden wieder—
holt mittheilen zu können. Die ganze Erzählung lief alſo während
eines Zeitraumes von etwa 150 Jahren durch den vierten Mund, bis
fie niedergefchrieben wurde und zur Deftentlichkeit nelangte. Es war
diefe Zeit einerſeits nicht zu Tange, um nicht, wie bereits bemerkt, einen
geichichtlihen Kern treu feitzubalten, andererfeits aber lange genug, den:
jelben mit folhen Zuthaten auszuſchmücken, die, weil als erdichtet
leicht nachzuweiſen, vielfach Zweifel an der Michtigfeit der ganzen Er:
zäblung, wiewohl mit Unrecht, erwect haben. Verſuchen wir ſchließlich
noch ſolchen Nachweis.
Beim letzten Kampfe an der Brücke des Bellinger Bachs hat ſich
wahrſcheinlich nur noch das 300 Mann ſtarke Fähnlein Fußvolk, das
Pforzheim ſtellte, betheiligt, da die Reiterei am Schluſſe der Schlacht
keine Rolle mehr ſpielte. Wenn daher auch 400 Pforzheimer bei
Wimpfen kämpften, ſo gebührt der Ruhm beſonderer Tap'erkeit neben
dem weißen Regiment im Allgemeimen insbeſondere den Dreihunder—
ten von Pforzheim.
Dieſe 300 können aber bei Wimpfen unmöglich alle
gefallen ſein. Es läßt ſich dies zwar nicht aus den Todtenbüchern
der damaligen Zeit beweiſen, da ſolche nicht mehr eriſtiren; wohl aber
ann man es auf Grund des älteſten der noch vorhandenen Taufbücher,
392 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breikigjährigen Krieg.
das von 1607 bis 1646 reicht. Nach demielben wurden in Pforzheim
(ausschließlich der Altitadt, für welche aus jener Zeit Feine Kirchenbücher
mehr vorhanden find,) geboren: 160%: 146 Kinder, 1613: 126 K.,
1618: 124 8. 1619: 116 8. 16%: 137 K. 1621: 127 8.,
1622: 114 K., 1623: 121 8., 1624: 143 8. 1625: 144 K.,
1626: 129 8., 1627: 105 K., 1628: 140 8., 1629: 122 K.,
41630: 138 K. uf. mw Man fieht aus diefer AJufammenftellung,
daß eine Abnahme der Geburten nach dem Jahr 1622 nicht jtattfand,
was doch durchaus hätte der Fall fein müſſen, wenn 300 oder gar 400
Bürger und Bürgerſöhne einer Stadt bei Wimpfen geblieben wären,
deren Bür gerichaft, wie im nächiten Kapitel nachgewieſen werden wird,
im eriten Drittel des 17. Jahrhunderts höchſtens 600 Köpfe zählte,
Eine größere Anzahl von Gefallenen des N forzbeimer Fähnleins ift nur
unter der Vorausſetzung anzunehmen, daß die Mehrzahl der Mann:
ichaft desielben nicht aus geborenen Pforzheimern, fondern aus gewors
benen Yeuten beftand. 1)
Wenden wir uns nunmehr zur Perſon des Bertbold Deim:
ling, welder nad der erwähnten Weberlieferung Bürgermeifter von
Pforzheim und Anfübrer des weißen Negimentes geweien ſein fol.
Daß er letzteres nit war, fondern daß ein Herr von Helmftäbt
das Negiment befebligte, it oben ſchon bemerkt worden. Wohl aber
fann Deimling Hauptmann des Pforzheimer Fähnleins geweien fein.
Ein Berthold Deimling war aber 1622 nicht Bürgermeifter bon
Pforzbeim. (Man vergleiche die, Namen der Bürgermeiſter, wie ſie S. 365
für das erſte Drittel des 17. Jahrhunderts bereits angegeben find.)
Menn ein Bertbold Deimling bei impfen mitlämpfte und dort den
Heldentod jtarb, fo muß die Frage aufgeworfen werden: Welcher
Berthold oder Bechthold Deimling es eigentlich war?
Denn das Taufbuch jener Zeit führt zwei diefes Namens auf, Der
eine, dejien Frau Katbarina bie, wird in den Jahren 1609—1624,
der andere, der eine Ejther zur rau hatte, von 1618—1635 darin
genannt, beide aber ohne die Bezeichnung „Bürgermeifter”, (mie aus
dem Vorbergehenden ſich ergibt). Der letztere dagegen wird mehrfach
„Beck“ oder „Weißbeck“ genannt. Nun beißt es auf dem 1823 ver:
—— — — —
) Auf dem in der Schloßkirche befindlichen Denkmal der 400 Pforzheimer
ſtehen nur folgende (dem Lagerbuch von 1615 entnommene) 61 Namen; Berthold
Deimling, Aab, Abrecht, Bauer, Baumann, Beckb, Breidt, Brenner, Bub, Bud,
Eichelin, Erhardt, Eſſig, Fauler, Fint, Geiger, Gerwig, Hafner, Heinzelmann,
Holzbauer, Zaifer, Kercher, Keller, Kiefer, Kienle, Koch, Korn, Kornmann, Leib:
brand, Lenz, Lottbammer, Lug, Maler, Mäule, May, Maver, Meermwein,
Merkle, Merz, Mürrle, Neudörfer, Rofer, Sattler, Echäfer, Schanz, Scheerle,
Schmidt, Schneider, Ehober, Siegele, Sold, Stich, Traug, Türk, Uebelhör,
Ungerer, Wagner, Wecber, Weiß, Wilderfinn, Wolf,
Vierzebntes Kapitel. Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 393
faßten Stammbaum der Deimling'ſchen Familie, von dem ein Exemplar
ſich im obern Rethohaus aal zu Pforzheim befindet: „Berthold
Deimling, Bürgermeiſter und W eißbäg $, geboren 1556, vermählt
mit Eſther, Tochter des nn von Marfgröningen, Sr
war Chef und Commandeur jener 400 Bye sheimer , welche das weiße
Negiment genannt und, als Garde des Markgrafen Georg Friedrich,
am 6. Mai 1622 in der Schlacht ber Wimpfen den Heldentod für
Religion, Fürſt und Vaterland geftorben find.“ Dieſer Bädermeifter
Deimling, der eine Eſther zur Frau hatte, kann aber unmöglich bei
Wimpfen geblieben jein, wenn es auch denkbar ift, daß er da:
ſelbſt mitkämpfte; denn er kommt nach dem Jahr 1622 noch mehrfach
vor. So wird er am 8. Februar 1625 (Taufbuch Seite 171) ale
Dater eines Knaben Baltbafır, am A. Nov. 1627 (T.B. ©. 199)
als Vater eines Knaben Bechthold aufgeführt, am 6. Des. 1628 jtellt
er über eine Summe von gelicehenen 100 fl. eine Schuldurkunde aus:
die mit den Morten beginnt: „Ich Berthold Deimling, Bürger und
Meißbe zu Pforzheim und mit Ihme Ich Eſther, feine eheliche Haus:
frau ꝛc.“ (Kontraktenbuch auf Großh. Amtsreriſorat am 1. April
1629 (Taufb. S. 215) wird ihm wieder ein Töchterlein Efther gebo:
ren; am 12, Aprif 1631 (TB. ©. 241) ftebt er zu Gevatter; am
26. Auguft 1631 (T.-B. ©. 246) wird er als Water eines Sohnes
Hang Maltber und am 20. Februar 1635 (T.-B. S. 302) einer
Tochter Maria Barbara genannt. Diefe wird aber in dem betreffenden
Taufbucheintrag als „posthuma“, d. 5. als nach dem Tod ihres Va—
ters auf die Melt gekommen bezeichnet und fteht überdies noch dabei:
Bater: Berthold Deimling, gewejener Bürger und Bed. Er muß
demnach 1634 oder 1635 gefterben fein.) — Wenn alfo ein Ber:
thold Deimling bei Wimpfen das Pforzheimer Fähnlein befehligte und
dort feinen Tod fand, fo kann es mur der erfte von den beiden Oben:
genannten gewefen fein. Es ſprechen dafür auch vwerichiedene Umftände,
Einmal kommt er im Taufbuch zum letzten Mal am 10, Mai 1621
(T.:B. ©. 135) und nachher nicht wieder vor. (Als Vater von Kin—
dern wird er darin vorher in den Jahren 1609, 1640, 1613 und 1614
aufgeführt). Sodann beweifen die Namen der Pathen, die bei den
Kindern der beiden Deimlinge im Taufbuch eingetragen find, daß
diefer Berthold Deimling der VBornehmere geweſen fein muß und darum
eher ein Fähnlein Fußvolk befehligt haben kann; denn als ſolche Patben
werden 3. ®. 1614 aufgeführt: der Untervogt Heinrich Haffner, der
fürftliche Nath und Syndicus Georg Zobel und der Bürgermeiiter Je—
remias Deſchler; 1621 diefelben, mit Ausnahme Zobels. Wenn daher
ein Berthold Deimling 1611 und 1615 „Spitalpfleger” genannt wird,
1) Seine Wittwe Gflßer wird noch am 1. April 1657 in einem Kontraf:
tenbuch Großh. Amtsrevijorats als Tebend aufgeführt,
—
uw. .
394 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreiß ajährigen Krien.
jo werden wir nicht feblgeben, wenn wir darunter den Cbengenannten
um fo mehr wieder verftehen, als die Vermögensverbältniffe des Andern
nicht der Art geweſen zu fein fcheinen 1), daß ihm die Verwaltung ber
reihen Einkünfte des Pforzheimer Spitals ohne Bedenken hätte über:
tragen werden können. — Wenn nun bei Aufjtellung des Deimling':
ihen Stammbaumes eine Verwechslung zwiſchen den beiden Deimling
geihab, und der Mann der Eſther als der Held von Wimpfen bezeich—
net wurde, jo it dies um jo erflärlicher, als auch Ernit Yudwig Deim:
ling bei Abfafjung feines Dramas den Wornamen feiner Ur-Urgroßmutter
nicht gefannt zu haben jcheint, da er fie Sophie heißt,
So die Darftellung der mit der Wimpfener Schlacht in Per:
bindung ftehenden Umſtände, wie fie dev Geſchichtsſchreiber geben Fan,
der fi die Wahrheit zum oberiten Geſetz gemacht und alle dabei zu
Gebote geftandenen Tiuellen gewiſſenhaft und mit größter Unparteilichkeit
benütt bat. Wurden bei dieiem Geſchäft aud manche Einzelbeiten, mit
denen man ſonſt die Erzäblung von dem Heldentod der 400 Pforz—
heimer bei impfen ausihmüdte, vor dem Auge genauerer Unter:
juhung nicht probehaltig gefunden, fo bleibt doch als wahr ſtehen,
daß fih das badifhe weiße Regiment bei Wimpfen unverwelf:
liche Lorbeeren errungen bat, und wir dürfen aud der Tradition lau:
ben, daß fich dabei in erfter Reihe die beim Regiment befindlichen
Pforzheimer ausgezeichnet und darum wohl verdient haben, daß die
Nachwelt die Helden von Wimpfen in beftändigen ebrendem An—
denken bebält,
$ 4 Von der Schlaht von Wimpfen bis zur Schladht von
Wördlingen.
(1622 — 1634.)
Der geichlagene Markgraf war über Heilbrom und Yaufen nad
Stuttgart geflohen, wo der wahrſcheinlich fchen vor der Schlacht gefaßte
Entſchluß, die Regierung von Baden an feinen Schn zu übertragen,
zur Ausführung kam. Letzterer, nunmehr Markgraf Friedrih V.
1) Nah den mehrerwähnten Kontraftenbücern.
Bierzehntes Kapitel, Pforzheim im breifigjährigen Krieg. 395
notifizirte die Abdanfung dem Kaifer am 2. (12.) Mai und am 13.
(23.) Mai kam fie zur Ausführung. Am 21. (31.) Mai huldigte
die Bürgerſchaft von Pforzheim bereits ihrem meuen Fürften, der am
gleihen Tage die Privilegien der Stadt beftätigte. ) Da Tilly den
Markgrafen Georg Friedrich nady der Schlacht von Wimpfen nicht hatte
verfolgen können, weil er noch zwei andere Feinde, nämlich den in der
Pfalz ftehenden Grafen von Mansfeld und den vom Niedermatn ſich
ebenfalls nähernden Herzog Ghriftian von Braunfchweig aufzuſuchen
batte, fo gewann der Markgraf Zeit, feine zerfprengten Truppen bei
Durlach wieder zu fammeln, Troß der Vorftellungen feines Sohnes,
der dem fiegreichen Tilly bereits das Verſprechen gegeben batte, daß
bie badischen Truppen entlafjen werden follten, vereinigte fid) doch Georg
Friedrich mit Mansfeld und beide eilten zunächſt in das untere Elſaß,
wo fie das biſchöflich ftrakburgifte Heer zurüchwarfen. Nun braden
fie ins Darmftädtiiche ein, um fi mit Chriftian von Braunfchweig zu
vereinigen, Che dies aber geſchehen konnte, wurde Letzterer am 10,
(20.) Juni 1622 von Tilly bei Höchſt gejchlagen, worauf Georg
Friedrich den dringenden VBorftellungen feines Schnes endlih nadıgab
und feine Truppen am 12. (22.) Juni entlieh.?) Gleiches that Mans:
feld jammt dem geächteten Böhmenfönig einige Tage nachher, worauf
legterer wieder im Ausland, Georg Friedrich aber zuerft auf feiner Feſte
Hochberg, jpäter in Genf perfönlihe Sicherheit fuchte. Allein der Ver:
gleich mit dem Kaifer, auf den fie Beide gehofft hatten, jchlug leider fehl.
Kehren wir nad) diefer kurzen Auseinanderfegung, die zum Ver—
ftändnig des Ganzen nothwendig tft, zur eigentlichen Geſchichte Pforz:
heims zurüd, Es gebt aus dem Obigen hervor, daß unmittelbar nad)
der Schlacht ven Wimpfen wohl Feine liguiftiihen Truppen nah Pforz:
beim gefommen fein können, wie dies von den frühern Chroniften be:
1) Meuers Herrn Friedrichen Marggrauens zue Baden vnd Hochberg ꝛc.,
off Ihrer frftl. Gnaden vunderthänige geleifte Erbhuldigung, Burgermeifter, Ge:
riht, Rath vnnd Gemeindt der Stadt Pjorzheim gegeben Dienstags den 21.
May Anno 1622. (Städtifhes Archiv.) — Schon aus diefen Nevers gebt
hervor, daß die Mitiheilung mancher Geſchichtſchreiber, Georg Friedrich habe
vor ber Schlacht abgedankt, unrichtig ift.
2) Man vergleiche hiezu das Schreiben, das er an feinen General Pleikard
von Helmflätt richtete. Sachs IV., 440 und Al.
v
396 Pierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
hauptet wird. 1) Doc blieb die Stadt von den Schredten des Krieges
nicht Tange mehr verschont. Bald nachdem Georg Friedrich feine Trups
pen entlafjen hatte, nämlich im Juli, wurde das badische Unterland von
baieriſchen, polnifchen, ungarischen und andern Völkern, welche in kaiſer—
lichen Dienften unter dem Erzherzog Yeopold ftanden und über den
Nhein herüber famen, überfchwenmt und durch Sengen und Brennen,
Plündern und Morden ſchrecklich verwüſtet.) Markgraf Friedrich hatte
ſich ſchon vorher mit ſeiner Familie nach Stuttgart geflüchtet. Damals
ſcheint jedoch Pforzheim wenigſtens von Brand verſchont geblieben zu
fein, Noch im nämlichen Monat wandten ſich die kaiſerlichen Truppen
ins Württembergiſche, wo ſie ebenfalls aufs ſchändlichſte hausten, unter
Anderm das benachbarte Oelbronn verbrannten und daſelbſt 450 Ein—
wohner erſchlugen. Der Schaden, den allein das Maulbronner Amt
erlitten, wurde auf 64,000 Gulden berechnet. 3) Die Opfer, welche Pforz—
beim und Umgegend bringen mußten, waren ficherlich noch bedeutender, da
Baden als Feindesland behandelt wurde Mit dem Einfall diefer Faifer:
lichen Truppen hängt ficherlich auch die Flucht vieler Bürger aus Pforz:
beim und die Nettung der Rohr'ſchen Stipendienaften zufammen, wofür
die Pfleger 6 fl. verrecdhneten. %) Aber nicht allein von den Truppen
Zeopolds, fondern auch von denen Tillys wurde das Land beimgefucht,
nachdem Yebterer fiegreih vom Main zuricdgefehrt war und die Belage:
rung Heibdelbergs und Mannbeims eröffnet hatte. Einzelne Schaaren
derfelben drangen vom Juli an auch in die untere Markgrafſchaft ein,
und nicht fie allein übten ſchwere Nache für Georg Friedrichs Theil—
nahme an dem Kampf der Iebten drei Mohate; denn hinter den Tilln-
fhen Truppen zogen ganze Schaaren von Bauern aus dem biichöflich
fpenerifchen Gebiet herüber und halfen rauben, um Andern die ſchwere
1) So von Deimling und Gehres. Wie Beide erzäblen, fol ber
Diehl: oder Thilaraben in der Brötzinger Vorftadt feinen Namen von
Tilly haben. Allein jener Graben fommt unter dem Namen Diblaraben ſchon
1565 im Lagerbuch des Pforzheimer Frauenkloſters (S. 329) und 1580 im
Pforzheimer Lagerbuch vor. Wenn Tilly 1622 nit in Pforsbeim war, fo
fönnen auch die Shanzäder nit von ſolchen Schanzen ihren Namen baben,
welche Tilly gegen Mansfeld aufwerfen lich.
2) Sads IV, 441.
) Steinbofer, L. 488.
) Roh r'ſche Stipenbienrehnung von 1623.
Vierzehntes Kapitel. Pforzbeim im dreifigjährigen Krieg. 397
Mißhandlung heimzugeben, welche ihnen durch Mansfeld zugefügt wor—
den war. 1) „im unjerer Gegend“, fo jchreibt ein Gymnaſiallehrer
aus Durlah am 6. (16) Auguft, „baben die Kaiferlichen und Baie—
riſchen entfetzlich gehaust und thun es noch; fie haben geplündert, haben
Dörfer verbrannt und eine Menge Unſchuldiger niedergemetelt. Lie—
dolsheim, König s bach, Neureuth, das feite Mühlburg fammt feinem
Schloffe, ferner die Orte Muggenfturm, Wörth, Bühl liegen fast ganz
in Aiche." 2) Der Pfarrer von Stein Job. Chriſtoph Keller, wurde
von den plündernden Kroaten drei Mal in der Pfarricheune aufgehängt,
doch am Leben erhalten. 3)
Zu den Gräueln ded Kriegs gejellten fih noch Hungersnoth,
Seuchen und unerhörter Geldmangel, welcher eine Folge der
fhon lange dauernden Kriegsrüftungen und der heillofen Verwirrung
war, die damals im deutichen Münzweſen herrſchte. Im Jahr 1619
ftand der Reichsthaler, der jonft 1 fl. 30 Er. galt, Bereits auf 1 fl.
48 fr, im Januar 1621 auf 2 fl. 20 kr., im Januar auf 2 fl. 24 fr.
und im Dezember besfelben Jahres bereits auf 6 fl. 30 fr. Der
Dukaten, dejien Werth im Februar 1621 3 fl. 30 kr. betrug, flieg
während diejes Jahres auf 12 Gulden, der Goldgulden in der gleichen
Zeit von 2 fl. 30 fr. auf 8 Eulden. Ja der Dufaten kam jpäter
noch auf 16, der Goldgulden auf 12 fl.) Unter ſolchen Umjtänden
und in Folge von Mikernten und Wucher erreichten die Preife der Le
bensmittel eine fait unerfchwingliche Höhe. Im angränzenden Württem:
berg Eoftete im Epätjahr 1623 der Laib Brod zu 6 Pd. l Gulden,
die Maas ordinären Weins 2 fl, 1 Pfund Schmalz oder Lichter 1 fl.
1) Bierorbdt, II, 175,
2) Vierordt, a. a. O.
s) Kirchenbuch von Stein, Beral. Vierordt a. a. O.
) Steinhofer, 1, 484 ff. Am Jahr 1623 machte die „von den Sol:
baten zimblih lang ketrengt geweßene und in großen Nöthen geftedte* Ger
meinde Langenalb bei den Pforzheimer Gerichtöverwandten Hans Trauz ein
Anlehen von 2000 Gulden, welde Summe im Jahr 1630 durch gegenfeitiges
Uebereinfommen wegen der veränderten Geldverhältniſſe auf 800 Gulden herab:
gelegt wurde. (Vergl. Eontraftenbud von 1653, ©. 5.) Diefelbe „mit Ein:
quartirung baierischer Reiter jehr gravirte Gemeinde” nahm auf Pfingften 1623
bei Math. Krauß in Mali 1200 fl. auf, wobei der Reihsthaler zu 6 fl. 15
fr. berechnet wurde. Es erfolgte deshalb fpäter eine Reduktion diefer Summe
auf 288 fl. (Contr. Buch von 1657).
398 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
20 fr.) Am März und April 1623, fo verfichern gleichzeitige Briefe
aus Durlach, war das Malter Korn nur fhwer um 30 fl. zu befom-
men, das Pfund Fleiſch nicht unter einem Gulden, die Ohm Wein faum
um 60 Gulden; das Land fei bereits verarmt durch ungeheure Lieferungen
an das feindliche Heer, das nad längſt erfochtenem Siege an kein Fort:
gehen denke. 2) Im Breisgau galt 1 Viertel Waizen 30, Korn und
Gerſte 24, Haber 12, 1 Sefter Salz 7 Gulden, 1 Bund Schmalz
12 Basen, 1 Pfund Rindfleiih 5 Basen und Kafbfleiih 6 Basen, 1
Saum weißer Wein 50, votber 60 fl.; eine doppelte ſpaniſche Piftolette
galt 22, ein Dufaten 12, ein Neichsthaler 7 und ein filberner Königs:
tbafer 8 Gulden. 3) — Die tiefe Noth entvölkerte das Land jo fehr,
daß in wenigen Jahren viele Dörfer in Baden und Württemberg leer
ftanden. In den Straßen wuchs Gras; ganze Schaaren bettelnder
Familien überfhwenmten diejenigen benachbarten Gegenden, welche noch
weniger von der Noth des Krieges empfunden hatten, ?)
Am 16. (26.) Auguft 1622, alſo gerade 4 Monate nad) der
Schlaht von Wimpfen, ſprach der Kaifer das Urtbeil, daß der Mark—
graf Baden : Durlady die jeit 1594 widerrechtlich beſetzte Markgraf:
ichaft Baden » Baden dem reditmäßigen Fatholifchen Erben zurüdgeben
und ihn Für die Zeit, da diefelbe im Befit der durlachiſchen Fürſten
gewefen, entfchädigen müfle. Dem mehrerwähnten Erzberzog Leopold,
der mit feinen Truppen bereits das Land beſetzt hatte, wurde die Exe—
cution Übertragen. Derjelbe fette den jungen Markgrafen Wilhelm in
die Megierung ein. Das erite Gefchäft des neuen Fürften war, die
fatholifche Lehre mit Gewalt wieder in feinem Lande einzuführen. Vers
gebens waren alle Proteftationen Markgraf Friedrichs V,, namentlic)
gegen die Entihädigung für den bisherigen Beſitz von Baden-Baden.
Dit Mühe brachte er es beim Kaifer dahin, daß die Erefutionstruppen,
welche ganz Baden-Durlach und ſomit auch Pforzheim beſetzt hielten,
am 20, (30.) Mai 1623 abzogen,5) und fo fein Land von diefen un:
gebetenen Gäſten, die ſich überall die roheſten Gewaltthätigkeiten erlaub—
ten, befreit wurde,
) Steinhofer, 4, 487,
2) Bierorbdt, II, 186,
2) Hiftoriichegenealogifhe Nachrichten von der Familie Maler ©, 14.
9 Bierorbdt, IE, 187.
», Sachs, IV, 517.
Pierzehntes Kapitel, Pforzheim im bdreißiajährigen Krieg. 399
Die Ruhe, die nun folgte, war indejfen von kurzer Dauer. Weil
Friedrich V. gegen die ihm zugemutbeten Entihädigungen an den nun—
mebrigen Markgrafen von Baden-Baden fortwährend proteftirte und
wabhrfcheinlih auch bei der Höhe derfelben gar nicht im Stande war,
fie zu leiten, fo rücten im folgenden Jahr 1624 aufs Neue Ereku:
tionstruppen, diesmal Tiguiftiiche unter Tilly, in das Land ein, und
Pforzheim ſah wieder feindliche Völker vor jenen Mauern. Erft
nach zwölfſtündiger tapferer Gegenwehr öffnete die Stadt dem Generaf
Tip ihre Thore. Näheres über diefe Belagerung und Einnahme von
Pforzheim ift nicht bekannt. 1) Eines der erften Geſchäfte Tillys nach der
Eroberung der Stadt war die Wiedereinführung der Franziskaner und
Dominikaner, deren Klöfter, wie oben (S. 320) erzählt ift, 1555 auf:
gehoben worden waren. Dieje Mönche jcheinen indeß aus Pforzheim
bald wieder verjagt worden zu fein; auf welche Weife und durch wen,
läͤßt fich nicht angeben, 2)
Vergebens bemühte ih Markgraf Friedrich V., das Loos jeiner
ſchwer beimgefuchten Unterthanen durch dringende Bitten beim Kaifer
zu lindern, Im Mat 1627 reiste er ſelbſt nady Wien, theils um die
Entfernung der Truppen zu veranlaflen, die fein Land ausfaugten, teils
um eine Herabiegung der Eumme zu bewirken, welche er an Markgraf
Wilhelm auszahlen ſollte. Da er aber der Zumuthung, katholiſch zu
werden, fich ftandhaft widerfeßte, jo wurde jene Summe auf eine in
folcher Nothzeit unerichwingliche Höhe feftgefett und dem Markgrafen
Wilhelm ein Theil des baden-durlachiſchen Gebietes, nämlich die Aemter
Remchingen und Stein, als Verſatz zugelagt. 3) Ja, als es zur Kunde
de8 Kaifers Fam, daß der alte, im Eril lebende Markgraf Georg
riedrih aufs Neue die Waffen gegen den Kaiſer trage, wurde ver:
ftärkte Erefution ins Yand gelegt, damit dieſes noch ſchwerer für bie
1) Eine kurze Notiz darüber findet fich in Theatr, Europ,, I, 820, bei
Steinhofer, I, 493, Sads, IV., 446 und 517.
2) Die eben angefilbrten Quellen ſprechen die Wiedereinführung der Frans
zisfaner und Dominikaner im Jahr 1624 zu beftimmt aus, als daß daran ge:
zweifelt werben könnte. Andere Quellen, wie 3. B. das über folde Vorkomm—
nifje genau berichtende Petri Suev, eceles. Kennen biefelbe nicht, Sondern nur
die von 1631, von welcher weiter unten die Rede fein wird, Auch in den
Protofollen des weſtphäliſchen Friedensſchluſſes ift das Jahr 1624 mit biejer
Wiedereinführung in Berbindung gebracht.
2) Bierordt, U, 187,
400 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
Handlungen feines ehemaligen, feit fünf Jahren von der Regierung
zurüdgetretenen Negenten büße. Es war nämlid Georg Friedrich der
Antrag gemadyt worden, ſich als däniſcher Generallieutenant an bie
Spite von 5000 Söldnern zu ftellen, die er aufKoſten Englands und
Dänemarks werben und gegen die Faiferlichen nad Nordbeutichland
führen ſolle. Der noch immer friegsluftige Dann ging bereitwillig
auf diefen Vorfchlag ein, die Truppen waren bald geworben und an
den Ort ihrer Bejtimmung gebracht. Allein der Markgraf wurde vom
kaiſerlichen General Schlick in Holftein im September 1627 geicdhlagen,
und zog fi über Holland nad) Straßburg zurüd. Theils bier, theils
in Genf brachte er die letzten Jahre feines Yebens zu, ohne an den
folgenden Kämpfen weitern Antheil zu nehmen. Nur von Zeit zu
Zeit, wenn befreundete Waffen fiegten, fah ber greife Fürſt fein Vater:
land, vielleicht auch die Stadt Piorzheim wieder. Gr ftarb am
14. September 1658, wahrjheinlih in Straßburg. Wo er begraben
liegt, it nicht bekannt. In der fürftlihen Gruft zu Pforzheim befindet
ſich jein Leichnam nicht.
Die Zuftände in Pforzheim und der Markgrafihaft überhaupt
ſcheinen in der Zeit von 1627 bis 1629 wieder etwas erträglicdher
geworden zu fein. Näheres darüber kann indeß nicht mitgetheilt wer:
den, weil alle Nachrichten aus diejen Jahren fehlen. Mehr läßt fi
aus der darauffolgenden Zeit jagen.
Der Kaijer Ferdinand II. hatte am 6. März 1629 das joge-
nannte Neftitutiongedift erlaffen, nach welchem alle jeit dem
Paſſauer Vertrag 1552 eingezogenen Kirchen: nnd Kloftergüter zurüd:
gegeben und den Neformirten die weitere Uebung ihrer Religion unter:
jagt werden ſollte. Es war dies ein Donnerjchlag für die protejtantifchen
Fürſten, die in Gefahr ftanden, durch eine derartige Herausgabe einen
großen, ja den größten Theil ihrer Macht einzubüßen. Vergebens
waren alle Proteftationen gegen einen ſolchen Machtſpruch, zu welchem
den Kaifer hauptſächlich die Jeſuiten getrieben hatten. Der Markgraf
erhielt von den zur Erefution des Reftitutionsediktes im ſchwäbiſchen
Kreis ernannten Kommiffarien die Mittheilung, daß man im Januar
1631 durch jubdelegirte Räthe in feinem Lande zu erequiren anfangen
werde. Auf diefe Nachricht Tick der Markgraf allen feinen Untertanen,
vornehmlich den Bürgern zu Pforzheim, deren offener MWiderftand
gegen den Vollzug am meiften befürchtet wurde, durch Beamte und
Vierzebntes Kapitel, Pforzheim im breißigjäbrigen Krieg. 401
Prediger ein rubiges Verhalten empfehlen und ertheilte Letztern bie
Weifung, nur der Gewalt zu weichen. 1) Am 3. (13.) Januar 1631
erſchienen die Kommifjarien und verlangten vor allen Dingen die Her:
ftellung des Michelftiftes in Pforzheim und der früher bedeutendften
der dortigen Klöfter, nämlich der beiden Dominikaner: und des Fran:
ziskanerklloſters, ebenjo des Haufes zum heiligen Geiſte und des Hir-
ſchauer Hofes nebit den dazu gehörigen Gütern. Am 29. Jan. (8. Febr.)
wurden die Dominifaner und Franziskaner durch die faiferlichen Kom:
miffarien, welche eine Truppenabtheilung bei ſich hatten, ſelbſt in Pforz—
beim eingeführt und im den Befib der Kloſtergebäude eingewiefen. 2)
Bon der ehemaligen Dominikanerfirdhe, die feit der Aufhebung des
Kloſters als Stadtfirde gedient batte, wurde den Dominikanern jebt
das Chor zur Benützung zugefchieden. Der Markgraf lieh es an Em:
ſprachen gegen das Verfahren der Kommiffion nicht fehlen und gab dem
württembergiſchen Kanzler Löffler, der auch für Baden Durlach zu dem
vom Kaifer berufenenen fogenannten Kompofitionstage nad Frankfurt
reiste, folgende Erläuterungen: 3) Das St. Michelsftift Tiege
innerhalb der Mauern des Schloffes, enthalte die fürftliche Hoftapelle
und die Stiftsperjonen jeien die Kapline des Markgrafen (©. 149).
Das Stift jei, ehe es zum Stift erhöht wurde, die Pfarrkirche geweien
und ſchon vor dem Paſſauer Vertrag ſei das Exereitium Augustanae
Confessionis introducirt worden. Die Markgrafen hätten das
Stift fundirt, feien Erbfaftennögte und Patrone desjelben und hätten
dort ihr Erbbegräbnif. Das Dominikanerkloſter fei gleichfalls
von dem Marfgrafen fundirt und detirt und 1561 die Mönde fort:
gefchafft worden x. Das Dominifaner:Weiberflofter fei jebt
Spital, feitbem es 1564 von den Nonnen mit Failerliher Bewilligung
verlaffen worden. Das Franziskanerkloſter betreffend finde man
gar feine Nachricht, wann dieſes ſchlechte Bettelflofter zur Neformation
gezogen worden fei. Das alte Spital, das Haus des heiligen
Geiſtes, ſei nicht mehr vorhanden, fondern „abgebrochen und uff ſolchem
platz die jezige Mezig“, und wegen der langen Zeit könne man feine
2) Fascikel: Nefitutionserefution 1630-1631 im Karlsruher Archiv,
?) Petri Suev, eccles. 665,
2) Schreiben, betr. den zu Frankfurt angefiellten Kompofitionstag, oder
gür. Handlung wegen Reftitution der geiftl, Gitter (Landesardiv).
Pflüger, Pforzheim. Zu
402 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
Nachricht geben. Wegen des Hirihauer Hofes jeien nad) dem Reli»
gionsfrieden zwiſchen Württemberg und Baden, audy durch Privatperſonen
unterfchiedliche Kontrakte geſchloſſen worden. Die Beſitzer hätten oft
gewechielt und ihr Recht jei verjährt. 1) — Die Kommiffarien ſcheinen
fi) vor der Hand mit Herftellung der genannten zwei Klöjter begnügt
zu haben. Die der übrigen, jowie des St. Michelftiftes ſtieß allerdings
auf größere Schwierigkeiten, welche zu heben die in kurzer Zeit wieder
veränderten Zeitverhältniſſe nicht geftatteten; denn bald darauf erjchienen
die Schweden auf dem Kriegsſchauplatze.?)
Mit einem nicht fehr großen, aber tapfern Heldenheere von nur
15000 Mann war der hochherzige König Guftav Adolph von
Schweden am 25. Juni 1630 in Pommern gelandet, um feinen Glan:
bensgenofjen in Deutjchland zu Hilfe zu kommen Wie im Xriumpbe
durchzog er das nördliche Deutfchland, und zwang in ihrem eigenen In—
terefie mehrere proteſtantiſche Fürſten, gemeinfchaftlihe Sade mit ihm
zu machen. Zu denjenigen , welde warme Sympathien für den König
von Schweden empfanden, gehörte Markgraf Friedrich von Baden-Dur—
(ah, und im Geheimen verabredete er mit andern evangelifchen Ständen
‚Süddeutfchlands die Sammlung von Truppen. Allein diefe Abficht
wurde durch den Erzherzog Leopold, der nach Abtretung jeiner beiden
Bisthümer Straßburg und Paſſau an feinen zwölfjährigen Neffen
Regent von Vorderöfterreich geworden war, durch eine neue militärifche
Beſetzung des Landes, welche im Juni 1631 erfolgte, vereitelt. 3) Bald
aber Fam die Nachricht von dem großen Siege, den Guſtav Adolph am
7. September 1631 über Tilly bei Breitenfeld unweit Leipzig erfoch—
ten. In vafchen Triumpheszug drang der Schwedenkönig in Franken
ein, war Ende November fchen im Frankfurt, wo fidy zu jeiner Be—
grüßung Markgraf Friedrich von Baden, fowie auch der aus dem bol-
ländifhen Eril ſchnell herbeigeeilte pfälziſche Kurfürſt Friedrich V. ein—
fand, und nach der Einnahme von Mainz, Speier und Mannheim und
nachdem der größte Theil der untern Pfalz am Ende des Jahres 1631
1) Dieſen Hirſchauer Hof (S. 41) beſaß 1631 Greck von Kochendorf; vor:
ber gehörte er durch Kauf vom Kloſter Hirſchau dem Kanzler Achtſynit.
2) Doch hatte der Markgraf auch das fo theuer erworbene Amt Langen:
ſteinbach (S. 353) dem Klofter Herrenalb zurückgeben müffen.
) Theatrum Furopaeum, IM., 397, Vierordt, IL, 198,
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 4053
von den Schweden erobert war, wieder in fein Land eingejeßt wurde.
Im Frühjahr 1632 begleitete er Guſtav Adolph nad Baiern. Aus
der Pfalz waren einzelne Abtbeilungen des jchwedifchen Heeres auch
in die Markgrafichaft eingedrungen, um diefelbe von den fatferlichen
Truppen zu ſäubern, und eine derjelben fam über Bruchſal und Bret:
ten am 23. Jan. (2. Febr.) nah Pforzbeim. Hier fanden fie die
Klöſter, welche erit das Jahr vorber wieder bergeitellt worden waren,
von den Mönchen verlafien. ur der Guardian des Franziskaner:
tlojters, Petronius Widmann, hatte es gewagt, nicht zu entfliehen, und
fiel der voben Gemwalttbätigfeit dev Schweden, die ihn, man fagt am
Altar der Kirche, erdrofjelten, zum Opfer. Es ſcheint, daß noch mehr:
mals jchwediiche Truppenkorps entweder durch Pforzheim zogen und
vorübergehend Quartier in der Stadt nahmen, oder diefelbe eine Eleine
ſchwediſche Bejagung bebielt. Wir finden nämlich in der Folge mehr:
fach ſchwediſche Truppenabtbeilungen als bier anweſend aufgeführt, 1)
jo im Dezember 1632 unter Oberjt Emich von Leyen, 1653 ſchwe—
difche Neiter unter Oberſt Eberhard Beckermann, im Auguſt des näm—
lichen Jahres das gräflid von Solms’jche Regiment und 1634 vom
April bis September den jchwediichen Nittmeifter Philipp Georg
Glockengießer von Braunfels mit Soldaten, ebene im April 1634 den
ſchwediſchen Rittmeiſter Nikolaus Dimpfel. Kurz ver dem gänzlichen .
Abzug der Schweden aus Pforzbeim kam von Baihingen her am
12. Auguft 1634 auch der ſchwediſche General Nheingraf Dtto Lud—
wig mit einer Abtheilung jchwediicher Truppen, welche in den Elſaß
eilten, durch Pforzheim. Wir finden von diefer Zeit an auch häufig
Pforzbeimer in fremden Kriegsdienften, bejonders in ſchwediſchen. Sie
mögen bier, fo weit fie befannt, auch für die folgenden Jahre zuſam—
mengeftellt werden, ?2) Bernbard Gremp, ein Flößer, war fchwebdifcher
Soldat im Mai 1693, Andreas Erbach, Wagner, fommt ebenfalls
als joldher vor im April 1636 und im März 1644; Beide hatten
Weib und Kinder; Hans Eſſig, ſtand 1636 (März) in Liguiftiichen
Dienften; Johann Niethammer war Reiter unter Herzog Bernhard
1) Am ftäbtifchen Kirchenbud.
2) Nach dem ftädtifcdhen Kirchenbuch. Es waren ibrer ficherlich weit mehr,
als oben aufgeführt find, Das Kirchenbuch nahm cben von ihnen nur bei be
udern Anläffen Notiz.
26 *
404 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
von Weimar 1638 (Aug.); Albrecht Weeber, Schuhmacher, war
Fahnenſattler unter dem baieriſchen Hauptmann von Erlisheim 1644
(13. Dez.), und Kaſpar Schoch ſtieg zum Rang eines ſchwediſchen
Oberſten empor und wird als ſolcher am 17. November 1645 und
29. Mai 1646 genannt.
Die beſtändige Anweſenheit ſchwediſcher Truppen in dem vor feind—
licher Ueberrumpelung geſicherten Pforzheim mochte wohl den Mark—
grafen Friedrich veranlaffen, mit feiner Familie bier feine Sicherheit
zu ſuchen, als die Faiferlihen Generäle Offa und Montecnculi vom
Elſaß aus verheerende Streifzüge auf das rechte Rheinufer in die ba—
denzdurlachiiche Markgrafichaft, mit welcher feit Ankunft der Schweben
auch Baden-Baden wieder vereinigt worden war, unternahmen. Am
Abend vor Oſtern brandichatten fie Durlach, eroberten im Auguft
unter den ſchrecklichſten Verwüſtungen Bretten, und legten Knittlingen
in Aſche, wurden aber dur den ſchwediſchen Feldmarſchall Guftav
Horn bei Wiesloch gefchlagen und in den Elſaß zurücgeworfen.
Ueberall waren die ſchwediſchen Waffen jett fiegreih und unter ihrem
Schutze blieben unfere Gegenden für einige Zeit von den Gräueln bes
Krieges gefihert. Zwar hauchte dev große König von Schweden fein
Heldenleben am 6. (16.) November 1632 bei Lützen aus; allein
-tapfere Feldherrn, unter ihnen namentlich der Herzog Bernhard von
Weimar, traten im feine Fußtapfen und wußten noch längere Zeit den
Sieg an die ſchwediſchen Fahnen zu felleln.
85. Die Schlacht von Wördlingen und ihre Folgen.
(1634 — 1636.)
Allein im Jahr 1634 follte fid) das Kriegsglück auf ſchreckliche Weile
wenden. Bei Nördlingen erlitten die Schweden am 27. Auguſt (6.
Sept.) unter ihren Feldherrn Guſtav Horn und Bernhard von Weimar,
welche auch badischen Kandfturm zu diefem Kampfe mitgenommen hat—
ten, durch die Kaiferlihen eine furcdhtbare Niederlage. Die Trünmer
des gejchlagenen Heeres eilten, grimmig baufend und vom Sieger ver—
folgt, auf verfchiedenen Wegen, jo zum Theil aud über Pforzheim
auf das linke Rheinufer, und dahin, nämlich nad) Straßburg, flohen
fhnell der Herzog von Württemberg und der Markgraf Friedrih von
Bierzehntes Kapitel. Piorzbeim im breißigjährigen Krieg 405
Baden. Wie ein reigender Strom ergoßen fich die kaiſerlichen Schaa—
ven, verheerend und mordend, zunächſt über Schwaben und näherten
fich rafch auch der Markgrafſchaft. Angſtvoll ftrömten die Randleute
aus der Umgegend von Pforzheim, fo aus Brößingen, Dietlingen,
Defchelbrenn, Birkenfeld, Eiſingen, Nöttingen, Huchenfeld, Kiefelbronn,
Bauſchlott ꝛc. in die Stadt, um dort Schuß zu ſuchen. 1) Allein bie
Bewohner der Letztern bielten ſich jelbft fo wenig binter den Mauern
berjelben ficher, und fo groß war der Echreden vor den Gräueln, welche
das fiegreihe Heer ſchon im Württembergiſchen verübte, daß Jeder,
der nur irgend Konnte, ſich auf die ſchleunigſte Flucht begab und in
Pforzheim bald weder ein Pferd, neh ein Fuhrwerk mehr zu haben
war. In diefer Noth wußte der Pforzheimer Amtskeller, Kafpar
Maler, zur Rettung feiner betagten Mutter Barbara, geb. Kercher,
feinen andern Rath, als fie auf einen Karren zu ſetzen und denfelben mit
Hilfe feiner beiden Söhne in das zwölf Stunden entfernte Yandau zu
ziehen — ein erhebendes Beifpiel findlicher Liebe. ?) Auch die übrigen
Beamten, fo der Obervogt Hans Georg Bertram von Herſchbach, ber
Untervogt Dienft, der Einnehmer Rfifterer, ergriffen die Flucht, gleicher:
weiſe die Lehrer des Pädagogiums. Die Geiftlichen der Stadt dagegen,
nämlich der Spezial Georg Wibel, der Spitalpfarrer Schaupp, der
Diakonus Lutz, der aber bald ftarb und defjen Nachfolger ‘Peter Ker:
her war, ſowie der Altftädter Pfarrer Job. David Langenberger hielten
muthig aus, ebenjo der wadere deutſche Schulmeifter Andreas Zarer.
Auch der Stadtphyſikus Dr. Ludwig Mögling konnte ſich nicht entfchlie:
en, feinen Poften zu verlaſſen.
Traurig genug war aber aucd das Yoos derer, die in der Heimath
zurüdgeblieben. Viele wurden von den Soldaten in der erjten Wuth
niedergehbauen, Alle geplündert ; felbjt diejenigen, welche in den Wäl-
dern Schub ſuchten und dert noch den folgenden Winter zubrachten,
— nn — —
1) Kirhenbuch von 1634.
2) Kalpar Maler Fehrte fpäter wieder nad Pforzheim zurüd und ſtarb
daſelbſt am 13. (23.) Januar 1648. Er befaß in Pforzheim cin eigenes Hane
im Höll- (obern Apotheker-) Gäßle. Seine Söhne waren Johann Joſeph,
ber 1671 als KRammerratb und Untervogt zu Karlsburg, und Heinrih Wil:
beim, der 1709 im 91, Lebensjahre als Rechnungsrath und Stadtſchreiber zu
Emmendingen ftarb. Vergl. die hiſt. geneal. Nachrichten der Familie Maler,
&, 12, 16 und 17.
406 Vierzchntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krica.
wurden mit Hunden aufgeipürt, zurüdgeichleppt und jo lange gequält,
bis fie die etwa verborgene Habe den Maubgierigen preisgaben. Am
Dberland. wurde vielen Uuglüdlihen ein Holz in den Mund geitedt
und jo lange Waſſer eingegoffen, bis fie 2O--30 Reichsthaler Ranzien
veriprachen,; Schaaren junger rauen und Mädchen wurden zufammen:
geiperrt, entkfeidet und unter Hobngelächter preisgegeben.
Hatten schen in den vorhergehenden Jahren anſteckende Seuchen
viele Menichen binweggerafft, jo traten fie jet um fo verheerender auf,
als ſich zu ihnen und den Gräueln des Krieges au noch eine andere
Plage gefellte. Die Entvölkerung der Dörfer, in deren Folge viele
Felder unangebaut blieben, während die notbdürftig angebauten nicht
felten von durchziehenden Truppen abfonragirt oder zertreten wurben,
erzeugte eine fürchterfiche Hungersnotb. Im benachbarten Durlach ftieg
das Malter Korn, weldes das Jahr vorber noch ganz wohlfeil geweſen
war, auf 24 Gulden, ein Pfund Schmalz koſtete 3 Batzen, ein Meß—
lein Salz eben fo viel, der PVierling Schwarzbrod 6 Kreuzer, 1 Ei
einen Baten, ein Huhn 2 Gulden. 1) In Württemberg galt ber
Sceffel Kernen, der bei der Ernte 1634 noch 4 Gulden gefoftet hatte,
zwei Jahre fpäter das Sehe: bis Zehnfache, ja in manchen Gegenden
fo viel, ald man damals für 50 — 60 Morgen Feldes bot.?) Tau—
jende von Menichen ftarben Hungers, obgleich das Fleiſch von Fröſchen
Kaben, Hunden und gefallenen Pferden mit Gier verfchlungen wurde ;
ja es kam fogar vor, daß man Leichname aus den Gräbern auf:
wühlte, um fie zu verzehren, und daß Mütter ihre eigenen Kinder ſchlach—
teten, um den quälenden Hunger zu jtillen. 3) Am benachbarten Wei:
Verftadt rafften Hunger und Peſt von Pfingften bis Weihnachten 1635
nicht weniger als 624 Perſonen hinweg. ) Im nämlichen Jahr wur:
ben in Dietlingen nicht weniger als 143 Perfonen begraben. 5) Nicht
geringer waren die Verwüftungen, welche die Seifen des Krieges,
der Seuchen, der entjeglihen Theurung und der KHungersnoth in
Pforzheim anrichteten. Hatte ſchon in den Jahren 1633 und 34
1) Sachs, VI., 549.
2) Steinhofer, I., 474-581.
2) Ochs, Geſchichte von Balel, VI., 636, 641 ff.
) Gehres, Chronik von Weilerftadt, ©. 129.
>) Diözes Pforzbeim, Kirchen: und Schulbeichreibung von 1735 (im Pan
debarchiv).
BVierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißinjährigen Krien. 407
eine große Sterblichteit im der Stadt geherrſcht, je rafften die erwähn—
ten Plagen in der Folge noch mehr Menſchen hinweg. Nur allein
durch die Meteleien der Kaiſerlichen fcheinen vom Spätjahr 1634 bis
zum Jahr 1635 folgende biefige Bürger ihr Leben verloren zu hahen: 1)
Chriſtoph Jakob Maier, Georg Mitichdorfer, Hans Georg O ſter—
tag, Martin Nüb, Martin Straub, Martin Deßmann, Rudolf
Eichelin, Hans Martin Hartmann, Michael Kienle, Georg
Weit, Hans Peter Merwein, David Vichmann, Michael Unge
rer, Hans Baumbauer, Martin Breidt, Georg Karlin, Mi:
chael Drever, Hans Jakob Hertenftein, Michael Kiefer, Va—
Ientin Koch, Zaharias Vogeler, Hans Eiſinger, Chriſtoph Wil:
derfinn, Chriſtoph Abrecht, Hans Abrecht, Chriſtoph Deimling,
Hans Jakob Geiger, Chriſtoph Geiger. Der Peſt und dem Hun—
ner fielen in den Jahren 1635 und 1636 folgende Bürger zum
Opfer: Marr Mangold, Hans Natob Mann, Hans Jakob
M vaer, Peter Schoch, Hans Simmerer, Peter Abrecht, Hans
Jakob Beh, Paul Berblinger, Jobſt Dages, Michael Deng:
fer, Hans Jakob Eihelin, Wendel Link, Konrad Link, Philipp
Hartmann, Hans Jakob Jung, Hans Joachim Kiefer, Hans
Chriſtoph Kienlin, Hans Georg Wolf, Konrad Randzwinger,
Leonhard Mever, Ehriftopb Diterried, Math. Schroth, Lorenz
Kienlin, Peter Bauer, Georg Bauer, Berchthold Deimling,
Chriſtehh Doll, Martin Fiſcher, Joh. Joachim Grieninger,
Hans Jakob Hertenſtein, Michael Jelin, Konrad Kaſtner, Peter
Kienlin, Lorenz Kienlin, Math. Rückenbrod, Ludwig Meyer,
Jakob Ringer, Gall Ungerer, Hans Jakob Bürger, Peter Geſi—
ger, Chriſtoph Geiger, Chriftopb Lienbard, Hans Georg Reh:
ling, Hans Joachim Schneider, Hans Burkard, Niklas Fink,
Valentin Heink, Hans Knaut. Bedenkt man, daß die Zahl der
bier Angegebenen eher unter als über der Wahrheit ftebt, was ſchon
baraus hervorgeht, baf im Jahre 1643 die Menge der durch Hunger
und andern jammervollen Tod feit der Nördlinger Schlacht umgelom-
menen Bürger auf 1350 angegeben wurde; daß von den Altftädtern,
die namentlih vom Kriege am meiften erdulden mußten, aus Mangel
N) Die Duelle diefer, ſowie mancher fonftigen Angaben find bie biefigen
Kirchenbücher,
408 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
an Nachrichten keiner genannt iſt; daß ferner eben ſo wohl Greiſe, als
Weiber und Kinder unter den Streichen des Schwertes und den Qualen
der Peſt und des Hungers fielen: jo wird die Bebauptung, daß 1634
— 1636 und zum Theil nod in den folgenden Jabren mindeftens ein
Drittel der Bevölkerung Prorzbeims zu Grunde gegangen fein muß,
nicht als eine übertriebene bezeichnet werben können,
Die ftarfe Abnahme der Bevölkerung, die bis zum Schluß bes
Krieges 1648 noch mehr ſank, iſt auch aus der Liſte der in jenen und
den darauf folgenden Jahren Gebornen erfichtlih. Ich ſetze die Zahl
derfelben ber, und zwar der Vergleichung wegen ſchon von 1630 an
bis zu 1646. (Die Altjtädter find darunter nicht begriffen.)
Im Jahr 1630 wurden geboren 137 Kinder,
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Wie manche Soldatentinber mögen ſich aber unter den von jedem
Jahr angegebenen Geborenen befunden haben!
Shen 17 Jahre hatte bis zu dem Zeitpunkt, an welchem wir
mit unferer Erzählung jest angelangt find (1635), der unfelige Krieg
aedanert und überall in Deutichland unfäglichen Sammer verbreitet.
Fügen wir bier die Schilderung des damaligen Zuftandes unferes deut—
ihen Vaterlandes ein, wie fie Schiller in jeiner Geſchichte des dreißig:
jährigen Krieges aibt:1) „Das Elend in Deutichland war zu einem
) Band IX, feiner ſämmtlichen Werte, S. 434 fi, (Gotta, 1838).
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 409
jo ausfhmeifenden Grabe geitiegen, daß das Gebet um Frieden von
taujendmaltaufend Zeugen ertönte, und auch der nachtbeiligfte noch
immer für eine Wohlthat des Himmels galt. Wüſten lagen da, wo
ſonſt taufend frohe und fleikige Menichen wimmelten, wo die Natur
ihren berrlichiten Segen ergoffen und Wohlleben und Ueberfluß geberrfcht
batte. Die Felder, von der fleikigen Hand des Pflügers verlaſſen,
lagen unangebaut und verwildert, und wo eine junge Saat aufſchoß
oder eine lachende Ernte winfte, da zerftörte ein einziger Durchmarſch
den Fleiß eines ganzen Jahres, die letzte Hoffnung des verſchmachtenden
Volkes. Verbrannte Schlöſſer, verwüftete Felder, eingeäfcherte Dörfer
lagen meilenweit berum im grauenvoller Jerftörung, während ihre
verarmten Bewohner bingingen, die Zahl jener Mlordbrennerheere zu
vermehren, und, was fie jelbft erlitten hatten, ihren verfchonten Mitbür—
gern fchredlich zu erjtatten. Kein Schuß gegen Unterdrüdung, als jelbit
unterbrüden zu belfen, Die Städte feufzten unter der Geifel zügellofer
und räuberifcher Befabungen, die das Eigenthum des Bürgers verfäylangen
und die Freiheiten des Kriegs, die Licenz ihres Standes und die Bor:
rechte der Noth mit dem graufamjten Muthwillen geltend machten.
Wenn fon unter dem kurzen Durchzug einer Armee ganze Länder:
ſtrecken zur Einöde wurden, wenn andere durch Winterquartiere ver:
armten oder durch Brandihabungen ausgefogen wurden, jo Fitten fie
doch nur vorübergehende Plagen, und der Fleiß eines Jahres konnte
die Drangjale einiger Monate vergeffen machen. Aber feine Erholung
wurde denjenigen zu Theil, die eine Beſatzung in ihren Mauern oder
in ihrer Nahbarfchaft hatten, und ihr unglüdliches Schickſal konnte
ſelbſt der Wechſel des Glüdes nicht verbefjern, da der Sieger an den
Pak und in die Zußtapfen des Befiegten trat, und Freund und Feind
gleich wenig Schenung bewiefen. Die Vernachläſſigung der Felder, die
Zeritörung der Saaten und die Vervielfältigung der Armeen, die über
die ausgefogenen Felder daherftrömten, hatten Hunger und Theuerung
zur unansbleiblihen Folge, und in den letzten Jahren vollendete noch
Mißwachs das Elend. Die Anhäufung der Menichen in Lagern und
Quartieren auf der einen Seite und Völlerei auf der andern brachten
peitartige Seuchen bervor, die mehr ale Schwert und jener die Länder
verödeten. Alle Bande der Ordnung lösten in diefer langen Serrüttung
fi auf, die Achtung für Menſchenrechte, die Furcht vor Gefegen, die
410 Bierschntes Kapitel. Piorzheim im dreikiajährigen Krieg.
Reinheit der Sitten verlor fih, Treue und Glaube verfiel, indem die
Stärke allein mit eifernem Scepter herrichte; üppig ſchoſſen unter dem
Schirme der Anarchie und der Straflofigkeit alle Yafter auf, und bie
Menfchen verwilderten mit den Ländern. Kein Stand war dem Muth:
willen zu ehrwürdig, fein fremdes Eigentbum der Noth und der Naubs
fucht heilig. Der Soldat, (um das Elend jener Zeit in ein einziges
Wort zu preffen,) der Soldat herrſchte, und diefer brutalite der
Despoten lieh feine eigenen Führer nicht felten feine Obermacht fühlen.
Der Befehlshaber einer Armee war eine wichtigere Perfon im Lande,
worin er fich ſehen ließ, als der rechtmäßige Megent, der oft dahin ge-
bracht war, fih vor ibm in feinen Schlöffern zu verkriechen. Ganz
Deutſchland wimmelte von ſolchen Kleinen Tyrannen, und die Länder
ſitten gleich hart von dem Feinde und von ihren Vertheidigern.“
Zu den oben erwähnten Folgen der Schlacht von Nördlingen ta:
men für Pforzheim auch noch andere. Ueber die Markgrafſchaft
Baden-Durladh wurde vom Kaifer wie über ein erobertes Land verfügt.
Der obere Theil derfelben erhielt einen befondern Statthalter und
mußte im Auguft 1635 der Wittwe des 1632 verftorbenen Erzberzogs
Leopold von Defterreih, Claudia von Mebdicis, buldigen; ben untern
Theil aber mit Pforzheim fchenfte der Kaifer am 5, Mai 1635
feinem General, dem katholiſchen Markarafen Wilhelm von Baden:Baben,
der in dieſer Stabt alsbald die Klöfter der Franziskaner und Domint-
kaner ſowie das St. Michaels-Stift wieder herftellte, jene mit Mönchen
bevölferte und zum Propft von diefem feinen neunjährigen Sohn, Leo—
pold Wilhelm, inveitiven ließ, Allein der neue Beſitz blieb in feinem
ganzen Umfange nicht lange in den Händen des Markfarafen Wilhelm,
Der Kurfürft Marimiltan von Baiern batte fich auch der Pfalz wieder
bemächtigt.. Da nun das Lehensverhältniß, in welchem fich die Nemter
Pforzheim und Graben zu der Pfalz befanden, noch immer fortbauerte,
der Markgraf von Baden: Durlah aber feiner Länder für verluftig er:
Märt und auch von der den übrigen evangeliichen Reichsſtänden ange:
botenen Ammeftie (fammt dem Herzog von Württemberg) ausdrücklich
ausgeihloffen war, jo hielt der Kurfürft diefe Zeit für geeignet, fein
Recht auf diefe beiden Aemter geltend zu machen, und ri im Dezember
1635 diefelben an fih. Am 13. (23.) Dezember erfchienen die beiden
baierifchen Kommiffarien von Ungelter und von Peldhofer in Pforz—
—
Vierzebntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 411
beim und nahmen im Schloffe daſelbſt, nachdem Pelckhofer, um den
MWiderwillen der Bürger zu mildern, die fernere Uebung des proteftan-
tiihen Gottesdienftes mehrfach mündlich zugefagt hatte, für den Kur:
fürften die Huldigung ver. 1) Zu noch mehrerer Verfiherung, daß «8
ihm mit dem Zugeſtändniß der Meligionsfreiheit ernjt fet, Hatte Reid:
hofer ben Pater Chryſoſtomus Speth, Vikar des Dominifanerflofters,
und den Spezial Wibel auf das Rathhaus fommen laffen, we er in
Beifein Gerichts und Raths im Namen des Kurfürften die Kirche im
Predigerflofter mit beiberfeitiger Zuftimmung fo feparirte, daß die Domini—
kaner das Chor erhielten, das Peldhofer fogleih mit einem neuverfertigten,
beſchlüſſigen hölzernen Gitter unterfchlagen ließ, der Stadt aber wie zuvor
das Langhaus zum Gottesdienft überlafen bliebe, Mit bitterer Beſchwerde
über die Gewaltthat des Kurfürften wandte ih Markgraf Wilhelm an
den Kaiſer; er könne nicht dulden, daß die beiden Memter Pforzheim
und Graben vom uralten Haus Baden wegen eines Pfandſchillings
an die Pfalz kämen. Allein die Bemühungen des Kaijers, diefe Sache
wieder rüdgängig zu machen, waren vergebens; denn als er den Grafen
von Sulz nad) Pforzheim fandte, wo biefer am 9. (19.) Mai 1636
in Beifein der von Baden-Baden gleichfalls dahin geſchickten Räthe „mit
läutender Andtgloden“ (d. i. Sturmglode) die Bürger verfammelte und
ihnen unter allerlei Verfprechungen zuredete, dem Markgrafen Wilhelm
zu buldigen, fo weigerten fi) die Pforzheimer ganz entichieben, dies zu
thun, obgleich ihnen von Seiten der baden = badifhen Näthe ebenfalls
vollftändifche Freibeit in Ausübung der evangelifchen Religion und ftrenge
Beobachtung der ftädtiichen Rechte zugefichert wurde. Sie mochten eben
fo wenig einem einmal geichworenen Eide untreu werden, als unter der
Herrſchaft eines Fürften ftehen, der im ganzen Krieg eben nicht die
rühmlichite Rolle fpielte und namentlich dem angeftammten Fürſten der
Pforzheimer gegenüber weber — noch überhaupt eble
Geſinnungen gezeigt hatte.
Alſoſſtand jetzt Pforzheimunter pfälziſch-baieriſchem
Scepter!
no ——*
1) In einem Schreiben, das die Pforzheimer jpäter an den Herzog von
Württemberg richteten, nannten fie bdiefelbe eine „Pfandſchillingshul—
dbigung.“
412 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjäbrigen Krieg.
86. Meligionsbedrükung in Pforzheim.
(1635 --1643.)
Pforzheim behielt auch in den folgenden Jahren eine ftändige baie-
riſche Garnifon, die, weil bei den verarmten Bürgern einquartirt und zu
Ausichreitungen bei jedem Anlaß geneigt, Feine geringe Plage für bie
hen ſchwer genug heimgeſuchte Stadt war. Inter den Offizieren diefer
Garnifon begegnen wir 1) 1636 (Sert.) und 1637 (16. Jan.) dem
baierifhen Generaltriegstommiffir Junter Wolfgang Peldbofer, alfe
demfelben, der ſchon das Jahr vorher als Huldigungstommiflär (S. 410)
in Pforzheim geweſen war, ebenjo einem Offizier Rudolf Bed 1637
(Mai und Juni), Im Juni finden wir Theile des alten Piccolomini’
fhen Neiterregiments und des Metternidyichen Regiments, wahrſcheinlich
in ein Korps vereinigt, in Pforzheim. Nom Januar bis November
1638 werden Soldaten und Negimentsquartiermeifter aus dem Regi—
mente des Oberſten Heinrich Chriſtohh Sailing von Altheim genannt,
Ein walifches (italienisches) Negiment war theilmeife, vielleicht auch ganz
bier im März (29.) 1639, jcheint aber mit dem Gailing'ſchen Korps,
welches nur eine Kompagnie zählte, beifammen gewefen zu fein; denn
Dberft Sailing war nebit Oberft Kolb, der als Kommandeur eines
bejondern nad ibm benannten Negiments bezeichnet wird, einem Haupt:
mann Hans Georg Lauermeier aus dem Edelſtettiſchen Negimente
und einem Oberjtlieutenant Herrv. Ganua (viell. Gannois) am 30. No:
vember bier beifammen. Lauermeier wird am 16. Dezember als Rome
mandant der Stadt bezeichnet. m Januar 1640 war ein General-
fommifjär Schäffer und 23. April ein Hauptmann Negvdius bier.
Bon 1641 (26. April) an erſcheinen das Gill de Hafffche und das
Horſt'ſche Regiment, oder Theile desfelben in Pforzheim. Ein Lieute:
nant des Lebtern, Dans Völkel it 1641 (23. Juni) und 1642
(24. März) als Kommandant der ftädtifhen Garnifon genannt. Daß
Theile diefer Truppen längere Zeit ununterbrochen in Pforzheim Tagen,
geht daraus hervor, daß 1643 (1. Nov.) Überit von Gatling, das
Lapier'ſche Negiment (hen 10. Eept.) und Oberſt Wolfe Neiterregi:
ment als anweſend genannt werden. 1643 finden wir acht lothringiſche
Kompagnien nebſt Meiterei unter dem Befehl des Oberſten Juver:
) In den ftäbtifchen Kirchenbüchern.
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im bdreißigiährigen Krieg. 413
court in Pforzbeim, und gleichzeitig werden als anweſend dafelbft ges
nannt ein General Graf von der Wahl, der fchon erwähnte General-
fommiflär Schäffer und ein Gieneralquartiermeifter Holt, Welche
ſchwere Last diefe Truppen für die Stadt waren, erfehen wir aus einem
Schreiben Bürgermeifters und Raths vom 22. März (1. April) 1643
an den ebengenannten Schäffer, der fich damals bereits wieder in Tü—
bingen befand, worin es unter Anderm heißt: „Seit 35 Tagen liegen
8 Kompagnien zu Roß und zu Fuß in Pforzheim, welche die Stadt
bisher 11,800 Gulden gefoftet haben und noch täalih 300 Gulden
koften. Viele Leute, die großen Laften auszuhalten ferner aufer Stand,
find bereits von Haus und Hof entflohen.”
Zu diefer drüdenden Einguartirungslaft famen aber noch Bedräng—
niffe anderer Art, die bier eine um fo ansführlichere Darftellung ver:
langen, als die Pforzheimer dabei neue Proben jenes Glaubensmutbes
ablegten, von welchem ſchon früher die Jahre 1565, 1601, 1604,
1622 und 1629 Zeugniß gegeben hatten. Die Gefhichte der zu Pforz:
beim „durch Menfchen zwar vorgenommenen , von Gott aber hintertrie:
benen Religionsänderimg” 1) bildet einen der Glanzpunfte in der Dar:
ftellung der wechſelvollen Schieiale der Stadt.
Maren, wie oben ſchon erzählt, durch Markgraf Wilhelm von
Baden-Baden bei der Beſitznahme Pforzheims im Mai 1635 bie
Mönde und mit ihnen der katholiſche Gottesdienſt in der Stadt wieder
eingeführt worden, fo wurde, als der Kurfürft von Baiern ſich Prorz:
heims bemädhtigt hatte, auch der Kapuzinerpater Friedrich von Kichten:
ftein am 18. März 1636 nebit einer Anzahl Mönde von Weilerftadt
nad Pforzbeim berufen, und ifnen dafelbft das St. Georgsftift als
Hofpiz angewieſen. Zwar zwang die Eiferfucht der Franziskaner umd
Dominikaner die Kapırziner bald, ihre in Pforzheim eröffnete Mifften
1) So heißt die Aufichrift eines duch Brand ziemlich beſchädigten Akten⸗
aszikels, welcher fih im Generallandesarhiv zu Karlsruhe befindet. Biers
oodt bat denſelben Kereits für feine „Gefchichte der evangeliſchen Kirche in
Baden“ benügt und in dieiem Werke von S. 218—231 eine ziemlich umſtänd—
liche Darftellung der Ereigniſſe des Jahres 1643 gegeben. Indem id dem
Gang feiner Erzählung folge, gebe ich mit Zugrundlegung ber erwähnten
Quelle, fowie der biefigen Kirchenkücher, bei dem großen Antereffe, bas bieje
Ereigniſſe erwecken müſſen, Manches ausführlicher, ale dies Vierordt bei
einem nicht bloß für Pforzheim beftimmten Geſchichtswerk bat thun können.
414 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjäbrigen Krieg.
wieder zu verlafien; Letztere brachten es jedoch zu Anfang des Jahres
1643 zu einer zweiten Berufung nah Pforzbeim. Im November
1636 wurden den wenigen noch vorbandenen evangelifhen Geift:
lichen in Stadt und Yand durch die baierifche Regierung die Gehalte
entzogen. Sie durften zwar jegt noch in Funktion bleiben und gottes:
bienftliche. Handlungen wie bisher vornehmen, waren jebody bezüglich
ihres Unterhaltes auf die freiwilligen Beiträge der verarmten Gemeinden
angemwiefen, die von ihren Seeliorgern nicht laſſen wollten, und darum
auch ihren Wegzug durd alle Mittel zu verhindern fuchten. Als der
artige Maaßregeln ſowohl, als aud die eifrigften Bekehrungsverſuche der
Mönche an der Zähigkeit jcheiterten, mit welcher die Pforzheimer ihrem
evangeliichen Glauben anbingen, jo wurde nach einem Anlaß gejucht, um
den Kurfürften zu einem gänzlichen Verbot des evangeliichen Gottesdienftes
zu bewegen. Solcher Anläffe fanden fih endlid fogar zwei. Im
Verein mit dem Kapuzinerpater Fulgentius, der kurz vorher die evan—
gelifche Lehre öffentlih dem Teufel übergeben hatte, berichtete nämlich
der baierifhe Untervogt Georg Faber nah Münden:!) Eritens,
bei der Nachricht von dem Siege, weldyen der Schwede Torjtenfon im
Herbft (23. Okt.) 1642 unweit Leipzig über den kaiſerlichen Feldherrn
Leopold Wilhelm, Biſchof von Straßburg, erfochten hatte, fei in der
Pforzheimer Stadtlirde am Martinsfeft ein jubilirender proteftantifcher
Dettag gehalten worden; dabei babe die Bürgerſchaft mit Begleitung
der Orgel (die zu „ſchlagen“ an ſolchen Tagen fonjt nicht Sitte war)
ein Te Deum laudamus und das ſeit Jahren bier nimmer gehörte
Lied: Erhalt’ ung Herr bei deinem Wort — gefungen; zweitens,
als das ſchwediſch-franzöſiſche Heer von Breiſach aus neulich auf einem
Streifzuge bis in den Kraichgau vordrang, habe ſich der Stadtrath in
Unterhandlungen mit den Vorpoften eingelafjen.
Wie es fih in Wirklichkeit mit diefen beiden Anklagen verbielt,
zeigt eine „Supplifation aller Kirchen» und Schuldiener der Stadt und
Amts Pforzheim an den Kurfürften” vom 5, (15.) April 1643, ebenfo
eine andere Supplifation von demfelben Datum, welche VBürgermeifter,
*) Auch der Amtskeler Johann Wolf Geiger (vielleicht ſelbſt ein Pforz⸗
heimer) ſcheint mit im Bunde geweſen zu fein, Wenigftens werfen ihm bie
Geiftlihen vor, daß er „duch falſche Anklagen am meiften Dolz zu bdiefem
Feuer getragen habe.“
Vierzehntes Kapitel, Pforzbeim im breißigjährigen Krieg. 415
Gericht und Rath durch zwei bejondere Abgeordnete (fiehe unten) nad
München fandten. Bezüglich des jubilirenden Gottesdienftes erklären
die Geiftlihen: „Dieje Erzählung ift uns bochbetrübt und zugleich,
da wir durch Beweiſe des Gegentbeils leicht unſere Unſchuld darthun
können, erfveulih. Wahr ift, dak wir 1642 am Meartinitag: Erhalt!
ung Herr bei deinem Wort ꝛc. gefungen, aber nicht wahr, daß die Orgel
dabei geichlagen worden, woraus unſere Anfläger ein Tedeum und us
belgejang erzwingen wollen. Bloß die drei erften Geſetze (Berfe) find
gefungen worden. Der Gefang paßte für die Jahrespredigt, womit
Luthers p. m. (piae memoriae d. h. jeligen Angedentens) „Chr und
Lehr modeste defendirt“ wurde, ift alt und bei allen Lutheriſchen im
Gebrauch, jteht in gedrudten Gefangbüchern und wurde ſelbſt in der
ewangeliichen Kirche in Negensburg bei dem Reichstag gefungen; in
Pforzheim war er niemals verboten worden. Wir würden ihn aud
beftändig gejungen haben, hätten ihn unfere Mißgünſtigen nicht nebft
andern Geſängen aus den Gefangbüchern herausgeriffen. Wäre er ein
Tedeum laudamus, jo würde der Kurfürft von Sachſen ihn abgeichafft
haben; er läßt ihm aber unſeres Wiſſens noch immer fingen, obwohl er
an jener Niederlage Feine Freude haben konnte,” 1) u. ſ. w. — Ueber
die Beichuldigung der Unterhandlung mit feindlichen Truppen gibt der
Stadtrath am angeführten Orte folgenden Aufſchluß: „Daß es unwahr
ſei, daß der Magijtrat jammt Bürgers und Bauerſchaft ſich bald auf
diefe bald auf jene Seite gewendet und ohne Befehl ſich mit den franz
zöfifchen in Kontributionsakkord eingelafien habe, das bezeugen wir bei
dem allmächtigen Gott und durch die Verficherung der Heidelberger
Regierung, ſowie der kurfürſtl. Generalität, ohne deren Verwilligung wir
nichts unterhandelt haben. Als nämlich der Feind die ganze mittlere
Markgrofihaft und die benachbarten öſterreichiſchen Orte, ſowie die abe:
liche Nitterihaft am Nedar und Schwarzwald zur Kontribution ges
zwungen und uns bis auf Ettlingen in die Nähe kam, und und zum
dritten Mal drobend aufforderte zur Kontribution, bei deren Verweige—
rung er au das Kind im Mutterleib nicht verfchonen wolle, jo haben
+) Der Kurfürft Johann Georg von Sachſen batte fi ſchon 1635 von
den Echweden fosgefagt und mit dem Kaifer Friede geichloffen, wofür ihm
Schweden den Krieg anfündigte, der in den folgenden Jahren zur fürchterlich:
ten Berwüſtung der jüchfiihen Länder Veranlaffung gab.
41 4
416 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im pvreißigjährigen Krieg.
wir durch Abgeordnete unferer Stadt unfere große Noth der Generalität
gefhildert, worauf der Generalkommiſſär Schäffer dem General Grafen
von der Wahl in Beifein des Generalquartiermeifters Holt Relation
getban und die Refolution erwirft bat, daß, da uns die Reichsarmee zu
ferne ſtehe und nicht helfen könne, wir uns emftweilen zur Rettung von
Haus, Hof, Weib und Kind mit dem Feind in eine leibliche Kontri—
bution einlaffen durften. Der Feind rückte unterdejien unter General
Erlach mit 1200 Pferden heran, und nachdem wir die Sadye bis auf
den Nothknopf verzogen battın, ſchickten wir zum Kommiffariat Tachftein,
wo wir mit Bitten und Beten das erlangten, daß das Volk gegen Ver—
iprechung monatlicher SO Reichsthaler fontramandirt und für geiftliche
und weltliche Diener beider Neligionen in der Etadt und im Amt Pforz-
beim eine fhriftliche Salva Guardi (Sauvegarde, d. b. hier ein Sicher:
beitsbrief) ansgewirkt wurde. Die Völker rüdten endlich gegen Weiler:
ftadt und Kannftatt (Jan. 1643) und haben uns Gottlob überhüpft,
und an der veriprochenen Kontribution ift ihnen weder Heller noch
Pfennig erlegt worden. Unterdefien z0g die ganze weimar’ihe Armee
fi gegen Heilbronn, nahm bei Lanfen die Brüde weg, plünberte würts
tembergifche Orte, und auf das Gerücht, fie ziebe gegen Pforzheim, Tieß
der Untervogt und der Stadtjchreiber Nachts zwifchen 9 und 10 Uhr
den Stadtrath aufs Nathhaus rufen, es folle ihr Jemand wegen einer
Salva Guardi für uns entgegengejdidt werden, Der Nath, weil bie
Stadt von allen Seiten mit feindlichen Partien bedroht und nicht fo
beſchaffen jei, daß fie fich vertheidigen könne, ſchickte alfo nah Laufen
und erwirkte beim Kommandanten eine fchriftliche Salva Guardi, Außer:
dem fchickte die Weimar'ſche Generalitit ohne unfer Begehren auch zwei
lebende Salva Guardi, nämlich einen Kornet und einen Korporal, nad)
Pforzheim mit dem fchriftlichen Auftrag, wir follten diefe in die Stadt
aufnehmen. Aber wir hielten fie von Mittag bis in die Nacht in der
Borftadt auf und verfiherten, daß wir fie nicht verlangt hätten. Ende
lich zogen fie in der Macht wieder zurück“ u. ſ. w.
Ohne daß jedoch der Untervogt Faber die Beichuldigten über die
erhobenen Anflagen zur Verantwortung aufforderte, ließ er durch die
beiden Stadtrechte, „allem Herkommen zuwider,“ die evangelifchen
Geiftlihen der Stadt, nämlih den Spezial Johann Georg Wibel, 1)
1) Er war aus Augsburg gebürtig, wurde als Diakon in Ettlingen ange:
ſtellt, aber nah der Schlacht von Wimpfen durch den fatholifhen Markgrafen
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 417
die beiden Diakone Säuterlin und Kercher, den SZjährigen Spitalpfarrer
M Wolfgang Schaupp und den Pfarrer der Altftadt Johann David
Eauter, ferner den Rektor der lateiniſchen Schule, (vermuthlich Albert
Herold) und den „Teutſchenſchuelmeiſter,“ (entweder den früher fchon
genannten Andreas Tarer oder feinen Nachfolger Johann Kenn), endlich
auch diejenigen drei Yandgeiftlichen, die in den 14 Dörfern de Amtes
Pforzheim allein noch übrig waren, nämlich die Pfarrer von Brötzingen,
Eifingen und Niefern, auf Dienftag vor Oftern 21. (31.) März ohne
MWiffen und Willen Bürgermeifters und Raths in das Amthaus vor:
laden. Nachdem fie Alle an diefem Tage Morgens 8 Uhr nad der
Frühpredigt (die Diakonus Säuterlin über die Geißelung Chriſti ge—
halten,) daſelbſt erſchienen waren und der in der Amtoſtube zuerſt an—
weſende Oberkeller Geiger und der Amtsverweſer Brunner von Stein ſich
entfernt hatten, eröffnete der Untervogt den Vorgeladenen mit trotzigen
Worten, daß er durch die Regierung zu Heidelberg vom Kurfürſten den
Befehl erhalten habe, die evangeliſchen Geiſtlichen in Stadt und Amt
alsbald abzuſchaffen und das unkatholiſche Exercitium lutheriſcher Reli—
gion unverzüglich einzuſtellen. Zugleich fügte er hinzu, daß er die
Geiſtlichen nur noch zwei Tage dulden werde. Als Wibel ſeine Be—
fremdung über einen ſolchen Befehl, (von welchem Faber jede Abſchrift
veriveigerte,) zu erkennen gab und an das bei ber Huldigung, ſowie
von der Regierung zu Heidelberg mehrfach gegebene Verſprechen freier
Religionsübung erinnerte, erwiderte Faber: Der Kurfürft könne in
jeinem nunmehr eigenthümlichen Lande disponiren, wie er wolle; doch
habe man in Pforzheim ſelbſt dadurch Anlaß zu der Aenderung gege—
ben, daß man gegen die Katholiken gepredigt 1) und das Web: Erhalt
ung Herr bei deinem Wort — gefungen hätte. Sogar mehrere
Rathsverwandte der Stadt hätten fich über diefen Gefang, an welchem
von dort vertrieben, worauf er als Hofprediger nad Durlach und 1638 als
erfter Stadtgeiftlicher, Spezial und Superintendent nah Pforzheim fan, Er
zog 1646 von da nach Schwäbiſch-Hall, wo er 1651 ftarb.
) Was das den Geiftlichen hier vorgeworfene Predigen gegen bie Katho:
lifen betrifft, fo fagen fie darüber in der fhen erwähnten Supplication vont
5. (15.) April: „Wir müflen uns gegen die Orbenslent vertheidigen, bie uns
zuerft angegriffen haben, jonderlih Pater Fulgentius, ein Kapuziner, ber gegen
unfere Lehre hitzig fulminirt, fie dem Teufel übergeben hat. Uns ſelbſt müßten
wir für liederliche Leute halten, wenn wir uns nicht vertheidigten.“
Pflüger, Pforzheim, 27
418 Vierzehutes Kapitel. Pforzheim im dreigigjährigen Krieg,
nicht viel Gutes fei, (Wibel hatte das Lied dem Untervogt Zeile für
Zeile vorgelefen und erffärt) und den man feit 8 Jahren in Pforzheim
nicht mehr gehört, fehr geärgert. Auf den Wunſch Wibels, die Namen
diefer Rathsverwandten zu erfahren, entgegnete Faber umwillig: In
Pforzheim hätte Einer viel zu thun, wenn er alle Anklagen jelber an-
hören wolle, denn bier jei e8 Brauch, weder Geiftliche noch Weltliche
zu schonen, Als Wibel um Aufſchub der Erekution bat, bis nad)
Heidelberg und München berichtet fei, erklärte der Untervogt, daß er
noch fo lange warten wolle, bis Antwort von Heidelberg eingelaufen
ſei; er fer bereit, den von Pforzheim abziehenden Geiftlichen eine Ab:
theilung der in der Stadt liegenden lothringiſchen Truppen zur Ber
dedung mitzugeben. An den Kurfürften felbit könnten fie fih nachher
wenden, — leichzeitig mit diefer Eröffnung an die Geiftlihen erließ
der Untervogt an alle Amtſchultheißen den Befehl, bei Strafe Feine
evangeliichen Kirchen außer Landes mehr zu bejuchen, aller Palmen
und evangelifchen Geſänge, fowie ihrer Pfarrer fich zu enthalten, alle
Todesfälle, Ehefegnungen und Kindstaufen bei ihm anzuzeigen, damit
er die Anordnung treffen könne, daß das Alles durch katholiſche Geift-
liche beforgt werde, Tags darauf 22. März (1. April) wurde der
ganzen Bürgerichaft in Pforzheim nad dreimaligem Läuten mit der
„Aydtglocken“ ein vom Untervogt felbjt aufgefeßtes und unterfchriebenes
Mandat vorgelefen, nady welchem er mit der ausgeſprochenen Auswei-
fung der Geiftlihen auch die bisherige unkatholiſche Neligionsübung für
abgeichafft erflärte und im Namen des Kurfürften befahl, daß Jung
und Alt Morgens und Abends dem katholiſchen Gottesdienft beimohne
und nicht etwa amdere Kirchen befuche, den neuen Kalender wohl obſer—
vire, die Feſttage dev katholischen Kirche feire und während bevorfteben-
der beiliger Zeit, alfo auf Gründennerftag, Charfreitag und Oftern, da—
mit den Anfang mache. Während Alles dies geſchah, waren auf
Weifung Fabers durd den Oberſten Juvercourt 50 Mann Mustetiere
auf dem Marktplatz aufgeftellt worden, und Neiter zogen durch alle
Strafen, damit fie, wo irgend zwei oder mehr Menjchen beieinander
ftanden, folde Zufammenrottungen auseinander trieben.
Gegen diefen unerwarteten Befehl wandte fich die jtädtifche Obrig—
feit noch am gleichen Tag, zuerft an den feit 1638 aus dem Exil heim
gefehrten Herzog von Württemberg, er wolle von der Stadt und dem
Amt Pforzheim, wo nicht weniger als 1350 Bürger durch den Hunger
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 419
und andern jammervollen Tod umgekommen feien, mittelft feiner Für—
ſprache das neue „noch ſchwerere“ Kreuz abzuwenden ſuchen. Hierauf
fhicte die Stadt felbjt zmei Abgeordnete, nämlich den Bürger Ernſt
Friedrich Hennenberger und den Apotheker Johann Barthold, an die
baierifche Negierung nad Heidelberg. Hier vernahmen fie, wie entjtellt
mit unwahren Zufägen der Anhalt des fraglichen Liedes hinterbracht
worden war, Man Hatte dem Kurfürſten beiipielweife berichtet, die
zweite Zeile. des erften Verſes (— „und fteuer’ des Papſtes und Türken
Mord“ —) laute: „Und ſteuer' des Papites, des Katjers, des Teufels
und des Türken Word.“ Diefen Theil der Beſchuldigung widerlegten
die Deputirten ohne Mühe und betheuerten zugleich, am jenem verhäng:
nigvollen Bettage ei weder an ein Tedeum gedacht, noch ſonſt cine
Freude über die Leipziger Niederlage geäußert worden; die Dominikaner,
die jeden Schritt jühen, jedes Wort hörten, das im evangelifchen Theil
der Kirche vorkomme, jolle man jelbjt darliber vernehmen. Endlich be
riefen fie fih auch auf die Zeugnifje der baierifchen Generalität und
lieferten dieſe Zeugniſſe wirklih nah, daß Pforzheim nur in der
ſchrecklichſten Noth und nur nach eingeholter Grlaubniß jener Generali:
tät dem jo nahe und grimmig drohenden Feinde eine Gontribution zus
gefagt, aber ſelbſt diefe nicht abgeliefert habe, da dev General Gerlach,
ohne einen Verſuch zur Eroberung dev Stadt zu machen, aus der Ge
gend bald wieder abgezogen fei,
Der Befcheid, den die Abgeordneten in Heidelberg erhielten, war
offenbar nur auf einftweilige Beruhigung und vielleicht auch all:
mählige Bearbeitung der Gemüther abgejehen. Dem Untervogt, hieß
es, jeien dergleichen Gewaltsübungen durchaus nicht befehlen, der Sur:
fürft jei nicht im Geringftien Willens, eine Reformation der Religion
in Pforzbeim vorzunehmen oder gar die Unterthanen zur Fatholifchen
Meligion zu zwingen, fondern fie follten durch ihre Pfarrer in den
Häufern taufen und Ehen einfegnen, auch die Kranken befuchen lafjen;
ebenjo jei ihnen das Predigen und Pſalliren in den Häufern nit uns
terfagt; nur in der Kirche bleibe ihr „vermeinter Gottesdienft“ durch—
aus verboten. Die Geiftlichen müßten nicht fort, und ebenfowenig fei
ber Untervogt angewiefen geweſen, die deutſchen und lateiniſchen Schul:
meifter in Pforzbeim abzufchaffen. Die armen Kinder Hätten nichts
zu entgelten, und man follte die Schulen wieder wie zuvor halten lafs
fen. Auf die von den Abgeordneten nun auch N Vorſtellun⸗
420 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im, dreißigjährigen Krieg.
gen gegen das Verbot des öffentlihen Gottesdienftes wurde ihnen
erwidert, die besfallfige Nefolution rühre vom Kurfürften jelber ber,
und an ibn jollten fie fich in diefer Sache unmittelbar wenden.
Auf den hierüber erfsatteten Bericht der beiden Abgeordneten bes
ſchloß der Magiftrat, jogleich eine Deputation nah Münden zu ſchicken,
um beim Kurfürften die Wiedergeftattung des öffentlichen Gottes:
dienſtes auszuwirken, zugleih aber aud, um ihn um Verminderung der
unerträglichen Laften zu bitten, welche ihnen der Krieg auferlegte. Die—
felbe beftand aus dem ſchon genannten Apotheker Barthold und dem
Raths- (oder Gerichts:) Verwandten Johann Kafpar Aberlin. Diefe
Deputation wurde nit nur mit einer Vollmacht von den Gemeinden
der Amtsbezirte Pforzheim und Graben, 1) fondern aud mit Empfeb:
Iungsichreiben verfchiedener vornehmer Herren verfehen. Auch wurden
ihnen die beiden oben (S. 414) ſchon erwähnten Supplifationen des
Magiftrats und der Pforzheimer Geiftlichen und Sculdiener mitgege-
ben. Noch am nämlichen Tage, an weldem diefe Schriftitüde verfaßt
wurden [5. (15.) April], reisten die beiden Deputirten von Pforzheim
ab.2) Sie nahmen ihren Weg über Weilerftadt und Tübingen nad
Um, und fuhren von dort auf der Donau zunächſt nah Höchftadt, um
den daſelbſt wohnenden Umgelter, der mit Pelkhofer im Jahr 1635 in
Pforzheim als kurfürftliher Kommiffär die Huldigung vorgenommen
hatte, (©. 410) aufjufuchen und ihn um Einſichtsnahme der noch im
feinen Händen befindlichen Huldigungsalten zu bitten. Diefe wurde
ihnen bereitwilligft geftattet; allein jie enthielten fein Wort daven, daß
ben Pforzheimern bei der Huldigung irgend Verfprechungen wegen ber
freien Ausübung ihrer Religion gemacht worden feien. (Jene Zufage
war, wie oben (S. 411) erzäblt, auch nur mündlich gegeben worden
und wurde in der Folge von beiden Kommiſſarien wieder in Abrebde
geftellt.) Sie muften deshalb ihre Supplifation in Augsburg um:
ſchreiben laſſen. Dort wurde ihnen gerathen, dem Kurfürften nur biefe
1) Der Pfarrer Johann Kraßer von Graben fchrieb darüber an Wibel, das
Amt Graben babe die von der Etadbt Pforzheim begehrten 50 Gulden Reife
foften verwilligt und vorgeſchoſſen. Da man aber gegenwärtig nit jeber
Stunde trauen bürfe, fo feien die beiden Ueberbringer dieſes Briefes angewieſen,
das Geld in Pforzheim aufzunehmen,
2) Ihren ausführlien Reifebericht Habe ih in den Nummern 4 und 5
bes Piorzheimer Beobachters von 1858 mitgetheilt.
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigiägrigen Krieg. 421
zu überreichen, dagegen die Supplifation der Pforzheimer Geiftlichen,
bie den Kurfürften nur noch ungelegener jtimmer würde, zuriczubehal-
ten, auch von den Empfehlungsfchreiben nur im Notbfall Gebrauch zu
machen. In Münden, wo die Abgeordneten am 13. (23.) April
ankamen, fuchten fie zuerft den Kanzler des Kurfürften auf, um ibn
um Einftelung der vom Untervogt in Pforzheim angerröneten Refor—
mations- Prozedur und um Audienz beim Kurfürften zu bitten. Sie
wurden aber jehr ungnädig empfangen und mußten wegen bes „Jubel—
feftes, der Mahlzeiten und des Bettags“, fo die Pforzheimer wegen
ber Leipziger Niederlage angeftellt und weil fie gefungen: Erhalt uns
Herr bei deinem Wort und fteur’ des Papftes, des Kaifers, des Teu—
feld und Türken Mord — die bitterften Vorwürfe hören; das hätten
fie, meinte der Kanzler, bleiben laſſen und ihre Mäuler halten Können.
Am Sonntag Abend erhielten die beiden Pforzheimer Audienz beim
Kurfürften, als diefer gerade im Begriff war, in die Vesper zu gehen.
Sie übergaben ihm ihre Supplik und trugen ihm mündlich vor, wie
Stadt und Amt Pforzheim bereits 4 Tonnen Gold (400,000 fl.) an
Kriegskontributionen habe bezahlen müfjen und wie über 1900 Bürger
um Leib und Leben gekommen und die übrigen in höchſte Armuth ges
rathen ſeien; der Kurfürft möge ihnen doch gnädigft Erleichterung ver:
ſchaffen. Der Kurfürft antwortete darauf, daß ihnen darüber Beſcheid
werden follte; wäre fein Krieg, fo brauchten fie auch nicht zu Tontris
buiren. Weiter ftellten ihm die Abgeordneten vor, wie ihr übelaffek—
tionirter Beamter durch ungleiche und ungegründete Berichte die fehnelle
Abſchaffung ihrer Prediger und Seeljorger verurfacht habe, und fügten
bie Bitte hinzu, ihnen ihre Geiftlichen wieder zufommen zu laffen und
die öffentliche Ausübung ihrer Neligion zu geftatten, für welde fie
ſchon feit 8°/, Jahren den rübmenden Schub des Kurfürjten genoſſen.
Lebterer bemerkte darauf, daß die Deputirten ihren Beſcheid ſchriftlich
erhalten würden, und ging in die Hofkapelle.
Am Dienftag darauf wurde ihnen ein verfchlofiener Befehl an die
Regierung zu Heidelberg eingehändigt, und alle ihre Bemühungen, eine
Abſchrift zu erhalten oder auch nur feinen Inhalt zu erfahren, waren,
vergebens. (Sogar ein Beftechungsverfuh, den fie deshalb beim ge:
beimen Sekretär mit 6 Reichsthalern machten, war umſonſt.) Sie
reisten alfo von München wieder wen, um dag erhaltene Schreiben in
Heidelberg perfönlich abzugeben, Dort erhielten fie mündlich die un:
422 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
erwartete MWeifung, daß es bei Abſchaffung des katholiſchen Gottes:
dienftes fein Verbleiben babe und den Geiftlichen der 17. (27.) Mai
zur Auswanderung anberaumt fei.
Nicht abgefchredt dur den übeln Erfolg diefer Deputation fandte
ber Magiftrat in den erjten Tagen des Mai durch den Seidenmweber
Hans Ulrich Roth eine zweite fchriftliche Bitte, begleitet von den In—
terceffionsihreiben des Herzogs von Württemberg und des Landgrafen
von Hefien, nah Münden. Er wurde gar feiner Antwort gewürdigt.
Hierauf wandten fi DBürgermeifter und Rath anfs Neue an den Her:
z0g don Württemberg (Ueberbringer der fchriftlichen Bitte an bdenfelben
war der ſchon erwähnte Hans Kaſpar Aberlin), damit diefer Fürft zu
einer Fürbitte von Eeiten des Kurfürften von Sachſen verbelfe und
erlaube, daß die zum Eril verurtheilte Geiftlichkeit, welche in den trüb:
feligften Zeiten getreulich im Pforzheim ausgehalten und dort Yängft
ohne Beſoldung ihres Amtes unansgefett gewartet habe, in Miürttem:
berg fih aufhalten dürfe. Beides wurde bereitwilligſt gewährt, und
auf den Math des Herzogs richtete der Maniftrat zu Pforzheim feine
Pitten aud an den evangeliichen Theil der Meichsftände, beren Ge:
fandte damals zu Tranffurt am Main verfanmelt waren, 1) desgleichen
unmittelbar an den Rurfürften von Sachſen. Er, „bie Säule ber
evangeliichen Kirche umveränderter augsburgiicher Ronfeffion” — fo
nannten fie ihn, — follte nicht Still aufehen, wie man, allen Reichs—
verträgen zuwider, abermals in 20 Kirchen diefe Konfeffton nimmer zu
bulden drohe.
Mittlerweile war auch der Kan berangerüdt, an welchem bie
evangelifchen Geiftlichen und Lehrer mit ihren Familien Stadt und
Amt Pforzheim verlaffen mußten. Wergebens hatte ſich der jährige
Spitalpfarrer, Wolfgang Schaupp, auf feine Armutb berufen, da er
fhon feit 9 Jahren ohne Befoldung feiz vergebens hatte er darauf
hingewieſen, daß von einem de8 Gehörvermögens beraubten reife ja
nichts zu befürdhten wäre; umfonft war feine Bitte, daß man in gnädi—
ger Müdficht auf fein und feiner Gattin hohes und gebrechliches Alter
Beiden vergönnen möchte, den geringen Meft ihrer Tage in ihrer Ge:
1) Ueberbringer dieſes Schreibens war ber mit einer Pforzbeimerin ver:
mäblte Job. 3b. Kaufchelmann, chemals Hof- und Ebenerihtsprofurator zu
Durlach, aber durch den Fatholifhen Markaraien entlafien, jett im Begriff, in
barmftädtifche Dienfte zu treten,
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreifigiährigen Kricg. 423
burtsftadt Pforzheim zuzubringen. Am Mittwoch nah Pfingften 17.
(27.) Mai 1643 zogen die Verbannten binaus, von ihren trauernden
Gemeinden unter vielen Thränen nad der württembergiichen Grenze
gegen Neuenbürg begleitet, und erhielten von ihnen, fo weit deren eigene
Armuth es geftattete, einen „Zehrpfennig”, den man für ihr Exil ge:
fammelt batte. Bon Geiten der Stadt wurden den Geiftlichen zu
ihrem Wegzuge die Fuhren unentgeldlich geftellt und außerdem auf ein
Bierteljahr monatliche Unterftübungsgelder verſprochen.
Unterdeffen hatte der Untervogt durd die Heidelberger Megierung
bereit8 die Ermächtigung erhalten, diejenigen Bürger, welche den katho—
Tischen Gottesdienſt nicht befuchen oder ihre Kinder nicht bei den katho—
liſchen Geiftlichen taufen laſſen würden, um Geld zu trafen. Obgleich
jedoch diefe Reſolution Shen vom 11. (21.) Meat datirt war, fo fcheint
er doch Urſache gefunden zu haben, in Pforzheim noch eine Zeitlang
zuzumarten und wie er fich auszudrüden pflegte, „einen Reif um den
andern fpringen zu laſſen.“ Er rückte deshalb erjt ſpäter mit ber
Strafandrohung heraus, wobei er am 4. Mai (3. Jumi) der ftädtifchen
Dbrigkeit fchriftlich bemerkte, hoffentlich werden Bürgermeifter und Math
den Bürgern mit dem guten Exempel des unterthänigiten Gehorfams
gegen Ihro Kurfürftlihe Durchlaucht vorangehen, und um der biemit
angebrohten Geldftrafe auszuweichen, fid gleich morgen am Frohn—
Veichnamsfefte bei dem heiligen Gottesdienfte einfinden; zur Prozeſſion
wollte er fie dermalen noch nicht gezwungen haben. Mit den Bewoh—
nern der 14 Amtöfleden glaubte er letztere Nüdficht nicht nehmen zu
bürfen; er berief ihre Vorgeſetzten, nachdem er auch ihnen mit Geld:
ftrafen gedroht, zu dem Fefte in die Stadt. Doch ſie erſchienen nicht,
fondern fandten eine Erklärung ein, daß fie ſich demgemäß halten wür—
den, was die Stadt befchliegen werde.
F 7. Fortſehung. Glaubenstreue der Pforzheimer.
Sn der Stadt aber verfammelten ſich am Froßnleichnamstage
25. Mat (4. Juni) 1643 Bürgermeifter, Gericht und Rath ſammt
ben 24 Zünften, um über das drohende Anmuthen der Regierung abzuſtim—⸗
men. Der Bürgermeiſter Georg Weeber eröffnete die Sitzung mit
den Worten: Gr babe dag Dekret erſt geſtern Nachmittag erhalten,
424 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjäbrigen Krieg.
daher erft heute ihnen bekannt gemacht, damit in diefer Gewiflend: und
Seelenfache jede Gerichts: und Rathsperſon ihre Stimme befonders an
den Tag geben könne. Seine Meinung jei: Nachdem die Stadt,
feit fie vom Kurfürften in Eid genommen, in allem Erdeuflichen dem
Kurfürften gehorſam gewejen und es auch in Zufunft fein werde, fei
doch diefe Sach, welche die Gewifien und Seelen betreffe, von der Art,
daß er wenigftens fih von der Religion nimmermehr trennen laſſen könne,
die er fein Leben lang bekannt habe, follte ev auch alles Zeitliche da—
rüber einbüßen. Gott der Herr wolle ihm dazu feinen guten und
heiligen Geift verleihen! -— Nach einander gaben nun ſämmtliche Mit-
glieder des Rathes und Gerichtes in folgender Weife ihre Meinung
zu Protofoll: Joachim Bub: Aud er wolle im politifchen Wefen
der gnädigften Herrſchaft thun, wie einem getreuen Unterthanen gebübre,
und babe er es bisher gethan; was aber die Religionsſach berühre, fo
werde fein Menſch ihn zu einer andern Neligien abtreiben in feinem
71. Lebensjahre. In Gottes Wort babe er fo viel gelefen und ges
Yernt, daß er bis an feinen Tod dabei zu verharren und feiner Seelen
Seligteit darbei gewiß zu erlangen gedenfe. Gr laſſe fich alfe rund
in die kath. Kirch nicht zwingen, und follte er auch fein Leben darüber
einbüßen. — Mlbürgermeiiter Hans Friedrich Kern: Was er
anno 35 dem Kurfürften geſchworen, werde er halten. Aber weil Gott
ber Allmächtige ihn durch die heilige Taufe in feinen Gnadenbund ein-
geichlofjen und feine lieben Eltern ihn im dhriftlichen Glauben wohl
informirt hätten, er fich auch getraue, im feiner Religion mit Gottes
Hilfe das ewige Leben zu erwerben, fo werde er dabei verbleiben bie
an fein Ende. Er bebalte ſich vor, die evangeliſche Kirche zu befuchen,
worin er feinen freien Willen haben wolle. — Hans Bedh (ift
wegen Unpäßlichkeit nicht zugegen und feine Meinung durch Martin
Faßnacht abgeholt worden. Diefem antwortete Beckh, er werde
diefelbe in einer Supplifation an die Regierung zu Heidelberg fchriftlich
abgeben.) 1) — Joh. Barthold, Npothefer: Auch er werde der
Huldigung in allen Stücken beftindig bleiben, hoffe aber auch, daß der
) Am Taufbuch von 1643 heißt Bechh Bürgermeiſter, und gehört zu denen,
bie ihre Kinder „ohne Noth“ in der Dominifanerfirhe taufen ließen (fiche
unten). Er ſcheint dev Einzige geweſen zu fein, ber dic Entſchiedenheit feiner
Kollegen nicht theilte, fondern fih den Anmuthungen bes Untervogts und ber
baierifchen Regierung gefügig zeigte,
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 45
Kurfürft das PVeriprechen, bei der Huldigung gethan, manuteniven und
das Erercitium lutheriſcher Religion ſchützen werde, Er habe dieſe Ne
ligion bis in fein hohes Alter befannt und gedenke auch in ihr zu fter:
ben mit Verhoffen, daß man ihm zu Keiner andern Neligion oder in bie
Katholische Neligion zwingen werde. — Wendel Fiſch: Er babe von
feinem Seelforger aus Gottes Wort fo viel erlernt, daß er dabei leben
und fterben und in die Fatholifche Kirche ſich nit zwingen laſſen wolle,
ba felbiges gleich dem Eingang zu einer andern Religion wäre, — Be:
ter Schoch: As 74jähriger Mann begehre er keinen andern Glau—
ben ‚anzunehmen, laſſe ſich auch nicht in die katholiſche Kirche zwingen,
obwohl er, wie die Uebrigen, in weltlichen Sachen ber Turfürftlichen
Durchlaucht immmer getreu und gehorfam bleiben wolle. — & ebaftian
Scherb, Baumeifter desgleihen. — Jacob Herm (?): ?) Er werde,
falls man ihm zur fatholifchen Kirche oder Religion zwingen wolle, eher
fein Bürgerrecht aufgeben ꝛc — Hans Bernhard Erat (oder Er:
hard): Er fei faft um Alles gekommen in bejtändigem Gehorſam gegen
die Befehle des Kurfürften; aber in dem ewangelifchen Glauben werde
er leben und fterben, und in die katholiſche Kirche gehe er durchaus nicht,
— Hans Michel Feldner: Audy er nicht und noch viel weniger
mit der Prozeſſion. Wolle man ihn dazu zwingen, fo ziehe er mit
Meib und Kind zur Stadt hinaus. — Hans Caspar Aberlin:
Zur augsburgifh unveränderten, wahren, allein ſeligmachenden Religion,
worin er mit Weib, Kind und Gefind geboren und erzogen und von
Jugend auf durch feine Eltern, Schulmeifter, Lehrer und Prediger aus
Gottes Wort genugfam gegründet worden fei, werde er und die Sei—
nigen fich die Tag Lebens befennen, fei auch gewiß, unter Beiftand
Gottes und des heiligen Geiftes darin die Krone der ewigen Seligfeit zu
erwerben, Daher könne er fi rund nur dahin erklären, daß er ein
offenbarer Heuchler fein und Gottes Strafe erwarten müßte, wenn er
fi gezwungen zum Beſuch der katholiſchen Kirche verftünde. Chriftus
fage: Wer mich befennt vor den Menfchen, den will ich auch bekennen
vor meinem himmliſchen Vater, und deswegen babe man Gott mehr zu
gehorchen, als den Menſchen. Aber in politiihen Sachen werde er
Ihrer Kurfürftlichen Durchlaucht als getrener Unterthan wie immer fo
1) Manche biefer Namen find in dem Protofoll etwas unleferlich ge:
ſchrieben.
496 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breikigjährigen Krien.
auch ferner redlich Gehorſam Leiften. — Hans Stiß (Stieß, Schwarz:
färber): Auch er fo; wolle man ihn aber zur katholiſchen Kirche zu
gehen zwingen, fo wäre es nit Fatholifh, fondern zwingiſch. (Un:
pafiender Wit in einer fo erniten Sahe!) — Michel Simmerer:
Dafür wolle Gott ihn behüten, in feinem hohen Alter die Neligion au
verändern oder in die Fatholifche Kirche fih zu begeben. — Chriſtoph
Ganß (oder Gauß): Auch feine Nefolution fei gefaßt und er nicht
Willens, einem Menſchen in der Stadt Nergernuß zu geben. So lange
Gott ihm Leben und Gnad und feinen heiligen Geift verleibe, begehre
er bei dem zu verbleiben, worin er von feinen Eltern und Vorgeſetzten
unterrichtet worden. Im Notbfall werde er nach andern Mitteln trach—
ten, wohin er ſich mit feinen Kindern begeben könne. — Philipp
Frauenpreis will bei derjenigen Religion beftändig fein, auf die er
netauft und erzogen worden ſei. Alles habe er bei diefem Elend und
Kriegsmefen eingebüßt; um den Seelenſchatz ſich bringen zu laſſen, das
thue er nun einmal nit. — Chriſtian Fleifhmann: Er fei Ihrer
Kurfürftlihen Durchlaucht mit Pflicht und Eid zugethan, begebre auch,
davon nit abtrünnig zu werden, fo viel die politifche, leibliche Sach be-
treffe. Was aber die Religion als cine Gewiſſensſach betreffe, habe er
fo viel von feinem Lieben Water jelig, welder ein evangeliicher Lehrer
gewest, 1) auch won feinen Seelforgern erlernt, daß er von feiner Reli:
ligion mit Weib und Kind nit abzumeichen gedenke. Alſo laſſe er ſich
weder zur katholiſchen Kirche, noch zu ihren Geremonien zwingen; er
wolle aber auch feinem Menichen einige Aergernuß damit geben, von
einer oder der andern Religion los zu werden, — Klaus Aicheli
(Aichelin, Euchele): Als feine Eltern ihn in diefes elende Jammerthal
der Welt geboren, haben fie ihn frühzeitig durch die Herrn Präzeptores
in dem heiligen und alleinſeligmachenden Wort Gottes und in der evan-
gelifchen Lehre unterrichtet, darin er fich bis auf dieſe Zeit geübet, und
er getraue fi auch, dabei felig zu werden und fein Leben dabei zu
enden. Dazu wolle Gott durch feinen Sohn Chriftus feinen guten bei:
ligen Geift verleihen! Zur katholiſchen Kirche und Religion laſſe er fich
nicht zwingen. — Martin Faßnacht: In diefer Seelen: und Ge-
wiffensfach, die wir uns bei der Huldigung erprefie neben unfern Frei:
beiten vorbehalten und ung haben verfprechen laſſen, befenne er ſich zu
) Johann Fleiihmann, 1628 als Spitalpfarrer in Pforzheim geftorben,
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breifigjährigen Krieg. 427
feiner andern Meligion, als zur evangelifchen unveränderten augsburgiſcher
Konfeffion. Man folle wiederum fuppliciven um einen evangeliichen
Prediger im Natbhaus, falls ung die Kirch nit verftattet werde, oder
um die Erlaubnig, im Württembergiſchen benadhbarte Kirchen zu bes
fuchen, wie das vor diefem auch in andern Städten, wie Donaumertb,
MWeilerftadt und vielen andern gefcheben. — Jacob Wanner: Auch
er befenme fich nicht zum begehrten katholiſchen Kirchengeben, babe aud)
feine Luft darzu, Er fei bier oder dorten auch vielmalen in der katho—
liſchen Kirche geweſen, habe aber feinen Troſt darin finden können und
Yafie fich von feiner Religion nicht abwendig machen. Werde man ihn
aber durch Gewalt dazu zwingen wollen, fo werde er auch willen, ſich
anders zu verantworten. — Balthaſar Schill: Bei der wahren,
alfeinfeligmachenden evangelischen Meligion bleibe auch er, fo gehorſam
er auch im weltlichen Begehren Ihrer Kurfürftlichen Durchlaucht als
ehrlicher Unterthan fei. Aber im diefer Gewiſſensſach befinde er ſich
gar zu hoch beſchwert und werde niemals nit darauf eingehen. — Ru:
dolf Sold (Lammwirth): Diefes traurigen Begehrens der katholiſchen
Meligion Halber könne er fidy nicht zum Kirchgeben bekennen, Man
folle ihm und andern ein Vierteljahr Bedenkzeit geben, zwar ohneracht
der katholiſchen Meligion (d. h. nicht ob er die katholiſche Religion an:
nehmen wolle oder nicht, ſondern Frift zur Auswanderung.) 1) —
Nach diefen Abſtimmungen von Bürgermeiſter, Rath und Geriät
gaben die 4 Zünfte in folgender Weiſe ihre Erklärungen, ab:
1. Die Mebgerzunft erflärt durch die 2 Zunftmeifter Phi:
lipp Frauenpreiß und Chriftion Trauz, daß fie einhellig und ein⸗
ſtimmig der Meinung ſeien, bei ihrer evangeliſchen Religion zu leben
und zu ſterben; zur katholiſchen Kirche zu gehen, wollen ſie ſich im
Geringſten nit verſtehen. — 2. Die Bäcker erklären durch Hs. Jak.
Blauß, Zunftmeiſter, daß fie ftandbaft bei der Religion, in der ſie
geboren und erzogen, verbleiben und nicht in die katholiſche Religion
fi) zwingen laſſen wollen. Che fie ſich aber zwingen laſſen wollten,
wollten fie cher die Stadt meiden. Im Uebrigen würden fie dem
Kurfürften wie bisher gehorfam fein. — 3. Die Rothgerber.
') Da die Zahl der Raths- und Gerichtsheren, welche bier abgeftimmt
baben, nur 22 flatt 24 betränt, To Icheinen damals die Kollegien in Folge von
Todesfällen oder freiwilligen Rüdtritts nicht vollftändig geweſen zu fein.
428 Dierzebntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjäbrigen Krieg.
Zunftmeifter Hans Ulrich Kercher: Geftern Abends hätten die Meifter
über des H. Untervogts Begehren einhellig erklärt, von ibrer wahren,
alleinſeligmachenden evangeliichen Neligion werden fie ich nicht abwen—
ben, noch im die Fatholifche Kirche fich zwingen laffen; in allen welt:
lichen Sachen aber wollen fie Ihrer Kurfürſtlichen Durchlaucht treu
und hold fein, wie bis dato. — 4, Die Schuhmacher. Zunftmei:
fter Albrecht Weeber: Die ganze Zunft babe fich refolvirt auf gleiche
Weiſe. her wollten fie mit Weib und Kind die Stadt quittiren, —
5. Krämer und Wirthe. Daniel Weeber, Zunftmeifter: Gr
habe die ganze Zunft in der Krone beifammen gehabt und ihre em:
heilige Meinung vernommen, daß fie bei ihrer Neligien leben und fter:
ben wollten, nicht in die katholiſche Kirche fich zwingen laſſen, eher fich
an andere Orte begeben und lieber DVerkuft an Hab und Gütern,
als an der Seele leiden. — 6. Seidenweber. Hans Ulrich Roth,
Zunftmeifter: Er habe der ganzen Zunft H. Untervogts Begehren vor:
gehalten und fie erklärten fi einhellig, unſeem gnädigften Kurfürften
in allen leiblichen Sachen getreu und gehorfam zu fein, wie es Unter—
thanen wohl anftehe; aber in diefer Gewiſſensſach erklären fie ſich rund,
eher als fie ſich in die katholiſche Kirche zwingen laſſen, lieber Alles
zu leiden, was Gott um feiner Chr und Lehr willen ihnen zu leiden
zufchidten werde. — 7. Tuer. Joſeph Sold, der Zunftmeifter er:
Märt, daß er die Zunft nit beifammen haben könne, weil 4 Meifter
nit hier; der Gegenwärtigen Meinung aber fei, ſich zur Beſuchung des
katholiſchen Gottesdienftes nit zwingen zu laſſen; fie leben der Hoffnung,
Ihre Kurfürftliche Durchlaucht werde fie bei ihrer Religion erhalten,
wie man ihmen bei der Huldigung veriprochen. — 8. MWeißgerber.
Hans Michel Feldner gibt der Zunft einbellige Meinung damit, daß
fie eher mit Weib und Kind die Stadt meiden, als von der evange-
liſchen Religion fich abwenden würden. In weltlichen Dingen dagegen
wollten fie dem Kurfürften getreu fein. (Diefen Zufak machen über:
haupt die Zünfte faſt alle.) 9. Schloſſer. Andreas Fur (Fuchs)
Zunftmeifter: Die Zunft habe fi rund reſolvirt, bei ihrer evangelis
hen Religion ftandhaft zu verbleiben, eher die Stadt mit Meib und
Kind zu verlaffen, als ſich zur katholiſchen Religion und Kirche zwin—
gen zu laſſen. — 10. Schmiede und Wagner. Jakob Bartholdt,
Zunftmeifter: Sie wollen fi) nicht im Geringſten zum katholiſchen
Kirchengehen verſtehen, ſondern bei ihrer Religion beſtändig verbleiben. —
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 429
11. Seiler. Sind anfangs nit erfchienen, haben fich aber hernach durch
Ehrifteph Hertenftein erklärt, bei der ewangelifchen wahren Religion
zu leben und zu fterben und werden fich niemals in die katholiſche Kirche
zwingen laſſen. — 12. Hafner. Hans Jakob Hauß, der ZJunftmeis
fter, hat von der Zunft Befehl befommen, zu antworten, daß fie ein—
helliger Meinung feien, bei ihrer angeborenen evangelifchen Religion
ftandhaft zu verbleiben und ſich nicht im Geringften zur katholiſchen
Kirche noch Religion zwingen zu laſſen gedenken. — 13. Küfer.
Georg Erbach, Zunftmeifter: Sie verftehen ſich nicht im Geringften
zur katholiſchen Religion noch Beſuchung dergleichen Kirche. — 14.
Hutmaher und Dreher. Hans Joachim Kiefer, Zunftmeifter:
desgleihen. — 15. Schneider, Beter Gerner, Zunftmeifter: Lies
ber die Stadt meiden ꝛc. — 15. Reineweber Oswald Knopp,
Zunftmeifter: Die ganze Zunft babe ſich rund erklärt, fi) eher thür—
men und blöden zu laffen, als die katholiſche Kirche zu befuchen, oder
derſelben Religion ſich theilhaftig zu machen. Sie wollten ftandhaft bei
ihrer evangelifchen Religion, in der fie geboren und erzogen, verbleiben.
— 17. Sattler. Georg Reif, Zunftmeifter: Wollen eher bie
Stadt quittiren. — 18. Goldfhmiede und Glaſer. Jakob Sa—
lomon, Zumftmeifter: Wollen mit der katholiſchen Religion oder Be—
fuchung derjelben Kirche nichts zu thun haben, fendern bei ihrer evans
gelifchen Religion verbleiben ꝛc. — 19, Flözer. Hans Michel Ger:
wig, Zunftmeifter: Die ganze Zunft jei „geftert obeds uf der Zunfte
ftub beifamme gwest,“ und babe fich erklärt, Ihro Rurfürftlicher Durch—
laucht in leiblichen Sachen getren und geberfam zu fein; aber in dieſer
Gewiſſensſach erflären fie ſich rund, bei ihrer evangeliſchen Religion
ftandhaft zu verbleiben und wollen ſich zur katholiſchen Kirchenbefuhung
im Geringjten nit verftehen, viehveniger ſich derfelbigen Religion theil-
haftig machen. — %. Zimmerlente und Maurer. Hand
Georg Rehling, AJunftmeifter: Sie wollten bei ihrer evangeliſchen
Religion leben und fterben, 1) — Die Altftädter erflären fih durd
den DBiertmeifter, welcher die ganze Bürgerfchaft in der Altenftadt bei-
1) Es fehlen bier die bei andern Gelegenheiten noch mitangeführten Zünfte
ber Schreiner und ber Kürſchner. Da indeß immer von 24 Zünften bie
Rebe ift, jo find wohl zu diefen 22 noch die auch oft als zünftig genannten
Waffenſchmiede zu zählen. Wickeiht wurden auch die Altftäbter noch da⸗
zu gerehnet, um die Zahl 24 voll zu machen.
430 VBierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg,
fammen gehabt, rund dahin, daß fie lieber die Stadt und Alles ver-
laſſen, als begehrtermaßen die katholiſche Kirche befuchen, viel weniger
jelbige Religion annehmen,
Da ſich alfo Feine einzige Zunft, jo wenig als Gericht und Rath
durch Drohung des neuen Religionsmandats einſchüchtern ließ, fo ergoß
fi) der Zorn des Beamten unverweilt in einer verichärften Publikation.
Hundert Reichsthaler Strafe Fündigte er gleich am folgenden Tag ben
troß ihrer Verwarnung nody jo unbeugfamen Bürgern an, wenn Einer
am nmächften Sonntag in ber Tatholifchen Predigt und Meſſe fi nicht
einfinde; ja er werde diefe Strafe gegen Widerfpenftige nicht nur „dup⸗
liven und alfo fortan felbige vermehren”, fondern auch noch mehr Kriegs:
völker in die Stadt zu bringen willen.
Wiederholt wandte fi nunmehr der Stadtrath an die Negierung
zu Heidelberg, um diejelbe zu mildern Maßregeln zu bewegen. Am
27. Mai (6. Juni) ftellte er ihr vor: Von der Pforzheimer Bürger:
ſchaft, welche 1635 bei der Huldigung aus 800 (?) Köpfen beitanden babe,
feien in diefen achthalb Jahren unter baierifcher Yandeshoheit mehr als
die Hälfte durch Hunger und fonft elendiglich ums Leben gefommen, die
Amtsorte an Hab und Gut fait zu Grund gegangen. Noch neulich
babe an lothringifchen Völkern ein ganzes Negiment zu Pferd und ein
gleiches zu Fuß, nachgehends Herr Obrift Juvercourt mit 8 Kompag-
nien 14 ganze Wochen lang der Stadt auf dem Hals gelegen und
über 44,000 Gulden gekoftet. Sogar unter den fait vermöglichiten
Bürgern habe Mandyer bis zur nächſten Ernte kein Stüd Brod mehr
zu genießen, Selbſt die hochlöbliche baierifche Generalität trage jeßt
mit Pforzheim theils wegen der erjchredlichen Einquartirungslaſt, theils
wegen der geſchwinden Religionsprogedur ein großes Mitleid, und finde
jo wenig, als andere hohe und niedere Offiziere, einen Gefallen daran,
fondern halte dafür, daß derjenige, jo dem Kurfürſten in jeiger Zeit
zu folchen Neligionsichritten rathe, groß Unrecht thue. Nirgends ſei
wohl bei diefem allgemeinen Jammer dergleichen gegen Ehriften jo ſchnell
vorgenommen worden, Möge alfo die hohe Negierung auf Bitten hören,
dem Untervogt bis auf zu boffende kurfürftliche Nefolution jein Strafen
und Drohen einftellen, den unlautern Berichten diefes Mannes nimmer
fo leicht Glauben fehenken, jedes Mal auch die Verantwortung der be
drängten Bürger vernehmen, einftweilen aber den lehtern die entzogene
Bierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 431
Uebung ihrer Neligion, gemäß dem bei der Huldigung gethanen Ber-
iprechen, wieder geitatten.
Die zwei Abgeordneten, weldye diefes Schreiben nad) Heidelberg
überbrachten, nämlich der Bürgermeifter Weeber und der Apotheker
Barthold, erhielten dafelbjt wenigftens die VBertröftung, daß man über
das voreilige und indiskrete Strafverfahren des Untervogts fehr unge—
halten fei und auf nachdrüdliche Weiſe dafür forgen werde, daß er es
einftelle. Natürlich machten die beiden Abgeordneten bei ihrer Rückkehr
feinen Hehl aus diefem Beſcheid, und man erzählte ſich fogar in Pforz—
heim mit Freuden, daß der Untervogt einen ſcharfen Verweis bekom—
men habe und mit Entfernung von feinem Amte bedroht worden jei.
Diefer fuhr jedocdy fort, den ihm wohlbefannten Abfichten der Re—
gierung durch ftrenge Maßregeln jeder Art mit Eifer nachzukommen.
So wurde unter Anderem auch der Pfarrer von Göbrichen, einer da=
mals zum badiſchen Amt Stein gehörigen Ortſchaft, deſſen Familie in der
Stadt Pforzheim Sicherheit gefucht hatte, auf Befehl des Untervogts durd)
den Amtsknecht aus der Stadt gewieſen, als er einft die Seinigen wie:
ber beiuchen wollte. Sein gnädigſter Hurfürft, jo ließ ihm der Unter:
vogt bedeuten, dulde feinen lutheriſchen Prädikanten mehr auf feinem
Boden.
Am meiften Aerger aber bereitete dem Vogt das Benehmen der
Pforzheimer. Nicht nur befuchten fie den katholiſchen Gottesdienft im
der Stadt nicht, ſondern fie zogen im Gegentheil in Wlenge zum Got:
tesdienit in die benachbarten evangeliſchen Ortichaften, namentlich in die
württembergiichen hinaus, Auch die Neugeborenen wurden zur Taufe
dahin getragen, und die Zradition erzählt, daß die Noth dazu allerlei
Mittel erfunden habe. Um die aufgeftellten Wachen zu täufchen, 309
oft der Vater fein fchmußigftes Werktagstleid an, padte den Täufling
in einen Rückkorb, füllte den oberen Theil desjelben mit einer Lage
Stroh oder felbjt Dung aus und trug fo das Kind hinaus zur luthe—
riſchen Taufe. Die Namen der Väter mancher auf diefe Art getauften
Kinder find noch befannt.t) Es waren folgende:
1) Als nämlich der Spezial Wibel aus dem Erif zurüdfehrte, trug er bie
während feiner Abweienheit vorgenommenen Taufen in das Kirchenbud, nad):
träglih mit der Bemerkung ein: „Folgende Kinder jeindt innwehrendem ohn—
verjhuldten Fxilio Ministerii Phorcensis in vicinis Pagis Würtemb. getauft
worden.“ Vergl. Kirchenbuh von 1607—1646, ©, 369,
439 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
7. Juni ein Kind des Glaſers Otto Beh, getauft in Birkenfeld.
7. » nn » Tlögers Job. Georg Kienlin, getauft dafelbit.
8. nn Färbers Joh. Ulrich Roth, getauft in Neuen
bürg (wo der vertriebene Diakonus Säuterlin
Pathe war.)
11. %» » # n# Aunfers Heinrich Storfhedel: und feiner
Frau Anna, geb, Leutrum, getauft in aedi-
bus Phorcensibus (d. 5. in ihrem Haus zu
Pforzheim.)
23. , Ernſt Friedrih Riepurg, (auf Haustaufe),
wobei der baterifche Generalquartirmeifter Holz
und eine adelige Dame aus Baden Pathen
waren.
A. nn Flözgers Behthold Geiger, getauft in Würm,
2. » Leinewebers Sch. Georg Gintersdorfer,
getauft in Birkenfeld.
1. Juli 4 m m Xeinewebers Joh. Soldich, get. in Würm.
(Unter den Pathen ift der Amtskeller Kafpar
Taler.)
1. » an #9» Schneiders Joſeph Eihlin (Euchele), getauft
in Würm. (Unter den Pathen ift aud der
unter Georg von Steinfels mit Gemahlin.)
2% u nn m Mebgers erg Brenner, getauft zu Würm.
10. # #8» Kappen Hans Georg Knobloch, getauft zu
Würm. (Unter den Pathen ift wieder Georg
von Öteinfels.) 1)
12. 4 nn m Sottlers Mart. Simmerer, getauft zu Bir:
tenfeld. (Unter den Pathen ift Bürgermeifter
Georg Weeber.)
14. u» u nn Olafers Mathig Meerwein, get. zu Delcel-
bronn,
1) Die Familie Männlin von Steinfels ſchloß fih mit ächtadelichem
Einne an die Bürger, unter welchen fie Schub und Wohnung gefunden, in
Freud und Leid an und machte mehrere bdiefer gefahrvollen Taufgänge mit.
Gleiches thaten, außer den oben ſchon Angejührten, die Bürger Bud, Herter,
Trauz, Kiefer, Dejchler, Faßnacht, Fiſch, Kern, Aberlin, Scherle, Abrecht, Bedh
u. U, Ehre ihren Namen !
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 435
16. Juli ein Kind des Kuhhirten Thomas Werner, get. zu Würm,
(Pathe ift Joh. Kaſp. Aberlin.)
Dieſen Kirchenbuchseinträgen folgt die kurze Bemerkung: Folgende
Perſonen haben ihre Kinder in der Dominikanerkirche (aljo nad
katholiſchem Ritus) taufen laſſen nulla urgente necessitate, d. h. aus
feiner zwingenden Nothwendigkeit: Hans Beckh, der Bürgermeifter, —
Peter Gintersdorffer, ein Hausmetzger, — Sufanna Kercherin,
welche zu früh niedergefommen, — Ruprecht Lottham mer aus ber
Altenftadt, 1)
Um den Beſuch des evangelifchen Gottesdienftes in den umliegen:
den Iutherifchen Orten umd zugleich auch die Taufgänge, die er bis jeßt
troß feiner Gewaltmaßregeln nicht hatte verhindern können, auf andere
Weiſe zu bintertreiben, jchrieb der Untervogt am 10. (20.) Juni an
die württembergiihe Yandvogtei Neuenbürg: Da feine Amtsuntergebenen,
zu nicht geringem Deſpekt gegen des Kurfürften Durchlaucht, im den
württembergijchen Orten Birkenfeld und Gräfenhaufen, ſowie zu Neuen—
bürg jelbft, ihren Gottesdienft fuchten und ihre Rinder taufen ließen, fo
jolle der Landvogt dergleichen Neuerungen nicht dulden, vielmehr den
Geiſtlichen befehlen, daß die „zu ihnen auslaufenden Gefellen“ an deren
ordentliche Pfarrer zurückgewieſen würden. Die Antwort des Land:
vogts lautete: Für ſolche Fälle müßte das Pforzheimer Amt ſich nicht
an ihn, der den Pfarrern nichts zu verbieten babe, fondern an das
Spezialat Wildbad oder an das Gonfifterium zu Stuttgart wenden.
Das verſuchte aber der Untervogt entweder gar nicht, oder doch ohne
Erfolg. Dagegen erwirkte er fich in Heidelberg anfs Neue die Ermäch—
tigung, in Neligionsfachen allerdings um Geld zu frafen, und ſchrieb
unterm 7. (17.) Juli an Bürgermeifter und Nath zu Pforzheim: Die
Heidelberger Megierung trage großes Mißfallen ob dem öffentlichen und
freventlihen Hinausreiten und Nadzlaufen des Etadtraths und der gar:
zen Bürgerfchaft auf die württembergiſchen und edelmänniſchen Flecken
zum Tutherifchen Neligiongerercitium, und habe daher den in Abfchrift
beiliegenden Befehl anher gefendet. Er hoffe, die Herren werben ſich
künftig beffer beobachten und nicht verurfachen, daß er die wirklichen
Beftrafungen an die Hand nehme, vielmehr nebft der Bürgerſchaft beim
latholiſchen Gottesdienſt ſich einftellen. Geſchehe das nicht, fo fei er
1) Die Namen der Kinder und ihrer Patben fliehen nicht im Kirchenbuche,
Pflüger, Pforzheim, 28
434 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
von der hochlöblichen Negierung angewiefen, über halsjtarrige Vebertreter
je nach ihrem Vermögen unnachfichtliche Geldftrafen zu verhängen. Dem
fügte der Untervogt weiter bei, es ſei ihm zu Obren gekommen, daß
der Bürgermeifter Werber und der Apotheker nach ihrer Heidelberger
Reife ausgejagt hätten, e8 wäre dem Unterbogt ein fo großer Filz
(Berweis) zugefommen und gefagt worden, wenn er mehr alfo proce:
dire, jo werde man ihn vom Dienfte „geheyen“ (werfen). Er lege
deshalb eime Abſchrift des Befehls der Heidelberger Megierung bei, da—
mit fie diefen nad ihrer Meinung erfolgten gräulichen Verweis felber
nadhlefen könnten ıc.
Mittlerweile war der Stadt von dem oben ſchon erwähnten Rechte:
gelehrten Kaufchelmann, der ihre Angelegenbeiten in Frankfurt betrieb,
berichtet worden, daß dort ihr treues Feithalten an dem evangelifchen
Glauben große Theilnahme finde; fie ſolle kein erlaubtes Mittel zu
ihrem Zwecke verfäumen. Auch der kurſächſiſche Gefandte nehme fid
der bedrängten Pforzheimer lebhaft an, und ſchon habe deſſen Kurfürft
ein dringendes Anterceffionsichreiben nad München abgeben laſſen. Ein
ähnliches Schreiben der gefammten in Frankfurt verfammelten evangeli-
ſchen Abgeordneten wurde, ſobald die Straßen zwijchen Frankfurt und
Pforzheim wieder etwas ficherer vor den umberftreifenden Lothringern
waren, dem Stadtrath felber überliefert, welcher num am 8. (18.) Juli
befchloß, fih zum dritten Mal perjönlih an den Kurfürften Maximilian
von Baiern zu wenden. |
Zu den Unkoften der neuen Deputation ſchoſſen die Dorfgemeinden
der beiden Aemter Pforzheim und Graben abermals ihren Antheil bei.
Der vorbin erwähnte Mechtsgelehrte wurde beauftragt, die neue Bitt-
ſchrift der Pforzheimer zu überreihen. In derjelben flebten fie den
Kurfürften, zu deſſen Armada fie ihr ganzes Vermögen beigefteuert
hätten, aufs beweglicfte an, er wolle ihren ſchwer geängitigten Ger
wiffen den evangelifhen Gottesdienft, der nun ſchon jeit 16 Wochen ge
jperrt fei, „um Gottes Barmherzigkeit willen” gnädigft wieder geftatten.
Tür den gedeihlichen Erfolg diefer dritten Münchener Reiſe wurden
au in allen denjenigen Kirchen des badifchen Unterlandes, wo pro
teftantischer Kultus ftattfinden durfte, öffentliche Kirchengebete angeord-
net, — Do die Hilfe fam nicht direft aus München, fondern aus
dem Elfaß, und zwar durd einen Württemberger, welder die unfreis
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 435
willige Bermittlung der Jeſuiten und Kapuziner zu erwirken
verftand.
Dberhalb Straßburg liegt das Städtchen Bennfelden, vom Bifchof
von Straßburg ſtark befeftigt, damals aber im Befit der Schweden
und ein Hauptwaffenplab ihres Heeres. Hier war Kommandant der
Freiherr Frievrih Mofer von Filfed, bei Göppingen in MWürttem:
berg gebürtig. Diefer durch feine Tapferkeit berühmte ſchwediſche Oberft
drohte, daß er, wenn Baiern die Bitte dev Pforzheimer nicht erfülle,
Reprefjalien gebrauchen und alle Kapuziner und Jeſuiten verjagen
werde, jo weit feine Gewalt reihe. Dieſe veichte aber unter Anderem
auch nach Molsheim, wo die Väter der Gejellichaft Jeſu ein großes und
prachtvolles Kolleginm befaßen. Was alle Bitten und Verwendungen
nicht erwirkt hatten, das brachte diefe Drohung, und zwar fehr rafch,
zu Stande. Schon unterm 2. (12.) Auguft 1643 eröffnete die Re:
gierung zu Heidelberg den Beamten zu Pforzheim und Graben einen
I Tage zuvor vom Kurfürften unterzeichneten Befehl, worin derjelbe
rejoloirt hatte: Obwohl den Bewohnern der Stadt und des Amts Porz:
heim und Graben, wie aus neuerdings eingeholten Berichten der Herren
von Ungelter und Peldhofer bervorgebe, bei der Huldigung durchaus
kein freies Religionserercitium zugefagt worden ſei, und er darum alle
Urfache hätte, es bei vorgenommener Abſchaffung der Prädikanten und
Einftelung des unkatholiſchen Erereitii bewenden zu laſſen, namentlich
da ihnen als feinen verpflichteten Unterthanen keineswegs gebührt hätte,
über der Neichsfeinde wider die kaiferlihen Waffen erhaltene „Victori“
“ein ſolches Frohlocken anzuftimmen: fo wollen er ihnen doch auf ihr in:
ftändiges Bitten auf künftiges Mohlverhalten bin „die wohlverbiente
Straf hiemit wieder indulgiren“, weile jedoch die Beamten an, „auf
die Actiones (Handlungen) ihrer Untergebenen ein fonderbares (befon-
deres) Aufmerken zu bejtellen und, fo fie fich fürder ungebührlich ver:
balten, ſogleich Bericht zu erſtatten.“
Am 4. (14.) Auguſt ſchon kehrten die vertriebenen Geiſtlichen nach
Pforzheim zurüd. Die Freude, mit welcher fie von Seiten der Bürger,
der Verdruß, womit fie vom Untervogt empfangen wurden, läßt ſich
aus dem bisher Gefagten Teicht ermefjen. Ueber diefer Freude
vergaß aber auch der Stadtratb der Pflicht der Dankbarkeit gegen
diejenigen Fürften nicht, welche ſich ihrer Sache fo eifrig angenommen
batten, und richtete deshalb unterm 10. (20,) Auguft ae Dank⸗
#36 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
fagungsfchreiben an die evangelifchen Reichsſtände in Frankfurt, an den
Kurfürften in Sachſen, den Landgrafen von Hefjen und den Herzog von
Württemberg. „Wir können,” fo beißt es im erfigenannten Schreiben,
„mit dem königlichen Propheten ausrufen: Der Herr hat Großes an
ung getban!“ — Mit befonderer Wärme dankten Bürgermeifter, Gericht
und Rath den Herzog von Württemberg nit nur für feine Verwen—
dung, fondern auch dafür, daß „Ihre Durchlaucht unfern Seelforgern,
nebit deren Weibern und Kindern im Herzogthum Schuß gewährt, und
ung, ſowie der gefammten Bürgerichaft, das liche Wort Gottes in dero
nächitgelegenen Ortichaften anzuhören, besgleichen die heiligen Eaframente
zu gebrauchen, geftattet haben.” — Davon aber, daß der mit Miofer
von Filſeck jehr vertraute Herzog wahrſcheinlich die eigentlichhte Veran:
lafjung zu der ihnen gewordenen Hilfe war, ift in dein Schreiben nicht
die Nede: mag es nun geflifjentlich unberührt geblieben und der münd—
lichen Dankfagung des Schriftüberbringers aufgetragen worden, oder
auch den Stadtrath felbft nody unbekannt geweſen jein.
Als jedoch der evangelifche Gottesdienft in der Stadffirche wieder
beginnen jollte, fo erhoben die Dominifaner Schwierigkeit und wollten
die Benütung der Kirche zu diefem Zweck nur unter der Bedingung
zugeben, daß ihnen dafür ein jährlicher Zins bezahlt und darüber ein
Revers ausgeftellt würde, daß die Stadt auf die Kirche feinen Anſpruch
babe, Da vom Untervogt Feine Abhilfe zu erwarten war, fo wandte
fih die Stadt am 7. (17.) Auguft mit einer Beſchwerde an die Regie—
rung zu Heidelberg, worin fie fi) auf das ſchon 1629 wegen Bertbeis
lung der Kirche getroffene Abtommen berief und die Megierung erjuchte,
die Mönche zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Sollte das nicht geichehen
oder nicht gelingen, fo bäte fie, weil die andern Kirchen für die große
Gemeinde zu klein feien, für den evangeliichen Gottesdienft den Gebrauch
ber Stiftskirche zu gneftatten, die jetzt nicht bemütt werde, Es ſcheint
Lebteres gefchehen zu fein, da fi die Dominikaner bei ihrem Weg—
zug von Pforzheim 1649 no im Beſitz der Schlüffel zur Stadtkirche
befanden.
Alfo war den Pforzbeimern, obgleich die Stadt noch bis zum
Schluß des Krieges mit Mönchen bevöltert blieb , jetzt wieder geſtattet,
„ihres Glaubens zu leben.“ Allein die folgenden Jahre follten neues
und ſchweres Unbeil über Pforzheim bringen!
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigjährigen Krieg. 437
$ 7. Sebte Jahre deo Krieges.
(1643— 1648.)
Auf allen Seiten war man des langen verwüftenden Krieges über:
drüffig geworden und ſehnte ſich nad Frieden, Es wurden deshalb
bereits im Jahr 1643 Unterhandlungen begonnen. Leider follten die—
felben erft nach fünf traurigen Jahren, die über manche Theile Deutfch-
lands, jo auch über die Stadt Pforzheim, neuen Sammer brachten, zum
Abſchluß gelangen.
Längft hatte der Krieg feinen Charakter als Religionstrieg verloren,
namentlich feitbem auch Frankreich (1635) am demfelben theilnahm. Er
war mehr ein politifcher Kampf um das Mein und Dein, das Mehr oder
Weniger auf Deutfchlands Koften geworden. Der tapfere Bernhard
von Weimar führte feine treffliche Armee umter der Hoheit Frankreichs,
und als der Held 1639 geftorben war, wußte ſich diefe Macht jchnell
in den Beſitz jenes Heeres zu ſetzen und mit Hilfe besjelben die Ueber:
Vegenheit im Felde zu erlangen. Wir fehen deshalb auch diefes fran-
zöfifchefchwediiche Heer in den lebten Jahren des Krieges meift mit
Süd gegen die öfterreichifch-baierifhen Truppen kämpfen.
Noch bis zum Auguſt 1644 finden wir eine baierifche Beſatzung
in Pforzheim, und zwar Truppen vom Gailing'ſchen, Lapier’ichen,
Kolb'ſchen und Spork'ſchen Negimente. Im Auguſt 1644 erſchien jedoch
ein ſchwediſch-franzöſiſches Heer unter der Anführung des Herzogs von
Enghien vor Pforzheim, nahm die Stadt durch Sturm ein und
vertrieb die baierifhen Truppen fammt den Kapuzinern aus bderjelben. 1)
Der Kommandant des jett im Pforzheim verbleibenden ſchwebiſchen
Reiterregimentes war der Oberft Neinheld von Mofa. Um die Geift-
lichen und Lehrer der Stadt für die früher erlittenen Bedrängniffe zu
entfhädigen und ihnen einen Beweis feiner freundſchaftlichen Gefinnung
zu geben, wies er ihnen ein Quantum Früchte und Wein als Geſchenk
zu.2) Im November treffen wir diefen Roſa nicht mehr hier; an ſei—
1) Theatr. Europ. I, p. 720 u. 21.
2) Diefe Naturalien verlangte jedoch am 9. Nov. desſelben Jahres ber
Amtsteller von ben Betreffenden wieder zurüd. Der Spezial Wibel jchrieb
deshalb am Bürgermeifter und Rath, daß die wenigften Bürger bie Früchte und
den Wein geliefert, das was die Geiftlichen und Lehrer jedoch erhalten hätten,
438 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjäbrigen Krieg.
ner Stelle wird ein Hauptmann von Erlisheim angeführt, nebit einem
Nittmeifter Leylin und einem Major Hellfeld. Dasfelbe Negiment war
jedoch nody bis April 1645 hier, und kommen in diefer Zeit noch ein Oberft
Kafpar Schoch (S. 404) und ein Nittmeifter ob. Bull vor. Indeſſen
hatten aber die Baierifchen Succurs erhalten durch den Erzherzog Leo:
pold von Defterreich, und dadurd gelang es ihnen, den General Turenne,
der ſich vorher mit dem Herzog von Enghien vereinigt hatte, wieder
zurüczutreiben. Unter Johann von Werth nahmen hierauf die bate-
rifchen Truppen alle von den Schweden und Franzoſen bisher beſetzten
Städte wieder weg, jo aud im Dftober 1645 Pforzheim. Johann
von Werth nahm felber in der Stadt Quartier (er logirte bei Kronen:
wirth Schnellin), und die Gemeinde Dietlingen follte die Koften für
denfelben beftreiten helfen, 1) obgleich fie felber nicht weniger als 300
Werthifche Neiter ins Quartier bekam. Nicht nur fehrieb Werth ſtarke
Kriegsfontributionen aus, fondern Pforzheim mußte auch noch in anderer
Meife den Zorn des Siegers empfinden. Die Stadt wurde vor dem
Abzuge der Baiern angezündet und ein großer Theil derjelben brannte
ab, nämlich die Au, die Bröginger Vorſtadt (hier unter Anderm auch
die Herberge zum Trappen), die Altftadt, die Altftäbter Straße, bie
große Gerbergafie, das Kaltenthalihe Haus (am Schloßberg) die Bru—
dergaffe zc.2) Iſt alſo noch Etwas von der Stadt ftehen geblieben, fo
können dies nur die Bröbinger Gaffe, der Markt, einige Häufer unter:
Halb des Schufplates und die Schlofgebäude geweſen fein. Im folgen:
den Jahre (1646) wurde die Stadt wieder von den Schweden, und
zwar dem Schoch'ſchen Regiment, befebt.
Endlich im Jahr 16483) wurden die in den Städten Münfter
ihnen an ihrem Guthaben bei der Stadt abgezogen werben könne. Der Ratb
verlangte genaue Spezififation , was bie Geiftlichen befommen hätten und wie
viel fie zu reftituiren im Stande wären,
) Pforzheimer Rathsprotokoll vom 2. Dez. 1662. Nah bemielben
klagt Profurator Dages namens der Schnellin’ihen Kinder auf Schadenerfat
im Betrag von 106 fl. 36 fr. gegen bie Gemeinde Dietlingen, welche aber burch
Profurator Zickwolf erflärt, daß fie felbft durch die Werthifchen einen Schaben
von 3000 fl. gehabt.
2) Nad) ben Ratbsprotofollen von 1662—1667.
) In welchem auch württembergifche Unterthanen zu Pforzheim gefangen
faßen. Klunzinger, Geſch. von Maulbronn, S. 81 der Regeften.
Vierzehutes Kapitel, Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 439
und Dnabrüd verfammelten riedensgefandten mit ihren langwierigen
und mühſamen Unterhandlungen fertig, jo daß der Friedensihluß am
24. Dftober erfolgen konnte. Es ift hier der Ort nicht, auf die Be-
ftimmungen desſelben, jo weit fie Deutfchland überhaupt betrafen, aus—
führlich einzugehen. Es genüge deshalb die Bemerkung, daß einige wich:
tige Theile vom deutſchen Reichskörper Losgeriffen wurden und Deutfch:
land überhaupt auf Koften der Franzofen und Schweden dabei am
ſchlechteſten weglam. Der Markgraf Friedrich V. von Baden-Durlach,
ber bisher theils in Straßburg, theils in Baſel in der Verbannung ge:
lebt hatte, erhielt fein Land zurück und wurde von allen Verpflichtungen
von Erfabgeldern an Baden-Baden (S. 398) entbunden. Hinſichtlich
ber Tirchlichen Angelegenheiten wurde im weſtphäliſchen Frieden feſtgeſetzt,
daß fie in den Stand gebracht werden follten, den fie am 1. Januar
1624 gehabt; nur für die vorher ſchon überwältigten Länder, alfo auch
für Babden- Durlach, wurde das Jahr 1618 als Normaljahr angenom:
men. Nah Maaßgabe dieſes Befisftandes follten Katholiken und
Proteftanten freie Neligionsübung genießen; Beiben, fowie den Refor—
mirten, folle Gleichheit auch der bürgerlichen und politiſchen echte
zufommen.
Bei der unendlichen, mitunter ins Kleinlichfte gehenden Genauigkeit
der Friedensartikel ift es nicht zu verwundern, wenn dieſelben — natür—
lich unter Zugrundlegung der allgemeinen Normen — auch einige Be:
fimmungen über Pforzheim enthielten. So wurde u. A. darin
feftgefeßt, daß die Aemter Pforzheim und Graben von der Pfalz wieder
an Baden zurücgegeben und die Dominikaner und "Franziskaner in
Pforzheim abgeſchafft werden follten, meil fie 1618 dafelbft nicht be—
fanden hätten, Waren die nad ihrer 1644 gefchehenen Vertreibung
durch die Schweden wieder zurüdgefehrten Kapuziner ſchon 1647 von
Pforzheim abgezogen, fo wurde nun auch den übrigen Mönden durch
einen fürftfichen Befehl (d. d. Baſel, 9. Februar 1649) ) aufgegeben,
ihre Mlöfter zu räumen und die Stadt zu verlaffen. Die Franziskaner
baten noch um einige Tage Frift, um ihre Angelegenheiten zu ordnen,
und zogen ſodann am 20. März von Pforzheim ab, nachdem fie die
Schlüffel zur Kirche und zum Kloſter an das Dberamt überliefert,
sy Schreiben des Oberamts an ben Fürſten (ohne Datum unb Unter:
ſchrift).
440 Bierzehntes Kapitel. Piorzheim im dreigigjährigen Krieg.
(Obervogt war damals Engelhard Göler von Ravensburg.) Die De:
minikaner machten indeß Schwierigkeiten, wollten noch bis nad den
Ofterfeiertagen im Klofter bleiben, und als dies nicht geftattet wurde,
fo zogen fie zwar aus dem Klofter weg, bielten ſich jedoch noch über
die Dfterzeit im Haufe der Wittwe des Freiherrn von Ow, einer geb.
Gerlah auf, und zogen alsdann nad Philippsburg, begleitet von ber
Frau des gewejenen Kommandanten de la Noue, nachdem fie ihre
Kloſterſchlüſſel nicht am dag Oberamt, fondern an den erften enangelifchen
Stadtgeiftlichen, den Spezial Johann Burkard Erad, abgeliefert hatten.
„Alſo iſt,“ fo heißt e8 in dem erwähnten Schreiben des Oberamts an
den Markgrafen, „die Poſſeſſion der zwei Klöfter wie aud bes Stifte
zu St. Michael Gottlob völlig eingenommen und bereits in allen drei
veftitwirten Kirchen das Grereitium (d. b; der erfte evangelifche Gottes:
dienft) öffentlich und -in großer Frequenz gehalten worden, *
Aber welchen Anblid gewährte Deutfchland und befonders unfer
Vaterland nah Beendigung des unheilvollen Krieges! Es ift oben
ſchon angegeben worden, welch entjegliches Bild grauenvoller VBerwüftung
fih dem Auge fhon nah Umfluß der erften Hälfte des Krieges bot.
Es trug nad gänzlicher Beendigung desſelben noch fchwärzere
Farben. Die Hälfte, ja in manden Städten und Ländern zwei Drittel
der Bewohner hatte der Krieg hinweggerafft. Die fruchtbarſten Aecker
waren mit Dorngeftrüppe überwachien, und Hunderte von Dörfern Tagen
in Trümmern. Die von Krieg, Hunger und Belt Verfchonten hatten
tbeilweife alle Arbeit verlernt; wer im Krieg gewejen, veradhtete das
ehrliche Handwerkszeug und den Pflug; ganz Deutfchland wimmelte
von Gaunern und Stroldyen, welche bettelten, plünderten oder das Haus
über dem Kopfe des Beſitzers anſteckten. Die Sittlichfeit war tief ge:
funfen, Handel und Verkehr lagen darnieder, Kirchen und Schulen waren
verödet. Deutſchland, bis im feine verborgenften Winkel mit Blut ge:
träntt und mit Trümmern erfüllt, war nahe daran, in völlige Barbarei
zurückzuſinken oder eine große Wüſte zu werden! Noch jet find die
Spuren des dreißigjährigen Krieges nicht überall verwiſcht.
Auch in Pforzheim hat diefer Krieg bittere Nachwehen zurüd-
gelafien. Ein großer Theil der Stadt war durch Brand zerftört, und
die Bewohner waren viel zu arm, um ihre Wohnungen aus dem Schutt
neu eritehen zu laſſen. Nod in den Jahren 1660 — 66 fanden fich
allentHalben in der Stadt öde Pläße, fo daß fogar am 17. April 1667
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjägrigen Krieg. 441
deshalb ein fürftlicher Befehl erſchien, weldyer dahin Tautete, daß bie
baufälligen Häufer von den Eigenthümern reparirt und auf bie öden
Pläge wieder gebaut, oder aber deren Verkauf angeordnet und der Er:
1ö8 alsdann dem Eigenthümer zugeftellt werden follte. 1) Aller Wohl:
ftand in der Stadt war vernichtet, die Bevöllerung anferordentlid ver:
mindert, der Handel, der früher im nicht geringer Ausdehnung nad
Frankfurt, Sachſen, Württemberg, Schweiz und Stalien betrieben
worden war, hatte gänzlich aufgehört. Und als endlih die Wunden,
die der Krieg geichlagen, wieder zu heilen begannen, als die Bürger fich
wiederum zu erholen anfingen: da zerftörte nady kaum 40 Jahren der
eben fo fchredlihe, ja zum Theil noch verbeerendere orleans'ſche Krieg
Alles wieder !
Anbang.
KAindestreue”
Bon Eduard Brauer.
Schwer lag des Krieges Eifenhand
Auf Deutfchlands wundem Haupte ;
Dur Trübfal, Pet md Hunger Ihwand,
Was Feindesichwert nicht raubte.
Die Fürften lebten berzentzweit
An bint’ger Glaubensfehde,
Und weidlich müßten ihren Streit
Der Franzmann und der Schwebe,
Gen Pforzheim aud wälzt unbeiljchwer
Die Heerflut ihre Wogen,
Wie Windebraut fommt des Kaiſers Heer
Siegbraufendb hergezogen.
Hilf Gott! Berlaffen und allein
Steh'n Pforzheims ware Bürger,
9) Ratheprototoll vom 9. Sept. 1667.
2) Vergl. ©. 405,
442 Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breifigjährigen Krieg.
Ringe flieht das Volk bergauf, waldein,
Enteilend feinem Würger.
Berzweifle, wer nicht Taufen Tann,
Der Lahme fammt dem Blinden!
Kein Roß, Fein Fuhrmann, kein Geſpann
Aft meilenmweit zu finden.
Ein lichtes Vorbild wird erfchaut
In diefen dunklen Tagen ;
Ein Mann, in edlem Stand ergraut,
Zieht einen Bauerwagen.
Von Weib und Kindern, groß und Mein,
Wird Hilfreich er begleitet,
Hoch oben figt Großmütterlein,
Auf Deden weich gefpreitet.
So ziehen fie voll Freudigfeit
Wohl mande ſchwere Meile,
Der Weg ift ſchlimm, die Reif’ ift weit,
Nah Landau geht's in Eile.
Wie ſehr auch Drangfal, Hohn und Spott
Sie plagt auf allen Pfaden,
Fort geht's in immer luſt'gem Trott,
Bis zu ber Queich Geftaden.
Sie fpüren nicht der Sonne Glut
Auf ſchattenloſer Haide,
Des Regens Grimm, des Donners Wuth
Thut ihnen nichts zu Leibe,
Der Schwarm der Söldner ſchreckt fie nicht,
Bor dem ber Landmann fchauert,
Des Räubers Blick entdedt fie nicht,
Der tief im Walde lauert,
Ein Bote Gottes, hold und zart,
Schwebt jhüßend über ihnen.
Beglüdt, wen auf der Lebensfahrt
Der Engel ift erſchienen!
Ein Lamm an Güt’, an Muth ein Leu,
Befiegt er die Gefahren,
Das ift der Enkel Kindestrew,
Er wird bie Scinen wahren,
BVierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 443
Ein Stündlein noch — jetzt ruh'n fie aus
An Landau’s feſtem Walle,
Dort in bes biedern Freundes Haus
Sind fie geborgen Alle,
Und freuen ſich der Pilgerfchaft,
Und banken dem in Frieden,
Der ihrer Liebe Muth und Kraft
Und Rettung bat beſchieden.
Biel Jahre ſchwanden, nicht verblich
Des wadern Mannes Name;
Amtsfeller Maler nannt’ er ſich,
Nod blüht fein Stamm’ und Same,
In prächt'ger Kutfche wohl ftolzirt
Manch’ herzensarmer Prabler ;
Den nenn’ ich reich, der fo kutſchirt,
Wie einft die alte Maler.
Sünfsehntes Kapitel.
Pforzheim in der Zeit vom meftohälifchen Frieden bis zum
orleans'ſchen Krieg, ')
(1648 — 1688.)
$1. Allgemeines.
Markgraf Friedrich V. war nad der Rückkehr in fein Land
ernftlich bemüht, die Wunden, welde der Krieg geichlagen hatte, wie
der zu heilen. Auch dem Kirchen: und Schulwefen widmete er befon-
dere Aufmerkſamkeit. Seine Frömmigkeit, deren Ausfluß eine große
Abneigung gegen Pracht und Verſchwendung und Liebe zur Ginfachheit
war, half ihm aud die Stürme einer fo unbeilvollen Periode, wie der
dreikigjährige Krieg war, mit Standhaftigfeit ertragen. Er überlebte
denfelben um 11 Jahre, indem er 1659 im der Karlsburg zu Durlach
ftarb. Sein Leichnam wurde in der fürftlichen Gruft zu Pforzbeim
beigeſetzt; dort ruhen auch zwei von feinen fünf Gemahlinnen, nämlich
die 1627 geitorbene Barbara von Württemberg, auf welche eine Grab:
fchrift auf dem Boden des Chores der Schloßkirche Tautet, und die 1633
mit Tod abgegangene Eleonora von Solms, deren ebenfalls ein Grabftein
gedenkt. Die drei andern Gemahlinnen des Markgrafen Liegen in Bafel
und Sulzburg begraben. In Pforzheim dagegen wurde auch der zweite
Sohn Friedrihs V., Karl Magnus, beigefegt, der im ſchwediſchen Heer
unter Baner, Torftenfon und Wrangel mit Auszeichnung gedient hatte
und 1658, alfo noch vor feinem Pater, ftarb,
Auf Friedrih V.! folgte"von 1659 bis 1677 fein älteſter Sohn
Friedrich VI Auch diefer Fürſt hatte im dreikigjährigen Krieg das
Waffenhandwerk erlernt; duch fand er größere Freude an den Künften
bes Friedens, Reich an Wiſſen, an tiefes Nachdenken gewöhnt und im
1) Hauptquellen: Rathsprotofolle, Bürgermeifterrehnungen, Kontrat:
tenbücher, Kirchenbücher, Zunftrehnungen ꝛc.
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648-1688. 445
Beſitz der mandhfaltigften Erfahrungen, hochſinnig und milde, war
Friedrich VI. ehrfurchtgebietend auch in der äußern Erſcheinung. Seine
Regierung erwies ſich als eine wohlthätige nnd glückliche. Im Umgang
mit Büchern und Gelehrten fand er Erholung und Genuß. Für feinen
Baufinn war reicher Stoff vorhanden; denn Vieles, was der Krieg zer:
ftört hatte, war noch nicht wieder aufgebaut, Namentlich aber ließ er feine
Schlöſſer im Lande, darımter audy das zu Pforzheim, neu berjtellen
zur Sicherheit der Bewohner von Stadt und Land in Kriegsgefahr.
Im holländiſchen Krieg, von dem unten Weiteres erzählt werben wird,
zum Oberfeldherrn des Reichs ernannt, nahm er 1676 Philippsburg
ein, jtarb aber fhon im folgenden Jahr in Durlach und wurde in der
fürjtlichen Gruft zu Pforzheim beigefeßt. An feiner Seite ruht auch
feine 1662 geftorbene Gemahlin Ghriftine Magdalene v. Zweibrüden,
Aufer jenem Thronnachfolger, Friedrih Magnus, Hinterließ riedri VI.
noch einen jüngern Sohn, Karl Guſtav, der dem Kriegsdienſt fich wid—
mete, zuerft unter dem ſchwediſchen Fahnen dann als Feldherr der
ſchwäbiſchen Kreistrnppen in Ungarn und am Rhein mit Auszeichnung
focht und nad) jeinem 1703 in Pforzheim erfolgten Tode ebenfalls
in der dortigen Gruft feine lebte Mubeftätte fand. 1) Das Gleiche war
der Fall mit einer Tochter Friedrichs VI., der 1703 im hohen Alter
unvermählt geftorbenen Katharina Barbara, dieſer ſchönen, geiftreichen
und fronmen Pflegerin der Kirche und der Armuth. Sie hatte Die
Hand des Kaijers Leopold I. ausgefchlagen, weil fie in treuer Anhäng—
lichkeit an das augsburgifche Bekenntniß ſich zu dem bedungenen Ueber:
tritt zur katholiſchen Kirche nicht verftehen wollte. ine Tafel mit
ihrem Bildniß, das ſich im Neuchlinszimmer der Schloßkirche zu Pforz—
beim befindet, erhält ihr Andenken.
Bon 1677 bis 1709 regierte Friedrih Magnus, diefer un:
glüklichfte aller badiſchen Fürften, über defjen Länder während feiner
Regierungszeit die blutigften Verheerungen ergingen. Mehr davon und
über Friedrich Magnus folgt im 16. und 17. Kapitel.
1) Er war von mehr als mittlerer Größe und auferorbentlich beleibt,
Ihrumpfte aber nach feinem Tod zur vollftändigen Mumie ein, bie als. ſog.
„lederner General“ bei ſpätern Eröffnungen ber Gruft immer als Säred-
mittel für unberufene und zubringliche Beſucher derfelben dienen mußte, bis
der Leichnam bei Gelegenheit der Beiſetzung der Großherzogin Stephanie 1860
in einen neuen Sarg gelegt wurde,
446 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688.
$ 2. BDeſchreibung der Stadt. Bevölkerungsverhältnife.
Es mag bier am Plate fein, auf eine ausführliche Beſchreibung
des „alten Pforzheim”, wie e8 vor der gänzlichen Zerftörung der Stabt,
alfo vor 200 Jahren war, näher einzugehen, Cine noch vorhandene
Abbildung Pforzheims aus dem Jahr 1643 1), die indefjen nicht durch:
weg richtig ift, fowie verfchiedene Erhebungen aus Ältern, zum Glüd
nod vorhandenen Quellen aus der Mitte und der zweiten Hälfte des
17. Zahrhunderts mögen dabei zu Grunde gelegt werben.
Wie früher fhon und wie heute noch beſtand Pforzheim damals
aus der eigentlichen Stadt, der Borftadt Au, der Brößinger Vor:
ftadt und der Altftadt. Verweilen wir fürs Erfte bei der eigentlichen Stadt,
um zunächſt ihre ehemaligen Befeitigungswerke kennen zu lernen. Es
ift darin wieder zwiſchen „Stadt“ und „Schloß“ zu unterfcheiden. Un—
ter letztern iſt nicht bloß das ehemalige Schloßgebäude, fondern der
ganze, bejonders befeftigte Raum zu verftehen, den das Schloß mit der
Schloßkirche und noch mehreren dort ſtehenden Gebäuden (ſiehe unten)
einnahm. Vermöge dieſer beſondern Befeſtigung und der Lage des
Schloſſes auf dem höchſten Punkt der Stadt diente es dieſer gleichſam
als Citadelle. Schloß wie Stadt waren rings mit Wall, Graben
und doppelter Ringmauer umgeben. Mauer und Graben laſſen
fih nody heut zu Tage um einen großen Theil der Stadt herum ver:
folgen, und auch der Zwinger, d. 5. der freie Raum zwiſchen ber
vordern niedrigern und der hintern höhern Mauer ift noch an vielen
Stellen erhalten, wenn auch in der Regel die Zwingermauer ent
weder theilweis abgetragen, wie beim Garten des Taubftummeninftituts,
oder ganz verſchwunden ift, wie 3. B. bei der Schäferbrüde. Die
eigentliche Stadtmauer war um die ganze Stadt herum nad Außen
mit einer Bruftwehr verfehen, fo daß man, von berfelben geſchützt,
gegen Feinde, welde die Mauer zu brechen oder zu erfteigen fuchten,
zu kämpfen vermochte, Auch diefe Bruftwehr ift da und dort noch er:
halten, Die Stadtmauer hatte eine durchichnittliche Höhe von 34 Schub,
und bis zur Hälfte dev Höhe eine Die von 4, nad) oben von 3
Schub.
1) Dieſelbe findet fih in Zeiler Topographie von Schwaben mit Merian’:
hen Kupfern, 1643, Die vorliegendem Werk beigegebene Anfiht von Pforz:
beim ift eine Kopie davon.
Fünfzchntes Kapitel, Pforzheim von 1648 —1588, 447
Verfolgen wir nad diefen Vorausſchickungen num den ganzen Kauf
der Befeſtigungswerle und beginnen wir zu dem Ende beim obern
(in neueſter Zeit abgebrochenen) Schloßthor. Won dort aus zogen fi
Mauer, Graben zc. hinter dem jetigen Taubftummeninftitut und an der
obern Vorftadt vorbei zum Gaſthaus zum Schiff hinunter, we auch
noh ein gutes Stück des Zwingers erhalten if. Dort ftand das
Brötzinger Thor mit feinem hoben und finftern Thurm, der mit
einer Uhr verjehen war und auf welden ſich wieder em kleineres,
ſpitziges Thürmchen erhob (wie beute noch auf dem Thurm der Schloß:
liche.) Bor dem Thor führte Über den Stadtgraben eme Zugbrücke,
wie das auch bei dem übrigen Thoren der Fall war, Bon bier aus
zog ſich die Stadtmauer ꝛc. gegen die Schäferbrüde hinunter und als:
dann dem Mühlkanal entlang, der den Stadtgraben erſetzte, bis zur
obern Mühle. Diefe war zwiſchen die beiden Stadtmauern hineinge—
baut, weshalb fie auch früher die Zwingermühle hieß, unterbrach aber,
wie auch die Nonnenmühle, zum Theil die äußere Mauer, was bei
Belagerungen mehrfach mißliche Folgen hatte. Bei der obern Mühle
ermöglichte dag „Obermühltbörlein“, für welches von Seiten der
Stndt ein eigener Beſchließer beftellt war, den Eingang in die Stadt.
Unterhalb diefer Mühle, wie auch bei der Nonnenmühle gewährten je
zwei Schoßgätter, die mit Fallgittern verfehen waren, dem Waſſer
Durdlaß durch die Mauer,
Auf der Südſeite der Stadt, alſo gegen das Wafler, fehlte der
Stadtgraben; dafür waren die beiden Mauern um fo feſter. Die in
nere Mauer war mit einer Anzahl Heiner wunder Thürme berieben,
die aber jet alle verfchwunden find, wenn auch die Stadtmauer, nament-
lich unterhalb der Auer Brüde, nod erhalten ift und nod) immer, wenn
auch nicht gegen feindliche Ueberfälle, doch gegen Hochgewäſſer Schuß
gewährt. Bloß hinter der Gruner'ſchen Gerberei, wo dem Wafler des
Gerberbächleins ebenfalls ein „Schoßgatter“ den Durdigang durd die
Stadtmauer geftattet, ift noch der maffive Unterbau eines folhen Mauer:
thürmchens zu bemerken. Außer diefen runden Thürmchen erhob ſich
on der obern, dem Waſſer zugefehrten Ede bes frühen Spitals oder
der jeßigen Heil: und Pflegeanftalt ein Hoher vierediger Thurm,
oben mit einer Galerie und einer Wohnung für den Thurmwächter
verjehen. Aber auch die Zwingermauer zeigte bei der Nonnenmühle
einen ziemlich hoben und runden Thurm, den fogenannten „weißen
448 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648--1688.
Thurm”, in deffen Nähe fich zwei Ausgänge durch die Zwingermauer
auf das Waſſer befanden. Jenſeits des Waflers ftand auf dem Lin:
denplat in der Nähe der Auerbrüde, und zwar am nördlichen Ende
einer Mauer, melde den Pla von der Brüde ſchied, abermals ein
maffiver runder Thurm, der aber auf dem erwähnten Bilde von 1643
bereit8 die Spur ſtarken Zerfalls zeigt. Bei der Nuerbrüde gemährte
das noch vorhandene „Schoßgätter“ dem Wafjer des unter dem Spital durch:
laufenden Bäcyleins den Auslaß. Am Eingang eben erwähnter Brüde
erhob fi) mit Thurm und Zugbrüde das Auer: oder Steinbrüden-
tbor, über welchem fi außer eimem Gefängnig die Wohnung bes
Thurmwächters befand. Gleich daneben führte das Schleifthor zur
Enz hinunter, und außer demfelben ebenfalls nad dem Fluße mehrere
„Zwingerthörlein.“ Ueber dem einen derſelben fteht die Jahrzahl 1530,
über einem andern (bei der Gruner'ſchen Gerberei), das aber neuern
Datums ift, "befindet fi ein eingemauerter Stein mit dem faft ganz
verwitterten badischen Wappen und der Jahrzahl 1495. Ueber einem
Thürden, das immerhalb der Stadtmauer zu dem bier befindlichen
Schoßgatter hinunterführt, fteht die Jahrzahl 1594 Bon Hier an
bis hinauf zum Gaſthaus zur Traube ift die Stadtmauer theilweis
auch noch vorhanden. An Ießtere lehnen ſich mande Häufer an. Auch
bier muß der eine oder andere Durchgang angebracht geweſen fein. Bei
der Traube befand fi das Altftädtertbor, auch Altheimer-, Alt-
dorfer: und utinger-Thor genamıt, ebenfalls mit Thurm (ſammt
„Kefficht“), Zugbrüde und Zwinger verfehen. Dabei ftand ein Wacht:
haus. Verfolgen wir von bier die Stadtmauer und den Stadtgraben
weiter, fo gelangen wir in kurzer Zeit wieder zum oben Schloßthor,
von weldem wir ausgegangen find.
Den fefteften Theil der Stadt bildete, wie jhon gefagt, das Schloß.
Weil ringsum, fo war dasfelbe auch gegen die Stadt durch eine ſtarke
Mauer befhütt, durch weldhe am Schloßberg das untere Schloßtbor zur
Stadt hinunter führte. Den nördlichen Ausgang des Schloffes bildete das
obere Schloßthor mit gewölbtem doppeltem Thorbogen, über welchem
fih eine Wohnung befand, die wiederum einen Meinen hölzernen Thurm
mit Wendeltreppe trug. Bor diefem Thor führte eine Zugbrüde über
den Stadtgraben. Innerhalb der Ringmauer befand fich eine größere
Anzahl von Gebäuden, darunter namentlid) das alte und das nene
Schloßgebäude. Letzteres ftand da, wo ſich jeht (im frühern Zehnt⸗
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688, 449
jpeiher) die Dbereiimehmerei und die Zollverwaltung befinden. Das:
jelbe brannte im orleans’shen Kriege ab, während das „alte Gebäu“
ſtehen blieb. Bon anderen Gebäuden find zu erwähnen: die Amtöfel:
lereiwohnung jammt anftoßendem, mit drei Gewölben verjehenem Thurm,
die Schloßküferswohnung ſammt Bandhaus (1743 abgerifjen), ein
Fruchtſpeicher, darunter Stallungen und ein großer Keller, ein Heuhaug,
ebenfalls mit Keller. Das nöthige Wafler verfchaffte den Schloßbe—
wohnern ein 77 Fuß tiefer Ziehbrunnen. Im Jahr 16851 kam noch
ein laufender Brunnen dazu (fiehe unten). Den übrigen Kaum nah:
men außer der Schloßkirche und einigen alten Thürmen Gartenanlagen
ein. Diefe hohen und feften Thürme, von denen namentiich der eine
weithin fichtbar war und auf weldhem der Hochwächter hauste, dienten
zur Vertheidigung diefer „Burg“ Pforzheims, in welche ſich die käm—
pfenden Bürger oft noch zurüczogen, wenn der Feind in die Stadt
eingedrungen war. Der genannte hohe Thurm, der als Wahrzeichen
ber Stadt galt, wurde im vorigen Jahrhundert (1763) abgebrodyen,
um Steine zu dem erwähnten neuen Speichergebäude (1766-1768)
zu gewinnen. (Diefer Thurm war 102 Schuh hoch, 52 Schuh lang,
38 Schuh breit und hatte 12 Schub dide Mauern; auf denjelben be
fand fih noh ein 7 Schub hoher Aufjag.) Gin anderer Thurm wurde
erjt in diefem Jahrhundert niedergerifjen. So ift überhaupt bier ſchon
manches ehrwürdige Altertfum dem Teidigen Nüßlichkeitsprinzip zum
Opfer gefallen. Ein dritter Schlogthurm ift fheilweife noch vorhanden,
und befindet ſich in demfelben die Werkftätte von Kupferſchmied Mach:
let. Ein kleinerer runder Thurm erhob fih auf der von Markgraf
Karl II. 1558 erbauten fürftlihen Kanzlei.
Nie Schloß und Stadt, fo waren aud die WVorftädte im Befon-
dern befeftig.. Die Brögingervorftadt hatte drei Thore. In
der obern Vorjtadt ftand das obere Grabenthor mit Thorhäuschen ;
von bier aus zog auf der Nordfeite der Vorftadt der Diehlgraben
bis zum Heiligkreuzthor hin, welches ſich am weftlihen Ende der
Vorſtadt (bei der jetigen Beckh'ſchen Bierbrauerei) befand und feinen
Namen von der dabei ftehenden Heiligkreuzliche hatte. Das am Fuchs:
ihen Haus eingemauerte Stadtwappen mit der Jahrzahl 1554 rührt
wahrjcheinlih von diefem Thore ber. Am Ende der untern Vorftadt
ftand bei der Schäferbrüde das Schäferthor, beſchützt durd den
dicht dabei ftehenden, Feten und runden Waſſerthurm, fowie einen
Pflüger, Pforzheim, 29
450 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688,
auf der andern Seite befindlichen vieredtigen Thurm, von welhem aus
fih die Stadtmauer und vor derjelben abermals eine Zwingermauer
am Mühltanal hinauf fortfegte. — Die Au war ebenfalls mit einer
ftarten Mauer und einem Graben umgeben, die nur auf der Flußſeite
fehlten, weil die eng zufammengebauten Häufer, in weldyen erft in ziem:
licher Höhe über der Nagold die enter begannen, bier felber eine
Mauer bildeten und die Nagold den Graben erfeßte. Auch in der
Au find Mauer und Graben zum großen Theil noch zu fehen. Am
Ende der dur die Au führenden Hauptfirake erhob fih, und zwar
außerhalb der damals ſchon bier befindlichen Herberge zum Einhorn,
das Auer Brunnentbor, auch Erkerthor genannt; dasfelbe zierte
ein Thurm mit einer Uhr. Am Ende der obern Augaffe, die aud)
der „Hiller" hieß, stand das Hillertbor, am Ende der untern
Augafie das Gauch- oder Schelmentbor. (S. 297.) Außerdem
führten mehrere Thörlein zur Nagold und Enz, fo ein Leyerthörlein,
ein oberes und unteres Fiſcherthörlein mit Fiſchergäßchen u. ſ. w.
Außer dem Thurm des Brunnenthors beſaß die Au noch mehrere
Thürme. Zwifchen dem Hiller: und Brunnenthor erhob ſich da, wo,
die Mauer eine Ede bildete, ein runder Thurm, Ein gleicher Thurm
befand fih an der entgegengefetten Ede der Stadtmauer (unten am
jetzigen Holzgartenweg), und ift ein Theil desfelben heute nody erhalten.
Am Ende der Stadtmauer, wo diefe jenseits des Gauchthors wieder
an die Enz ftieß, ftand abermals und fteht heute nody ein runder
Thurm, der Schelmenthurm genannt. — Die Altftadt, die als
ältefter Theil der Stadt früher ebenfalls ftark befeſtigt geweſen, aber
im 3Ojährigen Kriege (S. 438) ganz abgebramnt, war, beſaß nad)
demfelben Feine Thore mehr, und es wurden aud die Befeftigungs:
werke nicht mehr hergeftellt, was im Jahr 1661 von Seiten der Alt:
ftädter eine lebhafte Beſchwerde hervorrief. Des ehemaligen Stadt-
grabeng, ſowie eines abermaligen Erker-Thors gejchieht aber in
der Folge noch Häufig Erwähnung.
Die Pflicht der Unterhaltung der Mauern, Thürme, Zwinger,
Gräben ıc. Tag der Stadt ob, mit Ausnahme der Befeftigungen des
Schloſſes, deren Inftandhaltung Sache der Herrichaft war. Zu diefem
Zweck war der Stadt laut Privilegienbriefes der vierte Theil des Um:
geldes von Brod, Wein, Salz, Frucht und Fleiſch, fowie der Ausbete
zugewieſen (S. 227). Defienungeachtet Fam fie mehr als ein Mal im
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 451
ben Fall, bei umfafjendern Meparaturen die Hilfe der Herrfchaft in
Anſpruch zu nehmen, namentlich nach dem 30jährigen Krieg, wo die
Finanzen der Stadt, wie unten gezeigt werden wird, ſich in einem ganz
zerrütteten Zuftand befanden. Gin Beiipiel davon findet fih aus dem
Jahr 1665. Am 5. April j. J. trug der Baumeifter Aichelin in der
Rathsſitzung vor, dag in der Bröginger Vorftadt beim Waſſerthurm
am Schäferthor ein großes Stück Stadtmauer eingefallen fei, was mit
dem, was noch abgebrochen werden müſſe, etwa 160 Klafter betrage,
Er habe bereits mit einigen Maurern behufs der Wiederherftellung um
2 fl. 71/, Kreuzer das Klafter aflordirt. Die Stadt beſchloß fich wegen
diejes allzu foftbaren Baumejens (zu 340 Gulden!) um Hilfe:
leiftung an den Landesfürjten zu wenden. Am 29. Mai 1665 erfchien
darauf bin ein fürftlicher Befehl, daß wegen diefed Bantwefens die
Zünfte zufammengefordert und ihnen die Nothwendigkeit desjelben dar:
gelegt werden follte. Allein die Zünfte zeigten ſich dazu nicht fehr ge:
neigt. Die einen beklagten fi über den Pfundzoll; die andern er:
Härten, fie feien jo arm, daß fie ihr Eigenes nicht bauen könnten u. f. w.
Was nun geihab, weiß ih nicht. Es fcheint jedoh, dag die Negie-
rung wenigſtens einen Theil der Koften übernahm, was aud) um fo nö—
thiger war, als gerade damals die Stadtmauer noch an mehreren andern
Drten, 3. B. in der Kauzenbach, neu hergeftellt werden mußte, wo fie,
bis dieſes gefchehen, einftweilen mit Latten verſchlagen wurde. — Be:
merkenswerth dürfte auch ſein, daß die Herrſchaft im Stadtgraben be—
ſtändig Wild unterhielt und dafür der Stadt einen jährlichen Pachtzins
von 15 Gulden bezahlte.
Kehren wir nach dieſer kurzen Abſchweifung zur eigentlichen Be—
ſchreibung der Stadt zurück. Schon aus dem Bisherigen wird hervor—
gehen, daß Pforzheim eine ſehr thurmreiche Stadt, alſo gerade das
Gegentheil von dem war, was fie jetzt iſt. Zu den vielen Thor: und
Mauerthürmen kamen aber noch wmande andere. Wenn wir dem
ſchon erwähnten Bilde von 1643 glauben dürfen, fo erbob fih aud
auf der Schloßkirche ein bober, ſchlanker Thurm. Einen no höhern
Thurm befaß das Barfüßerklofter, und foll derfelbe nad) gothifcher Art
gebaut und eine befondere Zierde der Stadt gewefen fein. Was aber
die Flammen des orleans'ſchen Krieges verfhonten, das fiel fpäter der
Furcht zum Opfer, daß diefer Thurm einmal in die Brötzinger Gaffe
berabfallen möchte. in bober und ſchlanker Thurm en fih aud)
452 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688.
auf dem Predigerflofter, ein kleinerer gotbifcher auf dem Spital ober
der jeigen Heil: und Pflegeanftalt, wo er noch fteht. Won den übri—
gen Kirhthürmen erwähnen wir den der Altjtädter Kirche, auf wel:
chem fih, wie bei den Schloßthürmen und dem Bröginger Thorthurm,
noch ein kleineres, fpitigeres Thürmchen erbob, und die kleinern Thürme
der Heiligkreuzkirche in der Brötinger Vorſtadt und der Kapelle ber
St. Georgäpflege.
Haben wir im Bisherigen die Stadt bauptfählih fo ins Auge
gefaht, wie fie ſich mit ihren Befeftigungen und Ihürmen von Außen
darftellte, fo wollen wir und auch in das Innere derjelben begeben,
um diefes näher kennen zu Ternen. Die Namen der Straßen und ein:
zelnen Theile der Stadt waren ſchon vor 200 Jahren faſt durdgängig
diefelben, wie wir fie noch heut zu Tage finden; denn wenn auch Pforz-
beim in den Jahren 1689 und 1692 durch Brand gänzlich verbeert
wurde, fo erlitt doch beim Wiederaufbau der Stadt ihre Straßenein-
theilung wenig Veränderung, wenn letztere audy bei manden Häufern in
ber Weiſe eintrat, daß oft mehrere frühere Hauspläße zu einem Ges
bäude verwendet, oder umgekehrt mandyer größere Hausplatz getheilt
wurde, Don der vom Brößinger Thor zum Marktplatz führenden en=
gen und finſtern Brößinger Gaffe Tiefen rechts aus: die Yamm-
gaffe, auch manchmal Brudergaffe genannt; (dev erfte Name rührte
vom Gafthaus zum Lamm ber, das fich damals in diefer Straße da
befand, wo fie in die Brötzinger Gaſſe einmündete, den andern Na—
men hatte fie von dem fog. „Bruderhaus” (f. u.);) 2. Die Scheuern-
gaffe; 3. die Blumengaffe, ebenfalls vom dort befindlichen Gaft-
haus zur Blume fo genannt, wie denn früher auch in Pforzheim, wie
anderwärts, der löbliche Gebrauch berichte, die Strafen nad den
Wirtbshäufern zu benennen. Die von der Scheuer: zur Blumengaffe ꝛc.
laufende Quergaſſe, die jetzige Brüderftraße, hieß ebenfalls die Scheuerne
oder auch untere Höllgaffe. Links von der Brößingergafle finden
wir als Fortjeßung der Scenerngaffe die Barfüßergaſſe, die fid
an dem Barfüßerflofter vorbeizog und auf den Schloßberg ausmündete;
3. das Kirchgäßlein, das (beim jetzigen Kürſchner Gengenbach'ſchen
Haus) ebenfalls zur Barfüßerkirche führte und als Fortfegung der Blu—
mengaffe diente. Umkreiſen wir, von der Brößinger Gaſſe berfom:
mend und rechts binuntergehend, den Marktplatz, ber feit Jahrhunder—
ten diefelbe Größe und Geftalt wie heute noch Hat, fo treffen wir zu:
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688. 453
nähft das Höllgäßchen, das fpäter nad Errichtung der obern Apo—
thefe im Jahr 1690 aud den Namen oberes Apothekergäßchen
erhielt. Jenen frühern Namen hatte es von der Herberge „zur Höllen,"
die fich da befand, wo jetzt das Conditor Trommer'ſche Haus fteht
und hinten an bemeldetes Gäßchen ſtieß. An der untern Apotheke wor:
bei führte das Apothekergäßchen, an der Krone vorbei die Pro:
nengaffe, die gegen die Eichmühle auch Eichgaſſe hieß und von
welcher aus die Mebgergaffe zur oben Mühle Hinführte. In letz—
tere miündeten, wie heute noch, die von der Brößingergaffe berführenden
Lamm-, Scheuern: und Blumengaſſe ein, und erftere fette fich bis zum
Mühlkanal fort. Links unten am Marktplabe öffnete fih die Tränk—
aaffe (jet Deimlingsſtraße) und zug bis zum Auer-Thor Hin. Von ihr
oder eigentlich noch vom Markt ging links aus: 1. die Ochſengaſſe
(jetzt Reuchlinsſtraße), vom dort befindlihen Gaſthaus zum Ochſen fo
benannt; 2. die Viehgaſſe, (iebt Hofpitalftrake), von welcher ſich
rechts bei der Eſels- (jebt Klofter:) Mühle das Eſelsgäßchen (jet
Kloftermühlgäßchen), und an ihrem Ende nahe an der Stadtmauer
hinunter (beim jetigen Theater) die Kautzen bach abjweigte; 3. die
große und 4. die Feine Gerbergaffe, (früber die beiden „Lauer:
gaſſen“), die ihren Namen nicht mit Unrecht führten, da fie von faft
Yauter Gerbern bewohnt waren, wie das die am fehr vielen Häufern
vorhandenen Abzeichen der löblichen Gerberzunft (Schabeifen und Falz)
heute noch beweiſen. Auf der rechten Seite ging von der untern Tränk—
gaſſe aus: 1. das Pfinngäßchen zwiichen dem Gafthaus zum Schwert
und der ehemaligen Stadtmebig, To genannt, weil fi) hinter letzterer
die fog. Pfinmhütte und Pfinnbant befanden, wo das Fleiſch finniger
Schweine ıc. ausgehauen wurde, (Berge. ©. 240 und 256.) Das
ſelbe führte auf den Klofterhof, wie früher der jegige Waifenhaus:
plaß genannt wurde; in noch Älterer Zeit hieß derſelbe die Badgaſſe,
weil ſich daſelbſt (hinter der Kanne) das untere Dad (f. u.) befand;
2. das Thäle, das zur Nonnenmühle hinführte, Kehren wir wieder
zum Marktplat zurüd, um von dort zunächſt den Schlo ß- frühen
Kirchberg zu befteigen und dann die Altftädter- oder Alt:
dorfer-Strafe entlang zu gehen. Vom Schloßberg gingen Tinte
das Saugäßhen (unterhalb der Blume) und die ſchon erwähnte
Barfügergaffe, rechts die untere und obere Pfarrz,
auch Pfaffen- oder Predigergajfe aus, die ihren Namen
454 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 1688,
urfprünglich von den Ghorberrnwohnungen hatten, die fih am Ende
derfelben befunden und die fpäter mit andern dort ftehenden Käufern
theilweife zu Pfarrherrnwohnungen benübt vourden. 1) Berfolgen wir
die Attftädterftraße, fo ftoßen wir zuerft links (beim Anker) auf das
Rathhausgäßchen, ſodann rechts und links (bei Kaufmann Hepp)
auf das Schulgäßchen, das ſich jet nady unten in eine Schul:
ftraße verbreitert. Dei der jetigen UnterEcker'ſchen Bierbrauerei lief
links die Kirchgaſſſe, rechts die vordere Nofengaffe von
der Hauptſtraße aus, Teßtere von dem dort ftehenden Gaſthaus zur Roſe
benannt. (Statt Mofengaffe Tiest man auch manchmal Roßgaſſe,
welcher Name mit Ochfen:, Vieh-, Tränk-, Eſels- und Saugaſſe ꝛc.
im Einklang ftehen würde.) Gin Quadrat weiter führte beim jetigen
Proreftoratögebäude die hintere Roſengaſſe, die mit der vordern
durch eine Quergaſſe verbunden war und noch ift (der jebigen Stifte:
ſtraße), zur Viehgaſſe, um fich jenfeits derfelben als ſchon erwähnte
Kauzenbach fortzufesen. Vor dem Altftidter Thor begann das fog.
Pfläfter, das damals noch nicht Üüberbaut war, (mur unmittelbar vor
dem Thor ftanden einige Häufer), fondern aus faft lauter Gärten be:
ftand, von denen in den Kaufkontrakten des 17. Jahrhunderts vielfach
bie Rede ift. Die weiter entfernte Altftadt hatte während des dreißig—
jährigen Krieges von ihrem frühen Umfang ziemlich verloren, fo daß
fie nad) demfelben nur noch etliche 40 Bürger zählte. Außer der die
Altftadt zur Kirche hinunter ziehenden Straße finde ich des „Effig:
gäßchens“, fowie des oberhalb der Altjtadt vorbeiführenden und fchon
1565 vorfommenden Zigeunergäßchens erwähnt. — Die Gaffen
der Au find oben fhon angeführt, — in der Brötinger Vorftadt ift
des uralten Schlappergäßchens (jet Baumſtraße) noch zu ge:
benfen.
An öffentlichen Plätzen beſaß die Stadt mur den Marttplak,
deſſen jchen oben gedacht wurde, und den Lin denplatz. Letzteren
zierten Gartenanlagen, in welchem wir die noch vorhandenen majeftäti-
ſchen Linden bereits erbliden, aber mit Ausnahme einer einzigen noch
in jugendlicher Kleinheit. Dieſe Yinden wurden in beforidere Pflege
genommen und im Jahr 1684 unter Anderm wieder aufgebunden und
1) Auch mehrere auswärtige Pfarrer befaßen 1665 eigene Häufer im dieſer
Gaſſe, 3. B. Friefenegger in Stein und Frank in Bauſchlott
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 — 1688. 455
ausgepußt. Eines befonderen „VBiehbmarfte 8“ ift aud mehrfach er-
wähnt; derſelbe war vor dem Altjtädter Thor, und zwar unten am
Waſſer.
Der durch die Stadt fließenden Kanäle und Bäche, ſowie der
Brücken iſt zum Theil ſchon gedacht werden. Die damalige Auer:
brüde über die dort ſich vereinigenden Flüſſe Enz und Nagold, bie
auch Steyninbruden, Steynbruden hieß (dahier der Na:
men „Steinbrüder:Thor”) war 1575 von Markgraf Karl II. erbaut
worden. (©. 291.) Sie mußte in der Zeit, in welcher wir mit un:
unferer Schilderung ſtehen, mehrere Ueberſchwemmungen aushalten, fo
1648 und 1687. Kurz vor diefer letzten Ueberſchwemmung, nämlich)
1684, waren die 3 Fallbrücken derjelben veparirt worden. In ber
Altftadt führte fhon zur Römerzeit (S. 12) eine Brüde über
die Enz. Der Roßbrücke geſchieht vielfahb Erwähnung, ebenfo
des Kantenbrüdleins und der Eichbrücke, wo früher, als
die Stadtmauern noch enger gezogen waren und das Frauenkloſter
außerhalb berjelben Tag, das „Frauenthor“ ftand. Ebenſo kommen die
Namen des dort aus dem Mühlkanal abfliefenden Klaren: oder
Shönbädleing, über weldhes mehrere Steghen und Brückchen
führten, die indefjen feine befondern Namen hatten, häufig vor. Außer
verichiedener Heiner Brücen in der Stadt wird aud en Brüdlein
beim Nägelfee (oder wie er früher richtiger hieß, Egelfee,)
genannt,
An Brunnen war in der Stadt fein Mangel, obgleih die Zahl
der laufenden Brunnen etwas bejchränkter war, als jetzt. Ich erwähne
zunähft des Schloß: und des oben Marftbrunnens Sur
Speifung derfelben wurde im Mai 1691 das Waffer des Stodbrunneng
binter Brößingen in die Stadt geleitet und betrug der Koftenantheil der
legtern 158 fl. 31 kr, die aber auf 100 fl. ermäßigt wurden. Schon
1684 mußte indeffen die Stadt für diefe Wafferleitung neue Brunnen:
kacheln und bleierne Deichel anfchaffen, weldye abermals 242 ft. 44 Er. koſteten.
Im Jahr 1686 wird jedoch fehr darüber geflagt, daß die beiden Brun-
nen faft niemals Waſſer gäben, während doch die neue Wafferleitung
die Stadt fo viel gefoftet habe. Letztere fei, fo beißt es in einer Ein-
gabe an die Megierung, darüber zum Gefpötte geworden und man bitte,
die beiden Brunnen Fieber ganz eingehen zu laſſen. — Im Jahr 1687
wurde der „Mann auf dem obern Marktbrunnen”, d. b. das Stand:
456 Funfzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjägrigen Kricg.
bild des Markgrafen Ernft, von Maler Wolf Walter erneuert und ge:
malt, wieder aufgezogen und friſch geſetzt. Oberhalb des Marktbrun—
nensg war noch ein befonderr Schöpfbrunnen Der untere
Marttbrunnen hieß aud der Fifhbrunnen Bon fonftigen
Brunnen werden erwähnt: Der Brunnen in der Vorftadt, ber
Brüderbrunnen in der Örudergaffe, der Brunnen im Apo—
thekergäßchen, der Ochſenbrunnen in der Ochfengaffe, der Za—
bariasbrunnen ebendafelbft (vielleicht der nämliche), der Brunnen
in der Biehgaffe, der Eſelsbrunnen bei der Eſelsmühle, der
Aner Brunnen, der Altftädter Brunnen, ferner ein Vogts:,
Rohr-, Krebs: nd Maienbrunnen x.
Bon den öffentlichen Gebäuden des alten Pforzheim, die Eigen:
thum theils der Herrihaft, theils der Stadt waren, find mandıe im
Bisherigen chen genannt worden. Die frühern Klöfter der Stadt
hatten andere Beitimmungen erhalten. Das Dominilanerflofter
biente zur Tateinifhen Schule und zur Mohnung für die Lehrer,
bie Klofterfirhe war zur Stadtkirdye geworden. ine zur Renovation
berfelben im Jahr 1684 auf Beranlaffung des Speziald Math. Rum:
mer erhobene Kollefte lieferte einen Ertrag von 410 fl. 16 ir. Da
jedoch die Ausgabe nur 406 fl. 26 Er. betrug, alfo noch 3 fl. 50 kr.
übrig waren, fo erhielt der Mefmer davon 1 fl. 30 kr., des Kunft:
malers Geſell und Tochter jedes 45 fr., der Reſt wurde zu einem
„Trunk“ bei der Nechnungsablage verwendet. — Die Räumlichkeiten
bes früheren Maria-Magdalenenklofterse waren dem Spital zugewiefen
worden (S. 329), das fie noch beſaß. Wozu damals das Barfüßer—
Hofter verwendet wurde, weiß ich nicht; in ber Kirche desfelben wurde
aber auch Gottesdienft gehalten. Dieß war in jener Zeit in der Schloß:
kirche nicht der Fall; doch fcheint diefelbe von 1683 an wieder zu Got:
tesdienften benütt worden zu fein; denn es iſt in diefem Jahre von
einer „Einweihung derjelben die Nede. 1) Des Seelenbaufes in
1) 1683, 15. April wurde getauft Hs. Kaſpar, H Bernhard Minderers
Kind. Dabei ift bemerft: Dies ift extra ordinem bei Einweihung ber Schloß:
firhen geſchehen. Patben waren: Markgräfin Augufta Maria, Prinzelfin
Kath. Barbara, Herr de Macaire von Steinfels, ber Spez. Math. Kummer,
H. Joh. Kaſp. Zocher (Amtsfeller), H. Ib. Deimling, Bürgermeifter, (Kir:
chenbuch Fol. 113 a). — Es ift möglich, daß diefe neue Einweihung ber Kirche
mit dem Brand zufammenbing, der im Sommer 1682, wahrſcheinlich in Folge
eines Wetterſtrahls, im Schloß fattgefunden hatte,
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688, 457
der Brötzinger Borftadt, das zur Nufnahme armer, kranker und ge:
brechlicher Perfonen diente, ift früher ſchon Erwähnung gefchehen. Diefem
gegenüper ftand die Kreuzkirche; dabei lag der Gottegader „zum
heiligen Kreuz“, auf welchem nur Sole begraben werden durften, die
dazu eine „Gerechtſame“ beſaßen. Wer die nicht hatte, mußte für die
Erlaubnig der Beerdigung dafelbft einen Gulden bezahlen. Ein
anderer, für die Altſtädter beftimmter Kirchhof Tag um die dortige
Kirche. Der dritte Kirchhof war der 1558 ebenfalls in der Altftadt
für die Stadtgemeinde angelegte (S. 298). Tem bereits genannten
Spital und Geelenhaus find auch noeh die St. Georgspflege und
das fog. Bruderhaus anzureiben. Jene jtand auf einer Anhöhe
außerhalb der Au und war, von unten betrachtet, einem Kloſter oder
großen Hofe ähnlich. Sie beftand aus einer ziemlid geräumigen Kapelle,
einem Krankenhaus, den Wohnungen des Hausmeifters (1654 Hans
Ulrich Mayer) und Unterförfters und einigen Oekonomiegebäuden.
Tas Vermögen und die Einkünfte diefer wohlthätigen Anftalt waren
vor dem orleans’shen Kriege fehr bedeutend, weshalb immer ein eigener
Pfleger in der Stadt dafür beftellt war. Dieſes Amt verfah z. B.
23 Jahre Lang der 1613 geftorbene Bürgermeifter Peter Maler; 1)
nah ihm werden als Et. Georgs: Pfleger genannt: Konrad Gilg 1639,
Wendel Lang und Jakob Hermann 1654, Chriſtoph Ganfer 1655,
Jakob Zickwolf 1657, Johann Heinrich Bachmann 1683. — Welche
Peftimmung das in der Brudergaffe liegende „Bruderhaus“ hatte, ob
es ebenfalls eine MWohlthätinfeitsanftalt war oder einer der frühen
') Er ließ 1607 die Kapelle renoviren, weshalb noch fange nachher daſelbſt
folgende Reime zu leſen waren:
Als man zählt und eben war
Das taufend fehshundert und fichte Jahr,
Diefe Capell ward renovirt,
Und, wie vor Augen, ſchön geziert
Durch diefes Stifters Pflegers Fleiß
Peter Maler der älteft er heißt;
Jeronimus mit zugleich,
Beförderten Gottes Ehr' und Preis,
Der belf, daß fein Wort lauter und Far
Hier werd geprebigt immerdar.
Amen,
(Nachtichten der Familie Maler ©. 10.)
458 Fünfzchntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688,
geiftlihen Kongregationen oder einer Zunft, ober vielleiht den Beghar—
den angehört Hatte, weiß ih nicht. Die herrſchaftliche Stifts- oder
geiftliche Verwaltung (jett Diakonatshaus in der Nofenftrage) wurde
wahrſcheinlich 1619 gebaut, da diefe Jahrzahl über der Kellerthür bieſes
Haufes fteht.
In der Bürgermeifterrehnung von 1687 und an andern Orten
werden folgende Gebäude als ſtäd tiſche aufgeführt: 1. Die Stadt:
fhreiberei. Sie ftand am Markte (wo jetzt das Rupp'ſche Haus)
und war vermuthlic 1551 erbaut worden. Auf ihr erbob fi ein
Thürmchen mit einer Uhr; 2, das Rath: und Kaufhaus, unter
Markgraf Karl II. 1557 gebaut. Es ftand an der Stelle des jetzigen
Rathhauſes und war ebenfalls mit Thürmchen und Uhr verſehen; 3. die
dbeutihe Schule in der untern Pfarrgaffe; 4 das Schafhaus in
der Brößinger Vorftadt beim Schäferther, wovon ſowohl diefes, als
auch die Schäferbrüde den Namen hatte; 5. das Schafhaus in
ber Altitadt, wo jest der Schafbof fteht; 6. die Kleemeifterei,
ebenfalls in der Altjtadt; 7. das obere Bad unterhalb der Obermühle
bei den Schoßgätten am Mühlkanal; 8. das untere Bad an dem
nämlichen Kanal und zwar hinter der Kante; 9. die Eichbehauſung
bei der Eichanftalt ; in derfelben wurden namentlich die Eichgeräthichaften
aufbewahrt; nahe dabei war 10. das Werkhaus im Klofterbof (vor
dem jetigen Waifenhaus), worin ſich allerlei ſtädtiſche Geräthſchaften
befanden und auch verſchiedene Arbeiten für die Stadt beforgt wurden ;
11. das Armbrufthaus oder Armbrufthüttlein auf dem Linden:
plat bei der Auer Brüde; 12. das Schießhaus oder Schießhütt—
fein außerhalb der Brößinger Vorftadt an der Enz. Es Batte 3
Schießſtände, deren Neparatur im Jahr 1685 4 fl. 10 kr. koſtete;
13. die Brodhütte, worin die Bäder morgens ihr Brod verkauften,
infofern e8 von den Kunden nicht beftellt war, in welchem Fall es den—
felben in das Haus getragen wurde; 14. die beiden Branntweinhüts
ten, die eine vor dem Schleifthor, die andere in der Schlappergafie,
mit Einrihtung zum Branntweinbrenmen; 15. der Stadt Badhaus
in der Bruder: (Kamm-) gafje bei der Obermühle; dasjelbe hatte einen
Ähnlichen gemeinnüßigen Zwed, wie die Branntweinhütten; 16. der Stadt
Wafhhäufer beim Steinbrüderthor; 17. das Seelenhaus in ber
Bröginger Vorftadt ; dasfelbe verwaltete ein eigener Armenkranfenpfleger,
dev auch die Aufſicht Über das gegenüberftchende Kreuzkirchlein, den
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 459
anftoßenden Kirchhof u. f. w. führte, auch die Thurmuhr dafelbft zu
bejorgen hatte; 18. die verfchiedenen und oben ſchon erwähnten Thore,
Thortbürme fammt Thorhäuschen und fonft dazu gehörigen Ge-
bäuden. Zu den bdajelbit befindlichen „Kefitten“ kam ncd das Nar-
renbänslein auf der Auer Brücke, als Strafort für leichtere polizei
liche Vergeben, fpäter mit ähnlicher Beftimmung der Efelsftall an
ber Stelle der jekigen Synagoge, und endlich das Blockhaus vor dem
Bröginger Thor. Der Stadt hatte früher auch ein unterhalb des,
Rathhaufes liegendes Haus gehört; aber es wurde 1658 an den Unter:
vogt Ferber verfauft. Außer den ſchon aufgeführten herrſchaftlichen
Gebäuden, ald Schloß, Klöftern, Kirchen, Epital, St. Georgspflege ıc.
find nody zu erwähnen: Das an dem Markiplaß jtchende Amthaus,
mit Thürmchen und Uhr; die 3 Pfarrhberrnwohnungen in der
untern Pfarrgaffe, (befonders erwähnt find davon die „Obere-Diakonats—
wohnung" und der „Diakonatsgarten”); das Landſchafts- oder
Handlungshaus in der Brötzinger Gafje (zwifchen Schend und
Trommer), der außerhalb der Bröginger Vorſtadt befindlihe Schmelz
ofen fammt der Hammerfhmiede, die Zehntſcheuer bei der
Nonnenmühle, die Ziegelhütte vor dem Brößinger Thor in ber
Nähe des Schieghaufes, die Nindenmühle in der Altſtadt, bie
Metzig nebft Pfinnhüttlein unterhalb der Kante, die Kelter in
der Altjtadt (vor dem Ochfen) u. ſ. w. (Vergl. biezu das Lagerbuch
von 1615, ©. 325). — Bon Gebäuden, welche auswärtigen Klöftern
gehörten oder früher gehört hatten, finden wir erwähnt: den Lich—
tenthal'ſchen Zehnthof Hinter dem redigerflofter (mo jett das
Kübeleberle'ſche Haus fteht), den ſchon oft erwähnten, damals aber be-
reitS dreigetheilten Hirſchauer-Hof in der Altjtadt mit feinen vielen
Gütern, die heutigen Tages no den Namen „Hirihauer Güter“ tra:
gen. Ein ähnlicher Hof ſcheint der oft vorkommende, in der Altjtadt
liegende Bremerbof, zu welcdem ebenfalls viele Güter gehörten, ge:
weſen zu fein. Auch der Name „Bremerhof-Aecker“ hat fih bis auf
die heutige Zeit erhalten, und liegen diefelben oberhalb der Schloßkirche.
Von Gebäuden, zum Theil mit Wafferkraft, die einzelnen Zünften
gemeinschaftlich gehörten, werden erwähnt: Die Walfmühle der
Weißgerber am Schießhüttenplatz, der Tucher Farbhaus bei der
Nonnenmühle, die Rindenmühle (beim jetzigen Theater), endlich ned)
anderer Rindenmühlen, ſodan Sägmühlen, Walkmühlen
460 Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1648 - 1688.
Oelſchlagen, darunter die 1617 gebaute jegige Kompagniefägmühle.
Jede Zunft hatte bekanntlich auch ihre Zunftitube, wo die Verſamm—
Iungen ftattfanden. Die Notbgerber verkauften dieſe ihre „Herberg“
1663 um 310 Gulden, die Färber ihren Hausplat (die Herberge war
wahrſcheinlich im SOjährigen Krieg abgebrannt) in der Kautzenbach um
30 Gulden ꝛc. — Endlich kann bier auch no der Mühlen gedacht
werden. Bor dem IOjährigen Krieg waren es noch ihrer 5, nämlich
die Ober:, Nonnen, Eich-, Efels: (Klofter:) und Wagmühle
(S. 360). Der letztern gefhieht no 1661 Erwähnung; aber 1683
und 1688 wird fie unter den Mühlen nicht mehr genannt.
Bis zum Jahr 1690 beſaß Pforzbeim nur eine Apotheke,
nämlich die untere (jet Pregizer'ſche, und fcheint diefelbe von jeher an
derſelben Stelle wie jetzt geftanden zu haben. Sie mar von 1608
bis 1634 in den Händen Michael Grieningers, von welchem fie an
Johann Barthold überging, der bei der Erzählung der Neligionsbe:
drüdung von 1643 mehrfah genannt worden ift. Nach dem Tode
desielben kam die Apotheke um 1656 als Erblehen an deſſen Tochter,
beziehungsweife an deren Ehemann, Chriſtoph Wüſtemann, und nad
diefem 1689 an deſſen Schwiegerfohn Johann Michael Salzer Y, ein
Geſchlecht, bei welchem die Apothefe mehrere Generationen hindurch
blieb.
Sehen wir und nunmehr aud ein wenig nad ben damaligen
Gaftbäufern und Herbergen der quten Stadt Pforzheim um, fo:
weit fie in den Quellen genannt werden, aus denen diefe Darftellung
geſchöpft ift. Ihre Zahl war kaum geringer, als jebt. In der Brö—
Kinger Vorjtadt treffen wir neben den drei heute noch an derfelben
Stelle wie vor ? Kahrhunderten befindlichen Gafthäufern zum Trap:
pen (Pot), zum geldnen Adler und zum Bären, der damaligen
Poſt, aud die Herberge zur Sonne, welde beim obern Grabenthor
ftand. Ahr Eigenthümer war Sebaftian Scherlin, während der Gaft:
geber zum Xrappen Balthas Mentfchler, 2) der zum goldenen Adler
) Der Grabflein biefes erfien Salıer, eines für jene Zeit ausgezeichneten
Apotbefers und Chemikers (7 1709), befindet fich auf der Sübfeite ber Frieb:
boffapelle.
2) Ein „Trappenbans“ Fommt fchon 150? vor, cin Peweis, daß biefes
Wirthohaus fehr alt ift.
Fuͤnfzehntes Rapitel, Pforzheim von 1648—1688,. 461
Hans Georg Ditertag und’ der zum Bären Mathis Kiefer, nad ihm
Ambros Deichler hieß. In der Aue finden wir die Gafthäufer zum
weißen Rößle von Dtto Beh, zum Einhorn von Ehriftian Bedh,
beide an derjelben Stelle, wie heute noch, ferner den Hirſch von So:
hann Hafner und den wilden Mann von Ambros Lötterlin. In der
Altſtadt waren die Gafthäufer zum Engel von Ehriftoph Haffert, zum
Sternen von Hans erg Lotthammer und zur Tanne bei der Alt
ftädter Brüde. Die eigentlihe Stadt befaß folgende Gafthäufer :
Zum Lamm, welches das Ed der Brötzinger- und Lammgaſſe bildete
(aljo wo jest Kaufmann Schad) und Rudolf Sold gehörte; zum wei-
Ben Laub (Chriſtian Sold) in der Yammgafje neben dem von le
hingen'ſchen Haus; zur Höllen (Chriſtoph Ganfer, fpäter Otto Bedh)
am Ed der Brötinger: und Blumengaffe (mo jest Konditor Trommter) ;
zur Blume (Hans Jerg Schönherr und nach ihm Heinrich Bauer) in
der Blumengaffe; zum goldenen Laub auf dem Markte neben dem
Ihwarzen Adler, der auf der gleichen Stelle wie jetzt ftand und
damals einem Geiger gehört zu haben fcheint; zur Krone unten am
Markte, weldes Gaſthaus Martin Schnellin und nad ihm Bernhard
Heuſchlof gehörte und das Recht hatte, jährlich 15 Ohm Wein frei auszu-
fchenten; zum goldenen Kalb in der Mebgergafle,; zum Rappen
in der unten Tränfgaffe, zuerft Ulrich Lutz, dann Philipp Sold und
zulegt Georg Stich gehörig; zur Kante (1654 Hans Peter Bol,
fpäter Chriftoph Abrecht), ebenfalls in der Tränkgaſſe an derfelben
Stelle wie jest; zum Ochſen (Martin Zoller) in der Ochfengafle;
zum Löwen (Hans Jakob Mitſchdörfer und nah ihm Balth. Hoppius)
in der Altftädter Straße unterhalb des Rathhauſes; zur Mofe (Hans
Bedh) in der Roſengaſſe. Außerdem gefchieht auch der Gafthänfer zum
Schwert (Ghriftoph Yeonhardt) und zum goldenen Schwan (8.
Sb. Schickh, nah ihm Hs. Ib. Scheidlen), ebenfo einer Herberge zum
„Lainbalhier“ (2) von Johann Michael Deſchler Erwähnung. Da
ferner auch ein „Judenhof“ in der Tränfgafje genannt wird, ber ver:
muthlich die Herberge der Iſraeliten war; da aud im jener Zeit
noch jeder Weinbergsbefiger das Necht hatte, feinen Wein felber aus—
zufchenfen und die Zahl folder „Gaſſen-“ oder „Heckenwirthe“ nicht
gering angeſchlagen werden darf; da es endlich auc an Bierfiedern nicht
fehlte (1676 Jakob Betih, 1679 Koh. Beder aus Straßburg, wozu
1695 noch Michael Peter Stieß kam), ja die Stadt felbft fogar einen
469 Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1648 - 1688,
Bierhandel betrieb, für welden ein eigener Verwalter (1664 Johann
Schauber) gefeßt war: 1) — fo mag daraus entnommen werden, daß
in Pforzheim vielleicht mehr als binlinglid Gelegenheit vorhanden war,
den Durft zu ftillen, ja aud etwas darüber zn trinken. Wenn bie
Zahl der Wirthe im Juni 1692, alfo während der traurigften Zeiten
des orleans'ſchen Krieges und nach zwei borausgegangenen furdtbaren
Bränden, denen der dritte im September desjelben Jahres nachfolgte,
noch zu 30 angegeben wird, fo läßt fi daraus fchliefen, daß fie vor
dem Krieg ungleich bedeutender war. Ob alle Wirtbe gute Geſchäfte
machten, ift nun freilich eine andere Trage, die in Anbetracht des Um:
ftandes, daß beijpielweife 1658 gegen drei Wirthe, nämlich den Löwem,
Kronen: und Bärenwirth, faft gleichzeitig das Gantverfahren” eingeleitet
wurde, vielleicht nicht ganz günftig beantwortet werden kann,
Die Zahl der damaligen Privathäufer der Stadt genau anzugeben,
ift nicht mehr möglich. Jedenfalls waren es ihrer bedeutend weniger,
als es jetzt find, da either gar viele, früber leere Plätze überbaut wur:
den und vor 200 Jahren manche öffentlichen Gebäude, wie die Klöſter,
die Klofterhöfe, die Chorherrnwohnungen ꝛc. außerordentlich viel Raum
einnahmen. Die meiften Häufer, mit Ausnahme berer der Adeligen
und der vermöglichern Bürger, waren Hein, oft nur einftödtg, unbequem
gebaut und mit dem Giebel gegen die Straße gerichtet. Jahrzahlen, die
aus der Zeit vor dem orleans'ſchen Krieg ftammen, finden fi an Häu—
fern ac. noch folgende: 1612 Ueberrefte eines Poftamentes an einem
Haus im Kappelhof (Wittwe Schufter), 1612 Jahrzahl über einer
Kellertbüre im Kloſtermühlgäßchen, 1617 Gartenpfoften oberhalb der
obern Augafie, 1618 Haus in der untern Augaffe (jest übertündt)
1620 Haus in der Kauzenbach, 1636 Scheuer im Schulgäßchen,
1643 Grabftein in der Thorfahrt der Renz'ſchen Brauerei
(Handelsmann Reh mit Frau und fünf Kindern, von dem
frühern DBefiter des Haufes, dem Zimmermann und Bierbrauer
K. L. Mutſchelknauß, defien Frau dem Gefchlechte des Reſch ent:
ftammte, bei Abbruch des Kreuztirchleins dahin verbradht), 1664 Gar:
1) Diefer Handel wurde nun freilih zum Theil mit fremden Geld betrie-
ben, mie daraus entnommen werben kann, daß 1665 ber Spezial Grab von
der Stadt die 100 Reichsthaler (fammt 3 verfallenen Zinfen) zurüdverlangte,
bie er derjelben zum Bierhandel geliehen babe. Legterer wurbe erft zu Anfang
des vorigen Jahrhunderts aufgegeben.
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688. 463
tenpfoften in der Altftadt, 1667 Gartenpfoften im Holsgartenweg. —
Der adeligen Häufer gab es vor 200 Jahren in Pforzheim immer noch
fehr viele und es dürfte nicht unintereſſant erfcheinen, dieſelben unter
Angabe ihrer Lage, fo weit dies möglich ift, bier abermals aufzuführen,
Beim Bröginger Thor, wo jett das Erhardt'ſche Haus ſteht, befand
fi) das freiberrlih von Hohenberg-Hochdorf'ſche Haus, und ein
Beweis für feine Größe it der Umftand, daß es 1661 um die für die
damalige Zeit bedeutende Summe von 2000 Gulden an den Amtsteller
Joh. Bernh. Weiller verkauft wurde. Nahe dabei Tag das von Hall:
wylſche Haus. In der Bruder: oder Lammgaſſe Tagen das 1567
erbaute von Fle hingeu'ſche und das von Remchingen'ſche Haus,
unten am Schlogberg das von Menzingen’fche und das von Kal:
tentbaliche; weiter oben am Schloßberg das Göler von Ravens—
burg'ſche; da, wo jetzt Ghriftopb Becker, ftanden vor 1648 das von
Schornſtetten'ſche, 1649 das Schenk von Winterftettenfhe und
das von Remchingen'ſche Haus, auf dem ehemaligen Kirchhof der
Barfüßer das von Gemmingen-Steineckſche und in der obern
Pfarrgaffe unterhalb des Echlofies das 1555 erbaute von Schauen:
burg’iche fpäter Mäntel von Steinfels'ſche Haus (jetzt Maier und
Veltman). Unten am Marktplatz (wo jeßt Auguft Kayſer) finden wir
die freiberrlich von Rieppur'ſche Behaufung, die 1681 dem Hofmeifter
des Markgrafen Karl Guftav, Eitel Friedrih von Nieppur zu Ober:
möngheim, gehörte, der noch ein zweites Haus vor dem Altftädter Thor
befaß. Nicht weit davon, nämlich bei der Eichmühle, lag das von
Reyſchach'ſche Haus (wahrfcheinlih wo jett Schneider Krimmer),
deſſen ſchon 1658 als dort Mbend erwähnt wird und das am 27. Juli
1676 der Küfer Hans Balthas Saif von Jakob von Reiſchach, Forſt—
meifter zu Leonberg und feinem Vetter, bez. Bruder Ludwig Eberhard
und Georg von Reifhadh, um 400 Gulden käuflich erwarb. Abermals
in der Nähe war ein anderes hochadeliches Haus, nämlich das Kech—
ler von Schwandorfſche in der Mebgergaffe, eigentlih 2 Häufer,
ein altes und ein neues, mit einem ummauerten Hof und Garten, zu:
ſammen der „Kechlerhof“ genannt, weldes hinten auf den von
Reiſchach'ſchen Garten ftieß, und am 15. Dezember 1679 an den Fubr:
mann Hans Naufcher um 450 Gulden verkauft wurde. Die Kechler
befagen aber noch ein Haus in der Ochſengaſſe (etwa wo jest Johann
Kichnle), woſelbſt aud 1658 das Haus Bernhards von Baden
464 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1683.
ftand. In der Viehgafie war das Gred von Kochen dorf'ſche, in der
Altſtädter Strape das von Storfhedelihe Haus, das 1687 Bier:
fieder Beer in Pacht hatte. In letzterer Straße befaßen aud bie
Herrn von Leutrum zwei Häufer (jebt Kaufmann Hepp bis hinunter
zu Fabrifant Groß, und Unter&der’iche Bierbrauerei). Endlich ift 1681
auch no von einem Gremp von Freubdenfteinfchen Hausplag vor
dem Altenftädter Thor neben dem von Rieppur'ſchen Haus die Rede.
Außer diefen Adelsfamilien werden auc noch andere als zu jener Zeit
in Pforzheim wohnend angeführt, 3. B. die ven Ow, von Hartung:
baufen, von Sternenfels. In das Mäntel von Stein:
fels’ihe Haus beirathete damals ein Franzoſe, Herr de Macaire, defjen
Nachkommen noch Tange ihren Sig in Pforzheim hatten. Unter den
Adelihen, welche wenigften Güter bei, wenn aud vielleicht feine
Häufer in Pforzheim befagen, war auch der Herr von St. Andre zu
Königsbach.
Zur Vervollſtändigung des Bildes, das bier vom „alten Pforz—
beim“ entworfen ift, mögen noch einige Notizen über die Bevölkerungs—
verhältnifje der Stadt im 17. Jahrhundert hier angeführt werden. Die
Zahl der Einwohner ift in den Quellen, woraus diefe Darftellung
gefhöpft und zufammengetragen wurde, nirgends angeführt ; doc, läßt
fie fih nad der Anzahl der Geburten, über welche die alten Kirchen:
bücher Auskunft geben, annähernd berechnen. Die Durchſchnittszahl der
in den Jahren 1607—1634 in der Stadtgemeinde jährlih Geborenen
ift 126. Zählen wir biezu die im der Altftadt Geborenen mit der
doppelten Durchſchnittszahl der fpätern Zeit, nimlid mit 22 (ein Alt:
ftädter Kirchenbuch aus jener Zeit ijt niigt mehr vorhanden,) und neh—
men wir an, daß nad) den gewöhnlichen Verhältniß ein Nengeborener
auf 26 Seelen fan, jo ergibt ſich für Pforzheim eine Bevölkerung von
3848 oder in runder Summe von 3900 Seelen für das erfte Drittel
bes 17. Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte des bdreifigjährigen
Krieges nahm die Bevölkerung bedeutend ab, fo daß fie, wenn man die
gleihe Nechnung, wie fo eben, wieder zu Grunde legt, um 1650 faum
2400 Seelen betragen haben kann. Von diefer Zeit an aber zeigt ſich
wieder eine allmälige Zunahme, fo daß die Zahl der Einwohner vor
dem Ausbruch des orleans'ſchen Krieges wieder zwifhen 3 und 4000
betrug und die Bürgerſchaft, die noch 1676 nicht viel über 370 Mann
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 465
ftarf war, im Jahre 1688 deren wieder 543 zihlte, wovon auf die
Altitadt zwiſchen 40 und 50 kamen.
Ueber die Lage und nähern Umgebungen Pforzheims fteht in oben
ſchon erwähntem Werke, das eine Abbildung Pforzheims enthält, 1) unter
Anderm Folgendes: „Pforkheim Tiegt am Hagenſchieß vnnd den Grän-
zen dep Craichgows, dadurd die Eng, ein mittelmäßig Wafjer fliefjet,
jo gar fiſchreich, ſonderlich an Eichen ift, vnnd fället darbey die Nagelt,
vnd in bdiefelbe vnfern die Wirm, dareyn. Es macen berielben Ge:
ftad, die Wiefen herumb, vnnd die nabliegende Berg, da man zu dem
Schwarzwald kommt, vnnd auff der andern Seiten die frudıtbare Aeder,
onud ſchöne Gärten, allda eine gewaltige Luſt. Unnd kommt bejagter
Fluß Entius nicht gar jonders weit ven dannen in den Nedarz da «8
eine vber die maſſen luſtige Gelegenheit am Nedaritrom bat, daß man
es wol einen Garten nennen kann, darvon die Charitini, jo bierumb
gewohnt haben ſollen, vielleicht ihren Namen bekommen. — Das alte
Schloß, wie auch die Kirch allda ſeyn wol zu ſehen, darinn etlicher
Herrn Marggraffen von Baden Begräbnuß, wie auch Marggrafi Alb:
rechts von Brandenburg” u. ſ. w. — An einem andern Ort?) heißt
es: „Pfortzheim ift ein feine wolgebaute durlachiſche Stadt an der En,
allda die Naab darein kommt, an denen Grenten des Greichtgavs, am
Eingang des Schwarkwaldes, wenn man von Epever kommt, in einer
wegen ber Wiefen und nabe anliegenden Bergen überaus Iuftigen Gegend
gelegen.” — „Das alte Schloß, wie auch die Kirch iſt da wol zu jehen,
darinn der Herm Marggraien eines Theils Begräbniß, unter welden
dann aud Marggraf Albrecht von Brandenburg iſt“ ıc.
$ 3. Blicke ins ſtädtiſche Gemeinleben.
Die Zufammenjeßung der ftädtifhen Behörden war ned immer
diefelbe, wie wir fie bereits früher (S. 231) kennen gelernt haben. An
der Spite des ftädtifchen Gemeinweſens jtand der Bürgermeifter,
der in dem aus 12 „Rathsverwandten“ zufammengefegten Rathe den
Vorſitz führte. Das Gericht hatte diefelbe Zahl von „Gerichtöver:
1) Zeilers Topographia Sueviae.,
2) Der durchleuchtigſten Fürflen und Marggrafen von Baaden Leben, Res
gierung, Großthaten und Abfterben ꝛc. Frankfurt, 1695.
Pflüger, Pforzheim, 30
466 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688.
wandten”, und wurde jebt vom Untervogt (früher Schultheiß) präſidirt.
Die Stelle eines Bürgermeiſters bekleideten in der Zeit von 1650 bis
1690 : Georg Weeber, Nikolaus Euchele, Hans Martin Faß—
nacht, Hans Gall Kittel, Michael Peter Stieß, Johann Jakeb
Deimling ımd Martin Zoller. Ws Mitglieder der beiden ftäd:
tiſchen Kollegien, die aber häufig nicht vollftändig waren, werden ge
nannt 1665: Sg. Weeber (Bürgermeifter), Wendel Fiſch, Scherle, 98.
Stieß, Balth. Schill, Fleiſchmann, Frauenpreis, Michael Peter Stich,
Chriſt. Ganſer, Warner, Rud. Zold, Hs. Gall Kittel, Abrecht, Schau:
ber, Melter, Krentel, Kanzler, Flacht, Zoller, Langjahr; 1656: Mart.
Zoller (amtstragender Bürgermeijter), Job. Ib. Deimling, Mic, Pet.
Stieß, Hs. Ulrich Kiefer, Eberle, Holdmann, Scheidlin, Wilderfinn,
Herbiter, Kercher, Ungerer, — Meerwein, Kauler, Mol, Burkhardt,
Bub, Schnell, Maier, Kornmann, Abrecht, Lötterle, Oſtertag. — Ge
meinſchaftliche Sigungen beider Kollegien follten eigentlid jede Woche
ftattfinden, und nahm der Obervogt dann und wann, der Untervogt
häufig daran Theil. Andeffen fielen auch manche Situngen aus, (1684
waren 39 folder Sitzungen; der Obervogt allein nahm 3 Mal, ber
Untervogt allein 16 Dial, beide Beamten zufammen 9 Mal daran
Theil.) — Die Stelle eines Obervogts bekleidete um 1650 Engelhard
Göler von Ravensburg, 1658 und die folgenden Jahre Hugo
Ernjt von Landenberg, 1663 Tobias Spindler, fpäter in den
1670er Fahren Phil. Jak. von Botzheimb. As Untervögte wer:
den ans diefer Zeit genannt: 1657 Job. Sb. Ferber, 1675 ob.
Burkhardt Keller, nah diefem Erhardt Kieffer. — Außer den
ordentlihen Sitzungen Gerichts und Raths konnten in Partiefahen auf
bejonderes Verlangen and außerordentliche ftattfinden; doc mußte jede
der ftreitenden Partien dafür eine Taxe von 4 Gulden bezahlen, weldye
der gewinnende Theil vom andern wieder verlangen durfte. Jedes Mit:
glied des Raths und Gerichts durfte den Ehrentitel „Herr“ führen, der
fonft nur den fürftlichen Beamten und Geiftlihen zufam. Die voll:
ftändige Anrede an Bürgermeifter, Gericht und Rath, welche im Dienft:
wege gebraucht werden mußte, Tautete: „Wohlehrenfefte, ehrenfefte, hoch:
und wohlgeachtete, fürfichtige, ehrfame, hoch- und wohlweife Herren amts⸗
tragender Bürgermeifter, Gericht und Nath, gnädigſte, hochgeehrteſte,
body und vielgechrte Herren!" — Ihre Amtswürde wußten die Herrn
ftreng zu wahren, und jede Verlehung derfelben wurde ſcharf geahndet.
Fünfzehntes Kapitel, Pforzbeim von 1648-1688. 467
Eine Beleidigung des Bürgermeifters hatte für den Thäter troß feiner
Bitte um Verzeihung 1678 eine Gefängnißitrafe von 24 Stunden und
eine Geldftrafe von 2 Pfund Pfennig zur Folge. Als Einer 1683
einen Rathsherrn einen Stadtfnecht gebeiken, mußte er, weil er ein
„groß Unrecht“ begangen, 1 fl. 41/, Strafe bezahlen. Noch fchlimmer
kam eine Fuhrmannsfrau weg, die 1664 einen Rathsherrn einen „Narren“
und Meinen „A— wiſch“ geheißen hatte. Schwer mußte auch der Bürger
Hans Lug 1666 die Folgen einer Verläumdung empfinden. Von Sei—
ten der ftädtiichen Behörde war nämlid an die Zünfte in jenem Jahr
die Eröffnung gemacht worden, daß fie fi) aller geheimen Zuſammen—
fünfte enthalten und nicht glei mit jeder Klage an die fürftliche
Kanzlei wenden, fondern bdiefelbe zuerft bei Amt und Rath vorbringen
jollten. Darauf hin machte befagter Lutz bei fürftlicher Kanzlei bie
Anzeige, es feien die Zunftmeifter aufs Rathhaus befchieden und ihnen
eröffnet worden, daß feiner mehr bei 10 Thaler Strafe bei Sr. fürftlichen
Durchlaucht etwas Hagen folle, oder man werde Einen oder Etliche
nehmen, nach Durlady führen, ihnen die Köpfe vor die Füße legen und
ihre Weiber und Kinder zur Stadt hinaus jagen; dabei fei ihnen be-
fohlen worden, zu der ganzen Sache ftill zu fein ꝛc. — Da fid) bei
vorgenommener Unterfuhung dieſe Angaben als grobe Verläumdung
berausitellten, fo murde Fuß zur Strafe ins Käficht des Brößinger
Thors geſteckt, mußte ſich aller ehrlichen Zufammentünfte, Geſellſchaften
und Zehen bei Strafe von 10 Pfund Pfennig enthalten und durfte
bis auf Weiteres außerhalb der Pforzheimer Gemarkung bei gleiher
Strafe feinen Fuß ſetzen. Sol ftrenges Verfahren mußte nun freilich
einen heilſamen Schrecken einflößen und zur Wahrung der Autorität
der Ortsobrigkeit kräftigſt beitragen. In ähnlicher Weife wurde aber
auch das Anfehen fonftiger ftädtifcher Vebienfteten geſchützt. Der Met
ger Rapp wurde 1689 um 10 Schilling Pfennig geftraft, weil er ge:
fagt, man müffe den Fleiſchſchätzern Brillen auffeten, und Metzger Mic).
Bud mußte gar 1 Pfund Pfennig Strafe bezahlen, weil er die Aeuße—
rung getdan, man henke Keinen, man habe ihn denn zuvor.
Die Mitglieder der frädtifhen Rollegien bezogen keine Befsldungen;
nur der Vürgermeifter erhielt aus der Stadtkaſſe jährlih 10 fl. 40 fr.
welche Summe jedod 1683 auf 32 fl. erhöht wurde, Auch Diäten
wurben mır felten ausgeworfen; dafür wurde, wie früher jhen (©. 208)
erwähnt, ein „Trunk“ gethan, auch eine Mahlzeit er Am
468 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688.
Tage der jährlichen Bürgermeifterwabl wurden von Geriht und Rath
bie Zinfen der oben (S. 286) angeführten Stiftung des Kanzlers Acht:
ſynit zu einem Trunk verwendet. Dafür wurden 1685 verzehrt 4 Maaß
ipanifchen Weins a 1 fl. 4 Mr., für Maftir (!) wurden 4 kr., für
Semmeln 15 kr. ausgegeben, Aehnliches jcheint damals jedes Jahr ge:
ſchehen zu fein; wenigitens ift davon auch 1687 wieder die Nede, nur
dag es dort zu 4 Maaß und 21, Schoppen des jpanifchen Weine
reichte, den der Apotheker Wilhelmi zu liefern hatte, Ebenſo wurde bei
der jährlichen Abhör der Bürgerme iſterrechuung immer eine Mabl-
zeiten gehalten, an weldyer die fürftlichen Kommiffarien (1683 die geb.
Hof: und Kammerräthe Johann von Eſſen und Job. Heinr. Abrecht),
die Beamten, der Bürgermeifter und ſämmtliche Mitglieder des Gerichts
und Raths Theil nahmen, und deren Koſten der Stadtjädel tragen
mußte, Dieje beliefen fih 1683 auf 31 Gulden 18 Kreuzer, wozu
nod 4 Gulden Fuhrlohn, die Diäten der fürftlihen Kommiſſarien und
des Kanzliiten famen, Da ſolche und andere, wie es jcheint des Jah—
res mehrfach ſich wiederholenden Mahlzeiten die Stadt viel Geld
kofteten, jo kam dafür der Gebraud auf, allen Perjonen, die ſonſt da:
ran Theil genommen batten, jilberne Xöffel auf Stadtkoften zu
verehren. So wurden bei der Abbör der Bürgermeifterrehnung
1688 30 folder filberner Löffel ausgetheilt, nämlich an die fürſtlichen
Kommiffarien, geh. Math Johann von Eſſen und Kammerrath Kifling,
die Pforzheimer Beamten, den Stadtjchreiber, die Protofolliiten und
die 24 Gerichts: und Rathsherrn, und erhielt dafür der Goldſchmied
Nikolaus Burkhardt 92 fl. 71/, kr. ausbezahlt. Trotz diefer Aende—
rung wurden im Jahr 1684, wo ſolche ſchon ftattgefunden hatte, 244 fl.
281/, tr. für „Zehrung“ ausgegeben. — Als am 7. November 1688
der neue Wein auf dem Rathhaus verfucht wurde, um die Tare des:
felben zu bejtimmen, ift ein Trunk gethan und dabei verzehrt worden
2. 15 kr.
Ale fonftigen ſtädtiſchen Bedienſteten bezogen Bejoldungen, denen
nun freilich der Gelöwerth jener Zeit zu Grunde lag. Diefelben ſchei—
nen im Jahr 1683 meu regulirt worden zu fein, wie ſchon aus dem
oben angegebenen Einfommen des Bürgermeifters hervorgeht. Es dürfte
für die Lefer von Intereſſe fein, diefe Bejoldungen hier angegeben zu
finden. Folgende Jujammenftellung mag damit zugleidy als Ergänzung
Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim won 1648-1688. 469
der Lifte der ftädtifchen Angeftellten dienen, die oben (S. 237 ff.) mit:
geteilt worden iſt. Es erbielten :
Der Stadtſchreiber Götz
an Befoldung . . ... . 40fl. — fr. (1682 noch 12fl. dr.)
für Papier und Dinte . . 85.20 fr.
für den Hausverbraud an Holz 40 fl. — ft.
— — — —
zuſammen 88 fl. 20 Er.,
Der Stadtphufitus Joh. Burkh. Mögling 20 fl., der Baumeifter 20
fl., der Kornſchreiber 5 fl., der Weinfiegler 4 ji. 174/, tr, der Maß:
pfennigeinzieher 2 fl. 20 Er., der Fleiſchwäger 5 fl., der Waſchhausver—
walter 6 fl., der deutiche Schulmeifter 15 fL (1682 noch 3 fl. 45 fr.),
der Zintenift 10 fl. (1682 nody 2 fl. SO fr.), 3 Hebammen jede 7 fl.
und 3 SKlafter Holz (1682 jede nur 1 fl. 45 kr.), der Waldſchütz
24 fl., der Stadtfneht 26 fl., die Brodbefhauer je 2 fl. 30 fr,
die Fleiſchſchäter 2 fl. 30 kr., Organift Dürr 140 fl., der Thor:
wächter des Altftädter Thors 7 fl. Di Er., der Büchfenhalter, Wer:
renſchließer und DBeichließer daſelbſt 6 fl. 30 kr., der Thormwächter
am Bröginger Thor 14 fl. 21 !r., der Beichlieger daſelbſt 2 fl.,
der Thorwächter am Steinbrüderthor 7 fl. 51 kr., der Beſchließer da:
ſelbſt fl., der Thorwächter am Auerbrunnenthor 8 fl. (derfelbe mar
zugleih Vormitternadhtswächter in der Au und mußte auch die Uhr
bafelbft aufziehen), 2 Wormitternachtsmächter jeder 13 fl., 2 Nachmitter—
nachtswächter jeder 11 fl., der Hochwächter auf dem Brötinger Thor
16 fl., die Schließerin des Hillerthors 1 fl., des Schäferthors 2 fl., für
das Auf: und Zuſchließen der Werren (Wehre) an der Altjtädter Brücke
1 fl. 30 kr., Thorwächter am Heiligkreuzthor 2 fl., Thorwächter beim
obern Grabenthor 2 fl., Sägverwalter 20 fl. Außerdem werben theile
als ftädtifche, theils als ſolche VBedienftete, gegen welche die Stadt wenig⸗
ſtens Verbindlichkeiten hatte, erwähnt: Der Stadthauptmann (hatte
freie Station von der Stadt anzufpreden), die 2 Stadttrommfer erbiel:
ten zufammen 10 ft. 1) (1687 wurden für diefelben 2 neue Trommeln
aus Ettlingen bezogen und koſteten 7 fl. 15 kr.), eine Wärterin auf
1) Zu Stabttrommiern wurden 1687 Ernſt Friedrich und Tobias Heiſch
beflimmt. Die „faulen Kerle” wollten aber zuerfi nit, weshalb ihnen zur
Strafe unterjagt wurde, bei Hochzeiten und Tänzen aufzuipielen,
470 Fünfzehntes Kapitel, Pforzbeim von 1648-1688,
dem Rathhaus oder die fogenannte Rathhausfrau. — Die Math.
Buck'ſche Wittwe, welche die ordinäre Poft (d. h. Votengänge) nad)
Durlach verjehen ließ, erhicht 4 fl. (Meben diefer „oft“ wird 1684
noch einer „Straßburger Landkutſche“ erwähnt, die wöchentlich nad)
Stuttgart ging. Derjelben war Weggeldermäßigung zugeftanden.)
Die Gefammtfumme der Bejoldungen belief ſich 1683 auf 387 Gul—
den 48 Kreuzer.
Um die jährlichen Ausgaben, welche die Stadt in jener Zeit Hatte,
fowie die Einnahmen, welche zur Dedung derfelben dienen mußten, ganz
überjehen zu können, möge bier ein Auszug aus der Bürgermeifter:
rechnung von 1693 folgen, welder zugleich Stoff zu interefjanten Ver:
gleihungen bieten mag.
Einnahme
Betrag. Reit.
fl. fr. fl. fr.
IREHEB: aa ce ee 598 471, — —
Dee . 2 a 2 666 — —
Stande . . . . En 10 3915, — —
Hanfwage, Wagliſch und Ri — 5 34 — —
Meßgeld. ... F 12 36 — —
Umgeld mit Mafpfennig use 244 11 — —
IRB a ee re ai 4 451/, — —
Viehunterkau 204 19 —
Salzgewin.... 2 2 20. U — — —
Hausweinumgeld . 2 2 2... 5 413/, — —
0 11.11.11 EEE REN 396 45 — —
Jährl. Gülten.... 10964 271%, 10896 32
Unbeftändige Gülten. 2... 247 531 34 50
Gültrüdftände von früher. . . . 144 491), 48 45
Alte Rüdftände. . 2.2.2... 629 561/, — —
Landacht. . .. 22.2. 9 — —
Von den Wafchhäufern De 50° — 50 —
Aus Aſche erlöst ir de 7 38 — —
Vom Abzug. » 2: 2 2 2a. 8 423, — —
Bürgergelder. . . . 149 12 70 58
Zu Hilfder Armbruft: u. Bücfenfhügen 126 4 114 58
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648 -1688.
Betrag.
fl. fr,
Strafen und Rügung -. . . . . 50 461/,
Mülfände 2 222
Eiherlon . 2 2 2 2 20. 3 16
DOSE. 295 31
Vom Sägmeiftr . . . . 150 411),
Ausftände v. verkauften Briten . — 32
Dehmenged . . . . ur 376 3
Ausftände von . . 2 2... 3 22
Diehl . 2 22 24 56
Bom Ziegler - 2 2: 2 2 2e 24
Ausftände von Lagergelden . . . 5 —
Erfaß für Zum . 2... B —
Beiibgelder - - > 2 2 22. 17 46
In Omen . 2 2 2 2... 116 19
Ausftände in Gemein . . 2... 12 2217,
Summa . 15399 333/,
11294 51
Wirkliche Einnahme . 4104 4237,
Ausgaben.
Angelegte Hauptgült .
Jährliche Gülten
Befoldungen
Zehrungen
Verehrungen
Schwebende Späne * Berichtshändel
Poftritt und Botenlohn .
Verbaut
Fuhrlohn von Klafterholz
Verpfläftert . —F
Für Tuch —
Den Armbruſt-⸗ und Büöfaftüken
Für Brennholz . 3
11294 51
472 Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648— 1688.
fl. fr.
2 9
Haurln . © 2 2 2 67
31 38
eeee 1 30
Kriegskoſten —D— 17 16
Dehnengttttetee 990 —
Um Sotteswilen > 2 2 na rn 11 37
Dauer eh 13 —
BER a ee 66
U SEHE 2 rer we de ee 96 81,
3709 39
3Zufammenftellung.
fl. fr.
Wirkliche Einnahmen . oo 2 2 2 nn nn. 404 429%,
BIBBUDEN: cur ae 0 39
Kaflenreft . 395 3%,
Zu manden diefer Einnahme: und Ausgabspoften find einige Bes
merfungen nothwendig. Als bedeutenöfter unter den erjtern erſcheint der
Pfundzoll. Darunter ift die Kauf-, Erbſchafts- ꝛc. Acciſe zu ver:
fteben, welch evftere aber nit mur von Gütern und dgl, fondern auch
von Maaren, ja vom Holz erhoben wurde. Im Privilegienbrief von
1491 (©. 226) war aller Pfundzoll von Handel und Gewerben im
Pforzheim auf 1 Pfennig vom Gulden ermäßigt worden, wogegen fich
die Herrichaft den alleinigen Bezug desfelben nach hergebrachter Sitte
vorbehielt. Diefe Beſtimmung wurde jedoch 1675 durch einen Vertrag
zwifchen der Stadt und der Herrfchaft dahin abgeändert, daR der
Pfundzoll in Pforzheim auf den gleichen Betrag, wie er im ganzen
Land erhoben wurde, unter der Bedingung erhöht werden folte, daß
die Stadt davon den vierten Theil beziehe (der ihr indeß fehr un:
regelmäßig ausbezahlt wurde, was ſchon 1678 und 79 Klagen hervor:
rief). Dieje Aenderung, obgleich fie der Stadt eine bedeutende Ein:
nahmequelle eröffnete, erregte jedoch unter der Bürgerfchaft große
Unzufriedenheit, wie oben fchon angedeutet worden ift, und bildete
auch einen der Beſchwerdepunkte, die beim fpäter ausgebrohenen
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688. 473
Privilegienftreit zur Sprache kamen. — Einen anfehnlihen Einnahme—
poften bildete auch das Weggeld, das ziemlih hoch war und darım
von Seiten nabliegender Gemeinden, jo 1678 von Stein, Beſchwerden
hervorrief. Ein Jude, der 1672 während der Mittagpredigt mit Vieh
durch die Stadt zog, mußte 6 Kreuzer bezahlen; (Leider vertrant es
die Thorwartin!) — ein anderer zahlt für 60 Stüd Vieh 1 Gulden;
zwei find durchs Brößinger Thor gefahren, zahlen 2 Basen, 2 Schwei-
‚zerwägen 4 Baben, 1300 Stück Schafe often 5 Gulden Weggeld.
Daß von der Einnahme an Gülten faft die ganze Summe im Rück—
ftand blieb, erfcheint auffallend, rührt aber ohne Zweifel daher, daß
diefe Zinfen oder vielmehr die Kapitalien, aus denen fie floſſen, im
Grund nicht mehr eriftirten, da faſt ſämmtliche Häufer, auf welche die
Stadt ihre Kapitalien ftehen hatte, im dreigigjührigen Krieg abgebrannt
waren. Defjenungeachtet wurde dieſer Poften in den Stadtrehnungen
fortgeführt, vielleicht um das Andenken daran, daß die Stadt aud ein:
mal bedeutende Kapitalien bejeflen, Tebendig zu erhalten. — Unter
Landacht oder Nahzelg ift eine Einnahme von Almendgütern zu
verftehen. Was den Abzug betrifft, fo erfehen wir aus dem Umftand,
ba 1684 ein Strumpfweber aus Bretten, von in Pforzheim ererbten
135 fl. — 16 fl. 12 fr. Abzug bezahlen mußte, daß legterer 12 Pro:
zent betrug, wovon die Stadt 5 Prozent, alſo 6 fl. 45 fr. erhielt. —
Bon den Strafen und Rügen bezog die Stadt ebenfalls nur einen
Theil, und zwar beifpielweife von einem Blutfrevel, welcher & fl. 20 fr.
toftete, 1/, mit 1 fl. 26 kr., von einem Zrodenfrevel a 1 fl. 8 fr.
ebenfalls 1/, mit 29 kr., von einem großen Unrecht 22 fr., einem Kleinen
7 kr., von jedem Nachtgulden 13 fr. Es dürfte nicht uninterefjant
fein, Hier den Betrag noch amderer Gelditrafen angegeben zu finden.
Mehrere, die am 9. Jan. 1665 die Nacht durchgezecht und gefpielt haben,
zahlen 1 Nachtgulden und 5 Schilling „Spielainung“. — Hans Bölfter-
lin der Ejelsmüller muß, weil feine Ejel im Feld öfters Schaden ges
than haben, 1665 für jeden der 4 Eſel 22 ir. „Feldrügung” bezab:
In. — Hans Würz kommt 1665 wegen „Fluchens“ 1 Tag und 1
Naht in „Keffit” und muß 10 Schilling Pfennig ins Almofen zahlen.
— Zwei Männer, welhe am Bronnenwörth durch Einbiegung von
Weiden ꝛc. ihre Wieſen vergrößerten, werden 1667 wegen „Markver:
legung” jeder um 15 fl. geſtraft. — Ein Jude zahlte 1673 wegen
zu leichten Gewichts 5 Sch. Pfg., ein anderer 4 Sch. Pig, — Ein
474 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648- 1688.
Bürger, ber Made flieht, ift 1673 mit den Thorſchlüſſeln ins Wirths—
haus gelaufen, zahlt 10 Sch. Pig. — Ein Bäder zahlt 1674 megen
zu Meinem Brod 10 Ed. Pig. — Zwei haben 1674 am Sonntag
gefiicht, zahlt Jeder 10 Sch. Pig. — Ein Mebger zahlt 1678 wegen
Schlachtens eines beinbrüdigen Ochſen 10 Sch. Pig. — Ein Bäder,
ber zu ſpät gebaden, muß 1686 die große Flafche mit Wein und 10
Sch. Pig. bezahlen. — Wer feinen Feuereimer bat, muß (1684)
22 tr. bezahlen. — Winkelſchreiberei Toftete 1676 1 Gulden Strafe,
ein verbotener Gartendurchgang 5 Pfd. Pfennig, unerlaubter Viehtrieb
2 Sch. Pig. — Eine Rrau, welche 1673 eine andere eine budklichte
Here hieß, mußte 3 Pfd. Pig. Strafe bezahlen; eine andere Injurie
koftete 1675 zwei Gulden ıc. — Vergehungen der Iettern Art wurden
auch in noch anderer Weiſe beftraft. Im Fahr 1662 wurde Heinric
Würz wegen Injurie und Trockenfrevel in den Efelsftall geſetzt, feine
Frau aber wegen böfen Mauls in die Geige getban. — in Soldat
(d. h. Bürger), der 1678 feine Muskete im Rauſch auf feinen Offizier
anfchlug, mußte zur Strafe bei der Hauptwache zwei Stunden lang zwei
Doppelbafen tragen. — Für Vergeben fchwererer Art ftand auf dem
fogenannten Galgenrain aud ein Hochgericht bereit. Dasſelbe wurde
1697 reparirt, nachdem der Baumeifter Kercher die Anzeige gemacht,
daß es verfault und dem Einfallen nahe fi. — Unter den in den
Ausgaben vorkommenden „Verebrungen”“ find Gefchenfe zu ver:
ſtehen. Trotz ihrer oft mißlichen Finanzlage ließ die Stadt den alten
löblichen Brauch nicht abkommen, ſich bei befondern Anläffen, namentlich
Hodzeiten, zu welchen die ftädtifchen Behörden geladen wurden, fplenbid
zu zeigen und auf die Cinladung mit einem Geſchenk zu antworten.
Ein folhes von 6 Reichsthalern erbielt z. B. 1662 der Rechneirath
Obrecht (Abrecht) zu Karlsburg, ebenfo der Diafonus Pauli; dem
Untervogt Ferber wurde 1664 auf feinen hochzeitlichen Ehrentag ein
filberner Becher verehrt von 29 Loth und 3 Quintlein Gewicht und
32 Gulden Werth; Daniel Meeber erhielt 1665 eine Hochzeitsgabe
von 8 Thalern für feine Tochter; Profeſſor Arnold in Durlah 1665
für die Einladung zu feiner Hochzeit 3 Rthlr.; 1682 befam ein Rathe-
berr zu feiner Hochzeit 3 fl.; der Sohn eines Gerichtsherrn ebenfalls
Ifl.uf. w. Meagifter Joh. Joachim Kiefer, der feine in Straßburg
gehaltene Disputation dem Meagiftrat widmete, erbielt dafür|in ber-
kömmlicher Weiſe 6 Rthlr., der Student Phil. Sigm. Elos in Durlach
*
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688, 475
für feine „disputatio de purgatorio“ 6 fl.; — dem neuen Diakonus
Suter wurden 1694 (alfo fogar im Krieg!) 4 Gulden zum Willkomm
verehrt; 1672 erbielt der Herr von Kroneck, geb. Nath und Präfident
zu Karlsburg, von der Stadt einen filbernen Becher und 2 Salzküdıs:
fein (von den Amtoflecken 2 Viertel Nedarwein), 1697 die Gemahlin
bes Präfidenten von Gemmingen eine filberne Suppenfhüfjel (30 Loth
ihwer); der Oberrathsſekretär Joh. Frd. Boch erhielt 1662 die von
ber Stadt verlangten Rahmenſchenkel wegen erwiefener Gefälligfeit ums
fonft u. f. w. — Die Ausgaben „um Gottes willen“ waren
ebenfalls Geſchenke oder Unterftügungen an Arme und Nothleidende,
So erhielt 1654 ein Erulant aus Ungarn 20 Er.; der Marktflecken
Pfalz: Sulzbah, wo „die Papiften die Kirche, Pfarr: und Schulhaus
weggenommeu haben,“ zur Erbauung einer neuen 1 Gulden; 1689
wurden einem armen melandholiihen Studenten verehrt 3 fr. Sole
Geſchenke an vertriebene Geiftlihe, Schullehrer, invalide Offiziere und
Soldaten, alte Leute ꝛc. fommen nody öfter vor. — Das in den Aus:
gaben aufgeführte Debmengeld ift der Zins für Benübung ber
Herrihaftswaldungen zum Edericy (vergl. ©. 219) oder zur Eichelmaſt.
Mie aus oben mitgetheiltem Nechnungsauszug erſichtlich, war zur
Beftreitung der Gemeindebedürfniffe von der Erhebung einer frädtifchen
Umfage keine Rede, und die Bürger bezahlten eben jo wenig eine ftäd:
tische, als eine herrſchaftliche ftändige und direkte Steuer, Deſto
mehr wurden fie aber mit indirekten Steuern, als Umgeld, Maßpfennig,
Pfundzoll ꝛc. ins Mitleid gezogen, von denen die Herrichaft und bie
Stabt jede ihren Antheil erhielt. (Vergleiche den Privilegienbrief von
1491.) In letzterm waren die Bürger von jeder direkten Steuer ohne—
bin ausdrücklich befreit; dody begegnen wir nady dem dreißigiäh:
rigen Krieg ſchon öfters dem Namen der „Schatzung“, alfo einer
Vermögensfteuer, die indefien nur den Charakter einer vorübergehenden,
nicht einer ftändigen Steuer trug. (Vergl. ©. 357.) Sie wurde
in Monatgeldern erhoben, weldye 1663 zufammen 216 fl., alfo jährlich
an 2600 fl. betrugen, eine für feine Zeit nicht unbedeutende Summe,
Diefe Steuer erregte unter der Bürgerfchaft große Unruhe und Unzu—
friebenheit und rief viele Beſchwerden hervor. So finden wir, daß
1665 Veit Raub ſich über diefe Steuer, namentlih daß er zu hoch
angelegt fei und monatlih 1 fl. 431/, kr. (alfo jährlih 20 fl. 42 kr.!)
bezahlen müffe, bitter beklagt und um Moderirung bitte. Die Herr
476 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688,
ichaft konnte indejfen in Seiten der Noth auch die „gefreiten“ Städte
von diefer Steuer nicht ausnehmen, und die Bürger mußten fi, wenn
auch ungern, zur Zahlung derfelben verftehen. Der lang verbaltene Un:
wille darüber fam indeß, wie unten erzäblt werden foll, erft zu Anfang
bes 18. Jahrhunderts in Pforzheim im Privilegienftreit zum Ausbruch.
Außer dieſer Schatung begegnen wir 1663 auch einer „Türkenſteuer.“
Wie viel diefelbe betrug, weiß ich nicht. (Als fie 1663 eingezogen
wurde, äußerte Jemand: Der Türk füme doch, man möge zahlen, fo
viel man wolle.) Daß der Stadt im Widerſpruch mit den Beftim:
mungen des Privilegienbriefes auch von Zeit zu Zeit Frohnden zu:
gemuthet wurden, geht aus mehreren Stellen der Rathsprotokolle jener
Zeit hervor. Wenn jedoeh aud die Stadt in manchen Fällen den Be:
fehlen der Regierung Folge Teiftete, fo geſchah es nie ohne heftige Pro:
teftation. Auch font entftanden mehrfach Streitigkeiten zwiſchen Stadt
und Regierung, deren Beilegung in der Negel bei Abhör der Bürger:
meilterrehnung verfucht wurde und, wenn es möglih war, aud
erfolgte. So trug u. W. die Stadt 1679 verſchiedene „Gravamina“
vor, und zwar 1. wegen des Salzhandels; 2. wegen des Dehmengeldes ;
3. wegen gegenfeitiger Forderungen; 4. wegen des Umgeldes vom Bich,
das die Juden ſchächten; 5. wegen des Yfundzolles von Jud Wolf,
der nur von der Herrichaft erimirt; 6. wegen des Umgeldes vom herr:
ſchaftlichen Weinſchank; 7. wegen der Singener Schuld.
Ein an dem Wohlſtand der Stadt auch in der Folge immer
nagender Krebs waren ihre fchweren Schulden Es ift fchen früher
auf diefen ſchlimmen Umftand hingewiefen worden. Waren der Stadt
einerſeits die meiften Kapitalien, welche fie auf Häufern ftehen hatte,
durch das Megbrennen derfelben verloren gegangen, fo war fie anderer:
feits fehr oft gemöthigt, zur Dedung dringender Bedürfniffe, insbefondere
während des dreikigjährigen Kriegs und zum Theil vorher ſchon, Kapi—
talien aufzunehmen. So finden wir, daß die Stadt 1611 bei Dr. Sig:
mund Hafner zu Speier ein Anlehen von 2000 Gulden machte. Die
Zahlung des Zinfes gerieth aber während des dreikigjährigen Krieges in
gänzliches Stoden. Im Jahr 1667 ftellte Dr. Kühorn als Hafner’
cher Erbe das Anfinnen, daß die Stadt doch wenigſtens an den feit
30 Fahren (!) aufgelaufenen Zinfen etwas entrichten ſollte. Diefelben
wurden aber jett fo wenig, als im der Folge bezahlt, fo daß fie bis
1689 auf 5276 fl. 22 Fr. angewachfen waren. Damals erbot ſich
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688, 477
die Stadt, für Kapital und Zinfen 300 Gulden zu geben, was
aber nicht angenommen wurde. Wie es in der Folge mit diefem
Schuldpoften ging, weiß ich nicht. Das MWahrfcheinlichite ift, daß weder
Kapital noch Zinfen bezahlt wurden. — Wegen eines amı 24, Juni
41600 aufgenommenen Kapitals von 300 fl. wurden 1677 mit dem
derzeitigen Gläubiger Joh. Karl Allgeyer, Kanzlift in Durlach, Ber:
handlungen angenüpft und begnügte ſich derjelbe „in Anfehung der der
Stadt obliegenden großen Schulden” mit einer Abfindungsfumme von
112 fl. für Kapital und vieljährige rüdftändige Zinſen. — Ein anderes
Anlehen ven 1100 fl. machte die Stadt 1629 bei Meichier und Mar:
tin Nördlinger, die aber nie Etwas erhielten. Im nämlichen Jahr
ſchoß die Gemeinde Singen der Stadt 390 fl, vor. Davon wurde
aber nie ein Kreuzer Zins bezahlt, fo daß Iehterer im Jahr 1689 auf
das dreifache des Kapitals, nämlich auf 1170 fl. angelaufen war. Die
bedeutendfte Schuld aber, die im dreißigjährigen Kriege, und zwar zu
verfchiedenen Malen in Poſten von 400, 1200, 1000, 800, 400 und
500 fl. (vergl. Bürgermeifterrechnung von 1684) gemacht wurde, war
die ans Klofter Frauenalb. Sie betrug alio im Ganzen 4300 fl.,
eine für jene Zeit fehr große Summe, Auch bier bäuften ſich die
Binsrücftände fo an, daß fie nach und nach fait die Höhe des Kapitals
erreichten. Schon 1662 wurde deshalb zwifchen den beiden Theilen
unterhandelt; allein die Vorichläge der Stadt, weldye gänzlichen Nach—
laß der alten Zinſen, Herabſetzung des Kapitald und der neuen Zinſen,
legterer auf 1/,, höchſtens 1/, ihres Betrages verlangte, fagten dem
Klofter nicht zu. Doc fcheint man ſich wegen der Zinſen verftändigt
zu haben. Aber vom Jahr 1677 an wurde wieder fein Kreuzer Zins
bezahlt, bis ſich endlich 1717 die Stadt mit dem Klofter abfand, indem
fie diefen für Kapital und rückſtändigen Zinfen, welche die doppelte
Höhe des Kapitals erreicht hatten, die Summe von 2300 fl. in drei
Terminen abzuzahlen fich verpflichtete. In welcher Weife dies geſchah,
wird weiter unten erzählt werden. — Wie hier, fo wurde viele Jahre
lang an den dem Almojen jchuldigen 290 fl. nichts bezahlt. Eine
andere Schuld war durch Zinsrüdftände auf 949 fl. 17 kr. angewachſen.
So könnten noch verichiedene andere Schuldpoften angeführt werden, von
denen die Stadt nicht einmal die Zinſen bezahlen konnte, von der Til
gung der Schuld felbft gar nicht zu reden. (1670 verlangte ein
Herr von Sperberiet 300 fl. von der Stadt, die fie ihm, von feiner
478 Fünfzehntes Kapitel. Piorzbeim von 1648-1688,
Schwiegermutter Elsbeth von Leutrum berrübrend, ſchulde; Ludwig Eher:
hardt, Friedrich Jakob und Heinrich von Reiſchach fordern 1676 100
fl. von der Stadt, der Rektor Bulyowsky in Durlach 1679 300 fl.
u. ſ. mw.) Nicht beffer als den andern Gläubigern ging e8 der Herr:
haft, die der Stadt audy mehrfach mit Geldvorjhüflen aus ber Ver:
legenbeit gebolfen hatte, jo 1661 mit 1000 Reichsthalern zur Anſchaf—
fung von Brodfrüdten. Auf eine Mahnung, welche deshalb 1672
erfolgte, wurde eine Supplit an den Fürften beichloffen, und als bie
Mabnung 1673 wiederholt wurde, gab die Stadt den einfadyen Be:
ſcheid: Man folle Geduld haben. Als 1679 die erwähnte Summe
nochmals zurücverlangt wurde, fo erfolgte die Erklärung: Da die
Stadt fein Geld habe, jo wolle man die fehuldigen 1000 Reichsthaler
an den 3000 Gulden, welche die Herrſchaft der Stadt ſchulde, abziehen.
Erſt 1730 wurde bei einer allgemeinen Abrechnung zwiſchen der Stadt
und der Herrichaft auch diefe Angelegenheit geregelt. — Zu einem An-
lehen von 300 fl., welches 1663 gemacht wurde, mußte der Bürger:
meifter Georg Weeber feinen Namen hergeben, wahrjcheinlich, weil die
Stadt jelbft zu wenig Kredit hatte. DBom Jahr 1672 findet fih im
Ratheprotofoll eine bittere Klage Über die „allzufchweren Schulden“ ber
Stadt. Leider vereitelten ſowohl der Inremburgifche, als in noch höherm
Grade der orleans'ſche Krieg alle Bemühungen, mehr Ordnung in die
zerrütteten Finanzen der Stadt zu bringen, und erjt dem folgenden
Jahrhundert war es vorbehalten, wieder beſſere Verhältniſſe herbei:
zuführen,
Es möge in diefem Abfchnitt endlih auch noch der Schulen in
Pforzheim erwähnt werden. Wir finden dafelbft wie früher eine latei—
nifche und eine deutſche Schule. Bon erfterer ift ſchon mehrfach
die Mede geweſen. In dem Zeitraum, deſſen Schilderung die Aufgabe
diefes Abſchnittes ift, zählte diefe Anftalt 3 Lehrer. Rektor oder Prae-
ceptor primarius war 1638 — 1654 Albrecht Herold; auf ihn folgte
bis 1668 Georg Rumpler, von da an durch eine lange Reihe von
Jahren hindurch Sebaftian Kempf. (Er lebte noch 1698, wird aber
dert emer. praeceptor primarius genannt.) Ihm folgte Barthol.
Mayer. Der Rektor bekleidete zugleich die Stelle eines Kantors in
der Stadtkirche. (Wegen Kränklichkeit desfelben wurde letztere Stelle
1683 dem deutſchen Schulmeifter Probſthan übertragen.) Die Stelle
des zweiten Lehrers oder des praeceptoris secundae elassis, ſowie des
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688, 479
dritten, ber bald Präceptor, bald Proviſor heißt, befleideten in der Zeit
von 1650 bis 1690: Lorenz Mäulin, Joh. Friedr. Eradt, Martin
Mauritii (1680, kam 1721 wieder als Pfarrer nach Pforzheim), ob.
Id. Rothenbach, Job. Friedrich Frau, Anton Mannhart. Ueber bie
innern Verhältniſſe diefer gelehrten Mittelfchule, die den Rang wie früher
längft nicht mehr einnahm, vermag ich nichts Befonderes anzugeben.
Sie entjprachen jedenfalls denen anderer ähnlicher Anftalten. Die
Schüler konnten ſchon mit dem 6. oder 7. Lebensjahre in die Schule
eintreten und mußten in jeder Klaſſe 2, auch 3 Jahre zubringen. 1)
Der Hanptunterrichtsgegenftand war natürlich die Iateinifche Sprache,
mit welcher ſchon im der unterften Klaſſe der Anfang gemacht wurde.
Bejonderer Pflege durfte ſich auch der Gefang erfreuen, und wurde zu
dem Ende 1638 ein eigenes Pofitiv, das gerade zu haben war, um
8 Thaler angefhafft. Wie gewöhnlich mußte dazu eine der Stiftungen
herhalten. Aus den nämlichen Mitteln wurden aud) die Prämien bes
ftritten, die ſeit 1683 alljährlich beim Schülerfeft auf dem Rennfeld
(fiehe unten) an die Zöglinge der Tateinifhen Schule ausgetheilt wur
ben. Sie betrugen für jeden Schüler der unterften Klaſſe d, der mitt-
leren 8, der oberften 15 Kreuzer. Denjenigen jungen Leuten, welde
ihre Studien weiter fortjegen wollten, kamen natürlich die vorbandenen
Etipendien ſehr zu ftatten. So erhielt 3. B. Bechthold Deimling, der
Sohn des Bürgermeifters, in den Jahren 1664—73 aus dem Geiger’
[hen Stipendium im Ganzen 280 fl., Lukas May, Sohn des Pfarrers
May in Baufclott, der anfangs auf dem Gymnaſium in Durlach war,
Ipäter in Wittenberg ftudirte, in den Jahren 1664-1676 im Ganzen
440 fl. Als weitere Geiger'ſchen Stipendiaten werden genannt: Lukas
Krenkel (90 fl.), Fried. Dages (150 fl.); als Fontelinſſche Stipen-
diaten: Hans Joachim Kiefer (90 fl.), Ib. Kauſchelmann (20 fl.),
Wilhelm Walter (24 fl. 45 kr., ftub. zu Straßburg), Sch. Burkhardt
Mögling (233 fl. 174, kr.); als Rohr'ſche Stipendiaten: Joh. Fleiſch—
mann (200 fi.), Elias Niethammer (80 fl.), Joh. Burkhardt Niethams
mer (400 fl.), Kleinöl, Pfarrers Sohn zu Stein AW fl., ſtud. zu
Wittenberg), Joh. Burkhardt Mögling (28 fi. 56 ir.), Ernſt Friede,
') Bergl. biezu: Vierordt, Gefchichte der Mittelfchufe zu Durlach
(und Karlsruhe), Beilage zum Karlsruher Lyzeumsprogramm für 1858,
480 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688,
Zidwolf (20 fl.) ꝛc. Aus diefen Stipendien wurde aud das Schulgeld
für arme Kinder beftritten. ) —
Die deutihe Schule theilte fih in eine Knaben: und eine
Mädchenſchule. „Bubenichuelmeijter” war bis 1679 Georg Ed:
bardt, auf ihm folgte bis 1692 Mathäus Probſthan, dem in diefem
Sabre N. Erad nachfolgte. Die Stelle des „Mägdleinsſchuelmeiſters“
beffeidete von 1665 — 1675 Job. Jak Kauſchelmann, nah ihm, aber
nur kurze Zeit, Friedrich Menzing, der vorher Schulmeifter in Stein
geweſen; ihm folgte Math, Probſthan, und als diefer zum Knabenſchul—⸗
meifter befördert wurde, 1680 Benedikt Niethammer. Die Knabenſchule
beitand viel früher als die Mädchenjchule, und wenn in ältern Schrift:
ftüden von „dem teutſchen Schuelmeiſter“ die Rede ift, jo ift darunter
der Knabenlehrer zu verftehen. Diefer bezog aus der Stadtkaffe einen
firen Gehalt von jährlihen 3 fl. AD kr., der indefjen fpäter auf 15 fl.
erhöht wurde, erhielt freie Wohnung und freies Holz und bezog über:
dies das Schulgeld. Der Mädchenlehrer war bloß auf letzteres ange:
wiejen und hatte weder freie Wohnung noch Holz anzufpreden. Doch
wurden ihm 1665 und 1666 auf fein Anfuchen je 3 Kiafter Holz
bewilligt, „obgleich das fonjt nie geſchehen“, er mußte aber das Holz
jelber im Walde holen laſſen. Für die Schulen mußte die Stadt
natürlih das Holz auch Tiefern. Die lateiniſche Schule erhielt jährlich
151/, Klafter, wovon die Huchenfelder 8 frohndweis führen mußten,
und 200 Wellen. Zur Knabenichule Famen 20 Klafter (7 für Huchen—
feld) und 200 Wellen, und zur Mädchenſchule 12 Klafter, wovon die
Huchenfelder abermals 41/, Rlafter führen mußten. Dev Fuhrlohn für
das Klafter betrug 28 bis 30 Kreuzer. Wie viel das Schulgeld aus-
machte, kann ich nicht angeben; da indeffen dasfelbe 1690 wegen des
Krieges auf monatlich 5 Kreuzer, aljo jührlid, einen Gulden herabgefegt
wurde, jo geht daraus hervor, daß e8 vorher höher war, aljo verhältnigmäßig
viel mehr betrug, als in jeßiger Zeit. Wie oben ſchon bemerkt, wurde
das Schulgeld für arme Kinder aus den Stiftungen, theilweiſe auch aus
dem Almofen bezahlt. So beftritt die Geigerihe Stiftung 1632 das
Schulgeld für 6 arme Knaben, das Almoſen für 7 arme Mädchen,
für andere Knaben das Fontelin'ſchen Stipendium, und die Schulbücher
") 1665 wird auch noch eines „Gößlin'ſchen“ Stipendiume erwähnt.
Näheres über dasfelbe weiß ich indefien nicht anzugeben,
Fünſzehntes Kapitel, Pforzheim von 1643- 1688. 481
wurden ihnen aus dem Rohr'ſchen Stipendium angeſchafft. Obgleich
das Einkommen der Lehrer für jene Zeit nidyt unbedeutend genannt
werden kann, jo betrieben fie dod neben dem Schuldienſt meiſtens noch
ein anderes Geſchäft. Der Mädcenichulmeiiter Menzing war zugleich
Tuchmacher, fein Nachfolger Niethammer Tucicheerer, und der Knaben:
fchulmeifter Probjtban war 1655 fogar Zunftmeiiter der Tuchmacher
und Schneider. Doch ließen Letzterm Schuldienft und Handwerk noch
Zeit zu Privatſtunden, die beionders von Mädchen bejucht wurden,
weshalb manche derjelben gar nicht in die Schule gingen. Dies hatte
16892 mehrfache Klagen des Mädchenſchulmeiſters Niethammer zur Folge.
Es wurde darauf bin dem Probſthan die Privatinformation der Mäd—
hen unterfagt, und den Eltern befohlen, diefelben bei Strafe von 9
Schilling Pfennig, die im Fall Ungehorſams verdoppelt werden follte,
pünktlich in die Schule zu ſchicken. Im Jahre 1688 wurde jedoch
dieſelbe Klage wiederholt, worauf Probſthan erwiderte, daß er 1682
dem erhaltenen Befehl zwar Folge geleiſtet, aber nachher, weil Niet—
hammer keine Privatſtunden gebe, vom Spezial Weiniger und ſeither
auch vom jetzigen Spezial (Summer) die Erlaubniß erhalten babe,
Mädchen in Privatinformation zu nehmen. Es fei bekannt, wie „übel
er (Niethammer) die Kinder traktire.“ Probſthan wurde hierauf bes
deutet, feinen Anlaß zur Klage mehr zu geben, 1) indem man fonft
ſtrengſtens gegen ihn verfahren werde, Man fieht hieraus, daß das,
follegialifche Einvernehmen der beiden Herren nicht das befte war. Doch
hatten fie fi zu gemeinfchaftliher Klage vereinigt, als es 1680 einem
Schmied, Hans Georg Wagner, einfiel, eine Privatſchule zu errichten,
was demfelben ſogleich unterfagt wurde.
Das Präfentationsrecht der beiden Schulftellen beſaß die Stadt. ?)
Zur Schulmeifterswahl verfammelten ſich auf erfolgten Bericht fürft-
lihen Kircenratbs die Beamten, der Spezial, der Bürgermeifter und
die Mitglieder Gerichts und Raths. Vor feinem Dienftantritt mußte
der Schulmeiſter folgenden Eid ſchwören: „hr follet mit Treuen ges
1) Das Verbot, daß der Knabenichulmeifter den Mädchen feine Privat:
flunden geben dürfe, wurde jogar 1715 wieder erneuert,
2) Dies war auch bei den beiden Diafonatäftellen der Fall. Als 1690
Konrad Stattmann am des verflorbenen Diafonus Fleiſchmann Stelle berufen
werben fellte, notirten Gericht und Rath im alsbald abgebaltener Sitzung,
daß er ſehr beliebig ſei. Die Zunftmeifter wurden aufgefordert, ihre
Suffragia (Wahlſtimmen) bei der Stadiſchreiberei anzubringen.
Pflüger, Pforzheim, 31
482 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688,
loben und zu Gott dem Allmächtigen ſchwören, unferm gnädigften
Herrn und der Stadt Pforzheim getreu und hold zu fein, ihren Nutzen
und Frommen zu fchaffen und vor Schaden zu warnen, ihren Geboten
und Berboten, jo viel euch als Schulmeiiter gebühret, gehorfam zu fein,
der Vürger und Fremden Kinder, jung und alt, arm und reich, nad)
Euerm beiten Verftändnif und ihrem Nuten zu jeder Gelegenheit im
Künften, guten Sitten und Tugenden nach der reinen evangeliſch-luthe—
riichen Religion mit ganzen Treuen zu Ichren und zu untermeifen, auch
ſchaffen nah Euerm Vermögen, daß fie nelchret und untertwiefen werden,
deshalb auch Eure Ordnung, die Euch gegeben, fleißig zu vollziehen
und darin Feine merkliche Nenderung zu tbun, ohne Wiſſen und Willen
eines Bürgermeifters und Raths — ohne alle Geſährde.“ Die Ent:
lafjung eines Lehrers Tonnte jedoch nur mit fürftliher Genehmigung
erfolgen. Als im Jahr 1679 die Schule des Knabenſchulmeiſters
Eckhardt im Eramen ſchlecht beftand, wurde der Megterung der Vor:
schlag gemacht, deſſen Stelle mit dem Mäschenfchulmeifter Probfthan
zu beſetzen und fir die Mädchen einen andern Lehrer anzuftellen, was
Beides bald darauf geſchah. Als 1675 der Mädchenſchullehrer Kau—
ſchelmann befchuldigt wurde, daß er „Itatt fchuldigen eremplariichen Lebens
ſehr unchriſtlich und Teichtfertig lebe und fidy nicht fchene, aus dem
berrfchaftlichen Haus ein Sauf und Yubderbaus zu machen, ja mit
dem Schinder Tag umd Nacht zu freſſen“, fo wurde er „abgeichafft”,
und feine Stelle durch den bereits erwähnten Menzing befett. Es
reichten jedoch auch ſchon minder erhebliche Anläffe bin, eine ſolche
Mapregel berbeisuführen. Als 16897 der Mädcenjchulmeifter Niet:
hammer über die Verordnung des Spezials, daß er am Nachmarft
Schule halten felle, feine Unzufriedenheit äußerte und die Bemerkung
machte, daR es noch nie der Brauch geweſen jei, am Roß- und Nadı:
marft Schule zu halten, der Spezial könne ihm nicht abſetzen, auch
befümmere ev fich nichts darum u. dgl. m., — da erhielt er die Wei:
fung, fid) des Schuldienftes bis auf anderweitige Verfügung zu enthal—
ten. (Schon 1694 war den Lehrern bedeutet worden, daß fie ohne
Erlaubniß des Spezials Leine Ferien macen dürften.) Er wurde jedoch
nach 3 Wochen auf fein Bitten wieder angenommen, jedoch unter ber
Bedingung, daß er die Kinder nicht mehr fo hart behandeln jolle.
Schon das Jahr vorher hatte er nämlich wegen Mißhandlung der
Kinder einen Verweis bekommen, ebenfo der Knabenſchulmeiſter Probſthan.
Fünfzehntes Kapitel. Piorzbeim won 1648 - 1688, 483
Außer den obligaten „Prügeln“ wird umter den Strafmitteln der
Schule auch des Eſels erwähnt, Im Jahr 1683 wurden nämlich für
diefelbe 3 Täfelein angejchafft, welche bei Maler, Schreiner und Sattler
1 Gulden fofteten und weronf Ejel gemalt waren, Diefe Täfelchen
wurden mit Niemen auf den Rücken des zu Gtrafenden gebunden und
andere weniger Schuldige mußten bie „Zipfeln“ halten, In der bald
nad dem orleans'ſchen Kriege gegründeten Waifenhausichule wurde der
Efel auf eine befondere Tafel von der Größe einer Kommode gemalt
und dabei der Spruch angebradit:
Wer nicht leınen will
Und nur Faulheit ſchwitzen,
Der muß an diefe Tafel
Zu dem Eſel figen.
Trotz dieſer Diziplinarmittel, die in Verbindung mit noch manchen
andern häufig genug angewendet worden ſein mögen, wurden 1679
Klagen laut über ſchlechte Zucht in der Stadtſchule, ſchlechten Geſang
in Kirche und Schule und Muthwillen und Verſäumen des Gottes—
dienſtes durch die Schuljugend. Um dieſen Mißſtänden zu begegnen,
erhielten die Diakonen die Weiſung, die Schulen fleißiger zu beſuchen
und den Lehrern der lateiniſchen ſowohl, als der deutſchen Schule
wurde ſtreng eingeſchärft, beſſere Ordnung zu halten und im Nothfall
zu berichten.
Der Schulunterricht ſelbſt war ziemlich einfach. Er umfaßte nur
Religion, Leſen und Schreiben, Das Rechnen wurde zwar aud
gelehrt, war aber Fein obligater Unterrichtsgegenftand. Diejenigen
Bürger, die ihre Mädchen im Rechnen informiren Taffen wollten, muß:
ten fogar vom Spezial zuerft Erlaubniß dazu einholen. Die Schul
büder, die damals in den Pforzheimer Schulen gebraucht wurden,
, waren: der Sirach, der luther'ſche Katechismus und ein Geſangbüch—
sein mit den Evangelien (d. h. den Beritopen). Obwohl die Pforz⸗
heimer Stadtichulen damals befier, als die meiften auf dem Land ges
weien fein mögen, fo Fam es doch noch häufig vor, daß ſelbſt Bürger
nicht die geringften Schulfenntnifie befaßen. Als am 9. Sanuar 1665
der Motdgerber Wendel Eberlin zum Sumftmeiter gewählt wurde,
wollte er die Wahl damit ablehnen, daß er erklärte, weder Iefen noch
ſchreiben zu können. Der Rath, an den die Sache kam, ertheilte ihm
jedoch den Beſcheid, daß er die Wahl annehmen müſſe, EN
484 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688,
GSefellen babe, der Beides verſtände. Beffer als früher waren bie
Schufen vor dem orleans’fchen Krieg beftelt, hauptſächlich durch die
Bemühungen des Speziald Nummer, fo daß, wie er jelbft jagt, „feine
Bürgerskinder gefunden wurden, die nicht hätten beten und fingen, leſen
und fchreiben können.“ 1)
Eine ſchöne Einrichtung waren die Schülerfefte, die alljährlich und
zwar in einem der Sommermonate auf dem Mennfeld gehalten wurden.
Es ift derfelben namentlid in den Jahren 1652 und 1684 erwähnt.
Säimmtlihe Schüler und Schülerimmen zogen unter Mufifbegleitung,
mit Fahnen und Kränzen gefhmüdt, auf das Nennfeld hinaus, wo
Zelte und Laubhütten aufgefchlagen waren. Dort ergößte fih die
Jugend nicht nur am allerlei Spielen, ſondern wurde auch auf öffent:
liche Koften jo reichlich bewirtbet, daß letztere 1684 fich beifpielmeife
auf 63 fl. 12 fr. beliefen. Daß bei diefen Feſten an die Zöglinge
ber Inteinifchen Schule auch Prämien ausgetbeilt wurden, ift oben ſchon
erwähnt worden.
Es mag fchlieglih bier auch noch des Urganiftendienftes gedacht
werden. Derjelbe wurde von feinem der ftädtifchen Lehrer, fondern von
1658 an von Hans Kaſpar Dürr verfehen, dem fpäter dazu auch noch
die Stelle eines Zollers übertragen wurde, fo daß er 1674 Zoller
und Drganift genannt wird, Er bezog als Organift aus der Stadt-
kaſſe einen jährlichen Gehalt von 10 Gulden.
Wie in den frühern Kapiteln, jo mögen auch bier diejenigen noch
blühenden Bürgerfamilien verzeichnet werden, deren im 17. Jahrhundert
zum erften Mal Erwähnung geichieht. 2) Es kommen vor: Georg
Wendel Autenrietb, Rothgerber 1640, Job. Barthold, Apotheker
1624, Jakob Breidt 1611, Georg Brenner, Mebger 1615, Georg
Bronner 1608, Hans Jakob Bürger, Kübler 1625, Hans
Eſſig 1615, Hans Fegert, Küfer 1650, Hans Friedrich Fühner,
Bäder 1628, Andreas Fuchs, Stadtfchlofier 1634, Beneditt Günther
1642, Hans Jakob Heiſch 1685, Jakob Herrmakn von Dürrn
1604, Hans Georg Hohweiler 1678, Hans Konrad Holzhauer
) Schriftlicher Abichied flatt einer Valetpredigt von Kummer, Ulm, 1694.
2) Bergl. hiezu ©. 133, 164 und 301.
Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1648—1688, 48
1615, Martin Hörter 1608, Konrad Katz, Notbgeber 1625, N.
Kornmann 1615, Hans Urih Krenkel, Waffenihmied 1636,
Joachim Leibbrand 1615, Michel Peter Leib 1622, Martin
Merkle, Glaſer 1615, 9. Merz 1615, Hans Mürrle 1611,
Hans Georg Neuhäuſer 1698, Hans Georg DOftertag, Bäder
und Gafjenwirth in der Au 1616, Georg Richter 1611, Kilian
Rößle, Schreiner 1697, Hans Georg Rühl, Eichmüller 1686,
Chriſtoph Schall, Küfer 1623, Sebaftian Scheerle 1615, Michel
Scheuffele 1609, Hans Martin Schnell 1625, Konrad Schober,
Kürichner um 1600, 1) Hans Georg Schönauer, Hutmacher aus
Dornftetten 1697, Hans Schwarz 1626, Joſeph Sold 1607,
Hans Georg Stahl, Wagner 1695, Hans Ulrich Staib 1668,
Ghriftepp Trautz, Mebger 1607.
$ 4 Dunft- und Gewerbsverhältniffe. Preife der widtigften
Lebensbedürfnife. — Maaf, Gewicht ıc.
Ton welcher Bedeutung früher die Genoſſenſchaften der einzelnen
Zünfte waren und wie fie neben und oft gegenüber dem Gericht und
Rath in ihren verfchiedenen Gliederungen die Bürgerichaft vertraten,
das ift oben ſchon ausführlicher dargeftellt worden. Die Verhältniſſe
hatten fid) darin wenig geändert. Wie die Zünfte bei entjheidenden
Fragen oft ein bedeutendes Gewicht in die Wagſchaale legten, haben
wir beifpielweife bei der Erzählung der Greignifie des Jahres 1643
gefehen. Zu weldy beftigen Zerwürfniffen eine Weinungsverjchiedenheit
zwiſchen den ftädtiihen Behörden und den Zünften oder der Bürger:
haft führen Fonnte, wird unten bei der Gefchichte des Privilegien:
jtreites ausführlicher gezeigt werben,
Die alten Zunftordnungen waren größtentheils nod in Straft.
Ich finde nur vom Jahr 1633 einer neuen Seiler: und 1663 einer
neuen Müllerorönung erwähnt. Wie die einzelnen Beftimmungen folder
Zunftordnungen gehandhabt wurden und wie fie dem Aufſchwung der
Gewerbe, der nach dem verheerenden dreißigjährigen Krieg fo noth—
wendig geweſen wäre, verrottete Feſſeln anlegten, wie ferner fih nad)
und nad allerlei Mifbräuche eingefchlihen hatten: von allem Dem
mögen bier einige Beifpiele folgen.
9) Nach ihren Familienaufzeihnungen flammen bie Schober aus Siehl:
mingen bei Stuttgart.
486 Fünfzehntes Kapitel. Piorzbeim von 1648 —1688,
Manche Zünfte waren in damaliger Zeit außerordentlich zahl:
reich vertreten. Im Fahr 1688 befanden fih in Pforzheim 41
Metzger, 49 Bäder, 23 Notbgerber, 34 Schuhmacher, 16 Krä—
mer und Wirthe, 38 Zeugmacher und Färber, 18 Tuchmacher, 17
Weißgerber, 10 Schloſſer, 17 Schmiede und Wagner, 8 Seiler, 9
Müller, 10 Schreiner, 10 Hafner, 23 Küfer, 19 Hutmader und
Dreber, 16 Schneider, 27 Goldſchmiede und Glaser, 33 Leineweber,
8 Sattler, 17 Maurer und Zimmerleute, 55 Flößer. (Die zur Ge:
fanımtzahl der Bürger von 549 noch Fehlenden waren entweder Ge:
freite, oder Altjtädter, oder Unzünftige, z. B. Weingärtner, Fuhrleute
u. f. w) Man fieht bieraus, daß weitaus die meiften Bürger (etwa
10,,,) Handwerker waren, wodurd ziemlihe Nahrungsloſigkeit entitchen
mußte, wenn gleich die Stärke einiger Zünfte, 3. B. der Meifgerber,
Zeugmacher ıc. auf Nechnung der Lebensweife, der Mode und damit des
Umftandes zu feßen war, daß diejelben ihre Waaren vielfach auch aus—
wirts abſetzten. Die große Zahl der Meifter erklärt ſich indeß bei
manden Zünften daraus, daß es nicht geftattet war, mehr als einen
Gefellen zu halten, und wenn der Meifter auch für mehrere Arbeit
gehabt hätte. In der Negel aber war berjelbe an beftimmte Kunden
gebunden, und es hatte Strafe zur Folge, wenn Einer dem Andern
einen Kunden abwendig machte. Als 1684 ein Küfer einem Mitmeifter
einen Kunden abfpannte, mußte ev 15 Kreuzer Strafe bezahlen. Bei
derfelben Zunft durfte Keiner das Handwerk Tedig betreiben. Im
Jahr 1665 behaupteten die Schneider, es dürfe feit unvordenklichen
Zeiten fein Jungmeiſter (d. b. der nicht ihen 2 Jahre Meifter fei)
einen Jungen annehmen, Die Gerber Ulrichs MWittwe mußte 1686
6 Gulden Etrafe zahlen, weil fie neben ihrem Knecht einen Lehrjungen
in Arbeit gehabt, was der Ordnung zuwider fei. Diefelbe mußte eine
weitere Strafe von 1 fl. 12 fr. bezahlen, weil fie in einer Woche 9
Häute im Schlachthaus gekauft hatte, während nur 3 erlaubt waren,
Durch folhe und andere Ähnlihe Beftimmungen waren dem LUnterneb:
mungsgeift und der Spekulation von vornherein hemmende Schranken
gezogen. War der einzelne Meifter dadurch auf ein kleineres Feld der
Thätigfeit angemwiefen, fo wurde dasſelbe um fo mehr auch gegen alle
Vebergriffe forgfältig gebütet, und Klagen wegen Gewerbsbeeinträdh-
tigungen kamen deshalb ſehr häufig vor. Im Juni 1665 klagte der
Waffenſchmied Joh. Barthold gegen zwei Dreher, daß fie dur Ver:
Fünfzehnies Kapitel. Pforzheim von 1613 - 1688 487
fauf von Sicheln und Senfen ibm und der Zunft Abbruch thäten.
Im Jahr 1666 kam von den Hafnern Vaibinger Amts eine Klage
ein, daß die Pforzheimer Hafner ins Württembergifche führen und
ihnen Abbruch thäten. Zwiſchen den biefigen Zeugmachern und denen
in Calw entftanden in Folge derartiger gegenfeitiger Vorhalte ſolche
Zerwürfnifie, daß die Meifter in letzterer Stadt den Beſchluß faßten,
es dürfe fein Zeugmachergeſelle mehr in Pforzheim ſchlafen oder arbei-
ten, er würde denn geſtraft, — und daß den Piorzbeimer Mleiftern
jogar der Vorwurf gemacht wurde, fie feien nicht jo ehrlich, wie die in
Calw. 1673 beflagten ſich die Mebger, daß das fürftliche Dekret,
nach weldem außer den Juden Niemand anders als die Mebger
Fleiſch aushauen dürften, ſehr oft übertreten werde, was für fie um
fo nadıtbeiliger fei, als fie mit dem Banking und dem Poſtreiten
große Koften hätten. (Der Bankzing bezog fih auf die Abgabe, die
jeder Mebger für feine Fleiſchbank im der gemeinfchaftliden Metzig zu
entrichten hatte. Das oftreiten war ein altes Zervitut, das ber
Mebgerzunit oblag und dem die einzelnen Meifter der Reihe nad)
nachfommen mußten, und zwar natürlich mit eigenen Pferden, die ge:
wöhnlich jeder Metzger befaß. Im orleans'ſchen Krieg begegnen wir
indefien 1694 einer Klage der Metzger, daß fie die Poſtritte nicht
mehr thun könnten, weil fie feine Pferde mehr hätten oder diefe uns
tauglich feien. Die Berpflichtung des Poftreitens durch die Metzger
bat fi) indek da und dort bis auf die neuere Zeit erhalten.) 1662
führten die Notbgerber wegen des Schaugeldes (jedes Handwerk hatte
befanntlich feine „Schauer“, welche fi) von der Preistwürdigfeit der
Waaren überzeugen mußten), der Steigerung der Rindenpreife, insbes
fondere aber wegen der „miederfändifchen Gerberei“, welche die Herr:
ſchaft in Pforzheim errichtet habe, Bittere Klage. Letztere hätte allen
Zugang, wodurch ihnen ihre Kunden verloren gingen, wesbalb ſie
dringend um Xenderung bitten müßten. Darauf ward ihnen folgender
Beſcheid: Es feie dem Handwerk wohl bekannt, wie ſich die fürftlichen
Räthe und das Amt bemüht Hätten, fie dahin zu bringen, ihre Gerbe-
rei nach maeſtrichter oder niederländiſcher Art einzurichten, wobei ihnen
durch Geld und andere Weife geholfen worden wäre, wie fie ſich aber
widerſpenſtig gezeigt; ferner, wie deffenungeachtet, als hen die nieder:
ländiſche Gierberei bei der Hand geweien, der Fürft ihnen erlaubt, mit
in diefe Gerberei einzutreten und fie auch dies ausgefchlagen hätten, —
488 Flinfzebntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688.
Bei fo bewandten Umſtänden hätten es nun freilich die Gerber ſich
felber und ihrem igenfinn zuaufchreiben, wenn fie durch die neue,
jedenfalls vortheilhaftere Einrichtung in Schaden Fümen,
Daß die Herrfchaft ſich auch im noch andere gewerbliche Unter:
nehmungen und den damit verbundenen Handelsbetrieb einließ, ift ſchon
mehrfach angedeutet werden, und die Konkurrenz, welche dadurd) für
die Senoffen der einen oder andern Zunft entitand, gab zu mancher
Beſchwerde Veranlaſſung. In Verbindung mit der cben erwähnten
Gerberei betrieb die Herrſchaft eine eigene Leder: und Zeugbandlung,
und wurde dazu das jogenannte „Landichaftshbaus” im der Bröbinger
Gaſſe (fiche S. 459) verwendet. Mit Bejorgung derfelben war ein
eigener Handlungsverwalter beanftragt, der 16850 Hans Georg Leib:
fein ®) biek und dem damald ein Buchhalter in der Perfon eines
Mathäus Schub beigegeben war. Schon 1677 war für dieſe Hand—
fung von fürftlicher Herrſchaft auch ein befonderer „Handlungsmangen“
und Fuhrmann mit einem Gehalt von 100 Gulden nebft freier Woh—
mung und Holz angeftellt worden — Im Jahr 1654 ließ die Herr:
ichaft außerhalb der Bröginger Borftadt einen Schmelzofen und 1678
dazu eine Hammerfhmicde bauen, gab aber Beides in Pacht. Be:
ftänder oder Nömodiator war 1687 eh. Kriedr. Sahler. (Derjelbe ließ
in diefem Jahr am Eiſinger Weg nad Erz graben, verdarb aber dieſen
fo, daß er verffagt wurde.) Nach Sahler übernahmen den Pacht auf
gemeinſchaftliche Rechnung Johann Heinrih Maier und Johann Jakob
Hoff. — Außer diefem berrfchaftlihen Ctabliffement geſchieht 1673
auch einer durch Michel Badımann in der Nähe der Schießhütte er:
richteten Pulvermühle Erwähnung. Der Unternebmer hatte fih er:
boten, für bie Erlaubniß dazu der Stadt jährlich 11/, Centner Pulver
zu liefern. Ebenſo finden wir, daß 1663 der Obervogt und Oberft:
leutnant Tob. Scheidler die Erlaubniß erhielt, an der Mürm einen
Kupferbammer, cine Rohrſchmiede und eine Sägmühle bauen zu
dürfen. Das Bauholz dazu befam er unentgeldlich, und er durfte auch
alle auf fein Werk gebenden Waaren zollfrei einführen.
Um wieder auf die Zünfte oder die verfchiedenen Handwerke zu:
rüdzufommen, die damals in Pforzheim vertreten waren, fo find die
1) Der Grabftein der Fran desfelben, Anna Barbara, geb, Grünewald
(tr 1680) befindet ſich auf der Südfeite der Friedhofkapelle.
Fünfzehntes Kapitel. Piorzheim von 1643-1688 489
zünftigen Gewerbe oben beim Jahr 1643 (©. 427 fi.) chen ange:
führt worden, Natürlich fehlte es auch an anzünftigen nicht. Dahin gehörte
beiipielmweife das der Buchbinder. Ein folder war 1680 in Porz:
heim nicht vorhanden, weshalb ein biefiger Bürger um die Erlaubniß
eintam, am Jahrmarkt Bücher verkaufen zu dürfen, weil ja „kein Buch—
binder bier fer.“ 1684 ift jedoch bereits eines Buchbinders erwähnt,
und 1686 erlangte abermals ein „Buchhändler und VBuchbinder” das
Bürgerrebt. — 1684 batte fich in Pforzheim auch ein „Tabakmacher“
niebergelafien. Wir werden auf das edle Schmauchkraut, das derfelbe
verarbeitete, fpäter noch einmal zu fpredhen kommen.
Noch vorhandene alte ZJunftrechnungen und fonftige Quellen be:
weifen, daß auch bei den Zünften, wie im ftädtifchen Haushalt, der
„Trunk“ eine große Nolle fpielte, Als im Jahr 1673 die Gerber:
zunft eine neue Lohmühle bauen ließ, fo gingen für einen Trunk darauf:
Zimmermann ob. Gerhardt und 2 Geſellen. . . — fl. 40 fi.
Zwei Zunftmeifter, Waldſchütz und Zimmermann beim
Buchenaugzeichnen im Wald . . 2. 2 2 2. Auen
Zimmermann und Säger . . . — „ 48,
Büchenbronner Bauer, der die Eiche zum ———
bergefühtt. . . . I, —u
Zehrung für das — Sandtverferperfonal —
Vollendung der Lobmühle. . . . a ——
Da nun zu jener Zeit die Maag Mein nur 4 bis 5 Kreuzer koſtete,
fo läßt fi) aus obigen Anſätzen entnehmen, welche durftige Keblen
die Theilnehmer an einem felden Trunk in der Negel zu demfelben
mitbrachten. Als bei der nämlihen Zunft 1662 bei Stellung der
Rechnung ein Trunk gethan wurde, verzehrten der Subſtitut und beide
Zunftmeifter zufammen 1 fl. 30 fr. Wurde ein nener Meifter in die
Zunft aufgenommen, fo mußte er feinen Zunftgenoſſen mindeftens ein
Viertel (6 Maaß) Wein bezahlen. Gleiches geſchah durch die Betref—
fenden beim Antritt der Lehrzeit und der Gefellenjahre. Als 1665
die Gerber einen neuen Zunftmeifter wählten, wollte derfelbe die Wahl
nicht annehmen und erbot ſich, dafür ein Viertel Wein zu zahlen. Es
wurden aber 11/, Biertel verlangt. Als 1665 ein Schneider wegen
ungebührliher Reden von dem Handwerk geftraft werden follte, fo
weigerte er fih, den Betrag zu bezahlen, weil die Strafen doch alle ver:
trunfen würden. Die Zunft erhält deswegen bie Auflage, ein Ber:
490 Fünfzſehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1633.
zeihnig der trafen einzureichen. Im Auguſt 1672 tranken zwei
Männer im Vorübergehen in der Kante 2 Maaß Wein ꝛc.
Auch über die Höhe der Arbeitslöhne damaliger Zeit geben die
Quellen, die bei diefen Auseinanderfeßungen benügt worden find, einigen
Aufſchluß. Im Jahr 1673 wurde feſtgeſetzt, daß ein Schneider für
Anfertigung eines Nodes nicht mehr als 4 Batzen fordern dürfe. 1696
wurde der Flickerlohn für ein Paar Mannsihuhe auf 5 Kreuzer und
für ein Paar Weiberfchube atıf 4 Kreuzer feftgefcht. Im Fahr 1698
winde folgende amtlihe Webertare gemacht: 1 Pfund werfen Garn
gibt 7 Viertel bis 2 Elien Tuch, koſtet die Elle zu weben 11/,—2
Kreuzer; 1 Pfd. Hänfenes Garn gibt 21, —3 Ellen, koſtet die Elle
2 Kreuzer; 1 Pfd. flächſenes Garn gibt 31/,—5Y, Ellen, koſtet bie
Elle nad Umftänden 21/,—41/, Kreuzer. Gin Zimmermeifter arbeitete
mit Gefellen 1663 1/, Tag an der Nindenmühle der Gerber, erhielt
Fohn 16 Kreuzer. Im Jahr 1653 wurde ein Theil der Studt neu
gepflaftert und erhielten die Pfläfterer für das Klafter 16 Kreuzer
(nämlich für das Beifchaffen der Steine und den Arbeitslohn). Die
Feldmeſſer befamen 1665 für ihre Arbeit vom Morgen 20 Kreuzer, für
das Sehen eines Markiteines + Kreuzer, (Auf fürſtlichen Befehl muß:
ten diefelben 2 Mal im Jahr herumgehen und Alles befichtigen.) Für
die Raminfeger wurde 1673 eine Taxe von 46 Kreuzern (ſehr viel!)
für das Kamin feſtgeſetzt. Als 1665 ein Theil der Stadtmauer ein:
fiel, wurde mit den Maurern bebufs der Wiederberitellung derjelben
auf 2 fl. 7'/, Kreuzer das Klafter affordirt. (S. 451.) Ein Maler
erhielt 1697 dafür, daß er das herrichaftliche und das ftädtifche Wappen
auf zwei neuangeichafften Trommeln angebracht hatte, 1 fl. 30 kr.
Ein Baar Strümpfe zu jtriden Poftete damals 4 bis 5 fr. u. f. w.
Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß diefe Arbeitslöhne zu
den Preifen dev wichtigften Yebensbedürfnijie, fowie der Häuſer und des
Grundeigentbums überhaupt im Verhältniß ftanden. Es mögen diefe
Preife hier angegeben werden: 1. Frucht und Brod. Im Jahr
1667 war die Frucht fo wohlfeil, daß für das Simri Kernen nicht
mehr als 13—16 Kreuzer bezahlt wurde. Der Laib Kernenbrod zu
4 Kreuzer wog 5 Pfund, der Kreuzerfemmel 25 Loth, der 1/, Kreu—
zer: oder fogemannte Straßburger Semmel 14 Loth, Am Jahr 1679
berrfchte dagegen große Theurung. Das Simi Kernen galt bis zu
45 Kreuzer, der Bapenlaib wog nur 21/, Pfund, und der Kreuzer:
Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1648— 1688. 491
femmel 11 Loth. — 2. Fleiſch. Im März 1667 galten 2 Pfund
Rindfleiſch 51/, Kreuz, das Pfd. Kalbfleiſch 21/, fr, im März 1676
das Pfund Ochſenfleiſch 3—31/, kr., Kalbfleiſch 3 fr., Schweinefleiid)
31,—4 ir, im Jahr 1698 das Pfund Fleiſch aller Sorten 4— 41,
kr. — 3. Wein Im November 1664 Foftete die Maaß neuen
Weins 5—6 kr., im Oktober 1666 nur 5, im DÖftober 1677 nur
4—5 kr., — 4 Salz Das Salz war früher ungleich theurer als
jet, da diefes umentbehrliche Gewürz un hohen Preis aus dem Aus:
land bezogen werden mußte. Vor dem Jahr 1697 koſtete das Pfd.
4 fr., nach diefer Zeit 31, tr. — 5. Holz. Im Jahr 1698 wurde
das Klafter Holz im Hohberg zu 15 fr. verkauft. Um dieſelbe Seit
wurden im Sculerwald 90 Stämme Eichenholz zu 1 fl. bis 1 fl. 20
das Stück verfteigert, und aus 100 Stüd Tannen zum Bauen 12 fl,
zum Flößen aber 24 fl. erlöst. Im November 1673 Tojteten 100
Tielen 6—7 fl. 1665 wurden eine Partie Zmweiling und Nahen:
Schenkel durcheinander das 100 um 6 fl. 30 kr. verkauft; 50 Latten
kofteten 50 Kreuzer. 1663 wurden an die berrichaftliche Korjiverwal:
tung für 2 Dielen und 2 Echmwarten 2 fr. bezahlt. — 6. Lichter.
Am Februar 1662 wurde die Tare für das Pfund Yichter wegen
Mangels daran auf 10 Kreuzer erhöht. — T. Güter: und Häufer:
preife Sm Sahr 1662 wurden 11/7, Morgen Garten an der ©t.
Georgsfteige um 30 Gulden, im Juli 1666 41), Morg. Neder um
150 fl., im Jahr 1667 3, Morg. Rain am Bronnenwörth und 1,
Ader um 11 fl. 30 kr., im Auguft 1676 ’/, Morg. Wiefen um 21
Gulden, im Februar 1679 2 Morg. Aecker im Hacdel um 103 fl.,
im Mai desjelben Jahres 2 andere Morgen Aecker um 90 Gulden
verkauft, im März 1667 wurden 5 Viertel Weinberg am Wartberg
als Unterpfand für 50 Gulden hingegeben, im Juli 1678 1/, Wiorg.
Weingarten, ebenfalls am Wartberg, um 12 fl., 1682 1, Morgen
Wald an der Wurmberger Straße um 15 fl. verkauft. — Im März
1665 wurde das Trautwein’ihe Haus um 300 Gulden, ein Hausplag,
Höflein und Garten in der Brötzinger Vorftadt um 54 fl., im Juli
1676 das Kaufhelmann'ihe Haus um 250 fl., im Auguft 1676 ein
Häuslein in der Ochſengaſſe um 190 fl., im April 1677 eine halbe
Behaufung in der Au um 130 fl., 1653 ein Haus in der Kirchgaffe
um 461/, fl., 1656 die Herberge zum Ochſen um 450 fl., 1662 die
492 Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648— 1698.
drei Hänfer von Peter Gößlin am Markt (mo jest A. Schend und
J. Märcklin) um 1115 Gulden verkauft.
Zum Schluß mögen zum bejjern Perftändnig des fo eben Mit—
getheilten auc die Gewiht-, Maaß- und Geldverbältniffe jener Zeit
berührt werden. Im Gewicht herrſchte fein geringer Durcheinander,
da man nicht nur im ganzen Yand, fondern ſogar in der nämlichen
Stadt von einer Gleichheit weit entfernt war. Ws am 23. und 24.
März 1675 zu Pforzheim eine Gewichtprobe vorgenommen wurde, fo
zeigte fich im üblichen Gewicht Folgende Vericiedenheit: Vom Gewicht
in der Frohnwag iſt der Centner 100 Pfd., 1/, Etnr. 50 Pfd.,
4/, Ctur. 25 Pfd. und 1 Pfd. 52 Loth ſchwer; doch vom Kram
oder Kaufmannsgewicht find 104 Pfund gleih 100 Pfd. in ber
Frohnwag; ebenfo thun 52 Pfund Kramgewicht 1/, Centner in der
Frohnwag, und ebenfo find 26 Pfd. Kramgewicht gleich 1/, Etnr. in
der Frohnwag; und 1 Pd. Kramgewicht, was gleich it 32 Loth in
der Frohnwag, iſt 33 Loth 1 Quintlein und 10 Gerſtenkorn ſchwer.
Man ſieht daraus, daß die Herrn Kaufleute im Kleinverkauf nicht zu
kurz kamen, wenn fie aus dem Gentner 104 Pfund berausbrachten,
alſo ſich fehon am Gewicht einen Auffchlag von 4 Prozent, oder von
22/, Kreuzen anf den Gulden erlaubten. Als Grund dafür wurde
der Pfundzoll (hier alſo Waarenaccis) vorgeſchoben. In ähnlicher
Meife wußten fih die Metzger zu helfen. Der Gentner, mit welchem
der Fleiſchwäger wog, hatte 105 Pfund Frohngewicht. Das Mebaer:
pfund war aber nur 291/, Loth Kaufmannsgewicht fehwer. Auf diefe
Meife profitirten die Mebger fehen beim Umgeld, und beinahe 8
Prozent beim Verkauf, alfo im Ganzen über 8 Prozent, oder
5 Kreuzer auf den Gilden. Das war auch mehr als binreichender
Erſatz für das Umgeld vom Fleiſch, das die Mebger zu entrichten
hatten. Noch am 14. Jan, 1714 wurde an die Metzger die Anfrage
geftellt, ob fie lieber das Umgeld entrichten, oder auf das leichtere
Gewicht verzichten wollten. Sie erflärten einftimmig, daß fie obne
Verſtärkung des Gewichts bei dem Fleiſchumgeld verbleiben wollten.
Beim Feldmaaß war 1 Morgen 100 Ruthen groß. Intereſſant ift
es, dak im Jahr 1682 der Werfuch gemacht wurde, im ganzen Land
einerlei Maaß, Gewicht und Elle einzuführen. Der Rath in Porz:
beim wurde darüber zum Bericht aufgefordert und gab folgenden '
Beſcheid, aus dem wir auch Auskunft über die Maaßverhältniſſe erhal:
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 493
ten, wie fie in Pforzheim damals üblih waren: In Pforzheim Fönne
man nur fagen, daß man big Dato der alten Polizei und Gerechtig—
keit nachgegangen und mit der Nachbarſchaft gar füglidy geſtanden;
man bitte deshalb die Regierung jelbjt um Vorſchlag. In Pforzheim
fei 1. das Bund zu 32 Loth wie in Württemberg, außer dem Metzger—
gewicht, weldyes nur 291/, Loth halte, weil die Megger Umgeld von
Fleiich gäben, was in Durlach nicht gereicht werde; 2. die Elfe jei
wie zu Durlach; 3. Simri und Viertel feien vermuthlic (1) bier wie
in Durlach; nur rechne man bier bei rauber Frucht 9, in Durlad)
aber 10 Simri auf das Malter; 4 in Pforzheim werde das alte
Schenkmaaß gebraucht, in trüb Eich 13, in lauter Eih 12 Viertel
anf die Ohm. — Die Negierung wird unter damaligen Verhältniſſen
mit ihrem Projeft der Maaß- und Gemichtsregulirung nicht weit ge:
kommen fein. Erſt der neuern Seit war es vorbehalten, darin größere
Einheit zu erzielen,
Was das Geld betrifft, jo wurden neben der immer mehr zur
Geltung fonımenden Gulden: und Kreuzerrehnung die Pfunde, Schil—
linge und Pfennige noch beibehalten, namentlid) in Strafanfägen, die
nad der alten Rechnung normirt waren, Bon einzelnen Münzforten
finde ich Dukaten, Thaler, bayeriſche Montforter, Dreibägner, Halb:
baten, CS childlinspfennig ꝛc. erwähnt. Von letztern galten 2, von
1663 an 3 einen Kreuzer. Die marfgräflichen Dreibätner wurden
1684 auf 10 Kreuzer abgeſchätzt, was der Stadt einen Verluſt von
16 fl. 26 fr. verurfachte,
$5. Zur Sittengeſchichte.
Zur Ergänzung des Bisherigen mögen hier auch einige Züge zu
einem Sittenbild zuſammengeſtellt werden, ſoweit dies mit Benützung
der dabei zu Gebot ſtehenden Quellen möglich iſt. Daß in jener Zeit
die Kirchen zucht noch eine ſehr ſtrenge war, iſt bekannt, und war
der weltliche Arm zur Unterſtützung der Kirche gern bereit. Beſonders
eifrig hielt die Geiſtlichkeit auf die äußere Feier des Sonntage, So
wurde um 1683 verordnet, 1) „daß nicht nur an Sonn-, Feier- und
1) Schriftlicher Abſchied ftatt einer Valetpredigt von Kirchenrath M. Kume
mer. Ulm, 4694 (©. 9 ff )
494 Fünfzebntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1638,
Feittagen unter währendem frühen und nachmittägigen Gottesdienft, fons
dern auch in der Moden zwijchen der reitags= Amts: Predigt alle
Thore verichloffen, die dazwiſchen aus: oder eimpaffirende Spaziergänger,
Viehhändler und Fubrleute, Kegelichieber und andere der Sonntage:
entheiligung verdächtige Leute genau objerviret, die Schlupfwinfel, Heden
und Wirthshäufer fleißig vifitiret, alle Buben und Kramläden zuge:
ſchloſſen, und auch ſogar alle diejenigen, fo zwifchen denen Gottes
Dienften von denen Kirchenrügern nur auf den Gaffen oder vor einem
Haufe angetroffen würden, unter was Vorwand es auch befchehen fein
möchte, nur diejenigen, welche nad der Apotheke gehen oder eine
Hebamme holen wollen, ausgenommen, ohne einiges Anjehen ber Per:
fon, des Geſchlechtes, Standes oder Alters, gleihbalden anfgezeichnet,
bei Math und der SKirchencenfur eingegeben, auch dafelbjt mit ohnnach—
läßlicher Geldftrafe in das Almofen, oder nah Beichaffenheit der Sache
mit bärterer Strafe angejehen werden fellten. Wer nothwendiger Ge
jchäfte halber über Feld reifen wolle, folle vorher eine jchriftliche
Erlaubniß bei dem Spezialat ausbringen und fo er wiederum heim:
komme, einen Schein oder fchriftlid;es Atteftat von dem Pfarrer des Orts,
dahin er gegangen, daß der Neifende dem ottesdienft dafelbjt mit
beigewchnt, vorweiſen.“ — Einige fpezielle Beifpiele mögen für die
Strenge der damaligen Kirchenzucht Belege bilden, Als der Bäder
Hs. Cry. Nor am 4. Advent 1861 zwei Schweine fchladhtete, fo
wurde er, troß feiner Entjchuldigung, daß es nad) der Abendpredigt
gefcheben ſei, wegen „unverantiwortlicher Entheiligung des Feſtes“ um
2 Pfund Pfennig in das Almofen und mit Gefängniß beftraft. Als
1656 der Auer-Thorwart David Drerel am Tage, da er zum Abend:
mahl gegangen, ſich „vollgefoffen“ und nicht nur feine und eines Nach—
barn Rrau mit Schlägen traktirt, fondern auch über die Seiftlichen ge:
ſchimpft hatte, kam er zur Strafe einen Tag in das Narrenhäuslein
auf der Auerbrüde. In gleicher Weiſe wurde aufs Strengfte gegen
Flucher und Gottesfäfterer eingeichritten. Am Februar 1666 erhielt
der Schufter Albreht Weeber wegen „graufamen Schwörens und
Gottesläfterns, andy gräulihen Schmähungen“ eine Gefängnißftrafe von
zwei Mal 24 Stunden und mußte dem Spezial und Untervogt Abbitte
tbun, In gleicher Weiſe war am 23. Oft. 1665 Hans Würz wegen
Fluchens und andern ungeblibrlichen Weſens mit 24 Stunden Käfiht
und 10 Schilling Pfennig ins Almofen geftraft worden. — In Bezug
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 —1688. 495
auf geſchlechtliche Vergeben wurde ebenfalls eine ftrenge Zucht gehand—
habt, und den bezüglichen Einträgen in den Kirchenbüchern, fei es, daß
fie fih auf die Geburt unebelicher oder ſolcher Kinder bezogen, die
allzubald nach der Verehelichung der Eltern das Licht der Welt er:
blidten, find immer Ausdrüde des Abſcheus beigefügt. In einer Zeit,
wo die Tortur noch nicht abgeihafft war, darf es uns nicht wundern,
daß die Hebammen bei ſolchen unchelidien Geburten die Weifung
hatten, der Mutter, wenn dieielbe vorher nicht hatte dahin gebracht
werden können, den Vater ihres Kindes anzugeben, während der Geburts:
ſchmerzen fo lange zuzufegen, bis fie folches Bekenntniß ablegte, Der:
gleichen uncheliche Geburten famen übrigens nur felten, höchſtens dann
hänfiger vor, wenn Einquartierung oder eine Garnifen in der Stadt lag.
So kam 1607 auf 146 Geburten gar Feine unebelihe, 1678 auf
122 nur 2, 1679 auf 93 Geburten 3 umebelihe, 1682 auf 113 gar
feine ꝛc.) — Wie groß die religiöfe Toleranz in jener Zeit nod war,
it auch fonft befannt, Als im Mai 1698 Einer Bürger in Pforz:
beim werden wollte, wurde er nicht angenommen, weil er katholiſch war.
Dem gleichen Geſuch eines andern Katholifen wurde das Jahr darauf
ftattgegeben, unter der Bedingung, daß feine Kinder evangeliſch erzogen
würden und er felber ftill und unärgerlich feines Glaubens lebe. Der
lichtenthal''ſche Schaffner Delendroit, welcher der Stadt während des
Krieges mehrfach wichtige Dienfte geleiftet hatte, wurde am 253. Auguft
1694 ohne Klang und Eang, überhaupt ohne alle „&eremonie” bes
graben, weil er kalviniſcher Religion war.
Die erwähnten Bemühungen zur Handhabung einer ftrengen Kir:
chenzucht und zu der dadurch bezweckten Aufrechthaltung der Moralität
ſcheinen jedoch nicht durchweg die erwarteten Früchte getragen zu haben.
Wenigftens wurde den Pforzheimern mehr als ein Mal von der Kanzel
herunter vorgehalten, wie ſehr fie den Sabbath entheiligten „mit ſchnö—
der Verachtung der Predigt des göttlichen Wortes, unnöthigem Auf:
hub der Communion, Tiederliher Berfiumung der Gottesdienfte, bin:
gegen aber öfters angeftellter weltlicher Ergöglichfeiten, ſündlicher Zeit
beptreibungen, 3. B. Spazierengehen, MNeiten und Fahren, Schießen,
Spielen, Freſſen, Saufen, Mufiziven, Tanzen, Ererziren, Tribuliren,
oder ſonſt der Nahrung halber Ausreifen, Handeln und Wandeln,
Kaufen und Verkaufen, Arbeiten und Schaffen ꝛc ıc., wie ferner „ihre
Töchter und Dienftmägde mit deutfchen und undentichen Soldaten Un:
496 ° Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1638,
zucht getrieben,” wie manche Bewohner die Rache des Himmels heraus:
gefordert hätten durch „ihr unfinniges Tanzen, welches jie wider alle
dagegen publicirten hochfürſtlichen Mandata auf ihre verfluchten Faſt—
nachtihmäufe, die ebenſowohl jcharf verboten waren, und bei Nachhoch—
zeiten bin und wieder in abgelegenen Scheuern angeftellt” u. ſ. w. 1)
Segen übertriebenen Lurus und andere Ungebörigfeiten bei
Zaufen und Hochzeiten mußten mehrere Mal Verordnungen erlaflen
werden, fo namentlih gegen die übergroße Anzahl von Tauf—
patben. Am 5. Dezember 1696 kam der Pforzheimer Geiftlichkeit
durch den Kirchenrath Kummer, der ſich damals am fürftlihen Hof
zu Baſel aufbielt, der Befehl zu, daß künftig nicht mehr als 4 Tauf:
pathen zugelaffen und in das Kirchenbuch eingetragen werden dürften.
Lie wenig man aber diefer Beftimmung nachkam, zeigt die mehrfach
erfolgte Wiederholung derielben (fo 12. November 1709) Außerdem
fam es nicht felten vor, daß gewöhnliche Bürger mit Pathen ihres
Standes nit mehr zufrieden waren, fondern fi zu ſolchem Amte
adelige Perſonen, fürftliche Beamte, ja nicht felten fogar Glieder des
ſürſtlichen Hauſes erbaten, namentlih wenn ſich foldye zufällig gerade
in Pforzheim befanden. Nie fehlte e8 aber auch an Allerwelts-
gevattern, Bon 1675 an finden wir als folde bei fait allen Taufen
eine Frau von Göler, nad ihr eine Frau von Menzingen, geborne
von Leiningen. (An die Stelle folder Gevatterinnen trat von Anfang
bis gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts ein Gevatter, der Haupt
mann und Spätere Oberft Joſeph Marimilian v. Popp?). — Eine
bezüglich der Gebräuche bei Hochzeiten am 17. November 16854 vom
Stadtrath erlaffene Verfügung fette Folgendes feit: Bei Hochzeiten
foll künftig eine Mannsperfon 8, eine Weibsperſon 7 Batzen Zeche
geben. Die Geſchenke follen der Hochzeiterin über ben Ehrentiſch ge:
reiht werden. Die Spielleute follen nicht mehr ala 1 Gulden jeder
erhalten. Den erften Tag follen um 3 Uhr nad alten Gebrauch in
der Hochzeiterin Haus die ledigen Weibsperfonen zufammen kommen
und den fogenannten Pfeffer geniegen. Die ledigen Geſellen follen
nad Belieben in ein Wirthshaus gehen und einen Trunk thun, Nachis
1) Kummer, a. a. O.
) Sein origineller Grabſtein fieht auf dem Kirchhof an ber öſtlichen Wand
der dortigen Kapelle, Popp ſtarb 1. Aug. 1741.
Fünfzehntes Kapitel, Pforzbeim von 1648—1688, 497
aber, wenn die Hodzeitsgäfte nad Haus gegangen, zu dem Schlafen:
fingen kommen und nachher einen Tanz thun. Den andern Tag
betreffend bleibt e8 bei der bisherigen Ordnung; der dritte Tag aber,
der niemalen üblich geweſen, folle, weil es unnöthige Koften mache,
völlig abgejhafft fein. — Als Ergänzung zu diefer Verordnung folgte
am 14. Juli 1686 eine andere, die alfo lautet: „Weilen zeither bei
den Hochzeiten mit den Schenkungen einige Unordnung vorgegangen,
die Mufitanten auch mit ihren Zehen allzuviel Unkoſten verurfact,
alfo ift heute Verordnung geſchehen, daß fürderhin, wie es vor Alters
gewefen, vor Auftragung des dritten Ganges die Schenkung vor fid)
gehen, den Mufitanten aber Vormittags zwijchen der Predigt ein Früh—
ftüd auf des Wirths Koften, Nachmittags aber zwiſchen dem andern
und dritten Gang auf des Hochzeiters Koften ein Abendzehrgericht
gegeben werden folle. Und weil es fih mit Auftragung des eriten
Ganges bisher allzulang verzogen, alfo folle der Wirth fürbderhin
präzise um 1/12 Uhr anrichten Taffen, wo nicht, wird nah Umftänden
ber Wirth oder der Hochzeiter geftraft.” — Die Hochzeitstänge wurden
fehr häufig auf dem Nathhaufe gehalten, wofür eine Tare von 5 Schil—
ling bezahlt werden mußte. Davon erhielt der amtstragende Bürger:
meifter 12 und der jüngfte Procurater 10 Kreuzer; letzterer mußte
aber dafür bei folhen Tänzen die Aufficht führen, Geiläufig gejagt,
fanden im Rathhausfaal von Zeit zu Zeit auch theatraliihe Vorſtel—
lungen ftatt. Go fpielten 3. B. am 30, Juli 1683 und Samſtags
darauf die Komödianten von Dürrn auf dem Rathhaus und zahlten
dafür eine Tare von 30 Kreuzern. Kurz vorher batten fih auf dem
Marktplatz auch Seiltänzer und Luftſpringer producitt.) Wie ftrenge
es mit Eheverjprehungen genommen und wie jelbft die Kabinetsjuftiz
angerufen und zum Einſchreiten veranlagt wurde, zeigt ein Vorfall
aus dem Jahr 1697. Ich fee den betreffenden Eintrag des Kirchen:
buche wörtlich her: „Den 17. Juni 1697 wurde nach gehaltener Bet
ftunde auf fonderbaren (befondern) Hohfürftlihen Befehl copulirt
Lorenz Jung der Anwald zu Göbrichen mit Anna Margaretha Gerfte:
nauerin, einer Wittib dafelbften. Nota: Meilen der Anwald feinen
Eheverſpruch zurüdgehen und nicht halten wollen, hat ſich feine Braut
bei Serenissimo beffagt und darauf diefes erhalten, daß der Bräutigam
nolens volens fopulirt werde. Es hat bei der Kopulation aber diefes
fi) ereignet, daß er Anwald anftatt des Jaworts „Nein“ gefagt und
Pfläger, Pforpeim, 32
498 Fünfzehntes Kapitel. Piorzheim von 1648-1688.
auf meine des Archidiakoni (Stattmann) Frage geantwortet: Jh fag
Nein! Darauf Hab ich diefe Mort gebraucht: Ob Ahr mir ſchon mit
Nein antwortet, fo fage doch Ich als ein Diener Chrifti auf Befehl
unferes gnädigften Randesfürften in Euerm Namen Ja! Weilen nun
bie Braut das Ja willig von fich gegeben, fo geihah darauf die Kon-
firmation, e8 mochte auch den guten Giefellen fo ſauer anfommen, als
e8 wollte. Indeſſen wünſche ich ihnen den Geift der Einigkeit, daneben
auch alles Süd, Heil und Segen von dem Dreieinigen Gott im
Himmel!" Der Wunſch des Geiftlihen wird unter ſolchen Umftänden
wohl fchwerlih in Erfüllung gegangen fein. 1)
Neben den oben angeführten Hochzeitstänzen waren audy bie foge-
nannten „Hoppeltänz“, die auf öffentlichen Plötzen gehalten wurden,
jehr beliebt, In Folge vielfahen Unfugs, der damit verbunden war,
fand fi jedoeh der Stadtrat im Dezember 1665 veranlaßt, diefe
Tänze abzuftellen. Das Halten von Spielleuten auf offener Gaffe
von Seiten der jungen Burfche fam jedoch noch immer vor, und gab zu
lauter Beſchwerde Anlaß, wenn der Lärm, wie einmal im Auguft
1673, die ganze Nacht hindurch dauerte. Aehnliche vielfältige Klagen
über Unfug auf den Gaffen und in den Wirtbshäufern, ſowohl Nachts
als an Sonne und Feiertagen, verlauteten im November 1680, was
eine verfchärfte Aufficht und vermehrtes Patrouilliren durch die Schaar-
wächter zur Folge hatte. Auf eime im Oftober 1686 eingelaufene
Beichwerde, dag am Sonntag zwiſchen der Abendpredigt in etlichen
Wirthshäuſern mit „Zehen, Spielen und Jauchzen große Ueppigfeit
verübt werde“, erhielten die Kirchenrüger die Weiſung, fleißiger nach—
zufehen. in ähnlicher Unfug war mit dem Singen vor den Häufern
in der Woche zwiſchen Weihnachten und Neujahr eingeriffen, weshalb
ı) Eines Vorfalls, der fih 1660 in Dürrn ereignete, mag bier Aleich mit
Erwähnung geichehen. Damals gabs nämlih in Dürrn, das früher ein Filial
von Kiefelbronn war, großen Streit wegen der Pfarreibefegung, indem Dürrn
noch 4 Herricaften hatte, Die Württemberger juchten mit bewaffneter Hand
einen Pfarrer in die Kirche zu bringen, welche die Markgräfiſchen ſchon beſetzt
hatten, und bieben ein Loch in die Kirchthüre. Der Pfarrer des Drts ftand etliche
Stunden auf ber Kanzel. Der Pfleger zu Detisheim, ber die württ. Truppen
führte, jagte: Der Pfaff muß mir von der Kanzel herunter und jellte ibn
ber Donner herunterfchlagen. Als er aber wieder abzog, brach cr unterwegs
den Arm, (Dieſe Erzählung findet fih in: „Diozes Pforzheim, Kirchen: und
Schulbeſchreibung von 1735.)
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 499
1686 verordnet wurde, daß dergleichen Singen Tünftig nur in den
Feiertagsnächten erlaubt fei, und zwar müßten mindeftens 3 oder 4
Knaben, welche fingen könnten, zufammenftehen und eine Laterne haben.
Diejenigen, welche in andern Nächten oder ohne Laterne fängen, follten
aufgefangen und im den Eſelsſtall gefperrt werden. Um mehr Orb:
nung in diefen Gefang zu bringen, wahricheinlic aber au, um Etwas
zu verdienen, erbot ſich fpäter der Schulmeifter Lötterle, mit ein paar
Buben berumzufingen. Dem Unfug des Nenjahrichießens traten eben-
falls ſchon damals Verbote entgegen, fo 1686, wo eine Etrafe von
1 Pfund Pfennig darauf gefeßt wurde.
Dielen Verdruß bereitete den Behörden auch das nach dem dreißig:
jährigen Krieg bei ung mehr und mehr in Aufnahme gefommene
Tabafrauchen 1) oder „Tabaktrinken“, aud „Tabakſaufen“, wie man
damals dieſen Gebrauch bezeichnete. Der Bannftrahl des Papſtes
gegen das Tabakrauchen, den derfelbe 1664 fchleuderte, die da und
dort mit Gefängniß, Pranger und Geldftrafen, ja felbft mit Nafen:
abfchneiden begleiteten Verbote vermochten fo wenig, als das Eifern der
Geiftlihen, die das Tabakrauchen als ein Werk des Teufels verdammt:
ten, diefes einmal eingewurzelte Kraut wieder zu verdrängen, Auch
die Mühe, melde fich einzelne Scriftfteller gaben, diefem Unfug ent:
gegenzutreten, war umſonſt. So fagt der als Satwrifer befannte (aus
Millftett gebürtige) Moſcheroſch: Diefer Teufelsrauh mache die Leute
trunken, fei nicht bloß für die Spanier und Franzofen ein unentbehr:
liches Kebensbedürfniß geworden, fendern leider „nebft anderem welſchem
Ungemach auch zu den nacäffichten Deutichen” gedrungen, fo daß
num ſelbſt Bauern und Weiber „Tabak ſaufen“. Daß dies bereits
1667 auch in Pforzheim vielfach geſchah, zeigt ein im April jenes
Jahres erlafienes Verbot, daß bei hoher Strafe Niemand in Feld und
Wald Fener anzünden oder „Tabak trinken” dürfe ohne der Forſtbe—
dienten Miffen und Erlauben, Als aber im Auguft 1688 auf der
gedeten Auer Brücke durch das „liederliche Tabaktrinken“ beinahe
ein gefährlicher Brand entftanden wäre, wurde vom Stadtrath beichlof-
fen, das „ſchändliche Tabaktrinfen“ nicht mehr zu dulden, ein Verbot
1) Der 1496 von dem fpanifchen Mind Roman Pane zuerſt nad Europa
gebrachte, anfangs nur zu mebizinifchen Zwecken bemühte Tabaf wurde in
Deutihland durch die fpaniihen Soldaten Karls V. um 1540 a befannt.
500 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688.
dagegen öffentlich anichlagen au laſſen und eine Strafe von 3 Pfund
Pfennig darauf zu ſetzen. Wie ſchon bemerkt, hatten alle diefe Ver:
bote und Strafen den erwarteten Erfolg nicht, indem im Gegentbeil
das Tabakrauchen mehr und mehr überhand nahm,
Sn den Jahren 1666 und 1682 berrichten an vielen Orten
anftedende Krankheiten, die namentlich im erfigenannten Jahr viele
Opfer forderten. Es dürfte intereflant fein, zu erfahren, welche Maaß—
regeln ergriffen wurden, um der weitern Berbreitung der Seuche ent=
gegen zu treten und namentlich Pforzheim davor zu bewahren. Unterm
21. Auguft 1666 wurde vom Stadtrath verfügt, daß an bequemen
Drten Rauchwerk von Wacholder, Forchen- und Eichenholz oder Ge:
fträuh, auch etwa mit Schwefel und Pulver gemacht werben folle.
Ferner wurde ein fürftlicher Erlaß bekannt gemacht; nach diefem durfte
man 1. an feinen verdächtigen Ort handeln; 2. feine Tyroler, Schwei:
zer oder Baiern ohne Anıtserlaubniß in die Stadt laffen; 3. überhaupt
Niemand ohne Atteftat einlafien; 4. im Haus und Gaſſen fleißig keh—
ren, auch ſonſt fauber haushalten; 5. die Gänfe und Enten aus ber
Stadt thun (9); 6. jollen fid) beherzte Leute zur Pflege der Kranken
melden. — Bei wachſender Gefahr wurde unterm 27. Auguft weiter
verfügt: 1. Die Bauern follen an der Einfchaffung des von ben
Tyrolern und Schweizern gehauenen Wachholdergeſträuches Antheil
nehmen; 2. die Etadt ſoll Rauchfener in den Straßen maden, und
zwar auf dem Scloßberg, beim Marktbronnen und vor des Obervogts
Haus; 3. an der äußern Ziegelhütte joll ein Steg gemacht werden,
damit die nicht mit Atteft Verſehenen darüber können; 4. zur Kranken:
pflege bat ſich Niemand gemeldet, man bat alfo eine Anzahl aufge:
zeichnet; 5. ein Krankenhaus ift bejtimmt. Am 3. September erfchien
ein Befehl an ſämmtliche Barbiere, alle 8 Tage die Zahl der Patien:
ten einzuſchicken. — Da jedoeh die Stadt dies Mal von der Seuche
glüdlichermweife verfhont blieb, fo hörten alle diefe außerordentliden
Maapregein im April 1667 — auf.
Daß der Umgang mit gewiſſen Leuten, ſo namentlich dem Waſen⸗
meiſter, Schinder und Nachrichter früher für äußerſt ſchimpflich gehalten
wurde, iſt bekannt. Ein Beiſpiel davon iſt oben ſchon mitgetheilt wor:
den, ein anderes mag hier noch folgen. Am 2. Mai 1664 erſchien
Peter Meerwein Namens der Metzgerzunft vor dem Stadtrathe und
trug demſelben vor: Als kürzlich einige Meiſter vom Tübinger Markt
Fünfschntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 501
zurüdgefommen und in Weil der Stadt eingefehrt jeien, hätten einige
Meifter von dort gefagt, was für Zunftgenoffen fie hätten, die mit
dem s. v. Schinder und Wafenmeifter in Compagnie ſäßen und zedhten,
und bätten Hans Martin Hörter nambaft gemacht; das fei aber dem
Handwerk ſchimpflich. Diefer wurde alsbald vorgefordert und erffärte:
Als er, ziemlich betrunken, im Beariff geweſen fei, nah Kaufe zu
gehen, fo babe ibm der MWafenmeifter gerufen; er fei auch hinauf:
gegangen und habe da einen Marktichreier gefunden und zwei oder drei
Mal ihnen Beſcheid getban; er bitte um Nachficht ꝛc.
Der Glaube an Keren, Geſpenſter, Vorbedeutungen u. dal. ftand
damals noch in feiner vollften Blüte, was uns nicht wundern darf,
da ſelbſt unfer Jahrhundert, das ſich fo nern das aufgeklärte nennt,
von folhem Mberglauben nicht frei it. — Am Jahr 1699 befchwerte
fi die Anna Barbara Fauler bitter darüber, daR fie überall ale
Here verfchrieen werde. Es erging deßhalb ein Fürftlicher Befehl, daß
daß man bie Faulerin damit verfchonen folle; oder wenn Jemand fie
deſſen überweifen könne, folle er es bei gnädigfter Herrichaft anzeigen.
— Der fürchterlihe Krieg, der 1688 ausbrach und für Pforzheim
fo verderblic werden follte, war fchon lange vorher durch verſchiedene
auffallende Erfcheinungen in der Natur angedeutet worden. „Denket
nur”, fo ruft Spezial Kummer in feinem mehrerwähnten Abſchiebsbrief
(S. 19) aus, „denket mer zurüd an bie entfeglihe Größe desjenigen
Schweif-Kometen, der uns au allervorderft von ber Höhe des
Himmels erjchredte (ein folder war 1680 erfchienen; fein Schweif
war mindeitens TO Grad oder 40 Millionen Meilen lang 9); auch 1682
erfchien wieder ein Komet, aber ohne Schweif); an die öftermals mit
großem Schein und Krachen aus der Yuft herniebergefallenen Feuer—
Fugeln, fo uns gleichwie viel Tanfend Andere anderswo nicht wenig
ergeijterten; an das abſcheuliche Stüdgedonner aus den Wolken, fo
1) Der damalige Lehrer an ber lat. Schule Mauritii, der 40 Jahre ſpäter
mwieber ala Stabtpfarrer nah Pforzheim Fam und 1721 Mitalied der Singer:
geſellſchaft wurde, zeichnete ein Bebicht in das Stammbuch derjelben ein, bas
mit den Morten anfängt:
Meribes Pforzheimb, deine Mauern jchloffen mich vor vierzig Jahren,
ALS der große Gott der Wunder damals beine Kriegsaefahren
Durh den Wunderftern gegeiget, welder an des Himmels Dach
Dir und Deutichland Finden mußte eitel Jammer, Web und Ad.
502 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688.
ein und andersmal nicht anders aus der Ferne fi hören laflen, als
ob immer ein Kanonenſchuß über den andern in der Nachbarſchaft
geſchehe, allerdings, wie das Kanoniren aus den Neichsfeftungen getönt
hatte; an das Strahlſchießen in unfern Schloßthurm und mehrere
dergleichen bobe Gebäude im Lande hin und wieder, dadurch fie kurz
vor dieſem beftigen Kriege, gleihlam als ob Feines aufrecht bleiben
müßte, in Wetter angezündet und ausgebrannt worden; an die nad
Yauter Schwefel riehenden Wetterregen, fo eben auch vorbero
ſich bei ung niedergelafien, und unfere Stadt und Gegend ganz feuer:
roth illuminirt hat, indem die Häufer und Alles am hellen Tag nicht
anders gefchienen, als wenn fie in vollem euer und Brand ftünden.”
Im weitern Verlauf feines ſchriftlichen Abſchieds führt Kummer fort:
„Und fo könnte ich euch aud bei diefer Gelegenheit zu Gemüthe füh—
ven, was nach dem andern Brand kurz vor der dritten großen Plünde—
rung (Juli 1691) mit dem bewußten nadenden Mann munderfelt-
ſams paffirt, welcher von Vielen unter uns am hellen Tage außerhalb
der Stadt bin und wieder gefeben worden, und darauf bin die meiften
unter uns fo rein ausgezogen und ihrer in den innerftern Kellern und
Gewölbern vergrabenen und vermauerter Güter, je vorher niemals
geſchehen', gänzlich beraubt worden, daß fie hernach bloß genug daher
geben umd ſich kaum mehr bededen können.” Diefen nadenden Mann
wollte damals aud der Herrn von Leutrum in der Nähe feines Schloſ—
jes Liebenet im Hagenſchieß geſehen haben und fiehe da — menige
Wochen nachher wurde aud das Schloß Liebeneck ausgeplündert (Siebe
unten). Endlich erinnert Kummer feine Pfarrfinder noch daran, wie
wenige Wochen vor dem legten Brand, bei welchem auch die Au ein-
geäfhert wurde (September 1692), in den Gärten diefer Vorftadt
Feuerflammen ziemlich hoch aus der Erde geſchlagen hätten.
86. Zum holländiſch-franzöſtſchen (luremburgiſchen) Kriege.
(16472- 1679.)
Noch war kein Vierteljahrhundert nach dem weſtphäliſchen Frieben
verfloſſen, als ein neuer Krieg ausbrach. Befand ſich auch der eigent:
liche Schauplatz desſelben nie in der Gegend von Pforzheim, ſo hatte
doch die Stadt nicht wenig davon zu leiden und Lieferungen aller Art,
Kriegstontributionen, Brandfhagungen, Ginquartierungen ꝛc. ließen
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648— 1688. 503
weder geordnete Verhältniffe, no jenen Wohlſtand twieder auffommen,
deſſen ſich die Stadt noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts Hatte
erfreuen dürfen.
Aus Gründen, deren Auseinanderfeßung nicht hierher gehört, bie
aber zunächſt in dem Uebermuth und der unerfättlichen Ländergier
Ludwigs XIV. zu fuchen find, war bdiefer Fürſt im Jahr 1672 mit
einem fowohl durch feine Zahl, als feine Ausrüftung furdhtbaren Heere
in die Niederlande eingefallen, und feine Feldherrn Türenne und Condé
machten ſolche Forſchritte, daß die Mepublit in der größten Gefahr
ſtand. Da nahm fid) Deftreich der bedrängten Niederländer an und
ſchloß mit ihnen 1673 ein Bündniß; das deutſche Reich folgte im
März 1674 nad, und da ſich nod mehrere andere Fürften am Kriege
betheiligten, jo wurde derjelbe bald ein allgemeiner. Der Hauptkampf
zog ſich am die deutſchen Grenzen, und leider behauptete der Muth und
die Kriegserfahrenheit Türennes das entfchiedene Uebergewicht der fran-
zöfifhen Waffen gegen die Feldheren des Kaifers, bis der Graf Monte—
euculi den Heeresbefehl übernommen hatte, Türenne mußte ſich zurüd:
ziehen , iedoch nicht ohne vorher die Länder, die er verließ, namentlich
die Pfalz, aufs Gräulichfte verwüftet zu haben. Am Juli 1675
machte bei Sasbach eine Kanonenkugel dein Leben des berühmten
Feldherrn ein Ende.
Der untern Markgrafſchaft bereitete die Nähe der Feſtung Phi—
lippsburg, welche ſeit dem weſtphäliſchen Frieden (eigentlich ſeit 1644)
eine franzöſiſche Beſatzung hatte, vieles Ungemach, beſonders die Aus—
fälle und Streifereien der letztern. Es wurde zwar die Belagerung
der Feſtung beichlofien und dies Geſchäft dem Markgrafen Friedrich VI.
von Baden-Durlach, der vom Kaifer und Reich zum Generalfeldmar:
Ihall ernannt worden war, übertragen. Allein die Neihsftände beeilten
ſich gewöhnlich nicht allzu fehr mit Stellung der ihnen zufommenden
Truppen, fo daß die Belagerung erit im April 1676 beginnen konnte,
Schon vorher hatte jedoh der Krieg auch auf Pforzhein feine Wir:
kungen zu äußern angefangen.
Bei herannahender Kriegsgefahr (März 1674) war den Wachen
an den Thoren der Stadt doppelte Vorficht anbefohlen und eine Ver:
ftärfung der Wachmannſchaft beichloffen worden. Auch das Schloß ward _
bald darauf mit der nöthigen Munition verfehen. Diefe Vorſichts—
maaßregeln wurden während des Krieges noch vermehrt. Die Offiziere
504 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 — 1688,
mußten jeden Abend die Gewehre der wachftehenden Soldaten (d. h.
Bürger) vifitiren und nachjeben, ob fie mit Kraut, Loth und Lunten
verfeben feien. Bei einem entjtebenden Tumult follten Weiber umd
Kinder daheim bleiben. Der Wächter auf dem Thurm im Schloß
jollte wachſam fein, auf die anfommenden Meiter Acht geben und dann
ihnell feine Fahne ausſtecken. Als fpäter die Naturaflieferungen
begannen und viel Heu und Stroh in die Stadt fam, mußte jeder
Bürger mit einem großen Zuber voll Waffer verfeben fein und genaue
Aufficht auf Fener und Licht haben. Auch wurde beichloffen, wegen ber
großen Feuersgefahr alle Häufer zu vifitiren und alle Feuereimer zu
befichtigen. Die Stadt hatte im Mai die Auflage erhalten, einige
Dragener zu werben und zu montiren und dadurch, forwie im Felge
anderer Auflagen, erwuchſen ihr ſchon bedentende Kriegskoſten 1)
Zur fonftigen Kriegsnotb gefellte fih ſchon vom Spätjahr 1674 an
ein bedeutender Preisauffchlag aller Yebensmittel. Der Sefter Kernen,
der vor dem Krieg noh um 14—16 Kreuzer verkauft worden war,
ftieg auf 30 — 36 fr., ja im uni 1675 fogar auf 45 kr., und
„wegen der anmarfchirenden Kaiferlihen Völker“, fo heißt es in einem
Stadtratbprotofoll, „fei an feinen wohlfeilern Kauf zu denken.” Bezüg-
lich fonftiger Kriegsnotb waren indek die Bewohner der Stadt, da
diefe befeftigt war, immer noch beſſer daran, als die des flachen Yandes,
und die größere Sicherheit, welche der Aufenhalt binter Mauern und
Gräben bot, war auch der Grund, daß fih im Sommer 1674 eine
Menge Bauern von Grombach, Brucfal, Mali, Mingolsheim, Oben:
beim, Gochsheim, Ettlingen und Heidelsheim mit dem werthvollſten
Theil ihrer Habe nach Pforzheim flüchteten. 2) Doch kamen ftreifende
Partien mehrmals in die Gegend von Pforzheim, und die Unficherbeit
war im. Sommer 1675 fo groß, daß man während der Ernte bie
Früchte nicht auf dem Felde liegen Tafjen konnte. Vorher ſchon hatten
die Einguartierungen durchmarſchirender oder längere Zeit in Pforzheim
ſich aufhaltender Truppen begennen, und fcheinen überhaupt in diefem
Sabre bedeutende Durchmärſche, fo namentlich auch ber brandenburgifchen
ı) So koſtete ein Vorſpann für Markedenter ber Kreistruppen unb 3
marfgräfliche Trompeter bis Straßburg und Pleßheim 28 fl. 24 fr.
2) Sie braten biefelbe beim Kantenwirtb unter und mußten Einzelne
bafür vierteljährlich 1 fl., Andere monatlih 28 fr. bezahlen.
Fünfzehnies Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 505
Armee, ftattgefunden zu haben. Es wurden deshalb auch die dazu
nöthigen Maafregeln getroffen, Billetfchreiber ernannt, eine Proviant:
bäderei errichtet zc. 7)
Mebr als durch Einquartierungen, Durchmärſche und Garnifon
wurde die Stadt durch die Kriegsgelder gedrückt, die ihr unter allerlei
Namen aufgebürdet wurden. So wurden bald ordinäre Philippsburger
Kriegstontributionen, bald ertraordinäre Kriegshilfgelder, bald Heu:
und Strohgelder, bald Brandihatungen, bald Winterquartier-, bald
Salvaquardi (Sauve garde- d. h. Schutz: und Sicherheitsgelder) von
ber Stadt verlangt, zu deren Bezahlung renelmäßige und außerordent:
liche Monatsumlagen gemacht werden mußten. Die Pürger waren aber
nicht felten, namentlich in den letzten Jahren des Kriege, gänzlich aufer
Stande, biefelben zu entrichten und mußte negen Manche mit Erefution
vorgefchritten werden. Es wurde zu diefem Behufe ein eigenes Gre:
utionsverfabren feftgefeßt: 1. die Etadtfnechte follten die Meftanten
pfeih ins Käficht ſtecken; 2. diejenigen, die Pferde haben, follen nicht
zur Stadt hinaus gelafien werben; deswegen follen die Namen den
Thorwarten angegeben werden. Sind diefe fahrläffie, kommen fie in
den Thurm. 3. Wer fi) von ben Reftanten bei Tag nicht feben läßt, foll
Nachts durch die Stadtknechte aufgehoben und gelocht werden. — Dazu
famen noch die Frohnden, namentlich die Echanzarbeiten, welche während
ber Belagerung Philippsburg geleiftet werden mußten. Die Stadt
mußte dafelbft einen eigenen Schanzwagen unterhalten und daneben
noch Schanzgelber bezahlen, die ſich im Kurzer Zeit auf 300 Gulden
beliefen, und bald auf 542 Gulden ftiegen. Als nun im Anguſt
1675 von Stadt und Amt Pforzheim glei den übrigen Orten der
unten Marfgrafihaft gar noch eine freiwillige (1) Fruchtſteuer im
1) Als einquartiert werben angeführt: Im Mai 1675 die feefelfiiche Kom:
pagnie (Hauptmann Seefele, Lieutenant Soslomsfy), andere Truppen im Mai,
November und Dezember 1676 (Lammwirth Deichler reichte ipäter für Einquar—
tierung eine Rehnung von 9 fl. 47 fr. ein, erhielt aber nur 5 fl.), im Som:
mer 1677 ein General Kopp mit vielen Leuten (foftete bie Stadtkaſſe 146 fl.
26 fr.), ebenjo ein Hauptmann Weder von ber bolfteinishen Kompagnie, im
Winter 1677 auf 78 Rittmeifter Wernier mit Truppenabtbeilung (feine Reiter
wollen mit Hausmannokoſt nicht vworlieb nehmen, fondern Wein und Pier
haben), fowie Offiziere von den beiden ötingen'ſchen Kompagnien und ein
Rittmeifter Stein x,
506 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688.
Betrag des Zchntens verlangt wurde, weil aus dem Dberlande des
Krieges wegen gar nichts eingebe, und Pforzheim gleichzeitig auch
200 Gulden Ealvaquardigelder bezahlen follte, da erflärte der Stadt:
rath in einer Supplif an den Fürſten (jeit 1677 Friedrich Magnus),
daß die Erfüllung diefer Forderungen unmöglich fe. Die Bürgerfchaft
fei durch die harte Sinquartierung ganz erfchöpft, jo dak man dag Liebe
Brod nicht ins Haus ſchaffen könne. Dabei liege Handel und Wandel
gänzlich darnieder, und Fein Bürger dürfe der zu Leiftenden Machtdienfte
wegen zum Thore hinaus. Durch diefelben feien die Bürger auch fo
abgemattet, daß fie an ihrer Arbeit gänzlich verhindert wären; denn bie
Reihe treffe einen Jeden wöchentlich 3 Mal. Troß der bisher ge:
Leifteten Sauvegardegelder jet die Haferernte größtentheils verderbt wor-
ben, (die Kaiferlihen hatten in der Ernte um Pforzheim fouragirt,)
während die Amtsunterthanen durch der Bürger Hilf und Convoyirung
ihre Früchte meist hätten in Sicherheit bringen können ꝛc. Diefe Bitte
hatte den erwarteten Erfolg nicht, denn neben Kriegsfrohndgeldern wurden
auch diefe 200 fl. Salvaqnardigeld im folgenden Monat aufs Neue
verlangt, und Forderungen anderer Art hörten gar nicht mehr auf. Im
November des nämlihen Jahrs follte die Stadt an Kommiffär Silber:
mann zu Philippsburg abermals 112 fl. 30 tr. unter irgend einem
Titel bezahlen. Der Stadtratb behauptete, nur 52 fl. 30 kr. ſchuldig
fein, da der Kommandant von Philippsburg 60 Gulden erlaffen habe.
Da man fidh nicht verftändigen konnte, fo wurde beſchloſſen, einen eigenen
Deputirten nah Pbhilippsburg zu ſchicken (September 1678) und dem—
felben einen Fifcher mit einer Tracht Grundeln und Korellen als Ge:
fhent für den Kommandanten mitzugeben. Der iiber wurde nach
Erledigung feines Auftrages in Gnaden wieder entlaffen, der Deputirte
aber (Hans Jakob Holzhauer) im Arreft behalten und der Stadt für
feine Auslieferung 150 Neichsthaler abverlangt. Ob die Bitte um
Verwendung, welche bierauf an den Fürſten gerichtet wurde, ben er:
warteten Erfolg hatte, vermag ich nicht anzugeben. Daß aber der
Kommandant von Philippsburg auch fonft ein ziemlich gewalttbätiger
Mann gewefen fein muß, erhellt aus einer Klage, welde der Schanz⸗
wageninſpektor zu Philippsburg, Georg Paul Pfeffer von Durlach, an
den Stadtrath richtete (Dezember 1678). Er fagt darin, daß er wegen
des Pforzheimer Schanzwagens von dem Kommandanten geprügelt und
ing Stodhaus gefegt worden fei und 6 Rthlr. habe bezahlen müſſen.
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688. 507
As Entfhädigung wurden ihm vom Stadtrath 5 Pfund Pfennig
bewilligt.
Noch im nämlichen Monat kam eine Korderung von 375 Gulden
Minterquartiergeldern und von 1%/, Monatgeldern zum Philippsburger
Schanzwagen. Es war aber fjchlechterdings bei den Bürgern nichts
mehr zu holen. Kaum 20 Berfonen, jo heißt e8 im Etadtrathspro-
tofoll von Jänner 1679, haben daran bezahlt, und man mußte fich
deshalb zu einen Anleben verjtehen, wodurd die vielen Schulden der
Stadt noch vermehrt wurden. Die fortwährende Theurung machte die
Noth noch größer. Zu Anfang des Jahres 1679 Koftete das Malter
Kernen noch immer 8 bi8 9 Gulden und wog der Laib Brod für
4 Kreuzer nur 2%/, Pfund, während dieſes Gewicht in gewöhnlicher
Zeit 4 bis 5 Pfund betrug. Auch die Mebger waren um Erhöhung
ber Fleifchtare eingefommen, und mußte für das Pfund Ochfenfleifch
3—31/, Kreuzer, Kalbfleifh 3 Kreuzer, Schweinefleiih 31/,—4 Krz.
bezahlt werden. Dieſe Theurung hatte auch ein ungewöhnliches Sinken
ber Güter: und Hauspreife zur Folge. Ein Baum-, Küchen: und
Grasgarten in der Brößinger Borftadt, der gegen eine Summe von
250 Gulden verfeßt, alfo mindeſtens 2— 3 Mal fo viel werth war,
fonnte um diefen Preis nicht verkauft werden Für ein Haus am
Marktplatz wurden 150, für ein anderes größeres in der Trönfgaffe
350 Gulden bezahlt. Zu Anfang des Jahres 1679 wurden 1'/,
Morgen Uder am Kiefelbronner Meg um 16 Gulden, 16 Piertel
Alter um 30 Gulden und 2 Ohm Wein, 13 Viertel Ader und 11/,
Viertel Wiefen um 34 Gulden verkauft; gegen eine Kapitalaufnahme
von 60 Gulden wurden als Unterpfand verfeßt ein Haus, ein Etüd
Garten, 11/, Biertel Miefen und 1 Biertel Ader ıc.
Der Friede von Nymwegen, der am 5. Tebruar 1679 abge—
fchloffen wurde, machte diefen „Söriegstroublen” ein Ende, freilih um
ihnen die ſchmachvollſten Zeiten für Deutichland und bald darauf einen
andern Krieg nachfolgen zu laſſen, gegen welchen alle bisher erzählten
Drangſale kaum nennenswertb ericheinen.
Sehszehntes Anpitel
Pforzheim im orleans’fdhen Krieg. ')
(1688 — 1697.)
F 1. Einleitung.
Nicht nur der dreißigjährige Krieg, fondern aud) der weſtphäliſche
Triebe, ber ihm ein Ende machte, hatte dem bdeutfchen Reich unbeilbare
Wunden geichlagen. In letzterm wurde den einzelnen deutſchen Fürſten
bie volle Pandeshobeit zuerfannt und das Recht eingeräumt, zu ihrer
Erhaltung und Sicherheit Bündniffe mit auswärtigen Mächten einzu:
geben. Bei einer ſolchen Gerechtfame der Fürſten mar die Reichsein—
beit zum leeren Namen geworden! Bald genug zeigten fich die unbeil-
bringenden Folgen diefer Spezial-Souverainität. Die einzelnen Reichs—
fürften, Reichsgrafen, Reichs barone ſuchten nur ihre Intereſſen zu ver:
folgen und ihre eigene Macht dur alle Mittel zu vergrößern, ohne
das große Ganze dabei im Geringften im Auge zu haben. Die In—
terefien der einzelnen Neichsglieder aber ſtanden einander oft fo feind-
lich gegenüber, daß eine Ausgleihung fchen einer ſtarken Central:
Etaasgewalt Mühe gemadyt haben würde. Nun war aber eine ſolche
nad dem weſtphäliſchen Frieden eigentlih gar nicht mehr vorhanden,
vielmehr die Macht des Kaifers bei Streitigkeiten mit und unter
ben Fürften nur auf gütlihe VBorftellungen und Bitten befchräntt.
Diefe waren aber meiftens fruchtlos, da das Souveränitätsfieber ber
Fürſten auch die letzten Regungen von Patriotismus erftidt hatte. So
nahm bie Kraftlofigfeit des deutſchen Reiches und feine imnere Zer—
1) Neben verfchiedenen allgemeinen geſchichtlichen Quellen wurben im
Beiondern benügt: Pforzheimer Rathöprotokolle, KRontraftenbüder,
Bürgermeifterrehnungen, Kirbenbüder, eine hierher gehörige ge=
Ihichtliche Abhandlung von Lotthammer; ferner: Kummer, ſchriftlicher
Abſchied flatt einer Valetpredigt (Mm 1694) u, a. m,
Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 509
rüttung von Jahr zu Jahr zu; die Anzeichen des völligen Verſchwin—
dens jeder wahrhaft vaterländifchen Gefinnung wurden immer häufiger
und verfündeten den Untergang des Reiches, deſſen Fugen mehr und
mehr auseinander gingen.
Diefe Zerrifienheit Deutichlands war für fremde Mächte eine
verführeriche Verlodung zur Einmiſchung in die innern Angelegenbeiten
desſe lben. Solcher Berfuhung konnte namentlih Ludwig XIV. von
Frankreich um jo weniger widerſtehen, als dieſem übermüthigen, ehr:
und länderjüchtigen Fürſten die Gelegenheit günftig genug ſchien, feine
Macht auf Unkoften Deutichlands zu vergrößern, deflen Schwäche er
im dreißigjührigen Krieg, noch mehr aber in den erſten Jahrzehnden
nad demjelben genugfam kennen gelernt hatte, Wie tief Deutichland
erniedrigt war, zeigte fich im bellften Lichte, al8 Ludwig 1650 mit
einem lan bevvortrat, der an Echamlofigfeit alle ähnlichen Verſuche
übertraf. Er errichtete die fogenannten Reunionskammern in Met
und Breiſach, welde ausmitteln und ausſprechen folten, was irgend
einmal, wenn auch in unvordenklicen Zeiten, Zugehör der in den letzten
Kriegen an Frankreich abgetretenen Länder und Gebiete gewefen. Was
dieje Kammern für ſolche ehemalige Zugehör erflärten, das wurde
alsbald in Befiß genommen, und fo eine Menge deutjcher Fürſien,
darunter aud der Markgraf in Baden, ihrer linksrheiniſchen Befigungen
auf die frechſte Weiſe beraubt. Nicht genug, der König nahm 1681
mitten im Frieden die reiche und ftarfe deutſche Reichsſtadt Straßburg
mit Gewalt weg und vereinigte fie mit Frantreih.” Alles erfchrat über
diefe neue Gewaltthat; denn mit ſolchem Hohne war Deutichland noch
nicht behandelt worden, Aber Feine Hand rührte fi, um Ludwig für
diefe Verlegung alles Völferrechtes zu züchtigen. Der Kaifer war zu
ſchwach, um die Fürſten zu einem gemeinfamen Unternehmen gegen
Frankreich zu bewegen, und jeine eigene Hausmacht war gegen bie
Türken beichäftigt, die 1683 bis vor Wien drangen. Unter den Fürften
war kein Zuſammenhalt; jeder hatte zumächft ſich ſelbſt im Auge,
unbefümmert um das, was vielleicht im Nachbarland vorging; nur in
einem Punkt waren fie einig: im gegenfeitigen Miktrauen. Zwar
hatten fi auf die Nachricht von den Anmaßungen der Reunionskam—
mern und die darauf gefolgten Gewaltthaten die Reichsſtände in Frank—
furt verfammelt; aber man konnte vor lauter Etiquetteſtreitigkeiten zu
feinem Beſchluß fommen. Leider hatten die Angriffe der Türken aud)
510 Schsyehntes Kapitel. Pforgheim Im orleans'ſchen Krieg.
ben Kaiſer genöthigt, mit Frankreich einen zwanzigjährigen Waffenſtill—
ftand abzuschließen; Ludwig blieb im Befit feines jüngften Raubes,
und das deutſche Reich erbielt für die erlittene Beſchimpfung nicht die
mindefte Genugthuung. Je mehr aber das Glück die Franzoſen bes
günftigte, deſto höher ftiegen ihre Anmaßungen gegen Deutidland, und
bald wurde wieder eine Urfache vom Zaune gebrodhen, um in Ber:
bindung mit andern angeblihen Gründen einen Krieg zu entzünden,
der leider für unfer Waterland und mit ihm für die Stadt Pforzheim
jo verderblich werden follte,
Im Jahr 1685 war der Kurfürft Karl II. von der Pfalz ohne
Nachkommen geftorben. Nun forderte Ludwig XIV. im Namen feines
Bruders, des Herzogs Philipp von Orleans, deffen Gemahlin eine
Schweſter des verftorbenen Kurfürften war, aber in ihrem Heiraths—
vertrag ausdrücklich allen Anfprüchen auf die Pfalz entjagt hatte, einen
Theil der Kurländer, fowie Si und Stimme auf dem deutjchen Reiche:
tag und ließ im September 1688 feine Truppen in die Pfalz ein:
rüden. Um die Deutfchen durch furchtbare Graufamfeiten von dem
Miderftand gegen Frankreich abzufchreden und zugleich einen Angriff
auf Tetteres unmöglich zu machen, wurde zu einem wahrhaft tenfliichen
Mittel gefchritten: die ganze Pfalz ſammt den angränzenden Rändern
jollte auf ausdrüdlichen Befehl des Königs in eine Müfte verwandelt
werden. Nur zu getreulich wurde diefer Befehl befolgt. Städte,
Dörfer und Flecken mußten geriunt werden und die Einwohner, ihrer
Habe beraubt, mußten in die Wälder oder außer Lands flüchten, wo
die meiften ohne Obdach und Brod in Hunger und Elend zu Grunde
gingen, Worms, Speyer, Heidelberg, Mannheim, Frankenthal, Neu:
jtadt, Yadenburg u. f. w. — Kurz die ganze blühende Pfalz murde
von den rohen Eoldatenbaufen in eine ungeheure öde Brandftätte voll
vaucender Trümmer, voll unermeßlichen Sammers und Elends ver:
wandelt. Aber auch die angrängenden badifchen Länder wurden von
der gleichen Verwüſtung betroffen und Durlach, NRaftatt, Baden und
andere Städte gingen in Flammen auf, ohne daß ihnen der Markgraf
nur die geringfte Hilfe hätte angedeihen laſſen können. Er felber war
jogar genötbigt, fih vor den franzöfifchen Mordbrennerbanden mit feinem
ganzen Hof zu flüchten und feinen Wohnſitz in Baſel zu nehmen,
Dort befagen die badifhen Markgrafen ein Schloß, das ihnen in Kriege
zeiten häufig als Zuflucht diente. Won bier aus wandte er fi, wie
Seche zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'igen Krieg. 511
wohl vergebens, um Hilfe an den Reichstag, und von hier aus mußte
er zuſehen, wie fein ſchönes Land verwüſtet und eine Stadt, ein Dorf
um das andere den Flammen preisgegeben wurde.
Auch die Stadt Pforzheim bat in diefem jammervollen Kriege
die traurigften Schidjale erlebt. Sie follen in Nachfolgendem ausführ:
ih erzählt werden.
52. Vom Beginn des Krieges bis zum erflen Drand,
(Herbit 1658 bis Januar 1689).
Am 21. September (1. Oktober) 1688 begann die Belagerung
von Phifippsburg durch die Franzoſen. Cie bildete wie früber ſchon
fo auch jest wieder den Anfang der langen und ſchweren Leiden, bie
Pforzheim im orleans'ſchen Kriege treffen fellten, Die Stadt wurde
mit Naturallieferungen hart bedrüdt. Aber allmählig rüdte die Gefahr
ber Markgraffchaft näher. Die Herrſchaft ließ ſchon feit dem 4. (14.)
Dftober alle Früchte von den Dörfern einholen, wozu aus der ganzen
Gegend die Fuhren requirirt wurden. Am nämlichen Tage fam ein
Befehl hierher, fidy bei der herannabenden Kriegsgefahr rubig zu ver:
halten. Es mußte beftändig eine Anzahl Pferde bereit ſtehen. An
den Thoren berrfchte die größte Wachſamkeit, und fein Bürger durfte
‚ohne Anzeige und erhaltene Erlaubnig die Stadt verlaffen.
Endlich näherte ſich den 10, (20.) Oktober eine ſtarke Abtheilung
franzöfiiher Truppen unter den Generalen Montclar und Defequier
der Stadt. Die Bürger, in erfter Reihe Johann Ungerer, zeigten große
Neigung, Widerftand zu leiſten; allein die Aengftlichteit des Stadtraths,
der freilich noch feine Ahnung daven hatte, was der Stadt durch diefe
Säfte würde bereitet werden, öffnete den Franzofen die Thore. General
Montelar nahm feinen Sit im Schloſſe, Defequier zuerft in dem
v. Gölerihen Haus auf dem Schloßberg, nachher in dem v. Menzingen’:
ihen (jet Schend’ihen) Haus am Markt. Die übrigen höhern Offi—
ziere, fo der Marquis Delancre, Obriftleutenant Larode, Major
Crozel ꝛc. laſen fich andere ſchöne Häufer der Stadt zum Quartier
aus, Die Hauptwache war in der Herberge zur Höllen v. Otto Bedh
(wo jest Conditor Trommers Haus), Da der Befehlshaber den Un—
willen der Bürger merkte, fo verficherte er aufs Höchſte, daß ihnen
nicht das geringfte Unrecht gejchehen folle; fie feien ja Freunde und
512 Schszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
wollten die Bürger auch als Freunde, nicht als Feinde behandeln, Es
wurde aud Anfangs ziemlich Ordnung gehalten. Billetichreiber wurden
ernannt und die Soldaten regelmäßig einquartiert. Aber alles das
war nicht vermögend, die Unzufriedenheit zu bejchwichtigen, befonders
da die Vorftädte, (die indeffen ihren Beitrag in Geld geben mußten,)
von Einquartierung befreit waren und deswegen die ganze Laſt der Gar:
nifon, die mehrere Taufend Mann betrug, allein auf den Bewohnern
der eigentlihen Stadt lag. Zu bdiefem Drud kamen noch Schikanen
anderer Art. Zwar verließ der rohe Defequier bald die Stadt und zog
nad Franken, wo er überall brandſchatzte und zerftörte. 1) hm folgte
als Kommandant Charmazel, der aber, wie die Erfahrung lehrte, feinen
Snftruftionen gemäß nicht anders, als feine Vorgänger verfahren durfte.
Kein Bürger follte ohne ausdrüdlihe Erlaubniß des Kommandanten
die Stadt verlafien, noch weniger Mobilien ꝛc. außerhalb der Stadt
verkaufen, wodurd ſich manche Bürger in ihrer Geldnoth hatten helfen
wollen. Die anfängliche Zucht der Truppen hatte“ bereits aufgehört,
und diefer Umftand, verbunden mit den Schanzarbeiten, die ben Bürgern
zugemutbhet wurden, ließ das Schlimmfte befürdten. Die Franzofen
beſchloſſen nämlih, Hier Winterguartier zu nehmen und fuchten daher
die Stadt in befjern Vertheidigungsitand zu ſetzen. Da ber Strich
zwiſchen der Ober- und Nonnenmühle die ſchwächſte Stelle der alten
Befeftigungen war, fo follte fie dur Wälle und Palifaden gebedt
werden. Die Bürger mußten nicht allein das nöthige Holz herbei
Ihaffen, jondern auch „Handdienſte“ thun. Dies reizte fie noch mehr,
da fie fi von jeher vor Allem eifrig bewahrt hatten, was nur ent=
fernt am Leibeigenſchaft erinnerte. Zur Unterhaltung der Gamifon
hatte die Stadt bereits ein Kapital von 4544 fl. aufnehmen müſſen,
da ihre Einnahmsquellen mehr und mehr verfiegten, 2)
ı) Während feiner Anwefenheit in Pforzheim batte ihm die Stabt zu
eigenem Gebrauch liefern müflen: 2 Ohm 7 Biertel 3 Maag Wein (A 18 fi.
22%, f.), 366 Pfd. Fleiſch (a 3 fr. macht 18 fl. 18 fr.), 45 Bid. Sped
(& 12 fr. madt 9 fl.)
2) Diefes Kapital wurde Später auf Stadt und Amt Pforzheim, ſowie
die Aemter Stein und Langenſteinbach umgeleat und traf es:
bie Stadt Pforzheim bei 138,929 fl, 241, fr. Steuerfapital 1322 fl. 0 Fr.,
das Amt 2 „ 212,640 fl. 22 kr. ö 2023 f. 40 fr.,
bi® Aemter Stein und
Langenſteinbach bei 125,560 fl. 9, Er. ö 1195 il. — ir.
Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’fchen Krieg. 513
Viele Bürger hatten fich verabredet, die Stadt nöthigenfalls mit
Gewalt zu verlafien, wenn der Drud, oder doch wenigitens die Zahl
der einguartierten Truppen nicht gemindert würde; die Franzofen dagegen
drohten, die Stadt zu plündern und niederzubrennen, fobald ein Bürger
zu entrinnen verjuche. Im diefer Noth beſchloß der Stadtrath den
29. November (9. Dezember), der MNegierung die Lage der Sache
vorzutragen und bei derfelben, fowie beim Kommandanten, um Der:
minderung der Einguartierung einzulommen, ber es half nichts; die
Regierung konnte nichts thun, und der Kommandant beachtete das
Geſuch nicht, obgleich auf Befehl des Markgrafen Alles aufgeboten
wurde, um diefen Mann, der das Schidjal Pforzheims in der Hand
hatte, bei guter Stimmung zu erhalten. Am 11. (21.) Jenner des
folgenden Jahres 1689, jei e8 unter dem Vorwande, daß Bürger die
Stadt gegen das Verbot verlafjen hatten, oder aus Muthwillen, oder
um die Bürger durch ſolche Maaßregeln einzufchüchtern — legten die
Franzofen an verfchiedenen Orten in der Stadt Feuer ein, fo daß ein
Theil derfelben, darunter das Kaufhaus, abbrannte, obgleich die Bürger
kurz vorher bedeutende Brandſchatzungen hatten zahlen müſſen. Unter
den Gebäuden, welche damals in Gefahr ftanden, von den Flammen
verzehrt zu werden, war auch die Schlopfirche. Daß das ehrwürdige
Gebäude verichont blieb, hatte man hauptfählich den Bemühungen eines
Zimmermanng (Sebaftian Bechthold) zu danken, der mit Rebensgefahr
die nöthigen Mittel zur Rettung des Gotteshaufes anwandte, was aud
fpäter von der Stadt und Negierung mit reichen Belohnungen aner:
fannt wurde, |
8 3. Vom erften bis zum zweiten Draud,
(Januar bis Auguſt 1689).
Obgleich das, was ſich bisher ereignet hatte, nur das Vorfpiel zu
bem bildete, was noch kommen follte, jo waren doch die Stadt an fi
fowohl, als auch die einzelnen Bürger in große Noth gerathen. Die
ſtädtiſchen Einkünfte hörten zum Theil ganz auf; der vierte Theil des
Pfundzolles, den die Stadt anzufprehen hatte und der im Monat
Auguft noch 30 fl. 50 fr. betragen, warf im Oftober nur noch 9 fl.
30 fr., im November nur 5 fl. 50 ir. ab. Am Jahre 1639 fiel in
Folge der durch die Franzofen erzwungenen Sperre bis zum Auguft
gar fein Pfundzol mehr. Handel und Gewerbe lagen duamieber, bie
Pflüger, Pforzheim, 33
514 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Märkte konnten oft gar nicht gehalten werden, und der Ertrag bes
Felbbaues, des hauptſächlichſten Nahrungszweiges der biefigen Bewohner
in jener Zeit, ging durch Eingquartirung, Fourageure 2c. zu Grunde.
Der geringe Erlös, welcher der Stadtkafie noch durch Verkauf von Holz ꝛc.
zukam, mußte für die einguartierten Truppen zu Holz, Bau von Wacht:
bäufern, Lieferungen von Heu ꝛc. ſowie zur Unterftüßung armer Bürger
verwendet werben.
Auch die umliegenden Orte wurden hart geplagt, zum Theil völlig
geplündert. Nur die Huchenfelder blieben von der Plünderung verichent.
Sie hieben eine bedeutende Anzahl Bäume um und verfperrten durch
diefe Verhaue den Fourageurs und Marodeurs, die den ganzen Hagen-
ſchieß durdhitreiften, den Weg.
Pforzheim felbft blieb auch nad dem erjten Brande bis in den
Sommer von den Franzoſen beſetzt unter dem Befehle des Herzogs
von Bellefont. 1) Die PVedrüdungen und Uuälereien der Bürger nah—
men zu. Außer jenen Brandichagungen, welche die Stadt vor dem
Brand für fit allein hatte zahlen müffen, wurden nun noch größere
Summen eingefordert. Die damals noch kleine Markgrafſchaft Baden-
Durlah mußte 24,000 Gulden Brandſchatzungs- und 45,000 Gulden
Winterquartiergelder bezahlen, wovon es Pforzbeim, damals noch die
bedeutendite Stadt des Landes, das Meifte traf, Wie fchwer und
drückend dieſe Kriegsgelder den Bürgern waren, läßt fih daran
abnehmen, daß am 18. (28.) April, um diefe Gelder einzuziehen, alle
Thore der Stadt geiperrt werden mußten.
Am Laufe des Sommers zogen die franzöfifchen Truppen wieder
ab, nachdem fie die Stadt in eine ſolche Noth gebracht hatten, daß es
faſt unbegreiflih erfcheint, wie die Vürger im Stande waren, die noch
fommenden, ungleih größern Leiden zu ertragen. Wie weiter oben
ſchon bemerkt wurde, war der Wohlftand der Stadt ohnehin nicht groß,
da die Wunden, welche ihr der dreißigjährige Krieg geichlagen hatte,
noch lange nicht alle geheilt waren.
Um 24. Juli (3. Auguft) 1689 zog eine neue franzöſiſche Heeres:
1) Derfelbe wohnte, wie der frühere Kommandant, in dem v. Menzingen’:
Ihen Haus am Markt. Es muß aber darin mit den Fenſterſcheiben übel
umgegangen worden fein; benn der Glafer Chriſtoph Wilderfinn gab fpäter
für gemachte Glaferarbeit cine Rechnung von 15 Gulden ein.
Schszehntes Kapitel, Pforzheim im orleansihen Krieg. 515
abtheilung bei Philippsburg unter General Düras über den Mhein,
verbreitete ſich ſchnell am ganzen Strom und brannte Bruchfal und
Bretten nieder. Gin Theil diefes Korps zog den 3. (13.) Auguft vor
Durlach; ein anderer hatte fih ſchon einige Tage früher, nämlich am
31. Juli (10. Auguft), unter General Melac der Stadt Pforzheim
genähert und dicjelbe zur Uebergabe aufgefordert. Allein die Bürger
waren um jo weniger Willens, jich wieder wie im vorigen Jahr durd)
freundlihe Worte und Verſprechungen täuschen zu laſſen, als Melac
bereit durch feine in der Pfalz verübten Mordbrennereien eine traurige
Berühmtheit erlangt hatte und fich ſelbſtgefällig nicht umfonft den
„Druder des Teufels” nannte, Es wurde deshalb beichlofien, die
Stadt bis aufs Aeußerſte zu vertheidigen, obgleich fie ohne Garniſon
und ohne Hoffming auf Entſatz war, und obgleih Markgraf Friedrid)
Magnus den Bürgern den Rath gegeben batte, fo weit es die Um:
ftände gejtatteten, mit dem Feinde zu unterhandeln. Jedoch verließen
auch viele Bürger mit ihren Familien die Stadt, um in den umliegen—
den Wäldern Zuflucht zu fuchen; allein die umberichwärmenden Frans
zojen hatten bereits in der ganzen Umgegend die Lebensmittel aufge:
zehrt. So waren diefe Flüchtlinge theilweife der Bitterften Noth preis:
gegeben, die auch Viele von ihnen hinwegraffte. (So ſtarben beifpiel-
weile damals Hungers Flößer Joh. Georg Kienlin mit Frau und
Kindern, Krämer Michael Zocher, Flößer Joh. Ib. Mäule u. U.
Es gingen überhaupt während des Krieges mehrere Hundert Einwoh—
ner der Stadt durch Hunger zu Grund), Die Geflüchteten ſchlugen
im Hagenſchieß ein Lager auf und befeftigten es durch Verhaue.
Die Franzofen hatten fih auf dem Nod gelagert und begannen
von dort ihre Angriffe auf die Stadt, und zwar auf der Wafferfeite
zwifchen der Ober: und Nonnenmühle Dort war ungeachtet der im
vorigen Jahre angelegten Wälle und Palliſaden der ſchwächſte Theil
der Befeftigungen, weil die Stadtmauer durch die Mühlgebäude unter:
brodhen war. Zwar wehrten ſich die Bürger aufs Verzweifeltſte; die
im Hagenſchieß ſich aufhaltenden Pforzheimer fügten den Franzoſen vom
Kallert aus großen Schaden zu, indem fie manchen diefer Mordbren—
ner im Lager auf dem Mod erſchoſſen. Allein durch die Trägbeit und
Treulofigkeit der ſchwäbiſchen Kreistruppen gelang es den Franzofen
doh, in die Stadt einzudringen, Jene Truppen hatten nämlich im
33 *
516 Secht zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Hagenſchieß ein verſchanztes Lager) bezogen, um dadurch das Herzog:
thum Mürttemberg zu deden. Nun wurde zwifchen ihnen und ben
Bürgern von Pforzheim die Verabredung getroffen, daß die Kreistrup—
pen die Franzoſen angreifen und die Pforzheimer gleichzeitig einen Aus:
fall machen follten. Lebteres geſchah ſogleich, als man in der Stadt
die Kreistruppen die St. Georgsfteige herunterkommen fah; allein diefe
liegen die Bürger auf ſchändliche Weiſe im Stich und zogen ſich, ohne
nur einen Schuß gethan zu haben, in den Hagenſchieß zurüd. Der
Ausfall war mit ſolcher Heftigkeit gemacht worden, daß die Bürger
großen Verluſt erlitten und es dem ftarf zuiammengefchmolzenen Häuf:
fein derfelben nur mit Mühe gelang, fi dur die Feinde zur Stadt
zurücdzufchlagen. Diefe benüßten aber die berrichende Verwirrung, er:
ftiegen die Mauern und murden in Furzer Zeit Herren der Stadt.
Die Bürger mußten, was fie zu erwarten hatten. Die Stadt Dur:
lad hatte fich gleih am Tag nad Beginn der Belagerung ergeben;
und wenn gleidy die Stadt niedergebrannt wurde, fo erhielten doch bie
Bürger vorher die Erlaubniß, auszuwandern, fie durften ihre Lebens—
mittel mitnehmen und der franzöfiiche General fchenkte ihnen ſogar 80
Gulden (freilich geraubtes) Geld. Die Bürger Pforzheims konnten
von den durch den. hartnäckigen MWiderftand erbitterten Franzoſen Feine
Schonung erwarten. Wer daher noch fliehen Konnte, floh; mandye
wateten bei der Wagmühle durch die Enz und verjuchten, ſich in den
Hagenfchieß zu retten; aber Viele wurden auf der Flucht niedergehauen.
Andere, die durch das Andrängen der Feinde überrafcht wurden, fpranz
gen die Stadtmauern hinunter und fielen todt, oder bracher Arme und
Beine, (darunter war au der Amtmann Kiener von Langenfteinbad).)
Diele wurden beim Gindringen der Franzofen in die Stadt erichofjen,
(fo Rothgerber Chriftoph Eberlin, Weißgerber Hans Michel Telöner,
Seiler Jakob Flach). Noch Andere hatten Befinmung genug, ſich fech—
- tend in das Schloß zu werfen und fid) dort zu wehren (darunter Bern:
hard Sattler); aber auch fie wurden überwältigt und gefangen genom—
men, Das Shidfal der Bürger, die mit den Waffen in der Hand
ergriffen worden, war Tod oder Gefangenfhaft. Nun wurde die
Stadt von Melac zur Plünderung preisgegeben, und die beutegie-
rigen Sieger vannten von Haus zu Haus, um die Bürger ihrer letzten
Habe zu berauben. Aber das Maaß der Leiden war noch nidt voll;
!) Ueberrejte diejer Verſchan, ungen find heute noch im Hagenſchieß fichtbar.
Schözehntes Kapitel, Pforzheim im orleans'ſchen Krieg, 517
bie ganze Stadt wurde dem Untergang geweiht. Vergebens warfen fic
die wenigen noch in Pforzheim befindlichen Bürger — ältere Chroniken
geben ihre Zahl auf nur 36 an — auf dem Marktplate vor Melac
auf die Kniee nieder, um ihn um Schonung der unglüdlihen Stadt
zu bitten. Melac äußerte zwar — gegen feine Gewohnheit — einiges
Mitgefühl, und rief den ihn umgebenden Offizieren die bekannten Worte
zu: „Ach glaube, daß der Teufel im Kriegsrath zu Paris PBrifident
ift.“ (Je crois que c’est le diable qui preside au conseil de guerre
& Paris) Aber Pforzheim ftand auf der Yifte der 1200 Städte und
Dörfer, die verbrannt werden fellten, und darum durfte feine Schonung
eintreten. Am 5. (15.) Auguft, dem Tage, an welchem die Franzofen
abzogen, wurde vorher unter alle Brüden und Thore, in alle bedeuten:
bern Gebäude der Stadt, fo in das Schloß, das Rathhaus, die Stadt—
fehreiberei zc. euer eingelegt, und die Thore von außen verrammelt,
um, recht teuflifh, die Einwohner am Entweichen zu verhindern. Am
Abend dieſes Tages Toderte die Stadt an vielen Orten zugleich im
Teuer auf. Die auswandernden Durlacher fahen auf ihrem Zuge nad)
Langenfteinbady auf einer Höhe im Walde bei Grünmettersbadh bie
gräßlichen Flammen des Brandes von Pforzheim, der faft die ganze
Stadt in einen Aſchenhaufen verwandelte, Nur ein Theil derfelben,
nämlich der Strich vom Altftädter Thor bis zur Enz, fodann die
Schloßkirche fammt einigen in der Nähe ftehenden Gebäuden, und end-
lich das Dominikanerflofter mit der Stadtkirche blieben vom Feuer
verfchont, weil e8 dem aufopfernden Muth einer Anzahl Bürger gelun:
gen war, mit Lebensgefahr durd die franzöfifhen Wachen zu dringen
und an mehreren Orten das untergelegte Feuer und Pulver wegzu:
bringen. Auch die Borftädte blieben, obwohl fie bei beiden Bränden
vom 21. Januar und 15. Auguſt geplündert wurden, von der Zer:
ftörung frei; die Franzoſen hatten feinen Verſuch zu ihrer Niederbren:
nung gemacht, da diefelben für feindliche Truppen feinen Haltpunkt und
ſelbſt nicht einmal fichere Hoffnung auf Quartiere gewähren Tonnten,
Es würde zu weit führen, alle die Drangfale zu erzählen, welde
einzelne Bürger und Familien damals ausjtehen mußten. Viele hatten
fih, um dem Teuer zu entgehen, in bie Keller verborgen, weil ja wegen
der gejperrten Ihore Niemand die Stadt verlafien konnte. Dasfelbe
hatten auch manche Andere noch wor der Anzündung der Stadt gethan,
um nicht als Geifeln fortgeführt zu werden, fo der Spezial Mathäus
—
918 Sechszehntes Kapitel, Pforzheim im orleans'schen Krieg.
Kummer, dem mit 12 andern angeiebenen Einwohnern jenes Schidfal
bevorftand. Indeſſen, als die Stadt angezündet wurde, brannte auch
das Haus nieder, in deffen Seller ſich Kummer jammt dem Diakonus
Fleiſchmann befand, und fie wären Beide umgekommen, wenn nicht
einige Worübergebende ihren angeitrengten Nilferuf vernommen und fie
herausgezogen hätten. In ähnlicher Weile gelang es noch Dem und
Jenem, fein Hans gegen die Kugeln und gegen den Drand, feine befte
Habe gegen die Plünderung, feine Kinder aus den Flammen zu retten.
Die gefangen genommenen Bürger murden von den Franzoſen
bei ihrem Abzune fort und nah dem Elſaß geſchleppt. Die meiften
derfelben laſſen fi angeben. Es waren: Rößlewirth Sch Bechkh,
Küfer Heinrich Braun, Mebger Johann Bud (wurde in ber Gefangen:
fchaft Soldat und war 1695 franzöſiſcher Hauptmann, Bäder Mic.
Dengler, Hafner Sebaft. Dien, Schneider Peter Denninger, Kaufmann
Mathäus Enderlin, Schreiner Lukas Flachmüller, Math. Gerung,
Flößer Hans Georg Gerwig, Schloſſer Hans Georg Kechler, Roth—
gerber Michael Kercher (einer der Wenigen die wieder zurückkehrten),
Matthäus Lotthammer, Schreiner Job. Yang, Metzger Job. Ib. Meer:
wein, Schuhmacher Rob. Peter Vintichler, Zeugmader Joh. Martin
Niclus, Sigmund Pfinder, Joehann Schwarz, Tuchmacher Fried. Solb,
Schmied Math. Sattler, Metzger Jakob Wirtd u. U. m. Die ge
fangen genommenen Bürger hatten meift ein fonderbares Scidial.
Sie wurden mit andern aus der Markgrafſchaft fortgeichleppten Ein-
wohnern auf die Galeeren geichmicdet, fpäterbin aber 1300 davon von
Ludwig XIV. dem vertriebenen englifchen König Jakob Stuart zu
Hilfe geſchickt. (Won den nefangenen Pforzbeintern war 1. A. dabei:
Math. Gerung, Andreas Hertenftein, Job, Mart. Niklus und Johann
Schwarz.) Ahr Anführer, Mathäus Steig, ergab fit jedoch mit fei-
‚nen Truppen an das Haus Hannover, wofür ihn König Georg von
England zum Oberften ernannte. Don den Pforzheimern haben aber
die meisten ihr Vaterland nicht wieder geieben.
84 Zuſtand der Stadt nad) dem zweiten Brande, Bemühungen
zur Verbefferung desfelben,
(1689 — 1691.)
Die Stadt gewährte einen traurigen Anblit, Sie war faft nur
eine weite Brandftätte. Die meiiten Häufer waren bis auf den Grund
Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 519
niedergebrannt, von andern, wie 3. B. von der Gtadtjchreiberei, wo
indefjen ein Theil der Regütratur ein Raub der Flammen wurde, 1)
dem dv. Ehingen'ſchen Haus am Markt, dem v. Flehingen'ſchen Haus
in der Lammgafje, dem Schloß fammt einigen unterhalb desſelben
ftehenden Häuſern, dem Schlachthaus zc. waren ein Theil nody ftehen
geblieben. Die Gaffen lagen fo mit Schutt und Aſche angefüllt, daß
felbft in den obern Theilen der Stadt die Keller, welche eine Zeitlang
bei vielen Bürgern die Stelle der Wohnungen vertreten mußten, fich
mit Waſſer füllten und faft überall in den ohnehin engen Straßen die
Durchfuhr gehemmt war. Diejenigen Bürger, weldye fich bisher im
Hagenſchieß aufgehalten hatten oder ſonſt zefloben waren, kehrten nun—
mehr wieder zurüd. Das Lager der Erjtern war mehr als einmal
den Angriffen frangöfiiher Streifforps ausgeſetzt geweſen; aber bie
Plünderungsluft derfelben fcheiterte an dem Muth der Verzweiflung.
Die Bürger kämpften, nachdem der Brand fie faft aller ihrer Habe
beraubt hatte, um ihr Letztes. Jetzt drängte ſich Alles im den noch
übrigen Reſt der Stadt zufammen. Wer gar feinen Raum mehr fand,
erbaute fih an einem beliebigen Plat eine Hütte. Auch der Markt:
platz mußte dazu dienen, Auf Negelmäßigfeit oder gehörige Breite der
Straßen, auf einige Schub mehr oder weniger Plab wurde dabei nicht
gejeben.
Nicht minder groß als die Unordnung war die Noth der Bürger
und ihrer Familien, da fie durch Plünderung und Brand fait Alles
verloren hatten, und das, was verborgen und gerettet worden war,
gegen das Verlorene unbedeutend erichien. Aller „Verkehr, aller Handel
war vernichtet, und die meiiten Bürger waren ohne Mittel zum Unter:
halt. Zwar hatte man nad dem erjten Brande zwei Bürger, näm—
lich die beiden Stadtgerichtsprofuratoren Maurer und Mauch, mit einem
Patent ausgeſchickt, um Beiträge für die Abgebrannten zu ſammeln.
Sie braten zwar auf ihrer Reife durch faft ganz Deutichland eine
erfledlihe Summe zufammen; aber da die Zahl der Unterſtützungs—
bedürftigen durch den zweiten Brand viel größer geworden war,
jo erbielt jeder Bürger, der jein Haus verloren hatte, nach Be—
1) Ein am 26. Auguſt 1689 wieder begonnenes Gontraften = Protofoll ift
„angefangen nad dem franzöfiihen Brand, in welchem die vorhergehende pro:
tocolle (von 1687 und 1683) au Grund gangen.“
520 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’ichen Krieg.
ihluß Gerichts und Raths vom 14. (24) Auanft 1689 1) nur
410 Gulden, woran aber die Bedingung des Wiederaufbaus der Woh—
nung gefnüpft war. Woher aber die weitern Mittel zum Bau neb:
men? Viele Bürger hatten fein Brod, und fahen ſich am Ende ges
nöthigt, auszumandern. „Der Sammer war fo groß,” fagt ein Augen:
zeuge (Kummer), „daR ich mich beinahe ſelbſt nicht mehr zu faflen
wußte, und, wenn ich wollte, denielben Teichtlich jo beichreiben könnte—
daß Einem beide Ohren davor gellen und alle Haare empor ftehen
müßten.“ 2)
Es war feine feicyte Aufgabe für den damaligen Stadtrath, in
diefes wirre Durcheinander einige Ordnung zu bringen, Indeſſen ent:
lebigte er fich diefer Obliegenheit jo gut, als ihm dies der fat gänz:
liche Mangel an Hilfsmitteln geftattete. Cine der erften Sorgen bei
ben unruhvollen Zeiten mußte Sicherbeit gegen Außen fein. Von den
Thoren der Stadt waren durd die beiden Brände das Schloß: und
bag Auerihor vernichtet, die übrigen mebr oder minder beihädigt wer:
ben. Letztere wurden, fo gut es ſich thun lieh, wieder hergeftellt und
fo ſtark befett, als es die verringerte Zahl der Bürger geftattete. Diefe
Maafregel war nicht nur gegen äußere Feinde, fondern auch gegen bie
Bürger felbft nothmendig, um das allzubäufige Entweichen derfelben
zu verhindern. Es ftand, wenn nicht Einhalt gethan wurde, eine gänz-
liche Enteölferung der Stadt zu befürchten. Gleich nach dem Brande
(den 14. [24] Nuguft) wandte ſich deshalb der Stadtratb mit einer
Eingabe an die Negierung, worin er den elenden Zuſtand der Stadt
fhilderte, die Befürchtung, daß diefelbe durch Megzieben der Türger
entoöfkert werben möchte, ausiprady und als Mittel dagegen vorfchlug:
1. Befreiung von der Schatzung; 2, die Aufhebung des Pfundzolles ;
3. die Ausihaffung der Juden, welche den Bürgern in ihrer Nahrung
1) Anweſend babei waren: Bürgermeilter Martin Zoller, Altbürger:
meifter Stieß, Kiefer, Eberlin, Scheidlin, Holdmeyer, Herbiter, Wilderfinn,
Kercher, Meerwein, Burkard, Bub, Lötterlin, Schnellin, Meier, Kornmann,
Oſtertag. Die Rathsſitzungen wurden nad Abbrennung bes Rathhaufes im
Haufe des Färbers Andr. Kienlin gehalten. — Zoller war im den erften Jab-
ten bes Krieges Bürgermeifter, 1691 Georg Eberlin (+ 1693 nad dem Grab:
flein auf dem Kirchhof), in den folgenden Jahren abwechſelnd Leonhard
Herbfler und Chriſtoph Wohnlid.
2) Schriftlicher Abſchied zc.
Schszehntes Kapitel Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 521
bisher ſehr ſchädlich geweſen, und 4. die Verftatiung des freien Handels
und Wandels in allen Sachen. Diefe Freiheiten wurden auf 15 Jahre
verlangt, nach deren Umfluß die vielfach verkürzten Privilegien von
1491 wieder in volle Kraft treten follten. Die Negierung zu Niefern:
burg befürmwortete dieſe Forderungen bei der fürftlichen Megierung zu
Bafel, und es jheint auch, daß von diefer auf den elenden Zuftand
der Stadt gebührende Nüdfiht genommen und in einem bald darauf
erlafjenen fürftlihen Befehl, daß die Bürger die Stadt nicht verlaffen
follten, das Wefentlihe der erwähnten Forderungen zugeftanden wurde.
Indeſſen nöthigte die immer fteigende Noth noch Manden zur Aus:
wanbderung.
Bei weiten die jchwierigfte Arbeit aber war die Gintreibung ber
vielen nothwendigen Gelder. Da die Einkünfte der Stadt entweder
ganz verloren waren oder nur ſehr unregelmäßig einningen, jo mußten
die vielen auferorbdentlihen Ausgaben für Herftellung der öffentlichen
Gebäude, Thore ꝛc., die noch fortdauernden Kontributionsgelder und
Lieferungen an die Franzoſen, wie an die ſchwäbiſche Kreisregierung
für die nun endlih mit arökerm Cifer betriebenen Kriegsrüſtungen ꝛc.
durch außerordentliche Umlagen gebedt werden. Das war feine leichte
Aufgabe und wurde bei der herrichenden Notb und dem Mangel an
Gemeinfinn — eine natürliche Folge der bisherigen vergeblichen Auf:
opferungen — oft geradezu zur Unmöglichkeit. Die Unzufriedenheit
der Bürger, die ſich oft auf die heftigſte Weiſe Quft machte, wurde
aber größer, als noch Anforderungen anderer Art einliefen. Meil
die Pforzheimer Bürgerichaft noch glücklich fehien im Vergleich mit
andern Städten, 3. B. Durlach, da in Pforzheim doch noch ein Theil
der Stadt gerettet worden war, während Durlach gänzlich in Aſche
Tag, fo fiel auch der größte Theil der Kaften, welche die untere Mark:
grafſchaft zu tragen Batte, auf Pforzheim. So wurde der Stadt zuge:
muthet, gemeinfchaftlihb mit dem Amtsbezirk "56 fl. zur Unterftügung
des in franzöfiiher Gefangenschaft zu Philippsburg fißenden Unter—
vogts Scheid und des Dürgermeifters Wild von Durlach zu bezahlen,
obgleich der Stadtratb die Unmöglichkeit darlegte. Aus ähnlichen
Gründen wurde auch das Durlader Gymnaſium nad Pforzheim in
das vom Brand verfchont gebliebene Jredigerflofter verlegt, und ſchon
am 8. (18.) September kam der Nektor des Gymnaſiums, Michael
*
599 Sechszehntes Kapitel. Piorzheim im orleans'ihen Krieg.
Bulyowsky, nah Pforzheim, um die nöthigen inrichtungen zu
treffen. 1)
Gleichzeitig gelangte aud ein Befehl des franzöfifchen Generals
Düras nad Pforzheim, daß der dafige Obervogt in Lichtenau vor ihm
erfcheinen ſollte. Da in diefer Zeit fih gar fein fürftlicher Beamter
in Pforzheim befand, fo wurde der lichtenthal'ſche Schaffner, Mathias
Delendroit, abgefandt. Düras verlangte die völlige Zerftörung aller
Feſtungswerke, Niederreifung der Stadtmanern und Ausfüllung ber
Gräben. Endlich ließ er fih doc mit Abtragung der in dem letzten
Sabre angelegten Mälle und Pallifaden begnügen, die auch in der
erfrenlichen Ausficht geihab, beim nächſten Truppeneinmarſch wieder
berftellen zu müffen, was man jet niederriß.
Der größte Sammer entitand aber in Pforzheim, als fi im
November 1689 das Gerücht verbreitete, daß die Stadt im bevor:
ftehenden Winter mit einer ſtarken Garnifon befegt werden folle. „Das
fei rein unmöglich,“ äußerte fih darüber in einer Rathsfigung der _
bamalige Bürgermeiiter Joh. Jak. Deimling, „da die Stadt in zwei
Bränden faft gänzlich im Aſche gelegt und die Einwohner um Habe
und Nahrung gebracht worden feien.“ In einer deshalb an die Regie—
rung in Niefernburg gemachten Eingabe hieß es ferner: „Die wenigften
Einwohner hätten über Nacht das liebe Brod im Haufe; die noch
übrigen Häuſer feien dergeftalt mit Einwohnern überfüllt, daß fein
Pla weiter vorhanden, Jemanden unterzubringen; zudem würde es
{hen unmöglich fallen, nur das Nötbige an Holz und Lichtern für die
Machen beizufchaffen, meil die dazu erforderliden Mittel weder bei
gemeiner Stadt, nody bei der Bürgerfchaft anzutreffen fein.” Ein
ähnliches Schreiben erging auh an den Markgrafen Karl Guftan,
Bruder von Markgraf Friedrich Magnus und damals Generalfeldzeug-
1) Von ben 10 alten Mönchtzellen, welche gegen DOften Tagen, richtete
Bulyowsfi 4 zu Schulzimmern ein; das Schiff der Kirche wurde zu Gebeten, Bor:
lefungen, ſpäter aud zum Predigen benügt. Auch die beiden Aubditorien, welche
an bie genannten Zellen fließen, wurden für das Gymnaſium verwendet, das
eine als Konferenzzimmer, das andere zu Vorleſungen. 1690 ben 13. März
wurde ber Unterricht mit 60 Schülern eröffnet, deren Zabl nah Errichtung
einer 4, Klaffe 1691 ſchon auf 150 geftiegen war, Außer bem Rektor wirften
bamals an ber Schule die Lehrer Bendel, Ludovici und Wagner. (Vergleiche
hierüber: Bierordt, Geſchichte der Karlsruher Mittelihule, ©. 35.)
Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 525
meifter des ſchwäbiſchen Kreifes. Statt einer Antwort kam unterm
8. (18.) November ein fürftliher Defebl, daß die Stadt fid, auf die
Einquartierung von einigen hundert Mann bereit halten ſolle, und ſchon
10. (20.) November zogen 200 Mann Truppen des ſchwäbiſchen Krei—
jes zu Ruß und zu Pferd unter Hauptmann von Hagen in die
Stadt ein. Der Kommandant verlangte fogleih Räumung der Stabt—
nmauern, Erbauung von Wachhäuſern, Verſchanzung des Skleiftbors,
Pallifaden an mehreren Orten :c., ſodann Licht und Holz auf bie
Mactftuben. Das in der Stadtfajfe vorhandene Geld war aber nicht
einmal hinreichend, um die dazu benötbiaten zwei Pfund Fichter täg:
lich anzufchaffen; man wußte feinen andern Rath, als einen Weggeld—
ſtock aufzufchliegen und befam dadurch 26 fl. 25 fr. Dies reichte natür-
Vich nicht weit. Die auf die Bürger umgelegten Kriegegelder gingen
nicht ein, denn die wenigiten konnten fie bezahlen.
Am Dezember rüdte unter dem Befehl des Oberiten Palffy neue
Garniſon in Pforzheim ein 1), welche das ganze Jahr 1690 hindurch
die Stadt hart drückte, und am Ende des Jahres fam noch eine
Abtheilung Hufaren dazu. Zwar follte beſchloſſener Maßen die Stadt
Augsburg die Verpflichtung haben, diefe Garnifon zu unterhalten,
und Pforzheim follte ihr nur Obdach gewähren, aber das große
und reihe Augsburg kam, wie es ſcheint, diefer Verpflichtung nicht nad,
und fo fiel die ganze Laft der Einquartierung mieder auf die Bürger
von Pforzheim. Es geht dies wenigſtens aus den rührenden Schilde:
rungen der allgemeinen Notb in den öfters an die Regierung gemachten
Eingaben, aus den immer wiederkehrenden Klagen über die Megnahme
und Vernichtung der Feldfrüchte durch die Fourageurs der Garnifen,
die beftändige Lieferung an Naturalien ꝛc. deutlich genug hervor. Dazu
famen noch die Kriegsgelder an die franzöſiſchen Kommandanten in
Straßburg und Philippsburg. Diefe muhten fast jedes Mal mit
milttärifcher Orefution eingezogen werden. Der Schuldner mußte die
mit der Erefution beauftragten Soldaten, denen er fogleich einen Batzen
Gebühr zu entrichten verpflichtet war, fo Tange behalten, bis er zahlte,
und überdies Foftete jede Stunde wieder einen Batzen Entſchädigung.
) Palffy auartierte ſich beim Faiferlihen Pofthalter, Bärenwirth Ambros
Deichler ein, welcher, fo fang der Kommandant bei ihm wohnte, wöchentlich
1 Klafter Brennholz ertra erhielt,
524 Sechdzehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’shen Krieg.
Um das Maaß des Ungemachs voll zu machen, mußte zu Anfang
des Jahres 1690 ein Eisgang mit Ueberſchwemmung die Auer Brüde
gänzlich und die Altjtädter Brüde größtentheils zerftören und fait alle
Dimme und Wehre befhädigen. Die zur Wiederherftellung derfelben
erforderlichen Mittel waren auf Feine andere Art aufzutreiben, als daß
auch den gefreiten Perſonen (Adelihen und Staatsdienern), forwie den
Juden, die fenft auch feine außergewöhnlichen Abgaben bezahlen durf:
ten, Beiträge angefeßt und von ihnen erhoben wurden. Das gab
Mißbelligkeiten, die noch vermehrt wurden, als im Laufe des Jahres
die Mebgerzunft fich hartnäckig weigerte, die ertraordinären Kriegsgelder
zu bezahlen und auch die übrige Bürgerſchaft fehwierig zu werben
anfing. Willlommen war es daher dem Stadtrathe wie der Bürger:
(haft, daß im Dezember Markgraf riedrih Magnus felbft hierher
kam. Alles jchöpfte neue Hoffnung und wartete auf Erleichterung und
Hilfe, aber vergebens, Was konnte der Markgraf auch ‚beim beiten
Willen thun ?
85. Wene Verwüſtungen. Berennung und Plünderung Pforzheims.
Treffen bei Pforzheim und dritter Brand.
(1691 und 1692.)
Der Zuftand der Stadt, wie er zu Ende des Jahres 1690
gewefen, dauerte auch bis über die Hälfte des Jahres 1691 fort. Am
Juli diefes Jahres drohte jedod die franzöfiiche Armee von der Rhein:
ebene nah Schwaben durdyzubrehen. Die Stadt Piorzheim zu be-
ſchützen, war Aufgabe des ſchwäbiſchen Kreisregiments, defjen Führung
eben erft dem Grafen Karl Egon von Fürftenberg, einem im Türken:
frieg erprobten Diffizier, übertragen worden war. 1) Er hatte zur Ber:
ftärtung 500 Mann gedienter Soldaten erhalten. Als fih jedoch die
Gefahr zu verziehen ſchien, da der Feind fih auf Graben zurüdzog,
jo entjandte er 200 Mann zur Verſtärkung feines Oberftlieutenants
v. Remdingen nah Ettlingen, Er jelber bezog Quartier in Weil ber
Stadt und ließ den Reſt feiner Leute zu ihren im Kinzigthal ftehenden
1) Man vergleiche zum folgenden: Fickler, Geſchichte von Fürſtenberg, IV.,
S. 172 fi.
Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im ortleans'ſchen Krieg. 595
Kompagnien ftoßen. In Pforzheim bfieb eine Kompagnie unter der
Führung von Hauptmann Zichwolf. 1)
Unvermutbet fette fich jedoch die franzöfifche Armee, 30,000 Mann
ftart, von Graben ber gegen Pforzheim und Stuttgart in Bewegung.
Bei ihrer Annäherung floh, mer irgend fliehen konnte, und fuchte feine
befte Habe zu retten. Viele aber wurden vor der Stadt von ben
Ichnellanrücdenden Franzofen ergriffen und beraubt. Dem Grafen von
Fürftenberg war durd) Hauptmann Zickwolf von dem Erfcheinen der
franzöjiihen Armee vor Pforzheim raſch Nachricht gegeben worden, und
er eilte feiner bedrohten Kompagnie fo ſchnell zu Hilfe, daß er früh
7 Uhr bereits auf den Anhöhen füslih von der Stadt angelangt war.
Bon bier fah er ſchon den Vortrab des Marſchalls von Villeloi in
der Nähe Pforzheims angelangt; die Neiterei tummelte fih auf dem
Anger zwifchen Mauern und Gebirg. Fürſtenberg ſchlug ſich durch
dieſelbe, tödtete dem Feind zwei Offiziere und mehrere Gemeine und
erreichte mit 35 erbeuteten Pferden glüdlid die Stadt. Der Feind
ließ aber nicht fo Teichten Kaufes von bderielben ab; fein Fußvolk,
untermengt mit Dragonern, rüdte gegen die Brößinger Vorſtadt vor,
drängte die dort aufgejtellten Poſten in die Stadt zurüd und fing
legtere mit 6 Stüden, worunter 4 ganze Karthaunen, zu beſchießen
an. Die Garnifen Fonnte nur mit 3 Stüden Meinen Feldgeſchützes,
etlihen Doppelbafen von einem Thurme und mit dem wirkungslofen
Teuer der Musketiere von den Mauern herab antworten. Bis Abends
9 Uhr war in letztere bereits eine fo bedeutende Breſche gelegt, daß
fie mit 15 Pferden in der front zugänglid war. Wen dem erwarte:
ten Entſatz war weder Spur, nad Nachricht vorhanden. Da hielt ber
Graf auf Bitten der Bürgerfchaft Kriegsrath und bot nad deſſen
Ausipruch Uebergabe der Etadt gegen freien Abzug der Mannſchaft
mit voller Nüftung, Kraut und Loth an. Der Feind beftand mit
Hinweifung auf den Mauerbrud auf unbedingter Uebergabe. Mittler:
weile hatte ein Bote des Grafen Palffy durch Schwimmen die Stadt
erreicht mit der Nachricht, er werde des andern Tages Entjag mit
4000 Mann dringen, wenn die Stadt ſich noch fo lange halten fünne,
1) Der Grabftein eines „Ernft Friedrid Zidwolf, Hauptmann unter
bem hochlöbl. landgräflich Fürſtenbergiſchen Kreisregiment zu Fuß, geftorben
36 Jahre alt am 12. Oktober 1694* befindet fi auf dem Kirchhof.
596 Schsschntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Das hob die Hoffnung der Gamifon und Bürgerfchaft wieder, und es
wurde von leßterer fogar, fei es aus Mifverftändniß, fei e8 aus
Siegeszuverfiht, auf einen franzöflichen Parlamentär geſchoſſen, was
das Schickſal der Stadt Leider fehr erſchwerte. Des andern Tags
erjchienen die öftreichiichen Truppen ; allein ftatt 4000 Mann nur in
der Stärke von SOO Hufaren und 600 Kommanbdirten. Cie wurden
von den Franzoſen in der Ebene vor der Stadt empfangen und zurüd-
geichlagen, und in das Lager des Feindes rückte Verftärfung ven 3000
Mann Fußvolf unter dem Herzog von Bourbon ein. est war jede
Hoffnung auf eine erfolgreiche Vertheidigung abgeſchnitten; Garnifon
und Stadt ergaben ſich auf Gnade und Ungnade. Erſtere wurde mit
den vornehmften Bürgern, die man in Ketten ſchlug, gefünglic nad
Frankreich abgeführt. (Viele der Bürger wurden nachher unter die
franzöſiſchen Truppen geftedt und mußten mit diejen den fpanifchen
Erbfolgefrieg mitmachen.) Der Graf von Fürſtenberg wurde bis aufs
Hemd ausgeplündert; faum daß man ihm ein Pferd erlaubte, den
eg in die Gefangenschaft anzutreten. Das Schickſal der von Ein-
wohnern leeren Stadt war ebenfalls eine gänzlihe Plünderung. Die
Franzoſen nahmen auch die noch vorhandenen Soden, jo namentlich die
4 der Altjtädter Kirche mit fort (die der Barfüßer- und Stadtkirche
waren fchon beim zweiten Brande 1689 geraubt worden), und dies
Mal war es wohl auch, daß die fürftlihe Gruft in der Schloßkirche
erbrochen und die dort befindlichen zinnernen Särge zerichlagen wurden.
Die franzöfiihe Armee mußte jedoch fchnell nach Stuttgart worrüden,
und fo blieb wenigftens ein Vorrath an Mehl und Wein übrig. Das
war aber aud Alles, Kurz vorher bitten die Bürger das, was fie
vor dem zweiten Brand glüdlih in andere Städte, namentlid nad
Um, gerettet, nad) und nach wieder geholt; jeßt war Alles geraubt.
Das von Durlach nad Pforzheim verlegte Gymnaſium wurde wieder
aufgelöst und die Profefjoren zerftreuten fich im Auslande, Der Rektor
Bulyowsty wurde Mektor des Gymnaſiums in Ochringen, fpäter zu
Stuttgart. 1) Bendel kam nad) Schleswig, und Qudovict ftarb.
Bei der Lage Pforzheims an einer Hauptftraße war bie Stadt
bei allen Durhmärfchen der Einquartierung und Mißhandlung ausgeſetzt,
und jo kommt es auch, daß fait jeder Zug einer Armee durd eine
') Nah dem Ryswiker Frieden kehrte er jedoch wieder ins Badiſche zurück.
v
Echszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 597
Plünderung oder Verwüftung Pforzbeims begleitet it. Dies Schickſal
traf die Stadt im Jahr 1692 doppelt ſchwer.
Die Bürger, die vor der eben erzählten Plünderung die Flucht
ergriffen hatten, jammelten fih nah und nach wieder mit Ausnahme
derer, welche jib am andern Orten häuslich niedergelafien, Obgleich
die Zahl der Bürger Flein war, jo evicheint es doch fait unbegreiflich,
wie auch dieje Wenigen ſich noch ernähren Fonnten; denn der Mangel
und das Elend waren ſo allgemein, daß felbſt einige Mitglieder des
Gerichts und Raths, die ſonſt unter die wohlhabendſten Bürger der
Stadt gehörten, mit den ſchuldigen Zahlungen innehalten mußten. In
einem ſchreienden Mißverhältniß ſtanden damit die bedeutenden Geld—
forderungen an die Stadt auch in dieſem Jahre. Die Summe der
1692 zu zahlenden franzöſiſchen Kontribution betrug 833 Gulden.
Zur Montirung von 3 Reitern, 3 Dragonern und 24 Infanteriſten,
welche der Stadt und dem Amt Pforzheim zu werben anbefohlen
waren, mußte die Stadt 410 Gulden bezablen. 1) Dazu kamen auch
die beftändigen Koften der in Straßburg noch immer gefangen
figenden Pforzheimer Bürger, denen für diefes Jahr 200 Gulden
gejandt wurden. Gin wiederholter Verſuch, die gefreiten Perfonen zu
ſolchen Forderungen beizuziehen, führte erſt jpäter zum Ziel.
Im September 1692 war der Oberbefehlshaber der franzöfifchen
Armee, der Herzog von Lorges, von zwei Seiten von den verbündeten
Truppen angegriffen worden und zog fich fchnell nad Fortlouis zurüd.
Unerwartet aber brac er von dert wieder auf in der deutlichen Abficht,
Württemberg zu überfhwemmen. General Chamilly zug mit einem
Theil des Heeres voraus und rüdte raſch vor Pforzheim, das er am
14. September einnahm, nachdem die Franzoſen an mehreren Orten
die Stadtmauern geiprengt oder doch, wie beim Schleifthor, unterminirt
hatten. Die meiften Bürger waren wieder geflüchtet. Der Adminiſtra—
tor von Mürttemberg, Herzog Friedrich Karl, 2) der in die Gegend
von Pforzheim gefchit worden war, um Württemberg zu deden, fonnte
die Beſetzung Pforzheims nicht mehr hindern. Hier bei ‘Pforzheim
1) Ein Reiter foftete damals 130, ein Dragoner 120, ein Infanterift
20 Gulden.
2) Er war ver Onkel des noch minderjährigen Thronerben Eberhard
Ludwig.
538 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
wurde er aber von dem Herzog von Lorges, der unterbefjen mit ber
Hauptarmee über Durlach und Wilferdingen nachgerückt war, mit folder
Heftigfeit angegriffen, daß feine Truppen in die größte Unordnung ges
rietben und alle ihn verliefen. Er jelbft wurde nebft dem General
Seyer, 60 Gemeinen, einigen Standarten und dem ganzen Gepäde
gefangen und nah Straßburg geführt.
Nun begannen wieder die Verheerungen durch Ylünderung und
Brand. Chamilly, der bisher Pforzheim beſetzt gehalten, hätte es wohl
nicht gewagt, Pforzheim zu verwüſten, ehe er den Ausgang des Treffens
fannte. Als aber die württembergifhen Truppen fo völlig geſchlagen
waren, verbreiteten fich die Franzoſen in der ganzen Umgegend und
„wütheten mit Brennen und Plündern in den Städten und Dörfern.”
Am 48. und 19, September plünderten fie Knittlingen, Vaihingen,
Neuenbürg, Liebenzell und andere Orte, am 20. verbrannten fie Calw
und Hirihau, am 24. Knittlingen.
Auch im Pforzheim murde nunmehr faft Alles ein Raub der
Flammen, was bei den beiden frübern Bränden verfchont geblieben
war. Der öftlihe Theil der Stadt, den die Todesverachtung der Bürger
1689 gerettet hatte, das Predigerkloſter nebſt der Stadtkirche, insbe:
jondere aber auch die bisher ftehen gebliebene Brößinger Vorſtadt und
die Au mit der Auer-Brücke — Alles wurde in Aſche verwandelt.
Auch eine Menge jener ſchnell bingebauten Hütten, ſowie mehrere ber
feit dem letzten Brande nenaufgeführten Häufer nahm das Teuer
wieder hinweg.
Diesmal kamen die Franzofen auch nach Liebened, das wegen
feiner verborgenen Rage bisher von Plünderung und Brand verfhont
geblichen war. Dorthin hatte man ſchon früher das Stadtarchiv ver-
bracht, und auch Spezial Kummer, der bereits bei zwei Plünderungen
bart betroffen worden war, hatte mit andern guten Freunden Kleider,
Biftualien, Bettwert, — Kummer namentlich auch feine fchöne Biblio:
thek dorthin geflüchtet. Alles ging aber jebt verloren, und was” bie
Franzoſen nicht mit fortnehmen konnten oder was für fie feinen Werth
hatte, wie die Papiere des Archivs, wurde muthwillig verdorben und im
Hagenfchieß umber zeftreut. (ES finden ſich noch Rechnungen von
Perfonen vor, die mit Sammlung der auf foldhe Weife zerriffenen und
zerftreuten Urkunden 2c. beauftragt waren.) Bei ihrem Abzug ftedten
die Franzoſen das Schloß in Brand,
Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 529
Schon vorher hatte fih Spezial Kummer, diefer für das Wohl
feiner Gemeinde unermüdlih thätige Seelforger, der bisher in allem
Leid getreulich zu derfelben geftanden, aber jest beim Wiederheranrücken
der Franzofen mit den größten perfönlihen Gefahren für feine Sicher:
beit, ja fein Leben bedroht war, nach Um. geflüchtet, wohin aud bie
Kirchengeräthe 2c. gebracht worden waren. Von dort aus richtete er,
als er die Unmöglichkeit einſah, unter obwaltenden Umftänden nad)
Pforzheim zurücdzufehren, und eben eine Aufforderung erhalten hatte,
fih an den marfgräflihen Hof nach Baſel und in die Herrichaft Nötteln
zu begeben, an feine Gemeinde den bereit mehrfach angeführten Ab:
ſchiedsbrief, 1) der, wenn man jett auch allerlei daran auszufeken finden
dürfte, doch überall von der Liebe Zeugniß gibt, mit welcher diejer
würdige Geiftliche feiner Gemeinde zugethan war, und von dem Eifer,
mit welchem er fi) das geiftlihe Wohl derfelben angelegen fein Tick.
Nachdem fi) die Franzofen am 8. (18.) Oftober wieder aus
der Gegend entfernt hatten, kehrten de Bürger nach und nach zu
ihren Schuttftätten zurüd und bauten fid) wieder Hütten. Pforzheim
gewährte ein trauriges Bild. „An der ganzen Stadt ſah man nur
rauchende Trümmer, und aus diefen ragten die noch ftehenden, aber
zum Theil ihrer Thürme beraubten, ſchmuckloſen Kirchen düſter empor.
Eine Menge Hände war beichäftigt, aus den Schutthaufen das noch
erhaltene Hausgeräthe herauszufuchen. Auf dem Marfte vor den
Bäderläden ftanden die Kinder baufenweife und ſchrieen um Brod, und
die Bürger liefen ängſtlich umher, bald da, bald dort um Hilfe an—
ſprechend.“ So jchildert ein Augenzeuge den damaligen Zuſtand ber
Stadt.
Um die Noth noch größer zu machen, kam kaum 8 Tage nach
1) Der vollftändige Titel desfelben lautet: Das Nichtiehen und Wieder:
iehen über ein Kleines, oder Matthaei Kummers Hodfürfl. Marggräfl
Badiſchen Kirchenratbs Sp. Superintendenten und Stattpfarrer in Pforgheimb
Schriftlicher Abſchied. Welchen Er anftatt einer verlangten Valet-
Predigt, von feinen allerfeits vielgeliebten, und obnedem über ben kläglichen
Zuftand, darinn Cie auf Gottes gerechtem Strafgerichte, zu verſchiedenen
mablen gerathen, höchſt Betrübten Pfarr: und Beichtsflindern bafelbft, auf eine
Zeitlang nehmen müflen. — Psalmi CXXXVII, ®. 5 u. 6: Vergeſſe ich bein
(Pfortzheimiſches) Zerufalem, fo werde meiner Rechten vergeifen, meine Zunge
müße an meinem Gaumen leben, wo ich Dein nicht gedenke — ULM. Drudts
Ferdinand Maud, 1694,
Pflüger, Pforzheim. 34
530 Scchszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
dem Brande ein Befehl des franzöfiihen Kommandanten zu Straß:
burg, daß die Stadt Pforzheim für das Jahr 1693 4000 Reichsthaler
zablen und einen Theil diefer Summe innerhalb 14 Tagen entrichten
fole. Die Bürger mußten mit ihrer noch übrigen Habe haufiren gehen,
um aus deren Erlös die Kriegsgelder bezahlen zu können.
56. Die folgenden Kriegsjahre. Der Friede zu Uyswik
(1693 — 1697.)
Die Bürger hatten nicht lange die traurige Freude, wieder in ihren
Häufern und Hütten zu wohnen; benn bald nad dem Brande zog
wieder eine neue franzöfifche Garnifon ein unter General Molineaur.
Die ganze Umgegend wurde von den Franzoſen befekt; ihr Haupt:
quartier war zuerft in Graben, nachher in Grötzingen. Die Bürger
von Pforzheim waren, ehe noch diefe Garnijon einrüdte, um eine Balva
guardi (Sauve garde) eingefommen und mußten deshalb auch bedeutende
Schuß: und Sicherheitsgelder erlegen; aber fie erlangten damit nichts
Weiteres, als daß die Stadt von einem neuen Brande verfchont blieb;
bie Plünderung, die im Juli 1693 erfolgte, war fo hart und drüdend,
wie die frühern. Die ftarte Garnifon, die vielen Truppen in ber Gegend
batten faft alle Lebensmittel aufgezehrt; der Feldbau lag bei den
unaufhörlihen Truppendurchmärſchen ganz darnieder. Der damalige
Stadtrath fagt in einem Bericht, daß nicht mehr als noch 9 Pflüge in
Pforzheim feien, während es fonft 70 — 80 geweſen. Das verurfachte
bedeutenden Fruchtmangel, wodurd auch der Preis des Kernens auf
bie für die damaligen jo geldarmen Zeiten höchftbebeutende Summe
von 27 Gulden ftieg. Diele Bürger wußten ſich nicht anders zu bel-
fen, ‚als daß manche ihre Güterftüde, theils um Mittel zur Stillung
ihres Hungers zu erhalten, theils um die ſchweren Kriegsſteuern ent=
richten zu können, um eine Kleinigkeit weggaben. 1) Wie fehr der Preis
1) Aeltere Chroniken (Deimling) erzählen, daß bamals Güterftüde um
einen ober mehrere Laibe Brod, einmal um einen Saumagen, (movon bas Ed
zwifchen ber Durlacher und Ettlinger Straße den Namen erhalten haben foll,)
weggegeben, ein ander Mal ein Ader unter der Bebingung hergeſchenkt worben
fei, daß ber Empfänger für den bisherigen Eigentbümer ein Baterunfer bete,
wovon ber Ader ben Namen „Baterunferader“ erhalten babe, Derſelbe trug
inbefien jhon vor dem orleans’ihen Krieg biefen Namen.
Schözehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 531
ber Güter gefunfen war, davon einige Beiipiele. Ein Morgen Ackers
am Kiefelbronner Weg wurde damals um 10 Gulden, 1/, Wiefen auf
den Weiherwiefen und 11/, Viertel Ader bei der Blumenhecke um 33
Gulden, 3 Biertel Ader in den Stidelhälden um 2 Gulden, 13,
Morgen Ader im Bröginger Feld um 30 Gulden, 1/, Morgen Acker
in der Zeil um 10 Gulden, 1/, Morgen Ader am Brettener Weg um
10 Gulden, 1, Morgen Ader am Wingertweg um 8 Gulden, 31,
Viertel Ader im Hadel um 10 fl. 30 fr., 6 Morgen Eichen- und
Tannenwald im Weyrich um 40 fl., 11/, Morgen Wald ebendafelbft
um 9 fl. 14 fr, verkauft. (Die Gemeinde Baufdlott verfegte am
23. April 1694 gegen 300 fl., welche zur Bezahlung von Kontributio:
nen aufgenommen worden waren, 40 Morgen Eich: und Buchwald.)
Die dadurch verurfachte Noth mar fo fchredlih, daß viele Men:
[hen Hungers ſtarben. Mande Bewohner der Stadt wanderten wieder
aus; andere hielten fich in den umliegenden Waldorten verborgen. Go
kam es auch, daß fich zu Ende des Jahres 1693 faum noch der vierte
Theil der frühern Bevölkerung in Pforzheim befand. Wie ein Spottlied
Hangen in diefen allgemeinen Sammer einige Befehle an die Bürgerſchaft.
Eine Dienerin aus dem Gefolge des franzöfifchen Intendanten Lagrange
zu Straßburg war lange an einem Beinbruch bier gelegen; nun mußte
die Stadt nicht allein die KRurkoften, welde 2 Dubfonen (14 Gulden)
betrugen, bezahlen, fondern auch, da eine Empfehlung, 5. h. ein Befehl
bes Intendanten felbft vorlag, ihr das Meifegeld bis nad Straßburg
mitgeben. Sie erhielt 10 Gulden aus den Kriegsgeldern, bie aber,
da nichts vorhanden war, erft erefutorifch eingetrieben werden mußten.
Um einer franzöfifhen Magd Reiſegeld zu verſchaffen, erhielten die
mit dem Hunger kämpfenden Bürger Erekution!i) Ein Befehl ähn—
liche Art kam von der Landesregierung felbft. Vermuthlich um größerm
Unheil vorzubeugen, beſchloß diefelbe, dem franzöfifhen Kommandanten
von Philippsburg, von deffen Laune das Schickſal der Markgrafſchaft
faft ganz abhing, ein Geſchenk mit einem Pferde zu machen. Pforzheim
mußte dazu 42 Gulden hergeben. Gleich nach der legten Plünderung
war auch eine aus ſchwäbiſchen Kreistruppen beftehende Garnijon ein
2) Der Roſenwirth Beckh'ſchen BVerlaffenfhaft wurde damals beifpielweile
zur Bezahlung rüdftändiger Kontributiong- und anderer Kriegsgelder Güter
im Zwangsweg verfleigert. 34.»
532 Sechszehntes Kapltel. Pforzheim im orleans’shen Serien.
gezogen. Sie war aber freilih nicht nur läftig, fondern auch über:
flüffig; denn fie gewährte durchaus feinen Schub. So oft ſich fran—
zöfiihe Truppen näherten, zogen ſich diefe Garnifonen jedes Mal zur
Hanptarmee zurüd,
Auf Ähnliche Weife verlief das Jahr 1694. Das ganze Fahr
lag das Durlachiſche Negiment bier unter dem Marihall v. Men:
zingen, dem Oberftwachtmeifter Barth, den Hauptleuten Piſtorius, von
der Nida, Borkheimer, Krummhaar, Wucherer ꝛc., auch Abtheilungen
des fürftenbergifhen Regiments unter Klizing und Zichwolf, ſowie des
borniihen Regiments. Diefe Garnifon betrug ſich aber fo roh, daß
der Stadtrath 1) zuletst Elagend einfommen mußte. Am der betreffenden
Eingabe beißt e8 unter Anderm, „daß aus Mangel an Kafernen die
Bürger die Soldaten in ihren Stuben Tiegen laffen müßten, wovon
beide Theile erkrankten; ferner daß die Offiziere die Soldaten nad
eigenem Belieben einquartierten, was doc die Franzoſen nicht einmal
gethan.“ Damit hängt auch der Befehl zufamnın, feinem Soldaten
Etwas abzukaufen; denn die Bürger wurden fait öffentlih von den:
felben beraubt.
Die Geldlieferungen an die Franzoſen und den ſchwäbiſchen Kreis
dauerten fort. Unter den außerordentlichen Lieferungen waren die fog.
Melac'ſchen Fouragegelder, eigentlich ein Einkommen für die Privatkaſſe
des General Melac. Die Stadt Pforzheim mußte 140 XTrentefols
(& 45 fr.) bezahlen. Und da doch einmal außerordentliche Forderungen
an der Tagesordnung waren, fo wollte aud die badifche Regierung
nicht zurücbleiben. Sie erlich den Befehl, daß von den hiefigen Bürgern
außer dem gewöhnlichen Zehnten von Frucht, Heu (Heuzehnten war in
Pforzheim nie gegeben worden) und Wein auch der Dreißigfte geliefert
werden ſollte. Die Vorftellungen dagegen hatten wenigftens den Erfolg,
daß die zuerft geforderte Averfalfumme von 600 Gulden auf 200
Gulden ermäßigt wurde. Ä
1) Derielbe beſtand ſammt Gericht damals aus folgenden Mitgliedern:
(Herr Dberamtsverwefer Heyland, Stabtichreiber Götz), amtötragender Bürger—
meifter Martin Zoller, Altbürgermeifter Xob, Ib. Deimling, Hs. Ulrich Kiefer,
Seb. Scheidlin, Mid. Holdmayer, Leonhard Herbfter, Hs. Ag. Kercher, Nill.
Burkard, — Joh. Fauler, Joh. Ib. Lötterlin, He. Mart. Meier, Rud. Korn:
mann, Chriſt. Abreht, Hs. Gg. Oſtertag, Chriſt. Wohnlich, Bernhard Minderer,
Konr. Kap, Hs. Gg. Feldner.
Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krien. 533
Im Monat Mai 1695 näherte ſich die franzöfiiche Armee unter
Marſchall Delorges wieder unferer Gegend und lagerte ſich bei Bruch⸗
ſal. Dieſe Nähe des Feindes verurſachte abermals allgemeine Flucht 1)
und was davon unzertrennlich war, neue Verluſte. Doch blieb es
dies Mal bei der bloßen Angſt, und die Bürger konnten Mitte Juni
wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. Es wiederholten ſich indeß
bald die Klagen über das rohe Betragen der Garniſon unter Haupt:
mann Krummbaar. Noch mehr Tag jedoch dem Stadtrath die gute
Stimmung de8 Kommandanten zu Philippsburg am Herzen. Man
wurde einig, demjelben im Namen biefiger Stadt ein gut Efjen Forellen
zu übermachen. Im Oktober war hier vorübergehend das Hauptquar—
tier der Alliirten; 2) im November war Obriftwachtmeifter Breitholz
Kommandant zu Pforzheim. 3)
Mit dem Jahr 1695 ſchloß ſich die härtefte Veidenszeit der
Pforzheimer. Die Noth blieb zwar noch groß genug, und fie waren
nichts weniger als völlig befreit von fernern Kriegslaften. Sie wurden
noch immer mit Gamifon gedrüdt; noch immer währten die Zahlungen
und Gelderprefiungen; aber fie konnten doch wenigſtens wieder in ihren
Hütten wohnen, ohne mehr einem Brande ober einer allgemeinen
Plünderung preisgegeben zu fein. Als Beifpiel der damaligen Noth
ftehe nur das hier, daß die Tochter des vorher fehr wohlhabenden Alt:
bürgermeifters J. J. Deimling aus Mangel anderweitiger Nahrung
durch Lohnwäſchen ihren Unterhalt fuchen mußte.
Ein im Mai 1696 befürchteter, jedody nicht zu Stande gekomme—
ner, abermaliger Uebergang der Franzoſen über den Rhein ging mit
ber bloßen Angft worüber, hatte jedoch eine Rathsſitzung zur Folge, in
welcher auf den Vorfchlag des Dürgermeifters Leonhard Herbiter be-
fhlofjen wurde, dem Herrn Kommandanten und Kommiffario zu Phi:
lippsburg bei Ueberjendung einer Abfchlagszahlung zur franzöſiſchen
Kontribution auch „eine gute traget grundel und forellen zu überſchicken.“
1) Im Kirchenbuch von 1695 ift als getauft aufgeführt: 1. Juni: Daniel,
Bat. Herr Rudolf Kornmann, und dabei bemerkt: NB. Wurde in der Flucht
zu Tiefenbronn von Herrn Deimling, Pfarrer in der Altenfladt, getauft.
2) Es befand ſich dabei ein Generalwachtmeifter v. Thüngen, und fland
derfelbe bei einem Kinde des Sattlers Hs. Jerg Siegele zu Gevatter.
°) In diefem Monat war auch die Markgräfin Augufta Maria auf Beſuch
in Pforzheim und verfah dafelbft bei mehrern andern Kindern Patbenftelle.
534 Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’ihen Krieg.
Kommandant war zu Pforzheim in biefem Jahr der Obriftiwachtmeifter
Ludwig Friedrid Schilling v. Cannſtatt.
Wie geringe Hoffnung auf baldigen Frieden man ſich machte,
geht aus den im Jahr 1696 von Seiten des Oberkommandos ber
beutihen Truppen mit neuem Eifer begonnenen Operationen bervor.
Um bier nur das anzuführen, was in der nächſten Umgebung Pforzs
beims geſchah, jo wurden dur den ganzen Hagenſchieß Verhaulinien
angelegt, woran das ganze Jahr gearbeitet wurde, und gegen Ende
bes Jahres bis in das folgende Jahr hinein geſchah dasſelbe auch im
Kallert. Auch wurden im Hohberg allein 1230 Stück Palliſaben
gehauen. Dadurd wurden natürlich dieſe Waldungen nicht wenig
ruinirt.
Zu den auferorbdentlihen Geldern, melde die Etabt Pforzheim
in ben Jahren 1696 und 97 bezahlen mußte, waren: 500 Gulden
„Beihilfsgelder der untern Markgrafſchaft“ an die badiſche Megierung,
631 fl. 30 kr. Fouragegelder an die Franzofen, 128 fl. 30 fr. Habers
geld am bdiefelben, fodann eine Menge von Auslagen für die Kreis:
truppen, obgleich eigentlich Pforzheim nur das Obdach für die Gar:
nifon zu leiben, keineswegs aber fie zu verpflegen hatte. Außerdem
mußte die Etadt auch mehrfach zur Verpflegung auswärtiger Garni:
fonen beitragen, 3. B. für die damals in Menzingen und Flehingen
liegenden Huſaren.
Endlich nady neunjährigem Kampfe, der faft ohne entfcheidendes
Treffen geblieben war, zeigten ſich alle Theilnehmer des Krieges müde,
Die Friedensunterhandlungen gediehen am 30. September 1697 (mit
England, Holland und Spanien) und am 30. Dftober (Kaifer und
Reich) in dem Schloß Ryswik bei Haag in Holland zum endlichen
Schluſſe. Ludwig XIV. mußte alle reunirten Orte an Deutichland
zurüdgeben, ebenfo die gemachten Eroberungen, u. A. Philippsburg,
Kehl, Altbreifach, Freiburg, durfte aber den Elſaß mit der NReichsftabt
Straßburg behalten. So endigte ein Krieg, der nach der Verficherung
eines Zeitgenofjen und Augenzeugen (Kummer) „mehr zerjtört hatte,
als der ganze alte deutiche Krieg in feinen 30 Jahren.“
Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orkeans’chen Krieg. 535
Anbang.
Melac in Pforzheim.
Bon Ludwig Auerbad,
Dumpf dröhnet die Glode ſchrillen Klang,
Berzweiflung reißt an dem zudenden Etrang,
Berzweiflung irrt burd bie Straßen.
Gebrochen nad Tanger und tapferer Webr
Der Mauern Wälle durch Melac’s Heer,
Durch Freunde, die Treue vergaßen,
Die Pforzheim in tieffter, bitterfter Noth
Berließen und heimlich entwichen !
Die Bürger fanden, bis feig der Tod
Als Pet in die Reihen gefchlichen.
Die Glode ruft bange — ihr dumpfer Klang
Begleitet ben erniten, fchweren Gang
Der letzten ber tapfern Bürger;
Sie fchreiten zum Markte, wo Melac ftebt,
Die blutrothe Fahne des Schredens weht
Aus der Tagernben Horde ber Würger.
Im dunfeln, unheimlihen Auge glüh'n
Der Mordluft düftere Flammen,
Die Funken teufliiher Woluft ſprüh'n,
Brit ein Opfer der Dual zujammen.
Die Legten der tapfer Bürgerihaar —
Meift Greife im Iodigen Silberhaar —
Bor Melac Inieen und flehen:
„D Herr, laß genug fein ver Bein, ber Noth !
Nimm nit den Hungrigen Obdach und Brot —
O laſſe vorübergeben
Das Schreckensgericht, das im lohenden Brand
Einäſchert die Heimath der Armen.
Beflecke mit Blut nicht Deine Hand —
Sei milb und übe Erbarmen!”
Stil lauſchet der Lenker ihres Geſchicks:
Ein Strahl der Milde im Leuchten bes Blicks
Berfündet die menſchliche Seele.
536 Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’ichen Krieg.
Und menſchlich fühlend verdammt er bie That:,
„Der Teufel figt im Pariferrath
Und ſchreibt mir die Blutbefehle!
Doch muß ich geboren!" — Melac wintt,
Die Bürger eilen von bannen.
Der Attila Deutſchlands winkt — es blinft
Blutgleigend die Wehr der Tyrannen.
Der Attila Deutihlands winkt — es lauſcht
Die Horde der Söldner gierberauſcht —
Da ihmettern belle Fanfaren.
Und bligesichnell fih die Horde zertheilt —
In jeder Fährte des Windes eilt
Ein Troß der wilden Barbaren.
Schon züngelt das euer bier und bort!
Bald Hält es in riefigen Schlangen,
Sturmathmend fih dehnend fort und fort,
Zermalmend die Stadt umfangen.
Zum Hinmel jchweift jehnend der Flammenſtrahl,
Die Sloden wimmern, zum Badanal
Des bürftenden Mordes zu laden ;
Der Himmel erglüht vom Flammenroth,
Roth färbt die Erde mit Blut der Tod,
Ter Würger ohne Gnaben.
Fin wildes üppiges Siegesfeft
Hat Melac's Troß ihm bereitet,
Der mähenden Schwertes blutdurchnäßt
Auf zudenden Leichen fchreitet.
Nah jedem Morde ein Yubelfchrei!
Und brüllend ftürget die Bande vorbei,
Nah neuen Opfern zu fuchen.
Sie fchredt nicht des Greifen geweihtes Haupt,
Nicht der Kinder Jammer, bie vaterberaubt
Den jauchzenden Mördern fluchen.
Der Ruf der Verzweiflung, der allerwärte
An liebe Todte ſich klammert,
IR ihnen Muſik — fie entzückt der Schmerz,
Der über den Opfern jammert.
Umfonft, daß die Mutter zu retten ſucht
Die bebenden Kleinen auf eiliger Flucht —
Umſonſt, mit erhobenen Händen,
Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 537
Die Kinder bedeckend mit ihrem Leib,
Erflehet fie Schonung; — «8 fieht das Weib
Die heiligen Leben enden —
Die Leben der Liebel — Bon ihrer Bruft
Wirft in die gierige Flamme
Das entießte Kleine — des Henfers Luſt:
„Das Feuer fei beine Amme!“
Berderben ringeum! Verzweiflung und Bein
In grafien Bildern vom Flammenſchein
Beleuchtet mit ſchrecklicher Helle;
Die ftürzgenden Häufer in tojendem Fall
Begraben der Flüchtigen fümpfenden Schwall;
Nicht reitet des Fußes Schnelle,
Dort ftürzen verbunden Hand in Han,
Verfolgt von den Tigerjeelen,
Eich Frauen und Mädchen in lohenden Brand,
Den Tod ftatt der Schande zu wählen!
Nur Einen im wilden Siegesfeft
Dis Mordes die Ruhe nicht verläßt:
'S iſt Melac auf fhauendem Thurme.
Starr blickt ſeine Auge und ſeelenlos
Auf Pforzheim, das in des Verderbens Schooß,
Am riefigen Flammenfturme
Aujammen vor feinen Bliden bricht;
Er höret der Sterbenden Stöhnen,
Und Ihn verwünichend als letzt Gericht
Die Seufzer Erblaffender tönen.
Siehbzehntes Yupitel
Die erften Jahrzehnde des 18, Jahrhunderts, ')
(1697 — 1746.)
$ 1. Allgemeines.
As Markgraf Friedrid Magnus im Jahr 1698 nach faft zehn:
jährigem Eril mit feiner Familie und feinem Hof von Bafel aus
wieder in fein Land zurückkehrte, fand er dasſelbe aufs Entſetzlichſte
vermüftet. Von fämmtlichen Ortſchaften waren kaum 50 unbeſchäbigt
geblieben, und die Bevölkerung des Landes hatte ſich auf den vierten
Theil des früheren Beftandes vermindert. Der durch Brand, Plünde:
rung und Verheerungen aller Art der damals noch Heinen Markgrafſchaft
zugefügte Schaden wurde auf 9 Millionen Gulden berechnet. In fämmt:
lichen Schlöffern des Markgrafen, fo zu Durlach, Pforzheim, Mühl:
burg, Berghaufen, Remchingen, Staffort, Graben, Emmendingen, Sulz:
burg, Badenweiler und Nötteln hatten die Flammen gewüthet. Zu
allem Unglück mußte auch bei den Feierlichkeiten, welche der Fürft
wegen des erjehnten Triedens in Baſel veranftaltete, in feinem bor-
tigen Schloffe während der Nacht ein Brand ausbrehen, dem bie
marfgräflihe Familie nur mit Noth entrinnen konnte und ber bas
Gebäude ſammt allen darin befindlichen Vorräthen, Mobilien und Koft:
barfeiten verzehrte. Manches, das in Kellern und Gemwölben dem
Feuer entgangen, wurde wenige Tage darauf durd den Einſturz einer
Mauer zu Grunde gerichtet.
Kaum hatten die Bemühungen des Markgrafen, die vom Krieg
zerftörten Einrichtungen feines Landes wieder herzuftellen, begonnen,
fo wurden diejelben durh den 1701 ausbrechenden fpanifchen Erb:
ı) Quellen: Verſchieden, hauptfählid aber Ratböprotofolle, Bürger:
meifterrehnungen, Kirchenbücher, Zunftrehnungen, Archivalaften, Familien:
aufzeihnungen x,
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,. 539
folgefrieg wieder unterbrochen, fein Land neuer Bebrängnig preis:
gegeben und der Markgraf zu abermaliger, wenn auch nur kurz an-
bauernder Flucht in fein neu erbantes Haus zu Bafel genöthigt. Das
Ende des Krieges follte jedoch der unglücliche Fürft nicht mehr erleben.
Er ftarb, 63 Fahre alt, 1709 zu Karlsburg und wurde am 13. Juli
in der fürftlihen Gruft zu Pforzheim beigefeßt. Eine Tafel im
Reuchlinszimmer der Schloßkirche zeigt das Bildnig diefes Fürften in
rothem Kleid auf dem Paradebette. Ihm folgte, SO Jahre alt, 178
feine Gemahlin, die fromme Augufta Maria, eine eifrige Verehrerin
der Dichtfunft und felbft auf diefem Gebiete thätig. 1) Unter den
11 Kindern, die diefer Ehe entiproffen, waren zwei Söhne, Karl Wil:
beim und Chriſtoph. Erfterer folgte feinem Vater in der Regierung
nad), letzterer befleibete verfchiedene militäriihe Würden und nahm ine:
befondere am fpanifchen Erbfolgefrieg effrigen Antheil. Er ftarb 1723
und wurde in Pforzheim begraben. In der Schloßkirche zeigt eine
gemalte Tafel das Bild des auf dem Paradebett Tiegenden Fürften.
Markgraf Kart Wilhelm hatte ebenfalls im fpanifchen Erb—
folgefrieg mitgefämpft; es rief ihn jedoch des Waters Ableben 1709
daraus zurüc.?) An Regierungsgefhäften nahm er eifrigen Antheil
und zeigte fich überhaupt als einen Fürſten, dem es darum zu thun
war, das Miederaufblühen des Landes nad Kräften zu fördern. Die
erihöpften Finanzen desfelben wußte er wieder flüffig zu machen und
in Ordnung zu bringen, fo daß es ihm gelang, die fchwere Schuldenlaft
des Landes bis auf den Meinten Betrag zu tilgen. Wohlthätig gefinnt
unterftübte er Verunglückte, Wittwen und Waiſen und gründete für
Yetstere das große Landeswaifenhbaus zu Pforzheim, von dem
unten mehr gejagt werden wird. Ueber das adeliche Fränleinftift,
das Amalie Elifabeth von Menzingen, geborene Bettendorf, mit ihrem
Gemahl Gottfried von Menzingen am 2. Mai 1721 zu Pforzbeim
fiftete, übernahm er für fi und feine Nachkommen die Schutzherrſchaft
und ertheilte ihm verfchiebene Privilegien. 3) Unter die Erwerbungen,
1) Vergleiche die Schrift: Leben, Lieder und Lieberpflege der Augufla
Marta, Markgräfin von Baden:Durlah, von K. Dreher (Berlin, Schlawig-
1858,)
3) Die Privilegien der Stabt Pforzheim beflätigte er unterm 1. Auguſt
1709 (Stabtardiv).
2) Das Stift wurde am 7. November 1721 feierlichft eröffnet und zugleich
540 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746.
welche er zur Vergrößerung feines Landes machte, gehörte auch 1726
das Schloß zu Bauſchlott, das zwar ſchon Markgraf Georg Fried:
rich 1604 am ſich gebracht, aber wieder veräußert hatte, 1) Auf gleiche
Weiſe erwarb er 1730 das Schloß Karlshaufen fammt einem Theil
des Fledens Dürrn?) von Karl Magnus von Leutrum,
Bekanntlich ift Karl Wilhelm auch der Gründer von Karlsruhe.
Urfprünglih nur ein Jagdſchloß, das er 1715 im Hardmwald erbaute
und als großer Blumenfreund mit den herrlichſten Gartenanlagen umgab,
lockte es bald noch mehr Anfiebler herbei, und es entftand um dasſelbe
nach und nad; eine, anfangs nur aus Holz aufgeführte Stadt, im welche
der Markgraf von Durlach aus feine Mefidenz verlegte.
Mie fein Vater, fo war auch Karl Wilhelm durch einen Krieg, und
zwar den polnifhen (1733—1735), gezwungen, fein Land zu ver-
laſſen und in Baſel Schutz zu fuchen. Seine Gemahlin mit ihren
Kindern ließ er jedoh in Durlach zurück. Sein Aufenthalt in Bafel
dauerte indeffen nur kurze Zeit.
Karl Wilhelm ftarb 1738. Seine Eingeweide wurden in die fürft-
liche Gruft nach Pforzheim gebracht, fein Leihnam aber unter dem
Altar der (1307 abgetragenen) Goncordienfirhe zu Karlsruhe beigefekt.
In der Schloßkirche erfterer Stadt befindet ſich das Bildniß des auf
dem Taradebett liegenden Markgrafen. Er war vermählt gewefen mit
der württemberaiihen Prinzeffin Magbdalene Wilhelmine, die ihrem
Gemahl 1742 in die Ewigkeit nachfolgte und in der fürftlichen Gruft
zu Pforzheim begraben wurde. In der Schloßkirche ift das Bild der
Fürſtin zu fehen, wie fie im ſchwarzem Kleide auf dem Paradebett
Tiegt. 3) Die beiden Ehegatten mußten den Kummer erleben, alle ihre
die erfte Webtiffin, Nofine Su’anne Katharine Philippine von Benningen, ein:
geweiht, auch bie erften Stiftsbamen eingeführt. Das adelihe Damenftift
befand fih bis 1858 in Pforabeim, in welchem Jahr es nad Karlsrube ver,
Tegt wurde. Das Haus von Fabrifant A, Nösgen in ber Leopoldsftraße war
das Stiftsaebäube, vorher das von Chriſtoph Beder am Schloßberg.
ı) 1609 an Erbarb von Ramminaen, von dem es an Johann Reonbarb
v. Sternenfels übernina. Bon biefem brachte es ber Markgraf wieder an das
badiihe Haus. Veral. Sachs V., S. 177.
N) Der andere Theil von Dürrn war ſchon 1637 durch Taufh von
Württemberg an Baden-Durlach gekommen.
’) Neben biefem Bild hängt das ihres Älteften Sohnes, des im 11.Lebens⸗
jahr geftorbenen Prinzen Karl Magnus,
Siebzehntes Rapitel. Pforzheim von 1697 - 1746. 541
Kinder vor ihnen in das Grab finken zu fehen. Dem erftgeborenen
Prinzen folgte auch der andere und noch einzige, Friedrich, der 1732
in feinem 29. Lebensjahr mit Hinterlaffung zweier Söhne, Karl
Triedrih und Wilhelm Ludwig, ſtarb. Er rubt in der Gruft zu
Pforzheim. 1) Der Erziehung diefer Prinzen nahm ſich ihre Großmutter
Magdalene Wilhelmine um fo eifriger an, als die immer leidende
Mutter derjelben diefer Pflicht nicht nachtommen Konnte. Als Karl
Wilhelm 1735 ftark, hatte fein 1728 geborener Enkel, der nunmehrige
Erbprinz Karl Friedrich, fein zehntes Lebensjahr noch nicht zurückgelegt.
Es wurde deshalb eine vormundfcaftliche Negierung eingefeßt, die aus
der Großmutter des Erbprinzen, feinem Obeim Karl Auguſt und dem
geheimen Staatskollegium beftand. Die Beftätigung der Privilegien
der Stadt dur die Wormundichaft erfolgte am 26. Juli 1738, 2)
jedoeh mit dem (aus unten folgender Darftellung des Privilegienftreites
erffärlichen) Zuſatz, daß „da inmitteljt wegen Veränderung der Zeiten
dabei das Eine oder das Andere nothwendig hat geändert werden
müſſen, fie fich der bisherigen Obiervanz und dem des wegen unterm
12. Juli 1723 ergangenen Befehl nad) Ausweis des fammergerichtlichen
Urtheils vom 12. Januar 1724 gemäß zu bezeigen fchuldig und gehal:
ten fein follen 20." — Die vormimdfchaftliche Regierung wirkte bei
pflihtgetreuem Eifer der beigeordneten, Räthe wohlthätig act Jahre
lang für das Land, bis der vom Kaifer für volljährig erflärte Erb:
prinz 1746 die Regierung antreten konnte. Ihr wird das nächſte
Kapitel gewidmet fein.
$ 2. Befonderes. Wiederaufbau der Stadt. Verſuche zur Herbei-
führung befferer Buftände.
Bei der Nüdkehr in jein Land bezog Friedrich Magnus das
jeiner Gemahlin Augufta Maria gehörige Schlößchen oder fogenannte
bohe Haus zu Größingen, das nachher von feiner Befigerin den
Namen Auguftenburg erhielt, den es heute noch trägt. Dasfelbe war
aber noch nicht ausgebaut und bot für einen fürftlihen Haushalt
nur beſchränkten Naum. Der Markgraf jah ſich deshalb genöthigt, big
) In der Schloßkirche befindet fih auch fein Bild,
*) Diele Beſtätigungsurkunde ift bie einzige, welche im ftädtifchen Archiv
fehlt. Eine Abſchrift davon habe ich in den Alten des Landesarchivs gefunden.
542 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746,
zur Vollendung des Baues, weldher mit möglichfter Eile betrieben
werden follte, 1) feine Reſidenz einftweilen nad Pforzheim, wo ber
Markgraf fih ſchon im Dezember 1697 vorübergehend aufgehalten hatte,
zu verlegen, was im Oktober 1698 geſchah. Ein Theil des dortigen
Schloſſes, das fog. „alte Gebäu” (S. 448) war nämlich von den
Flammen verfhont geblieben und darum noch bewohnbar. Die be
treffenden Räume beftanden in 12 Stuben, 12 Kammern, 4 Küchen
und 2 Gewölben, welche Gelafje im Sommer 1698 im Ganzen 1609 fl.
45 fi. Herftellungskoften erforbderten.
Hatte die Stadt ſchon bei der Vermählung des Erbprinzgen Karl
Wilhelm mit der württembergiſchen Prinzeffin Magdalene Wilhelmine,
welhe am 20. Juli 1697 ftattfand, an dem Geſchenk von 4000 fi.,
das die untere Markgrafihaft laut fürftlihen Anmahnungsſchreibens
der Braut machen follte, ihren Antheil mit 266 Gulden bereitwillig
entrichtet, fo überfandten die Pforzheimer auch, als fie die Zurückkunft
ihres Fürften und deffen Brandunglüd in Baſel erfuhren, ihm als
Zeichen ihrer Liebe und Xheilnahme durch Bürgermeifter Chriftoph
Wohnlich 1) die für damalige Zeit nicht unbedeutende Summe von
200 Gulden ohne Anmahnung als Geſchenk. Dasfelbe ift um fo
höher anzufchlagen, als die Verhältniſſe in Pforzheim durchaus noch
nicht der Art waren, daß fie den Bewohnern erlaubt hätte, viel herzu:
1) Auch an den Wiederaufbau der Karlsburg zum Durlach wurde raſch
Hand gelegt; aber der bald wieder ausgebrochene Krieg hinderte bie Vollendung
des Schloffes, fo daß nicht mehr als ber vierte Theil desfelben zu Stande fam
und bas ganze Schloß aud nie ausgebaut wurde,
2) Bürgermeifter waren in bir Zeit von 1698 — 1725 Chriſtoph
Wohnlich, Leonhard Herbfter, Heinrich Baurittel, Joh. Chriſtoph Deimling
und Konrad Schober. — Das Amt eines Obervogto befleidete zu Anfang
des 18. Jahrhunderts Wolfgang Kuno dv. BWallbrunn, 1710 Johann Daniel
v. Et. Andre, 1712 Wilhelm v. Traubnig, nad ihm bis 1723 Daniel Dietrid
Scheidt, auf diefen Joh. Wilhelm zur Gloden, als deffen Nachfolger 1734
Friedrih Erdmann von Glaubig genannt wird, Bezüglich eines Yürgermeifter:
interregnums ift in dem Kirchenbuch von 1716 wom damaligen Epezial Wei:
ninger Folgendes als große Merlwürdigkeit aufgezeichnet: „Den 25. März
1716 ward Herr Chriſtoph Deimling des Gerichts und Weißbed, nachdem
Herr Heinrich Baurittel, fo ben 24. zum Biürgermeifter erwählet worben, ſol⸗
ches aber bei Ser. abgebeten, — nad dem Gottesdienft zu einem Bürgermeifter
erwählet, ift alfo ein Interregnum von 24 Stunden in ber Stabt geweſen,
daß Keiner das Türgermeifteramt ererciret.“
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746. 543
geben. Mit dem Markgrafen war auch der vielgeprüfte Spezial und
Kirchenrath Kummer nach Pforzheim zurückgekehrt.
Der Aufenthalt des Hofes dauerte etwa ein halbes Jahr, wäh—
rend welcher Zeit der Markgraf Gelegenheit fand, den Wiederaufbau
ber Stadt, wozu er ſchon von Baſel aus Häuſermodelle nach Pforz-
heim geſchickt Hatte, und zu welchem Behuf er aud mehrere Verord:
nungen erließ, felber zu leiten. Mehrfach findet er fi fammt feiner
Gemahlin, theilweife auch mit dem Erbprinzen und der Erbpringeffin
ſowie mit verfchiedenen Perfonen feines Hofes in dem damaligen Tauf—
buch als Pathe eingetragen. Im Frühjahr 1699 wurde die Refidenz
nad) Größingen, ſpäter nach Durlach zurückverlegt.
Bei dem eben erwähnten Wiederaufbau der Stadt müſſen wir
etwas ausführlicher verweilen, da fie durch denfelben größtentheils ihre
gegenwärtige Geftalt erhalten hat und die meiften der noch vorhandenen
ältern Häufer damals aufgeführt worden find,
Es ift oben ſchon erzählt worden, daß die Flammen von 1692
nicht nur viele der nad dem zweiten Brand (Auguft 1689) errichteten
Hütten zerftört, fondern auch eine Anzahl der nach demfelben wieder
aufgebauten Häufer abermals in Aſche gelegt hätten. Doc fcheinen
manche derfelben auch verfchont geblieben zu fein, unter andern die
Häufer neben dem Gafthaus zum Waldhorn am Cingang in bie
Karl: Friedrichs Straße, die ſchon 1689 wieder aufgeführt wurden.
Manche Häuſer fcheinen auch bei den verfchiedenen Bränden nicht ganz
zerftört, fondern ein Theil derfelben, namentlid das untere Stockwerk,
noch erhalten worden zu fein, da wir in verfchiebenen Theilen ber
Stadt heute noch Jahrzahlen begegnen, die ältern Datums find, als
ber orleans’iche Krieg. Möglich, daß auch da und dort der betreffende
‘ Stein mit der Jahrzahl, dem Wappen ꝛc. beim Wiederaufbau des
Haufes an geeigneter Stelle wieder eingefügt wurde. Solche Häufer
find früher ſchon (S. 298 ff.) angeführt worden. Gleich nad) dem
dritten Brand oder doch nody während des Krieges wurde eine Anzahl
ber zerftörten Häufer mieber aufgebaut. Es ift zu beflagen, aber
freilicdy mit den Umftänden zu entfchuldigen, daß dabei ziemlich planlos
verfahren wurde, woher aud die große Unregelmäßigfeit rührt, bie
wir da und dort in den Straßen noch finden. Namentlih muß
bedauert werden, daß man nicht darauf bedacht war, bie Brößinger
Straße breiter anzulegen. Zu ſolchen noch während des Kriegs geban:
544 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746,
ten Häufern gehören: das Haus von Bäder Müllers Erben in der
Theaterſtraße, gebaut 1693, ein Haus in der untern Augafje, gebaut
1695, insbefondere aber die neu errichtete obere Apotbefe, vollendet
1695. Der Apotheker Konrad Wilhelmi hatte von dem Pfarrer
Grad in Eutingen den Platz eines abgebrannten Haufes am Markt
gekauft, ebenfo einen bejondern Apotbefergarten beim Kechlerhof
(S. 463), nadydem ihm unterm 24. April 1690 vom Markgrafen ein
Privilegium mit ausgedehnten Freiheiten verliehen worden war. (Er
durfte laut desfelben Feine Art Schatung , feine bürgerlihen Abgaben,
für feine Apotheferwaaren weder Land: noch Pfundzoll, weder Accis
noch Weggeld bezahlen, war frei von Einquartierung, Frohnden und
Wachten 0. An Pforzheim war weder deutichen noch welſchen Krä-
mern, noch Bruchſchneidern, Alchymiſten, Marktſchreiern, Juden ꝛc.
Apothekerwaaren zu verkaufen erlaubt, namentlich keine Purganzen;
ebenſowenig durften Barbiere, noch andere Perſonen praktiziren und
deſtilliren, was einem Apotheker etwa zukam. Dagegen mußte ſich
Wilhelmi verpflichten, die Apotheke in gutem Stand zu halten, die
Medikamente billig zu verkaufen, an den fürſtlichen Hof, wenn derſelbe
in Pforzheim ſei, die verlangten Blumen und Kräuter unentgeldlich
abzugeben, auch den Dürftigen jährlich für wenigſtens 10 Gulden
Medikamente gratis zu verabreichen.)1) Die Zeit des Ausbaues
dieſer Apotheke bekundet ein Stein im Hausgang derfelben, worauf
über dem Namen des Erbauers die Worte Sirach 38, 4—7 ftehen. 2)
Zwei Jahre darauf, nämlich 1697, wurde auch die untere Apotheke
durdy den oben ſchon erwähnten Johann Michael Salzer wieder auf
) Apothekerprivilegium, ertbeilt von Markgraf Friedrich Magnus
am 24. April 1690 dem Apotheker Konrad Wilhelmi. (Iſt nebft ben Erneue:
rungen bed Privilegiums vom 20. Februar 1700, 10. Dezember 1736, 15.
Februar 1740, 20. Mai 1776 und der Berfaufsgenehmigung vom 27, Mai
1807 in den Händen des jetzigen Eigenthümers der Apotheke, Karl Märdlin.)
2) Diefe Apotbefe ging 1700 an den Ehenadhfolger Wilhelmis, Heinrich
Baurittel, 1736 durch Kauf an Johann Friedrih Salzer, 1776 abermals dur
Kauf an Ernft Viktor Salzer über, der nun beide Apotheken in eine Hand
vereinigte, bis die obere Apotheke vom Tochtermann des letztern, Proreftor
Zandt, 1806 an Job. Gottlieb Märdlin, den Vater des jegigen Befigers, Karl
Märdlin, verfauft wurde,
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 545
gebaut,) 1698 erftand das gegenüberſtehende Haus, das jetzige
Mufeum, aus der Aſche, in demfelben Jahr auch das von Fabrikant
J. Schneider in der Spitalftraße, und jo wurden nad und nad auch
noch andere Häufer neu aufgeführt, fo beifpiefweife 1705 das Haus
von Kaufmann Franzmann am Markt, 1706 das Schenck'ſche Haus
am Markt (von Apotheker ſpäter Bürgermeifter Heinrich Baurittel
und feiner Frau Marg. Barb, geb. Faßnacht erbaut), 1707 das Haus
von Hirtzel (Fink) am Schleifthor, im nämlichen Jahr das jebige
Gaſthaus zum Bären, 1709 in der Deimlingsftrage die Häufer von
Kaufmann Wallerftein und Bäder Heing ꝛc. In den Jahren 1709
und 1710 bauten auch die Lentrum ihre beiden Häufer in der Alt
ftädter Straße (S. 464) neu auf. 2) Das ältefte Haus in der obern
Augaffe trägt die Jahrzahl 1697, an den übrigen Häufern bdafelbft
bemerkt man die Jahrzahlen 1705, 1707, 1712, 1716, 1717, 1718,
1719, 1726 u. f. w. (Mit der Wiederherftellung der Auer Brüde
war ſchon im Juni 1694 begonnen worden, Diele hatten eine
Hängebrüde verlangt). Durch die vielen Neubauten waren in den
erften Jahren des 18. Jahrhunderts die ſtäbtiſchen MWaldungen fo in
Anspruch genommen worden, daß die Behörde im Mai 1709 beichloß,
fein Bauholz mehr berzugeben, bis der Wald wieder angewachfen fei.
Indeſſen ftoßen wir troß diefer Baurübrigfeit noch 1713 auf die Klage,
daß in der Stadt noch immer fo viel Schutt berumliege.
1) Bon dem bei ber Geſchichte des 30jährigen Krieges mehrerwäbnten
Apotheker Barthold war die untere Apotheke am deſſen Tochtermann Chriſtoph
Wüftemann, von diefem an einen zweiten Tochtermann Bartbolds, ben oben
genannten Joh. Michael Salzer, 1689 übergegangen. Bon diefem vererbte fie
fih auf deffen Sohn Chriſtoph Michael Salzer, der fie bis 1757 beſaß und
1776 auch die obere Mpothefe dazu kaufte. Am Jahr 1808 gelangte deſſen
Schwiegerfohn Job. Samuel Vulpius in den Beſitz der untern Apothefe, bet
fie wiederum an feinen Schwiegeriohn Ludwig (jet Apotheker in Emmendingen)
vererbte; dieſer verfaufte fie 1855 an ben jetzigen Befiter Guſtav Pregizer.
2) An der jegigen UnterEcker'ſchen Bierbrauercd findet fih ein Stein
mit folgender Inſchrift: Friedrich Chriſtoph Leutrum von Ertingen hochfürſtl.
Würtenbergifcher Borftmeifter am Stromberg und feine Fraw Anna Juliana
geborne v. Gemmingen haben diefes Freyadeliche Hauß nach deme es Anno 1689
von Franzofen verbrant worden burch Gottes Beyſtand Anno 1710 wieberum
neu auferbauet welches feine Göttliche Allmacht under feinem Ehug und
Segen vor allen wider wertigfeiten in gnaden bewahren wolle.“ Ueber dieſer
Inſchrift befinden fi das Leutrum'ſche und das Gemmingen’ihe Wappen.
Pflüger, Pforzheim, 35
546 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746.
Wie die Privatbanten, jo erhoben fih nad und nad aud bie
Öffentlichen Gebäude wieder aus der Aſche. In den Jahren 1698
und 1699 wurden das 1692 abgebrannte Kreuzkirchlein und das
gegenüberftehende Seelen oder Armenhaus wieder aufgebaut, wozu das
Almofen vorzugsmweife in Anfprucd genommen wurde Weil indefien
die Mittel desfelben nicht hinreidyten, fo richteten die beiden Almofen-
pfleger Leonhard Herbiter und Konrad Kat die Bitte an deu Stadt:
vath, derfelbe möge auf Abſchlag der Zinſen, welde die Stadt ins
Almofen fhulde, zum Neubau die nöthigen 200 Stämme Holz bewil:
gen, was auch geſchah.) Am Jahr 1704 ftiftete der Pofthalter
Kieffer eine Uhr im diefe Kirche, und im folgenden Jahr erhielt fie
aud ein Glöclein dazu. -— Im Jahr 1700 wurde mit dem Wieder:
aufbau des Rathhauſes begonnen und dasfelbe am 14, Februar
1701 anfgefchlagen, nachdem zuvor eine allgemeine Fürbitte auf dem
Kanzeln verkündet worden war. Im März bdesjelben Jahres erbot
fi) der Zinkenift Kolb, altem Herlommen gemäß, von der Altane des
Rathhauſes jeden Mittag wieder die Zinfen und Pofaunen zu blafen.
Eine Glode wurde im Rathhaus 17145 aufgehängt, und 1730 auf
eine Uhr für dasjelbe angefchafft. Der Anbau, welder jegt die Frucht
balle und die Wohnung des Stabtverrehners enthält, wurde 1723
aufgeführt. Schon 1718 findet fi) aber eine Klage über Baufälligkeit
des neuen Rathhauſes, die vornen megen Anſchlags des Wetters die Auf:
führung eines ganz fteinernen Giebels nothwendig machte. — Im
Sahr 1710 wurde auch mit dem Bau der Kapelle auf dem Trieb:
ı) Un der Wand ber Sakriſtei bdiefer Kirche wurden folgende Verſe
angebradt:
Anno 1692. s
Als man zählt diefe Zahl, und der Franzos einridt,
Hat Mavors feine glubt Iber bie Kirch ausgſchitt;
Es war nit gnung an bem, Es muß das Eruzifir,
Daß auff dem Kirchhoff ftunth, zerihmelzen durch bie Hip.
Eh hat doch Gott ber Herr durch frommer Menſchen rath
Herr Leonhardt Herbfter, der ba feine mich gefparbt,
Herr Conrad Kak mit ihm, Sein Helfer und Conſorden,
Habens mitt Gottes Hilff Erbaut, das es ift worden
Ein Hauß, da Gott geriembt, Und tröftebt die Bedribten;
Bott wohl es für wed für Vor Feinden gnedig hieden.
Erbaubt 98 u. 99.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 547
hof begonnen und diefelbe 1711 vollendet. Die Mittel dazu wurden
theils der Stadtkaſſe, theils dem Almoſen, tbeils den Stipendien ent:
nommen, theils durd eine Kollefte in Etadt und Land zufammenges
bracht. Im nämlichen Jahr wurden auch da8 Auer- und das Hei:
ligfreuztbor wieder bergeftellt. Gleiches geihab 1714 mit der
Stadtmauer, wo dies nöthig war. Auch ein befonderes Wei:
bergefängniß hatte auf fürftl. Befehl 1713 gebaut werden
müſſen.
Im Jahr 1715 kam es auch zum Bau eines neuen Schul—
baufjes Nah dem Brande von 1692, der das Prebigerkloſter
in Ace legte (S. 528), war fowohl die Knaben: ald die Mädchen:
ſchule ins obere Bad (©. 163) verlegt und mit einander vereinigt
worden, da beim DBerfiegen aller Quellen der ftädtifchen Einkünfte
die fompetenzmäßige Salarirung der Lehrer endlich unmöglich wurde
und die Zahl der Schulkinder ohnehin auch viel geringer geworden
war. Es ift rühmend anzuerkennen, daß der Stadtrath, als die Ver:
hältniſſe ſich wieder günftiger geftaltet hatten, im Auguft 1696, alfo
noch während des Krieges, bei der Negierung fupplizivend um Verbeſſe—
rung ber Schulanftalten einfam. Die Schulen feien, fo bieß es in
der Eingabe, feit dem letzten Brand ſo ſchlecht beitellt, daß die Schul-
jugend unverantwortlich verfäumt werde, und das rühre zum Theil
daher, daß Feine wöchentlichen Bifitationen oder Eramina mehr gehalten
würden, weshalb aud ein großer Mangel an fchreibfähigen Bürgern
zu befürchten fe. Im Mai 1697 ſchlug der Stadtratb dem damals
am Hofe in Bafel fih aufhaltenden Superintendenten Mathäus Kum—
mer vor, die vereinigte Knaben: und Mädchenfchule wieder von einander
zu trennen, welche Trennung auch im Juli jenes Jahres zu Stande
kam. Weil aber nod fein Schulhaus vorhanden war, fo blieb bie
Mädchenſchule einftweilen im obern Bad, und die Knabenſchule wurde
in ein Haus eingemiethet, welches dem Pulvermacher Kichtenfels gehörte.
Schon 1706 wurde der Bau eines neuen Schufhaufes projektirt, wegen
Mangel an Mitteln indefjen einftweilen noch aufgefchoben. Erſt 1715
fam er zu Stande, und zwar wurde das neue Schulhaus an bie
Stelle des alten abgebrannten in der untern Pfarrgaſſe gefeht. Es
hatte zwei Stodwerfe, und es mag zur Vergleihung die Notiz nicht
unintereffant fein, daß die Maurerarbeit an demjelben um 224 Gulden
veraffordirt worden war. Schon im nächſten Jahr er „wieber ein
D
548 Siebzebntes Kapitel, Pforzheim von 16971746,
Schulfeſt auf dem Mennfeld gefeiert, nachdem ſchon vorher bie regel:
mäßigen Sculeramina wieder in Gang gefommen waren, und auch
die Austheilung von Prämien, 1709 im Betrag von 33 fl. 24 fr.,
wieder begonnen hatte. 1) — Die lateiniſche Schule, die während des
Krieges ebenfalls fo zufammengefhmolzen war, daß nur zwei Lehrer
an berjelben den Unterricht ertbeilten, wurde 17148 auc wieder im
befiern Stand gejest. Am 17. Juni wurde der bisherige Præc. prim.
Joh. Nuding ?) im „eollegio Reuchliniano“ (S. 169) als Proreftor
präfentirt, ebenfjo Jeremias Möller als Præc. IL. Klaſſe, „welde
Serenissimus Carolus wiederum gnädigft vergünftigt und Alles auf
den alten Fuß vor dem leidigen Brand zu feten bejchloffen bat.“
Doc fcheint ein dritter Lehrer erſt 1730 auf Antrag der ftädtifchen
Behörden wieder angeftellt worden zu fein. Dem Pädagogium war
bie dreiſtöckige Pfarrwohnung in der Pfarrgafie zur Benützung einge:
räumt worden. Im erften Stod war die Schule, im zweiten die
Wohnung des Proreftors, im dritten des Kantors. — Knabenſchul—
meifter war damals noch immer der alte Mathäus Probjthan, den
aber fein Sohn Joh. Philipp Probſthan als Adjunkt unterſtützte.
Mädchenſchulmeiſter war E. F. Heiſch, vor diefem Job. Ib. Lötterle,
zugleih Profurator und Zeugmadyer, nach ihm 1732 Job. Ib. Finner
aus Niefern, der 1735 auch Prokurator wurde. Der junge Probftban
erhielt feines DBaters Stelle 1721. Weil damals die Zahl der Kinder
9) Diefe Schülerfefte wurden bis 1749 regelmäßig gehalten, börten aber
von diefem Jahr an auf, Drei Jahre vorher hatte e8 dabei noch bedeutende
Händel abgelegt, indem cine Anzahl Eoldaten des in Piorzbeim liegenden
durlahiichen Regiments die Muſik, welche zum Vergnügen ber Kinder auf dem
Rennfeld war, für fih in Anfpruch nebmen wollte, Das litten namentlich
bie Flößer nicht und fchlugen mit den ſchnell herbeigeholten Flößerfiangen
einigen Soldaten Arme und Beine entzwei. Wahrfcheinlih hätte es cin hef—
tiges Blutbad abgejegt, wenn es nicht dem Kommandanten des durlachiſchen
Regiments, Oberfi v. Drais, gelungen wäre, die Streitenden zur Rube zu
bringen.
2) Ihm war als erfier Lehrer Barth. Mever, und biefem um 1701 Sob,
Grg. Lobenftein vorausgegangen. &s folgte von 1720— 1728 Chr. Theodor
Kunradi, 1728 Elias Thilemann Figgen, bis 1735 Ernfi Fürglin 1736 Brod—
bag, 1739 Sonntag, 1742 Org. Ad. Fröhlich, 1748 Deimling ꝛc. Zweiter
Lehrer war lange Jahre Nräceptor Wolff, der 1733 der Stadt ein neues
Leihengefangbüchlein dedicirte, wofür er ein Geichent von 4 Gulden befam,
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 549
in beiden Schulen auf je 440 geitiegen, jo wurde ihm die Haltung
eines Provifors zur Aufgabe gemacht, der Vormittags in der Knaben:
ſchule und Nahmittags in der Mädchenfchule Aushilfe Yeiften mußte,
In letzterer ging jedoch 1755 in Folge von Krieg und Krankheiten
(fiehe unten) die Zahl der Kinder von 120 auf 60— 70 zurück.
Es mag bier wiederholt bemerkt werden, daß diefe Lehrer fein Einkommen
von der Herrſchaft und auch nicht viel von der Stadt bezogen, fondern
faft ganz (der Mägdleinſchulmeiſter ausſchließlich) aufs Schulgeld ange:
wiefen waren, welches von jedem Kind vierteljährlich 25 Kreuzer
betrug. Am Jahr 1741 erhielt der damalige Provifor Neftler einen
jährlichen Gehalt von 15 Gulden. Die Lehrer befanden fich deshalb
auch oft in fo kümmerlichen Umftänden, daß beiſpielweiſe 1729 dem
Mädchenichulmeifter Heiſch eine wöchentliche Unterftütung von 15 Kreuzern
aus dem Almoſen bewilligt wurde, und der Knabenſchulmeiſter fammt
Kantor an Meihnahten herumfingen mußten, um etwas zu verdienen.
Auch der Prorektor des Padagogiums hatte das Recht, dabei mitzu—
wirken, und durfte, wenn e8 geichab, dem vierten Theil der Einnahme
beanfpruchen. — Wie aus den Trümmern des Spitals, dem nad
Einführung der Reformation die Lofalitäten des ebemaligen Frauen:
Mofters der Dominikanerinnen eingeräumt worden waren, fih 1714
ein Landeswaiſenhaus ꝛc. erhob, wird unten aus ührlicher gezeigt werden.
Da Pforzheim bei den verfchiedenen Plünderungen, welche der
Krieg gebracht, alle feine Glocken verloren hatte, fo mar die Noth—
wendigfeit eingetreten, neue anzufchaften. Schon 1693 hatte die Stadt
durch Vermittlung und Vorſchuß des damaligen Kammerraths Zandt
wieder ein Glöcklein erhalten. Am Jahr 1699 machte die Margräfin
Auguſta Maria der Stadt ein Gefchent mit einer in Bafel gegofienen
Glocke, welche nebit einer andern zu gleicher Zeit von der Stadt ange:
fchafften im Thurm der Schloßkirche aufgehangen wurde. Dort befinden
ſich beide noch. Auf der erftern fteht der Name der Stifterin nebft
Widmung und der Jahrzahl 1699, auf der andern finden ſich nebft
dem Stadtwappen die Namen: Matheus Kummer Consitorial. Superint.
Spec. Leonhart Herbster consul, Cine dritte Glocke erhielt die
Schloßkirche 1715, zu melcher Zeit 5 neue Glocken beitellt wurden,
und zwar bei Glockengießer Goßmann zu Landau, der fie am 2. Sep:
tember jenes Jahres ablieferte. Zwei davon kamen in die Kirche der
Alftadt, von den Übrigen drei, wie ſchon erwähnt, je eine auf das
550 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
Rathhaus, in die Kreuzkirche und in die Schloßkirche. Letztere Glocke
ſcheint aber jpäter wieder unbrauchbar geworden zu fein; denn die dritte
Glocke der Schloßkirche, die Heinfte, zeigt die Jahrzahl 1779. —
Bon fonjtigen Anfhaffungen, welche in diefer Zeit vorkommen, ift bie
einer Orgel in die Altftädter Kirche und der erften Fenerfpriße
zu erwähnen, Jene fällt in das Jahr 1710, und ftenerten dazu auf
Bitte des Kirchenraths Weiniger die beiden regierenden Yürftinnen zu
Stuttgart und Durlach, jene 100, diefe 75 Gulden. (Ferner gab ein
Pforzheimer Bürger 100 fl., ein anderer 30 fl., ein dritter 3 fl. 45
fr.) Die Anſchaffung einer Feuerfprige wurde am 9. Januar 1714
beichlofien, „weil die Durlacher auch eine hätten, die ſchon mit gutem
Erfolg gebraudt worden wäre.” Die Anfertigung derfelben wurbe
dem Kupferichmied Nudhardt zu Birkenfeld übertragen. (Der Kaften
follte von Eichenholz, gut mit Kupfer ausgefüttert, 5 Schub Tang,
2 Schub 1 ZoU breit, die mefjingenen Stiefel 1 Fuß hoch und 5 Zoll
weit fein.) Für diefe, fowie noch für eine Heinere Feuerſpritze, welche
Rudhardt machen mußte, erhielt er 410 Gulden nebft 2 Spez. Dukaten
Trinfgeld für feine Frau.
Der Geiftlihkeit Tag vor Allem die MWiedererbauung ber abges
brannten Stadtkirche am Herzen. Schon 1698 war der damalige
Oberdiakonus Stattmann in Schwaben und Franken herumgereist, um
zum Wiederaufbau derfelben zu kollektiven. Da indefien die geräumige
Schloßkirche von den Flammen des Krieges verfchont geblieben und der
Stadtgemeinde zur gottesdienftlihen Benüßung eingeräumt worden war,
fo hielt man damals nod) das Bebürfnig des Baues der Stadtkirche
um fo weniger für eim dringendes, als vorerft andere Bauten noth—
wendiger waren und die Bevölkerung der Stadt fi in dem erften
Sahren nach dem Krieg noch nicht als ſehr bedeutend berausftellte,
Ueberdies Teiftete der wieder ausgebrochene Krieg (ſpaniſche Erbfolge:
krieg) ſolchen Unternehmungen eben feinen Vorſchub. „Gott gab indeß
doch Gnade”, jo jagt Spezial Adam Wild 1) im damaligen Kirchenbuch,
1) Kummer erlebte den Wiederaufbau der Stadtlirde nicht mehr. Er
farb am 27. März 1709, wurde aber fpäter im der Stadtkirche beigefeßt. Der
lateiniſchen Infchrift feines Grabfteins, der, wie die ganze Kirche, beim Brand
von 1789 zerftört wurde, waren die treffenden Worte Pialm 66, 12 beigefügt.
„Wir find in Feuer und Waffer fommen, aber Du haft uns ausgeführet und
erquidet.“ Auf Kummer folgte von 1709—1717 Konrad Burkhard Weini-
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 551
„daß die Stadt ſich bei erlangtem Frieden Ao. 1697, ja auch, fo ſich
zum DVerwundern gewejen, während den bald wieder erfolgten Kriegs:
zeiten nach und nad erholet und groß und volkreich angewachſen, derges
ftalten, daß die biefige Schloffirche nicht mehr groß genug war, alle
Leute zu faffen, weswegen man ſich entichlofien, die ruinirte Kirche zu
St. Stephan wieder aufzubauen.” Diefer Beſchluß wurde 1714 ge:
faßt, und zur Aufbringung der erforderlichen Mittel feftgefegt: 1. zwei
GSeiftlihe ins Reich, Elſaß, Schweiz und andere Provinzen zu ſchicken;
2. eine Rotterie anzulegen von etwa 6000 fl. und den zehnten Pfen—
nig davon zu verwenden; 3. nebft dem Klingelbeutel für das Almofen
nod einen befondern Klingelbeutel für den Kirchenbau herum gehen zu
laſſen; 4. in der Stadt ein befonderes Kollektenbuch zu halten; 5. die
täglich das Almoſen anlaufenden Steigbettler abzumeijen und die großen
Ausgaben des Almoſens zu beichränfen, um auch daher Etwas nehmen
zu können; 6, auch die von gnädigſter Herrſchaft erhaltenden und dem
Stadtalmofen zugehörigen Kapitalzinfe dazu zu verwenden. — Diefem
Beſchluß zufolge wurden auch wirklich die beiden Diakonen Seufert
und Bergmann fortgeſchickt und ihnen Vollmachten und fürftlihe Ems
pfehlungsfchreiben mitgegeben, Jeder von ihnen erhielt nebſt Entfchä-
digung für Kleidung ꝛc. eine tägliche Reiſediät von 1 fl. 30 Er.
Seufert reiste ſowohl in die benachbarten Neichsftädte (in Heilbronn
erhielt er für Pforzheim und Durlach die ſchöne Summe von 132 fl.
30 kr.), als auch ins Heffifche, Leiningenfche, Mfenburgifche, Naffauifche,
Anhaltiſche, Sächſiſche, Schwarzburgiiche, Brandenburgifhe, Medlen:
burgifche und Holfteinifhe, befuchte auch verfchiedene Univerfitäten und
brachte eine beträchtlihe Summe Geldes zurüd. Das Gleihe war
bei Bergmann der Fall, der Schwaben, den Elſaß und bie Schweiz
bereiste. Schon 1716 waren bie erforderlichen Mittel beifammen, um den
Bau der Kirche veraffordiren zu können. In den folgenden Jahren wurde
ger (der Sohn bes oben erwähnten Joh. Philipp Weiniger, fam 1717
nach Lörrach), bdiefem von 1717— 1719 Adam Wild (fam als Kirchenrath
und Stabtpfarrer nah Lahr), 1719 — 1722 Joh. Lorenz Hölzlin, 1722 bie
1734 Georg Philipp Bergmann (vorher Superintendent ber Landgrafichaft
Saufenberg und des Kapitels Röteln, noch früher Diafonus zu Pforzbeim),
von 1735—1742 Phil. Ib. Bürflin (war vorber Kirchenrath und Mektor
in Rarlsrube).
552 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746,
er rüftig fortgefeßt 1) und 1721 vollendet. Am 23. September biefes
Jahres erfolgte die Einweihung des Gotteshaufes unter entiprechenden
Feierlichkeiten, wobei durch die damaligen Stadtgeiftlihen Hölzlin,
Mauritii und Seufert nicht nur am Xage der Cinweihung, fendern
auch an den folgenden Tagen verjchiedene Predigten gehalten wurden.
In der Folge erhielt die Kirche auch eine prachtvolle Orgel und 1736
zwei Gloden, ferner eine Sammlung von ſchönen Gemälden, welche
die wichtigiten Greignifie des alten und neuen Teftaments darftellten
u.f.w. Leider follte das Alles nad nicht TO Jahren wieder ein Raub
der Flammen werden! Wenn nun auch die Stadtkirche wieder erbaut
war, fo fehlte es doch noch an Pfarrhäufern, da, wie ſchon erwähnt,
das vorige Spezialat: und Pfarrhaus dem Pädogogium hatte einge:
räumt werden müſſen. Die Hauszinsentihädigung von 15 fl., welche
ein Geiftlicher erhielt, war aber ſchon damals unzulänglich. 2)
In die erften Jahre nah dem Kriege fällt auch die Rekonſtitui—
vung ber Löbl. Singergefellfhaft. Wie mandes Andere, jo waren
auch die jährlichen DVerfammlungen während des Krieges unterblieben,
und ein VBerfud dazu, der am 27, Dezember 1694 gemacht wurde,
blieb vereinzelt, Im Sabre 1701, alſo zur zweiten Säfularfeier
‚ bes Vereins, wurde jedody wieder eine Generalverfammlung veranftaltet,
und da das frühere Stammbucd der Gefellihaft, ſowie überhaupt alle
Papiere derfelben beim Brand von 1692 zu Grund gegangen waren,
fo wurden neue Statuten entworfen, ein neues Stammbuch (das jet
noch bejtehende) angelegt, in dasielbe die Statuten eingetragen, und
nad diefen die Namen derjenigen Perfonen, weldye bei der Zufam-
menkunft von 1694 Mitglieder der Gefellihaft geweſen und berfelben
1) Ueber der Safrifteithüre befand ſich früher folgende Inichrift:
1717.
Der Tempel, den bein Aug in neuem Schmud erblidt,
Hat Mavors Ruth und Gluth erbärmlich miterfahren,
Da deifen Graufamkeit den Rheinftrom hart gedrüdt.
Er blieb in feiner Aich bei jehs und zwanzig Jahren,
is unter Carols Schutz und Beitrag frommer Chriſten
Er gar mit harter Müh warb wieder aufgeridht.
Des Höchſten Allmachts-Hand woll diefe Kirche friften,
Bis daß die ganze Welt durch Flammen wirb zernicht.
2) Vergl. Pforzheimer Diozes-, Kirchen: und Schulenbeichreibung von
1735 im Landesardiv,
— ——
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697 —1746. 553
nun wieder neu beitraten, eingezeichnet. Es waren folgende 49: 1)
Kammerratd Ib. Chrift. Zandt, Kirchenratb und Spezial Kummer,
Kammerrath Erhardt Kiefer, Doktor Joh. Burkhart Mögling, Land:
jchreiber Joh. Ernft Kauffmann, Amtsverweier Ib. Heyland, Amts:
keller Chriftoph Meerwein, Archidiakonus Konrad Stattmann, Diako—
nus Konrad Sutor, Altjtadtpfarrer Berthold Deimling, Kammerrath
Joh. Popp, Joh. Konr. Schäffer, Job. Kaſp. Zacher, Stadtfchreiber
Götz, Heinrich Yahmann, Joh. Ib. Büchſenſtein, Pfarrer zu Elmen—
dingen, Joh. Burkh. Ehrat, Pfarrer zu Eutingen, Ib. Mitjtörffer,
Pfarrer zu Dietlingen, Hammerſchmiedbeſtänder Joh. Theobald Sah—
ler, Bürgermeiſter Leonhard Herbſter, Zoller Joh. Kaſp. Dürr, Apo—
theker Konrad Wilhelmi, Goldſchmied Nikl. Burkhardt (war ſchon
1683 Obermeiſter geweſen), Goldſchmied Chriſtoph Wohnlich, Schwert:
feger Rudolf Kornmann, Handelsmann Bernhard Minderer, Zeugmacher
Hs. Grg. Rau, Schönfärber Rudolf Itzſtein, Barbier Joh. Ulrich
Schäffer, Bader Ludwig Ruff, Handelsmann Burkhard Weeber, Hoſen—
ſtricer Joh. Herbſter, Seiler Andreas Hertenſtein, Friedr. Baumann,
Färber Andr. Kienlin, Glaſer Chriſtoph Wilderſinn (war der Gefell:
ſchaft 1684 beigetreten und bekleidete 1689 die Stelle des Obermeiſters),
Schneider Joh. Zugmeyer, Sergler (d. h. Halbtuchmacher) Benedikt
Köhle, Hs. Grg. Knauf, Sattler Hs. Grg. Simmerer, Hs. Ib. Trautz,
Sattler Hs. Grg. Siegele, Dreher Chriſtoph Kieffer, Joh. Ib. Rüding,
Schloſſer Burkh. Knapp, Bortenmacher Joh. Ulrich Herbſter, Nagel:
ſchmied Joh. Leyerlin, Hafner Hs. Grg. Jais, Zeugmacher Joh. Ib.
Lötterle. — Im Jahr 1701 traten neu bei: Stadtiſchreiber Karl
Friedrich Boch, geiſtlicher Verwalter Ib. Fried, Mahler, Schatzungs—
einzieher Ib. Dürr, Forſtverwalter Karl Meerwein, Apotheker Mich.
Salzer, Apotheker Heinrich Baurittel, Barbier Dan. Theodor, Borten—
macher Hans Mich. Günther, Seiler Chriſt. Schnellin, Kürſchner
Dietr. Henning, Sergler Joh. Köhlin. Zum Obermeiſter wurde neben
Chriſtoph Wohnlich dies Mal Hans Ulrich Herbiter erwählt. In
ben folgenden Jahren traten der Gefellichaft immer mehr Mitglieder
) Das Stammbuh der Singergefellihaft enthält die Wappen, Nanten
und Denkſprüche von vielen dieſer Mitglieder und von ſolchen die fpäter bei:
getreten find. Der erfte derartige Eintrag ift der von Spezial Kummer, dann
folgen die von Kammerratb Popp, Spezial Wild, Burkh. Ehrat, Bechthold
Deimling, Pfarrer Stattmann, Verw. Schabharbt ꝛc.
554 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 4697-1746.
bei. Die neuen Statuten des Vereins waren den alten fo viel als
möglich nadhgebildet, um den urfprünglichen Zweck desfelben, natürlich
unter Berücdfichtigung der veränderten Zeitverhältniffe, zu wahren.
Wie in Pforzheim nad und nad) Alles wieder ins alte Geleife
kam, fo begann auch die Shütengefellfhaft im Jahr 1700 ihre
Mebungen wieder und erhielt nad altem Gebraud aus der Amtstelleret
den Beitrag zum Verſchießen mit 15 Gulden, fowie 5 Gulden von der
Stadt wie früher ausbezahlt. Diefe „Schützenkompagnie“ war dafür
zu militärifchen Dienftleiftungen, namentlich zu Wachtdienſten verpflich-
tet, auch wenn Gamifon in der Stadt lag, was nad) dem orleans’fchen
Krieg eine Tange Reihe von Jahren hindurch der Fall war. Meift
war es das Durlachiſche Regiment, welches ftändig fih in Pforzheim
befand. Im Jahr 1721 erhielt die Stadt, bez. Schütengefellichaft,
eine Einladung zu einem Freiſchießen, welches Markgraf Karl Wil
helm in feiner neuen Meftdenz Karlsruhe veranftaltet hatte, Es nahm
eine Anzahl Prorzheimer Schüben daran Theil. — Neben dem Militär,
das in Pforzheim fein Standquartier hatte und der Schützengeſellſchaft
befaß die Stadt au fog. Bürgermilitär, das gleich jener unifor:
mirt und equipirt mar. Als der Erbpring Friedrich fi 1727 ver:
mäblte und feine junge Gemahlin heimführte, machten ihm in Karlsrube
aus Pforzheim 3 Kompagnien zu Pferd, nämlih 2 gewöhnliche und
1 Hnfarenfompagnie unter ihren Rittmeiftern Kaufmann Meyer, Nitter-
wirth Trautwein und Kaufmann Benezette (Admobiator der berrfchaft:
lichen Zeugfabrif) ihre Aufwartung. 1)
Trotz der eifrigften Bemühungen, welche ſich die Behörden ſowohl,
als die Bürger gaben, beffere Zuſtände herbeizuführen, blieb fortwäh—
rend gar viel zu wünſchen, namentlich in den erften jahren nah dem
Krieg. Die Finanzen der Stadt waren noch immer in einem fehr
zerrütteten Zuftande. Auf der ftädtifchen Verwaltung lag wie ein
brüdender Alp eine unverhältnigmäßig große Schuldenlaft, die dadurch
immer mehr anſchwoll, daß nicht einmal die Zinfen der aufgenommenen
Kapitalien bezahlt werden konnten. Weber welche Geldmittel die Stadt
beifpielmweife im Jahr 1709 verfügte, mag daraus entnommen werben,
daß, als die regierende Fürftin als folhe zum erftien Mal, und zwar
von Stuttgart ber, durh Pforzheim Fam, und Stadt und Amt ihr
—
) Handſchriftliche Aufgeihnungen von Ritterwirth Trautwein.
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 16971746. 555
deswegen ein Gefchent von 28 Louisd’or machten, die Stadt Pforzheim
ben auf fie fallenden Antheil von 106 fl. 23 kr. erft aufnehmen mußte,
um ihn entrichten zu können. Bei diefen äußerſt bedenflichen Verhält—
niffen war es fein Wunder, wenn die Gläubiger der Stadt um ihre
Guthaben beforgt wurden und in den Jahren 1715—17T ſich zahlreich
einfanden, um Befriedigung zu erlangen. Der Beſcheid indefjen, den die
ungeftümen Gläubiger erbielten, jtimmte mit der Yage der Stadt über:
ein; fie befamen eben einfach nichts, und ein Herr von Bärenfels zu
Hagenheim wurde mit feiner Forderung ven 300 fl. ein für alle Mal
abgewiefen, weil die Stadt zu diefem Anlehen im Jahr 1690 durch
franzöfiihe Offiziere gezwungen worden fei (wahrfcheinlich gegen wuche—
rifche Zinfen), Nur mit einem Gläubiger fand fich die Stadt 1717
vollftändig ab, nämlich mit dem Klofter Frauenalb (S. 477). Die
Schuld an dasfelbe betrug 4300 Gulden; davon waren aber feit 1677
feine Zinfen mehr bezahlt worden, weshalb biefelben bis 1717, alfo in
40 Jahren, auf die doppelte Höhe des Kapitals angelaufen waren.
Alle Mahnungen an die Stadt, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen,
waren bisher vergeblih geweien. Zuletzt wandte ſich die Mebtiffin
des Klofters, Gertrude von Jchtersheim, am die Negierung. Wie es
fheint auf Veranlaſſung derfelben begab fich eine Depntation von
Pforzheim nach Frauenalb und traf mit dem Klofter am 4. Februar
1717 das Abkommen, daß die Stadt im Ganzen für Kapital und
Zins die Summe von 2300 Gulden in 3 Terminen bezahlen und
das Klofter von Entrichtung des Weggeldes, welches dasfelbe bei Ab:
führung feiner Zehntfrüchte aus den Orten Wurmberg und Wiernsheim
bisher in Pforzheim hatte entrichten müſſen, befreit werden folle. Im
Sommer 1719 war die Schuld an Frauenalb getilgt, und zwar dadurch,
daß die Stadt im Kallert, der nebſt ſämmtlichen ftädtifchen Einkünften
dem Klofter bis jett verpfändet geweſen war, einen außerorbentlichen
Holzhieb vornehmen ließ. i
Im Fahr 1714 ftoßen wir auf eine Klage, daß die Jahrmärkte
fo fchleht befucht würden. Man glaubte die Urſache theils in dem Um:
ftand, daß auch in benachbarten Orten Jahrmärkte ftattfänden, theils endlich
und wirklich auffallender Meife im verbejferten Kalender zu finden,
ber doch im Jahr 1714 unmöglich mehr Verwirrung angerichtet haben
ann, da er fchon 1701 aud in unferm Lande eingeführt worden war.
Es wurde deshalb befchlofien, einige Hundert Zettel druden und in der
— er anne IT
556 Stebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746.
Umgegend vertheilen zu laſſen. Daß übrigens Handel und Verkehr
noch Lange nicht zu der frühern Blüte gelangt waren, erjehen wir auch
aus einem Vortrag, welchen die Zunftmeifter Namens der Zünfte am
2. März 1716 vor Oberamt, Gericht und Rath erftatteten, und worin
fie fih über dey elenden, nabrungslofen Zuftand der Stadt beflagten,
fo daß die Zünfte nicht nur im gänzlihen Ruin verfallen feien und
aller Kredit außerhalb in Handel und Wandel fich verliere, fondern
auch Fein neuer Bürger mehr in die Stadt hinein ziehe, vielmehr einige
binanszuziehen vorhätten. Die Verhältniſſe befferten ſich jedoch in
diefer Beziehung bald wieder, namentlih da auch die Regierung Handel
und Verkehr nah Kräften zu befördern fuchte, Im Jahr 1735 wurde
3. B. auch zu diefem Zwecke der Bau einer Heerſtraße (Chaussee)
von Karlsruhe nah Pforzheim und die württembergifche Grenze pros
jeftirt und in ben folgenden Jahren auch ausgeführt. Diefe Etraße
lief der von Bretten nach Pforzheim führenden, die früher (S. 123)
ungleich wichtiger gewefen war, bald den Rang ab.
Mährend des Krieges hatten neben den ftädtifchen auch die herr⸗
ſchaftlichen MWaldungen, namentlich der Hagenſchieß, fehr gelitten. Sie
wieder in befjern Stand zu bringen, war Markgraf Karl Wilhelms
eifrige Sorge. Er ernannte deshalb 1715 den Förſter Kikling von
Engenftein zum Oberjäger und Forftamtsverwefer, in der Folge zum
Forftmeifter in Pforzheim, einen Mann von großer Sachkenntniß und
unermüdlichem Fleiße. Zeuge von Tetterm ift auch das von Kißling
angelegte noch vorhandene Korftlagerbuh, die Arbeit von 35 Jahren.
Dasſelbe ift kalligraphiſch fehr ſchön ausgeftattet und fängt die origi—
nelle, in Verſen gefchriebene Vorrede mit folgenden Worten an:
Weil alle Bücher faft mit einer Vorreb prangen,
Die nah dem Titulblatt den erſten Platz behält,
So will die Vorred auch zu ſchreiben jetzt anfangen,
Nahdem ich dieſes Werk mit Gott zu End aeftellt.
Wann vorber gründlich find beichrieben alle Sadıen,
Alsdann kann man erft recht die Vorreb drüber machen. !)
Eben fo originell ift aud die Art und Weiſe, wie Kißling für fein
neues Amt vom Markgrafen felber, und zwar mündlich, verpflichtet
wurde. Nach den eigenen Aufzeihnungen Kißlings lauteten die Morte
des Markgrafen: „Höre Kikling! Ih mache dich zum Oberjäger in
) Bergl. das betr, Lagerbuch in ber Regiftratur des Forftamts Pforzheim.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 557
Pforzheim, und befehle dir, jo lieb dir dein Leben ift, meine Waldun-
gen wohl in Acht zu nehmen. Ich Könnte einen von meinen Kavalieren
dahin jegen; wann die aber nicht thun, wie fie follen, fo kann ih
nichts mit ihnen anfangen, Did aber kann ich hängen Lafien, wenn
du nicht als ehrlicher Mann handeln wirft.” 1)
Es mag hier gleich mit angeführt werden, daß unter orjtmeifter
Kißling auch des Seehaufes bei Pforzheim zuerft Erwähnung gefchieht.
Markgraf Karl Wilhelm kaufte nämlich 1732 von der Stadt Porz:
beim einen ungefähr 7 Morgen großen Pla an der Tiefenbronner
Straße, der wüjte See genannt, für 200 fl., auf welchem ein Weiher
ausgegraben und mit Fifchen befest wurde, Zugleich follte diefer Weiher
oder See zur Tränke für das Wild dienen. Die Fiſchzucht wurde von
einem Fiſchmeiſter regelmäßig betrieben und befondere Rechnung hierüber
jährlich abgelegt. Anfänglich wurde neben dem See eine Wohnung
für den Fifchmeifter und erft in den 1770ger Jahren auf deſſen Stelle
das gegenwärtige Seehaus als Jagdpavillon für den Aufenthalt der
höchſten Herrſchaften bei Gelegenheit der Jagden erbaut, daneben eine
Scheuer zu Aufbewahrung des Jagdzeuges. 2)
Es ift begreiflih, daß während des orleans'ſchen Krieges manche
Unordnung eingeriffen war, zu deren Befeitigung der bald nachher aus:
gebrochene neue (fpanifche Erbfolge) Krieg eben nicht beitrug, Doch
fuchten das weltliche und das geiftliche Negiment zuſammen zu wirken,
um allerlei fhon länger bejtehende Mißſtände zu entfernen und neu
wieder eingefhlichenen Mißbräuchen entgegen zu treten, Go wurden
unterm 7. Januar 1705 den Zunftmeiſtern zur Mittheilung an ihre
Zunftgenofjen vor Oberamt eine Anzahl „Punkten“ publizirt, welche
zur Verbeſſerung der Polizeisrdnung dienen follten. Durch diefelben
ſuchte die Polizei jedem Unfug bei Hochzeiten, jo den Mummereien am
zweiten und dem Spielleutbalten am dritten Hochzeitstag, ferner der
Nachtſchwärmerei, der Störung der Sonntagsfeier, den Ausgelafjen-
beiten in Spinn: oder Kunkelftuben, der Weberfchreitung der Polizei—
ftunde in den Wirtdshäufern (Sommers 10, Winters 9 Uhr), dem
Neujahrſchießen und Maienfteden, dem übertriebenen Aufwand bei
Kindbett: und Pathengefchenten u. f. w. kräftigft entgegen zu wirken und
1) Beſchreibung der Verhältniffe des Forſtreviers Seehaus von Arne:
perger, a. a. O.
2) Beichreibung des Forſtreviers Sıehaus von Arnsperger, a. a. D.
558 Siebzehntes Kapitel. Pforzbeim von 16971746.
ſetzte auf die Uebertretung der „Punkten“ zum Theil jehr hohe Stra⸗
fen. Diefen Beitimmungen reibten ſich noch andere an, welche unterm
12. Januar von Seiten löbl. Kirchenzenfur „zur abftellung der ſowohl
verwichene, als dermalen noch fürwehrende Kriegszeit über eingefchliche:
nen Sabbathihändung, auch beybehaltung riftlicher Zucht und Kirchen:
disciplin“ ebenfalls den Zünften publizirt wurden, Darin wurde ber
Schützenkompagnie das Schiegen am Sonntag unterfagt, die in Abgang
gekommene Kirchenrügung wieder eingeführt, eine neue Ordnung bezügl.
ber Bertheilung ber Plätze in der Kirche, des Weggehens aus derfelben
und fonftiger Gebräuche feftgefeßt, unter Anderm auch verlangt, baß
die Bürger, wenn fie in die Kirche gingen, oder bei Amt, bei Rath,
der Kirchenzenfur zu thun hätten, in den früher üblich gewefenen Män—
ten erjcheinen, und die Gerichts: und Nathsperfonen darin mit gutem
Beifpiel vorangehen follten u. ſ. w. u. ſ. w. — Ein Stoßſeuf zer des
Spezials Bergmann, der ſich 1722 im Kirchenbuch in den Worten
Luft macht: „Ad Gott, fteure dem überhandnehmenden Laſter der
ſeelenſchädlichen Trunkenheit!“ wirft fein günftiges Licht auf die Mäßig—
feitsbeftrebungen jener Zeit. — in Beiipiel von Aberglauben in Bezug:
auf Heilmittel Liefert der fog. Pforzheimer Zauberbalfam, der
noch in der württembergiihen Pharmacopde von 1740 aufgeführt wird,
und gegen boshafte DVerherungen und Zaubereien fogar innerlich em-
pfohlen wurde. Seine Zufammenfegung war die unfinnigfte, die man
fi) nur denken fann, 1)
$ 93. Sortfehung des Porigen. Devölkerungsverhältniffe nach dem
Krieg. Neue Einwanderungen.
Wie ſehr die Bevöllerung Pforzheims während des Krieges zuſam—
mengefhmolzen war, ift oben ſchon bemerkt worden. Nach geichloffenem
Frieden hatte die Regierung, einestheils zur Bemefjung und Verthei⸗—
lung der nunmehr wieder vegelmäßig zu erhebenden Abgaben, anderer:
feits um überhaupt die Zahl der vorhandenen Bürger Fennen zu ler:
nen und die im Kriege erlittenen Bevölferungsverlufte genau zu ermit:
ten, im März 1698 den Befehl erlaffen, ein Verzeichniß fänmmtlicher
Bürger, ſowohl derer, die ſich vor dem Krieg in Pforzheim befunden
hätten, als derjenigen, welche nach demſelben no übrig waren, aufzus
) Roller, Beihreibung von Pforzheim, S. 197.
Siehzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697-1746. 559
fielen und die Angabe der Tobesart der Verftorbenen beizufügen.
Diefe Liſte ift noch vorhanden.
Bon der ganzen Bürgerfchaft, melde vor dem Krieg 548 Mann
betrug, waren nach demfelben noch am Leben . . 295,
geftorben waren . . 226,
verihollen . . . . 27,
zufammen 548.
Bon den noch lebenden 295 waren 1698 in Pforzheim mr 267,
außer Landes . . . . ;
im Krieg als Soldaten. . . 8
295. 1)
In der Lifte ift auch die Zahl der Kinder (di b. der unverheiratheten
Söhne und Töchter) fowohl der verftorbenen, als der nody lebenden
Bürger mit 849 angegeben. Rechnen wir zu diefer Zahl noch 200
Ehefrauen der in der Stadt anmefenden Bürger, etwa 100 Wittwen,
und nehmen wir dazu noch 200 Gefellen und Dienftboten und 200
Seelen für die Familien der Ndelichen, der Angeftellten und der Hinter:
fafjen, fo ergibt fich für das Ende des 17. Jahrhunderts eine Bevölke—
rung von etwa 1800 Seelen.
’
1) Bon Mitgliedern noch vorhandener Bürgerfamilien werden in ber Lifte
als „Hungers neftorben“ bezeichnet: Jakob Parthold jung, Hs. Ib. Beder
(mit Weib und Kind), Chrifimann Kiefer, Dreber, Hs. Org. Kiefer, Schneider,
98. Zerg Kiefer, der Fromme, H8. 35. Kiefer, Dreber, Hs. Irg. Kienle,
Flößer, 98. Irg. Lotthammer, Michel Lotthammer, Hs. Ib. Mäule, Flößer,
Ehriftoph und Matthäus Müller, Leineweber, Friedr. Sold, Schuhmacher,
Chriſtoph Ungerer, Zeugmader, Johannes Ungerer, Joh. Wolf; — als
„elendbiglih* oder „im Elend umgelommen”: Job. Aab, Metger,
98. Bed, Bäder, Dito Beh, Metzger, Klaus Bub, Flößer, Irg. Wolf Feld⸗
ner, Weißgerber, He. Michel Gerwig, Flößer, Hans Jerg Kiefer, Echneiber,
Dito Kienle, Michel Lorthammer, Hs. Irg. Stieß, Weißgerber, Hs. rg.
Stich, Bäder, He. Wolf Stieß, Weißgerber, Hs. Irg. Ungerer, Leineweber,
Joachim Ungerer, Leineweber, Ib. Wagner, Abraham Werber, Schubmader;
— als „im Eril geftorben“ oder „verjhollen*: Elias Bartbolb, Wag⸗
ner, Jerg Barthold, Ho. Beckh, Roſenwirth, Ib. Breidt, Bäder, Ib. Bech,
Flößer, Chriſtoph Bud, Leineweber, Joh. Euchele, Tuchmacher, Rudolf Euchele,
Zeugmacher, Math. Enderle, Krämer, Hs. Ib. Gerwig, Flößer, Math. Lott—
hammer, Dietrich Meerwein, Hutmacher, Hs. Ib. Meerwein, Metzger, Chriſtian
Meyer, Hans Mürrle, Färber, Hs. Schneider, Stieß, Bürgermeiſter, Joh.
Ungerer, Leineweber, Niklaus Ungerer, Hafner.
560 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746,
Nah dem Krieg und befonders im erften Viertel des 18. Jahr:
hundert? nahm die Bevölkerung raſch wieder zu, wie das oben ſchon
(S. 551) bemerkt worden if, Es erklärt fi diefe Erfcheinung zum
Theil aus dem Umftande, daß die Zahl der Kinder, die geboren
wurden, die der Geftorbenen in den meilten Jahren um ein Anfehn-
liches überitieg ; andererfeits fand eine ftarfe Cinwanderung neuer Bür—
ger ftatt, die man natürlich in jeder Weiſe begünftigte. 1) Die Ver—
mebrung der Bevölkerung, welche auf erfigenannte Weife erfolgte, betrug
im erften Viertel des 18. Jahrhunderts allein 314 Köpfe Nicht viel
geringer war der Zuwachs, den die Bevölkerung Pforzheims durch
Einwanderung erbielt, weldhe namentlich aus dem benachbarten Württem:
berg zahlreich erfolgte. Zu den Familien, die in den erften Dezennien
bes 18. Jahrhunderts in Pforzheim neu genannt werden, gehören u. a.
die Baurittel, die Kurz, die Mutſchelknauß, die Noller, die Rothacker
(zum Theil), die Hobeifen und die Unter&der. Einwanderer anderer
Art müſſen noch befonders erwähnt werden. König Ludwig XIV,
von Frankreich hatte das von jeinem Großvater Heinrich IV. 1598
gegebene Edift von Nantes, worin den Proteftanten oder Hugenotten
in Franfreih freie Neligionsübung und Gleichberechtigung mit den
Katholiken zuerkannt worden war, 1685 wieder aufgehoben. In Folge
deſſen wanderten viele diefer Hugenotten aus und wurden von manchen
Fürſten nebft andern vertriebenen Glaubensgenofjen, wie Waldenfern,
Wallonen, aufs freundlichfte aufgenommen. Zu diefen Fürften gehörte
auch Markgraf Friedrid Magnus, und unter denjenigen Orten, welche
ihon 1699 eine ſolche franzöfifche Kolonie, anfangs nur aus 5 Familien
bejtebend, erhielten, die fi in der Folge dur neue Zuwanderungen
noch vermehrte, war auch Pforzheim. 2) Den erften Familien wurden
folhe Hauspläte, welche der geiftlichen Verwaltung und dem St. Georgs-
Stift in Folge von Forderungen auf die einft dort geftandenen, aber
) Das Bürgerannabmsgeld betrug damals 10 Gulden für den Mann, 5 für
bie Frau, 5 für je 2 Kinder und 3 fl, Pfundzoli für die Herrihaft, Im
Jahr 1721 jedoch wurde einem neuangebenden Bürger aufgegeben, nicht nur
fein Mannrecht zu beweifen, fondern auch 15 fl. Bürgergeld zu zahlen, 2 Bäume
auf die Almend zu fegen und einen Feuereimer anzufchaffen. Im Jahre 1731
fand eine Erhöhung des Bürgerannahmögelb auf 30 fl. ftatt.
2) Die in der Nähe liegenden württembergifhen Orte Perouse, Pinage,
Villars u, ſ. w, verdanken ſolchen Eingewanderten ihre Gründung.
Siebzehntes Kapitel. Pforzbeim von 16971746. 561
abgebrannten Häufer anheim gefallen waren, unentgeldlich abgegeben
und auch fonftige Freiheiten bewilligt, wenn fie neue Gewerbe oder
Beihäftigungszweige ins Land gebracht hatten. Diefe Refugies ftamm-
ten hauptfächlih aus demjenigen Theil von Südoſt-Frankreich, welder
an die piemontefifchen Waldenſer angrenzte und immer in Verbindung
mit diefen geftanden war. Die neue franzöfifch = reformirte Gemeinde
zu Pforzheim hatte ihren eigenen Geiftlidhen, den fie felbft wählte, und
es wurde ihr zu ihren Gottesdienften die St. Georgsfapelle angewiefen.
(Solche Geiftliche waren zuerft Moutoux, 1709 Aubert, 1729 Gon-
zal.) Als jedoh 1766 das St. George: Kirchlein — dem bekannten
Nüglichkeitsprinzip zu Tieb — abgebrochen wurde und mit ihm der
legte Reſt des St. Georgsſtiftes verichwand, erhielten die Neformirten
1768 das Chor der ehemaligen Franziskanerkirche (die jetige katholiſche
Kirche) zur gottesdienftlihen Benützung zugewiefen, 1) bis fie endlich durch-
gegenfeitige Heiraten in immer nähere Verhältniſſe mit ihren deutſchen
Mitbürgern traten und fi 1804 ganz mit der deutfch =reformirten
Gemeinde vereinigten. Bemerkenswerth dürfte noch fein, daß 9 folcher
franzöfifh:reformirten Gemeinden in Pforzheim 1704 eine Synode
bielten, welche von 9 Geiftlihen und 9 Laien beichiet war. Wie im
benachbarten Württemberg durd die Nefugies einige neue Dörfer erbaut
worden waren, fo ging um 1711 auch die badifche Negierung mit dem
Gedanken um, eine folhe Kolonie im Hagenſchieß, und zwar zwifchen
Pforzheim und Tiefenbronn anzulegen. Dean kam jedody von biefer
Idee aus guten Gründen wieder ab. (Schon das Jahr vorher, 1710,
hatten Stephan Künle v. Mühlhaufen und Jerg Widmann v. Lehningen
für fih und eine Anzahl ihrer Mitbürger um eine foldhe Erlaubniß
nachgeſucht, waren aber abſchläglich beicdhieden worden.) Bon den
Angehörigen der Pforzheimer franzöfifchereformirten Gemeinde find fol:
gende noch befannt: Jean Sammel Brochet oder Brougier, Strumpf:
weber, Jean Bernard, Strumpfftrider, Jean Jacques Faure, Jerome
Lacoste, Barbier, fpäter Weldfherer, Pierre Morgues, Kaufmann,
Andre Dubout, Strumpfmweber, Jean Henri Benezette, Pierre Jourdan,
Lafont, Breniol u. a. m.
1) Die Einweihungsrede, welche der damalige Geiftlie, wiederum ein
Moutoux, bielt, ericd’en in SKarlsrube im Drud unter dem Titel: »Sermon
prononc& le 16. Oct. à l’occasion de la dedicace du temple reforme, bäti ä
Pforzheim. Par Charles Francois Moutoux.
Pflüger, Pforzheim. 36
562 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
Es war 1732 nahe daran, daß Pforzheim noch durch Einwanderer
anderer Art ftärker bevölkert worden wäre. In jenem Jahr, und zwar
am 24. April, kam nämlid von evangelifhen Salzburgern, melde
durch ihren Landesherrn, den Erzbifhof, 1685, 1729 und 1731 Harte
Bebrängniffe erlitten, fo daß viele Taufende von ihnen ins preußifche
Gebiet ausmwanderten, eine Zahl von 230 audy in die Gegend von
Pforzheim, und die baden-durlachiſche Regierung war zu ihrer Auf:
nahme gern bereit. Aber nur ein Meiner Theil bderfelben blieb; die
Meiften zogen weiter ins Darmftädtifche, von wo aus ihnen ſchon früher
MWohnfige angeboten worden waren.
Nehnen wir den Geſammtzuwachs zur Pforzheimer Bevölkerung
zufammen, fo dürfte lettere um 1725 wieder zwifchen 3 und 4000
Seelen betragen haben, Nur langfam nahm fie in der Folge zu, da
dann und wann auch anftedende Seuchen, wie 3. B. während des pol-
nifchen Krieges in den Jahren 1733, 34 und namentlih 1735, wo
die Zahl der Geftorbenen die der Geborenen um 170 überftieg, ferner
in ben Jahren 1740, 1743, 1757, 1762 und 63, 1768, 1772,
1789, 1796 bald geringere, bald bedeutendere Verminderung ber Be:
völferung bradten. Erſt mit dem Jahr 1800 war die Zahl von
5000 Köpfen überſchritten.
Im Jahr 1723 war die Bürgerfhaft 492 Mann ftarf. Darunter
befanden fih 45 Mebger (und 8 Wittwen), 41 Bäder (und 5 Witt:
wen), 21 Rotbgerber (und 2 Wittw.), 36 Schuhmacher (und 5 Wittw.),
17 (7) Krämer und Wirthe (und 7 Wittm.), 1% Zeugmader (und
8 Wittw.), 5 Tuchmacher (und 3 Wittw.), 8 Weißgerber (und 6 Wittw.),
7 Schloffer und Büchſenmacher (und 1 Wittwe), 17 Schmiede und
Wagner (und 5 Wittw.), 7 Seiler, 11 Schreiner, 10 Hafner (und
4 Wittw.), 22 Küfer (und 4 Wittw ), 24 Hofenftrider, Hutmacher
und Dreher (und 7 Wittw.), 19 Schneider (und 2 MWittw.), 25 Gold-
fhmiede und Glafer (und 3 Wittw.), 16 Leineweber (und 3 Wittm.),
4 Sattler, 20 Zimmerleute und Maurer (und 8 MWittw.), I Müller
(und 2 Wittw.), 70 Flößer (und 6 Wittw.), 22 Altſtädter (und 11
Mittw.), 22 Unzünftige (und 9 Wittw.). Dazu famen noch 34
Gefreite und 9 Juden.
E8 möge bier ſchließlich noch, wie früher, einiger Ereigniffe ges
dacht werden, die in ältern Chroniken immer eine bedeutende Rolle ſpielen.
Im Jahr 1709 Herrfchte eine große Theurung, und ging derſelben ein
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697— 1746. 563
fo furchtbar ftrenger Winter voraus, daß die Bäume barften, die Vögel
todt aus der Luft herabfielen, und der Boden fo feft und fo tief ges
froren war, daß man kaum die Todten beerdigen konnte. — Der
Eommer des Jahres 1724 war ein außerordentlich heißer, fo daß es
nur wenig Frucht, aber vielen und guten Wein gab. 1) — Das Jahr
1728 erzeugte ebenfalls fo viel Wein, daß das Fuder nur 6 Gulden
galt. — Das Fahr 1739 brachte wieder einen fehr firengen und dabei
entfeglich langen Winter. Gleich nah dem Herbit fing die Kälte an
und dauerte faft ohne Unterbrehung bis zum 26. März 1740 fort. —
Am Jahr 1729 vi das Hochgewäſſer die 1694 neu erbaute Auer
Brüde mit fi fort. Am 18. Dftober 1740 war abermals ein „groß
Waſſer, wie e8 feit Menſchengedenken nicht gewvefen. Beim Hirihwirth
lief das Waſſer in die untere Stube; von der Auer Brüde aus konnte
man mit einem Milchhafen Waſſer langen.“ Die Altftädter Brüde
wurde damals mit fortgeriffen und erft im folgenden Jahr neu her—
geftellt. — Am 7. Juli 1731 wurden in Pforzheim die 4 fleinen
Kinder begraben, welche eine verwittwete Frau von Nafchau auf un:
menſchliche Weife ermordet hatte. So erzählt das damalige Kirchen:
buch, ohne indeß Näheres über die That, namentlich die Veranlaſſung
derfelben, mitzutheilen.
$ 4 Pforzheim im ſpaniſchen Erbfolgehrieg 1701 — 1714 nnd im
polnifchen Krieg 1733 — 1735. 2)
Bieles von dem, was in den drei vorhergehenden Abfchnitten
erzählt wurde, fällt in die Zeiten des fpanifchen Erbfolgekriegs,
da derfelbe 1701 ausbrad und 1714 zu Ende ging. Einzelne Vor:
fälle diefes Krieges, infofern fie auf Pforzheim Bezug haben, müſſen
jedoch noch befonders erwähnt werden. Glücklicherweiſe wiederholten
fid) in demjelben die Greuel des orleans'ſchen Krieges nicht; doch hatte
Pforzheim durch Durhmärfche, Einquartierungen, Bezahlung von Kriegs:
geldern ꝛc. Manches zu leiden, was das Wiederaufblühen der Stadt
nicht begünftigte, |
*) Diefe und die folgenden Notizen nah den Aufzeihnungen des Ritter:
wirths Trautwein, zum Theil auch nah Natheprotofollen.
2) Quellen: Rathsprotofolle, Kriegstoftenrehnungen, Kirchenbücher,
Alten des Landesarchivs ꝛc. 36*
564 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746,
Der König Karl II. von Spanien war im Winter 1700 ohne
Hinterlaffung eines Leibeserben geftorben. Auf die Thronfolge machten
nun Defterreih und Frankreich Fraft Verwandtſchaftsrechtes Anſpruch.
Karl II. hatte zwar einen Enkel Ludwigs XIV. zu feinem Erben ein
geſetzt; allein Defterreich erkannte das Teftament nicht an, und fo am
es denn zu demjenigen Kriege, der in der Gejchichte unter dem Namen
des ſpaniſchen Erbfolgefrieges bekannt ift. Auf Defterreichs Seite traten
das Reich, Holland und namentlich auch England, während der Kurfürft
von Baiern die Partei des Königs von Franfreich ergriff. Die deutfchen
Heere wurden in dieſem Krieg vorzugsweife von den beiden ruhmge—
frönten Feldherrn, dem Prinzen Eugen von Savoyen und dem Mark—
grafen Ludwig von Baden, die englifchen Truppen von dem ſcharf—
blitenden und umfichtigen Herzog von Marlborougb angeführt. Auf
franzöfifcher Seite zeichnete fih der Marſchall Villars aus.
Der Krieg begann 1701 in Stalien, wo Eugen raſche Erfolge
erfämpfte. Schon im folgenden Jahr entbrannte dev Kampf auch am
Rhein, indem Markgraf Ludwig mit einer deutfchen Reichsarmee von
16,000 Mann, die er bei Heilbronn geſammelt hatte, im Frühjahr
1702 über diefen Fluß ging, die Belagerung der den Franzoſen gehö—
rigen Feſtung Landau unternahm und .diefelbe im nämlichen Jahr
no eroberte. Im folgenden Jahre vollendete er bei Stollhofen und
Bühl die ſchon 1701 begonnenen berühmten Linien, durch welde er
den Franzoſen bei etwaigen Gelüften, auf diefer Seite in Deutichland
einzudringen, einen unüberfteigliben Damin entgegenfeßte. Wirklich
wurden auch, jo lange der Markgraf Iebte, alle Angriffe der Franzofen
auf diefe Linien mit Erfolg zurüdgeichlagen.
As 1702 die Gefahr des Krieges der Markgrafichaft näher
gerüdt war, Fam unterm 10. März ein fürftlicher Befehl, daß fidy bei
ben gefährlichen Läufen die Bürger mit gleichförmigen Talibermäßigen
Gewehren und Flinten verfehen und die Dermöglichern unter ihnen die
Koften baar erlegen, die andern in Terminen bezahlen follten. Das
Jahr 1702 ging indefien ziemlich ruhig vorüber, nur rüdten im
November deutfhe Truppen in Pforzheim ein, um dort ihre Minter:
quartiere zu beziehen.
Als im Aprit 1703 Marfhall Villars die Stollhofer Linien mit
großer Heftigkeit angriff, glaubte man aud in Pforzheim, auf alle
möglichen Fälle fi) vorbereiten zu müſſen. Die Rathsakten wurden
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 565
eingepadt und in das Gewölbe gethan, und die der Stadtfchreiberei
mit den berrichaftlichen Papieren geflüchtet. Allgemein war die Befürch—
tung, daß beim Einbruch der Franzoſen Plünderung und Brand
wiebderfehren möchten. Man kam jedoch dies Mal mit dem bloßen
Schreden davon, da Markgraf Ludwig alle Angriffe der Franzoſen
glücklich zurückſchlug. Doch wurden Stadt und Amt Pforzheim wäh—
rend diefes Jahrs mit bedeutenden Lieferungen belegt. Im April
mußten die Nemter Stem und Langenfteinbah fammt der Stadt und
dem Amt Pforzheim 110 vierfpännige Wägen ftellen, um der in den
Linien bei Bühl ftehenden Taiferlihen Armee Proviant zuzuführen.
Auf die Stadt traf es deren zwölf. Fortwährend mußten auch Scyanz:
arbeiter in die Linien gefandt werden, welche der Stadt bedeutende
Koften verurfachten. Am 22. Dezember 1703 erichien ein fürjtlicher
Befehl, daß die Stadt ein Drittel der auf das ganze Amt fallenden
Naturallieferungen an die Truppen übernehmen müfje, nämlich wöcent:
lich 27351/, Pfd. Brod, 56 fl. 461/, kr. für Hausmannskoft, 686
Simri Haber, 13,626%, Pfd. Heu, 8176 Pd. Stroh, 8 Klafter
Holz und 12%, Pfd. Lichter. Die vom Stadtrath dagegen gemachten
Vorftellungen, daß die Bürgerfchaft Nahrungsmangel babe, daß fie im
vorigen Jahr genug ausgeftanden, ohne daß ihr Jemand geholfen
hätte ꝛc. mögen wohl fruchtlos gewefen fein. Es kamen im Gegentheil
im Januar 1704 noch Forderungen anderer Art dazu. Bon zwei
Redouten, die am Rhein gebaut werden follten, mußten die Aemter
Stein, Langenfteinbad und Pforzheim einjchliehlih der Stadt eine
herſtellen. Ebenfo mußte das Dberamt Pforzheim bei der Flucht des
fürftlichen Hofes nad Bafel zum Fuhrlohn 133 fl. beitragen, wozu
die Stadt 75 fl. beiſchoß.
Mas ben Franzoſen troß mehrfacher Verſuche nicht gelungen war,
nämlich in Schwaben einzubringen und fi dort mit den Baiern zu
vereinigen, das hatten fie im Jahr 1703 doch noch zu Stande gebracht.
Villars drang durch das Kinzigthal gegen die Donau vor und bei
Tuttlingen vereinigten fi das franzöfifhe und das baierifche Heer.
Mittlerweile Fam aber auch der Herzog von Marlborough aus den
Niederlanden den Rhein herauf, zog durh Schwaben und vereinigte
fih unfern der Donau mit dem Prinzen Eugen und dem Markgrafen
Ludwig von Baden. Während letzterer die Belagerung von Ingolſtadt
leitete, griffen die beiden andern Feldherrn dag franzöſiſch-baieriſche
566 Siehzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
Heer unter dem Kurfürften von Baiern und dem Marfhall Billars
bei Höchſtädt am 13. Auguft 1704 an und braten ihm eine furdht-
bare Niederlage bei. Die Trümmer des franzöfiihen Heeres flohen
über den Rhein zurüd und das rechte Nheinufer war von Feinden
wiederum gefäubert.- Dieſer Umftand veranlaßte den Markgrafen Fried:
rich Magnus, feine Reſidenz von Baſel wieder nah Durlach zurückzu—
verlegen.
In den folgenden Jahren war der Kriegsihauplap mehr am
Niederrhein, fo daß man in Pforzheim und der Markgraffchaft wieder
etwas freier aufathmen konnte. Doc fehlte e8 auch in dieſer Zeit an
drüdenden Kriegslaften nicht. Megen des Zruppenfontingentes, das bie
Markgrafihaft Baden: Durlady zu ftellen hatte, wurden der Stadt
Pforzheim außer den gewöhnlichen und regelmäßigen Beiträgen für
basfelbe 1) im Jahr 1705 folgende Auflagen gemacht: fie hatte täglich
66 Mund: und 41 Pferderationen, letztere zu 16 fr. zu bezahlen, an
ber zur Kompfetirung des Pferdeftandes bei der legtern aufgewendeten -
Summe von 4500 495 Gulden zu tragen, und mußte für das Trup—
penfontingent 21 Mann zu Fuß und zu Pferd fogleih anwerben und
ftellen.. Zumuthungen anderer Art betrafen Fouragelieferungen an bie
preußiichen Truppen, Schiffbrückenfrohnen, Stellung von Fuhren zur
Verproviantirung Landaus, Schanzarbeiten bei den Stollhofer Linien
(Pforzheim mußte dazu 33 Mann ftellen), Heugelder und Lieferungen
aller Art. Zur Beftreitung aller diefer Ausgaben mußten außerorbent:
lihe Schatungsgelder eingezogen werden, die aber bei vielen Bürgern
ohne Exekution nicht einzutreiben waren. Weberdies hatte Pforzheim
fortwährend die Laften von Garniſonen und Einguartierungen zu tragen.
Verhängnißvoller als die erften Jahre des Krieges follte das Jahr
1707 werden. Der Markgraf Ludwig Wilhelm hatte am 4. Januar
diefes Jahres fein thatenreiches und ruhmgekröntes Leben befchloffen.
Nach feinem Tode geſchah, was man längſt befürchtet hatte, Der franz
N) Die Markgrafihaft Baden-Durlach hatte zu den Truppen bes ſchwã⸗
biſchen Kreifes zu fielen: 3 Kompagnien zu Fuß zu je 185 Mann und eine
Kompagnie zu Pferd, 34 Mann ftarf, im Ganzen alfo 589 Mann, Diele
verurfachten einen jährlihen Aufwand von 41,603 fl. 18 fr. Davon traf es
das badifche Oberland (Rötteln, Saufenberg und Badenweiler) 30,000 fl.,
das Unterland 11,603 fl. 18 fr. Hiervon famen auf das Amt Pforzheim
3867 fl. 59%, kr., auf bie Stadt Pforzheim allein die Hälfte davon mit 1934 fi.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697— 1746. 567
zöſiſche Marſchall Villars durchbrach im Mai 1707 die Stollhofer
Linien und drang mit feinem Heer zunächſt in die beiden Markgraf:
haften ein. Abermals mußte Friedrich Magnus nach Bafel fliehen.
Die deutfchen Truppen, welche die Linien vertheidigt hatten, zogen ſich
zurüd, und zwar der Haupttheil derfelben unter dem Markgrafen von
Baireuth nach Bretten, der baden-durlachiſche Erbprinz Karl Wilhelm
mit einer Truppenabtheilung über Durlach nad Pforzheim, wohin aud)
der Herzog von Württemberg über Ettlingen feine Truppen führte.
Sämmtlihe Abtheilungen des beutichen Heeres vereinigten ſich am
27. Mai wieder bei Dürrmenz, von wo fich die ganze Armee in der
Nichtung nah Kannftatt zurüdzog, weil fie ſich nicht für ſtark genug
bielt, dem Feinde die Spike zu bieten. Diefem ftand nun Schwaben
offen, und Villars ſäumte auch nicht, von dem erlangten Vortheil mög-
lihften Nuten zu ziehen, hauptfählih durch Eintreiben von Kontribu—
tionen, was bdiefer General meifterhaft verftand. Der Markgrafſchaft
Baden-Durlad wurde eine ſolche von 100,000 Thalern auferlegt und
ben Rändern, welche er nachher durdizog, auf dieſe Weife die Summe
von nicht weniger als 9 Millionen abgepreßt.
Bei der Annäherung der Franzoſen herrſchte in Pforzheim allge:
meine Beftürzung, die um fo begreifliher erfcheinen muß, als die im
orleans’ihen Krieg verübten Greuel noch in allzu frifhem Andenken
waren. Die meiften Bürger fuchten den werthvollern Theil ihrer Habe
zu flüchten oder zu verfteden, und aud alle öffentlichen Bücher und
fonftige Papiere, darunter die Kirchenbücher 1), wurden in Gicjerheit
gebracht. (Im manden Orten des Bezirks, wie in Eutingen und
Brögingen, gingen damals alle ältern Kirchenbücher verloren.) Sogar
die Öloden nahm man herunter, um fie der Gefahr, von den Fran:
zofen mitgenommen zu werden, nicht auszuſetzen. In den lebten Tagen
des Mai erfolgte der Marſch des franzöfiichen Heeres durch Pforzheim.
Dem Bortrab unter General Bieurpont folgte die Hauptarmee unter
1) In dem Pforzheimer Taufbuh von 1707 Heißt es: Als zwilchen dem
4. und 22, Mai die Bühler Linien von den Gallis Überrumpelt worben unb
barauf ber verberbliche Einfall erfolgt‘, alldieweil ber Feind bie Stabt befegt
und fo fort die darauf folgenden Kinder getauft worden” (folgen bie Namen
berjelben); und unterm 20. Juni (01. 122): „In dem Lärmen, ba Fein Kir:
chenbuch zugegen gewest, wurde geboren“ x. — Im Iſpringer Kirchenbuch
fteht: Invasio et raptus Gallicus 22. May 1707 Ispringa factus.
568 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
Marſchall Villars felber, welcher am 30. Mai in Pforzheim war.
Ich ſtoße auf eine Klage, daß er den Bürgern viel Frucht gewaltfamer
Weiſe habe wegnehmen laſſen, auch dem lichtenthaler Kloſterhof 300
Malter, dem Obervogt von Wallbrunn 350 Malter ꝛc. Gr kieß, als
er feinen Marſch nah Schwaben weiter fortiegte, in Pforzheim unter
dem Kommando des Obriftlieutenant® de Barbaray vom Regiment
Navarra ZOO Mann zu Fuß und 300 Mann zu Pferd als Garnifon
zurüd. Der Kommandant fuchte die Stadt fogleih in beſſern Ver—
theidigungsftand zu feßen und Tieß bei der Nonnenmühle, beim Schoß=
gätter, am Altftädter Thor und im Schloß allerlei Schanzarbeiten vor—
nehmen. Um ihn bei guter Yaune zu erhalten, war befchlofjen worden,
ihn von Eeiten der Stadt gleih anfangs 100 Gulden und feinem
Adjutanten und dem Major jedem 32 Gnlden zum Gefchent zu madyen.
Diefe Summen wurden aus den fog. Sauvegardegelden genommen.
Man war nämlih noch vor dem Einmarſch der Franzoſen in die
Markgrafihaft bei Marihall Villars um eine Sauvegarde eingefom-
men, welcher deren ſogar zwei ſchickte. Diefelben lagen vom 24. Mai
bis 11. Juni, alfo 19 Tage in Pforzheim; alsdann ging die eine
davon ab, während die andere noch zurückblieb. Diefe Sauvegarden
verurfachten der Stadt während diefer Zeit einen Koſtenaufwand von
nicht weniger als 717 fl. 48 ir. 1) Zur Beftreitung desfelben wurden
— —
1) Es dürfte intereſſant fein, denſelben hier näher ſpezifizirt zu finden.
Die beiden Eauvegarbebriefe Fofteten (A 1 Louiodor od. 8 fl) 16 fl. — Fr.
Marſchall Pillars bezog für jeden der Sauvegarden an
I Lbr., macht für 19 Tage . — 4, —
Gebühr für die Sauveyardın A 1 fl. 30 %. > 0 .. 587 —2
Zehrung berielben . i E =. 100, 488,
Vom 11. bis 30, Juni, alſo für 20 tage für eine Eauvegari
an Marſchall Villars .160 — .
Gebühr . i se re. ee
Koſtgeld für letztere 2 A. 30 fr. : u : . 90. -.
| 7171.48 fr.
Unter ber Zehrung von 400 fl. 48 fr. waren nidt weniger als 158 Maaß
Wein begriffen, welchen die beiden Sauvegarden in 19 Tagen (alfo täglich
81/3 Maaß) vertilgt hatten, wodurd fi der Name „Saufgarben“, ben ber
Vollswig diefen Sicherheitswächtern gab, zur Genüge rechtfertigt. Wahrichein-
lich um folden Ausihreitungen eine Schranke zu fegen, wurde für die eine
Sauvegarde ein Koftgeld feſtgeſetzt.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 569
diejenigen befondern Umlagen auf die Zünfte und auch anf die „Gefreis
ten“ gemacht, von denen als „Sauvegardegeldern“ fo eben die Rede
gewefen. Zu diefen famen aber nocd die nicht minder bedeutenden _
Garnifonsgelder, die im ähnlicher Weiſe repartirt und erhoben wurden.
Daß die Stadt auch einen bedeutenden Theil der dem Lande auferleg:
ten Kontributionggelder bezahlen mußte, braucht kaum bemerkt zu
werben.
Am 23. Juni erfolgte ein Wechſel der Garnifon. Der Komman—
dant erhielt wieder — ob freiwillig oder gezwungen, weiß ich nicht —
ein Geſchenk von 100 Trentefo's (à 45 fr.), alfo von 75 fl., und auch
fein Adjutant, der Major, ja der Kammerdiener und der Kod) des
Kommandanten wurden im entfprechender Weile bedacht. 1) Die neu
einrüdenden Truppen fuchte man durch reiche Bewirthung unter den
Thoren in gute Stimmung zu verfegen. 2)
Mittlerweile Hatten fi die deutichen Truppen unter dem Mart:
grafen von Baireuth vor ben rachrüdenden Franzoſen immer meiter,
und zwar bis gegen Nalen und Ellwangen bin, zurüdgezogen. Letztere
batten bereits den Nedar überfchritten, als der Markgraf, der ent:
fhloffen war, nicht weiter zu retiriren, Ende Juni über Heilbronn und
Bruchſal an den Rhein und zwar gegen Philippsburg zurückmarſchirte.
Dadurh zwang er auch den Marſchall Villars zu einer rückgängigen
Bewegung. Nachdem no im den lebten Tagen des Juni Deputirte
des badifhen Unterlandes, von Pforzheim Apotheker Salzer, in das
franzöfifche Hauptquartier nad Kannftatt zur Regelung der Kontribution
gefchidt worden waren, 3) erfolgte in den erften Tagen des Juli der
Rückmarſch der franzöſiſchen Armee, und zwar über Pforzheim nad
Grögingen, wo Villars Furze Zeit das Hauptquartier auffhlug. In
1) Der Major unb Abjutant erhielt jeder 15 fl., der Kammerbdiener 7 fl.
30 kr. der Koch 4 fl. 30 fr.
2) Die Nehnungen, welche in Folge defien Kantenwirth Beh, Mobren:
wirtb Geiger, Kronenwirtb Wagner, Poſthalter Kieffer und Sternenwirth
Stieß einreichten, bewiefen, daß es Offizieren und Gemeinen an Hunger und
Durft nicht fehlte. Auch dem edlen Gambrinusfafte fprahen die Franzojen
wader zu.
9) Salzer erhielt 30 fl. Reifefoften, an Hofratb Beſch wurden wieder
erfegt AB fl., ebenfo an Amtmann Roſer für gemachte Berehrungen (geh. Sekre—
tär des Intendanten 6 Doublonen A 4 fl., Sekretär des Marfhalle 4 D.,
Schreiber des Intendanten 1 D. x.) 52 fl.
570 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
Pforzheim hatte er eine Gamifon zurüdgelaffen, die indefjen bald
wieder mit der Hauptarmee ſich vereinigte, fo daß die Stadt von
Feinden befreit war. An ihre Stelle traten deutſche Truppen unter
dem Oeneralwachtmeifter v. Enzberg. Nach verichiedenen Hin: und
Herbewegungen beider Armeen, von welchen ndeß Pforzheim unberührt
blieb — nur einmal noch drohte Gefahr, indem Villars den General
Vivant mit 6000 Mann zur Brandſchatzung nah Schwaben abjcicdte,
er kam aber nur bis Größingen, wo ihn die Kaiferlichen wieder zurüd:
trieben — ging Villars im Oktober über Raftatt und Kehl über den
Rhein zurüc, um feine Truppen in das fühliche Frankreich zu führen,
wo indeffen Prinz Eugen von Norditalien aus eingefallen war.
So lange der Kriegsſchauplatz in der Nähe gewefen war, hatten
natürlich auch die Lieferungen fortgebauert, ebenfo die Beforgnifie wegen
eines neuen feindlichen Einfalls. 1) Doch fühlte man fih in Pforzheim
im September ficher genug, um wenigftens die Glocken wieber aufzu:
hängen. Auch die feit dem Einfall der Frangofen im Mai unter:
brochenen Rathefigungen wurden von Ende Juli an wieder regelmäßig
abgehalten. Am 4. Oktober hatte fih bie Stadt des Beſuches des
Markgrafen Friedrid Magnus zu erfreuen, der in der Krone, damals
dem eriten Gafthofe, logirte. Mit dem Einrüden der Truppen in bie
Winterquartiere ging das Jahr 1707 zu Ende. Außer fonftigen Yaften
hatte. dasfelbe der Stadt bedeutende Geldopfer auferlegt. Bon den
58,000 fl. welche die Megierung zur Beftreitung der Kontributionen
bei Kaufmann Leisler in Bafel aufgenommen hatte, traf es die Stadt
Pforzheim mit 6444 fl. 26 fr, welche auf Obligation aufgenommen
wurden. An Sauvegarde:, Verpflegungs:, Einguartierungs: und ſonſtigen
Geldern Hatte die Stadt 4751 Gulden, an Schanzgelden — zum
Theil daher rührend, weil die Linien zwifchen Ettlingen und Darlanden
wieder bergeftellt wurden — 1690 fl. zu beftreiten.
In Bezug auf die nod folgenden Kriegsjahre kann id mich kurz
faffen. Im Sabre 1708 wurde am Mhein nichts von Bedeutung
1) Wie es um bie öffentliche Sicherheit Rand, beweist folgender Vorfall:
Anfangs Oktibr. wurbe im Klaffnert der Frau des Marfebenters Ph. Hafer
von 3 Straßenräubern die Gurgel abgeichnitten, nachdem biejelben ihren Mann
vorher erſchoſſen, bie Pferde ausgeipannt und 400 fl. geraubt. Die Frau lebte
zu Jebermanns Verwunderung noch etliche Tage, bis fie Hungers geftorben.
(Kirhenbug von 1707, Fol. 425.)
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 571
unternommen. Defto mehr geſchah in den Niederlanden durch den
Prinzen Eugen und den Herzog v. Marlborougd. Dort wurden bie
Franzoſen völlig gefchlagen, und die Demüthigung Ludwigs XIV. war
fo groß, daß er felbft um Frieden bat und ſich fogar dazu verftehen
wollte, allen bei und feit dem weftphälifchen Frieden gemachten Raub
wieder herauszugeben. Allein die Unterhandlungen zerfchlugen ſich
wieder, weil feine Gegner noch höhere, nur zu hohe Forderungen ftell:
ten. Noch 6 Jahre dauerte nun der Krieg mit abmwechielndem Glück.
Das Jahr 1713 Tegte dem badifchen Unterland größere Opfer auf,
indem die Lieferungen an die bdafelbft fich aufhaltende deutfche Armee
gar Fein Ende nehmen wollten. England ſchloß jedoch no im näm—
lichen Jahre den Frieden zu Utrecht, der Kaifer das Jahr darauf,
nämlich 1714, den Frieden zu Baden in der Schweiz, nachdem bie
Unterhandlungen ſchon vorher zu Raſtatt begonnen hatten. Die Ver:
hältniffe hatten fi in den letzten Kriegsjahren in einer Weiſe geftaltet,
daß Ludwig XIV. beim Friedensſchluß nicht nur Nichts verlor, fondern
es auch durchſetzte, daß die Krone von Spanien, die den Anlaß zum
Kriege gegeben, feinem Enkel verblieb.
Es mag bier auch eines andern Krieges mit erwähnt werben,
ber in den 1730ger ‘Fahren fpielte und allerlei Bedrängniß brachte,
wenn auch unfere Gegend nicht der Hauptfchauplak von Schlachten und
dergl. war. Ich meine den polnifhen Krieg in den Jahren 1733
bis 35. Er war in Folge der polnischen Königswahl entftanden, daher
der Name. Da aud das deutfche Reich daran Theil nahm, fo er:
fchienen bald bedeutende Armeen am Oberrhein, und die Markgrafſchaft
wurde von franzöfifchen und deutſchen, auch ruffifchen Truppen über:
ſchwemmt. Die Heerführer bewieſen übrigens dem Lande ziemliche
Schonung. Der Markgraf verglich fi) namentlich von Bafel aus
mit dem franzöfifchen Anführer zu regelmäßiger Zahlung der auferleg-
ten Kontribution, fo daß das Land die fonft mit einem Krieg ver:
bundenen Drangfale weniger empfinden durfte. Doc finden wir, daß
die Stadt Pforzheim vom November 1733 an durch Fouragelieferung
an die Franzofen, durch Frohndfuhren und Schanzarbeiten ziemlich in
Anfprud genommen wurde, und im folgenden Jahre wegen Mangel
an flüffigen Mitteln zur Bezahlung der Kriegskoften ein Kapital von
2000 Gulden aufnehmen mußte. Bei Annäherung der Franzoſen
ihon Hatten mande Bewohner der Stadt und des Bezirks, welche von
572 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746,
diefen Gäften nach früher gemachten Erfahrungen nur das Schlimmſte
erwarteten, die Flucht ergriffen und ihre Habe in Sicherheit gebracht. 1)
Dod konnten die dies Mal allzu Aengſtlichen bald wieder zurüdtehren.
As der ruffifche General Byron mit 17,000 Mann beranrüdte
und zum SHauptquartier Größingen bei Durlah erfor, kam aud
eine ruſſiſche Heeresabtheilung unter dem General Lacy nah Pforzheim,
um dort Quartier zu nehmen, Ihre Anweſenheit erzeugte eine Seuche
in der Stadt, ber viele Bewohner derfelben zum Opfer fielen, jo daß
im Jahr 1735 die Zahl der Geftorbenen die der Gebornen um 170
überjtieg.
Der Friede von Wien machte diefen „Kriegstroublen“ 1735 ein
Enbe. .
Bon dem öfterreichifchen Erbfolgekrieg (1740 —1748) wurde die
Markgrafihaft Baden und Pforzheim in fo fern auch berührt, als
mehrfach Truppendurchmärſche ftattfanden. Im Februar 1743 beber:
bergte Pforzheim franzöfifche Kriegsgäfte, wobei der Küfer Berthold
Gerwig am Gauchthor von einer franzöſiſchen Schildwache erjchofjen
wurde. 2) Als im Auguft 1744 die Defterreicher unter Prinz Karl
von Lothringen vom Rhein nad Böhmen zurüdmarfcirten, famen auch
einzelne Hceresabtheilungen, darunter Hufaren, PBanduren, Kroaten ꝛc.
durch Pforzheim. 3)
8.5. Gründung des MWaifenhaufes in Pforzheim,
(1714.) %)
Wenn auch die Gefchichte des Waiſenhauſes zu Pforzheim, das
immer eine Staatsanftalt war, mit der eigentlichen Geichichte der Stadt
ı) Ein Eintrag im Taufbuch von 1734 Tautet: Am 25. Mai ift allhier
in der Flucht tempore belli und der troublen, auch Echwachheit halber im
Haus getauft worden: Jak. Friedrich, des Pfarrers von Niefern Preu Kind,
2) Städtiſches Kirchenbuch.
2) Aufzeichnungtn von Ritterwirth Trautwein.
*) Quellen: Umſtändliche Nachricht von dem Waiſenhauſe, wie
auch Toll- und Krankenhauſe zu Pforzheim, ingleichen von dem Zucht- und
Arbeitshauſe daſelbſt. (Bon dem geheimen Rath Joh. Ib. Reinhard.) Karls
rube bei Maflot, 1759, — Alten ber Großh. Heil: und Pflegeanftalt
(darin namentlich der von dem Irren- und Giehenhausverwalter Sigm. Gott:
lieb Eifenlohr im Jahr 1810 erflattete Bericht.) — Statiftiige Nachrichten
über die Siehenanftalt zu Pforzheim von Direftor Dr. Müller, (Freiburg
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 573
im Allgemeinen nur in loſem Zuſammenhang fteht, fo ericheint doch
der Umftand, daß die jett fo blühende Hanptinduftrie Pforzheims aus
jener. Anftalt hervorgegangen ift, wichtig genug, um derſelben bier eine
größere Berüdfichtigung zu ſchenken, als dies unter andern Verhält—
niffen wohl geſchehen würde.
Bald nad dem Naftatter Frieden faßte Markgraf Karl Milhelm
den Entſchluß, ein Pandeswaifenhaus, und zwar in der Stadt Porz
heim, zu gründen und mit demfelben ein Irren-, Siechen: und Zucht—
haus zu verbinden. Nachdem deshalb im September 1714 ein fürſt—
liches Ausichreiben in die damals baden-durlachiſchen Landestheile er:
gangen war, wurde der Architekt Johannes Schütz aus Offenbad) nad)
Pforzheim berufen, um für die nenaufzuführenden Gebäulichkeiten einen
geeigneten Platz ausfindig zu machen, die Baupläne zu entwerfen und
die Ausführung derielben zu leiten. Anfänglich wurde die Stelle, wo
früher das Dominikanerkloſter geftanden batte, zum Bau auserſehen;
da ſich diefelbe jedoch nicht ganz geeignet erwies, namentlich weil fie
allzufehr mit Häufern umſchloſſen war, fo wählte man dazu denjenigen
Plaß, melden früber das von dev Markgräfin Irmengard geftiftete
Siechenhaus fammt dem anftoßenden Dominifanerinnenklofter, deſſen
Gebänlichkeiten nach der Neformation mit jener Anftalt vereinigt wor:
den waren (&. 329, eingenommen hatte, Wegen feiner größern Aug:
dehnung und feiner freien Lage erfchien derfelbe allerdings der Beſtim—
mung angentefjener, welde man ibm geben wollte. Der alsbald in
Angriff genommene Bau gedieh nach und nach fo weit, dak am 1 Mai
1718 die Eimweihung des Haufes und die Einführung der aufgenom—
menen 60 Waiſen ꝛc. ftattfinden Tonnte. 1) Für die damit verbundenen
Feierlichkeiten erfhien ein eigenes Programm. 2) Der Markgraf nahm
bei Wangler, 1844). — Feichreibung der Stadt Pforzheim v. Roller, (Pforz—
beim bei Ka, 1811). — Akten der Großh. Demänenverwaltung Piorzbeim,
— Baifenpartifularrehnungen für Pforzheim. —
1) „Eo hat audy der Durdlauchtigfte Fürft und Herr, Margraf Karolus
aus-bem eingeäfcherten Nonnenklofter und Spital cin berühmtes herrlich er:
bantes Waiſen- armen Wittwen: und Zuchthaus erbaut, welches .Ao. 1718
Nom. Misericordias Dei solenniter eingeweiht worden” fagt Spezial Wil* im
Kirchenbuch von 1717.
2) „Ihro hochfürſtlichen Durchlaucht des regierenden Hern Maragraven
zu Baden und Hodberg gnäbiafte Verorbnung, wie es mit der vorfienden
Inauguration des Pforzheimifchen Wayſenhauſes fol gehalten werben.“
574 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746,
in eigener Perfon, begleitet vom Kirchenrathsdireltor Zur Gloden
und dem Kirchenrath Hölzlin, an derfelben Theil und fand fid) aud
bei dem im der neuen Anftalt bergerichteten Feſtmahle ein. Die
Beamten und fonftigen Bedienfteten des Maifenhaufes wurden vom
Markgrafen felber in Eid und Pflicht genommen and die Anftalt für
eröffnet erflärt. Zur Beauffichtigung und oberften Verwaltung derſel—
ben wurde in Pforzheim ein Verwaltungsrath niedergeſetzt, welcher aus
bem geheimen Rath und Obervogt Scheid, dem neuernannten Waifen:
hausdirektor Schüß, den Etadtgeiftlihen Bergmann und Seufert, dem
Mitglied des Gerichts, Konrad Kab, und dem Rathsherrn Mathäus
Kummer zufammengefebt war.
Mittlerweile wurde audy mit dem Bau der Waifenhaugfirche fort:
gefahren und diefelbe am 15. Januar 1719 feierlich eingeweiht. Um
diefe Zeit war die Zahl ſämmtlicher Pfleglinge der Anftalt fchon auf
200 angewadhfen. Einen Theil der Mittel zum Unterhalt fo vieler
Berfonen fuchte man ſich durch Anlegung verfchiedener Fabriken in der
Anftalt felbft, in denen die Pflege: und Züchtlinge auf eine nutz—
bringende Art befchäftigt werden follten, zu verfhaffen. Mehrere der:
felben, wie eine Papiermühle, eine Hut: und Bandfabrit, aud eine
Buchdruderei, die man projektirt hatte, kamen jedoch nicht zur Ausfüh-
rung; andere, wie Meſſer-, Scheeren- und Gflasperlenfabrifen hörten
bald wieder auf, Nur die Tuch, Mollenzeug: und Strumpffabrifen
wurden längere Zeit fortgefeßt und follten fpäter für die Stadt Pforz:
heim jelbft, in Verbindung mit andern derartigen Unternehmungen, fehr
wichtig werden. — Auf der andern Seite wurden dem Waiſenhaus
verfchiedenes Eigenthum und anjehnliche Gefälle zugemwiefen. Dazu
gehörten, außer den für die Anftalt neu aufgeführten Gebäulichkeiten,
die vormaligen Spitalgüter, nämlih an 15 Morgen Wiejen im Hagen
ſchieß, ferner die Gebäulichkeiten und Güter der St. Georgenpflege,
Veßtere no in 21/, Morgen Ader und einem 2400 Schritt im Um—
fang baltenden Wald beftehend, — die noch flüffigen Einkünfte des
Spitals in Kapital und Bodenzinfen im Betrag von 638 fl. 221/, kr.
fanımt etlichen Naturalbezügen, 1) die Einkünfte der St. Georgenpflege
) Der größte Theil des reichen Vermögens dieſes Spitals und bes che-
maligen Dominikanerfloftere war im 30jährigen und orlcans’shen Kriege
verloren gegangen.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 575
mit 741 fl. 291/, kr., die Durlacher Spitalgefälle, die Sonderfiechen-
Pflege-Einkünfte vom Hochberg, die Spital- und Almofengefälle von
Ealzburg, die Sonderfichenpfleggefälle von Rötteln und Saufenberg,
die Ueberſchüſſe der Almojenkapitalien und SKTingelbeutelgelder, die
Lotteriegelder, — alle diefe Einkünfte im Geſammtbetrag von jährlichen
6653 fi. 591/, ir. Dazu famen ferner als unbeftändige Revenüen
die Kollekten an Fettagen, die Opfer von Kommunionen, Kindtaufen,
Hochzeiten und Leihen, die Opfer aus den fonntäglihen Sammelbüch—
fen, der Ertrag der Schwörbüchſen, Mufiterlaubnißtaren bei Hochzeiten,
Tanztaren, Taxen vom Gin» und Ausſchreiben der Profefjioniften,
Strafen ꝛc. Sodann wurde auch unterm 8. Februar 1718 der unge:
führ 15 Morgen große Schloßgarten dem Waifenhaus zur einftweiligen
Benügung überwieien. (Der Dftertrag mußte jedoch an die mark:
gräfliche Küchenmeifterei abgeliefert werden.) Endlich hatte fich die neu:
gegründete Anftalt bald anſehnlicher freiwilliger Beiſteuern und Ber:
mädhtnifje zu erfreuen,
Dbgleih nun Alles aufs Befte geregelt fchien und das MWaifen-
haus unter den günftigjten Ausfichten eröffnet worden war, fo riß doch
in demfelben bald die größte Verwirrung und Unordnung ein. Der
beftellte Direktor (ein Architekt!) entiprad den Erwartungen nicht; unter
den Bedienfteten berrichten fortwährende Zerwürfniffe; die im die Anftalt
verpfründeten Pfleglinge wollten fih der Hausordnung nicht fügen;
die in bderfelben angelegten Fabriken wollten feinen rechten Fortgang
nehmen, weil es an fachverftäindiger Leitung derfelben fehlte und die
von auswärts dazu beigezogenen Arbeiter die Unordnung noch vermehr:
ten. Dazu kam nod, daß die Vereinigung fo verfchiedenartiger Pfleg-
linge in eine Anftalt, die zugleich Waifen:, Irren-, Siechen-, Pfründ:
ner: und Zuchthaus fein follte, fih, wie vorauszufehen war, auf bie
Dauer als wenig fegensreid erwies und bie fchlimmften Folgen für
das Haus und feine Bewohner nach fi 308. Zum Unglüd war auch
noch die Oberaufficht über die kombinirte Anftalt eine zu wenig ein:
heitlihe. An die Stelle des urſprünglichen Verwaltungsrathes, ber
ziemlich unbeſchränkte Vollmacht befefjen hatte, war eine Waifenhaus-
beputation getreten, die unter den fürftlichen Kollegien zu Karlsruhe
ftand, und zwar beforgte die fürftliche Mentlammer das Haushaltungs-
weien, die Megierung die Hauspolizei, der Kirchenrath die geiftlichen
und Schulangelegenheiten; alle drei Behörden aber mußten die wid
576 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
tigften Angelegenheiten wieder vor das Minifterium bringen. Dies hatte
die üble Folge, daß nicht allenthalben nad gleichen Grundſätzen ver:
fahren wurde, und machte diefer Umſtand viele Anfragen und weit:
läufige Kommunikationen nothwendig und „dum deliberabamus Rome,
peribat Saguntus“ jagt der geheime Rath Reinhard in feinem über
alle diefe Verhältniſſe fpäter erftatteten Beriht. Die Anftalt gerietb auch
wirklich in einen foldhen Verfall, daß eine ganz neue Organifation der:
felben nöthig wurde. Diefe erfolgte aber erjt unter Markgraf Karl
Sriedrich, weshalb ich im folgenden Kapitel darauf zurüdfommen werde.
86. Der Privilegienfreit. 1)
Es ift im Vorgebenden ſchon mehrfach auf diefen Streit binge-
deutet worden, der zulegt zu einer merkwürdigen Kataftrophe führen
follte. me Darftellung desfelben, bei der wir uns indeffen auf das
Wichtigſte beſchränken wollen, ift um fo nothwendiger, als es ſich dabei
überhaupt um einen Kampf der neuern Zeit mit der alten handelte
und die hergebrachte Stadtverfaſſung Pforzbeims durch denfelben mehr:
fache Veränderungen erlitt.
Welche Privilegien Markgraf Ehriftoph der Stadt im Jahr 1491
verlichen, zeigt die S. 216 mitgetheilte Stadtordnung. Nach $ 1 der-
felben waren die Pforzheimer von Entrichtung aller Bete, Schatzung,
Steuer, kurz, aller direkten Abgaben, ſewie von allen Herrfchaftsfrohn-
den befreit. Trotz diefer Befreiung von direften Steuern mußte ſich
die Stadt „zur Erzeigung ihres Gehorfams, auch zur Verminderung
der fchweren fürftlihen Schulden, (wofür Pforzheim zum Theil mit
verfchrieben war,) fomwie endlich zur Veftreitung der Koften der fürft:
lichen Hofhaltung“ mehrfach zu ftändigen Abgaben verftehen, wie oben
bei den Jahren 1554 und 1573 (©. 276), 1582 (©. 355) und
1585 (S. 357, vergl. auch S. 475) gezeigt worden if. Es geſchah
dies zwar nie ohne Verwahrung von Seiten der Stadt und nie ohne
Nevers von Seiten des Türften, allein die Stadt Fam, wie bereits
©. 357 bemerkt wurde, aus der Bezahlung folher Abgaben nicht mehr
beraus und fie wurden zuletzt zur regelmäßigen und ordentlichen Steuer.
) Quellen: Akten des Lanbesarhivs, Pforzheimer Ratheproto:
tolle, ein Notabilienbucd bes flädtiihen Archivs, Entwurf einer Er:
neuerung der Privilegien im Jahr 1807 x.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 577
oder „Schatzung.“ Wann legterer Name an die Stelle der „außer:
ordentlichen Hilfe” trat und man, im Widerſpruch mit $ 1 der Stadt:
verfafjung von 1491, diefe eigentlich vorübergehende Abgabe als regel-
mäßige „Schatzung“ zu erheben begann, das vermag ich nicht zu fagen.
Schon bald nach dem dreifigjährigen Krieg, fo in den 1660er Jahren,
ift in den Ratbsprotofollen der Schagung häufig erwähnt, und da in
jenen traurigen Zeiten die Noth fein Gebot kannte, und weder bie
Landesſchulden, noch die Koften der fürftlichen Hofhaltung ſich minderten,
fo mußten fi die Pforzheimer nicht nur zur Zahlung der ordentlichen
Schatzung verftehen, fondern fie wurden auch häufig zu aufßerorbent:
Gen Schagungen beigezogen. Nach dem orleans’schen Krieg hatten die
gleihfam neue Schöpfung bes Landes, die Wiederherftellung der öffent:
lichen Gebäude, die der Krieg faft alle zerftärt hatte, die zunehmenden
Koften des deutſchen Gerichtöverfahrens, insbefondere aber auch bie
Veränderung in fo manden Staatseinrihtungen, wie 3. B. im Mili-
tärweſen, eine Vermehrung der Staatslaften zur nothwendigen Folge,
Es konnte alfo aud von dem Nachlaß der Schatung in Pforzheim
und andern gefreiten Städten um fo weniger die Rede fein, als bie
Bürger durch das ftändige Militär, welches zu halten der Mark:
graf von Baden wie alle andern deutſchen Fürften durch die weränder:
ten Zeitverhältniſſe mit gebieteriiher Nothiwendigfeit gezwungen war,
auch wieder von mancher Laſt befreit wurden, indem bie Kriegspflicht
fie viel weniger in - Anspruch nabm. Wären indeffen die namentlich
zur Beftreitung der Koften für das Militär, für Gelandtfchaften, für
Reichs: und Kreisbeiträge ꝛc. erforderlichen Abgaben unter einem andern
Namen, etwa, wie es fpäter gefhah, als Reichs: und Kreisfteuer
und nicht als Schatung erhoben worden, und wären überhaupt auch
manche herausforbernden Handlungen und nicht zu Billigenden Verſuche,
manche Privilegien der Stadt zu bejtreiten und zu befchneiden, von
Seiten der fürftlihen Beamten unterblieben, fo würde der bittere Pri—
vilegienftreit wohl nie entbrannt fein. Es wurde eben von allen Seiten
gefehlt, und die Folgen blieben nicht aus.
Der Betrag der Schatung war nicht immer der gleihe, Im
. erften Zehntel des 18. Jahrhunderts wurden monatlih 10 Kreuzer,
alfo jährlih 2 Gulden von 100 Gulden des Steuerkapitals erhoben,
während früher. nur 20 Baten bezahlt worden waren. Aber auch diejer
Betran reichte zur Beftreitung der Bebürfniffe nidt aus. Statt jähr—
Pflüger, Piorzbeim. 37
578 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746,
licher 12 Monatgelder wurden 3. B. 1713 deren 18, ja in mandhen
Jahren 24, alfo gerade das Doppelte verlangt. Das rief in Pforzheim,
wo um 1714 die Zahl der unruhigen Elemente durch neue Einwande—
rungen, namentlich aus Württemberg, fehr vermehrt worden war, große
Unzufriedenheit hervor, und zwar um fo mehr, als von Seiten ber
Regierung jeden Augenblid Verſuche gemaht wurden, die Stadt auch
zu Frohnden beizuziehen. Daraus entftand zugleih Mißtrauen gegen
die Abfichten derfelben. Es kamen auch noch Beſchwerden anderer
Art dazu, die ebenfalls die Verlegung verfchiedener Rechte der Stadt
betrafen, indeffen nicht immer gegründet waren, ine ſolche Beſchwerde⸗
fchrift reichte die Stadt u. A. 1716 ein, die verfchiedene Punkte ent
hielt, welche die Schatzung, den Pfundzoll, die Maaßkreuzer (zu welchem
ber frühere Maafpfennig angewacfen war), das Fleiſchumgeld, den
Salzbandel, den Umgeldeinzug ꝛc. betrafen, und jebt ſchon und fpäter
mit viel fchärferer Betonung wurde ein Zurückgehen auf die Beftim-
mungen des Privilegienbriefes von 1491, den der Markgraf bei feinem
Regierungsantritt 1709 ja felber feierlichit beftätigt habe, verlangt, Es
wurde bei ſolchen Klagen num freilich vielfach überfehen, daß manche Para-
graphen jenes Privilegienbriefs feither auf dem Weg gegenfeitiger Ueber⸗
einfunft abgeändert worden waren. So war z. B. das Fleifchumgeld
wegen des gejunfenen Geldwerths 1672 mit Zuftimmung der Metzger⸗
zunft erhöht worden, 1675 auch der Pfundzoll laut Vertrags zwifchen
der Stadt und der Herrichaft (S. 472), und zwar von 1 Pfennig auf
2 Kreuzer vom Gulden, wovon der Stadt ber vierte Theil zufloß; fo
hatte die Herrichaft den Salzhandel, der laut $ 22 des Privilegien-
briefs von 1491 ihr und der Stadt gemeinſchaftlich zuftand, ſchon längſt
allein übernommen und zahlte letzterer dafür eine jährliche Entſchädi⸗
gungsfumme von 103 fl. u. ſ. w. — Wo die Beihwerden ber Stadt
gerechtfertigt erfchienen, war die Negierung, es darf das nicht umbes
merkt bleiben, ftets bemüht, denfelben abzuhelfen. Bezüglich der Schatzung
und fonftiger Landesunkoften jedoch war fle durchaus anderer Anficht,
als die Stadt, und e8 wurde letterer 1717 mit dürren Worten erflärt,
daß man die Stadt Pforzheim von der „Konkurrenz in der Schatzung
und andern Tandesunköften zum Schaden und Nachtheil unferer übrigen
getreuen Unterthanen keineswegs erimiren könne, fondern befehle, daß
man die Bürgerſchaft fünftig mit allem Ernft zum genauen Beitrag an
Schatzung und Landesunföften anhalten folle, wovon fie nun faft von
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746, 579
200 Jahren her niemals befreit, fondern gleich den übrigen Untertha-
nen im Land gehalten geweien und ihren Antheil daran ohne Wider:
rede entrichtet habe.“ (!) Doch gab der Markgraf in einem fpätern
Schreiben (1. Auguft 1717) die Verſicherung, daß er nicht im Sinne
babe, die Privilegien der Stadt zu ſchmälern; er wolle vielmehr noch
Mehreres verbefiern.
Bezüglich eben diefer Schatzung entftanden zwiſchen dem Magiftrat
und der Bürgerfchaft bald Meinungsverfchiedenbeiten. Jener zeigte ſich
nicht abgeneigt, fi) in das Unvermeidliche zu fügen und zur Erhebung
von 12 jährlichen Monatsgeldern als einer freiwilligen BBeifteuer zu
dem Staatsaufwand feine Zuftimmung zu geben. Damit war aber die
Bürgerſchaft nicht einverftanden, fondern wollte von der Bezahlung einer
Schakung überhaupt ganz und gar nichts wiſſen. Die Stimmung
wurde eine immer gereiztere, und richtete ſich zuletzt die Erbitterung
ber Bürgerfchaft nicht gegen die Negierung allein, fondern aud gegen
den Magiftrat. Bereits 1720 kam es zu heftigen Auftritten auf dem
Rathhauſe, das die Bürgerichaft mit gewaffneter Hand beſetzt hatte,
und mußte der geh. Rath Scheid als Oberbeamter erft die Aufruhr:
akte verlefen, ehe die Bürger fi bewogen fanden, wieder abzuziehen.
Schon damals trug das Oberamt auf militäriihe Erefution an, worauf
jede die Regierung nicht einging. Je entgegenkommender aber die
Regierung — mit Ausnahme der Schatzung — fi zeigte, fo um
jene Zeit namentlih auch in Betreff des Tabak-, Eifen- und Salz:
monopols, defto trogiger beharrte die Bürgerfhaft auf ihrem Ver:
langen und war feſt entjchloffen, nicht nachzugeben.
Mit dem Jahr 1723 nahm die Verwicklung einen immer bedrob:
lihern Charakter an. As am 12. Januar die jungen Bürger aufs
Ratbhaus geladen wurden, um dem Herkommen gemäß dem Fürften
ben Eid der Treue zu leiſten, erklärten fie, daß fie das nicht eher thun
würden, als bis die Privilegien der Stadt vollftändig wieder hergeftellt
fein. Diefer Schritt geſchah im Einverftändnig mit der Bürgerfchaft,
weldhe dadurch eine rajchere Erledigung des Privilegienftreites herbei:
führen wollte. Vergebens waren alle Erläuterungen und Belehrungen
der fürftlihen Beamten in Pforzheim, daß ja mande Beftimmungen
der Privilegien auf die dermaligen Verhältniſſe nicht mehr paßten,
andere durdy Verträge abgeändert worden feien, die nicht einfeitig wieder
aufgehoben werden Fünnten. Ebenſo vergebens erwielen ” die Be:
580 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746,
mühungen des Stadtraths, welcher die Bürger flehentlich bat, die Stadt
doch nicht ins Unglück zu bringen. Auf die Drohung einer nah Pforz-
beim geeilten fürftlihen Kommiſſion, daß alle jungen Bürger, welche
nicht ſchwören würden, aus der Stadt gewiefen werden follten, erfolgte
die Antwort: „die alten Bürger würden mit den jungen gehen.” Sa,
als der Markgraf felber, um die Bürger zu anderer Gefinnung zu
bringen, der Stadt bezüglich des Antheils am gemiffen Strafen Zuge:
ftändnifje machte und die Zuſicherung gab, er werde, wenn die jungen
Bürger nur erft gefchmworen haben würden, ihren Bejchmerden jegliche
Berüdfichtigung angebeiben laſſen, gab die Bürgerſchaft den troßigen
Beiheid: „Alle ihre Beſchwerden würden von felbft wegfallen, wenn
man fie nah dem urjprünglihen Wortlaut ihrer Privilegien traktire.“
— Da die Regierung in Ergreifung fonftiger geeigneter Maafregeln
zögerte, fo ging die Bürgerfchaft noch einen Schritt weiter, und erflärte
im April 1723: „daß fie jest, weil fo lange fein Entſcheid von fürft:
licher Herrichaft erfolge, die ‘Privilegien felber interpretiren und vom
nächſten St. Georgstag (23. April) an nichts weiter, als was fie ver:
möge ihrer Freiheiten der Herrſchaft zu geben ſchuldig feien, entrichten
wollten,“ 1)
Noch ein Mal verfuchte die Megierung, den Weg friedlicher DVer-
ftändigung zu betreten und erflärte fih, wenn es die Pforzheimer
Bürgerſchaft zu ihrem eigenen Nachtbeil durchaus nicht anders haben
wolle, dazu bereit, bezüglich des Salzhandels, de8 Metelumgeldes und
bes Pfundzolls auf die Beftimmungen des Privilegienbriefs von 1491
zurüdzugeben, ebenfo der Stadt den vierten Theil des Maafkreuzers
zu überlafjen. Auch der Stadtrath gab fich alle Mühe, die Bürger:
ſchaft zu befchwichtigen und die jungen Bürger zur Abſchwörung bes
verlangten Eides zu bewegen. Er Tegte u. A. auf dem Rathhaus eine
Lifte auf, in melche fich diejenigen einzeichnen follten, die Feinen Anteil
am Ungehorſam der Bürgerfchaft nehmen wollten. Diefelbe fand jedoch
nur 34 Unterfchriften. 2) Als alle folche Bemühungen, die Bürgerfhaft
1) Als die Haupträbelsführer der Fürgerihaft find in den betreffenden
Alten genannt; Wagner Chriſtoph Schnell, Michel Bruder, Krämer Jobann
Ramfer, Sattler Michel Mitſchdörfer, Job. Ib. Ungerer, Dreifönigwirtb Pbis -
Tipp Ungerer, Michel Faut, He. Jerg Bauer, Barbier Lacofte und Matbäus
Seyboldt.
2) Es unterzeichneten beiſpielweiſe Burkhard Beckh, Dietrih Meerwein,
Hs. Mart, Ringer, Hr. Mid. Holzhauer, Job. Ehrift, Deimling, Joh. Ib.
Deimling.
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746. 581
zur Vernunft zu bringen, fich vergeblich erwiefen, jo wufchen Gericht
und Rath der Stadt in feierliher Sitzung ihre Hände in Unfchuld
und lehnten jegliche Verantwertlichfeit für die Folgen, welche folder
Ungehorfam nad fi ziehen würden, von ſich ab. 1) Der Regierung
aber, die fi zu weiterer Nachgiebigfeit nicht entjchließen konnte und
der liberdies zu Ohren gefommen war, daß „die Pforzheimer ſich
wiederholt zufammengerottet und gefchworen hätten, fi eher zu Aſche
verbrennen zu laſſen, als zu ruhen“, blieb fein anderes Mittel mehr
übrig, als die militärijhe Erefution.
Am 30. Juni 1723 morgens 2 Uhr rüdte unter dem Kommando
des Oberften und Obervogts in Durlach Vaſoldt die markgräfliche
Grenadierfompagnie fammt dem badifchen Meiterfontingent ins Schloß
zu Pforzheim ein, zog um 51/, Uhr mit Eingendem Spiel den Schloß—
berg hinab vor das Rathhaus, und wurden alsbald die Thore der Stadt
unter Entfernung der Bürgerwachen militärifch beſetzt. In Begleitung
der Truppen fam eine fürftlihe Kommiffien, beftehend aus dem
Geheimrathspräfidenten von Uexküll, dem geh, Rath Stadelmann und
dem Hofrath Kefiel. Nach der ihr ertheilten Inſtruktion jollte fie aufs
Strengfte verfahren, zur Exekution nöthigenfalls aud noch die 300
Mann, um welde der Markgraf von Baden den Herzog von Württem—
berg ſchon im Voraus angegangen hatte, vequiriren, die Widerjeglichen
gefänglich einziehen, ja im äußerften Fall aud ihres Lebens nicht ſcho—
nen. Am 4. Juli wurden die Mitglieder des Gerihts und Raths
fammt den Borftänden der 26 Zünfte aufs Rathhaus bejchieden, wo
aud) die eidverweigerndeu jungen Bürger erfchienen, Nacd einigem Hinz
und Herreden erklärten fi) Teßtere bereit, den Huldigungseid ohne
Vorbehalt zu ſchwören. Die Zünfte aber wollten ſich auf nichts Weiter
res, als die einfache Wiederherftellung der Privilegien von 1491 ein
Infien. 2) Auh am folgenden Tag, an weldiem die Mitglieder der
1) Mitaliedber des Raths und Gerichts waren damals: Bürgermeifter
Schober, Altbürgermeifter Joh. Chr, Deimling, G. W. Schmid, Baumeifter
Höning, Hs. rg. Siegle, Hs. Grg. Meerwein, Lorenz Kap, Flach, Job.
Günther, Abrab. Trautwein, J. G. Stieß, D. W. Dertle, 3b. Holzbauer,
Hs. Ph. Erad, Ib. Meier, Ib. Gerwig, Dan, Geibel, Burkard Simmerer,
Konrad Katz, E. M. Kummer,
2) Sie beriefen fih dabei u. U, auf eine Aeußerung des verftorbenen
Bürgermeifters Wohnlich, die derjelbe auf dem Todbett getban: „Die Piorz:
heimer follten ihre Privilegien wieder herzuftellen ſuchen, und wenn fie den
Löffel in der Schublade nicht behalten würden.“
582 Siebzehntes Kapitel. Piorzheim von 1697—1746.
ftädtifchen Behörde fammt den Zunftmeiftern wiederholt vor der fürftlichen
Kommiffion erfchienen, um mit bderfelben gemeinſchaftlich die Privilegien
Punkt für Punkt durchzugehen und in gegenfeitigem Einverftänduiß feft:
zufegen, wie es damit in Zufunft gehalten werden folle, Fam man über den
erften Paragraphen, der von der Schatung handelte, wegen ber obwalten-
den Meinungsverjchtebenheiten nicht hinaus, und ftichen auch die der
Bürgerfchaft auferlegten Kommiſſions- und Erefutionskoften auf großen
Miderftand, Die Vermittlungsvorfhläge, welche am folgenden Tage
ber Bürgermeifter Echober im Namen der ftädtifchen Behörde machte,
und worin u. U. die Bitte ausgeiprochen wurde, die Negierung möchte
der Stadt erlauben, einen Advokaten anzunehmen, wurden von der
fürftlihen Kommiffion, die überhaupt jetzt fehr entſchieden auftrat, zu=
rücgewiefen. Der Markgraf billigte das Verfahren derfelben, zeigte ſich
aber bereit, der Bürgerfchaft zur Berichtigung ihrer Rüdftände an
Schatzung ꝛc. angemefjene Termine zu bewilligen und orÖnete an, daß
die Erefutionsmannihaft auf 40 Mann unter dem Befehl eines Lieute—
nants vermindert werden folle Weil der Markgraf indeß zur Ueber:
zeugung gefommen war, daß bezüglih der fo nothwendigen Reviſion
bes Pforzheimer Privilegienbriefs eine freie Vereinbarung zwiſchen der
Herrſchaft und der Bürgerfhaft Pforzheims, wie foldhe $ 30 der bes
treffenden Urkunde felber vorfchrieb, unter obwaltenden Verhältniſſen
nicht zu Stande fommen würde, indem alle bereits gemachten Verſuche
nicht zum Biel geführt hatten: fo glaubte der Markgraf zu dem Mittel
der Oktroyirung greifen zu müſſen, jedoch nicht, ohne bei den beiden
Univerfitäten Halle und Gießen juriſtiſche Gutachten über feinen Streit
mit den Pforzheimern einzuholen. Weil dieſe indeß nicht fo fchnell
erwartet werden fonnten, die Verwirrung in Pforzheim jedoch einen
Grad erreicht hatte, der fchnelle Abhilfe nothwendig machte, fo erbielt
die neue Ordnung der Dinge, die der Markgraf unterm 12. Juli 1723
aus eigener Mahtvolllommenbeit in Pforzheim einftweilen einführte,
ben Namen eines Interimsbefehls. Da derfelbe in Verbindung,
mit einigen Erläuterungen und Zufägen vom 31. Dftober 1723 und
dem Deffarationgerlak ober Finalbefeh! vom 29. Auguft 1724
fpäter definitive Giltigfeit erlangte und bis auf die neuere Zeit im
Kraft blieb, fo it es nöthig, auf feinen Inhalt näher einzugehen,
Bezüglich der Schatzung wurde feſtgeſetzt, daß die Bürger von
Pforzheim zwar mit dem Schatzungsanſatz, wie folder auf das ganze
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697— 1746, 583
Land repartirt werde, verſchont bleiben, dagegen aber ad prestationes
publicas, wozu fie durch die Privilegien verbunden feien und denen
fie fih durch Fein Recht entziehen könnten, — wie es die Noth erforbere
und was pro rata der Stadt zuläme, beigezogen werden follten, 1) Der
herrſchaftliche Eiſen- und Tabafhandel in Pforzheim follte mit dem 23.
Suli 1723 aufhören. Bezüglich des Hausumgeldes von Frucht wurden
weitere Beftimmungen vorbehalten. Bon allen Strafen, welche das Ober:
amt gegen Bürger und inwohner ber Stadt erkenne, folle letzterer
der vierte Theil zufallen, ebenfo vom Maafkreuzer, von allem Umgelb,
alfo au vom Metgerumgeld, (das nad dem verämberten Geldwerth
folgendermaßen feftgefegt wurde: von einem Centner Ochſen-, Stier:
ober anderm Fleiſch, da das Stüd 4 Eentn. und darüber wiegt, 12 fr,
vom übrigen Rindvieh von jedem Gentner 8 kr., von einem Milchkalb
10 kr., Hammel, Schaf, Bol oder Geiß 3 kr., Lamm oder Kützlein
2 fr, von einem zweijährigen Schwein 16 fr., von einem Läufer 6 fr. ;)
die Mebger mußten aber das volle Gewicht geben, (vergl. S. 492.)
Entfprechende Erhöhung des Mebelumgelds wurde vorbehalten, Fremdes
Fleiſch folle in der Stadt nicht verkauft, fondern alsbald konfiszirt wer-
ben. Dem Oberbeamten wurde zur Pfliht gemacht, die Metzger nicht
zu fehr mit Boftritten (S. 487) zu befehweren. Für das Hausmeßeln
follten dieſelben Anjäte, wie bei den Metzgern gelten; doch dürfe jeder
Bürger zwei Schweine frei ſchlachten. Mit dem Salzſtadel folle es
fo gehalten werden, daß der Stadt wieder, wie früher, der vierte Theil
des Gewinnes zufliche. Das Haufiren mit Waaren, die in der Stadt
zu haben, folle verboten fein, Kein Krämer folle zweierlei Waaren
(d. 5. neben Spezerei etwa audy Tuch und dergl.) führen. Den Juben
folle aller Verkauf in der Stadt unterfagt fein. Die Oberbeamten
follten die Handwerker und Krämer bei ihren Zunftartikeln möglichſt
fügen. Der Pfundzoll von Waaren, Liegenſchaften ꝛc. fole auf 1 Mr.
vom Gulden ermäßigt fein, und der Stadt davon ber vierte Theil zu:
fallen. Die Beiträge zu den Landskoſten follen nach ben üblichen Taren
erhoben werden. Umgeldunterſchleife follen fireng beftraft werden. In
ben der Stadt zunächft gelegenen Orten follen nur Schmiede, Wagner,
Leineweber und privilegirte Wollenweber, aber feine andern Handwerker
1) Für die Zeit vom Juli 1723 bis dabin 1724 wurde einfiweilen be:
ſtimmt, daß die Pforzheimer 12 Monatgelder zu 10 fr, vom 100 fl. Steuer:
fapital zu bezahlen hätten.
584 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746.
fih miederlafien dürfen, um die Nahrung der Stadt Pforzheim zu
befördern ; bloß in Orten mit Badrecht jolle die Seßhaftmachung auch
Metgern und Bädern geftattet fein. Weber die Thorwarte folle eine
firengere Auffiht, als bisher geführt und jeden Abend vom Ober:
‚beamten die Thorſchlüſſel wieder zur Hand genommen werden. Die in
Pforzheim wohnenden Fremden zc. folle man zur Bezahlung ber Bet,
die Stadt felber, da fie von Strafen, Umgeld und Pfundzoll einen
fo erheblichen Antheil beziehe, zur Inftandhaltung der Mauern, Gräben
Zwinger ꝛc. ſtreng anhalten. Am Schluß des Finalbefehls ift bemerkt,
daß die der Stadt verliehenen Begünftigungen nur fo lang in Kraft
bleiben follten, als fi die Bürger als treue und gehorſame Unterthas
nen bezeigen und nicht wieder neue Unruhen anfangen würden.
Dur diefen Interims- und den Finalbefehl hatte der Markgraf
verfchiedenen Wünſchen und Beſchwerden der Pforzheimer Rechnung
getragen, und es leuchtete daraus auch feine Abficht hervor, die Pri—
vilegien der Stadt nicht weiter umzugeftalten, als es die dringende
Nothwendigkeit gebot. Dabei hatte nun freilich der Markgraf auf die
Erhebung einer directen Steuer, welche die Stelle von Kriegs, Reichs-,
Kreis: und andern Anlagen vertreten und ſolche gleihfam zufammen:
fafjen follte, jelbftverftändlich nicht verzichtet; indeffen war doch ber
anftößige Name der Schatzung vermieden worden.
Der Eindrud, den der Interimsbefehl auf die Bürgerfchaft machte,
war feineswegs ein günftiger. Der Anfat von 10 Kreuzern Monats:
geld erſchien Manchen zu bo; die Mebger wollten fi das ſchwerere
Gewicht nicht gefallen laſſen; Alle aber wollten von Bezahlung ber
rüdjtändigen Schatungsgelder fowohl, als der Kommiffions: und Exe—
kutionskoſten nichts wiflen, und drangen, das alte Lied, auf Wieder:
berftellung der Privilegien nad ihrem urfprünglichen Wortlaut. Bon
einer Sinnesänderung war alfo wenig oder nichts zu verfpüren. Unter
ſolchen Umftänden beſchloß der Markgraf wieder fchärfere Maaßregeln
zu ergreifen. In den eriten Tagen des Auguſts rückte die bisher in
Kehl gelegene Kreistompagnie unter Oberft Vafoldt in Pforzheim ein,
und wurde befohlen, den widerjpänftigen Bürgern bis zur Bezahlung
ihrer Rückſtände Soldaten ins Haus zu legen und, wenn diefes Mittel
nicht helfe, ihre Mobilien verfteigern zu laffen.
Mittlerweile war aber die Bürgerſchaft zu dem Entſchluſſe gekom—
men, auf eigene Kauft bin, d. h. ohne Vorwiſſen der ftädtifchen Behör-
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746, 585
ben, gegen den Markgrafen wegen feines gewaltthätigen Vorgehens
Klage beim Neihstammergeriht in Wetzllar zu erheben, und
wurden zur perfönlihen Betreibung diefer Sache drei Pforzheimer
Bürger, nämlih der Ochſenwirth Jakob Würth, der Weißgerber Andreas
Bauer und der Rothgerber Hans Gall Eberle dahin abgefchidt. Zur
Beftreitung der Koften leiftete jede Zunft aus ihrer Lade einen Beitrag;
außerdem wurde eine Kollefte erhoben, und endlid, verpflichtete fich jeder
Bürger, der mit der Klage in Weblar einverftanden war, zur wöchent:
lichen Bezahlung eines Batzens.
Zum Behuf einer verfhärften Erefution ließ indeffen die Regie—
rung auch den bisher im Karlsruhe gelegenen Net der Grenadierfom:
pagnie, und Ende Auguft noch eine weitere Kompagnie, nämlich bie
vo. MWöllwarth’ihe, ſammt einer Abtheilung Landmiliz in Pforgheim
einrüden. Saͤmmtliche Mannſchaft wurde in der Stadt einquartiert,
und zwar zunächſt wieder bei den wibderfpänftigen Bürgern, mit befonde:
rer Berüdfihtigung ihrer Rädelsführer. Die Regierung fehritt auch
noch zu Maßregeln anderer Art, Sämmtlichen Mebgern, mit Aus:
nahme des der Regierung willfährigen Abraham Trautwein, wurde das
Handwerk niedergelegt, der Rathsverwandte Geibel, weil er zu ben
Prozeßkoſten 14 Basen beigetragen, feines Amtes entlafjen, der Satt:
fer Mitichdörfer feiner Stelle als Kornmeſſer entjegt, und der Amis:
fellerei und geiftlichen Verwaltung befohlen, zu den bevorftehenden Herbft:
beihäftigungen nur gehorfame Bürger zu verwenden. Als am 3. Sep:
tember der Herzog von Mürttemberg durch Pforzheim kam, wurde den
Bürgern, die bei ſolchen Gelegenheiten fonft immer unter das Gewehr
getreten waren und Parade gemacht Hatten, dies unterfagt, weil fie jol-
her Ehre nicht werth feien, Und endlih wurde mit der längſt ge:
drohten Pfändung bei fieben Bürgern der Anfang gemacht, und bie
weggenommenen Gegenftände auf das Nathhaus gebracht, um daſelbſt
verfteigert zu werben.
Alle diefe Maßregeln erbitterten die , Gemüther noch mehr und
erwieſen ſich als ziemlich erfolglos. Zur Verfteigerung der gepfändeten
Möbeln zeigte fi Fein Liebhaber, obgleich man durch Ausjchreiben
nach verfchiedenen Drten die Juden förmlich hatte nöthigen wollen,
nad Pforzheim zu kommen. Dem Mebger Trautwein blieb fein Fleiſch
größtentheil Liegen, weil die meiften Bürger nunmehr ins Haus metzel—
ten. Dagegen wurde den der Regierung gehorfamen Bürgern jeder Tud
586 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
angethan; Feiner der wibderfeglichen Bürger — und diefe bildeten meit-
aus die größte Mehrzahl — Tieß bei einem derfelben arbeiten oder
kaufte ihm etwas ab; es entftand überhaupt eine folhe grimmige Feind:
ſchaft zwifchen den beiden Parteien, daß fogar die zarteften Banbe,
welche junge Leute mit einander gefnüpft hatten, wieder zerriffen werben
mußten. Dem Obervogt v. Glaubitz, (Scheid war am 6. Auguft
geitorben), und dem Spezial Bergmann wurden Pasquille ins Haus
gelegt, und der Bürgermeifter Schober mußte tagtäglich die heftigften
Drohungen und gröbften Schmähworte vernehmen, und wurden er, feine
Kinder und Kindesfinder für verflucht und verdammt erflärt. Mit Eifer
fuchte man auch das Gerücht zu verbreiten, daß diejenigen, welche ſich
dem Interim unterwürfen, wieder leibeigen werden müßten, und es
gab leichtgläubige Gemüther genug, welche ein foldhes Gerede als baare
Münze nahmen. Es werben alle bdiefe Einzelheiten genügen, um zu
zeigen, daß die damaligen Verhältniſſe in Pforzheim das Bild ber
größten Zerriſſenheit boten,
Bon der Univerfität Gießen war indefjen das verlangte Gutachten
eingelaufen. Die Regierung hatte diefer Hochſchule, ſowie der Juriſten⸗
fatultät in Halle, in Betreff des Privilegienftreits folgende fünf Fragen
vorgelegt: 1. Ob die Beftätigung der Privilegien dur den Markgrafen
tn Jahr 1709 fo verftanden werben müfle, daß er fie nad dem Buch:
ftaben, ohne Berückſichtigung deffen, was feither vertragsmäßig geändert
worden fei, wieder berftellen müſſe? Dieje Frage wurde verneint.
— 2. Ob die badifche Regierung nicht berechtigt fei, fih nach dem
feit 1491 veränderten Geldwerth ftatt eines Pfennigs deren je nad)
Umftänden 2, 3 oder 4 bezahlen zu laſſen? — Wurde bejaht. —
3. Ob die Bürgerfhaft von Pforzheim nicht verbunden fei, die durch
fie felbft verurfachten Erekutionstoften zu bezahlen? — Wurde bejaht.
4. Ob fih die Bürger zu Pforzheim durd ihre Widerfeglichkeit ihre
Privilegien nicyt geradezu verwirft hätten? — Wurde bejaht. —
5. Ob niht die Stadt Pforzheim zu den GStantslaften, wie Apanagen,
Ausfteuern, fürftlihen Neifegeldern, Salarirung der fürftlichen Kanzlei,
zur Abtilgung der Schulden und Bezahlung von Zinfen, zu Gefandt:
haften und bergleihen allgemeinen Nothwendigkeiten des gefammten
Landes durch Bezahlung einer bireften Stener beizutragen babe? —
Wurde bejaht. — Der Gießener Beiheid war aljo für die Pforze
beimer fehr ungünftig ausgefallen,
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 587
Derfelbe wurde am 4, September 1723 vor verfammeltem Gericht
und Math und den Zunftmeiftern und in Gegenwart des Oberbogts
verlefen, 1) jedoch auffallender Weife die verlangte Abfchrift verweigert.
Das erzeugte Miftrauen. Die Einen fagten, das Gutachten fei gar
nicht in Gießen, fondern vom Oberamt felber verfaßt worden. Andere
behaupteten, man hätte beim Verleſen die Stellen, die für Pforzheim
günftig Tauteten, mweggelaffen ꝛc. Co blieb das Gießener Gutachten
wirkungslos, und im gleichen Grade auch das von Halle, das bald
nachher ebenfalls einlief, und das mit dem von Gießen, mit Ausnahme
der vierten Trage, welche verneint wurde, übereinftimmte,
Meil es unmöglich fhien, die manchen Bürgern gepfändeten Ge:
genftände in Pforzheim felber zu verwerthen, fo kam der Befehl, fie
unter militärifcher Bedeckung nah Durlady zu verbringen. Dies ge
ſchah auf 3 und fpäter nady eimarder auf 6 weitern Wagen. Der
Verkauf ging indeſſen fehr langſam von Statten und fam man damit
erft im Februar 1724 zu Ende Es wurden im Ganzen 1373 fl.
daraus erlöst, die aber nicht einmal zur Bezahlung der Unkoſten bin:
reichten, welche in Durlad allein 627 fl. betrugen. — Das Militär
war unterdeffen von Pforzheim wieder mweggezogen worden.
Dem Urtbeil des Neihstammergerichts, bei welchem die zur Ver—
nehmlaſſung aufgeforderte badifhe Regierung im Oktober 1723 ihre
Erklärung eingereiht hatte, fab man in Pforzheim mit gefpannter
Erwartung entgegen, da die Bürger alle ihre Hoffnung darauf gefeßt
hatten. Diefes Urtheil erfolgte unterm 12. Januar 1724. Die Pforz:
heimer wurden mit ihrer Klage abgemwiefen, ihnen jedoch freigeftellt,
ihre Angelegenheit vor ein Schiedsgericht zu bringen. Den Wunſch
nad Niederfetung eines folhen ſprachen die Bürger der Regierung
gegenüber aus, die fid) auch nicht abgeneigt zeigte, darauf einzugeben,
proteftirten jedoch wiederholt gegen die Beftimmungen des Interims—
befehls von 1723 und der Deklarationsverordnung von 1724, über:
haupt gegen alles Vorgehen der Regierung, namentlich gegen die Ver:
1) Der Krämer Ramfer wollte auf die Schlußbemerfungen bes Obervogts
etwas erwidern. Dieſer bedeutete ihm jedoch, zu ſchweigen, weil er ſchon
ſchwarz genug fei. „Das müfje”, erwiderte Namjer, „wohl daher kommen,
weil er jo mahe bei einem Schmied wohne”. Die Folge dieſes unzeitigen
Scherzes war, daß er auf 10 Tage bei Waffer und Brod in den Thurm fam,
Auch andere Bürger traf die Strafe der Eintbürmung.
588 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746.
fügung, daß für 1724 12 Monatsgelder ordentliche und 6 Monats:
gelder außerordentlihe Schagung bezahlt werden jollten, erklärten, daß
fie nur 6 Kreuzer (ftatt der verlangten 10) vom 100 Gulden ent:
richten würden und daß der Betrag für 1724 durch Verkauf ihrer
Effekten nah ihrem Dafürhalten bereits gededt fei. Ferner gaben
fie zu verftehen, daß fie am Pfundzoll nur den im Privilegienbrief
feftgefeßten Pfennig vom Gulden bezahlen würden und verlangten
fchliegih — zum wievielten Male? — einfache Wiederherftellung ihrer
alten Freiheiten.
So jpann fi) der leidige Streit immer noch fort, ohne feine end—
gültige Erledigung finden zu können. Ja er entbrannte wieder heftiger,
als das folgende Jahr (1725) eine neue Auflage der Eidesverweiges
rung junger Bürger brachte und das alte Epiel fi zu wiederholen
drohte, Die Regierung fchritt wieder mit ftrengen Maßregeln, als
Geldftrafen, Erekution, Handwerfsniederlegung, Ausweifung ꝛc. ein und
ließ drei Haupträbelsführer, Sattler Mitihdörfer, Bäder Scheerer und
Hafner Holzhauer einthürmen. Dies rief unter der Bürgerfchaft großen
Tumult hervor, und verfegte namentlih auch die Meiber in Alların,
die — bezeichnend für die Stimmung, die damals ſchon unter dem
ſchönen Geſchlecht herrſchte -— die Aeußerung thaten, es fer eine Schande,
daß fich die Männer jo etwas gefallen liegen Zur kräftigen Fortfüh—
rung ihres Prozefies aber traten die Bürger zufammen und erwählten
einen Neunerausihuß. Drei Mitglieder desjelben, die ſchon in Wetzlar
gewefen waren, nämlih Ochſenwirth Würth, Weißgerber Bauer und
Rothgerber Eberle, machten fih, von ihren Auftraggebern mit den nö:
thigen Geldmitteln verfehen, am 14. November 1725 auf, um beim
Reihshofrath in Wien Klage zu erheben und fich dort das Recht
zu holen, das ihnen vom Reichsfanmergericht nad ihrem Dafürbalten
verweigert worden war,
Während ihrer Abwefenheit wurde in Pforzheim zwar mit Exe—
quiren fortgefahren; allein dag Oberamt Magte einmal über das andere,
daß bei den meiften Wibderfpänftigen nichts zu holen wäre, da man
ihnen Handwerkszeug und Betten nicht nehmen dürfe, Häufer und Güter
aber verpfändet jeien, und auch das infperren nichts helfen wolle,
Viele Bürger hatten übrigens, wie fid) nachträglich heraugftellte, ihre
bewegliche Habe ins Württembergiſche geflüchtet und waren zum Theil
jelbit dahin gegangen, Am 22. Januar 1726 wurden wieder 20 Mann
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 589
Militär nad Pforzheim beordert, und am 4, Februar erſchien ein
fürftliher Erlaß, der die Äuferfte Strenge anbefahl, Allen, die ab-
weſend feien und ihre Mobilien mitgenommen hätten, wurde eine Friſt
von 8 Tagen zur Rückkehr geftellt; kämen fie nicht, jo folle ihnen das
Bürgerrecht aufgekündet, ihre Weiber und Kinder zur Stadt hinaus
geichafft, auch im Lande nicht mehr geduldet, ihre Güter verfteigert,
und. wenn dies nicht möglich, eingezogen werben. Den Zurückkehrenden
folle ihre Habe fogleich verfteigert, diejenigen aber, die nichts beſäßen,
gefänglich eingezogen und bei Widerſetzlichkeit nöthigenfalls in Eifen
und Banden nach Karlsruhe abgeliefert werden, um fie dort ihre Schule
digkeit abverdienen zu laffen. Die jungen Bürger, die nicht ſchwören
wollten, follten mit ihren Familien der Stadt und des Landes ver-
wiejen werden. Bezüglich des immer noch umlaufenden und geglaubten
Gerüchtes, daß der Markgraf die Pforzheimer wieder leibeigen machen
wolle, folle das Oberamt den Zunftmeiftern vernünftige VBorftellung
thun, — im Allgemeinen aber jetzt und immerdar die Bürger nad
dem nterimsbefehl vom 12. Juli 1723 und der Deklarationsverord⸗
nung vom 29. Auguft 1724 traktiren.
Es trat jedoch nach wenigen Tagen ſchon eine unerwartete Ka—
taftropbe ein, welche Mafregeln anderer Art nothwendig machte. Alm
1. Februar erfolgte die Enticheidung des Reichshofraths in Wien. Gie
fiel fo aus, wie im Voraus hatte erwartet werden Fönnen, „Nachdem
dieſe Sache”, fo Tautete diefelbe, „bereits an das Kaiferlihe Kammer:
gericht gediehen, und dafelbft forum preventum (zuftändige Behörde)
ift, alfo bat das Begehren biefigen Orts nicht Statt." Diefer Ent:
ſcheid langte am 18. Februar in Pforzheim an und ſchon am folgenden
Tag ließ geh. Rath und Obervogt Zur Gloden die Bürgerfchaft durch
die Bürgerglode auf das Rathhaus zufammenberufen, um fie im Hin:
blick auf die Vergeblichkeit aller ihrer Schritte, die fie bis jetzt und
zufegt in Mien gethan, wiederholt zum Gehorfam zu ermahnen, Vor—
ber fuchte er ſich noch der Mitglieder des Raths und Gerichts zu ver:
fihern, die fih in der Rathsſtube verfammelt hatten. Dieſe erflärten
einftimmig, daß fie fich zur Bezahlung von 12 Monatsgeldern zu
10 Kreuzer vom 100 fl. gerne und in der Hoffnung verftünden, daß
man nad dem jetigen Güterwertb die 10 fr. auf 8 ermäßigen werde,
Hierauf verließ der Obervogt in Begleitung des Amtmanns Rut:
barbt umd der Raths- und Gerichtsherren die Rathsſtube und trat auf
590 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
den Abſatz der Stiege, die in den Rathsſaal hinunter führte, wo bie
Bürger verfammelt waren. In längerer Rede machte er diefelben auf
die Folgen ihres Ungehorfams aufmerkfam, verlas auch den Interim:
befehl vom 12. Juli 1723 und den Finalbefhlug vom 29. Auguft
1724, und forderte zufegt alle Bürger, welde fih zur Unterwerfung
verftehen wollten, auf, ihre Mamen zu Protofoll zu geben. Da trat
der Sattler Mitichdörfer aus der Menge hervor und rief: „Im Namen
der Bürgerfchaft erfläre er, daß diejelbe entſchloſſen ſei, bei dem buch—
ftäblichen Inhalt ihres Privilegium zu bleiben, und zur Beftätigung
fordere er die Bürgerfchaft auf, diefen ihren Entfhluß durh ein Ja
zu befräftigen.“ Ein lautes „Ja“ eriholl von Seiten der Verjammel-
ten. Hierauf trat der Barbier Lacofte auf und fprah: „Es fei das
Dekret des Reichshofraths nicht fo zu verftehen, als wenn fie mit ihrer
Klage völlig abgewiejen wären, fondern man habe fie nur wieder zu:
rüd nad Wetzlar gewiefen, um dafelbft ihre Sache auszumachen, und
hätten fie fih deshalb bereits Raths erholt; wenn die Bürgerfchaft
mit diefer Anſicht einverftanden fei, jo möge fie es ebenfalls durch ein
lautes „Ja“ beftätigen.” Mit großem Gefchrei wurde abermals
diefeg Ja ausgerufen.
Voller Beftürzung über folhes unerwartete Vorklommniß kehrten
die Herren wieder in das Rathszimmer zurüd, wo fi indefjen nad)
und nad) auch etwa 90 Bürger einfanden, die ihre Unterwerfung unter
ben fürftlichen Endentfcheid zu Protofol gaben, während die Wider:
feglihen vom Rathhaus fich verliefen. Um den weiteren Heßereien
der beiden MWortführer derfelben ein Ende zu maden, wurde beſchloſ—
fen, Mitſchdörfer und Lacofte in Arreft zu ſetzen. Sie wurden alsbald
geholt, in ein Stüblein des Rathhauſes gebracht und vor die Thür
besjelben der Stadtfnecht, die Thorwarte und einige ber gehorfamen
Dürger als Wache geftellt. „Da diefes gefchehen”, fo fährt das
darüber aufgenommene amtliche Protokoll wörtlid fort, „haben bie
Beeben inhafftirten,, (wie ſolches in denen benachbarten Häufern und
fonften gehöret worden), fogleih aus denen Fenſtern auf die Gaſſe
zu denen untenftehenden Buben gerufen: „br Buben, bolet euere
Väter und Mütter mit Gewehr und Prügeln und helft uns; fie wollen
ung einiperren!“ Welchemnach nicht allein die Buben in der Stadt
und denen Vorftädten bin und wieder gelaufen und Alles aufgeboten
und zufammenberufen, fondern es ſeynd auch die in des Laubwirths
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746, 54
Rüfles Haus ſchon verfammelt geftandenen und andere Weiber, (deren
wenigftens 100 Perſonen geweien), fogleih auf das Nathhaus hinauf:
gelaufen kommen und anfänglich fi geftellt, als wollten fie nur vor
die inhafltirten und um deren Loslafjung intercediren und bitten.
Dieweilen ihnen aber nicht zu willfahren gewejen, fondern Denenjelben
gütlich zugefprochen worden, fih nah Haufe zu begeben, und das von
Herrichaftswegen : jo haben fie, nachdem fie vor ihrer mehr als noch
einmal fo vielen und einer ziemlichen Anzahl halbgewachſener Buben
fefundirt worden, erftlihen unbewehrt nady dem Stüblein, mworinnen
Racofte und Mitfchdorfer verwahrlich aufbehalten worden, fich zu dringen
gefuchhet. Da man ihnen aber Miderftand gethan und fie zurücges
ftoßen, ſeynd fie nicht allein mit größerer Heftigfeit auf die Ober:
beamten, Magiftratsperjonen und gehorfame Bürger Losgegangen und
dat injonderheit des XLacoften Frau den Bürgermeifter Schober bei den
Haaren zu paden befommen (fo daß fie, mie fie jpäter im Verhör
felber ausfagte, die Hand voll Haare behalten), fondern e8 haben auch
darauf diefelben, da ihrer Vehemenz und fonderlich der an dem Herrn
Dürgermeifter bewiefenen Gewaltthätigfeit halber, von einigen der Ges
horſamen (dem Chirurgen Friefenegger, dem Büchſenmacher Lichtenfels
und dem Kuhhirten Prior) ein paar Streihe auf fie gethan worden,
meiftentheils mit Bund Schlüffen, Prügeln und Stöden, vornehmlich
aber mit denen durch fie zertretenen und zerfhlagenen, auf dem Rath:
hausſaal befindlid gemwejenen, zu Jahrmarktszeiten daſelbſt benöthigten
Schrägen und deren Füßen, Beides ſich und die bei ſich habenden Buben
bewehret und mit gefammter Hand auf die Stuben, darinnen die
beiden Nädelsführer inhafltirt geweſen, gedrungen, und endlichen, nach—
deme die Oberbeamte (auch die Rathsherrn, die noch Tange nachher
blaue Mäler herumtrugen) völlig von ihnen umgeben, getreten und
geftoßen, infonderheit aber dem Herrn Rath und Amtmann Ruthardt
bie Peruque vom Kopf geichlagen worden, aud die Gehorjamen zu
Verhütung von Mord und Todtſchlag (indem der völlige Haufe der
unten in dem Rathhaus verfammelt gewefenen widerfeglihen Bürger
die Stiege binaufgefommen), zurüdgewichen, der Wacht ſich bemeiftert
und die Stuben eröffnet, da dann die beiden Hauptrebellen unter dies
fem Tumult fid) herausgemachet und auf flüchtigen Fuß geſetzet.“
„Auf Solches hin ift zwar in dem Rathhaus der Tumult sopirt
worden; hingegen ift derfelbe beim Hinuntergehen auf den Markt mit
592 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
Schimpfen, Schreien und Schlagen von Neuem wieder angegangen,
inmaßen auf einige der Gehorfamen, in specie auf den Kuhhirten Prior
von einigen Weibern zugefchlagen worden, bis endlih der eingefallene
Megen die zufammengelaufenen Tumultanten, melden zwar von dem
Oberamt auseinander zu gehen öfters anbefohlen, felbigen aber nicht
parirt ıc., auseinander getrieben. Eine ziemliche Anzahl halbgewachſener
Buben aber haben auf den Herrn VBürgermeijter Schober, welcher in
des Herrn Geheimenraths und Obervogts Haus wegen einer ihm zus
geftoßenen Unpäßlichkeit retirirt, mit Prügeln gepaßt; doch feynd dieſe
auch wieder auseinander gegangen.” Go ber amtliche Bericht über
einen Weiberframall, der in der Geſchichte nicht gerade viele Beifpiele hat.
Tragen wir nun, welche Weiber die Haupträdelsführerinnen fold
tragiſch-komiſchen Aufftandes gewefen, fo geben uns die Verhörprotofolle
darüber Auskunft. In erfter Reihe find die Weiber der beiden in
Arreft geſetzten Bürger zu nennen, nämlich die bijährige Frau des
Barbiers Lacoſte, welche vor Gericht auch Fein Hehl aus ihrer An:
führerfchaft, fowie der Verſchwörung der Weiber machte, weshalb fie
alsbald ins Gefängnig abgeführt wurde, — und die Adjührige Frau
des Sattlers Mitichdörfer, die aber als hochſchwanger und epilep-
tifch wieder entlafjen werden mußte. Sodann ermwiefen fid) als befonders
mutbhige Amazonen die 34jährige Frau des Schloſſers Dill, bie
6Sjährige Frau des Wagners Schnell, die Hirihwirthin Hafner,
37 Jahre alt, (die mit ihrem Schlüfjelbund dem Amtmann Ruthardt
die Perüfe heruntergefchlagen zu haben feheint, nachdem fie ausgerufen
hatte: Ihr Taufendfafermenter, gebt uns unfere Männer heraus!), die
rau des Hafners Holzhauer, die Ibjährige rau des Blechners
Widmann, die Frau des Stadtfuhrmanns Schaf ıc. 1)
Daß in Folge diefes Vorfalls auf oberamtlihen Bericht hin von
Seiten der Regierung die jchärfiten Maßregeln getroffen wurden, braucht
faum erwähnt zu werden. Es wurden fogleich 3 Kompagnien Infante—
rie, fodann etwa 100 Mann Landmiliz und eime Abtheilung Meiter
Nach einer Familientradition foll fi babei namentlih aud die Frau des
Mebgermeifters Hs. Grg. Unter&der bervorgetban haben. „ Sie bieß (nad dem
Kirchenbuch) Anna Katharina, geb. Bart und hatte nad dem Tode ihres erften
Mannes, des Metgermeifters Engelhard Hoppius, 1725 ihren Mebgerfnecht,
ben erwähnten, von Waiblingen ſtammenden Unter&der, ben erſien dieſes
Geſchlechts in Pforzheim, gebeirathet.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 593
nad Pforzheim beordert, und rüdten diefe Truppen am 22. Februar
mit Hingemdem Spiel und fliegenden Fahnen dafelbit ein. Die Miliz
wurde im Ratbhaus und im Schloß, die Soldaten bei ben ungehor:
famen und namentlih mit Bezahlung von Abgaben noch im Rüditand
- gebliebenen Bürgern, in vielen Fällen eigentlih nur in deren Häufer
einquartiert, da eine große Anzahl Bürger mit ihren Familien fih in
die benachbarten württembergiihen Orte geflüchtet hatte, was theil-
weiſe mit ſolcher Eile geſchah, daß z. B. die Mebger ihr Fleiſch, das
in der Mebig hing, unter anderm noch zwei vollftändige Ochfen, im
Stich ließen. Allen Bürgern wurden die Gewehre abgefordert und bie
Häufer nach ſolchen durchſucht (man fand jedoch jehr wenig), die Wider:
jeglichen follten, fo lautete der gemefjene Befehl, in Arreft geführt, unter
Umftänden fogar Feuer auf fie gegeben werden. Alle Zufammenkünfte
wurden verboten, die Thore geichloffen und unter Trommelſchlag ver:
fündet, daß die Entflohenen binnen 3 Tagen (dev Termin wurde nad
Ablauf derjelben auf weitere 10 Tage verlängert) bei Verluft ihres
Bürgerrechts zurückkehren follten. Die ‘gleiche Bekanntmachung erfolgte
auch in den umliegenden, namentlich wirttembergifchen Orten. Den
beiden flüchtigen Rädelsführern, Lacofte und Mitſchdörfer, wurden nad)
allen Seiten bin Stedbriefe nachgeſchickt, nachdem deren augenblidliche
Verfolgung fruchtlos geblieben; über deren Vermögen wurde ein Inven—
tar aufgenommen und dasfelbe mit Arreft belegt. Ein folder Schred
hatte die Gemüther, jogar der Landbewohner, erfaßt, daß diefe ſich
nicht mehr in die Stadt zu kommen getrauten, wodurd bald empfind:
licher Mangel an Lebensmitteln entftand.
Bezüglich der zurücgebliebenen Pforzheimer Bürger erwies ſich
der Schred als ein heilfamer; denn ſchon unterm 4, März konnte dag
Dberamt berichten, daß die meiften, die noch etwas beſäßen, ihre Nüd:
ftände bezahlt und die zugleich verlangte Erklärung zur Unterwerfung
unterfchrieben hätten. Die Landmiliz wurde wieder bis auf 20 Mann
entlafjen, und auch von den Truppen blieben nur noch 57 Mann unter
Befehl eines Hauptmanns zurüd, Die entflohenen Bürger, von denen
Anfangs März immer noch etwa 200 in Pforzheim fehlten, fanden ſich
nad umd nad) wieder ein, was zum Theil darin feinen Grund hatte,
daß fie aus den württembergifchen Orten auf Betreiben der badijchen
Regierung ausgerwiefen wurden. Wie fehr auch anderwärts die Wirren
in Pforzheim die Aufmerkiamkfeit auf fich zogen und Uebertreibungen
Pflüger, Pforzheim, 38
*
594 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
ihre Verbreitung fanden, mag daraus entnommen werden, daß fich das
Oberamt Emmendingen mit der Bitte an die Megierung wandte, eine
Anzahl Untertbanen aus dem Hocbergifcen nach Pforzheim zu ver:
pflanzen, damit die leer ftehenden Häufer und herrenlofen Güter wieder
in die Hände paffender Beſitzer übergehen könnten.
Anfangs April hatten die Bürger im Sinn, dem Landesfürften
ihre Unterwerfung anzuzeigen und war deshalb beim Oberamt bereits
die Erlaubniß eingeholt worden, fih auf den Zunftftuben verfammeln
zu dürfen. Allein als von den drei Deputirten, die ſich noch immer
in Wien befanden, die Nachricht einlief, daß vom Reichshofrath nad
Diftern eine günftigere Reſolution zu erwarten ftünde, fo unterblieb die
Sache wieder, fo daß das Oberamt an die Negierung berichten mußte,
daß „ehe die drei Böſewichter von Wien zurückkämen, feine Befjerung
von dem verſtockten Haufen zu erwarten ſei.“
Der Endentſcheid des Reichshofraths, auf den die Pforzheimer
ihre legte Hoffnung gejett hatten, erfolgte am 15. April 1726, und
wurden darin „die Supplicanten, Einwendens ungehindert, auf das
vorige Concluſum vom 1. Februar ein für alle Mal lediglich verwie—
fen.” Nun kehrten auch Mitichdörfer und Lacofte, die ſich unterdeffen
in benachbarten Orten, am Iängften in der Reichsſtadt Weil aufgehal-
ten hatten, wieder zurüd, nachdem ihnen auf ihr Anfuchen ficheres
Geleit verheigen worden war.
Im Mai 1726 erfchien eine eigene fürftlihe Kommiſſion, beftehend
aus Vicepräfident von Glaubig und Hofratd Schlotterbeck, in Pforz«
beim, "um wegen des ftattgehabten Aufruhrs felber eine Unterfuhung
vorzunehmen. 1) Da diefelbe die ganze Sache ſchon von vornherein
von einem mildern Gefihtspunft aus, als das in die Händel felber
verwickelte Dberamt Pforzheim auffaßte, auch die Unterfuhung ergab,
daß letzteres im mancher Beziehung zu ſchwarz gefehen Hatte, fo tauchte
ber Gedanke eines Generalpardons auf, der allen MWeitläufigkeiten ein
Ende machen follte. Auch zeigte ſich die Bürgerfchaft, die wohl ein—
fehen mochte, daß alle weitere Schritte doch ohne Erfolg bleiben würben,
nah und nad zugänglicher, Sie rief am 1. Oktober 1726 ihre De:
putirten von Wien zurüdl, und zwei derfelben, Weißgerber Bauer und
Rotbgerber Eberle, Ieifteten dem Rufe Folge, während Rothochfenwirth
— —
) Die Verhörprotofolle füllen viele Bogen.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 595
Würth no dort zurüdblieb, angeblih wegen Krankheit, 1) Unterm
26. Mai 1727 erflärten die Zünfte in einer Eingabe an den Mark:
grafen, daß fie fich bis zur wölligen Erledigung des Streites dem Sn:
terimsbefehl unterwerfen wollten mit dem Worbebalt, daß dies aber
ohne Abbruch ihrer Privilegien geſchehe; doch bäten fie den Mark:
grafen, daß er die geeigneten Echritte tbun möge, um die Sache vor
ein Schiedsgericht zu bringen. Derjelbe erklärte in einem Erlaß vom
31. März, daß er gegen die Austregas nichts einzuwenden babe, aber
Unterwerfung ohne Vorbehalt verlange; er feie dann erbötig, ihnen an
Freiheiten zum Nuten der Stadt noh Manches zu gewähren, was fie
ihm bezeichnen und von ihm verlangen würden.
Der Streit wurde jedoh von Seiten der Bürgerſchaft nicht fort:
gejeßt, und fomit gab fi die unbedingte Unterwerfung von felbit.
Das Militär war von Pforzheim längſt wieder zurüdgezogen. So
kehrte nad) und nach wieder Ruhe in die Gemüther zurüd, namentlich
nachdem der verheißene Oeneralpardon wirklich ausgeiproden war. Als
Schlußſtein des ganzen Streites ift die Abrechnung zwifchen der Stadt
und der Herrichaft zu betrachten, welhe 1730 erfolgte und wodurch
alle gegenfeitigen Forderungen ausgeglichen wurden,
Es mag bier noch bemerkt werden, daß der ganze gehäffige Streit
wegen der Privilegien oder eigentlich wegen der „Schatzung“ nad) eini-
gen Jahrzehnden nochmals auszubrechen drohte. Durd einen Mißgriff
der betreffenden Beamten wurde der Ausdrud „Reichs- und Kreis:
ſteuer“, welche von den Bürgern bisher ohne Widerrede entrichtet wor:
den war, wieder mit dem der „Schatzung“ vertauſcht. Dies rief in
Pforzheim große Aufregung bervor, und es wurde deshalb im Oktober
1791 und im November 1794 die Abſtellung ſolchen Mißbrauches
entſchieden verlangt. Die fürftlihe Rentkammer entſprach auch willig
ſolchem Anfinnen und ſetzte durch Verfügung vom 30. Juni 1795
feft, daß das Wort „Schatung“ nicht mehr gebraucht, Tondern dafür
immer „Reihe: und Kreisiteuer” geſetzt, auch auf den Stenerzetteln die
Schhagungsfreiheit der Pforzheimer ausdrüdlich erwähnt werden jolle.
So z0g die drohende Wolfe wieder worüber.
1) Er war im November 1729 no in Wien, und entftanden feinetwegen
noch Berbrüßlichfeiten, da cr bamals ber Bürgerihaft eine Rechnung von
572 fl. 41 fr. machte, welche diefe nicht bezahlen wollte. Am ihn von Wien
wenigftens weg zu bringen, wurden ihm 70 Gulden geſchickt.
596 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
In folder Weife begann und endete ein Streit, der Jahre Hin-
durch auf das Verhältniß zwifchen dem Fürften und der Stadt Pforz-
beim, das ſonſt immer als ein fo inniges ſich zeigte, trübe Schatten
warf. Läßt es fih auch nicht entichuldigen, daß die Mehrheit der
Bürgerichaft vernünftiger Belehrung und ben berechtigten Forderungen
veränderter Zeitverhältniffe ihr Ohr verſchloß, fo verdient doch auf der
andern Ceite die Zähigfeit und KHartnädigkeit, womit vermeintliche
Rechte vertheidigt wurden, aud ihre Anerkennung. Ausdauer und
Beharrlichkeit gehörten durhaus von jeher zu den charakteriſchen Eigen:
haften der Pforzheimer, wie wir namentlich bei frühern Religions:
kämpfen gejehen haben, und als Ausflug derfelben erhielt ſich auch die
Anhänglichkeit an die alte, in Folge des Privilegienftreit® in manchen
Punkten geänderte Stadtverfaffung und ein den Beftimmungen und Ein:
richtungen bderjelben angemefjenes bürgerlihes Leben noch Tange, Bis
endlich die franzöfifche Nevolution mit ihren Kriegen und deren Folgen
bie legten Spuren jener Verfaffung vollends verwiſchte und auch einen
Berfuh zur Miederherftellung der alten Privilegien, der im Jahr 1807
gemacht wurde, nicht zur Ausführung kommen Tief.
$ 7. Berühmte Pforzheimer,
Es ift in frühern Kapiteln immer auch folder berühmter Männer,
bie zu verſchiedenen Zeiten aus Pforzheim hervorgingen, theils em:
gehend, theils nur in Kürze gedacht worden. Auch das 17, und das
18. Jahrhundert haben einige Pforzheimer aufznmweifen, die durch ihre
Gelehrſamkeit und ihre literariſche Thätigkeit fih einen Namen gemacht
haben und darum wohl verdienen, daß ihnen in einer Geſchichte ihrer
Vaterſtadt ein Meines Denkmal geſetzt wird,
a. Johann Heinrih May.
Er war am 5. Februar 1653 zu Pforzheim geboren und ftammte
aus einer alten Pforzheimer Bürgerfamilie, deren fhon 1339 (S, 139)
als in diefer Stadt anfällig Erwähnung geſchieht. Ein May fteht
auch auf dem Denkmal der 400 von Wimpfen, das fih in der Schloß:
firche zu Pforzheim befindet. Johann Heinrich May befuchte zuerft bie
lateinifhe Schule feiner Vaterſtadt und bezog fpäter die Univerfität
Wittenberg, um daſelbſt Theologie zu ftudiren. Nach Vollendung feiner
Studien machte er verſchiedene Neifen zu wiſſenſchaftlichen Zwecken, und
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 16971746. 597
lehrte zu Leipzig, Mittenberg und Straßburg namentlich die morgen-
ländifhen Sprachen mit großem Erfolg. Einem Ruf als Hofprediger
des Pfalzgrafen von Veldenz leiftete er zwar Folge, fehrte jedoch im
fein Vaterland zurüd, als ihm vom Markgraf Friedrih Magnus 1679
bie Stelle eines Pfarrers und zugleich Lehrers der orientalifhen Spra:
hen am Gymnaſium in Durlach übertragen wurde, Zu feiner Aus:
bildung in diefen Sprachen ließ ihn der Markgraf eine Neife nad
Hamburg zu dem damals fehr berühmten Orientaliften Edznod machen,
bei welchem fih May zwei Jahre Tang aufhielt, Nachdem er, nad
Durlach zurüdgefehrt, noch mehrere Jahre an der Durlacher Schule,
die damals im fchönften Flor ftand, gewirkt hatte, unterbrach 1689
der verheerende orleans’she Krieg die Thätigkeit der dortigen Lehrer.
Der eine z0g da hinaus, der andere dorthin. May kam als Profeffor
an die Univerfität Gießen, wo er fpäter auch Konfiftorialrath und
Superintendent wurde und eine gefegnete Thätigkeit entfaltete. Dort
ftarb er aud im Jahr 1719. Er Hinterließ zahlreiche theologische
und ſprachwiſſenſchaftliche, auch gefchichtlihe Schriften. Die befanntefte
berfelben, die er ſchon 1687 in Durlach herausgab, ift das „Leben
Reuchlins“, worin er zugleich alles das niederlegte, was er feit einer
Reihe von Jahren aus der Geſchichte feiner Vaterftadt gefammelt hatte.
Es war dies ber erfte Verſuch einer, wenn auch nur abgerifienen
Geſchichte der Stadt Pforzheim.
b. Johann Burkhard May, .
des Vorigen älterer Bruder, war 1652 ebenfalls zu Pforzheim gebo:
ren. (Der Bater der beiden May wurde fpäter Pfarrer in Bauſchlott).
Er ftudirte in Wittenberg und bielt fih fehs Jahre Lang im Haufe
des berühmten Schurzfleifh auf. Von bier Kam er als KHofmeifter
einiger jungen Edelleute nach Frankfurt, wo er zugleich das Amt eines
Korrektors in einer dortigen Druderei befleidete. Nachdem er hierauf
einige Zeit als Dozent in Gießen gewirkt hatte, wurde er gleichzeitig
mit feinem jüngern Bruder an das Gymnaſium nad Durlach berufen,
wo er als Profefjor der Beredtiamfeit und als Bibliothekar wirkte.
Dort gab er u. N. auch eine noch vorhandene 1) Schrift im Iateinifcher
) Auf der Bibliothek in Karloruhe. Vergleiche auch Vierordt, Ge
ſchichte der Durlacher Mittelſchule, S. 30.
598 Siebzehntes Kapttel. Pforzheim von 1697—1746,
Sprache heraus, worin er zu den am 5. März 1687 zu Durlach zu
begehenden Säkularfeierlichkeiten des dortigen Gymnaſiums einlud und
auc die zahlreihen Reden ankündigte, die in Tateinifcher, griechifcher,
hebräifcher, chaldäiſcher, ſyriſcher, arabiſcher und äthiopiſcher Sprache
gehalten werden ſollten. Im orleans'ſchen Krieg hatte er wenigſtens
den Troft, daß feine Bibliothet vor Plünderung und Zerftörung ver:
ſchont blieb; dody war jenes DBleibens in Durlach nicht, Nachdem er
verfchiedene Neifen gemacht hatte, murde er 1692 an des berühmten
Morhof Stelle als Profeffor der Beredfamfeit und Geſchichte nad
Kiel berufen, wo er 1727 ſtarb. Gleich feinem Bruder batte er ſich
durch feine Gelehrſamkeit, insbeſondere durch feine großen philologiſchen
und geſchichtlichen Kenntniſſe einen ausgezeichneten Namen erworben.
ec. Karl Joſeph Bougine, 1)
Gr wurde am 22. März 1735 zu Pforzheim geboren. Sein
Pater war der dortige Kaufmann, Zuderbäder und Rathöverwandte
J. J. Bougind, der früher aus Valenciennes in Frankreich ausgeman-
dert war und fi in Pforzheim niedergelaffen hatte. Nach vollendetem
Befuch der Schule feiner Vaterſtadt und des 1724 von Durlach) nad
Karlsruhe verlegten Gymnaſiums bezog er die Univerfität Tübingen,
wo er nicht nur theologiſche Vorleſungen beſuchte, ſondern auch feine
Sprachſtudien fortſetzte. Nach abgelegtem Pfarrfandidateneramen praf:
tigirte er zuerft in feiner Vaterſtadt, wurde aber ſchon 1758 dritter
Lehrer am Gymnaſium in Karlsrube, wo er 1764 Profeſſor wurde
und nad) und nad bis zur erften Klaſſe vorrückte. 1780 erhielt er den
Charakter als Kirchenrath und 1790 wurde ibm das Meftorat des
Gymnaſiums übertragen, das ihn zwar vom Klaſſenunterricht befreite,
wogegen er aber Vorlefungen verfchiedener Art übernahm und aud das
von Rektor Sahs 1775 gegründete Iateinifhe Redeinſtitut fortſette.
Am Jahr 1794 erhielt er den Charakter als geheimer Kirchenratb und
ftarb am 29. Mai 1799, — Unter feinen zahlreichen lateiniſchen und
beutfchen Schriften ift feine Literaturgefhichte, die in Zürich von
1789—1792 in fünf Bänden erfhien, am befannteften geworden.
1) Wenn aud in der Zeit geboren, weldie das 17. Kapitel behandelt,
ſo gehört doch die Thätigfeit Bougine’s eigentlih ber folgenden Periode an.
Ad babe ibm aber gerne eine Stelle neben den beiden May angewieien,
Acdhtzehntes Anpitel,
Pforzheim unter Karl Friedrich bis zum Ausbruch der frans
söfifchen Revolution. !)
(1746 — 1789.)
F 1. Allgemeines.
In feinem achtzehnten Jahr vom Kaifer mündig erflärt, kehrte
Karl Friedrih von feinen Reifen in Frankreich und den Niederlanden
in die Markgrafſchaft zurüd, übernahm die Regierung jedoch erft voll:
ftändig, nachdem er nod eine Meife nad England gemacht hatte,
Alsbald begann die fegensreihe Thätigkeit dieſes vortrefflichiten aller
badiſchen Fürſten. Alljährlich erſchienen neue Verordnungen, die ſich die
Beförderung der Wohlfahrt ſeines Landes zum Ziel ſetzten und ſeine
Unterthanen zu einem „wohlhabenden, freien, geſitteten und religiöſen
Volke” machen ſollten. Sein erſtes Geſchäft war, überall im Lande die
nöthige Sicherheit herzuftellen 2), den Verkehr in jeder Weife zu erleich-
tern und die Mechtspflege zu verbeflern. Schon 1799 fcaffte er die
Tortur gänzlih ab, Sodann war die Sorge des edlen Fürften darauf
gerichtet, der Arbeitfamkeit durch Beſchränkung der Feiertage und durch
Abſchaffung der Mißbräuche des Zunftweiens Vorſchub zu Teiften, bie
Berwaltung der Gemeinden zu verbefiern, das Armenweſen zu regeln,
gegen Verſchwendung, Sittenlofigkeit, Lotteriewuth ıc. die nöthigen Maaß—
regeln zu treffen. ingeweiht in die Lehren der Phyſiokratie, diefes
in Frankreich entftandenen Syſtems, das dem Bürger die Freiheit bes
Tiebiger Verwendung aller feiner Kräfte und Güter laſſen wollte und
I) Als Hauptquelle wurbe benügt: Drais, Gefhichte der Regierung und
Bildung von Baden unter Karl Friedrih, 2 Bände (Karlsruhe bei Müller
1818), außerdem Rathöprotofolle, Akten, Urkunden, handſchriftliche Aufzeich—
nungen x. Die Quellen find meift angegeben.
2) Wir finden indeß, daß noch lange fpäter, jo 1767 und 1780, von Pforz:
beim aus auf herumziehendes Gefindel geftreift werden mußte,
600 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
den veinen Ertrag der Grundftüde als alleinigen Gegenftand einer
Auflage bezeichnete, wollte der Markgraf diefe Grundfäge ins Leben
führen, jedoch nicht, ohme vorher in drei Dörfern des Landes, fo z. B.
von 1769 an in Dietlingen im Oberamt Pforzheim, Proben damit
zu machen. Die Probezeit fiel zum Nachtbeil des phyſiokratiſchen
Syſtems und der Gemeinden aus, wie es bei der Einfeitigfeit des
erftern nicht anders möglih war, wenn man auch zugeben muß, daß
es Wahrheit enthielt. Andere wohlthätige Einrichtungen gingen neben
diefen ber. Faſt gleichzeitig wurden eine Wittwenkafje für Angeftellte
nach dem Mufter der ſchon vorhandenen Pfarrwitiwenfaffe und eine
Brandkaſſe errichtet. Gegenftand beſonderer Liebe Karl Friedrichs war
aber die Landwirthſchaft. So wurde durch ihn der Anbau der Kar:
toffel, des Klees 1) und verſchiedener Handelspflanzen eingeführt und
der Viehftand, der Wieſen- und Obftbau gehoben, Nicht minder rich:
tete der Markgraf fein Augenmerk auf Beförderung des Gewerbfleißes
und ertheilte zu dem Ende überall, wo es zweckdienlich erfhien, aus:
gebehnte Begünftigungen. Was in diefer Beziehung in und für Pforz-
beim insbefondere gefchab, darüber wird in den nächſten Paragraphen
Ausführlicheres folgen.
In jeglihem Grade forgte Karl Friedrich aud für die geiftige
Bildung feiner Unterthanen. Ueberall verbefierte er die Volksſchulen,
oder errichtete ſolche, wo fie noch fehlten. Für die der gewöhnlichen
Schule Entlafjenen wurden die Sonntagsfhulen in’s Leben gerufen und
damit 1755 in der Diözefe Pforzheim der Anfang gemaht ine
Schulordnung ging 1768 ebenfalls von Pforzheim, und zwar vom
dortigen Dekan Poſſelt aus. Zur Bildung von Volkoſchullehrern wurde
1768 das Seminar in Karlsruhe gegründet. Gleiche Aufmerkfamteit
wie den Volksſchulen ſchenkte der Markgraf den Mittelfchulen, und
fuchte höhere Bildung auch durch noch andere Mittel zu erhalten und
zu beförden. Zur Heranbildung guter Seelforger errichtete er ein
Pfarrieminar und machte den Geiftlichen zur beſondern Obliegenheit,
) Am Oberamt Pforzheim waren mit Klee und Eipariette angebaut
im Sabre 1763 nur 17, im Jahr 1767 ſchon 278 und im Jahr 1771 fogar
597 Morgen. Dieſes rafche Meberhandnehmen bes Kleebaues beförberte in der
Gegend von Pforzheim namentlich das Beilpiel, welches die Kammergüter zu
Bauſchlott, Karlshauien, Katharinenthal und Niefern gaben. Bergl, Draig, I,
S. 114 und 115.
Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim vom 17461789. 601
durch die Macht des guten Beifpield za wirken und Gittlichkeit zu
wecken und zu pflegen. Synodalverſammlungen und Kirchenvifitationen
follten die Wirkſamkeit der Geiftlihen überwachen, ihre Fortbildung
erleichtern, ihre Berufstreue ftärfen. Gleich duldfam wie fromm gefinnt,
geftattete der Fürft den Fatholifchen Bewohnern feiner Hauptitadt und
anderer Städte Bethaus und Schule und vermehrte die Zahl ihrer
Geiftlichen.
Allen feinen Beitrebungen zum Wohl feines Volkes ſetzte aber
Karl Friedrich dadurch die Krone auf, daß er am 23. Juli 1783
die Leibeigenſchaft aufbob. Laut fchallte der Jubel des Landes
diefer Maßregel entgegen, und die Antwort, welche der Fürſt auf die
Dankfagungen feiner Unterthanen ertheilte, lebt noch, ein Zeugniß
feiner Gefinnungen, im Volle. Die Gemeinde Eutingen fegte da:
mals dem Markgrafen das bei der dortigen Kirche ftehende Denkmal
mit der Inſchrift: „Badens Karl Friedrih, dem Vater feines Volles,
als er bie Leibeigenfchaft mit ihren Folgen, fammt dem Abzug aufhob
und die Rechte der Menichheit berftellte, febte biefes Denkmal des
Dantes die Gemeinde Eutingen am 23. Juli 1783. Wanderer diefer
Straße, fag deinem Land und der Welt unfer Glüd, bier ift der
edelfte Name Fürſt.“ Mahrlih, wenn je ein Fürft den Namen des
„Vaters feiner Untertdanen” verdiente, jo war es Karl Friedrich!
Wichtig für die Vergrößerung des Landes war der beim Tode
bes lebten Markgrafen von Baden-Baden, Auguft Georg, 1771 erfolgte
Anfall diefes Fürſtenthums an die baden-durlachiſche Linie. Das Gebiet
der letteren wuchs dadurch von etwas über 29 Quadratmeilen auf bei:
nahe 65, die Bevölkerung von faſt 100,000 Seelen auf 175,000.
Bon andern Vergrößerungen Badens wird weiter unten bei den fran-
zöfifchen Kriegen die Rebe fein.
Einen großen Theil des DVerdienftes, das fi Karl Friedrih um
fein Land und Volk erwarb, theilte mit ihm deſſen erjte Gemahlin
Karoline Luife von Hefien-Darmftadt. Sie war eine Frau von
reihen Geifte, tiefem Gemüthe und edler Gefinnung, und wurde des—
balb nicht nur die Begründerin von ihres Gemahls häuslichem Glück,
fondern fie wußte auch fein hohes Streben für des Landes Wohl an:
zufeuern und zu beſtärken. „In allen wichtigern Staats- und Haus:
angelegenbeiten wurde und blieb fie ihres Gemahls geheimfter Berather,
weil fie einen durchdringenden und thätigen Geift, eine Erhabenbeit über
602 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
eigene Herfchbegierde oder Nebenabſichten mit bem treuen Streben, es
möge nur feine Würde und Befriedigung aus Allem hervorgehen, fo
befcheiden verband, daß ihr ftiller Einfluß weniger bemerflih ward.“ 1)
Nie richtig dies Urtheil über die edle Fürſtin ift, wird unten bei der
Gefchichte der Pforzheimer Hauptinduftrie an einem Beifpiel von
vielen gezeigt werben. Aus der Ehe mit der Markgräfin Karoline,
die 1783 ftarb und am 18. April jenes Jahr in Pforzheim beige-
fett wurde, gingen außer einer Tochter, welde in der Wiege verblich,
drei Söhne hervor: Karl Ludwig, der als Erbpring 1801 zu
Arboga in Schweden durch den Sturz des Wagens verunglüdte und von
dem am 16. Februar 1802 zuerft das Herz, am 2. Juni desfelben
Jahres der Leichnam in der Gruft zu Pforzheim beigefeßt wurde;
— Friedrich, geftorben 1817, und Ludwig Wilhelm Auguft,
der 1830 geftorbene Großherzog.
Im Jahr 1787 ſchloß Karl Friedrich fein für das Fürftenhaus
fo wichtiges zweites Ehebündniß mit der Freiin Karoline Geyer v.
Geyersberg, der nachmaligen Gräfin ven Hocberg, F 1820. Glücklich
auch in diefer Ehe erzeugte er in derjelben drei Söhne: Leopold,
Wilhelm und Marimilian und eine Tochter, Amalie, die fpätere
Fürſtin von Fürftenberg.
Auf Karl Friedrich felbft, ſowie auf verſchiedenes Andere, was in
diefem Kapitel berührt wurde, werde ich theils in dem jetzt folgenden
Paragraphen, theils im nächſten Kapitel zurüdtommen.
$ 2. Beſonderes.
Der Regierungsantritt Karl Friedrichs erregte überall im Lande
die froheften Hoffnungen. Die drei Städte des badifchen Unterlandes,
Karlsruhe, Durlah und Pforzheim veranftalteten verfchiedene Feier:
lichkeiten, jo Pforzheim am 28. November 1746 eine allgemeine Be:
leuchtung der Stadt, bei welcher es an finnigen Transparenten mit
paffenden Inſchriften nicht fehlte. 2) Als der junge Markgraf kurze
Zeit nad feinem MNegierungsantritt der Stadt Pforzheim den erften
) Drais, Baben unter Karl Friebrih I, ©. 134.
*) Drais in feinem Baben unter Karl Friedrich theilt fie Bb. I, Bei:
Tage II mit. Der Markgraf hatte die Sammlung biefer verſchiebdenen Injchriften
viele Jahre in feinem Kabinet hängen,
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789. 603
Befuch machte, dem während feiner Regierungszeit noch viele andere
folgten, jo wurde er von dem ftäbtifchen Bürgermilitär, weldes in
Infanterie und Weiterei, unter leßterer eine anſehnliche Kompagnie
Hufaren, beftand, feierlichft abgeholt. Die Stadt hatte auch alle Ur-
fachyen, dem Markgrafen jede mögliche Aufmerkſamkeit zu erweiſen; denn
Pforzheim wäre ohme ihm nie zu der Bedeutung gelangt, zu welder
fich die Stadt ſchon im vorigen, noch mehr aber im laufenden Jahr:
hundert erhoben hat. os |
Das MWichtigfte, was unter der Regierung Karl Friedrichs in
Bezug auf die äußern Verhältniſſe Piorzheims geſchah, war die Ab:
löſung der Lehensverbindlichkeit gegen die Pfalz. Es ift oben (©. 141)
erzählt worden, daß zu den Bedingungen, weldye Markgraf Karl I.
1463 nad) der unglüdlihen Schlabt bei Sedenheim eingehen mußte,
auch die gehörte, daß er feine Stadt Pforzheim zu einem pfälzifchen
Lehen zu machen, genöthigt wurde, weldyes durch nichts als die Be-
zahlung einer Summe von 40,000 fl. aufgefagt werden konnte, Schon
unter ber Vormundſchaft, welche während Karl Friedrichs Minderjäh—
rigkeit die Regierung führte, nämlich am 23. Juni 1740, war wegen
Aufhebung bes Lehenverhältniſſes ein Vertrag mit der Pfalz abge⸗
ſchloſſen worden, der jedoch nicht zum Vollzug kam, weil ſich wegen
des Gelbwerths Meinungsverſchiedenheiten ergaben. Am 14. Mai 1750
kam es zu Abſchließung eines weitern Vertrags, im welchem allen An⸗
ſtänden dadurch ein Ende gemacht wurde, daß man wegen des gegen
früher veränderten Geldwerthes die Ablöſungsſumme auf 60,000 ſ.
feſtſetzte. Dieſelbe wurde auch alsbald an einem Darlehen von 300,000
Gulden, welhes Baden-Durlad) an Kurpfalz gemacht hatte, abgezogen,
So nahm alfo ein Verhältniß ein Ende, weldes Pforzheim im dreißig:
jährigen Kriege fo bittere Früchte getragen hatte. (©. 411 ff.)
Einen Beweis, mit welcher Eiferfucht die Pforzheimer immer noch
ihre Privilegien hüteten, lieferte das Jahr 1765. Damals wurde näm—
lich der Erbvertrag mit Baden-Baden abgeſchloſſen und auf Grund
desjelben in den Landestheilen beider Linien eime Erbhuldigung borge:
nommen. Obgleih nun Karl Friedrich Thon bei feinem Regierungg:
antritt die Freiheiten der Stadt Pforzheim bejtätigt hatte, fo wollten
dody die Bürger derſelben bei der Forderung der neuen Huldigung
diefelbe nicht eher leiſten, als bis nach den Beitimmungen der Stadt—
ordnung von 1491 die Konfirmation der jtüdtiihen Privilegien voraus:
604 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
gegangen. Es bedurfte eines befondern berubigenden Schreibens bes
Markgrafen, um die aufgeregten und widerftrebenden Gemüther zu
beſchwichtigen. 1)
Es ift im vorhergehenden Kapitel der Gründung des Waifen-
baufes in Pforzheim gedaht worden. Spinnen wir bier die
Geſchichte desfelben und der Veränderungen, die mit diefer Anftalt vor—
genommen wurden , weiter fort. Es ift dies, ich muß es wiederholen,
um fo nötbiger, als die Entwidlung der gewerblichen Verhältniffe in
Pforzheim damit zufammenbängt. 2)
Daß und wie das MWaifenhaus in Verfall gerathen war, ift oben
ſchon erzählt worden. Auf einen von zwei Angeftellten der Anftalt
4750 mit großer Offenheit eritatteten Bericht hin wurde eine Kom:
miffion ernannt, um den Zuftand der Anſtalt zu unterfuchen und wegen
Verbeſſerung desfelben ein Gutachten zu erftatten. Auf diefes hin wurde
die nämliche Kommiffion auch mit der Reform des Waiſenhauſes bes
auftragt und ihr dazu ausgedehnte Vollmacht eingeräumt. Das mit
Energie begonnene Wert wurde auch rafh zu Ende geführt. Alle
Bedienfteten der Anftalt, mit Ausnahme des Verwalters, Pfarrers und
der beiden Verzte, erhielten ihre Entlafjung, und wurde überhaupt der
Anftalt felbft eine ganz andere Einrichtung gegeben, welche mit dem
23. April 1752 ing Leben trat. 3) Insbeſondere hatte man ftrengere
Beftimmungen über die Aufnahme von Pfleglingen getroffen. Da fich
auch das bisherige Zuchthausgebäude in einem fehr ſchlechten Zuftand
befand und die gemachten Erfahrungen eine Trennung des Waifen: und
Zuchthauſes durhaus erheiichten, jo wurde auf Staatsfoften ein neues
Zuchthaus gebaut, das auf 24,203 Gulden zu ftehen fam. Die Grund:
fteinlegung fand am 27. April 1752 ftatt 4) und murbe das neue
) Dasfelbe befindet fih im ſtädtiſchen Archiv.
2) Zur nachfolgenden Darftellung Ank wiederum die [hen ©. 572 ange:
führten Quellen benügt worden.
s) Es erichien eine eigene Schrift darüber unter dem Titel: „Ausfchreiben
ber bochfürftl. marggr, BadensDurlahifchen zu ber Pflege des Waifenhaufes
zu Pforzheim gnädigſt verorbneten Kommiffion an gefammte Städte und
Dorfsgemeinden der fürftlichen Lande“.
*) Der Grundftein befindet fih auf ber hintern Ede ber jeßigen Heil»
und Pflegeanftalt, und zwar auf ber Seite gegen ben Mühlfanal, Er ift hohl
und liegt eine zinnerne Tafel darin, auf welcher eine ausführliche Inſchrift
eingegraben if.
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746-1789, 605
Gebäude noch im November des nämlihen Jahres bezogen. Auch im
Innern des Waifenhaufes wurden verfchiedene bauliche Veränderungen
vorgenommen. Da es am einem geeigneten Keller fehlte, jo erhielt die
Anftalt den noch vorhandenen und noch brauchbaren Keller des ehema—
ligen Barfüßerflofters fammt dem ganzen Pla, worauf letzteres ges
ftanden, vom Markgrafen zum Geſchenk. Die in der Anftalt befind:
lichen Fabriken fuchte die Kommiſſion hinauszufchaffen; bloß die Leine:
weberei wurbe beibehalten, arbeitete jedody von diefer Zeit an nur für
ben Gebraudy des Hauſes. Für die übrigen bisher betriebenen Fabriken,
nämlih die Tuchmacherei, die Strumpfmeberei und die Zeugmacherei,
wies der Markgraf ein eigenes Gebäude an, und ließ zu demſelben
bie erforderlihen Magazine erbauen. Allein die Bemühungen ber Kom:
miffion, dieſe Fabriken in gehörigen Gang zu bringen, hatten den er-
wünſchten Erfolg nit, und mehr und mehr machte fich die Ueber—
zeugung geltend, daß folhe Unternehmungen durchaus die unmittelbare
Berwaltung und Auffiht des igenthümers und deſſen beftändige
Gegenwart erforderten. Man konnte jedoch die Fabriken ſchon aus dem
Grunde nicht ganz fallen laſſen, weil das Zuchthaus fonft feine andern
Einkünfte Hatte, als was die Arbeit feiner Inwohner ertrug; aud das
Waiſenhaus erhielt durch das, was die Knaben verdienten, einen nicht
unbebeutenden Zuſchuß. Da fih nun einige Pforzheimer Kaufleute,
nämlih Ch. C. Kißling, D. L. Wohnlih, E. L. Deimling und E.
B. Beer, geneigt zeigten, jene Fabriten mit ihrem ganzen Kapital
und allen ihren Privilegien und Freiheiten zu übernehmen, jo wurde
mit diefen Herren 1753 ein dahin abzielender Vertrag abgeſchloſſen,
ihnen aber die Verpflichtung auferlegt, im Zucht: und Waifenhaus
gegen einen beftimmten Preis beftändig für ihre Fabrik arbeiten zu
laſſen. Unter der Firma Kißling, Wohnlih und Comp., fpäter Wohne
lich, Deimling und Comp., der fogar 1778 das Recht des freien
Bezugs von jährlich 100 Klaftern Tannenholz gegen alleinigen Erjab
von 30 Kreuzern Macher: und Seerlohn unter der Bezeichnung „Pri—
vilegienholz für die Wollfabrik Pforzheim“ zugeftanden wurde, kam das
Geſchäft bald in Flor, da die neuen Eigenthümer weder Mühe nod)
Koften fhenten, und namentlich auch gefchidte Arbeiter und zweckmäßige
Werkzeuge vom Ausland fih zu verihaffen mußten. Sie fabrizirten
meiftens wollene Zeuge, Strümpfe und ordinäre Tücher, welch letztere
der Fabrik für das Militär und die Xivree der Hofbedienten vertrags⸗
606 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
mäßig abgenommen wurden. Auf diefe Weiſe hatte ein wichtiger
Fabrifationszweig feinen Weg von dem Waifen: und Zudt-
haus in die Stadt gefunden, ber bald dadurd einen größern
Umfang erbielt, daß noch andere Tuch- und Zeugmacher fi in ber
Stadt anfiedelten und auf eigene Rechnung arbeiteten. ')
Mar das Waiſenhaus ſchon bei feiner Gründung reich dotirt wor—
ben, jb wurden die Einfünfte desjelben auch jpäter vermehrt und zwar
namentlih dadurch, daß die Megierung ihm verſchiedene Taren zuwies.
Den anjehnlichften Zuwachs erhielt aber der Waiſenhausfond im Jahr
1759 dadurd, daß ihm von den Almofenkapitalien der meiften badifchen
Bemeinden der Betrag von 37,768 Gulden unter dem Vorbehalt der
umentgeldlihen Aufnahme der Waifen aus den betreffenden Orten ein-
verleibt wurde. (Weitere 12,000 fl. verwendete man zur Gründung
eines Landes:Almofenfonds). 2) Am Jahr 1768 wurde der Grunditod
des Maifenbaufes um weitere 11,533 fl. 5 fr. dur eine neue Stif⸗
tung, die von Bernhold'fche, vermehrt, von deren Zinfen 12 Waifen
erhalten werden ſollten. Auch von Seiten des Fürften hatte ſich das
Maifenhaus mehrfah der großmütbigften Unterftüßungen zu erfreuen,
namentlich in den Xheurungsjahren von 1771 und 72.
Troß der früher im Waiſenhaus bezüglich der Errichtung ven
Fabrifen gemachten fchlimmen Erfahrungen tauchten derartige Pläne
doch wieder auf. Im Jahr 1767 wurde eine Uhrenfabrik im Waifen:
haus angelegt. Welchen Fortgang diefelbe nahm, wie fie gleich den
früheren Fabriken nad und nad in der Stadt jelbft feiten Fuß
faßte und dadurch den Grund zu der jet fo blühenden Haupt:
Anduftrie Pforzbeims gelegt wurde: dies ausführlich darzuftellen, mag
einem befondern Abfchnitt vorbehalten bleiben, Es genüge bier vorder—⸗
band die Bemerlung, daß das Jahr 1767 als das Geburt
jahr der Pforzbeimer Bijonteriefabrifation zu betrach—
ten ift.
) Bon den genannten Befipern ging bie Tuchfabrik an Wohnlih, Grab
und Söhne und 180) an Gülich und Finkenflein über, bis fie letzterer jpäter
allein übernahm und in großen Flor brachte. (Leider ift diefe jo renommirte
Fabrik im Jahr 1853 eingegangen.)
2) 28 Gemeinden des Landes, darunter Pforzheim, gaben ihre Amofen-
fapitalien nicht an das Waiſenhaus ab, ſondern bebichten ſolche unter ber
Bedingung, daß fie wegen Aufnahme ihrer Waiſen fi mit der Verwaltung
ber Anftalt Über einen angemefjenen Beitrag verftändigen wollten.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 607
Für das Waiſenhaus felbft war diefe Fabrik eben fo wenig fegen-
Bringend, als dies früher der Fall geweſen. Die in denfelben beſchäf—
tigten Waifenfinder follten vertragsmäßig 6 Jahre lang für bie Geſell⸗
ſchaft, welche die Fabriken unternommen, und ſodann 2 Jahre lang
zum Beſten des Waiſenhauſes arbeiten. Allein ſo weit kam es bei den
wenigſten. Der größte Theil dieſer Fabriklehrlinge wurde noch vor
beendigter Lehrzeit oder nach Umfluß der erwähnten 6 Jahre von den
Fabrikunternehmern entlaſſen. Dadurch ging für das Waiſenhaus der
von jenen 2 Jahren erwartete Vortheil nicht nur verloren, ſondern
dasfelbe büßte audy in Folge der Yangen Emährung feiner Pfleglinge
einen großen Theil feiner Fonds ein, namenflih da auch die meiten
Koftgeldforderungen am ſolche (nicht Maifen:) Knaben, welche zur Lehre
in die Fabriken und deshalb zur Verpflegung in das Waiſenhaus auf-
genommen worden. waren und für welche man 1770 in der Anftalt
ein eigenes Haus erbaut hatte, in Abgang gefchrieben werden mußten.
Auch in noch anderer Weiſe gefchab dem Vermögen diefer Anftalt bes
beutender Abbruch, indem nämlich die Anzahl der Züchtlinge, die eben:
falls dem Waifenhausfond zur Laft fielen, immer mehr zunahm. Alle
Vorftellungen wegen Erſatz des Schadens, den letztere dem Waiſenhaus
verurfachten, blieben vergeblidh.
Auch Shlimme Erfahrungen anderer Art trugen nicht wenig dazu
bei, ben fernern Beſtand des Waifenhaufes als gefchloffene Anftalt in
Frage zu ftellen. Es hatte fih gezeigt, daß die gemeinfame Erziehung
fo vieler Kinder in einem Haufe weit weniger tauge, als wenn jedes
derfelben in feinen gewohnten WBerhältnifien verbleite und ihm der
Segen einer guten Familienerziehung zu Theil werde. Es wurde des:
bald beſchloſſen, das Waiſenhaus als folches aufzuheben‘, von der per:
fönlichen Aufnahme und Berpflegung der Waifen demgemäß Umgang
zu nehmen, fie aber dafür alle in geeignete Häufer in Koft zu thun.
Dies gefhah in den Jahren 1773 1) und 1774 auch wirklich, und
zwar gegen ein jährliches Koftgeld von 4 bis 50 Gulden. Neben ber
beſſern Erziehung wurde auf dieſe Weiſe aud der Vortheil erreicht,
daß ftatt der 150 Maifen, welche man bisher als höchſte Zahl in bie
) Die Entfernung ber Waijen aus ber Anftalt wurde beichleunigt durch
eine epibemifche Krankheit, bie in Pforzheim ausbrah und die auch im Waifen:
haus deswegen ſehr um fich griff, weil immer 3 Knaben in einem Bett lagen.
608 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
Anstalt hatte aufnehmen können, deren nunmehr etwa 400 in Ber:
pflegung gegeven werden konnten. Die befondere Waiſenhausſchule ließ
man noch bis 1799 fortbefteben, in welchem Jahr fie jodann aufge
hoben wurde. Gleiches geſchah mit der Waijenhanspfarrei im Jahr 1805.
Eine Trennung des gemeinjhaftlihen Vermögens des Waifen-,
Irren⸗, Siechen:, Zucht: und Korreftionshaufes, weldhes auf 279,622 fl.
22 Er. berechnet wurde, erfolgte 1803, und erhielt der Maifenfond
bievon 100,622 fl. 22 fr. zugemiefen. Davon waren jedoch nur
43.022 fl. reelles Vermögen, mit 17,328 fl. 40 kr. wurde der Fond
durch das Recht zu Kollekten und freiwilligen Gaben, und mit 40,249 fl.
20 tr. duch Zutbeilung von Tars und Gtrafbezügen ausgewieſen.
Griteres Recht ift dem Fond geblieben, 1) letzteres durch veränderte
Tar- und Sportelordnungen aufgehoben, und trat die Staatskaſſe in
die Bezüge ein, bezahlte jedoch bis 1829 dafür dem Waifenfond eine
jährlihe Averfalfumme von 2949 fl. 20 fr. Diefer „Baden-Dur:
lachiſche evangeliihe Waifenfond,* in welchen fich feiner Zeit auch bie
3 Herrfchaften Lahr, Mahlverg und Lichtenau mit einer Eumme von
6979 fl. 3 kr. einkauften, betrug am 1. Juni 1858: 116,237 fi.
58 fr. und wird von den vier Partikularverrehnungen Karlsruhe, Lahr,
Pforzheim und Rheinbiſchofsheim verwaltet. Im Jahr 1855 murden
aus bdemjelben 422 Waifen mit Benefizien zu je 10 Gulden unterſtützt.
Letztere find feit 23. April 1857 auf 12 Gulden erhöht. Bei Gefuchen
um ſolche wird unter fonft gleihen Umftänden den Waijen aus ben:
jenigen Orten, welche früher ihre Almojenfapitalien zum Waifenhaus:
fond eingeworfen haben oder fonjt noch Beiträge leiften, den Vorzug
gegeben.
Hiemit endigt eigentlich die Geſchichte des MWaifenhaufes. Zur
Bervollftändigung des Bisherigen möge übrigens bier noch in gebräng:
ter Kürze erwähnt werden, melde Veränderungen fonft noch in den
fortbeftehenden Anftalten und ihren Gebäulichkeiten erfolgten. Es er:
ſpart dies zugleich ein fpäteres Zurückkommen auf diefen Gegenitand.
Ale Räumlichkeiten des Waifenhaufes, mit Ausnahme derjenigen, welde
die Uhrenfabrik inne hatte, wurden nad Aufhebung des Waifenbaufes
1) In Pforzheim bezieht derſelbe überdies bis auf den heutigen Tag in
Stadt und Altftadt das Opfergeld, das bei Kommunionen, Taufen, Leichen und
an Bettagen fällt, BDasfelbe beträgt bermalen die jährliche Summe von
300—350 fl.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 609
allein für das Siechen-, Irren- und Zuchthaus verwendet, was um fo
nöthiger war, als die Zahl der Pfleglinge bez. Züchtlinge diefer kom—
binivten Anftalt mit jedem Jahr zunahm. Im Jahr 1804 wurde die
Trennung des Zuchthaufes vom Irren- und Siechenhaufe vorgenommen,
und am 17. September diejes Jahres die ſchwererern Verbrecher (30
an der Zahl) in dns Zuchthaus zu Mannheim, die Teichtern aber (66)
in das Zuchthaus nach Bruchſal abgeführt, dafür aber die in Mann
beim befindlichen Irren hierher übergefiedelt, Mit der hiefigen Anftalt
blieb blog noch ein Korrektionshaus verbunden, das gewöhnlid aber
nur 7—12 Sträflinge zählte, bis auch diefe 1808 in das in ein Kor
veftionshaus umgewandelte Zuchthaus in Bruchfal verbracht wurden und
blos die Irren- und Siechen hier zurückblieben. Die Zahl derjelben
betrug im Jahr 1810 im Ganzen 160, nämlih 119 im Irrenhaus
und 41 im Siedyenhaus.
Waren auf folhe Meife nach und nady die Waifen, Pfründner,
Züchtlinge und Korreftionäre ausgefchieden und blos die Irren und
Siechen in einer Anftalt beifammen gelafjen wurden, jo wurde 1824
auch die Trennung diefer beiden Arten von Kranken bejchloffen, und
im folgenden Jahre zur Aufnahme für die Siechen ein eigenes Ge—
bäude im ehemaligen Barfüßergarten zu Pforzheim aufgeführt (das
jeige Zaubftummeninftitut). Da in die gleiche Zeit auch die von ber
Regierung beſchloſſene Errichtung eines allgemeinen Arbeitshaufes fiel,
jo wurde für dasjelbe das bisherige Lokal der Irren- und Giechen-
anftalt erwählt, und für die Irrenanſtalt dagegen eine Lofalität in
Heidelberg beftimmt. Alle diefe neuen Einrichtungen traten mit dem
Jahr 1826 ins Leben,
Bald aber zeigte e8 ſich, daß die neue, auf 70—80 Kranke be:
rechnete Siechenanftalt zu Hein war, um allen Geſuchen um Aufnahme
zu entfprechen. Das Gleiche war in Heidelberg der Fall, während dag
neu errichtete Arbeitshaus zur Hälfte Teer ftand. Es wurde deshalb
1829 befchlofien, im Arbeitshaus eine Yilialirrenanftalt zu errichten,
in welche hauptfächlich Geiftesfieche, wie Blödſinnige, Cretins ꝛc. auf:
genommen werden follten, und in zwei Jahren war auch diefe Anftalt
von 130 Pfleglingen bevölkert. So blieben die Verhältnifie bis 1842,
In diefem Jahr wurde die allgemeine Landesirrenanftalt Illenau, deren
Bau 1830 beſchloſſen worden war, eröffnet, und alle Irren, ſowohl
von Heidelberg, als der Filialirrenanftalt Pforzheim, — verbracht.
Pflüger, Pforzheim.
610 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 17461789.
In die Lofalitäten der Teßtern zog nunmehr 1842 die Siechenanftalt
wieder ein, und das neuerbaute Siechenhaus wurde ber Taubſtummen⸗
anftalt zugewiefen. So waren jet die Siechen- und die polizeiliche
Berwahrungsanftalt — in eine foldhe war 1840 das Arbeitshaus ums
gewandelt worden — wieder auf einem Areal beiſammen. Wieder:
bolte Erfahrungen mußten jedoch wie früher zu der Meberzeugung füh—
ten, daß eine Straf: und eine Krankenanftalt, in einer Lolalität ver-
einigt, fich in ihrem Gedeihen gegenfeitig nur hinderlich feien. Ueberdies
ftellten fi die Räumlichkeiten der Siechenanſtalt mehr und mehr als
unzulänglic heraus. Es wurde deshalb im Jahr 1854 die polizeiliche
Derwahrungsanftalt nah Kislau verlegt, und die bisherigen Xofalitäten
derfelben der Eiechenanftalt, die nun den Namen „Heil— und Pflege
anftalt Pforzheim“ erhielt, ebenfalls zugewielen. Damit haben
diefelben auch ihren urfprünglihen Stiftungszweck wieder erhalten.
$ 3. Inneres.
(Städtifche Verhältniffe, Gewerbe, Handel, Kirchliches, befondere
Ereigniſſe zc.).
Mir find früher mehrfah Sagen über den Zerfall des gemeinen
Weſens in Pforzheim begegnet; auf eine Wiederholung bderfelben ftoßen
wir im Jahr 1750 und zugleich auf die Bemerkung, daß der damalige
Bürgermeifter Henning die meifte Schuld daran trage. In wie weit
diefelbe gegründet war, wollen wir bier nicht unterfuchen, wohl aber
bemerten, daß der Bürgermeifter immer noch auch die Rechnung über
die ftädtifhen Einnahmen und Ausgaben führte und im Ganzen einen
Gehalt von 100 Gulden bezog. Alle ftädtiihen Aemter, welche oben
(S. 237) in der Stadtordnung von 1491 genannt wurden, beftanden
damals noch und hatte ſich ihre Zahl ſogar vermehrt, jelbftverftändfich
auch der Aufwand dafür, da im Lauf der Zeit die Befoldungen nad
dent veränderten Geldwertb hatten erhöht werden müſſen. So erhielt
der Baumeifter von 1750 an ftatt der bisherigen 20 Gulden deren
jährlih 50. Schon damals wurde der Vorſchlag gemacht, die Zahl
jener Aemter zu verringern, was indeß erft fpäter gefchab. (Auf Bür—
germeifter Henning folgte 1750 Kummer, 1758 Steinhäufer,
nah ibm bis 1770 Weiß, ſodann bis 1775 Kißling, 1783
Günzel, 1795 Geiger :«c.)
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 614
Von den 1750er Jahren an fcheinen fi die Verbältniffe immer
günftiger geftaltet zu haben. Einen Beweis für das Aufblühen Pforze
heims liefert mwenigftens das Steigen mander Staatseinmahmen. Go
belief ſich der jährlihe Crtrag des Pfund: und Landzolles in Pforz-
heim von 1757—1766 durchſchnittlich auf 2498 fl., von 1767—1776
auf 2772 fl., von 1777—1786 aber bereits auf 4139 fl., — bes
Dhmgeldes in derfelben Zeit von 1702 fl. auf 1978 und 3303 fl.
Daß vornehmlich durch die gefteigerte Gewerbthätigkeit ſolch günftigere
Ergebnifje erzielt wurden, wird unten nachgewiefen werden.
Daß der Haupttheil der Wehrpflicht der Bürger bei Einfithrung
des ftehenden Militärs auf dieſes überging, iſt oben (©. 577) gefagt
worden. Dody blieb den Bürgern, wenn fie auch nicht mehr felber
ins Feld rüden mußten, wenigſtens immer nody die Bewachung der
Stadt, jelbft in dem Fall, wenn eine Garnifon in derfelben lag. Auch
dieſes Geſchäft fcheint nad) und nad ein überläftiges geworben zu fein;
derm im Jahr 1778 wurde die bisher beftandene allgemeine Wehrpflicht
aufgehoben und dafür, wie anderwärts auch geihab, das Inſtitut der
Stadtfoldaten eingeführt. Welcher Autorität fich diefelben erfreuten,
ift allgemein befannt, und noch lebende Zeitgenofien wiſſen viel von den
Poſſen zu erzählen, die diefen Sicherheitswächtern gefpielt wurden.
Sehen wir ung nunmehr nad) der weiten Entwiclung der ge:
werblihen Verhältniffe in Pforzheim um, fo meit folche nicht fhon im
vorhergehenden Paragraphen berührt worden find, und verweilen wir
zuerft bei dem Floßweſen. ine neue Zunftordnung für die Flößer
war fchon unterm 26. März 1740 von Seiten der fürftl. Vormund—
ſchaft erlaffen worden. 1) Nach entiprehendem Eingang enthielt diefelbe
nähere Beitimmungen über die Erwerbung des Meifterrechts, die Lehr:
zeit, die Floßzeit (Mitfaften bis Martini), über etwaige Schmähungen
ber Flößer unter einander, Verbot des Holzentlehnens, des Einfteheng
in den Jahrkauf, des Abführens von mehr als 3 Flößen auf ein Mal,
bes Abhauens von Holzzeichen, des Fürkaufs, der Gemeinſchaften mit
ausländifchen Flößern oder Dienftleiftung an diejelben, des Wegver:
fperrens, des Arbeitens an Sonn: und Feiertagen, Beitimmungen wegen
Floßknechten, Hauern, der Reihenfolge bei Verwendung von Flößern,
wegen Bezahlung von Strafen, Zöllen, wegen Abgabe von Holz zum
N) Das Driginal derfelben befindet ſich bei den hiefigen —
9
612 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
Bauen x. — Von Wichtigkeit ift ferner der am 11. April 1747 zu
Wildbad wegen des Scheiterholzflößens auf den Flüſſen Würm,
Nagold, Enz, Near und Eiach zwiſchen Baden und Württemberg
abgefchloffene Vertrag. 1) Derfelbe wurde, wie fein Eingang bejagt,
hauptſächlich durch den mehr und mehr überhand nehmenden Mangel
an Brennholz veranlagt, und darin in 48 Paragraphen das Nötbige
feftgefett über Zölle und andere Abgaben (im Ganzen nicht mehr als
11/, Er. vom Klafter), Herjtellung und Erhaltung von Wafjerbauten
zum Behuf des Flößens, Entfhädigung an Mühlen: und andere Waf-
ſerwetkbeſitzer, Niederſetzung einer desfallfigen Kommiſſion, Anweifung
von geeigneten Pläten zum Holzberausziehen, Strafen wegen Holzent-
wendungen (10 Gulden für jeden Fall), Verwendung von Arbeitern,
Floßzeit (von Martini bis 30. April des folgenden Jahres), Erlaub—
niß zum Nachtrieb an Sonn: und Feiertagen auf 12 Jahre, Abgabe
von jährlichen 1500 Klaftern Buchen: und Tannholz aus württember-
giſchen Staatswaldungen an das Eiſenwerk in Pforzheim, und zwar
zu demſelben bingeliefert das Klafter zu 1 fl. 56 fr., Bengelholz zu
1 fl. 30 kr. Beftätigung eines Ähnlichen Vertrags wegen Abgabe von
Holz aus den Herrenalber Kloſter- und Loffenauer Gemeindewaldungen
an den frühern Beitänder des Hammerwerks, ©. Burkhardt aus Bafel,
Erlaubniß an den Herrenalber Klofterwirth Johann Adam Benngießer
(Bendifer) zum Flößen auf der Alb, die Württemberg auferlegte Ver:
pflihtung zur Abnahme von jährlichen 1000 bis 1500 Eentnern Eifen
vom Eiſenhammer in Pforzheim, Crlaubnig zum Xransportiren von
Eifen als Ablaft auf den Flößen ꝛc.
Diele Beftimmungen der oben im Auszug mitgetheilten Zunftorb⸗
nung von 1740 traten wieder außer Kraft, als unterm 18. März
1747 der neue Pforzheimer Flößerzunft-Verein gegründet
wurde. Die Flößer hatten die Erfahrung gemacht, daß, wie das an
obigem Tag verabredete, am 28. Februar 1749 revidirte und von ber
Regierung genehntigte Statut des Vereins 2) befagt, „feit einiger Zeit
viel [hädlihes Miftrauen, Stümpelei, Unordnung und Gebrechen bei
diefer uralten Flößerzunft eingeriffen und dadurdy die von unfern Mit:
’) Er befindet ſich in Abjchrift bei den Aften der Piorzheimer Flößerzunft.
?) Es befindet ſich ebenfals im Abſchrift bei ben Aften der Pforzheimer
Flößerzunft.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789, 613
flößern in zugehöriger Handirung vorhin ehrbarlic gefuchte Nahrung
merklich zurüdgegangen.* Auch mochte ben ehrſamen Meiftern des
löbl. Flößerhandwerks nicht entgangen fein, daß nur ein kümmerlicher
Gewinn erziehlt wurde, fo lange Jeder für ſich handelte. Sie befchloi:
fen alfo die Gründung eines Floßvereins, und legten zu dem Ende einen
Fond von 26,000 Gulden, in 260 Portionen zu 100 Gulden beftehend,
zufammen, (mehr als 12 Portionen durfte ein Theilmehmer, deren es
zu Anfang 86 waren, nicht haben,) und gelobten fih, alle Holzkäufe
und Verkäufe, Frachtafforde ꝛc. auf gemeinfchaftlihe Rechnung durch
ihren Vorſteher zu betreiben. Dies ſchloß nicht aus, daß der Vorftand
wieder einzelne Glieder in feinen Taglohn anftellte; ja es wurden bes
fondere Beftimmungen für die möglichft gleiche Vertheilung diefer ſpe—
ziellen Beſchäftigungsmittel getroffen. (Sonftige Beftimmungen der Sta:
tuten betreffen den Eintritt jpäterer Theilnehmer, die etwaige Vermeh—
rung des Grundfapitals, Vertheilung des Gewinnſtes oder Verluftes,
Abkauf einzelner Portionen durch die Gefellihaft, Garantie des Befites
von ſolchen, Feſtſetzung von Bereinstagen, Erwählung der Rechner und
Deputirten und deren Bezüge, Entſcheidung von Streitigkeiten, Länge
ber Flöße ꝛc.) — Das Unternehmen, das mit Umſicht und in Ein:
tracht begonnen und geleitet wurde, gedieh jo vortrefflih, daß da und
dort noch andere ähnliche Holzhandelsgejellihaften entitanden. Als in
den 1750er Jahren eine württembergifche Gefellfchaft die Murg ober:
bald Gernsbach flößbar zu machen unternahm, fo brachte e8 der wach—
fame Vorſtand des Pforzheimer Floßvereins dahin, daß derfelbe in bie
neue Murgkompagnie als ein Haupttheilhaber aufgenommen wurde.
Der ganze Murghandel wurde in 48 Portionen getheilt, wovon 22 auf
Pforzheim kamen. Der Vertrag wurde 1758 auf 30 Jahre gefchloffen.
Aber noch mehr Fam dem Floßverein der Umftand zu Statten, daß die
Murgkompagnie fih bald mit derjenigen württembergiihen Gefellihaft
verband, welhe in Calw aufblühte und vorzugsweife auf den drei Flüf-
fen flößte, die fich bei Pforzheim vereinigen. Die Verbindung wurde
1763 auf 25 Jahre beichloffen. Nun wurde für den Schiffsbau eine
Menge langer Tannenhölzer von dem Gebirg herab, und zwar nicht
blo8 in vermehrter Zahl auf dem Nedar, jondern auch auf der Murg
in den Rhein und nah Mannheim gefördert, dort aber an Zwiſchen⸗
händler für Holland verkauft. Der Floßverein in Pforzheim dehnte
daneben feinen eigenen Holzbandel, ben er fi auf befondere Rechnung
614 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789.
vorbehalten hatte, nicht Über gemeines Bauholz und Sägwaaren aus,
womit er bald einen großen Theil der am Nedar und Rhein Tiegenden
Ortſchaften bis nah Worms hinab verforgte.
Die fpätere Zeit fah ein Sinken und ftärkeres Wieberaufleben
diefer Unternehmungen. Im Jahr 1777 börte ſchon wieder zum Theil
die Verbindung mit der Galwer Geſellſchaft, und 1788 Töste fi bie
Murgkompagnie auf. Mittlerweile war eine Faktorie für holländiſche
Häufer in Pforzheim gegründet worden, melde in den umliegenden
MWaldungen die Hölzer einfaufte und felbft für den Transport forgte.
Der Faktor Böhringer führte aber nebenbei noch einen Holzhandel auf
eigene Nechnung, jo daß alfo der Floßzunftverein dadurd Feine geringe
Konkurrenz befam. Um ibn wieder empor zu bringen, ſetzte Karl
Friedrich eine eigene Kommiffion nieder, und 1801 kam die größere
Vereinigung der bolländifhen Kompagnie zu Stande, die ımter
der Firma Böhringer, Mayer und Komp. nicht mehr blos bis Mann:
heim, jondern nah Holland verflößte. Ihr Fond betrug eine "Million
Gulden in 250 Aktien zu je 4000 Gulden. Die erwähnten hollän—
bifchen Häufer, der Floßverein und Böhringer felbft wurden mit einer
größern Anzahl Aktien bedacht. Für den Floßverein wurde einbedungen,
dag feine Mitglieder allein das Recht haben follten, das bolländer
Holz in den Rhein zu verflößgen. (Am 9. April 1802 ging der erfte
große Rheinfloß der holländischen Kompagnie von Mannheim ab. Er
war 7321/, Buß lang und 81 Fuß breit. Der damalige Kurfürft
Karl Friedrich ſchenkte mit noch andern hohen Herrichaften dem neuen
Unternehmen die größte Aufmerkfamteit, fpeiste auf dem Floß zu Mit
tag und begleitete denfelben bei feiner Abfahrt bis zur Rheinfpige). 1)
Beide Gefellihaften gediehen fo gut mit und neben einander, daß fidh
1809 fogar noch ein drittes Comptoir unter der Firma Mayer und
Fritdorf bildete. Doch davon. fpäter mehr, da wir ohnehin ſchon dem
Zeitraum, deſſen Darftellung die Aufgabe diefes Kapitels ift, voraus:
geeilt find,
Wir müſſen bier auch noch der Flößerwittwenkaſſe ober
Karl-Friebrichs-Stiftung gedenken, die im Juli 1789 ins Reben
gerufen ward, Als nämlih damals mit dem Pforzheimer Floßverein
ein neuer Holzakkord errichtet Mmurde, wies Karl Friedrich aus dem
) Pforzheimer wöchentliche Nachrichten von 1802,
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789, 615
berrichaftlichen Holzerlös auf 10 Fahre die jährliche Summe von 2000,
alfo im Ganzen von 20,000 Gulden zur Gründung eines Fonds an,
aus deſſen Zinfen den Wittwen bez. Waifen der Flößer, die Meifter
geweien, jährliche Unterftügungen gereicht werden follten, und zwar in
legterm Fall den Söhnen bis nad) vollendetem 18., den Töchtern bis
zum 16. Jabr. Ich werde auf diefe Stiftung zurücdfommen, und be
merke bier noch, daß für diefelbe 1791 Statuten entworfen und unterm
29. Dezember 1792 beftätigt wurden,
Das Beiipiel der Flößerwittwenkaſſe wurde 1792 die Veranlafjung
zur Gründung einer Bürgerwittwenfaffe, deren Statuten die
Regierung 1795 mit der Beitimmung beftätigte, daß alle neu zugeben:
den Bürger Theil nehmen müßten, Nihtbürgern aber die Theilnahme
freiftehen ſollte. Diefe Wittwenfaffe trug indeffen wegen verfehlter Or-
ganifation fchon von Anfany an den Keim des Todes in ſich, und die
Verwaltung, die nicht entjchieden genug war, half dazu mit, daß diefes
Anftitut fpäter wieder aufhörte.
Bon dem berrichaftlichen Eiſenwerk zu Pforzheim tft früher ſchon
mehrfah die Rede geweien. Dasjelbe war fortwährend in Pacht
gegeben. Im Fahr 1752 erbot fih der Kammerrath Philipp Jakob
tion zu Karlsruhe, das fürftlihe Eifenwert zu Pforzheim ober: und
unterhalb der Stadt zu kaufen. Der Regierung erſchien diefer Antrag
erwünfcht, und wurde alsbald eine Kommiffion nad) Pforzheim geichict,
um Zuftand und Vorräthe beider Gifenwerfe zu unterſuchen, pflicht:
gemäß anzufchlagen und fodann, vorbehaltlich herrichaftlichen Ratifikation,
einen Kaufkontrakt abzufchliegen. Dies gefhah am 7. November 1752,
Die Kaufiumme betrug 43,000 Gulden. "Bon fonftigen Kaufbeding:
ungen, die in der Kaufurkunde im Ganzen 20 Paragraphen füllen,
erwähnen wir: Der Käufer ift für alle zum Eiſenwerk gehörigen Häu—
fer und Güter frei von Schatzung, Zehnten, Kriegsanlagen (Kontri:
bution ausgenommen), Bes und Einquartierung, hat Wirthſchaftsrecht
auf dem obern und untern Hammer, jeded nur für Angehörige des:
felben, ſowie Fuhrleute, Hauer, Köhler und Dienftboten, darf fein
Ohmgeld bezahlen, hat das Recht, Salz und Vitktualien zu verkaufen,
für die er pfund- und Tandzollfrei ift, — hat Fiſchrecht vom Flotzloch
beim obern Hammer bis Ende des Faktoriegartens und beim untern
Hammer im Blehwehrgraben, — barf”für von auswärts bezogenes
Brennholz ebenfalls keinen ZoU bezahlen, darf Scheiterholz auf ber
616 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
Würm und Enz beiflözen gegen Entrihtung des Wafferzolls, — er⸗
hält das Eifenmonopol für das Unterland auf 20 Jahre, muß aber
der Herrſchaft dafür jährlich 500 Gulden bezahlen, — hat über bie
zum Hammer gehörigen Leute Ztrafgewalt bis zu 24 Stunden Ge:
fängnig und 1 Neichsthaler Geldftrafe, — zahlt für fein eigenes Fuhr-
werk in der Stadt weder Weg-, noch Pflafter- noch Brüdengeld ꝛc. —
Irion konnte fidy jedoch des neuen Erwerbs nicht lange erfreuen; denn
er ftarb fchon 1755. Da er bedeutende Schulden hinterließ, jo verkauf:
ten feine Gläubiger das Eifenwerk mit allen Gebäulichfeiten, Vorräthen
Berechtigungen 2. um die Gefammtfumme von 28,000 Gulden an ben
wiürttembergifhen Rommerzienrath Ehr. Fr. Lidell zu Neuenbürg und
an den Klofterichaffner und Holzbhändler Joh. Adam Bendifer zu
Herrenald, 1) Es mag bier noch bemerkt werden, daß dieſe beiden neuen
Befiter, um dem häufigen Zank “über die Qualität des Eifens ein
Ende zu machen, im Jahr 1761 freiwillig und ohne Entihädigungs-
forderung auf das Eifenmonopol zu verzichten fi erklärten, wenn ihnen
die Zahlung der jährlichen 5000 Gulden für das Negal abgenommen
würde, Markgraf Karl Friedrich, der ein Feind aller Monopole war,
ging auf diefe Bedingung fogleih ein. Das Eiſenwerk blieb in gemein:
ſchaftlichem Befit von Lidell und Bendifer, bis der Sohn des erfteren
um das Jahr 1811 feinen Antheil an Chr. Friedr. Bendifer, den
Nachfolger des erſten Beſitzers aus diefem Geſchlecht, verkaufte, wodurch
das Eijenwerk in den alleinigen Beſitz derjenigen Familie überging, in
deren Händen es fid heute noch befindet. 2)
Der ſchon feit Jahrhunderten in Pforzheim beftehenden berrichaft:
lichen Leinwandbleiche (ihr Alter beweifen die fchon früh vorfom-
1) Diefe Kaufurfunde, jowie die frühere, iſt no in ben Händen ber hie—
figen Befiger des Eiſenwerks.
3) Die bisherigen Befiger aus der Bendifer'fchen Familie waren und find:
Roh, Adam Bendifer (1755)
Ehrift. Frd. Bendijer
* —
Chriſtoph Benckiſer Joh. Adam Bendijer
Fe a‘
Mori Bendifer Auguſt Bendifer.
Der Ältere Lidell hatte 1765 den Charakter als Rentfammerratb erhalten
und flarb 1793. Er machte vor feinem Tob bedeutende Stiftungen für Stubi-
rende, Schulfeminariften, für das Karlsruher Bürgeripital und Almofen,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 617
menden Namen Bleichwieſe, Bleichſtaffel 20.) wurden in den 1740er
Jahren verjchiedene neue Freiheiten verliehen, und führte diefelbe von
1750 an den Namen „badifhe privilegirte Leinwandbleiche.“ Damals
wurden zu Gunſten derjelben, als „allein bejtehend” nicht nur alle
Nebenbleichen in Pforzheim bei Strafe von 10 Gulden. unterfagt, fon:
bern ihr auch geftattet, ausländifhes Getuh zu bleihen. Die zur
Bleiche gehörigen Güter waren zehntfrei und hafteten nur die gewöhn:
lichen öffentlihen Steuern darauf. Doch mußte ſich der Erblehnpächter
(von 1758 an Ritterwirth Weiß) nad Beendigung des Auslegens ber
Tücher im Spätjahr den Weidgang im Nennfeldgarten gefallen Tafien ıc.
Diefe Bleiche gelangte bald zu großer Bedeutung, und wird die Menge
der Leinwand, welche ihr von nah und fern zuftrömte, zu Ende des
18. Zahrhunderts auf mehr als 100,000 Ellen angegeben.
Haben wir das Wefentlichjte bezüglich der Entwidlung der ge-
werblihen Verhältniſſe Pforzbeims, mit Ausnahme der Entftehung der
Bijouteriefabrifation, der ein eigener Abſchnitt gewidmet werden foll, tm
Bisherigen berührt, fo mag nunmehr auch noch verſchiedener anderer
Verhältniffe gedacht werden. Im Fahr 1764 reihte ſich den ſchon feit
Yängerer Zeit bejtehenden Pforzheimer Stiftungen eine neue an, näms
ih die Wil derſinn'ſche. Am 29. September genannten Jahres
vermacdhte nämlich der aus Pforzheim ftammende Glafermeifter Johann
Michael Wilderfinn zu Augsburg ſammt feiner ebenfalls aus Pforzheim
gebürtigen Frau Agnes Eva geb. Deimling ein Kapital von 1000
Gulden mit folgenden Beftimmungen: Die Abminiftration desfelben
fol dem Magiftrat der Stadt Pforzheim zukommen, zu bderfelben jedoch
aus den beiden Familien Wilderfinn und Deimling ein verftändiger
Mann beigezogen werben; die Stiftung darf aber nie mit andern Stif-
tungen vermengt, fondern muß für immer unter dem Namen: „Wilder:
ſinn'ſche Stiftung“ abgefondert verwaltet werden. Der Verwalter ber
Stiftung, fei es der Bürgermeifter oder eine andere Magiftratsperfon,
fol für feine Mühe aus den Zinfen des Kapitals jährlih 10 Gulden
erhalten. Der Neft des Zinfes fol Angehörigen der Familien Wilder:
finn und Deimling zu gut kommen, (zu erftern gehörten ftiftungsger
mäß die Nachkommen des Vaters des Stifters, Chriſtoph Wilderfinn,
ferner des Küfermeifters Joh. Martin Eppelin und des Schuhmadyers
Chriſtoph Schmid, von Ießtern beiden jedoch nur bis ins vierte Glied;
zur Deimling’ihen Descendung die Nachkommen des Großvaters ber
618 Achtzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1746 —1789.
Mitftifterin, des ehemaligen Bürgermeifters Chriftopp Deimling, bier
wie dort jedoch mit Ausichluß der weiblichen Linie); nämlich fo, daß
10 Gulden zur Anfhaffung von Büchern und Mänteln und zur Bes
zahlung des Schulgelds für Knaben unvermöglicher Eltern, welche den
beiden genannten Familien angehören, was nach Abzug obiger 20 Gulden
no übrig, als Stipendium für ſolche, welche Theologie, Jura oder
Medizin ftudiren würden, verwendet werden ſollen. Der Stipendiat fol
vier Jahre im Genuß desjelben bleiben, jedoch im Genuß des Stipendiums
zwifchen Angehörigen der Familien Wilderfinn und Deimling abgewech—
felt werden, wobei unter Vorausſetzung befonderer Befähigung die Ver:
mögensverhältniffe der Eltern nicht maaßgebend fein follen. In Er:
mangelung von Stipendiaten follen die Zinfen zum Kapital gefchlagen
und diefes fort und fort vergrößert werden. Iſt das Verhalten des
Stipendiaten ein tadelnswerthes oder wird er der evang. lutherifchen
Religion ungetren, fo verliert er das Stipendium und muß wieder
erfeten, was er bereits genofjen, weshalb vorher Kaution oder Bürg—
ſchaft zu ftellen it. Sind aus beiden Familien keine Stipendiaten vor—
handen, jo kann daraus eine mittellofe ledige Tochter, die Waife ift,
vom Ueberihuß der verfügbaren Intereſſen eine Ausfteuer erhalten,
was unter Umftänden auch neben einem Stipendiaten gefhehen Tann. 1)
Am Falle des Ausfterbens der beiden bezugsberechtigten Familien kann
nach Ermeſſen des Stadtmagiftrats das Stipendium auch auf talent:
volle Kinder anderer Kamilien übergehen. Sollte von irgend einer
Seite der Verſuch gemacht werden, der Stadt Pforzheim diefe Stiftung
zu entziehen, fo baben die beiden oben genannten Männer aus den
Familien Wilderfinn und Deimling vollkommen Madt und Gewalt,
bas Kapital an ſich zu ziehen, und es andern fichern Händen zu über:
geben. So bie urfprünglihen Beftimmungen der MWilderfinn'fchen Stif—
tung. Diefelben mußten indeß im Lauf der Zeit mehrfah abgeändert
werben, was jedod immer im Sinn des Stifters geſchah. Wir werden
darauf zurückkommen.
Einer andern Yamilienftiftung, nämlih der Lamprecht'ſchen, er:
wähnen wir bier nur, weil die Verwaltung derfelben in Pforzheim ihren
Sit hat und zum Theil auch Angehörige des Amts bezugsberechtigt
) Diefe letztern Beſtimmungen ber Stiftungsurfunde, die in Abjchrift im
Stadtarchiv ſich befindet, find ziemlich undeutlich und fiehen im Widerſpruch
mit einer frühern,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 619
find. Der Hofrat und Leibmedicus Johann Heinrich Lamprecht zu
Durlach, früher Arzt am Waifenhaus in Pforzheim, beſtimmte näm:
lich in feinem am 26. November 1753 verfaßten Teftament, daß im
Fall Ausfterbens feiner und feines Bruders Nachlommenfchaft fein
“ Vermögen für die männlihen Nachkommen des ehemaligen Schultheißen
Johann Bernhard Lampredt in Wilferdingen in der Weiſe nußbar
gemacht werden folle, daß die Zinfen desjelben an junge Leute, welche
fi) „denen Stubiis, dem Militär, der Echreiberei oder einer andern,
der Lamprecht ſchen Familie zur Ehre gereihenden nicht gemeinen Milz
fenichaft widmen“, zur Beihilfe in beitimmten Summen ausgetheilt
würden, (Das Vermögen diefer Stiftung betrug am 1. Juli 1861
19,418 Gulden.)
Berfchiedene kirchliche Verhältniſſe Pforzheims unter ber
Regierung Karl Friedrihs find ſchon im vorhergehenden Kapitel berührt
worden, fo u. A. die der reformirten Gemeinde dafelbft. Am Jahr
1783 wurde auch den Katholiten das Recht des Gottesdienfies in
Pforzheim eingeräumt, 1) nachdem feit dem weftphäliichen Frieden Fein
folcher mehr gehalten worden war. Die Regierung. ftellte ihnen dazu
einen Saal des Maifenhaufes zur Verfügung. Cine katholiſche Pfarrei
wurde in Pforzheim indeſſen erft 1823 errichtet und den Katholiken
alsdann die bisherige reformirte Kirche (Chor der Barfüßerkirche), bie
in Folge der 1821 erfolgten Vereinigung der Reformirten mit den
Lutheranern verfügbar geworden war, zur gottesdienftlihen Benützung
zugewiefen. Mehr hievon weiter unten, — Das Chor der eben er:
wähnten Barfüßerkirche war nämlich ftehen geblieben, als der Thurm
diefer Kirche und fpäter letztere jelbft abgebrochen wurde. Der Abbrud
des Thurms gefhah im Sommer 1748, weil er, wie es in ben be=
treffenden Akten 2) heißt, in Folge des Brandes im orleans’schen Kriege
„ruinos und dem Einfall nahe geweien.” 3) Die Ueberlieferung befagt,
daß er fi) nach einer Seite, und zwar gegen die Brötinger Gaffe,
geneigt gehabt hätte, d. 5. daß man befürchtete, er möchte einmal in
diefelbe hinunterſtürzen. Diefer Thurm war bisher eine Zierde ber
1) Vergleiche das Karlsruber Intelligenzblatt No. 37 von 1783.
2) Großh. Domänenverwaltung bier.
s), Beim Abbrud, den Schieferbeder Machtolf aus Böblingen um 150 fl-
beforgte, ergaben fih 419 Pfd. Blei und 628 Pd. Eiſen. Derſelbe erfolgte
unter bem geiftlihen und Stiftsverwalter Olnhauſen.
620 Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789,
Stadt gewejen. Er hatte eine Höhe von 200 Fuß, war „Eoftbar aus
gehauen, bis oben auf ohne Dachwerk in Stein zierlih aufgebaut ;“
die Abbildung der Stadt von 1643 zeigt auch wirklich den gothifchen
Styl diefes Thurmes. — Wir können hier gleich mit anfügen, welche
Alterthümer um jene Zeit auch fonft noch in Pforzheim verſchwanden,
wodurd das frühere Äußere und innere Anfehen der Stadt mehr und
mehr verändert wurde. Im Jahr 1754 wurden die Kreuzgänge bes
Dominitanerflofters, die feit dem Brand von 1692 noch ftehen
geblieben waren, abgeriffen und auf dem Plate ein Garten angelegt. 1)
(Dort fteht jet feit 1858 das neue Mädchenſchulhaus.) — Daß 1766
au das St. Georgsfirhlein verſchwand, ift bereits (S. 561)
gefagt worden, wie nicht minder von dem im Jahr 1763 erfolgten
Abbruch des höchſten Thurmes im Schloß zu Pforzheim (S. 449)
Erwähnung geihah.
Ein ſchwerer Berluft traf die Stadt Pforzheim nicht lange ber:
nach dadurch, daß die in den Fahren 1716—1721 (S. 550 ff.) neu
aufgebaute, fehr fchöne Stadtfirde wieder abbrannte, Am 18. Mai
1789 Grad im der Nähe derfelben im Haufe des Prokurators Kollmar
(mo jett praftifcher Arzt Thumm) Feuer aus, welches bet dem heftig
wehenden Südweſtwind ſich raſch der ganzen Häuferreihe mittheilte und
bald aud den gerade gegenüberftehenden Thurm der Stadtkirche ergriff.
Mit feinem Sturz auf das Kirchendach gerieth auch die Kirche in Brand,
und in wenigen Stunden war der berrlihe Tempel ein Aſchenhaufen.
Die Flammen wütheten indefien fort, obgleih man von allen Seiten
zur Hilfe berbeieilte und fogar der Margraf Karl Friedrich mit dem
Erbprinzen Karl Ludwig auf dem Brandplak erjchien, um die Anftalten
zur Löſchung des Feuers felber zu leiten. Nachdem man letztern Zweck
erreicht glaubte, brach am folgenden Nachmittag durdy das verborgen
glimmende Feuer ein neuer Brand aus, der noch mehrere Häufer ver:
zehrte, fo daß die Gefammtzahl der in Aiche gelegten Gebäude 50 be:
betrug. (Die an verichiedenen Häufern der Schul:, Reuchlins-, Roſen⸗
und Altftädterftrage befindlichen Jahrzahlen beweiſen, daß diefelben nad
dem Brand von 1789 neu aufgebaut wurden.) Die Stabtfirche ſelber
blieb in Trümmern, big in den 1820er Jahren mit einem Neubau
1) Deimlina fant im Vorwort zu feinem Drama: „Die 400 Pforzheimer“,
er babe als Knabe oft in dieſen Kreuzgängen gefpielt.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 621
begonnen wurde. Man kam jedoch mit demfelben nicht über die Funda—
mente hinaus. Der Einftellung des Baues folgte in den 1840er Jah:
ven die Ehrung des Plabes, der nun, mit Bäumen bepflanzt, ale
Schul: oder Reuchlinsplatz der fröhlihen Jugend zum Tummelplatz
dient. Einer Stadtkirche entbehrt aber Pforzheim immer noch. —
Wir dürfen nicht vergeffen, zu erwähnen, daß ſich ein Andenken an
bie ehemalige Stadtkirche erhalten hat, nämlich das hölzerne Heilande:
bild mit fteinernem Boftament, welches auf dem Schulplat ſteht. Das—
felbe fol fih unter einem Vordach der Kirche befunden haben und
nicht nur 1789, fondern auch bei frühern Bränden, wo e8 ſchon vor:
handen gewefen, von den Flammen verſchont geblieben fein.
Faſſen wir diejenigen andern Ereigniffe von Bedeutung, welche in
den Zeitraum von 1746 bis 1789 fallen, nod in Kürze zuſammen.
Im Jahr 1784, und zwar in den Iehten Tagen Novembers, ver:
einigten fih 20 Theilnehmer zu einer Leſegeſellſchaft, d. h. zu
gemeinfhaftlihem Halten von Zeitfchriften und Büchern. 1) Die nächfte
Veranlafjung dazu gab der damalige Proreftor und fpätere Kirchen:
rath Zandt 2), der zugleich die Leitung der Gefchäfte übernahm. In
ben erſten Jahren hielt die Gefellfehaft ihre Zufammenkünfte in den
Privatwohnungen der Mitglieder, bis im Jahr 1788 ein eigenes Lokal
gemietbet und Gelegenheit zu täglicher gefelliger Bereinigung und Une
terhaltung gegeben wurde. Bald vermehrte ſich die Zahl der Theil:
nehmer und betrug 1788 ſchon 40, 1801 bereits 80. Im Jahr
1808 erhielt die Geſellſchaft gedrudte Statuten, erwarb 1822 ein eige-
nes Haus am Marktplag um nahezu 11,000 fl., erbaute 1826 im
Hintergebäude einen Saal, um die gewöhnlichen Caſinos mit der Ge:
fellichaft zu verbinden, und nahm den Namen Mufeum an. 3) Weber
den bdermaligen Stand bdesjelben werden weiter unten Mittheilungen
folgen.
Am 29. Januar 1788 wurde in Karlsruhe ein glänzendes Er:
innerungsfeit an die Schlacht von Wimpfen gefeiert. Durch das früher
fhon (S. 391 und im Vorwort) erwähnte, von dem Pforzheimer
Kaufmann Ernft Ludwig Deimling verfaßte Trauerfpiel: „Die vierhun:
N) Die ältefte Lefegejellichaft unjeres Lanbes entftand 1775 zu Emmendingen ;
zu gleicher Zeit wie in Pforzheim wurde auch eine in Karlsruhe gegründet.
2) Das Bildniß besfelben hängt im Saal bes Muſeums.
8) Vergleiche die Statuten des Mufeums, (gebrudt 1844).
6% Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
dert Pforzheimer Bürger,” das diefer bisher als Manufeript in feinem
Pulte verwahrt, aber einmal dem Obervogt Wieland von Pforzheim
und dem geheimen Hofratb Ning von Karlsruhe gezeigt Hatte, war
man bei Hof auf die bisher unbekannte Heldenthat der 400 Pforz-
heimer bei Wimpfen aufmerkſam geworden. Karl Friedrich beſchloß,
das Andenken derſelben zu ehren und eine Erinnerungsfeier zu veran⸗
ftalten, Diejelbe fand, wie erwähnt, am 29. Januar 1788 in Karle:
rube ftatt, und wurden die Nachkommen der Helden von Pforzheim,
fowohl zur eigentlichen eier, bei der Dr. Pofjelt feine befannte Rede
hielt 1) und an welcher der ganze Hof Theil nahm, als aud zur fürft-
lichen Tafel eingeladen. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß die ganze
Stadt Pforzheim ſich durch fol fchmeichelhafte Aufmerkſamkeit hoch—
geehrt fühlte.
Haben wir in frühern Kapiteln mehrfach des Beſuchs nicht nur
badifcher Fürften, fondern auch deutſcher Kaifer in Pforzheim erwähnt,
fo dürfen wir nicht unterlaffen, mitzutheilen, daß am 8. April 1777
auch Kaifer Joſeph II. auf einer Reife nach Frankreich durch Pforz-
beim kam, ja fogar in der Stadt übernadytete, Die Pforzheimer waren
von der Leutfeligfeit diefes in jeder Beziehung ausgezeichneten Fürſten
ganz entzüdt. .
Unfere etwas chronikartig gewordene Behandlung des Schlufjes
diefer Abtheilung müſſen wir nun aud neh, um Geitenftüde zu dem
eben gefchilderten großen Brand zu haben, auf die Erzählung von
Theurung und Waffersnoth erftreden, In den Jahren 1769
und 1770 waren die Ernten ſchlecht ausgefallen, fo daß 1771 eine
große Theurung und Hungersnoth entjtand, die auch in Pforzheim und
dev Umgegend fehr fühlbar war. Im Mai 1771 erreichte das Malter
Kernen den für jene Zeit fehr hoben Preis von 22 bis 23 Gulden,
das Korn koſtete 15, die Gerfte 12, der Haber 6, das Welſchkorn im
Juli 20 fl. Sonderbar war es num freilich, daß zur Zeit der höchſten
Fruchtpreiſe auf den Wochenmärkten vom 16. und 23. Mai 8 Eier
für 4 Kreuzer verfauft wurden und das Pfund Rindfleifh nur 74,
Kreuzer, das Pfund Butter nur 16 Kreuzer galt. Was die Frucht
preife betrifft, fo wären fie ohne die Mugen Maaßregeln der babdifchen
!) Sie erihien im Drud unter dem Titel: Dr. Poffelt, dem Baterlandes
tod ber 400 Pforzheimer. (Karlsruhe 1788.)
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 17461789, 623
Regierung wohl noch höher geftiegen. — Der Anfang des Jahres 1784
brachte in Folge des Eisgangs große Waffersnoth. Am 17. Januar
brach das Eis, und ungeheure Eisſtücke bededten die Ufer der Enz und
Nagold von der Altftadt bis zum Kallbart. An der Auer Brüde ftaute
fi) das Eis und ftand zuleßt höher, als die Brüde felber, jo daß das
Waſſer in die Stadt nnd die Au eindrang und die Leute flüchten muß—
ten. So blieb e8 drei Tage, bis ein Durchbruch des Eifes ftattfand,
Der Stadtrath Tieß überall die Eisftüde zerſchlagen, die Altjtädter
Brüde abtragen. Plötzlich aber entjtand wiederum eine fo große Kälte,
daß die Flüſſe fajt bis auf den Grund zufroren. Im Februar trat
Thaumetter ein, die Eismafje fette fihb am 26. in Bewegung, und
näberte fich der Au. Am 27. Februar Morgens 6 Uhr nahm fie ihren
eigenen Meg, brady durch die Platzgärten hindurch, und alles Holz und
was das immer höher fteigende Waſſer mit ſich fortichleppen konnte,
wurde weggeſchwemmt. Mauern, Zäune und Bäume wurden umgewor:
fen und das Wirthshaus zur Tanne in der Altftadt vom Eis und den
Fluten gänzlich weggeriſſen Es war ein Glück, daß der Eisgang auf
ber Nagold und Würm nicht gleichzeitig mit dem auf der Enz erfolgte.
Noch jest ift an oder in manchen Häufern die Waflerhöhe jener ver:
bängnigvollen Tage angegeben,
Anbang.
Das alte Heilandsbild zu Pforzheim.
Bon Eduard Brauer.
Drei Mal ſank die Stabt in Flammen
Krachend rings um dich zuſammen;
Auch bein Haus, das pfeilerbobe,
Wich der grimmempörten Lobe.
Umgewandelt find die Straßen,
Andre Site, andre Saſſen,
Andrer Sinn und andre Zitte,
Du nur in des Wechſels Mitte,
Du allein, bift fteh'n geblieben,
Bild des Heilands, unvertrieben,
Bon der Glut nicht aufgerieben,
Dauermädtig, wie fein Lieben,
524 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1739.
Alſo mag der Brand ber Zeiten
Mancher Kirche Sturz bereiten:
Hoch und bell, der Menſchheit Stern,
Wirt du leuchten, Bild des Herrn.
F 4. Entfiehung und Entwiclung der Bijouteriefabrikation in
Pforzheim. 1)
(1767 fi.)
a. Erfte Anfänge Erridtung einer Uhrenfabrik.
Es war zu Anfang des Jahres 1767, als fi der Uhrenfabrifant
und Übrenhändler Johann Franz Autran, gebürtig aus Orange in
ber Dauphinde, früber in Genf, damals aber in Bern ſich aufhaltend,
in feinem und feiner Afjocies Amédée Chriſt in und Johann Viala
Namen an die badifhe Negierung mit der Bitte wandte, in der Mark:
grafihaft eine Uhrenfabrit errichten zu dürfen. Cr hatte fein Augen:
merk dabei zunächſt auf die Stadt Lörrach gerichtet, und der dortige
Dbervogt von Wallbrunn, den er um feine Empfehlung anging, Tieß
ihm ſolche Fräftigft zu Theil werden, wie denn aud der geheime Le—
gationsrath von Schmidt in Bern den Autran und feine Afjocies als
Männer fchilderte, die alle „Attention“ verdienten. In einer an den
Markgrafen Karl Friedrich gerichteten Denkfchrift machte Antran auf
die großen Vortheile aufmerfjam, welche ein ſolches Unternehmen dem
Lande bringen würde und ftellte eine Erweiterung bdesfelben in der
Weiſe in Ausfiht, daß aud noch die Verfertigung von Pendules und
bie Kabrifation von Bijouteriewaaren damit verbunden werben könnte.
Zur Gründung feiner Fabrik verlangte aber Autran das nöthige Kapital
von der Regierung, und zwar auf 12 Jahre unverzinslich, und machte
darauf aufmerffam, daß auch die Kaiferin von Rußland, der König von
Preußen und die Negierung von Bern verfchiedene Fabriktunternehmen
in folder Weife unterftüßt hätten, Ferner ftellte er die Forderung,
daß ihm in Lörrach, und zwar im dortigen Pädagogiumsgebäude, die
zur Errihtung und Betreibung feiner Fabrik erforderlihen Lokalitäten
eingeräumt werden müßten, Wenn jebocd ber Markgraf diefelbe auf
ı) Quellen: Hauptfählih Aften des Großh. Generallandesardivs und
bes Dberamts Pforzheim.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 625
eigene Nechnung übernehmen wolle, jo ftünden er und fein Affocies ihm
ebenfalls zur Verfügung und würden ſich als fleikige und fachveritän:
dige Männer alle Mühe geben, das Geſchäft recht Iufrativ zu machen,
Autran reiste felbft nach Karlsruhe, um feine Sache perſönlich zu
betreiben. Dort wurde ihm mündlich bedeutet, daß man es zwar fehr
gerne fehen würde, wenn das von ihm beabfichtigte Unternehmen zu
Stande käme, und deshalb geneigt wäre, ihm alle möglichen Begünfti-
gungen einzuräumen; allen auf die verlangte Herfchießung der Fonds
könne man fi) nicht einlaffen, da dies gegen die Grundfäte des Marke
grafen gehe. Autran möge deshalb von diefer Forderung abftehen und
neue Vorfchläge machen. Zu weiterer Unterhandlung wurde er an den
geheimen Rath und Kammerpräfidenten v. Gemmingen verwiefen.
Während feines Aufenthaltes in Karlsruhe Hatte Autran von der
zur Errichtung von Fabriken fehr günftigen Lage der Stadt Pforz-
beim, forwie von dem dortigen Waifenhaufe nähere Kenntniß erhalten,
Er reichte deshalb eine zweite ausführlichere Denkſchrift ein, worin er
einen neuen Plan, nach welchen feine Fabrik mit dem Waifenhaufe
verbunden werden follte, näher entwidelte und verſchiedene darauf bezüg-
lihe Vorſchläge machte. Diefer Dentihrift folgte fpäter noch eine
dritte. E8 würde zu weit führen, den Gang der Unterhandlungen
umftändlich zu verfolgen. Es genüge deshalb die Bemerkung, daß es,
nahdem von der Waifenhausfommiffion in Pforzheim ein Gutachten,
vom geheimen Rath Reinhard verfaßt, eingefordert worden war, am
6. April 1767 zur Abſchließung eines Vertrages kam, der in 24 Para—
graphen im Wejentlichen folgende Beftimmungen enthielt: Autran und
Comp. verpflichten fih, auf ihre Koften und ihre Rechnung im Laufe
des Monats Juni 1767 in Pforzheim eine Fabrik zur Herftellung
zunähft von Taſchenuhren, fpäter auch von Stoduhren zu errichten und
für Gewinnung der dazu erforderlichen Arbeiter, fowie für Anſchaffung
der nöthigen Werkzeuge, mit Ausnahme derer für die Lehrlinge, welche
die Herrichaft im Betrag von etwa 3 Louisdor für jeden felber bezah—
len muß, Sorge zu tragen. Sie verpflichten fich ferner, fowohl beim
Beginn des Geſchäfts, als in jedem der kommenden fünf Jahre 20
Knaben und 4 Mädchen, im Alter von mindeftens 12 Jahren, aus
dem Waifenhaufe, dem die Sorge für deren Unterhalt und Bekleidung
während der jechsjährigen Lehrzeit überlafien bleibt, in die Lehre zu
nehmen, jo dak nah Umfluß von 6 Jahren bie 88 der Lehrlinge
Pilüger, Pforzheim,
626 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
144, nämlich 120 männliche und 24 weibliche beträgt. Wenn bas
Waiſenhaus fo viel junge Leute nicht liefern Tann, fo behält ſich bie
Geſellſchaft vor, die fehlende Zahl aus der Stadt Pforzheim zu neh:
men, deren Unterhalt aber den Eltern zu überlaffen. Die Kinder
follen während ihrer Lehrzeit fo weit gebracht werben, daß fie nad
Beendigung derfelben auf die erlernte Kunft der Uhrmacherei ihren
Lebensunterhalt bauen können, ohne noch in die Fremde gehen zu müſ—⸗
fen, wobei fi) die Unternehmer verpflichten, die auf folde Weife ges
wonnenen Arbeiter gerade fo zu bezahlen, wie bie fonft von ihnen vers
wendeten.. Während der Lehrzeit follen den Kindern jeden Tag zu
einer von der Waifenhausverwaltung zu beftimmenden Zeit 3 Stunden
behufs des Schulunterrichts, ferner jede Woche außer bem Sonntag
noch ein halber Tag zur Erholung freigegeben werben. Ein Fabrik:
lokal muß im Waifenhaus eingeräumt werben, ebenfo 7 Zimmer (fammt
Küche) zur Wohnung für die umverheiratheten Fabritunternehmer. Für
Beides wird in den nächſten 6 Jahren Fein Miethzins bezahlt. Für
Möbeln, mit Ausnahme der Fabrikeinrihtung und der Stühle für bie
Arbeiter, haben die Unternehmer felber zu forgen. Das Waifenhaus
übernimmt aber die Verpflichtung der Heizung ſämmtlicher Lokalitäten
auf die Dauer von 6 Jahren, wozu demfelben von der Herrſchaft
jährlih 20 Klafter Buchenholz geliefert werden. Ferner wird den
Tabrikunternehmern für die erften 6 Jahre eine jährliche Unterftügungs-
fumme von 50 Louisdor oder 550 Gulden zugeſichert. Bon allen
perfönlichen Laften, wie auch von der Entrihtung des Pfundzolles für
all ihr Arbeitsmaterial follen fie befreit fein, und das Staatsbürger⸗
recht fol ihnen gratis ertheilt werden; der Stadt Pforzheim aber follen
fie für Erlangung des Ortsbürgerredhts die üblihe Summe bezahlen.
Ueber die Aufrechthaltung des Vertrags bat Namens der Herrſchaft
bie Waifenhausverwaltung zu wachen, und verfegen zur Sicherheit die
Vabrifunternehmer alle ihre Habe als Unterpfand.
So war nun die Sache geordnet. Autran reiste alsbald nach
Genf, um dort Arbeitsmaterial, fowie die nöthigen Werkzeuge einzus
kaufen, wozu ihm von der Dbereinnehmerei Lörrah 110 Louisdor
(50 als Unterftügungsgeld für das erfte Jahr und 60 zur Anfchafe
fung der Werkzeuge für 20 Lehrlinge a 3 Louisdor) ausbezahlt wurden,
und im Juni 1767 wurde das neue Etablifjement eröffnet. Es bes
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 627
fehäftigte ſogleich 30 Perfonen und nahm fo guten Fortgang, daß bald
mit dem Derkauf fertiger Waaren begonnen werben Eonnte,
b. Erweiterung der Uhrenfabrik zu einer Uhren-,
Sumwelen:, Gold: und Stahlwaaren: Fabrik,
Shen unterm 24. Auguft bdesfelben Jahres reichte die Gefell:
fehaft eine neue, jehr ausführlihe Denkichrift ein, 1) worin nachgewieſen
war, wie leicht fi ihr Geſchäft aud auf die Yabrifation von Juwe—
Tierarbeiten (Jouaillerie), Goldwaaren (Bijouterie) und feine Stahl
waaren (Quincaillerie) ausdehnen lafje und welche große Vortheile eine
ſolche Erweiterung der Fabrik verfprehe. Zu dem Ende follte noch
ein geſchickter Künftler, Paul Preponnier, der in den bedeutendften
englifhen Fabriken gearbeitet hätte und ſich auf die Anfertigung von
Juwelier⸗, Gold: und Stahlwaaren vortrefflich verftünde und der dazu
auch die nöthigen Arbeiter mitbringen wolle, in die Geſellſchaft auf:
genommen und die Geſchäfte derfelben fo verteilt werden, daß der neue
Affoci6 die Leitung der Fabrikation der eben genannten Waaren,
Viala die der Uhrmacherei übernehme, Chriftin als geſchickter Mechaniker
bie Inftandhaltung und Verbeſſerung der Inſtrumente ſich zur Aufgabe
made und Autran die Bücher, Korrefpondenzen ꝛc., überhaupt dem
faufmännifchen Theil des Geſchäfts beforge. Zur Ausführung eines
ſolchen Plans feien aber wenigftens 30,000 Gulden erforderlich, die
man mit Hilfe einer zu bildenden Aktiengefelihaft im der Weiſe leicht
aufbringen könne, daß 30 Aktien & 1000 Gulden ausgegeben würden.
Markgraf Karl Friedrih nahm ein reges nterefje an dieſem neuen
Blane und ficherte der Geſellſchaft feine vollite Unterftükung zu, bielt
jedoch die Ausgabe einer größeren Zahl von Aktien mit geringerm
Betrage für zweckdienlicher und ſetzte diefelbe auf 100 a 300 Gulden
feft, und zwar fo, daß je 4 Aktien zufammen eine Stimme in ber
Societät haben follen. Zurgleih geftattete der Markgraf, daß alle
müßig liegenden berrichaftlichen Gelder in ſolchen Aktien angelegt werden
bürften; ebenjo erhielten die Städte Pforzheim und Durlach und andere
bedeutende Kommunen, fowie das Waifenhaus ꝛc. die Erlaubniß, in
biefe Unternehmung mit Aktien ſich einzulaffen, Der geheime Rath
Meinhard, zum Borfteher der ganzen Unternehmung ernannt, wurde mit
1) Sie war nicht weniger als 70 Folioſeiten ftark, 0°
698 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789,
dem Entwurf eines neuen Privilegiums auf 12 Jahre — fo Tange
follte die Aktiengefellihaft dauern — beauftragt, das bereits unterm
5. Oktober 1767 ausgeftellt wurde. Gleichzeitig erſchien eine gedruckte
„Nachricht, die von des regierenden Herın Marggraven zu Baben:
Durlach hochfürſtl. Durchlaucht gnädigft privilegirte Uhren- und feine
Stahlarbeit:Fabrif in Pforzheim betreffend,“ worin das Privilegium
abgedrudt war und zu zahlreicher Betheiligung an diefem Unternehmen
mit dem Bemerken eingeladen wurde, daß nad hoher fürftlicher Ver:
ordnung die Oberämter, in der Stadt Karlsruhe aber der Kammer:
rath Kärner den Verkauf der Aktien zu beforgen übernommen hätten.
MWelhe Hoffnungen man auf diefes Unternehmen gründete, zeigt eine
Stelle diefer Nachricht, wo es heißt: „Es ift nicht nöthig, wegen ber
Sache etwas Meiteres anzuführen, als daß diejenige, welchen der Anhalt
derer Privilegien nicht alſobald verftändlich ſeyn follte, ihre Einlage
derer dreibundert Gulden als ein Anlehen betrachten müßen, wofür fie
ihre jährliche Zinfen zu fünfen von dem Hundert richtig befommen, und
daß fie nad zwölf Jahren das Capital nicht allein wieder erhalten,
fondern andy dabei dasjenige, fo annoch ift gemonnen worden, empfan-
gen werden, welches nur denen geringften Berechnungen nah mehr
als das doppelte dieſes Kapitals ausmachen wird; dahero
dan ein jeder fich zu beeifern bat, fein Geld an einem Orte anzulegen,
wo er nicht allein feine Zinfen jährlich, fondern auch fein Capital nach
12 Jahren, verhoffentlich mehr als doppelt wieder erhal—
ten wird, ohne daß er ſich dabey nur die geringſte Mühe
geben darf.“
Trotz dieſer verlockenden Ausſichten, und obgleich der Markgraf
und, wie es ſcheint, auch die Markgräfin Karoline mit gutem Beiſpiele
vorangingen und ſich bereit erklärten, ſelber eine Anzahl Aktien zu neh—
men, ſo gelangte man doch bald zu der Ueberzeugung, daß „der vor—
gehabte Plan mit denen Aktien zu Erlangung eines hinlänglichen Fonds
für die Pforzheimer Uhrenfabrik allen vorausfehenden Umftänden nad
nicht durchzufeßen fein werde, und ſcheine daher nicht wohl ein ander
Mittel mehr übrig zu fein, um dieſer Fabrik den erforderlichen foliden
Grund zu verichaffen, ald wenn Gerenifjimus dero Garantie vor ein
Sapital von 30 bis 40,000 Gulden zu geben ſich gnädigft entſchließen
wollten.“ 1) Der Markgraf erklärte fich biezu auch geneigt, und es
1) Sch. Raths-Protokoll vom 2. Nov, 1767,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 629
wurde ber geheime Rath Reinhard, der fchon vorher um ein Gutachten
in diefer Sache angegangen worden war und bdasfelbe auch bereits un-
term 30. Oftober erjtattet hatte, mit dem Entwurf eines neuen Pri—
vilegiums beauftragt, deffen Beitimmungen der veränderten Sachlage
entiprechen follten.
Die Austellung dieſes Privilegienbriefes erfolgte unterm 9. Nos
vember 1767. Er beitand aus nicht weniger als 33 Paragraphen,
deren Hauptinhalt folgender war: Nach entiprechender Einleitung und
ber Zufage des Markgrafen, die Pforzheimer Fabriken in feinen befon»
dern landesväterlihen Schuß und Schirm zu nehmen, werden den Unter:
nehmern die früher ſchon ertheilten Begünftigungen aufs Neue beftätigt
‚ und dazu auf 12 Jahre noch der jährliche Bezug von 1 Fuder Wein
verwilligt; fodann wird ihnen die Erlaubniß ertheilt zur Fabrikation
aller Sorten von Uhren und ihrer Theile, aller Arten von feinen
Stahlwaaren, fo namentlich von Ührenketten, Degen, Gewehrbeſchlägen,
Schnallen, Knöpfen, Scheeren, Beſtecken ꝛc., von Juwelen und Kleinodien
von Gold und Silber, mit oder ohne Ebdelfteine, von mechanifhen und
matbhematifchen Werkzeugen, auch Feilen, — den Unternehmern wird
ein Fond von 40,000 Gulden auf 12 Jahre zu Handen geftellt, für
welchen der Markgraf, wenn er ihn nicht felber ſchießt, den Darleihern
gegenüber Garantie übernimmt; es folgen fodann Beftimmungen über
die alljährliche Aufftellung eines Anventars, die Entrichtung der Zinfen,
die DVertheilung des Gewinns, die nah Umfluß von 12 Jahren zu
treffenden Maafregeln, die Betheiligung des Waifenhaufes am Unter:
nehmen, die Beitellung eines Oberaufſehers über das ganze Gefhäft in
„ber Perfon des geh. Raths Reinhard, fowie eines Handlungsverftändi-
gen zur allwöchentlichen Unterfuhung der Handlungsbücer, die Beeidi—
gung des anzuftellenden Buchhalters, die Einrichtung der Bücher, die
Feſtſetzung der Firma, die Ausdehnung des Rechts der Berwendung der
Waiſenhauskinder auf Fabrikation aller Waaren, fechsjährige Lehrzeit
derfelben mit dem Beifab, daß fie alsdann noch zwei Jahre für das
Waiſenhaus arbeiten müßten, die Annahme auch anderer Lehrlinge im
Tall der Unzulänglichkeit der Waifenhauszöglinge und die Vortheile, die
ihnen in Ausficht ftünden,, die Möglichkeit der Verwendung auch prefts
bafter Perfonen, die Vorausbeftätigung von Privatoerträgen zwiſchen
den Unternehmern unter ſich und der Waiſenhauskommiſſion gegenüber,
wenn ſolche „unſern Landen und beſonders der Stadt Pforzheim zu
630 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
befierer Nahrung und Gewerbe verhelfen;* Aufforderung zu Vorſchlä⸗
gen bezüglich der Fortiegung des Unternehmens über die beftimmten
412 Jahre hinaus, Weifung an alle betr. Staatsftellen, dem Unterneh:
men jeden Vorſchub zu Teiften.
Es handelte fi jest nur noh um Aufbringung der zu biefer
ausgedehntern Unternehmung erforderlichen Fonds. Diefe Frage wurde
dadurch raſch entfhieden, daß der Staat die nöthigen Gelder felber
herſchoß. Die Haupttriebfeder, daß biefes geſchah, fheint neben dem
Markgrafen namentlich die Margräfin Karoline gewefen zu fein. Wel:
chen Einfluß dieſe vortreffliche Fürftin auf ihren Gemahl und feine
Entihlüffe ausübte, ift oben (S. 602) ſchon gejagt worden. Sie war
auch die Frau nicht, die ſich durd Schwierigkeiten abfchreden ließ.
An folhen follte es nicht fehlen. Es ftellte fih nämlich bald
heraus, daß man bezüglich des Preponnier, den man als vierten Theil
baber ins Gejchäft ziehen wollte, die Rechnung fo ziemlich ohne ben
Wirth gemacht Hatte, Derfelbe war bisher in Bern im Auftrag einer
„ökonomiſchen Geſellſchaft“ einer Duincailleriefabrif vorgeftanden, die eine
ziemliche Anzahl von Arbeitern beichäftigte, war aber fo tief in Schulden
gerathen, daß die ökonomiſche Gefellichaft nicht weniger als 20,000 Pfund
"an ihn forderte, die er nicht bezahlen konnte, Es handelte ſich nunmehr
darum, ob man bie Bijouterier und Stahlarbeit in Pforzheim nicht ganz
weglafien, oder dieſelbe ohne den Preponnier einrichten, oder endlich
dieſen in der Societät behalten und bei der ökonomiſchen Gefellichaft
zu Bern mit obiger Summe auslöfen ſolle. Autran und Chriftin
waren in bdiefer Frage verfchiedener Meinung, und auch der geheime
Rath Reinhard, der unterm 23. Januar 1768 darüber ein anusführ:
ches Gutachten erftattete, in welchem alle Gründe für und wider auf
das Sorgfältigite abgewogen waren, ftellte feinen beftimmten Antrag,
fondern überließ die endgiltige Entfheidung der Markgräfin Karoline,
die an der ganzen Sache fo reges Intereffe nahm. Diefe Entſcheidung,
von der das Schickſal der Quincaillerie und mit ihr ber für die Folge
fo wichtigen Bijouterie abhing, charakterifirt fo fehr den Unternefmungs:
geift, die Entjchloffenheit und Umficht diefer hohen Frau, daß fie bier
vollftändig jtehen mag. „SH bin,” fagt fie, „volltonnmen der Meynung,
bie branche der Quincaillerie als eine der Einträchliften nicht fahren zu
laſſen, und obgleich der Vorfchlag des Christin fehr solid gedacht ift,
fo iſt jeboch in Anbetracht aller Einwürffe, fo Autran dagegen machet,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 631
bes letztern feiner vorzuziehen, mithin ber Preponnier nebft allen feinen
machinen und gankem Etablissement auszulößen, doch unter folgenden
Bebüngnifen: 1) follen fi Autran und Christin, weilen fie Beyde
gegenwärtig auf dem P lab find, erfundigen um die Geſchicklichkeit des
Preponnier und feiner in ber Schweiß verfertigten Waaren, ob folche
benenjenigen gemäß, welche er gezeichet. 2) Haben fie den Preponnier
zu engagiren, daß er verfpreche, felbften in der Werkftatt zu arbeiten,
auf feine Lehrlinge wohl achtung zu geben und fie beftens zu unterrich
ten; 3) nichts mit dem Commerce zu thun zu haben; 4) alle Samftag
die verfertigte Waaren in das magazin zu lieffern; 5) fein Secret
bem Autran und Christin nicht allein zu communieiren, fondern aud
in deren Beyſeyn Waaren zu verfertigen, indeme der Preponnier ſowie
wir alle der Sterblichkeit unterworffen; 6) Iſt wegen der Zahlung
ber 20,000 livres, fo viel es ſich wird thun laſſen, dem Vorſchlag des
Autran, foldye in terminen zu entrichten, nachzukommen. Caroline
M. z. B. g. P. z. H. (Markgräfin zu Baden, geborene Prinzeffin zu
Heſſen.)
Auf dieſe Entſchließung hin erfolgte die Auslöſung des Preponnier
und ſeiner Fabrikeinrichtung mit allen Effekten und Werkzeugen um die
Summe von 800 Louisdor. Auch ſämmtliche Arbeiter dieſer Fabrik
wurden für das neue Etabliſſement engagirt, und Autran und Chriſtin
reiſten ſelbſt in die Schweiz, um noch weitere Arbeitskräfte zu gewin—
nen. Das ganze Arbeiterperſonal, welches bis 1. März 1768 in
Pforzheim eingetroffen war, beftand aus 16 Ehemännern, 13 Ehen:
weibern (die fehlenden 3 kamen fpäter nah), 11 ledigen Manns: und
- ledigen Weibsperfonen, alfo im Ganzen aus 44 Köpfen, nebit 12
Kindern beiderlei Geſchlechts. Acht Uhrenmacher aus Lachaudefond,
die man auch angenommen hatte, blieben aus, weil dafelbft ausgefprengt
worden war, daß alle Arbeiter als Sklaven eingefperrt und behandelt
werben würden. Es wurden ſchleunigſt Schritte gethan, um fie durch
andere zu erfegen, da man fie fehr nöthig brauchte, um die viele Ar:
beit, welche die Waiſenkinder ſchon recht ordentlih zu Stande brachten,
zu finiren. Wer fi in Pforzheim auch nit einfand, das war ber
faubere Preponnier. Mit einem Vorfhuß von 27 Louisdor war er
plötzlich unfichtbar geworden. Es ftellte ſich übrigens heraus, daß der
Berluft nicht groß war, indem er von der Quincaillerie gar nichts
verfiand und ſich überall als Lügner und Betrüger gezeigt hatt. Man
632 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746 —1789.
hoffte, audy ohne ihn fertig zu werden. An die neuen Arbeiter hatte
im Ganzen die Summe von 3390 Gulden als Vorſchuß bezahlt wer—⸗
ben müfjen, theils um fich in der Schweiz los zu machen, theils um
fih in Pforzheim einzurichten. Dieſer Vorſchuß follte ihnen an ihrem
Lohn nach und nad; wieder abgezogen werden. Die Arbeiter waren
größtentbeils fehr geichidte Leute. Als ganz vorzüglich erwiefen ſich bald
die beiden Engländer Price und Cashmore, der Graveur Lartique,
der Uhrgehäuſemacher Rendu, der Bijoutier Stähli, der auch die Schiff:
hen von Elfenbein, die man damals in den Ohrgehängen trug, fowie
Landichaften aus Haaren zu machen verftand, endlich der Mechanikus
Plan. Sämmtlihe Weiber wurden ebenfalls in der Fabrik befhäftigt,
und zwar mit Vergolden, Poliren, Ueberziehen der Uhrgehäuſe zc.,
wobei fie einen jchönen Verdienft hatten. „Zu wünſchen wäre“, fagt
Reinhard in einem unterm 29. April 1768 erftatteten Bericht, „daß
die Weiber dem SKleiderprachte nicht fo jehr ergeben wären!”
Die Arbeiter, größtentheild Franzoſen und franzöfiihe Schweizer,
wurden alle nach dem Stück bezahlt und ftellten fi dabei zum Theil
recht aut. So war ber durchſchnittliche Monatsverdienft des Graveurs
Lartique und feiner Frau 88 Gulden, Andere ftellten fih auf 55, 44
33 Gulden und fo berunter big zur Stahlpoliffeufe, welche freilich nur
5 fl. 30 tr. verdiente. Einſchließlich der 30 Waiſenkinder, welche be-
reits in der Fabrik verwendet wurden, belief fi das Gefammtperfonal
derfelben am Tage der Gröffnung, nämlich am 1. März 1768, auf
74 Köpfe, immerbin eim bedeutender Anfang. Zum Buchhalter der
Fabrik wurde Johann Jakob Ador beitellt, ein feinem Gefchäfte
durchaus gewachfener und jehr fleifiger junger Mann, der, von frane
zöftjchen Eltern in England geboren, eben fo gut franzöſiſch und eng-
liſch, als deutſch ſprach und fchrieb.
So fchienen nun die Verbältnifie allfeitig geordnet, und man durfte
um fo mebr hoffen, daß das Unternehmen fich gut rentiren werde, ale
ſich Schon bei der bisher betriebenen Uhrenfabrik bis 1. März 1768,
an welchem Tage ein Inventar aufgeftellt und die Bilanz gezogen wurde,
ein Gewinn von 1127 fl. 21/, Er. berausftellte, troßdem, daß bas
Geſchäft bisber nody in feiner großen Ausdehnung betrieben worden war.
Zur Fortführung der Fabrit in ihrer bdermaligen Ausdehnung bielt
man wenigftens jährliche 24,000 Gulden für nothwendig. Vom 1. März
bis 25. April beliefen fih die Ausgaben für die Fabrik bereits auf
Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 633 °
3496 fl. 5 fr. Man hoffte jedoch zuverfichtlich, daß trob des unerwar-
teten Aufwandes, den die Auslöfung der Quincailleriefabrit in Bern
verurſacht Hatte, der urfprünglich beſtimmte Vorfhuß von 40,000 fl.
binreichen werde, um die Cache in guten Gang zu bringen, namentlich
da nicht mur an fertiger Waare immer unter der Hand verkauft wurde,
fondern die Unternehmer aucd darauf rechnen durften, die Frankfurter
Herbitmefje mit einem anjehnlihen Lager von Uhren, Bijouteries und
Duincailleriemaaren beziehen zu Tünnen, wofür die Zahlung theils baar
einging, theils für die Dftermefje 1769 in Ausficht ſtand. — Die
. Vergrößerung der Fabrik hatte ſchon im Frühjahr 1768 die Erbauung
einer weitern Werkſtätte nothiwendig gemacht.
ec. Xrennung der Quincailleriefabrit von ber
Uhrenfabrik.
Bald jedoch brachen unter den drei Fabrikunternehmern Mißhellig—
keiten aus. Schon in dem bereits angezogenen Bericht des Geheime—
raths Reinhard über den Zuſtand der Fabrik vom 29, April 1768
bebdauerte derfelbe, daß fich zwiichen den Affocies „einiger Widerwille
anfpinnen wolle.” Er jhildert darin Autran als einen fehr herichfüch:
tigen Mann, der in gehörigen Schranken gehalten werden müfje, wenn
nicht felbft die Drdnung des MWaijenhaufes über den Haufen geworfen
werden folle, Es war deshalb ſchon unterm 29, April eine Inſtruk—
tion entworfen worden, weldye jedem derartigen Beginnen aufs Kräf:
tigfte einen Riegel vorſchob. Chriftin wird das Lob eines geſetzten und
ehrlichen Mannes gezollt, Es ſcheint jedoh, daß er häufig deswegen
Unzufriedenheit erregte, weil er über feiner VBeichäftigung mit mecha—
nifchen Arbeiten, die fein Nachdenken und feine Zeit mehr als nöthig
in Anſpruch nahmen, fein eigentliches Geſchäft, die Uhrmacherei, vielfach
vernachläffigte. Von Viala wird gefagt, daß er ein gutes Herz habe,
fehr fleißig fei, aber wegen feiner Jugend noch nicht genug Erfahrung
befite. Die Mißhelligkeiten wurden nad und nad von der Art, daß
unterm 16. Juni 1768 der Geheimerath Neinhard im Auftrag des
Markgrafen fich felber nad) Pforzheim begab, um den Frieden wieder
herzuftellen. Er mußte fi aber bald überzeugen, daß feine Bemühun-
gen fruchtlos waren, und zeigte ſich deshalb nicht abgeneigt, auf den
von Ehriftin und Viala gemadyten VBorfchlag einer Theilunmg der
634 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
Tabrif einzugehen, obgleich diefelbe mit feinen geringen Schwierigkeiten
verbunder® war. Es war noch eine zweite Reiſe nach Pforzheim noth—
wendig, um die Unterhandlungen wegen der Trennung, zu welcher ber
Markgraf feine Zuftimmung gegeben hatte, in fo weit zum Abſchluß zu
bringen, daß ein darauf abzielender Vertrag vereinbart werden konnte.
Letzteres geihah unterm 28. Juni 1768. Autran übernahm den Theil
ber Fabrik, welcher die Duincaillerie umfaßte und affocirte ſich mit dem
bisherigen Buchhalter Ador, fo daß diefes Gejchäft nunmehr unter der
Firma Autran und Ador geführt wurde, Für die Abtretung des
Zweiges: der Quincaillerie bezahlten diefelben an Chriftin und Diala
die Summe von 4466 fl. 46 fr. Die Uhren-, Bijouteries und Ju-
welenfabrif blieb bei der Firma Chriſtin und Viala; body behielt
fi) auch Autran das Recht vor, feine Fabrik auf ſolche Waaren au:
zubehnen. Die Ürbeiter und Lehrlinge wurden in angemefjener Weiſe
auf beide Fabriken verteilt; das Gleiche geſchah mit den Lokalitäten
im Waifenhaufe, die indeffen fogleih nah der Trennung durch einen
Neubau vergrößert wurden, ebenfo mit den bewilligten 20 Klaftern
Holz, wovon jeder Theil 10 erhielt, mit dem ebenfalls bewilligten Fuder
Wein, wovon Autran und Ador künftig 4, Chriftin und Viala aber
6 Ohm erhalten follten, und endlich mit der jährlich, zu beziehenden
Geldunterftügung von 550 Gulden, wovon den Erftgenannten 250,
letzteren aber 300 Gulden zugefchieden wurden. Beide Theile ver:
fprachen, Alles zu vermeiden, wodurd in Zukunft das friedliche Ver:
hältnig zwifchen ihren Fabriken und deren Arbeiter geftört werben könnte.
Ihrer Bitte, daß nun aud auf Grund der Trennung jedem Theil bie
früher gegebenen Privilegien bejonders bejtätigt werden follten, wurde
von Seiten der Regierung auf das Bereitwilligfte entſprochen. Bezüg—
lich der Fabrik von Ehriftin und Diala fand es der Geheimrath Rein:
bard nothwendig, einen ausführlihen Plan zu entwerfen, wie die Ge:
fhäfte fünftig geführt werden ſollten. Es ſcheint derfelbe in die Lauf:
männifhen Einſichten Chriftins nicht das befte Vertrauen gehabt. zu
haben. Tür beide Fabriken erfchien unterm 17. Oftober 1768 in
deutſcher und franzöfiiher Sprache eine gebrudte Verordnung, worin
namentlich; das Nöthige über das Verhältniß der Arbeiter zu ben Fabrik:
unternehmern feitgefeßt wurde. Als erfte Pforzheimer „Fabrikordnung“
möge fie bier eine Stelle finden.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 635
Verordnung
in Betreff der zu Pforzheim errichteten Uhren-, feinen Stahlarbeit-
Kleinod: und Juwelen-Fabriken, mit denen damit verbundenen
Profeſſionen.
Bon GOTTES Gnaden Wir CARLFRIDERICH, Marg—
grav zu Baden und Hochberg, Landgrav zu Sauſenberg, Grav zu
Sponheim und Eberſtein, Herr zu Röteln, Badenweiler, Lahr und
Mahlberg, ꝛc. entbieten allen denen, welche dieſes ſehen und leſen,
unſern Gruß!
Demnach Wir Unſern Lieben Getreuen, Autran und Ador
einer: auch Chriſtin und Viala andererſeits gnädigſt erlaubt haben,
in Unſerer guten Stadt Pforzheim eine Uhren- feine Stahlarbeit- Kleinod:
und Juwelen-Fabrike, mit denen damit verbundenen Kunftäften, zu er:
richten, auch ihnen zu dem Ende verfchiedene Privilegien ertbeilet haben;
als beftätigen Wir
I. ſolche durch gegenmwärtiges ihrem ganzen Inhalt nad) und befeh—
Ien denen Präfidenten und Näthen Unferer Negierung, ſodann Unferm
Oberamt Pforzheim, wie auch Unferer Maifenhauscommiffton und
dem Dberauffeher erfagter Fabriken, genaue Aufficht zu tragen, damit
folden in allem pünctlihe Genüge gefchebe.
II. Wir nehmen die Entrepreneurs gedachter Fabriken nebft ihren
Arbeitern, ihren Weibern und Kindern, fo, wie fonft alle und jede ihnen
zugebörige Leute, im Unfern bejondern Schub und befehlen Unferm
Dberamt Pforzheim, dem dafigen Stadtmagiftrat und allen denen
Unfrigen, fie mit aller Achtung zu behandeln, ihnen bei allen Vorfäller
geichwinde Juftiz zu verfchaffen, und bei allen Gelegenheiten Hilfe zu
leiften, wo fte deren benöthiget fein mögten.
III. Die Entrepreneurs werden ibrerfeits fo, wie die Arbeitere,
ihre Weiber und Kinder, auch fonft alle und jede, fo bei denen Fabriken
ftehen, ein wohlanſtändiges Leben führen, um ſich dur ihre Auffüh:
rung ſowohl, als durch ihre Talente und Gefchidlichkeiten von andern
zu unterſcheiden und in dem einen und anderen Betrachte Unfere Gnade
und Wohlwollen zu verdienen.
IV. Sie werden ihren Arbeiten fleifig obliegen, allen Müfiggang
vermeiden und durch ihre Memfigkeit trachten, fi auffer Schulden und
in einem guten Nahrungsftande zu erhalten.
V. Die Arbeitere follen gegen die Entrepreneurg die gebührende -
636 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746 —1789,
Achtung tragen und diefe hinwiederum gegen jene mit aller Hofuchteit
verfahren. Alle und jede, ſo zu der Fabrik gehören, ſollen ſich aller
Zänkerey, aller Beleidigungen enthalten, und niemahls weder über ihre
Mitarbeitere, nody über fonft jemanden, er fen, wer er wolle, auf eine
nicht geziemende Art reden.
VI. Fals audy die Arbeitere untereinander Händel befimen, fo
haben fie foldhe denen Entrepreneurs vorzutragen, um fie gütlich beizu-
legen; und, wenn diefes fruchtlos abliefe, fo haben fie e8 vor ben Prä-
fidenten zu bringen, welcher alsdenn freye Macht bat, fie ſelbſt abzu—
thun, oder an das Oberamt gelangen zu laflen.
VI Es fol aber feiner den Präfidenten perſönlich überlaufen,
fondern bei allen Vorfallenheiten zu Haufe und bei feiner Arbeit bleis
ben, und fein Anliegen durch ein vermittelft der alle Tage abgehenden
Poſt anbero zu fendendes Memorial geziemend vortragen.
VIII. DBielweniger follen die Arbeiter, wann einem oder dem
andern von ihnen eine Beleidigung wiederfahren wäre, des Arbeitens
fi enthalten, fondern der Entſcheidung der Sache ruhig abwarten und
bei ihrem Geſchäfte verbleiben; wiedrigenfalls daffelbe als eine vorjäß-
liche Meuterei beftraft werden ſoll.
IX. Diejenigen Zwiftigfeiten, fo fich zwifchen denen Entrepreneurs
und denen Arbeitern entfpinnen, follen gleihmäßig vor den Präfidenten
gebradht werden, um fie entweder felbjt zu entjcheiden oder dem Ober:
amt zur Entfheidung zuzufchiden,
X. Die Untrepreneurs und Arbeitere haben niemahls auffer Acht
zu laſſen, daß fie mit dem Bürgeren und den Einwohneren der Stabt
in guter Eintracht Teben, und ihnen eben jo begegnen, wie fie wiünfchen,
daß ihnen von den Bürgeren und Einwohneren begegnet würde,
XI. Diejenigen Händel, fo zwifchen denen Bürgeren und denen
Fabrikanten entftehen, follen durch das Oberamt abgeurtheilt werden.
XII. Da das Waifenhaus beftimt ift, die Sitten der Kinder zu
bilden, welche darin aufgenommen werden, und für die dürftigen Kran:
fen zu forgen: fo it es billig, dap der Wohlſtand hauptſächlich darin
beobachtet werde, und daß nichts die Ordnung, Ruhe und Stille dafelbft
ftöhren könne. Daher wird denen, fo bei denen Fabriken ftehen, aufer:
legt, dahin vorzüglich ihren Bebadyt zu nehmen; denen Entrepreneurs
aber wird obliegen, die Hand darauf zu halten, widrigenfalsg Sie vor
bie Mebertietungen ftehen follen.
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746-1789. 637
XIII. Niemand fol fid) in die Angelegenheit diefes Haufes mifchen,
noch mit denen aufgenommenen oder darin dienenden Leuten ein Gewerb
haben. Man fol fie auch auf Feine Weiſe zu feinem Dienft brauchen.
Die Lehrlinge find auf die Stunde, da ihre Arbeit aufhört, zurüd zu
ſchicken und zu nichts, als denen Arbeiten in demjenigen Theile der
Fabrik, fo fie erlernen, anzuhalten.
XIV. &s wird biemit ausdrüdlich verboten, Hunde oder Katzen
in dem Waifenhaufe zu halten, oder dahin zu bringen. Die Reinigkeit
dieſes Haufes leidet dergleichen Thiere nicht, welche in gewiſſen Umftän-
ben für den Haufen derer daſelbſt befindlichen Kinder fehr gefährlich
werden könten.
XV. Seberman enthalte fich, etwas, fo dem Waiſenhauſe zugehört,
zu nehmen; es fei Holz, Kräuter, Blumen, oder fonft etwas, wenn es
aud) von ganz feinem Werthe wäre. in gleiches iſt auch im Anfehung
ber Werkzeuge und Hausgeräthe, fo diefem Haufe gehören, zu beobachten.
XVI. Die Entrepreneurs find berechtiget, nach ihrem Gefallen
Arbeitere anzunehmen, oder zu entlaffen; allein die Uebereinkünfte zwi—
{hen denen Entrepreneurs und denen Arbeitern müfjen von beiden Geis
ten auf das beiligfte beobachtet werden, auſer in dem Falle einer üblen
Aufführung oder des Mangels an Gefchiflichkeit, in welchem Falle es
jedoch auf die Entiheidung des Präfidenten anfommen wird.
XVID. Wenn die Zeit der Mebereinkunft zu Ende ift, fo könen
die Arbeiter die Fabrike verlaffen, und fi) anders wohin begeben, nach:
dem fie vorher die Schulden, fo fie etwan gemacht, bezahlt haben.
XVII. Diejenigen, welche davon gehen, ohne ihre Gläubigere
befriediget zu haben, follen als Diebe behandelt werden; und, woferne
man derer nicht wieder habhaft werden kann, fo follen ihre Namen,
mit Bemerkung ihres Vaterlandes, dur den Scharfrichter auf einer
Schwarzen Tafel, welche an den Mauren des Rathhauſes, nahe bei dem
Halseifen, aufgehentt wird, angefchlagen werden. Man wird auch das
Publikum in verichiedenen Zeitungen warnen, einen ſolchen ehrlofen
Menihen in denen Werkftätten aufzunehmen; fondern vielmehr ihn in
Berhaft zu ſetzen, bis er feine Gläubigere bezahlt hat, und damit wegen
des von ihm begangenen Verbrechens und defjen Beitrafung gegen ihn
gerichtlich verfahren werden könne.
AIX. Die Arbeiter in den Fabriken haben fich forgfältig in
Acht zu nehmen, daß fie von ausländifhen Orten feine Waaren kom—
638 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 17461789.
men laffen, dergleichen zu Pforzheim verfertiget werden, noch auch damit
Handel treiben, unter welchem Vorwand es aud immer feye, bei Strafe
der Confifcation diefer alfo zum Vertrieb gebrachten Waaren, und ohne
Ausnahme, ob es mit Bewilligung einer oder der anderen Fabrike
geicheben jeie, indem feine ber andern in foldem Fal Nachtheil bringen
fol. Auch follen fie ferner fi) enthalten, es fey in müfligen Stunden
ober fonften, einige Waaren vor ihre eigene Rechnung zu berfertigen,
bei gleicher Strafe der Eonfifcation.
AX. Eben fo wenig follen fie unter fich Lotterien errichten.
AXI. Mit dem Gold, Silber und andern Materialien, aud
denen ihnen anvertrauten Werkzeugen, follen fie getreulih und ohne
Gefährde umgeben, bei Strafe des Hausdiebſtahls, als welcher meit
ſchärfer, als ein anderer Diebſtahl, beftrafet wird. Mit der Ausflucht,
als hätte man die Abficht gehabt, ſolche wieder zu erſetzen, wird nies
mand gehöret werben,
XXI. Es fol keiner des andern Materialien noch Werkzeuge
nehmen, um ſich deren bei jeinem Gefchäfte zu bedienen, wenn aud
gleich Leine ſchlimme Aoficht dabei wäre,
AMAIII. Jede Uebertretung diefer Gefete fol von dem Präfidenten
mit einer Geldftrafe, oder bewandten Umftänden nad, mit dem Gefäng-
nis und Confifcation befeget werden, je nachdem bie lettere vermöge
diefer Geſetze ftatt findet. Schwerere Verbrechen, dergleichen der Dieb-
ftahl und andere diefem beilommende Vergehungen find, follen vor Unfer
Hofgericht gebracht und daſelbſt abgeurtheilt werden.
AXIV. Im übrigen bat man ſich überhaupt nach denen Geſetzen
bes Landes und denen Verordnungen zu richten, welche noch künftig
erfcheinen werben,
Wir befehlen darauf alfen denen Unfrigen, vornämlich dem Obere
auffeher derer beiden Fabriken, auf die Volziehung diefer unferer Ver:
ordnung ein wachtſames Auge zu haben, folhe in öffentlihen Drud zu
geben, und an allen Thüren deren Werkjtätten beider Fabriken an:
fhlagen zu laſſen. Gegeben in unferer Mefidenzftadt Carlsruhe, den
47. October 1768,
(L.8.) Earl Friederih, Marggr. zu Baben.
Vt. A. J. von Hahn. Vt. Seubert.
Beide Fabriken gaben nunmehr gedruckte Circulare aus, woraus
die Manchfaltigkeit der Arbeiten, welche ſie zu liefern gedachten, erſichtlich
Achtzehntes Kapitel. Pforgheim von 1746—1789. 639
if. Das von Chriftin und Viala lautet vollftändig: „Privilegirte
Fabrik. Ehriftin und Viala, zu Pforzheim in dem Markgräflich-
Baden-Durladischen haben unter dem gnädigften Schub und Privilegio
des Herrn Markgrafen von Baben-Durlah eine Manufaktur errich—
tet, in welcher alle Gattungen von Uhren und Juwelen, erftere
verfertigt und Tetere nad) dem beften und neueſten Geſchmack gefaßt
werden. Es find dafelbit fertig zu haben: Stoduhren (Pendüles) von
ber beiten franzöfifchen und englifchen Art, mit fich bewegenden Figuren,
mit Glodenfpielen, Orgeln ıc., große Schlaguhren, Sadubren von Gold
und Silber, bie repetiren und nicht repetiren, mit Juwelen befegt, auch
ohne diefelbe, oben und unten durchſichtig oder auch nicht. — Tabatieren
oder Dofen von Gold von verfchiedenem Geihmad, emaillirt gemalte,
geftochene, in vier Farben, erhaben (basrelief) gearbeitete ıc. Uhrketten
fowohl für Herren als Damen, von Gold mit und ohne Gmaille,
Etuis, Stodfnöpfe, Armbänder, Uhrenſchlüſſel, Hemdenktnöpfe, alle Gate
tungen Berloquen von dem nämlichen Metall und von nämlicher Arbeit,
mit oder ohne Juwelen, mit und ohne Emaille-Malerei, in Gold von
ein= oder vierfacher Farbe ꝛc. — Dofen oder Tabatieren von Schilöfrot,
mit Gold eingelegt, auch mit Medaillons in Email, Alles nad dem
beten neueften franzöfifhen und englifhen Geſchmack. — Alle Sorten
Werkzeuge für Uhrmacher und Goldarbeiter fowohl, als alle Gattungen
von Feilen für beide Profeffionen, von den ganz feinften an bis zu den
geringiten, auf die befte Art. — Alle einzelnen Stüde, jo zu großen
und Heinen Uhren gehören in der Zerlegung, als: Pendulfaften, Sad:
uhrſchalen von Gold oder Silber oder Emaille, mit oder ohne Juwe—
len, emaillirte Zifferblätter, Spiralfedern, Ketten zur Schnede, alles
Mäbderwerk, Spindeln, Unruhen, Schließfedern, Platten, gravirte Kloben
x. und alle Stüde, die zu einer Uhr gehören, dutendweife, fo daß
jeder nur ein wenig Erfahrene mit Hilfe obiger Werkzeuge felbft Uhren
zufammenfegen Tann, — So wie ganz vollfommen fertige Uhren von
allen Sorten zu haben find, fo find felbige auch zwar zuſammengeſetzt,
doch noch unvollendet (en blanc) zu haben. — Alle diejenigen, denen
e8 belieben wird, dieſelbe mit eigener Gegenwart, oder mit fchriftlichen
Kommiffionen zu beehren, werden fie nicht allein auf das Beſte, fondern
auch auf das jchleunigfte und Billigfte, mit ganz volllommener, vorzügs
licher, untadelhafter Arbeit zu bedienen fih zur Ehre machen, wozu fie
um fo mehr im Stande find, als fie nebft andern Vortheilen ganz
640 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
geheime Werkzeuge befiten, vermittelft welcher die Uhrenftüde bequemer,
leichter und wohlfeiler, als in andern Fabriken verfertigt werden können.“
Aehnlich lautet der franzöfiihe Waarencourant von Autran und
Ador; nur fehlen die Stoduhren, die Jumelierarbeiten, forie die Werk.
zeuge und einzelnen Uhrentheile. Dafür findet fich darin eine reiche
Auswahl von Stahlwaaren verzeichnet, als alle Sorten von Uhrketten,
feine und ordinäre für Herren und Damen in den manchfachſten Muftern
und im feinften englifhen Geſchmack um den billigften, wie um ben
höchſten Preis, ebenfo alle Sorten von Schnallen, Uhrſchlüſſel nach eng:
lichen und franzöſiſchen Geſchmack, Kleiderknöpfe, Hafen, Ubhrenzeiger,
Beichläge, Sporen ꝛc. Alles in der Qualität englifher Waaren und zu
den billigften Preifen.
Daß beide Fabriken fich bei der vorgenommenen Trennung gut
befanden, zeigen zwei Berichte des Geheimenraths Neinhard, die er un-
term. 27. Januar nnd 19. Mai 1769 über den Zuftand bderfelben er
ftattete. Er fand Alles in Ruhe, Friede und guter: Ordnung. Bei
Ehriftin und Viala ging die Uhrenmacherei recht gut von Statten und
batte der Verſchluß der fertigen Waaren einen günftigen Anfang ge
nommen. Als Probe der Gefchidlichkeit der Arbeiter und bes feinen
Geſchmackes, deſſen fich diefe Fabrik befliß, wurde damals dem Mark:
grafen eine ganz gemalte und im Gold gefaßte Dofe vorgezeigt. In—
defien gaben Chriftin und Viala auf den Rath Reinhards die Jouaille-
rie bald ganz auf, einestheils meil fie dies Geſchäft nicht recht verftan-
den, anderntheils weil dasfelbe zu viel Mittel in Anfpruh nahm, und
befaßten ſich überhaupt einzig und allein mit der Uhrmacherei. Den
Lehrlingen aus dem Waiſenhaus wird das Lob gezollt, daß fie viel
Freude und Geſchick zur Arbeit zeigten. Bei Autran und Ador wurde
die Uhrmacherei nur ſchwach betrieben, und beichäftigte diefelbe blos
4—5 Arbeiter mit etwa einem halben Dutend von-Lebrlingen. Defto
mehr befaßte ſich diefe Fabrik mit der Quincaillerie und Bijouterie,
damals insbefondere mit Anfertigung der in Mode gefommenen ftähler
nen, mit Gold garnirten Uhrketten, und zeigten darin namentlich 8 eng:
liſche Arbeiter unglaublichen Fleiß, große Gefchwindigkeit und Afkura:
teffe, und machten unter ihrer Leitung auch die Lehrlinge bedeutende
Fortſchritte. Ebenfo zufrieden war man mit dem Schmied und dem
Feilenmacher, beide ebenfalls Engländer, Erſterer wurde bereits von
einem Pforzheimer Nagelfchmied unterftügt, der Glieder zu den Uhr:
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 641
fetten Tieferte. Dieſe engliichen Arbeiter hatte Autran anf zwei Reifen,
die er eigens zu diefem Zweck nah England machte (und deren
Koften fih auf nicht weniger als 2143 fl. 8 kr. beliefen,) zu gewinnen
gewußt. Der vorzüglichite Arbeiter in ber Bijouterie war Trumeau.
Was der Fabrik noch fehlte, das war ein geſchickter Pregmeifter, und
man gab fi alle Mühe, einen folhen ausfindig zu machen. Ebenſo
wurde die Anſchaffung eines Schleiffteins, der zur Herftellung der gro:
Ben Teilen nöthig fei, fowie die Benützung einer ſchon vorhandenen Waf-
ferkraft zum Treiben desjelben in Vorſchlag gebradyt und auch geneh:
migt und zu dieſem Behufe ein neues, 102 Schuh langes, 16 Schuh
breites, in der Mitte 42 Schub lang zweiſtöckiges Fabriklokal erbaut,
wozu wie früher das Holz aus Herrichaftswaldungen unentgeldlich abge:
geben wurde. Den Engländern wird nachgerühmt, daß fie fi durch
eine vortrefflihe Aufführung auszeichneten, weshalb fie in Pforzheim
bochgeachtet feien. Sehr gern fah es daher Reinhard in feinem Bericht,
daß mehrere davon in Pforzheim fi) zu verheirathen die Abficht zeige
ten und knüpfte die Hoffnung daran, daß dieſer Umftand fie immer
mehr an das Land binden würde und „eine Race guter Arbeiter ver
fpreche.” — Den bei Ehriftin und Viala befchäftigten Arbeitern, meifteng
Franzoſen und welſchen Schweizern, wird dagegen nicht das beſte Lob
gefpendet. „Die meiften von ihnen, fagt Reinhard, „lieben die Arbeit
nicht, haben eine flüchtige Lebensart, gehen viel fpazieren, und es ift zu
befürdten, daß die Waifenkinder, jo bei ihnen find, eben dieſe Unarten
annehmen werden.” Er rieth deshalb dringend zu ftrengerer Aufficht
und befjerer Zucht und forderte Chriftin und Viala auf, ihren Arbeitern
durhaus Feine Vorfhüffe mehr zu machen. — Eine unterm 8. Mai
von dem hiezu durch fürftlichen Erlaß beauftragten Rechnungsrath: Ad:
junften Jägerſchmied vorgenommene Unterfuhung der Handelsbücher
beider Fabriken (e8 wurde ihm für diefes Geſchäft, das alle Vierteljahr
wiederfehren follte, fpäter ein Averfum von jährlichen 105 fl, ausge:
worfen, wovon jede Fabrik die Hälfte zu tragen hatte,) ergab bei Autran
und Ador die günftigften Nefultate und waren die Bücher in befter
Ordnung, nidyt fo bei Ehriftin und Viala, die fi) indefjen mit längerer
Krankheit ihres Buchhalters entjhuldigten. Erftere Fabrik hatte bie
30. April 1769 bereits 22,822 fl. 28 kr., letztere 12,526 fl. 38 fr.
Vorſchuß erhalten,
Eine Gejchäftsreife, melde Autran im Juni N * Frankreich
Pfluger, Pforibeim.
#
642 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789,
antrat und von welcher er im März 1770 zurückkehrte, hatte den beiten
Erfolg. Er verkaufte dabei nicht nur für mehr als 6000 fl. Waaren,
an denen durchſchnittlich 250%/, verdient wurden, fondern erhielt auch
Beitellungen auf 5—6 Monate, welche einen Reingewinn von 3 bis
4000 Gulden verjprachen. Ueberall, namentlich in Paris, Lyon, Mars
feille, Air ꝛc. hatte er Verbindungen angefnüpft, welde einen dauernden
und fihern Verſchluß um jo mehr begründeten, als Autran fi überall
genau verläffigte, welcher Art Maaren am Beſten gingen, und fi in
Paris und Lyon dazu Zeichnungen verfertigen ließ. Auch mit zwei
Petersburger Häufern war dieſe Fabrik bereits in Geihäftsverbindung
getreten, fo daß eine nach Italien und nad andern Ländern projektirte
Reife nicht ausgeführt wurde, weil fonft am Ende die Fabrik gar nicht
im Stande geweſen wäre, allen Aufträgen rechtzeitig zu genügen.
Diefer erfreuliche Fortgang des Quincailleriegeſchäftes bedingte einerfeits
die Vergrößerung desfelben und zwar, wie vorgeichlagen wurde, durch
Anfhaffung mehrerer Mafchinen (namentlih eines Schlag und eines
Polirwerkes), durch Vermehrung der Arbeiter und Lehrlinge und endlich
durch einen weitern Vorſchuß von einigen Taufend Gulden, — anderer:
feits erwuchs daraus die Nothmwendigkeit, alle Kräfte und alle Gelb:
mittel auf das Quincailleriegefhäft zu konzentriren und die Uhrenfabri—
fation gänzlich aufzugeben, Zu dem Ende wurden mit Chriftin und
Biala Unterhandlungen gepflogen und am 15. Mai 1770 mit fürftl,
Genehmigung ein Vertrag abgeichloffen, laut defien Autran und Ador
ihre ganze Uhrenmacherei mit allen Arbeitern, Maarenvorräthen, Wert:
zeugen zc., kurz allen Aktiven und Paffiven um die Summe von nahezu
5000 Gulden an Ehriftin und Viala abtraten.
Mit aller Macht warf ſich num die Fabrik von Autran und Ador
auf die Anfertigung von Stahlwaaren, die nah dem Geſchmack jener
Zeit mit Gold verziert wurden. Die Fabrikation ganz goldener Artikel
wurde vor der Hand aufgegeben. Ich werde auf diefe Fabrik und ihren
fernern Fortgang unten wieder zurücdtommen, und will zunächft über
die weitere Entmwidelung der Uhrenfabrifation das Nöthige bemerken.
Ich füge hier nur noch die Notiz bei, daß zu der Zeit, zu welcher
meine Darftellung jet vorgerüdt ift (Mprit 1770), beide Fabriken be
reits über 100 Perſonen beichäftigten, und die Zahl ſämmtlicher Ber:
jonen, welche zu Anfang des darauf folgenden Jahres, Weiber und
Kinder eingefchloffen, zu beiden Fabriken gehörten, fhon 274 betrug,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 643
wovon 142 auf Ehriftin und Viala und 132 auf Autran und Abor
kamen.
d. Weiterer Fortgang der Uhrenfabrikation.
Keinen ſo erfreulichen Fortgang, wie die Quincaillerie-, wollte die
Uhrenfabrik nehmen. Zwar zeigten die darin beſchäftigten Lehrlinge vie—
les Geſchick; die Feilenhauerei, ſowie die Werkſtätte zur Herſtellung der
Werkzeuge für die Arbeiter, thaten ihr Möglichſtes; die Uhrgehäuſe
wurden immer beſſer und geſchmackvoller, ebenſo wurde im Zifferblatt—
und Schmelzmalen (der Maler Blaremberg hatte eine eigene Zeichen:
ſchule errichtet) ſowie in der Verfertigung der Uhrenketten ꝛc. recht Tüch—
tiges geleiftet: allein es berrichte in den Büchern und Rechnungen dies
jes Geſchäftes nicht die befte Ordnung, man hatte zu viel Leute und
mußte fie zu theuer bezahlen, — und, was nun freilih ein fataler
Umftand war, es fehlte an Waarenabſatz. Die Fabritunternehmer gaben
fi zwar alle Mühe, einen foldyen zu erzielen. Viala hatte ſchon einige
Male die Frankfurter Meſſe, fo auch zu Oftern 1770 mit einem ver:
häftnigmäßig bedeutenden Waarenlager (im Werth von beinahe 7000
Gulden) beſucht; Chriftin hatte im Februar eine Neife in die Gegend von
Augsburg, Regensburg und. Nürnberg unternommen und fidy dort mit
417 guten Häufern und 35 Uhrmacher in Bekanntſchaft geſetzt, welch letztere
auch in Zifferblättern, Uhrgehäufen, Werkzeugen, Teilen, Schmelzmales
reien ꝛc. für etwa 2000 Gulden Beftellungen machten. Das Alles
erſchien aber nicht hinlänglich, um zwiſchen Fabrikation und Abſatz dns
richtige Verhältniß berzuftellen. Es wurden deshalb neue Gejhäftsreifen
in die Schweiz, nad Paris, Holland fowie nad Yeipzig projeftirt,
meist auch ausgeführt, und der Fabrik zur Vermehrung ihrer disponibeln
Fonds ein weiterer Vorſchuß von 6000 Gulden, vom Juli bis Dezem-
ber 1770 in Monatsraten von 1000 Gulden zu erheben, bewilligt,
jedoch die Bemerkung daran gefnüpft, daß feine weiteren Vorſchüſſe zu
erwarten jeien. Gleichzeitig wurde den beiden Chefs diefer Fabrik bes
deutet, daß fie in ihrem Gefhäft befjere Ordnung halten, die über:
flüffigen Arbeiter entlaffen, feine Vorfhüffe an diefelben mehr geben,
namentlih aber auch vor Weberproduftion im einzelnen Artikeln fich
beffer als bisher hüten follten. Die Zahl der Arbeiter wurde darauf
bin aud verringert, und man behielt außer den Lehrlingen nur
noch 8 Uhrenmacher und 6 andere Arbeiter, fammt einigen Frauen,
41*
644 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789.
Der Pendülemaler Mergery errichtete num im ber Stadt auf eigene
Koften eine Werfftätte, und ebenjo fing der Schmelzmaler Blaremberg
felbfländig ein Geihäft an. |
Es kann nicht meine Abficht fein, im bisheriger ausführlicher
Weile den Fortgang der Uhrenfabrikation in Pforzheim zu ſchildern,
fondern ich werde mich dabei auf das Weſentlichſte befchränten, ba dies
ſem Fabrifationszweig das Glück nicht zu Theil werden follte, in Pforz⸗
beim ſolch feiten Boden und folhe Ausdehnung zu gewinnen, wie das
bei der Quincaillerie und Bijonterie im Laufe der Zeit der Fall war.
Das Hauptgebrehen der Uhrenfabrifation war der Mangel eines
bandelsverftändigen Chefs. Das hatte der Scharfblid Reins
Hards längft erfannt, das beftätigten Autran und Ador, welche Rein-
hard im Vertrauen um ein Gutachten angegangen hatte, und der Rech⸗
nungsrath Jägerſchmied ſagt in einem Bericht vom 80. Juli 1771
ebenfalls mit dürren Worten: „Es fehlt dieſer Fabrik der arbeitsver—
fändige Direktor und auf Reifen und Meſſen der erfahrene Handels:
mann.” Chriftin und Viala waren grundehrlihe Männer, dieſer ber
Uhrmacherei, namentlih auch der Unterweifung ber Lehrlinge vollkom-
men gewachien, jener, wie ſchon früher erwähnt, eine Art von medar
niſchem Genie und mit dergleichen Arbeiten oft mehr als nöthig be—
ſchäftigt. ) Er gründete in Verbindung mit Joh. Ib. Ador und dem
Mechaniker Ludwig Philipp Wörfchler neben feiner Uhrenfabrit 1770
noch eine Fabrik zur Anfertigung von mathematifhen Inſtrumenten,
Maſchinen, namentlich auch Feuerfprigen, wofür den Unternehmern unterm
18. Januar 1770 ein Privilegium auf 10 Jahre ausgeftellt wurde,
Es feinen jedoch mit diefer Fabrik nicht eben die glänzendften Ges
fhäfte gemacht worden zu fein, weshalb fie feinen langen Beitand hatte,
1) Für feine Kenntniffe in der Mechanik und dem techniſchen Theil ber
Fabrikation Ipricht eine Brofhüre, die er um diefe Zeit (1770) unter bem Titel
berauegab: »Avis aux amateurs de l’utile et de l’agreahle sur une nouvelle
manufacture d’horlogerie que Christin et Viala ont établie dans la Ville de
Pfortzheim au Marggraviat de Bade Dourlach, Par Christin«, Dieje 24 Sei:
ten ftarfe Schrift handelt in 9 Artikeln: du Möchanisme en general, avantages
du local de la Ville de Pfortzheim, de la Peinture, de la Gravure, des Pendu-
les et des Montres, des fournitures de l’'Horlogerie, de la Bijouterie et de la
Jouaillerie, ouvrages divers, consequence du precedent, — Als Drudort ift auf
ber Broihüre Pforzheim angegeben, jedoch ohne Bezeichnung des Bruders ſelbſt.
Ih wüßte aber nicht, daß damals in Pforzheim eine Druderei beftanben hätte,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 645
Da weder Chriftin noch Viala Faufmännifche Kenntniffe beſaßen, fo hatte
biefer Umftand die üble Folge, daß Viala oft ſehr unglüdlich fpefulirte,
Ehriftin auf feinen vielen und theuern Reifen felten ordentliche Geſchäfte
machte und häufig in den Tag hinein fabrizirt wurde, wie denn einmay
für mehrere Taufend Gulden Zifferblätter und Feilen vorhanden waren,
bie gar feinen Abſatz fanden, ein ander Mal das vorräthige Gold zu
Bijouteriewaaren verwendet wurde, indeſſen eine Menge fertiger Uhr—
werke ohne Gehäufe blieb. Dieſen Mangel eines handelsverftändigen
Chefs fuchte man dadurch abzuhelfen, daß man ſich nad einem geeig:
neten Mann umfab, der in das Gefchäft als Aſſocié eintreten, in das—
felbe jedenfalls auch nicht unbedeutende Mittel einwerfen und bie Lei:
tung bdesjelben übernehmen follte. Einen folhen glaubte man in bem
Uhrenhändler Dubois aus Locke gefunden zu haben; allein die mit ihm
angefnüpften Unterhandlungen führten nicht zum erwünfchten Ziel, und
auch der Neuchateler Courvoiſter auf den man alsdann verfiel, wollte
ſich zur Uebernabme der Fabrik nicht verftehen. Eine Reiſe, welche der
Emailleur Fage zu gleihem Zwecke nad) Neuchatel machte, blieb eben:
falls erfolglos. Mittlerweile geftalteten ſich die Verhältniſſe der Fabrik
immer mißlicher. Chriftin Hatte im Herbft 1770 eine Reife nach Paris
und Holland angetreten, und für etwa 12,000 fl. Waaren theils fogleich
mitgenommen, theils nachgeſchickt erhalten; allein die Geldfendungen, bie
man von ihm erwartete, blieben faft ganz aus, und feine eigene lange
Abweſenheit gab zu allerlei Gerüchten Veranlaffung. Seinem Affocie
Viala gingen in Pforzheim zulegt die Meittel aus, jo daß er einmal
feine eigenen filbernen Löffel hergeben mußte, um Material zur Anfers
tigung von Uhrgehäuſen zu gewinnen, und oft in ſolchen Geldverlegen-
beiten war, daß er feine Arbeiter nicht bezahlen konnte. Diefe fielen
bei der herrichenden Theurung dadurch der bitterften Noth anheim ;
manche fonnten fein Brod mehr Kaufen, und auf Kredit erhielten fie
feines. Die Arbeit in der Fabrik gerieth ins Stoden, und bie einlau-
fenden Bejtellungen, die befonders in goldenen Uhren beftanden, konnten
nicht mehr ausgeführt werden. Die Gelder, die bis zum Juli 1771
borgefhoflen worden waren, hatten bereits die Höhe von 52,214 fl.
erreicht, und doch follten immer noch neue Opfer gebracht werden, um
das Gefchäft aufrecht zu erhalten! Diefer bedenkliche Zuftand der Uhren:
fabrit Tegte die Frage nahe, ob es nicht beffer fer, das Unternehmen
ganz aufzugeben. Viele Gründe fprachen dafür, manche wieder dagegen,
646 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
namentlich der dabei zu befürdhtende Verluſt, den Reinhard auf 25,000
Gulden berechnete und das Schidfal der vielen Arbeiter und Lehrlinge.
Man entfchloß ſich endlich nod zu einem Testen Verſuch. Die Fabrik
follte aus der marfgräflihen Münze das nöthige, auf 18 Karat legirte
Gold zur Anfertigung von etwa 60 Uhrgehäuſen nebft Unterftügung
in Geld erhalten, mehrere Arbeiter jollten entlafjen, die Kontrole über
die Fabrik verihärft werden ıc. Zugleich wurde aber bemerkt, daß,
wenn die Fabrik in einigen Monaten durch Verkauf der vorhandenen
Uhren fi) nicht in Stand geſetzt ſehen ſollte, ſich felber ohne weitern
Beiſchuß zu erhalten, die Aufhebung derjelben fhen im Voraus als
befchlofien anzufehen fei.
Mit Sehnfucht wurde der Rücklehr Chriftins entgegengefeben, aber
— er kam nicht. Seine Abweſenheit dauerte nun bald ein Jahr und
zuletzt blieben alle Nachrichten von ihm aus, bis endlich ein vom 7.
September datirter Brief aus Haag von ihm einlief, worin ev meldete,
daß er fein Glück in Amfterdam zu fuchen, die Fabrit in Pforzheim
aber beizubehalten gefonnen ſei; Viala möchte ihm alle noch vorhande:
nen Waarenvorräthe zufenden. Dieſer theilte aber feine Beforgnifie dem
geh. Rath Neinhard mit, der alsbald an die Regierung berichtete.
Letztere beauftragte den geb. Legationsrath von Treuer im Haag, auf
ſämmtliche Waarenvorräthe Chriſtins gerichtlichen Beſchlag legen, ihn
ſelber aber nöthigenfalls verhaften zu laſſen. Es ſtellte ſich indeß bald
heraus, daß man etwas übereilt zu Werke gegangen war; Chriſtin
wußte ſich ſowohl brieflich, als bei ſeiner Rückkehr zu rechtfertigen und
ſcheint auch von ſeiner Reiſe, trotz der ſchlechten Geſchäfte, die er im
Allgemeinen gemacht hatte, einigen Baarvorrath mitgebracht zu haben,
ſo daß die Fortſetzung der Fabrik wieder für eine Zeitlang geſichert
erſchien.
Das bisher freundliche Verhältniß der beiden Unternehmer ders
felben hatte jedoch einen gewaltigen Stoß erlitten. Chriſtin bejchwerte
ſich bitter über feinen Schwager Viala (diefer hatte nämlich - eine
Schwefter Chriftins zur Frau), und auch letzterer hielt eine Trennung
ihrer Geſellſchaft und eine Theilung der Fabrik für das beite Mittel,
allen fernern Meinungsverfchiedenheiten und Mißhelligfeiten vorzubeugen,
und zugleich auch, um eine Befjerung der bedenklihen Lage, in welcher
ſich das Geſchäft befand, berbeizuführen. Au Bezug auf letztern Um:
ftand ließ fich wenigftens noch ein Verſuch mahen, wenn auch Feine
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 647
große Hoffnung vorhanden war, daß alle Verlufte wieder eingebracht
werben würden. Diefe ftellten fich bei der Unterfuhung der Bücher,
die Rechnungsrath Jägerſchmied am 2. November 1772 vornahm, als
fehr bedeutend heraus. Don den bis dahin von fürftlicher Seite vor:
gefchoffenen 54,260 ji. 151/, fr. war nur für 25,227 fl. 37 kr.
Dedung vorhanden; alles Uebrige war feit der Gründung des Geichäfte
für Fabrikunkoſten und für Unterhaltung der Fabrifunternehmer darauf
gegangen oder beftand in zweifelhaften oder verlorenen Ausftänden.
Was war nun bei einer Trennung zu riskiren? ebenfalls konnte kein
größerer Verluft dabei herauskommen, als bei der alsbaldigen Auf:
bebung der Fabrik, und die Ausfiht, daß die Sache wieder in ein
befieres Geleife kommen könnte, war mwenigitens, wie ſchon bemerft,
noch eines Verfuches wertb. Die Trennung wurde alfo nach den von
Ehriftin und Viala gemachten Vorſchlägen, nach melden einfach Alles
balbirt wurde, unterm 9. November 1772 vom Markgrafen beftätigt
und aud alsbald vorgenommen,
In Bezug auf das fernere Schickſal der Chriftin’fchen Fabrik, die
aus dem Waifenhaus in das Gafthaus zur Krone verlegt wurde, Tann
ich mid) kurz faffen. Trotz eines weitern Zufchufies von 2000 Gulden,
den fie unterm 17. Mai 1773 aus dem reformirten Kirchenfonds er:
hielt; troß eines neuen Echappemements, das Chriftin erfand und das
Sachkenner als unverbefferlich bezeichneten; tro ber befiern Geſchäfte, die
1773 auf der Frankfurter Herbſtmeſſe gemadt wurden: trog aller
diefer günftigen Umftände eilte die Fabrik raſch ihrem Untergang ent=
gegen. Bei einer unterm 18, März 1774 durch Rechnungsrath Jäger:
ſchmied vorgenommenen Unterfuhung der Bücher ftellte fi heraus, daß
bie Pafjiven die Aktiven um 7374 fl. 43 kr. überftiegen, ja daß ſich
mit Hinzurechnung der verlorenen oder zweifelhaften Ausſtände, des
Guthabens an Chriftin und an die Arbeiter, des Verluftes an Fabri—
foten und Handwerkzeug ein Gejammtverluft von 21,533 fl. 19 kr.
berausftellte. Das ganze Gefhäft war im Häglichiten Zerfall. Schon
mehrmals hatte Ehriftin um hohen Zins Geld bei Juden geliehen, um
feine Arbeiter bezahlen zu Können, oder er hatte zu gleichem Zweck
fertige Uhren weit unter ihrem Werth verkauft. Unter folden Um—
ftänden wußte Jägerſchmied feinen andern Rath, als die Aufhebung ber
Fabrit zu beantragen, Da fi indefjen damals ein Schimmer von
Hoffnung zeigte, für die Fabrik einen handelsverftändigen Aſſocis zu
648 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
befommen, fo zögerte man von Seiten der Regierung noch, die Auf:
bebung auszuſprechen, unterftügte auch Chriftin noch einmal mit einem
Vorihuß von 300 Gulden. Als aber jene Hoffnung nicht in Erfül
fung ging, fo wurde unterm 30. Mat 1774 vom Markgrafen die Aufz
bebung der Chriſtin'ſchen Uhrenfabrik befchloffen, und Rechnungsrath
Jägerſchmied erhielt den Auftrag, die Obfignation vorzunehmen und die
Einleitung des Gantverfahrens zu veranlaffen. Wenn ich binzufüge,
daß der amtliche Anfchlag fämmtlicher Effekten ıc. der Fabrik fich auf
9740 fl. 30 fr. belief, daß aber Viala, der die meiften Arbeiter und
Lehrlinge derſelben übernahm, ſich nicht dazu verftehen wollte, für bas
ganze Inventar 5500 Gulden zu geben, jo mag daraus entnommen
werben, welcher Berluft der Herrſchaft erwuchs, die faft fämmtliche
Fonds zu diefer Fabrik bergefhoffen hatte. Chriftin büßte ſelbſt fein
ganzes in das Gefchäft eingelegte, in Geld, Werkzeugen und Waaren
beftehende Vermögen von etwa 2200 Gulden ein; doch fcheint ihm
dafür einige Entihädigung gnädigſt verwilligt worden zu fein, Auch
wurde ihm auf feine Bitte die Erlaubniß ertheilt, ſich gemeinfchaftlich
mit feinem ältern Bruder in Karlsruhe etabfiren zu dürfen, und erhielt
er fogar den Titel eines „Hofuhrenmaders.* In foldher Weiſe endete
die eine der Pforzheimer Uhrenfabriken.
Verfolgen wir num au die fernen Schidfale der andern. Diefe
nahm unter der Leitung von Viala im Anfang recht guten Fortgang,
fo daß fich der bei der Trennung vorhandene Abmangel von 5691 fl.
im März 1774 bereit® auf 1885 fl. vermindert hatte und alle Aus—
fit vorhanden war, daß fich die Verhältniffe diefer Fabrik immer beſſer
geftalten würden. Zu dem Ende wurden ihm am 1. Auguft 1774
von: Markgrafen 4 Kreditbriefe, jeder auf 1000 Gulden lautend, aus:
geftellt, auch die 300 fl. und 10 Klafter Holz, welche beide Uhren:
fabrifen als jährliche Unterftübung bisher gemeinfchaftlich bezogen hatten,
ber Viala'ſchen allein zugemwiefen, nachdem diefe urfprüngli nur auf
6 Jahre ertheilte „Penfion” für weitere Dauer zugeftanden worden war.
Ein Schwerer Schlag traf die Fabrik durch den am 26. Dezember
1774 erfolgten Tod Viala's, und die Aufhebung derfelben kam von
Neuem zur Sprade. Da indefien die Mittwe Vialas, eine jehr brave,
fteißige, verftändige und Aufßerft fparfame Frau, ſchon Tängft fich bei
dem Geſchäft thatfächlich betheiligt und beim Arbeiten tüchtig mitgehol:
fen hatte, da man ferner vorausſah, dag ſowohl diefe Frau mit ihren
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-- 1789, 649
3 unerzogenen Kindern, als auch die 59 Urbeiter (morunter 11 ver:
beirathete), weldye die Uhrenfabrit damals zählte, durch die Aufhebung
ber Fabrik brodlos werden und der Stadt Pforzheim, wie dem Waifen-
haus alle Vortheile, welde ihnen bis jet durch die Fabrik erwachfen
waren, wieber entgehen würden: jo wurde im marfgräflihen Geheim—
rathskollegium unterm 4. März 1775 beichloffen, der Wittwe Viala’s
unter Beihilfe des tüchtigen Buchhalters Hofmann die Leitung der Fabrik
zu übertragen, Zugleich wurde ihr der Rückerſatz der 5987 fl. 47 kr.,
bie ihr verftorbener Mann feit 8 Jahren von dem Fond der Fabrik
zum Unterhalt feiner Familie verwendet, ferner des noch vorhandenen
Defizits von 1519 fl. 52 fr., ebenfo die rüdjtändigen Zinfen im Betrag
von 7867 fl. 51 fr. erlafien und endlich auch die unbeibringlichen Aus:
ftände, die fi auf 3342 fl. beliefen, aus den Aktiven geftrichen, ihr
aber die ftrenge Verpflichtung auferlegt, won jebt an die Zinfen des im
Geihäft ſteckenden Kapitals, das von 27,130 fl. 7 kr. auf 16,280 fi.
zufammengefhmolzen war, pünktlich zu entrichten und fich überhaupt
alle Mühe zu geben, daß die Fonds nicht weiter vermindert würden,
indem man fonft zur Aufhebung der Fabrik fi entichließen müßte.
Machen wir bier einen Sprung von 8 Jahren und zwar über das
Jahr 1779 hinüber, mit welchem das 1767 auf 12 Jahre ertheilte
Privilegium ablief, aber vorläufig nicht erneuert wurde, da man die
Fabrik einftweilen, und zwar bis 1783, auf Grund des alten nod) fort-
zuführen für gut fand. Die Fabrik hatte während diefer 8 Jahre bald
beflere, bald fchlechtere, im Allgemeinen aber keine guten Geſchäfte ge:
macht. Die Paffiven überftiegen in Folge von Verluſten verſchiedener
Art, namentlich aber auch deswegen, weil der arbeitende Fond offenbar
zu Fein war, die Aktiven um nicht weniger ala 3639 fl. 45 fr., und
dazu war bisher von den oben erwähnten 16,280 fl, nody fein Kreuzer
Bing bezahlt worden. Abermals kam die Aufhebung der Fabrik zur
Sprache; aber aus den nämlichen Gründen wie früher konnte man ſich
dazu nicht entfchliegen, fondern es wurde im &egentbeil ein neues Pri—
vilegium auf 12 Jahre, vom 4. Auguft 1783 an beginnend, ber
Wittwe Viala, die ſich unterdefien mit ihrem Buchhalter Hofmann
affveirt hatte, ausgeftellt, das fehr günftige Bedingungen enthielt. Die
Fabrik, die künftig unter der Firma „Hofmann und Viala“ ge
führt werden follte, wurde mit 5 Krebitbriefen, auf je 1000 Gulden
lautend, unterftügt, den beiden Leitern derſelben ein Jahrgehalt von
650 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
1300 Gulden ausgefebt, und außerdem erhielten fie neben der Per-
fonalfteuerfreibeit die Pfundzollfreiheit für alle ihre Fabrikftoffe und
Fabrikate fowohl, als für ihre Lebensbedürfnifie; von dem mebrerwähn-
Kapital von 16,280 fl. follten fie blos nach Möglichkeit Zins zahlen
dürfen, jeboch felber darauf fehen, daß bdasfelbe vermehrt würde u. f. w.
So war wieder Hoffnung vorhanden, das Gefchäft im befiern Gang
zu bringen, namentlich da ſchon im September 1783 die beiden Firma-
träger ihre Intereſſen noch fefter mit einander verfnüpften, indem fie
ſich ehelich verbanden.
In den nächſten Jahren waren die Verhältniſſe inſofern nicht un—
günſtig, als wenigſtens ohne Verluſt gearbeitet wurde, wenn auch die
Ueberſchüſſe nie ſo bedeutend waren, daß obiges Kapital auch nur zu
3 Prozent hätte verzinst werden können. Doch hatte man von Seiten
ber Regierung befiere Refultate kaum erwartet und war zufrieden, daß
der Fond erhalten, die Arbeiter beichäftigt (etwa 70 Menjchen ges
währte damals die Uhrenfabrit ihren Unterhalt) und Handel und
Wandel in Pforzheim befördert wurden. Die 1789 ausgebrochene
franzöfifhe Revolution und die Kriege, die daraus hervorgingen, blieben
nicht ohne nachtheifigen Einfluß auf den Abſatz der Pforzheimer Uhren,
der überdies durch die Konkurrenz der Schweizer Fabriken, die mit ihren
Uhren ganz Deutfchland überſchwemmten, nicht wenig beeinträchtigt
wurde. Eine andere Konkurrenz war unferer Uhrenfabrik in Pforzheim
felbft erwachfen, wo nad und nad neben berjelben eine Anzahl von
Kabineten enftanden war, beren Zahl zu Anfang des 19. Jahrhunderts
nicht weniger als 32 betrug. Schwer empfand auch unſere Fabrik
einerfeits einen Verluſt von 2490 fl., der ihr dur die Untreue und
Flucht des Uhrgehäufemaher und Kabinetmeiſters Müller 1791 er:
wuchs, andererfeits brachte der Tod Hofmann, der am 7. Juli 1796
inmitten des größten Kriegsgetümmels erfolgte, keine geringe Störung
in das Gefchäft. Zwar führte die Wittwe Hofmanns, der immer das
Lob einer geſchickten und unermüdlich fleifigen Frau gezollt wurde, das
Geſchäft mit Hilfe ihres Tochtermanns, des Nepafjeurs und Remon—
teurs Frangois Marshall und eines Buchhalters fort, und das Pri-
vilegium wurde ihr aud von Jahr zu Jahr verlängert; ebenfo bemil:
ligte man 1801 der Fabrif eine neue Unterftügung von 3000 Gulden,
die zu 5 Proz. verzinst werden follten: allein es waren alle Anzeichen
vorhanden, da über Kurz oder lang eine Kataftrophe eintreten müſſe.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789, 651
Ein leiter Verfuch, der Fabrik und auch den fonftigen Uhrenfabineten
aufzubelfen, war die Errichtung eines Uhrenkomptoirs, wozu man den
Juden Levi Bodenheimer veranlafßte, 1) nachdem man fich vergeblich
bemüht hatte, ein Schweizer Uhrenkomptoir hierher zu ziehen. Wie fehr
auch fonft der Regierung daran gelegen war, die Uhreninduftrie in
Pforzheim vor dem Untergang zu bewahren, zeigt der Vorſchuß von
6000 Gulden, den fie im Januar 1802 den gefchieteften Uhrmachern
der Stadt (jo namentlih an Schmidt und Stähly) gegen die nöthige
Sidyerheit Teiftete. 2) War dur alle diefe Mafregeln auch für den
Augenblid geholfen, fo begann neues Mißgeſchick in Folge des Wieder—
ausbruchs des Kriegs 1805, und als gar am 15. März 1806
Marehal ftarb und mehrere der Kapitalien, die auf die fürftlichen
Kreditbriefe hergeliehen worden waren, aufgefündet wurden: fo entſchloß
man fi zum Verkauf der Fabrik, nachdem fich in der Perfon des
an derfelben beſchäftigten Nemonteurs Heinrih Caſimir Dürr ein Lieb-
baber dazu gefunden Hatte. Um die geringe Summe von 5000 fl,
die er anbot, erhielt er am 7. Juni 1808 das ganze Geihäft fammt
Waarenvorräthen, Material, Werkzeugen, Fabrifeinrichtungen, Handels:
Aktiven und Paffiven ꝛc. Die auf der Fabrik noch baftenden Schulden
von 17,000 Gulden übernahm die Herrſchaft. Der Hofmann’ichen
Wittwe wurde eine jährlihe Benfion von 800 Gulden ausgefeht, die
fie auch bis zu ihrem im Jahr 1823 im Alter von 83 Jahren er:
folgten Tod bezog. Seit 1775 waren von Eeiten der Herrſchaft im
Ganzen nicht weniger als 48,306 fl. 2 kr. auf diefe Uhrenfabrif ver:
wendet worden, „Wenn man aber,“ fo heißt es in einem fürftlichen
Kammerprotofoll vom 19. März 1808, „in Erwägung zieht, daß
eben diefe Uhrenfabrik die Veranlafjung zu verjchiedenen andern Etab:
liſſements in Pforzheim gegeben hat, wodurch die Stadt und Gegend
I) gegen das Verſprechen, daß ihm, nachdem ihm die Errichtung einer
Bijouteriefabrit abgeichlagen worden war, ipäter geftattet werben würde, fich
mit einem riftfichen Unternehmer zu affeciren, wenn er keine iſraelitiſchen
Arbeiter verwenden wolle,
2) Der Obervogt Baumgärtner hatte 17,200 fl. zu dieſem Zwecke ver:
langt; allein ber fürftl, Geheimerath erflärte, wegen ber Koften, welche der
Tod des Erbpringen (Karl Lubwig + 16. Dez. 1801 zu Arboga in Schweden)
und bas große Gewäfler verurfacht hätten, nicht mebr als 6000 fl. aeben zu
Tönnen,
652 Achtzehntes Kapitel. Mforzheim von 1746—1789,
und deren Induſtrie ungemein zugenommen bat, fomwie audh mittelbar
bie berrichaftlihen Kaffen offenbar auf andern Wegen beträchtlich ge—
wonnen haben: fo wage man zu behaupten, daß der hier nachgewiefene
direkte Kaffenverluft dur jene größern Vortheile mehr als binlänglich
aufgewogen fein dürfte.“
Die Uhrenfabrik, jest Privateigentfum , wurde nunmehr au aus
ben bisher inne gehabten Lokalititen im ehemaligen Waifenbaus ver:
legt, und zwar in das Hintergebäube des jeht Schreiner Veyl'ſchen
Haufes. Noch einige Jahre friftete fie ihr Dafein, bis endlich ber
Eigenthümer Dürr es für gerathener fand, das Gefhäft, das haupt-
fächlich wegen der Konkurrenz der Schweizer Uhren nicht wieder im
Flor kommen wollte, gänzlich aufzugeben, feinen Wohnfik nad Karls:
ruhe zu verlegen und dort fi) einfach als Uhrmacher aufzutfun. Auch
bie Heinern Kabinete, die damals noch beftanden und ſich hauptfächlich
mit Anfertigung von Uhrgehäuſen befaßten, hörten nah und nah auf.
So endete ein Induſtriezweig, der in Pforzheim mit fo großen Hoff:
nungen begonnen worden war.
e. Weiterer Fortgang der berrfchaftliden Stahlfabrik.
Berkauf derſelben. Entftebung neuer Kabinete,
Befiern Fortgang nahm die Stahlfabrit unter der Leitung von
Autran und Aber. An einem Bericht, den der geb. Nath Reinhard
unterm 23. Juli 1770 darüber erftattete, beißt e8 u. U: „Bei Autran
und Ador gehet Alles in der Heften Ordnung. Man arbeitet in einer
angenehmen Stille und dech fleißig. Noch 3 Monate hat man zu
thun, um die beftellte Arbeit zu verfertigen. Die Correfpondenz zeigt,
dak man mit den verfandten Waaren und reifen fehr zufrieden ift,
indem immer neue Veitellungen gemacht werden. Die im Lande ge:
zegenen Urbeiter, wozu man allerhand verborbene Handwerksleute
nimmt, formiren fi) fehr wohl, und die Kehrlinge aus dem Waifenhaus
und der Etadt nehmen über alle Hoffnung zu bdergeftalt, daß man m
Kurzem verfchiedene Engländer wird entlafjen können, wenn fie nicht
bleiben wollen. Die Gelder von den Kunden gehen ordentlih ein,
die Vorſchüſſe, fo an die Arbeiter gefchehen, vermindern ſich täglich, und
man bat nicht mehr nöthig, ihnen neue zu machen“ x. Zur Ausbeh—
nung des Waarenabfages, der bisher Hauptfählih nah Fraukreich und
Achtzehnter Kapitel. Pforzheim von 1746— 1789, 653
der Schweiz gegangen war, unternahm Autran noch im Jahr 1770
eine größere Reife über Augsburg und? Münden nad Wien, Prag,
Dresden, Leipzig ꝛc. und erhielt bei diefer Gelegenheit jo zahlreiche
Beftellungen, daß eine Erweiterung der Fabrik durdaus nothwendig
erfhien. Zu diefem Behufe erfolgte aus Staatsmitteln ein abermaliger
Zuſchuß von 10,000 Gulden, weitere Summen wurden bei eintretendem
Bedürfniß in Ausficht geftellt und überdies der Fabrik bei dem Bankier
Fran? in Straßburg ein Kredit von 1000 Louisdors eröffnet.
Auch in den folgenden Jahren geftalteten fich die Verhältniſſe der
Stahlfabrit immer günftiger. „Sie befteht im Segen,” fo berichtet
Reinhard unterm 25. Januar 1771, „fie nimmt täglih zu, weil fie
immer neue und fchönere, auc immer wohlfeilere Waaren liefert, mit
Vorſicht, Klugheit und Ordnung ihre Handlung führt, Jederman mit
ihren Waaren und reifen zufrieden ift, die Lehrlinge täglich) befier
werden, die Arbeiter fi mehr perfeftioniren, fleißig arbeiten, ihre
Schulden bezahlen, ja zum Theil fchon vorzufparen anfangen.” Noch
in demfelben Jahr wurde für die Fabrik eine neue Poliimafchine ans
geihafft. Gleich günftigen Fortgang nahm das Gefhäft in den folgen:
den Jahren, obgleich dasfelbe 1773 durch den Fall des Handlungs:
hauſes Truite et Dan in Berlin nicht unbedeutenden Verluft erlitt und
in Pforzheim jelber nady nunmehr fechsjährigem Beftehen der Fabrik
die Bezahlung des Verdienftes an die Lehrlinge und der Haus: und
Fabritmiethe ihren Anfang nahm und die Unkoften auch fonft, wie
3. B. durch Anfhaffung einer zweiten Polirmafchine, fich mehrten, In
welchem Umfang bereits in diefem Jahr (1773) Gefchäfte gemacht
wurden, mag der Umftand beweiſen, daß der Rechnungsrath Jäger—
jchmied, der mit Aufftellung des Anventars beauftragt war, unterm
27. November 1773 berichtete, er könne feinem Auftrage wegen der
vielen Beitellungen, welche die Hauptperfon Ador beforge, nicht nach—
fommen. Längere Zeit müfle Tag und Nacht gearbeitet werden, um
ben Beftellungen namentlich aus Berlin, Königsberg und Niga zu ges
nügen. Reifen finde man gar nicht mehr für notbwendig, weil genug
Wege zum Abfah offen feien ꝛc. — Die Zahl der Arbeiter war nad
und nad auf nahezu 300 geftiegen. Im folgenden Jahr (1774) er:
hielt das Geſchäft einen fehr tüchtigen Buchhalter in der Perſon des
ob. Joſ. Bujard, (geboren zu Riez in der franzöftfchen Schweiz
am 22. November 1751, + 2. Februar 1816).
654 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789.
«
Finen wichtigen Wendepunkt in der Gefchichte der herrichaftlichen
Stahlfabrit (mie fie immer nody heißt), brachten die Jahre 1775 und
1776. Weil diefelbe, und zwar hauptſächlich durd die Bemühungen
der Unternehmer Autran und Ador, fo fehr in Flor gelommen war,
jo verlangten die beiden letztern größere Vortheile für fich felber, die
ihnen von der Regierung zwar großentheils, aber doch nicht in ihrem
ganzen Umfange bewilligt wurden. Damit aber nicht zufrieden kün—
digten Autran und Ador im Juni1775 bie fernere Füh—
rung der Fabrit auf. Um jeder Störung im Betrieb bes blühen:
ben Geſchäfts zuvorkommen und dasfelbe unter allen Umſtänden zu
erhalten, trat der Markgraf Karl Friedrich — gegen feine fonftigen
Grundſätze — felber ing Mittel, Die Fabrik wurde auf herrſchaft—
liche Rechnung übernommen, ihr in der Perfon des Rechnungsraths
Jägerſchmied ein Direktor gegeben, diefem eine Stahlfabrik-Kommiſſion,
beftehend aus dem geh. Rath v. Edelsheim und Hofratd E. Maier, an
die Seite gefett, und ihr der Auftrag ertheilt, an alle Gefchäftsfreunde
raſch Girculare zu erlaffen, worin denfelben mitgetheilt wurde, daß fie
fih in allen Gefchäftsangelegenbeiten, in Aktiven und Paſſiven, nur an
Jägerſchmied und deſſen Handkhrift Halten follten, für welch letztere der
Markgraf zu haften ſich verbindlich made, Es Tag nicht im der Abficht
Karl Friedrichs, die Fabrik auf die Dauer auf herrihaftliche Rech—
nung weiter führen zu laſſen, fondern nur fie einftweilen zu erhal:
ten und bei günftiger Gelegenheit zum Verkauf zu bringen, da das
Unternehmen bereits hinreichend auf fichern Füßen ftehen konnte, um der
Unterftügung von Seiten des Staates nicht mehr zu bedürfen, Ein
Käufer, und zwar der allergeeignetfte, fand ſich auch bald im der Ber:
fon Adors felber (der indefjen bereits ein anderes Gefchäft gegründet
batte) und ging 1778 die ganze Fabrik um eine entiprechende Kaufs
ſumme an ihn über. Mie fehr der Markgraf deffen Verdienfte um bie
Hebung desielben anerkannte, beweist die an Ador erfolgte Verleihung
de8 Titels eines Kommerzienrathe.
In welcher Weiſe fih Autran, der erfte Begründer der jetigen
Pforzheimer Hanptinduftrie, nad) feinem Austritt aus der Keitung ber
herrſchaftlichen Stahlfabrif befchäftigte, vermag ich nicht zu fagen, da
die Akten, woraus diefe Darftellung der Gefchichte der Pforzheimer
Bijouterie geichöpft find, hierüber nichts enthalten. Er fcheint bei ſei—
nem Austritt bedeutende Entſchädigungsforderungen gemacht zu haben,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 655
und wurde ihm auch eine anfehnliche Summe ausbezahlt. Im Jahr
1781 kam es zwilchen ihm und Kommerzienraty Ador zu verdrüß:
lihen Händeln, die im verfchiedenen Anfchuldigungen ihren Grund
fanden, welde Autran gegen Ador vorbradhte und die fogar zur vor:
übergebenden Verhaftung Beider führte. Ador wußte fich aber gläns
zend zu rechtfertigen, und Autran fcheint bald darauf Pforzheim gänzs
lich verlaffen zu haben und in fein Vaterland zurückgekehrt zu fein.
Noch einmal begegnen wir ihm im Jahr 1798, aber nicht mehr ala
Fabrifant, ſondern als — Magazinverwalter der franzöfifchen Alpen-
arme. Damals erhob er nachträglich noch Geldforderungen an die
badifhe Megierung wegen der frühern Führung der herrichaftlichen
Fabrik zu Pforzheim, und es gelang ihm auch, noch 460 Lonisdors
zu erprefien, worauf er allen meitern Anfprüchen entfagte. Im Ganzen
hatte er 40,000 Franken erhalten. Was ſpäter noh aus Autran
geworden, weiß ich nicht.
In der erften Zeit, da die Stahlfabrik mit herrfchaftlichen Geldern
betrieben wurde, ſah man fie fo an, als ob fie im Befik eines Mono»
pols wäre, obgleich ihr ein folches nie ausdrücklich ertheilt worden war,
Jetzt aber, da der Beweis geliefert war, daß die neue Induſtrie in
Pforzheim nicht nur ſich als Tebensfähig erwics, fondern auch zu weite
ver fröhlicher Entwicklung gegründete Hoffnung gab, jet fuchte man
das Entftehen weiterer Gefchäfte zu begünftigen, um der Gewerbthätig-
feit eine immer größere Ausdehnung zu verihaffen. Schon im Jahr
1776 finden wir neben der herrichaftlihen Fabrik 13 felbftftändige
Kabinete, die theild von bisherigen Arbeitern der Stahlfabrik, theils
von Pforzheimer Einwohnern, theils von eingewanderten Franzojen ges
gründet worden waren. Die Namen bdiefer früheften Pforzheimer
Fabrikfirmen mögen bier ftehen: Mergery, Jaques Nie, Trumeau,
Will. Fletscher, Pierre Lartique, Grg. Chasmore, Joh. Fr. Gerwig,
Jaq. Fred. Benevet, Joh. Conrad Hofmann, Dan. Huguenin, Joh.
Kalb,. Jean Louis Escuyer, Malice und Sandoz. Im folgenden
Jahr 1777 war die Zahl fämmtliher Kabinete (Golds und Stahl:
waaren und Uhren) bereit auf 21 yeftiegen.
Die Waaren, welche alle diefe Kabinete lieferten, mußten um fo
ausgedehnteren Abſatz finden, als man es in Pforzheim vortrefflich ver:
ftand, fih dem Geſchmack, wie er fih im Lauf der Zeit änderte, im—
mer wieder anzubequemen. Statt der einfachen Stahlwaaren fam noch
656 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746 -1789.
in den 1770ger Jahren, wie ſchon erwähnt, nad und nad die Stahl«
bijouterie auf, bis ſpäter das edle Metall das uneble ganz verdrängte,
Man befafte fi nebenbei mit Schleifen und Schneiden von edeln Stei-
nen, man lieferte Arbeiten aus Elfenbein und Perlmutter (darin zeichnete
fich namentlich die Rheinboldt'ſche Fabrik aus), und wußte aus den beiden
legtern Stoffen durch Schneiden, Biegen ꝛc. Darftellungen von erhöhtem
Laubwerk und von Iandfcheftlichen Gruppen bis zum Meinen Maßſtab
eines Ringes zu Stande zu bringen. Wir dürfen uns darum nicht
wundern, wenn die Pforzheimer Waaren bald in ganz Europa ver:
breitet waren und die Umſatzſumme bderfelben bereits fidy auf viele
Tauſende belief.
f. Einführung der Goldkontrole, Weitere Entwidlung
der Pforzheimer Bijouteriefabrifation.
Noch vor dem Verkauf der berrihaftlichen Fabrik hatte der Mark:
graf, um den Kredit der Pforzheimer Fabrikation, foweit fie fich auf
Verarbeitung des Goldes bezog, immer zu heben, den Entſchluß ges
faßt, bezüglich des Goldgehalts der Waaren, welche in Pforzheim ges
fertigt wurden, fefte Beftimmungen zu treffen und behufs ftrenger
Beobachtung derfelben eine Controle einzuführen. Dies gefhah unterm
13. September 1777. Wir tbeilen die desfalls erlafjene Verordnung
wörtlih mit:
„Sleihwie wir von jeher auf den Wohlftand unferer lieben Unter:
tbanen mit Beförderung des Flors von ihren Commerzien und vor—
nehmlih auf die Vervolllommnung unferer zu Pforzheim etabfirten,
von uns gnädigft privilegirten Stahl- und Uhrenfabrik den vorzüglichiten
Bedacht genommen haben, alſo finden wir und zu diefer unferer landes⸗
väterlichen Abficht näherer Erreihung, was insbefondere die Vermeh—
tung des Kredits bei diefer Stahl: und Uhrenfabrit, fowie die fonft
in unferer Stadt Pforzheim fich niedergelaffenen Arbeiter betrifft, in
Anfehung des Goldes gnädigft bewogen, zu verordnen: |. Daß in
Stahl» und Uhrenfabriten und von den Stadtarbeitern fein maſſives
Gold unter 18 Karat und Fein überlegtes Gold unter 14 Karat ver-
arbeitet werden dürfe bei Zuchthausftrafe und weiterer Strafe ber
Konfisfation. 2. Der Kontroleur fol die Waaren von vorfchrifts
mäßigem Gehalt ftempeln. 3. Alle maſſiv- und überlegt goldenen
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 657
Waaren follen die Arbeiter dem ontroleur zum WProbiren und
Stempfeln vorlegen und bei obiger Strafe keine ſolche Waaren ohne
Probe und Stempfel verkaufen. 4. Der Gontroleur darf zu jeder
Zeit und foll wöchentlich wenigſtens 2 Mal die Werkftätten befuchen
und die vorräthigen Waaren probiren. 5. Bei der Strichprobe darf
nur 1/, Karat am vorgefchriebenen Gehalt fehlen; ſcheint aber 1/, Ka=
rat zu fehlen, jo bat der Gontroleur die Feuerprobe damit worzuneb:
men und über den bier befundenen vorfchriftswidrigen Gehalt ſogleich
bei Dberamt die Anzeige zu machen. (Es wurde ihm darüber ein be
fonderer Eid zu ſchwören auferlegt.) 6. (Betrifft die Unterſuchung der
damals vorräthigen Waaren.) 7. Controfgebühren: für Kleine 1—4
Deniers haltende Waaren 8 kr., für ein Stüd von 4—8 Deniers 12
fr., von 11,—2 Unzen 54 fr, von 2 Un. 4 Den. 58 fr., von 3
Un. 6 Den. 1 fl. Ar. (Die Stahlfabriktommiffion traf unterm 31.
Dezember mit dem Gontroleur einen gütlihen Vergleih, wornach fie
für alle Waaren unter 1 Unze eine ermäßigte Tare bezahlte.) 8. Für
Goldblättchen auf Stahl und Kupfer fol jeder Arbeiter, die Lehrlinge
ausgenommen, dem Gontroleur monatlih 30 tr. bezahlen; doch ſteht
beiderfeits frei, eine fonftige Uebereinkunft für fich hierüber zu treffen.
Diefe ontrolverordnung wurde in bdeutfcher und franzöfiicher
Sprache den betreffenden Kabinetmeiftern publicirt, (fo hießen zuerft die
Vabrifanten felber; fpäter (1786) wurde ihnen geftattet, fich zum Un—
terichied von den Privatarbeitern Kabinetsentrepreneurg zu nen
nen, eine Bezeichnung, die jpäter mit: Fabrikentrepreneurs ver
taufcht wurde), Mir finden ihrer (alfo 1777) in den Alten folgende
verzeichnet: Ador, Gold» und Stahlwaarenfabrit, Bijoutier Mer:
gery, Bijoutir Trumeau, Goldarbeiter Hofmann, Goldarbeiter
Dunft, Goldarbeiter Metzger, die Graveure Lartique, Carron
und Sandoz, die Stablarbeiter Fletſcher, Cashmor, oh. Ger:
wig, Ab. Kiehnle in der Au, Panel der Engländer, Ad. Kölliſch,
die beiden Neubäufer, Gebauer, die herrſchaftliche Uhrenfabrif,
die Ührgehäufemaher Müller und PVilleneuve. Als Controleur
wurde der Juwelier Bierordt mit einem Gehalt von 300 fl. und
ben Gontrolgebühren beftellt. 1) Lebtere wurden auf Antrag des Ober:
1) Er war vorher in England gewefen, heiratete 1779 die älteſte Tochter
des Poftmeifters Beder, baute 1787 ein eigenes Haus, wozu er von ber
Pilüger, Porzpeim, 42
658 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 4746— 1789.
amts, welches darin ein Mittel erblidte, die fremden Fabritanten, die
meift nur mit fleinem Vermögen arbeiteten und was fie verdienten,
audy wieder durchbrachten, in Pforzheim feitzubalten, im folgenden Jahr
auf die Hälfte ermäßigt und Vierordt als Entſchãdigung von der Regies
rung die Summe von 10 fl. ausgeworfen. Im September 1778
vereinigten ſich ſämmtliche Fabrifanten dahin, dem Gontrofeur jtatt der
befondern Gontrolgebühr ein Averfum von ebenfalls 150 fl. auszubes
zahlen: eine Summe, die bei jpäterer Ausdehnung der Induſtrie auch
zunahm und 1788 beifpielmeife 500 Gulden betrug.
Bezüglich des Goldgehalts der Waaren, die nad) der Sontrolordnung
18karätig fein ſollten, trat noch im Jahr 1778 eine Veränderung ein, zu
der die fchlechten Geſchäfte, welche die Kabinete damals vorübergehend
machten, Veraufafjung gab. Die Fabrikanten Lartique, Metger und
Trumeau waren um die Grlaubniß eingefommen, verſchiedenen Waaren
einen Gehalt von nur 14 Karat geben zu dürfen, und das Dberamt
Obervogt Wielandt) hatte diefes Geſuch damit unterſtützt, „daß der
Nahrungsitand alle Tage ſchwerer werde, die Armuth groß fei und der
fonft in Blüte geftandene Wohlſtand der Fabrikanten fo zu welfen be=
ginne, daß ihr Umſturz nur zu geſchwind erfolgen könne und alle
ſchillichen Mittel erforderten, fie aufrecht zu erhalten.” Daraufhin wurde
von ber Negierung geftattet, auch 14karätige maffive Soldwaaren , als
Berloques und Uhrenketten, zu machen, und diefe Erlaubniß wurde
unterm 6. Juli 1780 Bis auf Weiteres aud auf Uhrgehäuſe, Stod:
nöpfe, Etuis, Bracelets, Ninge, Dofen ꝛc. ausgedehnt, jedoch unter der
Bedingung, daß der Controleur dies auf den Waaren ausdrücklich
bemerken müſſe und nur auf 18karätige den Stempel ſchlagen dürfe.
Wie durch ſorgfältige Handhabung der Controle, ſo ſuchte man
auch durch andere Mittel den Kredit der Pforzheimer Fabriken zu
heben, Falſchungen und Veruntreuungen einen Riegel vorzuſchieben und
den Fabrikunternehmern jede thunliche Begünſtigung zuzuwenden. So
wurde unterm 3. Februar 1779 verfügt, daß bei ſchwerer Leibesſtrafe
kein Fabrikarbeiter in feiner Wohnung arbeiten dürfe, ebenſo ſolle
kein Kabinetmeifter ohne befondere Erlaubnig an einem andern Orte,
Herrihaft um ermäßigten Zins 3000 fl. vorgeihoflen erhielt und ftarb 1789,
worauf feine Wittwe den Dienft erhielt und ihn fpäter mit Hilfe eines Sob:
nes fortführte,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789, 659
als in feinem Kabinet arbeiten. Wohl aber war geftattet, nach ordent:
lich genommenem Abjchied von dem einen Kabinet fi) an ein anderes
zu wenden. Aehnliche ſcharfe Beftimmungen ergingen im Jahr 1784.
Sp wurde feitgefeßt: 1. Niemand ſoll Gold an Kabinetmeiſter ver:
Kaufen und Niemand Gold erfaufen, welches nicht vorher die euer:
probe paffirt hat und controlixt it. 2. Alle Kabinetmeifter und auf
eigene Rechnung Arbeitenden ſollen mit einem Eid belegt werden, fein
Gold zu verkaufen, welches nicht, ſowie es zu Blech oder Draht for:
mirt worden, im euer probirt und controlirt ift. (Auf erhobene Ein-
wendung der Fabrikanten wurden diefe beiden Artikel 1786 in folgen:
der Weiſe abgeändert: Der Einkauf des probirten und nicht probirten
Goldes wird freigegeben ; das Gold darf aber nicht, ohne im euer
probirt und auf den gehörigen Gehalt gefeßt zu fein, verarbeitet werden ;
ber Eontroleur foll prüfen und die gebaltwidrigen Arbeiten zur Kon:
fisfation und ſchweren Beitrafung der Arbeiter anzeigen; ebenfo foll er
die Goldſtücke in den Kabineten von Zeit zu Zeit probiren ; die Juden
bürfen mit Gold handeln, aber bei ſchwerer Strafe feines einjchmelzen.)
3. Die donblirten Waaren follen mit einem D marfirt werden. (Zuſatz
von 1786: Uhrſchlüſſel, Berlogues u. dergl. Heinere Waaren follen nur
von Gold gemacht werden). 4. Zu allen goldenen Arbeiten joll Gold:
ſchlagloth zum Löthen genommen werden, und zwar Fein geringeres
als von 8 Karat Gehalt. Damit aber dennoch die Stüde den vor:
fchriftsmäßigen innern Gehalt befommen, fell fo viel feines Gold zu:
gefeßt werden, bis jene durch das Schlagloth entjtandene Gehaltsver:
minbderung wieder ausgeglichen ift und die Stüde den aufgeprägten
Gehalt auch wirklich in ſich enthalten. (Dagegen wurde Cinfpradye
erhoben, weil «8 nicht möglich fei, folder Beitimmung nachzukommen;
diefelbe fand aber keine Berüdfichtigung, weil die Ador'ſche Fabrik ſchon
lange diefe Vorichrift befolge. Es ſei zwar geftattet, auch zu 16 Karat
zu arbeiten; jedoch müſſe die Controlzahl 16 darauf ftehen, wie 14 auf
ben 14karätigen Waaren, aber ohne fürftlihes Wappen.) 5. Gold:
controleur Vierordt darf mit Gold handeln und probirtes und contro-
lirtes Goldblech und Golddraht verkaufen.
Schon 1776 waren fümmtlihe für fih arbeitende Fabrikanten
um Befreiung vom Pfundzoll eingelommen; es wurde jedoeh dem
Geſuch nicht ftattgegeben. Zehn Jahre fpäter jedoch zeigte fich Die
Regierung auf bevorwortenden Bericht bes Be en bin
660 Achtzehntes Kapitel. Piorzbeim von 1746—1789,
geneigt, den Kabinetsentrepreneurs größere Freiheiten zu bewilligen, und
es wurde deshalb unterm 2. Februar 1786 verfügt, daß denfelben, fo
lange fie ihr Gewerbe trieben, die Freiheit von Kopf:, Bürger: und
Gewerbeſchatzung, ſowie vom Pfundzoll bei Verkauf ihrer Waaren und
Einkauf der erforberlihen Materialien widerruflich zugeitanden ſei; auch
follen fie Häufer: und Hauspläge fteigern fünnen, ohne daß ihnen gegenüber
vom Auslöfungsreddt Gebrauch gemacht werben dürfe. Wenn fie aber
noch ein anderes Gewerbe daneben betrieben, fo mühten fie von letzterm
die Hälfte der Bürger: und Gewerbefhatung bezahlen. Als würdig
folher Befreiung wurden laut Bericht vom 6. März 1786 erkannt
die Fabritanten: Ador, Lartiqgue, Trumeau, Hofmann und Viala (Uhren:
fabrif), Huguenin und Menabene, Bujard und Hagen, Lutz und Scheuer:
mann, Charens und Baurittel, Gebrüder Kiehnle, Theurer, Baral, —
ferner die Uhrmacher Graf, Kalb und Huguenin,
Gegen die Goldcontrole, wie fie ſeit 1777 eingeführt war, erhob
fi von Zeit zu Zeit von Seiten der Fabrikanten eine Oppofition, die
nad und nad) immer beftiger wurde, ja zuletzt in förmliche Widerjeglich-
feit überging. Unterm 27. März 1788 wurde von den Fabrikanten,
nachdem mehrere derjelben wegen unterlaffener Controle um Geld ge:
ftraft worden waren, der Vorfchlag gemacht, daß Jeder felber contro:
liren, d. b. den Gehalt auf der Waare angeben jolle. Werde darauf
nicht eingegangen, fo möge man die Staatscontrole wenigftens auf die
Waaren befchränten, die für das Inland beſtimmt feien; denn für das
Ausland Habe diefelbe durchaus feinen Werth, da die Käufer mehr
auf den Namen des Tabrifanten, als auf die Controle Rückſicht näh—
men. Auch finde man es für fehr unbillig, daß die Fabrifanten bie
Controle bezahlen müßten und fei der Meinung, der Staat folle fie
tragen. Das Oberamt erflärte ſich jedoch mit diejen Anfichten der
Fabrikanten nicht einverstanden, und es wurde in Folge eines von die
fer Stelle erftatteten Berichts unterm 3. September 1788 von ber
Regierung die Sontrolverordnung von Neuem eingefhärft, bezüglich der
auf Unterlafjung der Controle gefeßten Zuchthausſtrafe indeß die Er:
läuterung gegeben, daß folhe nur dann mit diefer Strafe zu belegen
fei, wenn fie zur Verbreitung unächten und gehaltwidrigen Goldes ge
dient babe, die alleinige Unterlaffung der Controle nur mit einer
nach den Berbältniffen zu beftimmenden Thurm- oder Geldftrafe zu
ahnden fei. Um auf diefen Gegenftand nicht wieder zurückkommen zu
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 661
müflen, ſei bier nur noch in Kürze bemerft, daß die Gontrole unter
vielem Widerſtand, ja Prozeſſen der Fabrikanten noch bis 1827 fort:
dauerte, in diefem Jahr aber eine Menderung der Verhältniffe in der
Weiſe eintrat, daß feither zwar von Staatswegen immer ein Contro—
leur bejtellt iſt, (dermalen Chr. Oechsle, vor ihm feit 1820 nach
dem Tode des jüngern Vierordt deſſen Vater Ferd. Oechsle), der jedes
Stüf Gold, das ihm vorgelegt wird, gegen Entrichtung ber geſetzlichen
Gebühr auf ſeinen Reingehalt zu prüfen hat, Niemand aber verpflich—
tet iſt, dieſe Controle vornehmen zu laſſen.
Es iſt oben ſchon bemerkt worden, daß ſtatt der urſprünglichen
Quincaillerie, auf welche man ſich in Pforzheim zuerſt verlegt hatte,
nach und nach die Stahlbijouterie aufgekommen war, mit deren Fabri—
kation ſich noch 1782 die bedeutenditen Kabinete befaßten, fo die von
Kiehnle, Bujard, Lartique, Trumeau, Baurittel, Lutz, Cachmor, Flet—
cher. Nur wenige Jahre ſpäter, nämlich 1788, Hatten Stahl und
Gold ſich vollftändig von einander getrennt, fo daß wir 3. B. in einem
Verzeichniß, das damals wegen Vertheilung des Gontrolaverfums auf:
geftellt wurde, mur noch Bijonterieentrepreneurs und Bijontiers begege
nen, worunter die Kabinete von Charens (Schwager und Nachfolger
von Ador, der zu Anfang des Jahres 1788 von Pforzheim wegge—
zogen war 1) das Kabinet befand fich im jetzigen Mufeum), Lartique und
Grauel, (Erfterer hatte 1786 Bankerott gemacht, fi aber ſchon 1788
von Neuem etablirt), Kiehnle, Borgnis und Menabene, Bujard und
Comp., Baurittel, Huguenin und Virchaur, Trumeau, Reinbolb,
Dechamps ꝛc. Nebenbei gab es num freilich auch noch Stahlarbeiter ;
doch waren ihre Zahl ſowohl, als ihre Geſchäfte unbedeutend, weil ſich
für Stahlarbeiten von der Art, wie man fie bisher in Pforzheim mit
Gold belegt hatte, gar keine Nachfrage mehr zeigte. Zu Anfang der
1790ger Fahre hatte fich der Geſchmack wieder merklich geändert, klei—
nere Stahlwaaren waren wieder gefucht, fo daß beiipielmeife 1794 eine
Menge von Leuten, viele als Nebenbeihäftigung, fi mit Anfertigung
von Stahlwaaren befaßte. (Wir finden in diefem Jahr deren 34 auf:
1) „Serenifjimus nimmt an feinem Wohlergehen immer wahren Antheil,
da fein Betragen in Pforzheim und feine mit Nugen für dieſe Stabt ver:
bunden gewefene ſehr geſchickte Inbuftrie immer Ihre größte Zufriedenheit und
gnädigſte Rüdfihtsnahme auf alle Zeiten fidh erworben habe,“ fo heißt es im
Geheimeratbsprotofol vom 3. März 1788,
662 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
gezählt.) In der Folge jedoch nahm dieſer Induſtriezweig wieder im:
mer mehr ab, weil die Stahlarbeiten ganz aus der Mode kamen, fo
daß 1800 der Obervogt Baumgärtner berichten Tonnte, die Stahl:
waarenfabrifation fei fo weit gefunken, daß die wenigen noch vorhande—
nen Arbeiter faum das liebe Brod verdienten und mit Notb dem Bettel
entgingen, fo daß ihnen nidyts Anderes übrig bleibe, als fih ebenfalls
auf die Dijonterie zu legen, was fie auch meiftens thäten. Die Dumm:
caillerie theilte alfo in Pforzheim zuletzt das Schickſal der Uhrenfabri—
fation, mit dem Unterjchied, daß letztere in Pforzheim ganz ohne Er:
folg einging, während fih aus jener die Bijouterie groß und glänzend
entwickelte.
Mit dem Ueberhandnehmen der letztern mußten auch einzelne
Zweiggeſchäfte derſelben aufblühen. So finden wir ſchon 1794 befon-
dere Graͤveurgeſchäfte von Batenot, Salomon, Schober, als Email:
leurs: Fage, Maugray u. Comp., Caböne, Arlaud, Fournier, Hafen:
bach und Dörflinger, in der Folge daneben auch Guillocheurs, Golb:,
Glas⸗ und Steimichleifer ıc.
Hatte das Dberamt in Pforzheim unterm 10, Juni 1788 bes
richten können, daß in Pforzheim, feit die Stahl», Gold: und Uhren—
fabrifen aufgefonmen, fi der Wohlftand vermehrt, die Handwerksleute
viel zu thun hätten, die Landleute vermehrten Abſatz fänden u. f. w.,
fo zeigte fih Ende der 80er und Anfangs der 90er Jahre ein merk:
licher Rückgang oder doch Fein Fortfchritt in den Geſchäften, und viele
Kabinete gerietben in fichtlichen Verfall. Wir ftopen deshalb 1793 auf
bittere Klagen der Fabrifentrepreneurs, die wir Übrigens nicht durchaus
als gerechtfertigt erkennen können, da die Urſache des Nüdgangs der
Geſchäfte nicht am gehörigen Orte gefucht wurde. Es fei, fo fagen fie,
für Fabriken, die mit vieler Mühe und großem Aufwand errichtet und in
Gang gebracht worden, ein wahres Unglüd, wenn Leute, die bei ihnen
als Arbeiter gejtanden, aber entweder aus fchändlicher Gewinnfucht (1)
ausgetreten, oder als ſchlechte und nachläſſige Arbeiter oder wegen übler
und brutaler Aufführung von den Fabrifentrepreneurs fortgejagt worden,
oder gar ſolche Leute, die gar nicht vom Metier ſeien, geftattet werde,
daß fie fih an dem Orte oder in der Gegend, wo folcherlei Fabriken
exiſtiren, aufhalten und für fich arbeiten, oder dur Fabrikarbeiter
Waaren, die fie alsdann fo gut wie möglih zu verichließen juchten,
heimlich verfertigen laſſen dürften. Schlechte Waaren, für Pforzheimer
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 663
Fabrikat ausgegeben, bräcdten Mißkredit, trieben die Preiſe herunter ꝛc.,
verlodten zu heimlichen Entwendungen. Daure es jo fort, fo kämen
die guten Fabriken an den Rand des Verderbens. Sie bäten deshalb,
alle heimliche Betreibung zu verbieten und zu verfügen, daß Steiner,
der nicht im Stande fei, eim öffentliches Kabinet anzulegen, Erlaubniß
erhalte, zu fabriziren oder fabriziren zu laſſen. Ja es wurde fogar
von einigen Fabrikanten laut mit Wegzug gedroht, wenn man die Zahl
der Kabinete allzuſehr zunehmen laſſe.
Das Oberamt Pforzheim (Eifenlohr) zeigte ſich mit diefen Anfichten
und Beſchwerden einverjtanden und gab der Negierung den Nath, bie
Errichtung neuer Fabriken zu erichiweren und nicht Jeden anzunehmen.
Anderer Anficht aber war der Obervogt Baumgärtner, der noch im
Sahr 1794 feinen Dienſt in Pforzbeim antrat. Er fand die Urfache
des Zerfalls vieler Kabinete nicht in ihrer Menge, fondern in dem
perjönlichen Verhalten der Befiger. „Die erften Unternehmer,” fo fagt
er in einem damals erftatteten Gutachten, „waren meift Abentheurer,
Franzoſen oder franzöfifche Schweizer, die ſchon in ihrem Vaterland
ſich nicht zum Beten aufgeführt hatten, Diefe Leute waren meift gut
zu leben gewohnt, einem übertriebenen Lurus ergeben, und hatten über:
haupt die Feſtigkeit und Solidität des Charakters nicht, die dazu ges
hört, wenn ein ſolches Geſchäft gedeihen fol. So bald fie fahen, daß
die Sadye ein wenig ging, wie es die natürliche gute Beſchaffenheit
berjelben mit fi brachte, fo wollten fie fogleich die großen Herren
ipielen, abmten die reichen Kaufleute und Fabrikanten in großen Städten
nach, und Gant war ihr gewöhnliches Schickſal. Statt vieler Beifpiele
möge nur das eine von Lartique bier, angeführt werden, der es nad)
Ador am weiteften gebradht hatte, aber aud viel zu früh fich einem
folhen Luxus hingab, daß ein großer Konkurs zum empfindlichen Scha:
den der übrigen Fabriken über ihn ausbrach.“ (Dies gefhah, wie
oben ſchon erwähnt, im Jahr 1786.) Sole Vorkommniſſe auf ber
einen und der Grundſatz der Erſchwerung der Errichtung neuer Fabriken
auf der andern Seite mußte die nothwendige Folge haben, daß die
Zahl der Kabinete ſich verminderte; denn es kamen nad und nad)
manche der Ältern in Abgang und Feine oder nur wenige neue dazu.
Die Zahl derfelben ging z. B. von 1786, dem Konkursjahr Lartiquesg,
der mehrere Hleinere Kabinete in feinen Fall verwidelt hatte, bis zum
Jahr 1787 von 15 auf 8 zurüd, und war bis 1794 nicht wieber
664 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
über 11 geftiegen. Wenn es fo fortging, war der Ruin der ganzen
Fabrikation zu befürdten; denn es durften nur noch wenige der be
trächtlicher Kabinete, wie es fo leicht möglih war, aufhören, fo konnten
die meijten Arbeiter keine Beihäftigung mehr finden, und die Induſtrie
hätte ſich nur ſchwer wieder erholen können.
Baumgärtner erfannte die Gefahr, im welcher fich diefelbe befand
und fuchte auf geeignetem Wege Abhilfe, obgleich ihm von allen Seiten
vordemonftrirt wurde, daß in der Vermehrung der Kabinete der Ruin
der ſchon beitehenden enthalten wäre. Er fand folden Grundfag une
richtig und kleinlich. „Es müfjen,” fo fagt er in dem ſchon erwähn—
ten Gutachten, „nicht lauter große Kabinete fein. Manche Heine werden
groß, und obme jene gibt es diefe nicht. Kür das Auflommen ber
Fabriten muß es Grundfat fein, jeden Zwang und jede Einfchränfung
zu entfernen. Befonders wird e8 auch zum Fortkommen derſelben
gereichen, wenn jeder Arbeiter Hoffnung bat, einen eigenen Heerd zu
gründen und für fidy zu arbeiten, wogegen er mißmüthig werden muß,
wenn ihm diefe Ausficht nicht eröffnet ift* ꝛc.
Für ſolche Anfichten fuchte Baumgärtner den Stadtrath, die Bür-
gerihaft und felbft einige Fabrifanten zu gewinnen, die Megierung
machte fie ebenfalls zu den ihrigen, und die Folge war, daß mit dem
bisherigen Syſtem entfchieden gebrohen und das Entſtehen neuer
Fabriken auf jede Art, felbit durch Vorſchüſſe aus berrfchaftlichen
Kaffen erleichtert wurde. Und der Erfolg? In wenigen . Jahren,
nämlich fchon 1798 war die Zahl der Fabriken von 11 auf 26
geftiegen, hatte fich alfo mehr als verdoppelt, und wenn auch ein:
zelne derfelben wenig gediehen, fo war doch die Anduftrie im
Allgemeinen, troß der Invaſion der Franzofen im Jahr 1796 und
trot des Geldmangels, der eine Erhöhung des üblichen Zinsfußes von
5 auf 6 Prozent zur Folge hatte, in den fchönften Flor gekommen.
Die Arbeiterbevölferung Pforzheims (Arbeiter, Weiber, Kinder) betrug
im Jahr 1798 bereits 724 Köpfe. Der Wochenlohn eines Arbeiters
belief ſich zwiſchen 8 und 30 fl., (während 3. B. ein Wollfpinner in
ber Tuchfabrik kaum 2 fl, verdiente). Zwei der neu entitandenen
Fabriken kamen der größten unter den ältern, nämlich der Kiehnle'ſchen,
faft gleih, und als fi) im Jahr 1799 Bohnenberger, der fih 1792
mit Kiehnle affocırt hatte, von diefem wieder trennte, fo war ein Ge
winn ven 200,000 Gulden zu tbeilen. Darf es und da wundern,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 665
wenn man Pforzheim damals ſchon das „Heine Genf” nannte und
vom weitern Aufihwung der Induſtrie die fchönften Hoffnungen begte?
— Amar übte der 1799 wieder ausgebrochene Krieg einen nachthei-
ligen Einfluß auf dieſelbe. Frankreich und Holland waren für den
Abſatz der Pforzheimer Bijouterie ganz gefperrt, nach anderer Richtung,
wie in der Schweiz und in Italien, lagen Handel und Verkehr dar:
nieder. Doc brachten ſich die Fabriken fort und kam es in Pforzheim,
jelbjt unter den Heinen Gefchäften, zu keinem Bankerott. Der Grund
davon lag hauptfächlic darin, daß man neue Abfasquellen ausfindig
gemacht hatte, namentlich nach Norden über Leipzig und Hamburg, wo
fihh große Niederlagen von Bijouterie befanden, die nad Dänemarf,
Schweden, Rußland und England ging. Diele der größern Fabriken
unterhielten bereits ftändige Meifende, während die Heinern meift für
jene arbeiteten. Die Pforzheimer Goldwaaren, die hauptſächlich in Uhr:
fetten, Halsketten, Ringen und Obrringen, Halsicnallen, Pretenfions,
Berloques und Medaillons beftanden, (größere Artikel, wie Tabaks—
dofen, goldene Etuis ꝛc. wurden nur auf befondere Beftellung verfer:
tigt), hatten bereits einen folhen Grad von Vollkommenheit erlangt,
daß fie den feinjten Pariſer und engliihen Waaren nicht nachſtanden,
ja daß viele derfelben, die nach England gingen, von dort als engliiche
Waaren wieder zurückkamen. Um das Jahr 1800 erreichte der Werth
des in Pforzheim verarbeiteten Goldes, wozu meijt Dufaten genommen
wurden (Lingots anzufchaffen, hielt man nicht für vortheilhaft,) bereits
die Summe von 300,000 Gulden. Erlitten auch manche Fabrikanten
durch die 1799 in Hamburg ausgebrochenen Bankerotte PVerlufte, die
von 6000 bis 20,000 Mark betrugen, jo machte man ſich im Allge:
meinen nicht viel daraus, fondern war frob, daß die Kriſis raſch wieder
ihr Ende erreichte, In den nächſten Jahren (1800—1803) nament—
Ih nad dem 1800 abgeſchloſſenen Frieden von Yiüneville, vermehrte
fid) zwar die Zahl der Fabriken nicht bedeutend (1800 waren «8 ihrer
26), aber die Zahl der Arbeiter nahm fortwährend zu und betrug
1803 ſchon 522, die mit 186 Weibern und 398 Kindern eine Gold:
arbeiterbevölferung von 1097 Seelen bildeten.
Die Inhaber jener 26 Fabriken des Jahres 1800 waren: Charens
(früher Ador), Bujard et Comp. (ſeit 1787), König, Dechamps,
Cassanova, Baurittel (jeit 1791), Hepp, Würz u. Eo., Jakobi, Mad):
let (jeit 1795), Huguenin, Bauer, Kienle u. Co, (jeit 1799), Rhein:
666 Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789.
boldt, Blind, Mezger, Gülich (feit 1798), Urbain, Schober, Yang,
Collin, Fromajer, Zieboldt, Bohnenberger (feit 1799), Dennig (feit
1800), Maler.
Bei den neuen Fabriken, welche nah 1794 ing Leben traten, war
die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht nöthig jei, den betr. Unter:
nehmern irgend eine Prüfung abzunehmen, etwa die Yertigung eines
Probeſtücks aufzulegen. Auf eingeholtes Gutachten bei den Fabrikanten
felber gab das Oberamt 1800 und 1802 fein Urtheil dahin ab, daft
eine ſolche Maaßregel deswegen nicht durchzuführen fei, weil die meiften
Entrepreneurs Feine gelernten Bijoutiers feien, defjenungeachtet aber
ihrem Geſchäft mit vorzüglihem Ruhm und Glück vorftänden, wie
3. B. Büjard, der ein Kaufmann, und Kiehnle, der ein Flözer fei.
Wolle man demnach darauf beftehen, daß nur felden die Erlaubniß
zur Errichtung einer Dijouteriefabrit gegeben würden, welche die Bijoute-
rie förmlich erlernt Hätten und denen alfo nur ein Probeſtück aufge
geben werden könne, fo würde das Fabrikweſen in Pforzheim unfehlbar
fehr verlieren und wahrjcheinlicd noch jchneller wieder berabfinfen, als
es fich emporgehoben habe, denn alsdann käme diefer fchöne Handels:
zweig einzig und allein in die Hände folder Leute, denen es im der
Regel fowohl an binlänglichen Fonds, wie an den erforderlihen Kennt:
niffen für ein fo viel umfafjendes Geſchäft ermangle, und die meiften
Entrepreneurs würden ihr Gefchäft nur ins Seine zu treiben genöthigt
fein und bei weitem der Nuten nicht herauskommen, der fich bei
Betreibung im Großen herausjtelle. — Auf diefen Bericht bin wurde
von der Auflegung einer technifchen Prüfung Seitens der Negierung
Umgang genommen,
Die Geſchichte der Bijouterie, wie fie fih im Iaufenden Jahr:
hundert geftaltete, können wir kurz zufammenfaflen. Waren zu Anfang
beselben die Pforzheimer Fabriken wieder in Blüte gekommen, fo
drohte der ertödtende Froſthauch des Kontinentalſyſtems (Teit 1806) diefe
Blüte vollftändig zu vernichten. Zwar betrug die Zahl der Fabriken
1810 noch 21, in denen von 90 bis herab zu 2 Arbeitern, im Ganzen
420 Berfonen befchäftigt waren, wozu in den Guillocheur-, Emailleurz,
Gold und Glasſchleifer-, Feilenhauer⸗ und mechanifhen Werkſtätten
ungefähr AO weitere kamen, fo daß im Ganzen 900-1000 Menſchen
— ungefähr der fünfte Theil der Bevölkerung — durch die Fabriken
ihr Brod fanden. In Folge des fortdauernden Seekrieges umd der
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789, 667
Vereinigung der Nordieehäfen mit Frankreich wurde indeß der Handel
immer mehr geihwächt, fo daß aud im Pforzheim die Fabriken ihre
Thätigkeit fortwährend verminderten und die Zahl derielben 1812 auf
13 herabgefunfen war, namentlich, nachdem durd die Ginäfcherung
Moskaus mehrere der bedeutensften Waarenabnehmer abgebrannt waren.
Erft nach dem zweiten Pariſer Frieden (1815) blühte die Bijouterie
wieder empor und im Jahr 1816 zählte man wieder 21 Fabriken
mit einem Waarenerlös von etwa 600,000 Gulden und einer Arbeiter:
bevölferung (alſo einfchlieglih der Weiber und Kinder) von I00— 1000
Köpfen,
Eine Reihe von Jahren verging, ohne daß fih die Fabrikation
in befonderm Grade erhob, Erſt in den 1830ger Jahren war dies
mehr der Fall, und 1833 finden wir, wenn auch die Zahl der Fabriken
nicht befonders vermehrt, doch Schon eine Arbeiterzabl von 900 — 1000
Köpfen und einen Waarenerlös von etwa 1 Million Gulden. Big
1838 war die Zahl der Fabriken auf 54 geftiegen. Die 1840ger
Sabre waren der Fabrikation wieder weniger günitig, und gegen Ende
derfelben trat jene verhängnißvolle Krifis ein, welche ‚die Pforzheimer
Induſtrie faft ganz darniederwarf. ine glänzende Epoche begann für dies
felbe in den 1850er Jahren, nachdem namentlich in Amerika ein neues
Abſatzgebiet eröffnet worden war. Die Zahl der Fabriken, ohne die
Zweiggeſchäfte war 1854 bereits anf 82, die Menge der Arbeiter auf
3000-4000 geftiegen. Der Waarenumfaß hatte bei einem jährlichen
Gold-Verbrauch von etwa 60 Gentnern die Höhe von 8 Millionen
Gulden erreicht. Alles das nahm in den folgenden Jahren noch anfehn:
lich zu, und im Jahr 1859 hatte die Menge der Bijouteriefabrifen
und ihrer Zweiggeſchäfte, troß der 1857 eingetretenen Handelskrijis, die
Zahl 206 mit 6000 - 7000 Arbeitern erreicht. — "Näheres über
den neueften Stand der Pforzheimer Goldwaareninduftrie wird weiter
unten folgen.
Heunzgehntes Kapitel.
Vom Beginn ber franzöfifchen Nevolution bis auf die nenefte
Zeit, ')
(1789 — 1862.)
$ 1. Allgemeines.
Das letzte Drittel der Megierungszeit Karl Friedrichs verlief nicht
fo ruhig und friedlich, wie die erften vierzig Jahre derfelben. Doc
durfte der edle Fürft die Freude erleben, fein Land in Folge der aus:
brechenden Kriege, welde der Karte von Europa, namentlich aber
Deutichlands, eine ganz andere Geftalt gaben, anſehnlich vergrößert,
die Zahl feiner Unterthanen bedeutend vermehrt zu ſehen.
Sm Jahr 1789 begann die franzöfiiche Nevolution. Die Natio:
nalverfammfung batte fi die Umgeftaltung aller Staatsverhältnifie
zur Aufgabe gemacht, da die beftehenden Zuftände durhaus morſch
geworden waren. Damit unzufrieden, wanderten außer einem Theil der
Prinzen viele vom Adel und der Geiftlichfeit aus, und Schaaren von
Emigranten überfhwemmten auch die badifchen Lande, um Hilfe und
Rache zu fuhen. Die Grundfäge, welche in Rrankreih zur Geltung
famen, und die beifpielweife auch in einzelnen badiichen Gemeinden
aufregend wirkten, jo daß Karl Friedridy mit Maffengewalt einfchreiten
mußte, die Gefahr, in welcher ſich der franzöfifche Thron befand und
die auch andern Thronen drohte, die Demühungen dev Emigranten:
Alles wirkte zufammen, zwifchen Kaifer Leopold II. bez. Franz II. und
dem König von Preußen, Friedrid Wilhelm II., ein Schutz- und Trut:
bündnig gegen Trankreih für fih und das deutiche Neid zu Stande
zu bringen. Ws aber Frankreich 1792 mit einer Kriegserffärung zuvor
am, fielen die Verbündeten in die Champagne ein und errangen ver:
1) Diejenigen Partien dieſes legten Kapitel, in welden die neuefle Zeit
berührt oder behandelt if, wurden abfichtlih nur kurz gehalten. Die Gründe
bafür find Leicht einzufehen.
Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf bie neueſte Zeit, 669
fchiedene Vortheile. Allein die Preußen wurden durch die freiheite:
trunfenen Franzoſen wieder zum Rückzuge genötbigt, die Defterreicher
bei Jemappes geichlagen, das linke Rheinufer und mit ihm die
Feſtung Mainz ging verloren. In Frankreich felbft erklärte der Nas
tionalfonvent das Königthum für abgefchafft, Frankreih zur Republik
und am 21. Jamnar 1793 fiel da8 Haupt Ludwigs XVI. unter dem
Fallbeil.
Jetzt trat faſt ganz Europa gegen die neue Republik, wo eine
Schreckenszeit begann, in die Schranken. Die Preußen nahmen Mainz,
die Oeſterreicher Brüffel wieder, die Engländer beſetzten verſchiedene
Städte im Süden Franfreihs, im Innern des Landes wüthete der
Bürgerkrieg. Setst griff der Mohlfahrtsausshuß in Paris zum Mittel
ber allgemeinen Vollsbewaffnung. Die Begeifterung und Entſchieden—
beit der franzöfifhen Heere und ihrer Führer auf der eimen, die Un:
einigkeit und die Mifgriffe der Verbündeten auf der andern Geite ver:
Ichafften den Franzofen von Neuem den Sieg. Die Generäle Pichegru,
Jourdan und Hoche trieben die verbündeten Heere am Nhein und in
ben Niederlanden, die im Winter 1794 auf 95 erobert wurden, immer
weiter zurüd, nahmen eine Feftung um die andere und ergriffen vom
linten Rheinufer Beſitz. Der Eifer der Verbündeten erlahmte immer
mehr und ging in Eiferfucht über, und alle Glieder der erften Koali—
tion gegen Franfreih, Defterreih und England ausgenommen, dachten
um fo mehr an Frieden, als auch der Sturz der Schredensherrichaft
in Frankreich erfolgt war. Preußen ſchloß 1795 ben Frieden von
Bafel, ein fpäterer Vertrag erklärte ganz Norddeutſchland für neutral,
Den Ober: und Mittelrhein aber deckte noch Defterreih, ıMd verhins
derte die ſüddeutſchen Reichsſtände, dem Beijpiel der norddeutfchen zu
folgen.
Jetzt drangen die Franzofen, die ſchon 1793 Uebergangsverfuche
gemacht hatten, im Juni 1796 unter General Dioreau, 80,000 Mann
ſtark, auf verfchiedenen Punkten zwiſchen Hüningen und Leopoldshafen
über den Rhein, und zum erften Male wurde die Markgraf:
haft Baden der Schauplat des Krieges. Karl Friedrich
floh nad) Anſpach, während fid) die Reichsarmee den eindringenden
Feinden entgegenwarf, bei Raftatt, Menden und Ettlingen aber
geihlagen wurde. Jetzt blieb den Heinern ſüddeutſchen Fürften nichts
übrig, als dem Beifpiel Preußens zu folgen. Karl Friedrich ſchloß
670 Neunzebntes Kapitel. Pforzbeinı von 1789 bis auf bie neuefte Zeit.
mit Frankreich zuerft einen Waffenftillftand, dem am 22, Auguft 1796
ein Separatfrieden folgte. Die Abtretung aller feiner Iinfsrheinifchen
Befitungen und das Eingehen noch anderer Bedingungen, das nur bie
gebieteriiche Nothwendigkeit entfchuldigen Fonnte, waren der abgedrungene
Preis des Friedens.
Unterdeffen waren die Franzoſen unter Moreau in Baiern ein:
gedrungen, Jourdan hatte vom Niederrhein ber feinen Weg ebenfalls
dahin gefunden, und von Stalien aus machte ein anderer fühner und
unternehmender General, Napoleon Bonaparte, der die Lombardei
erobert hatte, Veranſtaltung, den beiden andern franzöfiichen Feldherrn
die Hand zu bieten. Aber Jourdan wurde von Erzherzog Karl in
drei Schlachten geichlagen, und fein Heer eilte in wilder Flucht, von den
Landbewohnern noech vielfach beihädigt, dem Rheine zu. Moreau bes
werfitelligte nunmehr einen meifterhaften Nüdzug und gelangte, von
Erzberzog Karl zwei Mal gefchlagen, in der Nähe von Bafel über
den Rhein. Während defjen aber erkimpfte Bonaparte neue Siege in
Stalien und drang im Frühjahr 1797 durch die Alpen gegen Wien
vor, während franzöſiſche Heere wiederum den Rhein überjchritten.
Jetzt Schloß Defterreih mit Opfern den Frieden von Campo Formio
und ein Kongreß zu Raſtatt follte den Frieden zwiſchen Frankreich
und dem Meiche fetiegen und andere Verhältniſſe regeln. Da indefjen
während desfelben Frankreich jeine Macht fort und fort erweiterte, fo ſchloß
Defterreich ein neues Bündniß mit Rußland, England und der Türkei,
und erklärte 1799 den Kongreß von Naftatt, der mit der Ermordung
der franzöſiſchen Gefandten endigte, für geſchloſſen, und der Krieg be
gann von Neuem.
In Italien erfocht der ruſſiſche Felbherr Suwarow glänzende
Siege über die Franzoſen, und General Jourdan, der die ſüdlichſte der
drei franzöfiichen Armeen befehligte, welche über den Rhein gegangen
waren, wurde von Erzherzog Karl nad der Schlacht von Stodac zum
Rückzug über den Rhein genöthigt. An Jourdans Stelle drang Maſſena
fiegreih nad Stalten, die Ruſſen wurden von dem Taunifchen Kaijer
Paul I. zurücdgerufen, Bonaparte kehrte aus Egypten zurüd, wohin er
1798 gegangen und errang am 414. Juni 1800 den Sieg von Ma:
rengo. Mit gleichem Glück befiegte Moreau in Deutjhland nad) dem
Nücktritt des Erzherzogs Karl die Defterreicher bei Engen, Meptirch,
namentlich aber bei Hobenlinden, und zwang den Kaifer zum Fries
Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 671
ben von Xüneville, den er am 9. Februar 1801 mit Bonaparte,
damals bereits erftem Konſul der franzöfiichen Republik, abſchloß. In
diefem Frieden wurde der Rhein als Gränze zwifchen Frankreich und
Deutichland feitgefeßt und den deutichen Fürften, die badurd verloren
ober, wie der Markgraf von Baden, fchen früher verloren hatten, Ent:
ſchädigung aus Mitteln des Neichs verheißen. Cine Reichsdeputation
follte diefe Entichädigung feitfeßen, was im Februar 1803 auch gefchah.
Sämmtliche geiftlihe Neiheftände, mit einer Ausnahme, wurden ſäku—
larifirt, d. h. fie hörten zu beftehen auf und ihre Länder wurden andern
zugetheilt; von den 48 Reichsftädten blieben nur nody 6. Der Mark:
graf Karl Friedrich von Baden wurde, theils weil man ihn als Grenz-
fürft gegen Frankreich verftärken wollte, theils um feiner anerkannten
Tugenden willen, zum Kurfürften erhoben und ihm als Enſchädigung
zugetheilt: das Bisthum Konftanz, Theile der Bisthümer Speier,
Baſel und Straßburg, die pfälziihen Aemter Ladenburg, Bretten und
Heidelberg mit den Städten Mannheim und Heidelberg, die Herrichaften
Lichtenau und Lahr, die Abteien Schwarzach, Frauenalb, Allerheiligen,
Lichtenthal, Gengenbach, Ettenheimmünfter, Petershaufen, Reichenau,
Dehningen, Schuttern und Salem, das Stift und die Probjtei Oden—
beim, die Reichsſtädte Offenburg, Gengenbach, Zell, Ueberlingen, Pful-
lendorf und die fpäter wieder ausgetaufchten Biberach und Wimpfen,
Diefe neuen Erwerbungen umfaßten beinahe 62 Duadratmeilen mit
über 250,000 Einwohnern, während die Abtretungen nur 19 Quadrat:
meilen mit 65,000 Einwohnern betragen hatten. Das neue Kurfürften-
thum Baden war nunmehr 113 Quadratmeilen groß und zählte
450,000 Bewohner.
Nod war Karl Friedrih mit der Organifation feiner neuen Ran:
destheile befchäftigt, als 1805 der Krieg der dritten Koalition ausbrad.
Oeſterreich Hatte fih mit England, Nufland und Schweden gegen
Frankreich verbündet. Napoleon, feit 1804 Kaifer der Franzofen, drang
raſch in Deutihland ein, nahm bei Ulm den öfterreichiichen General
Mad mit feinem Heer gefangen, verfolgte feinen Sieg bis Wien und
erfoht am 2. Dezember 1805 über das vereinigte öfterreichifcheruffifche
Heer den Sieg von Aufterlig, defien Folge der Frie de von Preßs
burg war. Zum erften Mal waren in diefem Krieg die badiſchen
Truppen, an 3400 Mann ſtark, unter dem Befehl des Generalmajors
von Harrant, mit den Franzofen zu Felde gezogen, da Napoleon nur
572 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
zwifchen Anſchluß und Verderben die Wahl gelafien hatte Sie nah:
men aber an den eigentlichen Kriegsereignifien feinen Theil, fondern
wurden bauptfählich zum Xransport ruſſiſcher Kriegsgefangenen ver:
wandt. Der Friede von Preßburg brachte Baden neuen Zuwachs an
Ländern, nämlich den Breisgau, die Ortenau und die Stadt Konftanz.
Am 12. Juli 1806 erfolgte die Gründung des Rheinbundes,
dem 16 bdeutiche Fürſten, darunter der Kurfürjt von Baden, unter dem
Proteftorat Napoleons mit vollem Souveränitätsreht und erhöhter
Würde beitraten. Durd ihre Losfagung vom deutſchen Meichsverband
hatte ein deutſches Reich feinen Sinn mehr und wurde ein ſolches aud
von Franfreih nicht mehr anerfannt, Franz II. legte darım am 6.
Auguft 1806 bie deutſche Kaiferfrone nieder und erklärte fich zum
Kaifer von Defterreih. Das war das Ende des deutſchen
Reichs. Karl Friedrich erhielt den Titel eins Großherzogs,
nachdem er die Königswürde abgelehnt hatte. Durch die auf Napo—
leons Gebot erfolgte Mebiatifirung verfhiedener kleinerer Reichsſtände
erhielt Karl Friedrih die Souveränität über den größten Theil der
Lande des Fürften von Fürftenberg, des Fürften von Leiningen und die
gräffihen Aemter, über die Beſitzungen von Löwenſtein-Wertheim am
linken Mainufer und die des Haufes Salm-Krautheim⸗Reiferſcheid am
rechten Ufer der Jart. Dazu kamen Heitersheim, kleinere württem-
bergifche Bezirke, zwei Deutichordenstommenden ꝛc. Das nunmehrige
Großherzogthum Baden umfafte nach folhem Zuwachs etwas über
249 Duadratmeilen mit 900,000 Einwohnern, deren Zahl 1808 bes
reits auf 924,000 geftiegen war.
Dem Großherzog Karl Friedrih wurde durch den neuen Länder:
anfall die Pflicht ordnender und gefeßgeberifcher Thätigfeit wiederholt
auferlegt. Darım regelten namentlich fieben Konftitutionsedikte die
tirchliche Verfaffung, die der Gemeinden, der Staats: und Grundherrn,
das Lehenswefen, die Verfafjung der verfchiedenen Stände der Staats
bürger und die Verhältniſſe der Tamdesherrlihen Diener. Nach wenigen
Jahren erjchien eine abermalige Landesorganifation, und wurde der
Code Napoleon mit verichiedenen Abänderungen als badifches Lands
recht eingeführt.
Mittlerweile war 1806 der Krieg mit Preußen ausgebrochen,
mit dem ſich Nufland verbündet hatte, Die Schlahten von $ena
und Friedland und der Friede von Tilſit 1807 entſchieden über
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bie auf die neuefte Zeit. 673
das Schickſal Preußens, das um die Hälfte verfleinert wurde und aud)
fonft den Zorn des Siegers empfinden mußte, Auch in diefem Krieg
batte ein badifches Truppenkorps von 6000 Mann, dem weitere 1400
Mann nacgefendet wurden, unter dem General von Cloßmann mitge:
kämpft und ſich durch Tapferkeit ausgezeichnet. Aber die Koften ſolcher
Heerzüge laſteten jchwer auf dem Lande, namentlich als die eingeführte
Konfeription noch weiter ausgedehnt wurde, Ein Hilfstruppenforps von
2000 Mann unter Obrift von Porbeck mußte 1805 nach Spanien ent=
fandt werden, um auch dort feinen Friegeriihen Ruhm zu bewähren.
Sm Jahr 1809 erhob ſich Defterreih zu neuem Kampf gegen
Frankreich, und blutig entbrannte der Krieg. Aber an der Spite eines
meift aus beutfchen Truppen beſtehenden Heeres erfocht Napoleon die
Siege von Abensberg, Eckmühl, und wenn aud bei Aipern ge
ſchlagen, entichied die vom franzöſiſchen Kaifer gewonnene Schlacht von
Wagram den Krieg, Mit großen Opfern mußte Oeſterreich noch in
demfelben Jahr 1809 den Frieden von Wien erfaufen, Aber das
Jahr darauf reichte Marie Luife, die Tochter des Kaifers Franz von
Defterreich, Napoleon die Hand. — Gin badiſches Truppenkorps von
nahezu 7000 Mann hatte in dieſem Krieg unter Generalmajor von
Harrant (ftellvertretend Oberſt v. Neuenftein) mitgefechten. Abermals
hatte die Theilnahme am Kampf dem Xande große Opfer auferlegt.
Doc e8 vergrößerte und ergänzte fi durch die von Württemberg abs
getretene Landgraffchaft Nellenburg, wofür einige Befigungen an Heffen
abgegeben werden mußten. Unterm 30, November und 5. Dezember
1810 wurden auch die von Württemberg an Baden abgetretenen Orte
Kiejelbronn und Defhelbronn von dem dazu beauftragten Ober:
vogt Roth aus Pforzheim in Befiß genommen. (Gin Theil der ftädtis
[hen Ehrengarde hatte diefen Beamten dahin begleitet.) Baden war
1811 auf 272 QDuadratmeilen mit über einer Million Bewohner
angewachſen.
Das Alles geſchah noch in den letzten Jahren der Regierung Karl
Friedrichs, an welder aber ſchon feit 1806 fein Enfel, der Erbgroß—
berzog Karl, Untheil genommen hatte, da der greife Großherzog am
Körper und Geift fichtlich verfiel. Am 10. Juni 1811 ſchloß Karl
Friedrich nad) böjähriger Megierung fein Leben, das er auf faft 83
Sabre gebracht Hatte. „Karl Friedrich,” fo fagt ein vwaterländifcher
Gelehrter, „hat nie ein Heer geführt, nie mit blutbeflecktem Lorbeer
Pflüger, Pforzpeim, 43
674 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
Siege gefeiert; feine heiligen Silberhaare umgab bie Bürgerfrone; er
hat in der Tugend Eroberungen gemadt und mit milder Weisheit feine
Gränzen vergrößert; er hat nur ein Mal Menſchen gekränkt: durch
feinen Berluft.” 9)
Es war die Zeit der höchſten Macht Napoleons, als Großherzog
Karl, der fih 1806 mit Stephanie Luiſe Adrienne, der Adoptivtochter
bes franzöſiſchen Kaifers vermählt hatte, den Thron beſtieg. Schon
das Jahr darauf, 1812, unternahm Napoleon an der Spike eines
ungeheuern Heeres, darunter an 9000 Mann Badenſer, ben ruf
fifhen Feldzug. In Folge der fiegreihen Schlachten bei Smolenst
und an der Moskwa kam das franzöfiihe Heer im September nad
Moskau; aber die Flammen diefer ruffiihen Hauptftadt nöthigten Na:
poleon zu einem Rückzug, auf dem feine Armee vernichtet wurde, Jetzt
erhob fi Preußen, und überall Ioderte in diefem von Napoleon
niedergetretenen Lande die Begeifterung empor. Aber dem Rufe nad
Befreiung konnte noch nicht überall Folge geleiftet werden, weil Napo-
leon nody zu mächtig war. Er machte erneuerte Anftrengungen und
friſche Kontingente mußten die Nheinbundftaaten — Baden 7000 Mann
— im Frühjahr 1813 ftellen. In einer Reihe von Schlachten wurde
mit abwechſelndem Glück gefohten. Nachdem aber auch Oeſterreich fei-
nen Beitritt zur deutſchen Sache erflärt hatte, kam es in der Völker:
fhlaht am 16., 18. und 19. Oftober 1813 bei Leipzig zum blu:
tigen Entſcheidungskampf. Napoleon floh über den Rhein zurüd, ber
Nheinbund Töste ſich auf und feine Heere (Baden mit 16,300 Mann)
fochten jet gegen Frankreich, wohin die Verbündeten 1814 eindrangen.
Nach verfchiedenen Kämpfen wurde Paris am 31. März eingenommen,
1) Die Beifeguug ber Leiche des Verblichenen in der Gruft zu Pforzheim
erfolgte unter entſprechenden Feierlichkeiten am 24. Juni 1811. — Am 22,
November 1833 wurde das Denkmal Karl Friedrichs eingeweiht, welches
ihm fein Sohn Leopold in ber Schloßkirche zu Pforzheim hatte fegen Tafien.
Es fleht mitten im Chor und bat die Geſtalt einer gothilhen Pyramide, deren
durchbrochenene Epigung ſich Über der Büſte Karl Friedrichs erhebt. Die In⸗
ſchrift lautet: Carolo Friederico patri Leopoldus ſiliss MDCCCXXXII (feinem
Vater Karl Friedrich der Sohn Leopold 1833), und auf der Rüdkfeite ift der
Wahlſpruch des edlen Fürſten: Moderate et prudenter (mit Mäßigung unb
Klugheit) eingegraben. Der Entwurf iſt von Profeffor Moosbrugger in Raftatt,
die Ausführung in weißem Sanbfteine von Belzer in Weißenbach, die Mars
morbüfte von Bildhauer Raufer in Karlsrube.
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 17839 bis auf die neuefte Zeit. 675
Napoleon des Thrones für verluftig erflärt und auf die Inſel Elba
verwieſen. Mit feinem Nachfolger Ludwig XVIII. fchlofjen die Ber:
bündeten am 30. Mai 1814 den für Frankreich fo günftigen erften
PBarifer Frieden. Europa ſchien beruhigt, und in Wien trat ein
Kongrek zufammen, um die Verhältniffe Europas neu zu ordnen.
Aber Shon am 4. März 1815 erſchien Napoleon wieder in
Frankreich und ftand in Furzer Zeit abermals an der Spite der Ge—
walt. Von Neuem drangen die Verbündeten in Frankreich ein, (Baden
batte über 22,000 Mann geftellt), und nad verſchiedenen Schlachten
wurde Napoleon am 18. Juni 1815 bei Waterloo zum zweiten
Mal gänzlich niedergeworfen. Nah St. Helena verbannt, farb er
bort am 5. Mai 1821. Beim zweiten Barifer Frieden (20. November
1815) kam Frankreich immer noch glimpflich genug weg.
Durh den Miener Kongreß wurde Deutichland in einen großen
Staatenbund verwandelt und darüber von den betheiligten Fürften
am 8. Suni 1815 ein befonderer Vertrag, die deutſche Bundes
afte, abgeichloffen. Großherzog Karl erbielt hier die volle Souverä-
nität und die feierliche Gewährleiftung der Untheilbarfeit feines Landes
im bisherigen Beftande. Im deutſchen Bunde erhielt Baden die fie-
bente Stelle,
So fchien der Friede gefichert, und eine neue Ordnung der Dinge
war hergeſtellt. Um indefien die von außen nicht unangefochtene Un—
theilbarkeit des Landes zu fichern, befräftigte er nad dem Tod feiner
zwei Söhne, was fhon fein Großvater begonnen, indem er den Söh—
nen Karl Friedrichs aus zweiter Ehe (Leopold, Wilhelm, Marimilian)
ben markgräflichen Titel ertheilte und dur das Hausgefeh vom 4.
Oktober 1817 ihr Nachfolgereht ausſprach.
Von Griesbach aus, wo der Franke Fürft Linderung feiner Leiden
gefucht, ertheilte Großherzog Karl am 22. Auguft 1818 feinem Lande
eine Berfaffung Es war ihm aber nicht mehr vergönnt, das neue
Grundgeſetz ins Leben treten zu fehen Er ftarb am 8. Dezember
1818 zu Naftatt und wurde in der Gruft zu Pforzheim feierlichft
beigefeßt. Seit 7. Februar 1860 ruht an feiner Seite feine Gemah—
lin, die Großherzogin Stephanie, in der Pforzheimer Fürftengruft, die
nunmehr feine Mitglieder der großherzoglihen Familie mehr aufneh—
men wird.
Ihm folgte als Großherzog fein Oheim Lu u € berief ben
676 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
erften Landtag und ergänzte die Verfaſſung durd das Dienerebitt.
Bald aber trat zwiſchen Negierung und Ständen eine Mißftimmung
ein, die Kammern wurden aufgelöst, und die neuberufene Ständever:
fammlung gab ſich fogar zu einer Schmälerung der Berfafjung ber.
Ludwig that aber auch Mandyes zum Wohle des Landes. Unter ihm
vereinigten ſich 1821 die ewangelifche und reformirte Kirche Badens zu
einer unirten. 1828 ward der erzbiihöflihe Stuhl in Freiburg errid-
tet; die Hochſchulen erfreuten fich der befondern Pflege des Landesfürften.
Nah dem Tode des Grofherzogs Ludwig, welher am 30. März
1830 erfolgte, beftieg fein Halbbruder Leopold den Thron. Hulb—
volle Herablaffung, Wohlwollen und Herzensgüte bildeten die Grund:
züge feines Charakters. Gleich bei feinem Negierungsantritt ftellte er
die Verfaſſung wieder her, erließ Geſetze zur Berreiung des Bodens
von allen Raften, trug durch eine Reihe anderer Geſetze während der
Dauer jeiner Regierung Sorge für des Voltes Wohl, verbeflerte das
Schulmefen ꝛc. Unter Großherzog Leopold erfolgte der Anſchluß Babens
an den beutjchen Zollverein, was, wie der Bau von Eifenbahnen durch
das Land und der Anſchluß am den deutſchen Poſtverein, einen groß:
artigen Aufſchwung des Verkehrs zur Folge hatte. Wurden aud bie
legten Lebensjahre des edeln Fürften durch die Ereignifie des Jahres
1849 getrübt, fo Konnte er doch vor feinem Hingang, welcher am 24.
April 1852 erfolgte, noch die Freude erleben, daß der gefetliche Zur
ftand in Baden ſich mehr und mehr wieder befeftigte, fein Land zu
neuer Dlüte gelangte und die Herzen feines Volkes ihm mit erneuter
Liebe entgegenfchlugen,
Seit 1852 regiert Großherzog Friedrid. Seine Regierung
gehört der Gegenwart, nicht der Gefhichte an. Diefe aber mird dereinft
feiner bochherzigen, opferbereitwilligen, vaterländifchen Gefinnung, feines
eifrigen Strebens, den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden und
fid) in den Dienft des ächten Fortihrittes zu ftellen, mit Ruhm ger
benfen; fie wird im ihre Blätter verzeichnen, daß das Sinnen und
Trachten diefes Fürften nur auf das Wohl feines Volkes gerichtet und
daß er die Freude und ber Stolz feiner Badener, ein leuchtendes Por:
bild für andere Fürften war. Der Wunſch wird aber jett ſchon dem
Geſchichtſchreiber geftattet fein: „Gott fegne, färfe und ſchũtze den
Großherzog!”
Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 677
52. Pforzheim während der franzöfifchen Kriege. 1)
Schon von 1792 an fah Pforzheim Kriegsgäfte verfchiedener Art.
Die erften franzöfiichen Emigranten erjdienen am 28. Dftober jenes
Jahres. Es waren meift Adeliche und Geiftlihe aus dem Elſaß, die
fid) auf Weifung der Negierung jedoeh bald wieder aus Pforzheim
entfernen mußten, weil daſelbſt „wichtige Staatseffeften aufbewahrt
würden und die Smigranten zu einem Weberfall reizen könnten.” Auch
zu Anfang des Jahres 1794, als die Franzoſen bis Speier und in
bie obere Pfalz vorgedrungen waren, fowie im November beöfelben
Jahres, wimmelte die Stadt von Flüchtlingen, die zum Theil betteln
gingen. Der Befehl, daß fie, mit Ausnahme der Kranken, Pforzheim
fchleunigft verlaffen follten, wurde im November 1795 wiederholt, ohne
daß ihm indeß von allen Emigranten Folge geleiftet worden wäre,
Bon 1792 an wurde Pforzheim vielfach auch von Durchmärſchen und
Einguartierungen Faiferliher Truppen heimgeſucht, und Lieferungen und
Kriegsfrohnden aller Art nahmen die Mittel der Stadt bedeutend in
Anspruch, (jo allein im Jahre 1795 die Summe von 5206 ff.)
An Pforzheim war ein Faiferlihes Magazin, und die Stadt diente zu—
gleih als Krankenabſtoß beim Transport derfelben nach Solitüde.
Erniter geftalteten fich die Verhältniffe im Sommer 1796, als eine
franzöfifche Armee unter Moreau (S. 669) den Uebergang über den
Rhein erzwang und die Faiferlihen Truppen zurüdtrieb. Bei der An:
näberung der Franzofen ergriffen viele Bewohner Pforzheims die Flucht,
andere fuchten wenigſtens den beiten Theil ihrer Habe jo gut wie
möglich zu verfteden. Nach dem Treffen von Raftatt am 5. Juli und
bei Ettlingen und Rothenfol am 9. Juli kampirte die öfterreichifche
und ſächſiſche Armee, die ſich nah Pforzheim zurüdgezogen hatte, meh—
rere Tage lang auf dem Bergrüdeh nördlich von der Stadt, fette aber
am 14. Juli, ohne die Ankunft der Franzofen abzuwarten, ihren Rück—
marſch nad Stuttgart fort, jedoch nicht, ohne gegen den ausdrüdlichen
Befehl des Erzherzogs Karl Plünderungen zu verüben.
Am 15. Juli 1796 rüdten die erften Franzofen unter Moreau
in Pforzheim ein. Eine Deputation, beftehbend aus den beiden Beam:
ten (Baumgärtner und Eifenlohr), drei Mitgliedern des Meagiftrats
) Quellen: Alten des Oberamts, Rathsprotofolle, Pforzheimer wöchen!⸗
liche Nachrichten x.
678 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit,
(worunter Bürgermeifter Geiger) und ſechs von ber Bürgerfchaft
(darunter Bujard, Bohnenberger, Dennig) war den feindlichen Trup—
pen entgegengegangen, um eine milde Behandlung der Stadt zu crwirs
fen. Im Allgemeinen konnte man die Großmuth der Sieger rühmen,
obgleich fie in ihren Forderungen nicht allzu befcheiden waren. 1) Här—
ter jcheinen die Landorte heimgefucht worden zu fein, wo WPlünderung
an der Tagesordnung war. Bon Dietlingen kam beiſpielweis die
Klage, daß troß der großmüthigen Befehle des Siegers am 15, Juli
die meiften Häufer geleert und die Einwohner von Kopf bis zu Fuß
ausgezogen worden jeien.
Unterm 25. Juli ſchloß Karl Friedrih den ſchon erwähnten Waf-
fenftillftand mit der franzöfiihen Republik. Der Preis desjelben waren
außer fonftigen für Baden nachtheiligen Bedingungen 2 Millionen
Livres baar, ferner die unentgeldliche Lieferung von 1000 Pferden,
500 Ochſen, 25,000 Gentnern Frucht, 12,000 Säden Haber, 50,000
Gentnern Heu und 25,000 Paar Schuhen oder für jedes Stüd 5 Liv—
res. Plakate von Blech mit der Aufſchrift: „Territoire de Bade pays
neutre“ jollten überall die Waffenftillftandsbedingungen refpeftiven bel:
fen, was aber vielfach nicht geſchah. Die Kontributionen an die Fran:
zofen betrugen für das Dberamt Pforzheim die Summe von 280,000
Gulden, wovon auf die Stadt allein 41,825 Gulden famen. Trotz
bes Waffenftillftandes dauerten die Frohnden fort. Während des Mio:
nats Auguft mußte die Stadt Pforzheim dazu 16 Karren, 60 zweiz,
11 dreiz, 32 vierfpännige Fuhren, dazu 98 Vorſpann und 9 Reit:
pferde, im Ganzen 438 Stüd Vieh ftellen. Ungeachtet ſolch ſchwerer
Laften betheiligte fi) die Pforzheimer Bürgerſchaft fehr Tebhaft bei dem
Anlehen, welches die Negierung zur Entrihtung der franzöfiihen Kon:
tributionen im Lande felber machte. 2) Bejondern Dank ſprach die
Behörde im September 1796 dem Handelsmann MWohnlih aus, der
„in den dringenditen und gefabrvolliten Umftänden der Stadt mit jo
anfehnlichen Geld: und andern Vorfhüffen auf eine bereitwillige und
) Dies bemweifen u. A. die bei den damaligen Amtsakten liegenden Küchen:
zettel für ben Offizierstiſch.
*) Wir finden darunter: Handelsmann Dennig mit 7000 fi., Fabrifant
Kiehnle mit 3200 fl., Hammerwerköbefiger Lidell und Bendifer mit 3000 fl.
Ratheverwandten Dreher mit 2000 Gulden, Andere mit 1000, 800, 600 Gul:
ben 2,
Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf bie neueſte Zeit 679
rühmlihe Weile an Handen gegangen und daburch die Stadt vor
manchem bevorgeftandenen großen Unglüd zu befreien geholfen hat.“
As im September 1796 während und nah Moreaus meifterhaf:
tem Rückzug viele Defterreicher wieber durch Pforzheim kamen, börten
Einquartierungen und Requifitionen, für welche nunmehr feine Ver:
gütungen mehr geleiftet wurden, faft gar nicht mehr auf und bildeten
eine große Laſt bis zum Frieden von Campo Formio und bem Kon:
greß von Raſtatt, der aber dem Reich den erfehnten Frieden nicht gab.
Der Hauptfhauplag des 1799 wieder ausgebrochenen Kriegs war
Oberſchwaben und die Schweiz. Im Herbit diefes Jahres machte
jedoch ein franzöftfches Armeekorps einen Streifzug über den Rhein,
und General Lecourbe Ing vom 2. bis 4. November in Pforzheim,
die öfterreichifhen Vorpoften nur eine halbe Stunde davon. Des Fries
dens von Lüneville 1801 und feiner Folgen ift bereits Erwähnung
geſchehen.
Das Jahr 1805 brachte den Krieg der dritten Koalition. ‚Eine
Abtheilung öfterreichifher Nofenberg-Dragoner, welche am 26. Septem-
ber von Hechingen, Nagold und Calw ber nah Pforzheim fam und
nah Mannheim marfhiren follte, ftieß am 27. zwiſchen Pforzheim und
Durlach bereitd auf den Vortrab der Franzofen, welche den Rhein
raſch überfchritten hatten, und mußte fih über Stuttgart zurüdziehen.
Am 28. September erfchienen franzöfiihe Hufaren in Pforzheim, und
vom 29. September bis 2. Dftober ſah die Stadt nad einander die
Korps der Marfchälle Ney und Lannes und des Prinzen Miürat in
ihren Mauern, darunter auch die 10,000 Mann ftarken prächtigen Gres
nabiere des Generals Dubdinst. Am 2. Dftober kam die ganze kaiſer⸗
liche Garde, and die Mamelufen, und Nachmittags 4 Uhr Napoleon
ſelbſt dur die Stadt, und die Pforzheimer konnten während des
Pferdewechſels ihre Neugierde befriedigen, den merfwürdigften Mann
feiner Zeit von Angefiht zu Angefiht zu eben. 1) In wenigen Tagen
marſchirten 60,000 Mann dur die Stadt, wovon nad) einander etwa
40,000 in berfelben einquartiert wurden, jo daß manche Häufer 40
1) Die Kaiferin Joſephine reifte ihrem Gemahl Ende Novembers nad
und fam am 30. November ebenfalls durch Pforzheim, wo ber Erbpring und
Markgraf Ludwig, bie vorher ſchon eingetroffen waren, die Kaiferin beim Dens
nig’ihen Haufe empfingen und von wo fie biejelbe nah eingenommener Er:
frifdung weiter bis an die Grenze begleiteten,
680 Neunzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1739 bis auf bie meuefte Zeit,
bis 60 Mann beherbergen mußten. Es wurde den Franzoſen nach—
gerühmt, daß fie bei diefen Durchmärſchen die ftrengite Mannszucht
gehalten hätten. War nun auch diefe Beſchwerung ſchnell verſchwunden,
jo wurde bald eine Etappenſtraße über Pforzheim eingerichtet, auf wel
her auch der Transport der Gefangenen ftattfand, und das war für
die Stadt ein Unglüd. Am 3. und 4. Januar 1806 famen nämlich
an 6000 Ruffen, die am 2, Dezember 18505 bei Aufterlit gefangen
genommen worden waren, unter Bededung von je 600 Mann tbeils
badifcher, theils franzöfiicher, theils batavifcher Truppen, und am 12,
und 13. weitere 5—600 ruffiiher Gefangener nah Pforzheim, und
wurden in der Stadt, größtentheils aber in der Schloßkirche einguar:
tiert, wo die Spuren verfchiedener Zerftörungen, welche die Gefangenen
anrichteten, beute noch fichtbar find (namentlih am Grabmal des
Kanzlers Achtſynit). 1) Vor der Ankunft diefer Ruſſen hatte fid das
Gerücht verbreitet, daß fie verfuchen wollten, ſich durch Anlegung von
Teuer zu befreien. Man errichtete deshalb Bürgerwachen, die ſowohl
zur Sicherheit der Stadt, als zur Austheilung von Speiſe und Trank
an diefe unglücklichen Söhne des Nordens beftinnmt wurden. Don den
durch Strapazen ermatteten und überhaupt im elendejten Zuftand bes
findfichen Gefangenen, von denen viele in Pforzheim raſch megitarben, 2)
war nun freilich Feine Brandlegung zu befürdten; dafür brachten fie
den Typhus in die Stadt, den fie fait allen, die mit ihnen verkehrten,
vafch mittheilten. Zu dem meift tödtlichen Verlauf der Krankheit
trugen die ungünftigen Witterungsverhältnifie das Ihre bei, und gar
viele Bewohner der Stadt wurden von der Seuche, die erft im Mai
erlofh, binweggerafft. Die Verbreitung derielben beförderten auch die
Militärlazaretbe, die man in der Stadt felbit, fo z. B. im Schulhaufe,
errichtet hatte, bis fie endlidy außerhalb derjelben, und zwar auf den
Friedrichs- oder Budenberg, verlegt wurden.
Nachdem Napoleon auf feiner Rückreiſe vom Kriegsihauplab am
20, Januar (am 18, auch Prinz Mürat) durd Pforzheim gefonmen,
1) Es mag bier fogleich mit bemerkt werben, daß die Schloßkirche nachher
zu einem Heumagazin benügt und erft im April 1808 dem gottesdienftlichen
Gebrauch zurüdgegeben wurde, In der Zwiſchenzeit hatte zu legierm bie
Waiſenhauskirche gedient.
2) Ein fleinernes, auf einer feinen Erhöhung bes Friedhofes ſtehendes
Kreuz bezeichnet. das gemeinjchaftliche Grab derjelben.
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neueſte Zeit, 681
dauerten den ganzen Sommer 1806 Hindurd die Transporte von er:
obertem Geſchütz und erbeuteter Munition, ſowie die Durchmärfche von
Truppen fort, bis endlich die Heereszüige wieder eine andere Richtung nahe
men und der Sriegsihauplag in Folge des im Oktober 1806 ausges
brochenen preußiſchen Krieges vom füblichen Deutfchland in das nörd—
liche verlegt wurde,
Der neue Krieg zwiſchen Defterreih und Frankreich brachte im
Frühjahr und während des Sommers 1809 für Pforzheim wieder
bedeutende Truppendurchmärſche und als Einleitung zu denjelben eine
militäriihe Heerſchau. Das badische Truppenkontingent, das am Feld:
zug gegen Dejterreic Theil nehmen ſollte, rüdte am 14, März nad
Pforzheim und in die Umgegend der Stadt, um dafelbft einer Mufte-
rung unterzogen zu werden. Diefe wurde am 19. März in der
Nähe der Stadt, nämlich am Iſpringer Weg, in Gegenwart des Erb:
großherzogs Karl von franzöfiihen General Maſſena (Herzog von
Rivoli und nachher Fürſt von Eßling) vorgenommen. Am 2. April
brachen die badifchen Truppen von bier auf, um nah Baiern und
Defterreich zu marfhiren und dort an den Treffen uud Schlachten von
Schärding, Riedau, Ebensberg, Aipern und Eßling, Papa, Raab,
Wagram ıc. Theil zu nehmen, wobei über 1500 Dann eingebüßt
wurden, Es bedarf kaum der Bemerkung, dak Pforzheim beim Aus:
bruch des Krieges fowohl, als nah Beendigung desfelben zahlreiche
Truppendurchmärihe fab. So rüdte am 14. März, alſo gleichzeitig
mit dem badifchen Kontingent, ein 820 Mann ftarkes franzöfifches
Kavallerielorps in der Stadt ein, am 15., 16. und 17. marfchirten
die beiden Divifionen Legrand und St. Cyr durd Pforzheim, vom
24. März an 2 Negimenter der kaiſerlichen Garde, ein Artilleriepart
von 150 Kanonen mit Munitionswägen, 10 bis 12 Bataillone In—
fanterie, am 1., 2. und 4. April franz. Artilleriedepots und Feldrequis
fiten, zu deren Meitertransport über 800 Pferde erfordert wurden, am
15. April Abends unter dem Geläute aller Gloden Napoleon jelber.
Am 1. Mat ſah Pforzheim bereits die erften Friegsgefangenen Defter:
reicher, 4000 an der Zahl, darunter SO und etliche Offiziere, am
gleichen und folgenden Tag abermals 2000 Gefangene, zugleich aber
auch zahlreihe, von Straßburg kommende franzöfiihe Truppenabthei-
lungen, darunter ein Regiment Garde, defjen Fortfchaffung 240 Wagen
erforderte ıc. Diefe Truppenbewegungen dauerten den ganzen Sommer
682 Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf die neueſte Zeit.
bindurh fort. Zur fchnellen Beförderung von Nachrichten murbe
damals längs der über Pforzheim führenden Etappenftraße eine Tele
graphenlinie errichtet; ein folcher Telegraph, der feine Signale mit
weißen, rothen und blauen Fahnen gab, war auf dem Wolfsberg an:
gebracht. Nah dem Frieden von Wien erfolgten wieder Tebhafte Trup—
penbewegungen, freilich jet in umgefehrter Richtung, und am 24, Ok
tober ſah Pforzheim auch den in feine Hauptftadt zurückkehrenden fran:
zöftfhen Kaifer wieder in feinen Mauern. Am 16., 18. und 19.
Sanuar 1810 famen auch die badifhen Truppen mit dem Ruhm, ſich
tapfer geichlagen zu haben, aus dem Krieg wieder, und wurden an
jenen Tagen von ber Stadt Pforzheim feierlih empfangen und aufs
freundlichfte bewirtbet. In den nächiten Tagen folgten ihnen verfchie-
dene Abtheilungen franzöfifher Truppen, am 28. Februar auch Mars
ihall Berthier, Fürft von Neuchatel. — Am 21. März ſah die Stadt
Pforzheim auch die Faiferlihe Braut Napoleons, Erzherzogin Marie
Luiſe von Defterreich, auf ihrer Reife nach Tranfreih in ihren Mauern
und begrüßte fie mit Kanonendonner und Ölodengeläute, (an ber
württembergifchen Grenze bei Niefern war eine Ehrenpforte errichtet
worden). Ob alle diefe Kundgebungen auch recht von Herzen gingen,
foll hier nicht näher unterfucht werben.
Das Jahr 1841 verfloß befanntlih unter Vorbereitungen für ben
ruſſiſchen Feldzug, ber denn auch 1812 ftattfand und für Pforzheim
wiederum Truppendurchmärſche brachte. Schwer laſtete die Hand des
franzöfiihen Deipoten auf unferm Vaterlande; aber der Brand von
Moskau und die Schlacht bei Leipzig brachen den Bann, der auf dem
beutfhen Wolke Tag und aud in Baden fchloß man fich begeiftert der
deutſchen Sache an, namentlich nachdem Großherzog Karl am 21, No:
vernber 1813 feinem Volke in einem Aufruf verkündet hatte, daß neben
der Erhaltung Badens „die Erfämpfung deutjher Freiheit und Unab-
bängigfeit das große Ziel fei, das erreicht werden müſſe.“ Dem im
Dezember folgenden Aufruf des Majors Holzing in Bezug auf die
Bildung eines freiwilligen Jägerregiments zu Pferde wurde in Pforz-
beim alsbald mit Zufagen und Zeichnung von Beiträgen geantwortet.
So verpflichtete ſich die Leſegeſellſchaft zur Ausrüftung von 2 Jägern
zu Pferd, 1) je einen Mann ftellte die Holländer-Holztompagnie, bie
1) Die freiwilligen Beiträge ber Mitglieder derfelben erreihte die Summe
von 758 fl. 51 fr. Fabrikant Finkenſtein lieferte das Tuch zu den Uniformen
der beiden Jäger unentgelblich.
Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bie auf die nenefte Zeit. 683
Salzadmotiationsgeſellſchaft, der Floßverein, Hammerwerksbeſitzer Bendifer,
Hoftammerrath Böhringer, die Fabrikanten Finkenſtein, Lenz und Sie—
vert, Dennig und Krenkel, Bohnenberger, Kaufmann D. L. Mayer jun.
und endlich Frau Kiehnle. Jakob Richter ſtellte und equipirte ſich
ſelbſt zu den Jägern zu Pferde aus eigenen Mitteln, mehrere andere
junge Männer meldeten ſich freiwillig zur Infanterie, die Stadt lie—
ferte 220, bas Land 242 noch brauchbare Feuergewehre u. ſ. w.
Selbſtverſtändlich wurden die Kriegsereigniſſe mit lebhaftem Intereſſe
verfolgt, und als am 7. April Nachmittags die Nachricht nach Pforz—
beim gelangte, daß die Alliirten am 31. März in Paris eingezogen
feien, 1) gab fich eine lebhafte Freude Fund, der Marftplag wurde er:
feuchtet und Muſik ertönte auf demfelben. ine umfafendere eier
fand am darauf folgenden Sonntag ftatt, und wurde dabei in beiden
Stadtkirchen ein Dankgottesdienſt gehalten.
Beim Rückmarſch der Truppen aus Frankreih Fonnte man im
Pforzheim wieder allerlei Uniformen erbliden, und am 25, Juni 1814
fand bei Pforzheim eine Heerſchau über etwa 8000 Mann badifcher
Truppen ftatt, die ebenfalls aus dem Feldzug gegen Frankreich zurüd-
gekehrt waren.
Nach der Rückkehr Napoleons von der Inſel Elba begannen die
Truppenbewegungen von Neuem, und gingen diefelben zum Theil auch
wieder dur Pforzheim. So fahen die Bewohner der Stadt Ende
Aprils 1815 verfchiedene Abtheilungen württembergifcher Truppen durch—
marfchiren, am 29. April befand fi in Pforzheim das Hauptquartier
des öfterreichifchen TFeldzeugmeifters Grafen Eolloredo ꝛc. Die Schlacht
von Waterloo am 18. Juni 1815 madte, wie oben ſchon bemerkt,
ben Kriegszeiten ein Ende, und man konnte fih wieder der Segnungen
des Friedens erfreuen.
$ 3. Innere Verhältniffe Pforzheims.
Bei der Erzählung des Privilegienftreits ift gezeigt worden, welche
Aenderungen mit der uralten ftädtifhen Verfaffung vorgingen und, den
Forderungen anderer Zeiten entfprechend, vorgenommen werden mußten,
Im Jahr 1807 follten die Privilegien der Stadt in zeitgemäßer Weife
erneuert werden, und hatte die Negierung den damaligen Dbervogt
*) Heut zu Tage empfängt man dergleichen Nadhrichten etwas raſcher.
684 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
Noth 1) mit Ausarbeitung eines Entwurfes beauftragt, Weber letztern
kam die Sache jedoch nicht hinaus, da die fortwährenden franzöfiſchen
Kriege ihre Ausführung binderten und überhaupt im Sturm derfelben
alle Vorrechte, welche einzelne Städte bisher noch gehakt, untergingen.
Hatte Pforzbeim ſchon 1806 auf verfchiedene Rechte verzichten müſſen,
fo verlor es 1808. auch das der Milizfreiheit,; doch blieb der Stadt
wenigſtens der Bortheil, da fie nur zwei Drittel der jungen Leute in
Rechnung bringen und ihre zu ftellenden Rekruten duch Werbung
erfegen durfte. Zur Erleichterung der legteren wurde 1810 eine Werb-
faffe ins Beben gerufen, die indeffen mit dem Aufbören des letzten
Meftes auch der Freiheit auf diefem Gebiet ihre Bedeutung wieder ver:
lor. Gelbftverftändlih wurden auch andere Verhältniſſe der Stabt
umgemodelt, als darüber neue Geſetze, namentlich aber das Gemeinde—
gefek von 1831 zur Geltung kam, welches faft allen Ausnahmsſtellun—
gen ber Städte ein Ende machte und bezüglih des Ortsregiments,
ber Verwaltung des Gemeindevermögens ꝛc. für das ganze Land gleiche
förmige Beftimmungen traf. 2)
Die Verfaſſungsurkunde von 1813 geftand der Stadt Pforzheim
zu, zwei Abgeordnete in die zweite Kammer der Stände zu wählen.
Bon diefem Recht wurde am 9. Februar 1819 zum erften Mal Ges
brauch gemacht, Die beiden Deputirten, welche Pforzheim damals in
die Kammer fandte, waren Miniftertaldireftor Reinhard in Karls:
rube und Kaufmann Witenmann in Pforzheim, für den Land:
bezirt wurde Altbürgermeifter und Kaufmann Dreher in Pforzheim
gewählt. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß die weitere Entwicklung
des badiſchen Verfaſſungslebens in Pforzheim nicht nur mit regem
Intereſſe verfolgt, fondern aud) Fräftigft gefördert wurde. Als dasſelbe
zu Anfang der 30er Jahre fo ſchöne Blüten trieb und in den 40er
1) Oberpögte ober erſte Beamte waren in Pforzheim (vergl. ©. 542):
jeit 1736 Oberamtsverweler Friedrih Sonntag, 1749 Friedrich Gotthelf v.
Koſeritz, 1752 Joh. Ehr. Fried. Schenk v. Schmiedburg, 1758 zuerft Ober:
amtsverweler dann Obervogt Joh. Theopbor Rues, 1777 Karl Frieder. Wies
Tand, 1794 Baumgärtner, 1803 Benjamin Roth, 1823 Deimling, 1843 Böhme,
1844 v. Neubronn, 1847 lad, 1849 Fecht, jeit 1861 if es C. Winter.
2) Bürgermeifler waren (vergl. ©. 610) von 1798 an Ib. Frd. Dreber,
1815 Krentel, 1830 Lenz, 1837 R. Deimling, 1848 Crecelius, feit 1849 ift es
K. Zerrenner, neben ihm ift feit 1857 zweiter Bürgermeifter 8. Schmibt,
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 685
Jahren heftige Verfafjungstämpfe entbrannten, da war Pforzheim ein
Hauptbort des Liberalismus und hat audy bis auf die neuefte Zeit in
Bezug auf eifrigite Pflege zeitgemäßer Ideen auf allen Gebieten des
öffentlichen Lebens feinen alten Ruf bewährt. Lebendig war in diefer
Stadt, wie in allen Theilen des deutichen Vaterlandes, die Theilnahme
an der großartigen Erhebung des Jahres 1848. Die Ueberftürzung
und bittere Enttäufhung, welche das folgende Jahr brachte, fowie die
Greigniffe, weldye fih in beiden Jahren im Einzelnen in Pforzheim
zutrugen, eingehend barzuftellen: das mag der Feder eines Andern
vorbehalten bleiben, der vielleicht im fpäterer Zeit einmal diefe Ges
fchichte von Pforzheim weiter führt und ergänzt. Jetzt find jene Tage
der Geſchichtſchreibung noch nicht verfallen.
Wie fih in den legten 60 und 70 Jahren die Verhältniſſe Pforz-
heims bezüglich der Hauptinduftrie der Stadt geftalteten, ift ſchon im
18. Kapitel gezeigt worden. Die Thätigkeit nahm aber auch auf andern
gewerblichen Gebieten einen immer erfreulihern Aufſchwung. Schon
im Jahr 1800 zählte der damalige Hofratd und Dbervogt Baum—
gärtner in einer von ihm entworfenen Gewerbeftatiftif außer den zunft:
mäßigen Handwerkern und Landwirthen 101 verfchiedene Manufakturen
und Fabriken, nämlih 1 Eifenwert mit 2 Hammerwerken, 5 Oelmüh—
fen,1) 2 Sägmühlen, 4 Gipsmühlen, 2 Walfen, 2 Hanfreiben, 1 Pul-
vermühle, 2) 2 Lohmühlen, 3 Scleifmühlen, 1 Bleiche, zufammen alfo
24 verjchiedene Waſſerwerke ohne die 4 Mahlmühlen, ferner 1 Wollen:
fabrit, 24 Bijouteriefabriten oder Kabinete, 3 Silberfabinets, 22 Uhren:
fabinets, 5 Uhrgehäufelabinets, 2 Kabinets für Elfenbeingraveure, 2
Kabinets für andere Graveure, 2 Gold: und Perlenfchleifer, 3 Glas-
fchleifer, 2 Vergolder, 2 Guillocheurs, 1 Maſchinenmacher, 3 Emailleurs,
5 Stahlarbeiter, 3 Feilenhauer, 1 englifhe Knopffabrit (Gehres), 1
Schnallenfabrik (Nies), 1 Lederfabrit (damals ſchon im Verfall, die
einzelnen Theilnehmer trieben aber das Gefhäft fort). Im Laufe der
Zeit wurden noch mehr fabritmäßig betriebenen Gewerbe gegründet,
3. DB. zuerit 1801 die Salmiakfabrit, die fih 1804 in eine chemiſche
9) Die erſte Delmühle wurde um 1770 vom fFloßverein errichtet.
2) Diefelbe flog 1806, und, wieber bergeftellt, 1807 abermals in bie Luft
und töbtete das erfte Mal den Pulvermüller Lichtenfels und 2 Gehülfen, bas
zweite Mal den Bulvermüller allein. Sie wurbe alsdann nicht wieder aufs
gebaut.
686 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neueſte Zeit.
Fabrik verwandelte, 1804 eine Schriftgieherei, 1806 eine Saffiangerbe-
rei, 1809 eine Rotbgarnfärberei u. f. w. Eine ftatiftiiche Zufammen-
ftellung der gewerblichen Geſchäfte der Jetztzeit wird unten mitgetheilt
werden, Dod möge bier nod bie Bemerkung ftehen, daß im Jahr
1821, in Folge eines Kabinetsbefehls, die Errihtung dev britten Pforz-
heimer Apotheke, nämlih der Schuhmacher'ſchen, erfolgte.
Sm Sabre 1800 erhielt Pforzheim auch wieder eine Bude
druderei. Es it früher in einem befondern Abſchnitt (S. 189 fi.)
von den Bucdrudereien die Rede geweien, die im 16. Jahrhundert in
Pforzheim beſtanden, und ebenfo ift bemerft worden, daß die Stadt
nah der Berlegung der Mefidenz eine folhe nicht mehr gehabt
babe, Vom Jahr 1794 an erfhien in Karlsruhe für Pforzheim jede
Woche in Oktav ein befonderes Blättchen, die „Pforzheimer wöchent⸗
liben Nachrichten." Als im Jahr 1800 durh Ehr. Tr. Müller aus
Karlsruhe wieder eine Druderei in Pforzheim errichtet wurde, erfchien
vom Juli jenes Jahres an das Blatt in letzterer Stadt felbft, und
zwar von 1801 an im Quartformat. Die wöchentlichen Nachrichten
verwandelten fih 1811 in ein „Wochenblatt“, 1832 aber in ben
„Beobachter“, der von da an wöchentlich zwei, fpäter drei, von 1856
an vier, von 1858 an fünf Mal erfchien und fih am 1. Juli 1861
in ein Tagblatt verwandelt hat. Bon Müller ging die Druderei auf
J. M. Kap, fpäter auf J. M. Flammer über. In den fahren
1839 — 1843 beftand in Pforzheim noch eine zweite ausgedehnte Buch:
druderei in Verbindung mit einem bedeutenden Berlagsgefchäft unter
der Firma Dennig, Fink und Kompagnie, aus dem manche ausgezeich—
nete Werfe mit vorzüglicher typographiſcher Austattung hervorgingen.
In neuefter Zeit hat Buchhändler Schwarz eine zweite Buchdruderei
in Pforzheim unternommen.
Wie früher, jo mögen auch bier einige Mittbeilungen über Kir:
hen: und Sculverhältniffe folgen. 1) Die von ber Generalfynode des
1) Erfte evang. Stadbtgeiftlihe waren (vergl. ©, 551) von 1742 an
Joh. Jak. Wechsler, 1746 Joh. Lorenz Maurer, 1755 Ehrift. Pet. Eifenlohr,
1764 Gottfried Pofjelt, 1797 3. K. Herrer, 1803 Ernft Phil. Holzhauer, 1824
Johann Gottihald, 1836 Wild. Frommel, ſeit 1857 Iſaak Riehm. — Alt:
Hädter Pfarrer waren (vergl. S. 322) von 1742 an Joh. Chr. Wucherer,
1746 8, 3. Wehsler, 1756 ©. Ch. Ungerer, 1757 8. 3. Holzhauer, 1768
K. Wagner, 1779 ©. 5. Nagel, 1780 ©. 2. Schober, 1786 K. F. 2. Sonntag,
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die menefte Zeit. 687
Jahres 1821 am 26. Juli jenes Jahres beichloffene Vereinigung der
Iutherifchen und reformirten Kirche unferes Landes erfolgte überall, alfo
aud in Pforzheim, am 28. Oktober mit entfprecdhenden Feierlichkeiten.
Der dadurch eingehenden reformirten Pfarrei (vergl. ©. 561) folgte
fon 1823 die Errichtung einer andern, nämlich der katholiſchen.
Es iſt im Frühen erzählt worden, daß den Katholiken, die ih —
bauptfählih in Folge der Entwidlung der Gewerbsthätigkeit — in
Pforzheim immer zahlreicher niedergelaffen hatten, zuerft nur die Er:
laubniß zur Abhaltung von Privatgottesdienft in einem dazu eingeriche
teten Betſaale ertheilt, diefer Religionsübung fpäter hinſichtlich der pfarr—
lichen Rechte, namentlih durch Anftellung von Pfarrkuratoren, eine
weitere Ausdehnung gegeben und 1805 den Fatholifchen Einwohnern
der jeder Zeit widerrufliche Mitgebrauch der Waiſenhauskirche gemein:
[haftlih mit den evangelifchen bewilligt wurde, Im Jahr 18512 erfolgte
auch die Eröffnung einer katholiſchen Schule und die Anftellung eines
befondern katholiſchen Lehrers, wozu die Regierung am 26. Auguft
1811 die Erlaubniß ertheilt hatte. Unterm 26. uni 1823 erfchien
nun eine Tandesherrliche Entſchließung, 1) welche den Katholiken die
freie Religionsübung, mit einigen wenigen durch die altkirchlichen Orts—
verhältnifje nöthig gemordenen Beſchränkungen (feine öffentlichen Bitt—
Hänge, Feine Aufftellung von Bildern und Kreuzen auf öffentlichen
Plätzen, Einholung der Tandesherrlihen Erlaubniß bei Weihungen,
Firmungen ꝛc. durch einen Bischof) geftattete und die Errichtung einer
felbftftändigen katholiſchen Pfarrei anordnete. Der erfte Geiftliche, der
dieſe Stelle beffeidete, war Jakob Burkhardt.) Wie fchon früher
bemerkt, wurde den Katholiken nicht lange nachher die bisherige refor—
mirte Kirche zum gottesdienftlihen Gebrauche überlafien, und befindet
fih die Gemeinde heute noch im Beſitz derfelben. Won dem der katho—
liſchen Gemeinde in der angeführten Entſchließung der Regierung ein:
geräumten Net, eine „eigene Kirche mit Thurm, Uhr, GIoden und
Geläute, aud mit allen zum katholiſchen Gottesdienſt erforderlichen
1789 M. 3. Ch. Bartholmeß, 1804 €. ©. Bed, 1809 Ph. L. Nomann, 1812
3. 3. Eifenlohr, 1822 Fr. ©. Lindemeyer, 1839 Iſ. Riehm, feit 1852 3. P.
Bod.
1) Regierungsblatt v. 1823, Nr. 18.
») Ihm folgten 1835 Joſ. Kupferer, 1839 Frz. Schindler, 18351 Alois
Schuh,
683 Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
innern Einrichtungen" bauen zu dürfen, bat diefelbe bis jet feinen
Gebrauh gemadt. — Die Erbamıng einer Synagoge durd bie
ifraelitifche Gemeinde, und zwar an die Stelle des 1805 abgebrannten
jog. „Eſelsſtalles“ erfolgte im Jahr 1812. — Am 23. Oktober 1845
wurde in Pforzheim in Folge des Auftretens von Johannes Ronge
und Dowiat und ihrer Anweſenheit in diefer Stadt auch eine deutſch—
fatholiihe Gemeinde gegründet. — Es möge bier jchlieklih noch
bemerkt werden, daß Pforzheim im Jahre 1824 abermals eine feiner
frühern Kirchen verlor, indem damals die Kreuzkirche abgebroden
wurde. Die dajeldjt befindlichen Grabfteine verbrachte man größten:
theil8 nah dem Kirchhof, um fie an den äußern Wänden der dortigen
Kapelle wiederum aufzuftellen. Der frühere Kreuzkirchhof war ſchon
1800 geihloffen worden. Jetzt ift er größtentheils überbaut.
Mit- dem Pädagogium im Pforzheim, das feit den 80er
Jahren des vorigen Jahrhunderts fidytlich wieder aufblühte, wurde 1790
auch eine Realſchule verbunden, diefelbe jedoh 1809 wieder auf:
gehoben. Allein mit dem Statut von 1839 wurde eine durch alle
Klaſſen durchgeführte Höhere Bürgerfchule neben das Pädagogium
gejtellt. 1) — Im Beitand und der innern Einrichtung der Stadtſchule
(Knaben: und Mädchenſchule) gingen feit der Zeit, wo von ihr das letzte
Mal die Rede war (S. 549), wejentliche Veränderungen nicht vor, außer
dag neben der Ztaötjchule längere Zeit noch eine ſogenannte Freifchnle
beitand, Solche Veränderungen erfolgten indeß im Jahr 1847 dur =
Errichtung zweier neuen Hauptlehrerftellen, und 1860 durch Anftellung
eines vierten Lehrers an der Knabenſchule, deren Unterricht in Folge
deſſen na oben erweitert werden fonnte, Schon 1843 war das
Schulgebäude felber einer durchgreifenden Baureparatur mit zweck—
mäßigerer innerer Eintheilung unterzogen worden. 2) — Die wachſende
) Proreftoren oder Borftände des Pädagogiums bez. beider Anitalten
waren (vergl. S. 548): noch 1760 G. B. Deimlina, 1770 NR. Sander, 17%
%. 5 Th. Zandt, 1807 J. ©. F. Dreuttel, 1818 W. Frommel, 1838 Chr,
Kröll, 1842 Salzer, 1846 B. Henn, 1852 ©. Helferich, feit 1854 J. Lamey.
2) Prägeptoren ober erfte Lehrer (veral, ©. 480 und 548) waren und
zwar an ber Knabenſchule: von 1745 an ©. H. Neftler, 1764 3. 5. Leyerle,
1793 Chr. F. Heller, feit 1825 Karl Idler; an der Mädchenſchule: von 1749
—1806 Joh. Joſ. Leibfried, 1806 Chr. Mart. Idler, jeit- 1847 Chriſtoph
Wankel.
Neunzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 689
Zahl der Schüler, die erhöhten Bebürfniffe der Zeit und noch andere
Umftände führten in Pforzheim nah und nah zur Gründung nod
weiterer Schulanftalten. So erfolgte 1832 die Errichtung einer ifraeli-
tifhen Schule, ſowie der Winth er'ſchen Privatelementarſchule,
um 1840 bie eines Mäbcheninſtituts, 1842 der Gewerbſchule,
(jeit 1846 unter Leitung von Direktor Huber), 1846 wurde bas
ftädtifhe Waiſenhaus gegründet und 1850 auch eine Schule dazu
errichtet, 1849 entftand die ftädtiihe Höhere Töchterſchule, (feit
ihrer Gründung unter Leitung von Direktor Pflüger,) im nämlichen
Jahr eine Kleinkinderpflege, 1862 eine zweite Privatelemen-
tarſchule unter Lehrer Schifferdeder u. f.w. Shen 1826 war auch
in Pforzheim die Landes-Taubftummenanftalt (Borftand: Profeſſor
Bach) errichtet und derfelben das Gebäude des bisherigen Filialfiechen-
hauſes zugewiejen worden. Mit der Zunahme der Bevölferung in den
1850er Jahren wurden die Räumlichkeiten im Schulbaufe, in dem
noch immer alle ftädtifhen Schulanftalten vereinigt waren, nad und
nad) unzureichend, jo daß die Notbiwendigfeit einer Vermehrung und
tbeilweifen Erweiterung derfelben, fjowie bei dem großen Mangel an
Wohnungen der Herftellung befonderer Lehrerwohnungen, immer dringen-
der bervortrat. Es erfolgte deshalb im Jahr 1858 die Vergrößerung
des bisherigen Schulhaufes und im nämlichen und dem folgenden Jahr
der Bau eines befonden Mädhenfhulbaufes, das nunmehr eine
* Zierde der Stadt bildet. Beide Gebäude werden dem Bedürfniß wohl
für eine Anzahl von Jahren genügen. Der dermaligen Gemeindebehörde
Pforzheims, an deren Spite der wackere Oberbürgermeifter Zerrenner
fteht, gebührt das Lob, durch ihre rühmliche Vorſorge für.das Schul:
wefen der Stadt dasjelbe nach und nach im eimen Stand gefekt zu
haben, daß es fi) mit dem aller andern Städte kühn mefjen darf und
mit ben fortgefchrittenen Bildungsbedürfnifien der Zeit gleicyen Schritt hält.
Bon den Anftalten und Einrichtungen für Unterricht und Erziehung
gehen wir zu ſolchen über, welche für wohlthätige und ähnliche Zwecke
beftimmt find. Seit dem orleansihen Krieg war Pforzheim ohne
Spital. Als am 8. Mai 1803 der bisherige Markgraf von Baden
die Kurwürde erhielt, veranftaltete eine Anzahl Pforzheimer eine
Geldfammlung, welhe — zum Andenken an ſolche Erhebung — den
Grundfto zur Errichtung eines Spitals bilden ſollte. Lebteres kam
auch bald, und zwar im bdermaligen Waifenhaus oder dem frühern
Pflüger, Pforzheim, 44
690 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neueſte Zeit.
„unten Bad" (S. 458) zu Stande, und konnte in Folge von Schenkun—
gen in dasfelbe und mit Hilfe der erhobenen Beiträge bald über ver-
mehrte Mittel verfügen. Im Jahr 1838 wurde ſodann das jeßige
Spital ſammt Pfründnerhaus gebaut und 1840 bezogen. Das Ber:
mögen des Hosfpitals beträgt zur Zeit 46,271 fl. 20 fr. und erreichten
die Einnahmen aus Beiträgen im Jahr 1857 die Summe von über
10,000 fl. Der Almofenfond, welcher zum Pfründnerhaus beitragspflich-
tig ift, beträgt dermalen 38,480 fl. 27 fr. Der größte Theil des
Aufwandes wird jedoch aus Gemeindemitteln beftritten. (Die Stadtkaſſe
ſchießt alljährlih im Durchſchnitt 6000 fl. zur Armenunterftüsung bei.)
Der Bau eines neuen großartigern, den bermaligen Verhältniſſen entfprechen:
bern Spitals ift bereits in Ausficht genommen. -- Im Lauf der letzten
Jahrzehende entitand eine Meihe von Vereinen zu wohlthätigen Zwecken.
Dahin gehören: der allgemeine Kranfenunterftüßungsverein
(1835), der Krantenunterftüßungsperein der Goldarbeiter
(1835), der Männerfterbfafienverein (1833), der Frauen
fterbfafjfenverein (1835), der Frauenverein (1838), ber
Armenverein (1862), — neben obigen Krankenkaſſen noch befondere
für die Arbeiter des Bendijer'ihen Eiſenwerks (1805), in der Fabrik
von Aug. Dennig (Statuten feit 1840), der Johanna-Unter—
ſtützungsver ein bei Gſchwind und Comp. (f. 1830), ferner feit einigen
Jahren auch Krankenkaſſen für Buchbinder, Schreiner ꝛc. (daneben befteht
für die Flößer noch immer die Flößerwittwenkaſſe (S.614). — An
Vereinen und Einrichtungen zu gemeinnüsbigen Zwecken wurden ins
Leben gerufen die Sparkaſſe (1834), der landwirthſchaftliche
Bezirksverein (1835), der Guſtav-Adolf-Verein (1844), der katholiſche
Krenzerverein (1851), die freiwillige Feuerwehr (neu organifirt
4858), der Turnverein (1834, veorganifirt 1859), der Leſeverein
(in der Kanne 1822), der Privat-Leſeverein (in der Sonne 1840),
der Arbeiterfparverein (1851), die gemeinnüsige Baugefell:
haft (1857), der Arbeiterfortbildungsverein (1862), ber
Nortbildungsverein für junge Männer (1862). Mit dem
Sparverein verwandt find die in den 1850er Jahren entftandenen Ans
lebensloosvereine — Für gefellige, unterbaltende und
fünftlerifche Zwecke entitanden neben den ſchon länger beftchenden
Vereinen (Mufenm, Schütengefellfhaft ꝛc.) die Eintracht (1850),
der Frohſinn (1850), der Gäcilienverein (1852), der Muſik—
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 69
verein (1860), der Männergefangverein (1858, früher Lieber:
franz, 1839), bie Sreundfhaft (1851), dr Sängerfrangz
(1858) u. f. w. — Der allgemeine deutihe Nationalverein (1859)
zählt in Pforzheim eine große Zahl von Mitgliedern.
Die veränderten Zeitverhältniffe hatten auch eine Reform der
Beitimmungen über die Pforzheimer Stipendien:-GStiftungen
nöthig gemacht. Schon 1838 war ein neues Statut entworfen worden,
das aber 1852 wieder durd em anderes außer Kraft geſetzt wurde.
Nach demfelben follen die Stiftungen in 3 Theilen fortbeftehen, näm—
lid; a. dem Geiger’shen, b. dem Rohr'ſchen und ce. der Fontelin—
Wertwein’ihen. Ueber jeden wird bejondere Nedynung geführt, die
fi) in einer Hauptrechnung vereinigen. Von dem Zinsertrag gehen vor
allen Dingen die Befoldung des Rechners mit 100 fl. und fonftige
Koften ab. Aus dem verbleibenden Reinerträgniß werden die ftatutene
gemäßen Ausgaben beftritten, der Net, ſowie das, was etwa in die
Kaſſe zurüdfältt, wird zum Kapital gefhlagen. Ueber die Bewerber
um die Stipendien wird eine Erfpeftantenlifte geführt, in welche nad)
der Reihe der Meldungen die Einzeichnung erfolgt, wenn die Berech—
tigung nachgewiefen ift. Jeder Stipendiat muß fich halbjährlid über
Fleiß und Gittlichfeit ausweifen. Kann er das nicht, fo gebt er des
Stipendiums nicht nur verluftig, fondern er muß auch %/, der bereits
erhaltenen Bezüge wieder erjegen. Die Verwaltung der Stiftungen,
Führung der Eripeftantenlifte und Kollatur fteht dem Gemeinderath in
Pforzheim zu, der aber jedes Jahr der Staatsbehörde über alle Ber:
bältnifje Vorlage machen muß. Für die Geiger'ſche Stiftung find
nur evangelifhe Bürgerföhne von Pforzheim genußberechtigt, wobei
unter allen Umftänden folhen aus der Familie Geiger-Meerwein, bier
wie bort aber den Unvermöglichen vor den Vermöglichen, der Vorzug
gebührt. Ein Viertel des jährlichen Neinertrages ſoll auf Beitreitung
des Schulgeldes und Anſchaffung von Schulbüchern für eine Anzahl
Knaben vom 7, bis zum 14. Jahr, welde die Volksſchule oder das
Pädagogium befuchen, verwendet werden, jowie 30 Fr. zu einem Prä—
mium für den fleißigften und brävften von ihnen. Die übrigen drei
Viertel erhält 6 Jahre lang ein des Studiums der Theologie Befliffe:
ner, der fih auf einer gelehrten Mittelfchule oder der Univerfitäit bes
findet. Geht er im erften Semefter zu einem andern Fach über, fo.
verliert er das Stipendium; gefchieht jenes fpäter, 2 „muß 4 1/;
692 Neungebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit.
bes Bezogenen wieder erfeten, Nimmt er nach zurüdgelegten Studien
feine Anftellung im Inland an, jo muß er 1/, des erhaltenen Stipen⸗
diums zurüczahlen, weshalb auch Stipendiat für jeden Geldempfang
vorher Sicherheit Teiften muß. — Genußberehtigt zur Robr’fchen
Stiftung find auf 31/, Jahre immer 2 evangelifche Bürgerſöhne aus
Pforzheim oder in Ermangelung von ſolchen aus der alten Markgraf:
ſchaft Baden-Durlah, melde ſich auf einer Univerfität, Akademie, im
evang. Predigerfeminar oder auf der polntechnifhen Schule befinden.
Den Dürftigen gebührt vor den Vermöglichen der Vorzug, — Das
vereinigte Kontelin-Wertmwein'ihe Stipendium von jährlichen 100 fl.
fönnen Studivende, zunächſt aus Pforzheim, ohne Unterfchied der Kon:
feffion erhalten, melde fih auf einer Univerfität, der polytechniſchen
Schule, in einem Schullehrerſeminar oder der Veterinärſchule befinden,
Keiner kann das Stipendium mehr als ein Mal beziehen, wenn Gleich:
berechtigte da find. Unvermegliche werden zunächſt berüdfichtigt. Der
Neft des Ertrags vom Stiftungsfapital foll zur Bezahlung des Schul:
geldes und zu Anſchaffung der Lehrbücher für unbermögliche Knaben ver:
wendet werben, welche das Pädagogium oder die höhere Bürgerfchule
befuchen. — Der Fond der Geiger’ihen Stiftung beträgt zur Seit
(am Schluß des Jahres 1861) 12,177 fl. 36 kr, der Rohr'ſchen
11,310 fl. 12 Er, der Fontelin-Wertwein’ihen 9682 fl. 19 kr.;
— der Wilderfinn'shen 14,006 fl. 58 fr. — Kine weitere im
Jahr 1857 im Betrag von 1000 fl. gemachte Stiftung ift die Ernſt
Schweigert’ice, deren Zinſen alljährlihb am 8. Dezember an bürf-
fige ledige Frauensperſonen vertheilt werden.
Der Wiedererwähnung von Männern, welche ſich durch ihre GStif-
tungen zu Bildungszweden einen Ehrenplatz in der Geſchichte ihrer
Baterftadt gefichert haben, mögen fich hier auch die Namen von folchen
befannten und berühmten Pforzbeimern anreihen, die zum heil noch
der Gegenwart, zum Theil der jüngften Vergangenheit angehören (vergl.
©. 330 und 5%). Wir nennen bier vor Allen Joh. Chriftian
Roller. Er war am 27. Auguft 1773 zu Pforzheim geboren, be
fuchte zuerft das Pädagogium feiner VBaterftadt, bezog 1789 die Karla:
ſchule zu Stuttgart und Tieß fih nad) feinen zu Jena volfendeten Uni—
verfitätsftudten in Pforzheim 1795 als praktifcher Arzt nieder. Im
Jahre 1804 erhielt er eine Anftellung bei der Irrenanſtalt zu Pforze
heim, und wurde dadurch der erjte Irrenarzt des Landes, Eine Be
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit- 693
ſchreibung diefer Anftalt findet fi in dem von Roller herausgegebenen
„Erſten Verſuch einer Befhreibung der Stadt Pforzheim, mit befonderer
Beziehung auf das phyſiſche Wohl ihrer Bewohner“ (Pforzheim, 1811).
Roller ftarb im Mräftigften Mannesalter am 16. März 1814. Als
Menfh, als Bürger und Arzt war Roller gleich hochgeachtet, und zeich-
nete fein Wirken ein vaftlofer Eifer, ein über alle Hinderniffe erhabener
Muth aus. Er war in der damaligen Markgraffhaft Baden der erfte
Arzt, der die Kubpoden impfte. Die rrenanftalt verdankt ihm die
erfte Grundlage einer zeitgemäßen Entwidlung, an welcher unter günftigern
Bedingungen fortzuarbeiten feinem älteften Sohne Dr. Ehriftian
Friedrih Roller, dermalen geh. Hofrathe und Direktor der Heil—
und Pflegeanftalt Illenau, vergönnet iſt. Unter der ausgezeichneten
Leitung diefes ebenfalls zu Pforzheim geborenen Mannes ift die ge-
nannte Anftalt zu einer ſolchen Blüte gelangt, daß fie ſich allen ähn—
lichen Anftalten Fühn zur Seite ftellen kann, wenn fie diefelben nicht
überragt. — Zu Pforzheim find ferner geboren: Dr. Wilhelm
Eifenlohr, geb. Rath und Profefjor an der polntechnifchen Schule
zu Karlsruhe, als Phyſiker rühmlichſt bekannt, — Ludwig Kachel,
Münzwarth und Münzwarbdein zu Karlsruhe ; noch verſchiedene andere
Männer, die in Amt und Würden ftehen und zum Theil hervorragende
Stellungen einnehmen, nennen Pforzheim ihre Geburteftadt.
Gedenken wir num noc einiger bisher nicht erwähnter Ereigniffe
aus dem Zeitabfchnitt, deſſen überfichtliche Darftellung die Aufgabe
dieſes Kapitels ift, um ſodann die Bevölkerungsverhältniſſe ꝛc. Pforz—
heims zu berühren, wie ſich ſolche im laufenden Jahrhundert geſtaltet
haben. Zu jenen Ereigniſſen gehörten jeweils die zu Anfang des lau—
fenden Jahrhunderts üblichen Karl-Friedrichsfeſte, die beifpielsweife am
45. uni 1801 und am 30. Mai 1805, ebenfo 1808 und nach langer
Unterbrehung wieder 1824 noch mit großen Feierlichkeiten und Volks—
befuftigungen, für welch letztere der Hauptplab das Nennfeld war, ges
feiert wurden, fpäter aber wieder in Abgang kamen, Ein anderes Zeit,
das eine heute noch ſichtbare Spur hinterließ, war das der Einweihung
des Denkmals der 400 Pforzheimer im Chor der Schloßkirche
am 6. Mai 1834. Großherzog Leopold, der dasfelbe hatte ſetzen laſſen,
nahm felber am Feſte Theil und übergab an die Nachkommen derje—
nigen Bürger von Pforzheim, deren Namen in das Denfmal eingegraben
find (S. 392), eigenhändig eine für das Feſt geprägte filberne Medaille,
694 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
während die Stadtgemeinde diejelbe in Gold erhielt. Bet diefer Ge
legenheit mag noch bemerft werden, daR aud die gemalten enter
des Chores der Schloßfirhe von Großherzog Leopold herrühren, ber
überhaupt diefem Gotteshaufe große Aufmerkſamkeit ſchenkte. Das
erfte jener Fenfter wurde 1832 eingefügt.
Salt diefes Feſt einer That der Vergangenheit, fo wird der An-
laß und Gegenftand eines andern Feſtes, das wir in allerneuefter Zeit,
nämlich am 3. Juli 1861 feierten, wenn auch ſchon wichtig für bie
Gegenwart, doch feinen mächtigen Einfluß auf Handel und Verkehr
mehr noch in der Zukunft entfalten. Ich meine die an jenem Tag er:
folgte Eröffnung der Eijenbahnitrede Pforzheim-Wilferdingen, wodurch
auch Pforzheim in die Maſchen des Eiſen bahnnetzes eingeflochten wurde,
das bald ganz Europa überdeckt. Daß die Eröffnung dur den
Landesfürften jelber geſchah, geftaltete diefelbe zu einem ſchönen Dop-
pelfeft, das der Veranftaltungen viele berworrief, um folches zu einem
allgemeinen und freudigen zu machen. 1) Die in Bälde zu erwar:
tende Vollendung aud der Eifenbahnftrede Pforzheim Mühlader wird
bem ganzen Schienemveg, ber über Pforzheim führt, eine erhöhte Be:
deutung verleihen. — Noch ift bier zu bemerken, daß der Eröffnung
ber Eiſenbahn 1855 die Führung des erften Telegraphendrahtes nad
Pforzheim und 1857 die Eröffnung der neuen Straße Tängs der
Nagold nad Calw vorausgegangen war.
Um das, worauf in Sltern Chroniken immer ein großes Gewicht
gelegt wird, auc bier nochmals zu berückſichtigen, müſſen wir von
thbeuern Zeiten, Hochgewäſſern und Feuersbrünſten etwas
ſagen. Eine große Theurung herrſchte bekanntlich im Jahr 1817,
meil demſelben das Fehljahr 1816 vorausgegangen war. Nach einer
damals gedruckten Gedächtnißtabelle galt zur Zeit der höchſten Noth in
Pforzheim das Malter Kernen (zu 8 Simri) 60 fl., Roggen 34 fi.,
Gerſte 32 fl., das Malter Haber (zu 10 Simri) 8 fl, das Stmri
Erbſen 6 fl. 30 kr., Linſen 6 fl., Welſchkorn 5 fl. 30 fr. Aderbohnen
5 fl., Hirfen 7 fl. 45 kr., Kartoffeln 1 fl. 48 fr, das Mäßle Ker—
1) Schon 1854, und zwar am 6. Mai, dem Jahrestag ber Schlacht von
Wimpfen, hatte Großherzog Friebrih, bamala noch Prinzregent, ber Stabt
Pforzheim den erften Beſuch gemacht. Das zweite Mal weilte er am 7. ehr.
1860, am Tage der Beiletung der Großberzogin Stephanie, vorübergehend in
der Stabt,
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 695
nengries 56 fr, Weißmehl 28 fr., das Pfund Reis 24 fr., Schwarz:
brod 16 fr., das Paar Med zu 6 Loth.4 kr., das Pfund Ochfen:
fleiſch 15 kr., Rindfleifh 14 kr., Hammelfleifh 12 kr., Kalbfleifh 12
kr., Schweinefleifh 15 kr., Schweinefhmalz 48 kr., Rindfhmalz 1 fl.,
Butter 56 fr., Lichter 36—38 kr., Seife 32 kr., Unſchlitt 26 kr., die
Maag Wein 2 fl., geringerer 1 fl. 36 kr., geringfter 1 fl. 20 fr,
Bier 12 kr, ordinärer Dranntwein 1 fl., der Eentner Heu 2 fl. 48
fr., 100 Bund Stroh 40 fl, drei Eier Str. Das Jahr 1817
erwies fi) jedoch wiederum als ein recht fruchtbares, weshalb beifpiel-
weife der Preis des Sceffels Haber im Mai 1818 wieder auf 4
Gulden gefunfen war, — Gewaltiges Hochgewäſſer brachten der
29. und 30, Oftober 1824. In Folge heftiger Regengüſſe ſchwollen
die Enz, Nagold und Mürm zu nie gefehener Höhe, fo daß der Waſ—
ferftand den des Jahres 1784 — den höchſten, den man bisher ges
fannt — um 4 Fuß überftieg. Alle tiefern Stadttheile ftanden zum
Theil bis zum zweiten Stodwert der Häufer unter Waller, das bie
gegen den Marktplatz hinaufreichte. Die Ueberſchwemmung richtete gro:
ken Schaden an und riß auch die Brüden mit fort. Letzteres geſchah
auch bei dem zweitgrößten Hochgewäſſer des Taufenden Jahrhunderts,
nämlih am 1. Auguft 1851, da8 ebenfalls bedeutende Verheerungen
anrichtete und durch das Umfchlagen eines Nachens bei der Auer Brücke
mehreren Menſchen das Reben koſtete. An die Stelle der alten hölzernen
Brücke trat 1852 die von den Gebrüdern Bendifer in Pforzheim ber:
geftellte eiferne Gitterbrüde. — Bon bedeutenden Feuersbrünſten
blieb die Stadt fchen feit Jahren verfchont. Am ftärfiten wüthete am
2. Mai 1840 der fogenannte Poftbrand, der das Quadrat, in welchem
die Post fid befindet, faft ganz zerftörte. Es wurde in den mächften
Jahren fchöner, als e8 vorher gewefen, wieder aufgebaut.
Merfen wir nunmehr einen Blick auf die Bevölkerungsver—
bältniffe Pforzheims, wie fich ſolche feit etwa 70 Jahren geftaltet
haben, Wir haben oben (S. 562) beim Jahr 1725 die Seelenzahl
der Stadt auf 3000-4000 berechnet. Im Jahr 1789 war fie auf
4311, 1795 auf 4937 Köpfe geftiegen, darunter 4600 Yutheraner,
83 Reformirte, 154 Katholiten und 400 Juden. Im gegemmwärtigen
Jahrhundert zeigten verjchiedene Volfszählungen folgende Ergebnifie:
1800: 5062 Einwohner.
1810: 5572 =
696 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim won 1789 bis auf die neueſie Zeit.
1831: 6284 Einwohner.
1837: 7049 "
1840: 7694 "
1843: 8334 Mr
1846: 8452 r
1849: 7951 =
1852: 9183 2
1855: 10711 —
1858: 13520
1861: 13854
Die Bevöltkerung der Stadt iſt alſo ſeit 60 Jahren um ein Anfehn-
liches geſtiegen und beträgt mehr als das 21/,fache des Standes zu
Anfang diefes Jahrhunderts. Don den Ergebniffen der jüngften Zäh—
lung (Dezember 1861) mögen noch folgende Einzelheiten bier ihren
Platz finden: die Zahl der Familien war 1936; unter der Gefammt-
zahl der Benölferung befanden fih männliche über 14 Jahre 5998,
weibliche 4974, männliche unter 14 Jahren 1455, weibliche 1427.
Nach Konfeffionen, bez. Neligionen, vertheilte ſich die Bevölkerung der
Stadt auf 11,113 Evangelifhe, 2528 Katholiten, 45 Difjidenten
(Lutheraner und Freireligiöſe) und 168 Iſraeliten. Die Zahl der
männlichen Gefchäftsgebilfen betiug 3645, der weiblihen 710, ber
männlichen Dienjtboten 198, der weiblihen 967. — Die Zahl der
Gebäude betrug im Jahr 1500 erft 780, bis 1855 war fie auf
4590, und bis 1856, im welchem Jahr eine neue Nummerirung ber
Häufer und die Eintheilung der Stadt in 5 Quartiere (jet 6) ftatt-
fand, auf 1629 geftiegen, Cine lebhafte Bauthätigkeit zeigte fich im
ben folgenden Jahren, namentlich als die 1867 gegründete gemein
nüßige Baugeſellſchaft ihre Thätigfeit zu entfalten begann und
andere Bauunternehmer ihr nadeiferten. So erhob ſich feither eine
Reihe von zum Theil großartigen und gefchmadvollen Neubauten, am
der Dillfteiner Strafe fogar ein neuer Stadttheil, neue Straßen wurden
angelegt, fo die Kriedrihs:, Enzftraße (mit dem Enzplatz), die
Dillfteinere, Weibers, Weiherbergs:, Bauftrape,
mehrere noch unbenannte Querjtraßen zc., fo daß die Gejammt:
zahl der Gebäude am Schluß des Jahres 1861 auf 1845 ge
ftiegen war. Außerdem ift in ben lebten Jahren eine bedeutende
Anzahl von Häufern durh Anbau, Auffegung weiterer Stodwerte ıc.
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 697
vergrößert worden, Die Zahl der Straßen, Gaffen und Gäßchen
beträgt 68. Diefelben haben in neuerer Zeit zum Theil andere
Namen bekommen, die Ochfengafje hat fih in eine Neudlinsftraße,
die Viehgaſſe in eine Spitalftraße verwandelt, aus ber Tränfgafie
ift eine Deimlingsftrafe, der Brößinger”Gaffe eine Karl-Fried—
richs-Straße, dem alten Schlappergäßchen eine Baumjtrafe, dem
Zigeunergäßchen eine Lindenftrage, der frühern obern Vorſtadt eine
Bahnhofftrake geworden u. |. w. Aber auch im äußern Anſehen
der Stadt find vielfache Veränderungen vorgegangen. Die alten finftern
Thore, die längſt ihre frühere Bedeutung verloren hatten, wurden nad)
und nad abgebrochen, fo das Heiligkreuz-⸗, das obere Graben:, das
Auerbrunnenthor, der Brößinger: und der Altftädter Thorthurm noch
im vorigen, beide letztere Thore mit dem Schäfer, dem Auer:, dem
Hiller:, dem Gauch-, dem obern und untern Schloßthor fammt dem
Dbermühlthörlein im laufenden Jahrhundert. Ebenſo verihwand da
und dort die Stadtmauer. Der Stadtgraben wurde theilweiſe ausge:
füllt, viele der Altern, hochgegiebelten und mit dem Giebel gegen die
Straße gerichteten Häufer machten neuern, geſchmackvollern und beque—
mer eingerichteten Gebäuden Platz. Im Jahr 1855 wurde auch das
Rathhaus reftaurirt, zu welcher Zeit auch das Standbild des Mark:
grafen Ernſt auf dem Marktbrunnen einer Wiederherftellung unterzogen
wurde. Schon das Jahr vorber hatte eine Neupflafterung der Stadt,
das Legen von Trottoirs in den Hauptitraßen derſelben und die Ser:
ftellung einer neuen Mafferleitung begonnen, nachdem bereits 1858
Gasbeleuchtung eingeführt worden war, Co hat Pforzheim nach und
nach ein mobderneres Gewand angezogen, iſt vermöge aller diejer Um:
ftände aus der Meihe der badiſchen Mitteljtädte in die der größern
Städte des Landes eingetreten und nimmt unter denfelben binfichtlich
der Bevölkerung die fünfte, bezüglich der Gemwerbthätigkeit aber die
erfte Stelle ein. Weber den dermaligen Stand der Ichtern mögen noch
einige Mittheilungen folgen,
Nach dem Steuerfatafter für 1862 find in Pforzheim 131 Bis
jouteriefabrifen, 20 Eleinere Fabriketabliſſements (Goldarbeiter), 5 Kräß:
wafchereien, 18 Gravier⸗, 6 Guillodhier:, 6 Emaillier:, 8 Juwelierge—⸗
ihäfte, I Etuisfabrifen, — die bisherigen Etabliffements zufammen
ohne die Lehrlinge mit 3519 fteuerpflichtigen Gehilfen — 5 Bijouterie-
handlungen, 3 Steinhandlungen, 3 Steinfchleifereien, 6 mechaniſche
698 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit.
Merktätten (mit 28 Gebilfen), 2 Eifengießerein und Mafchinenbaus
fabrifen (mit 327 Gebilfen), 1 Kupferbammer, 1 Werkitätte für phar-
mazeutifche Apparate (mit 9 Gehilfen), 1 Werkftätte für phyſikaliſche
Apparate und 2 chemifche Fabriken (mit 43 Gehilfen), im Ganzen
alſo 235 gewerbliche Etabliffements mit 3947 fteuerpflichtigen Gebilfen
(ohne die Lehrlinge unter 17 Jahren) und einem Gejammtgewerbe-
fteuerfapital von 3,686,850 fl. oder 2/, der gefammten Gewerbeiteuer
der Stadt, welche im Ganzen die Summe von 5,441,100 fl. beträgt.
Andere Gewerbe find in folgender Zahl vertreten: 3 Apotheker, 5 Bar:
biere, 22 Bäder, 6 Baunnternehmer, 7 Bierbrauer, 1 Bleichinhaber,
2 Branntweinbrennereien, 5 Buchbinder, 4 Buche und Steindrudereien,
2 Buchbandlungen, 1 Büchfenmader, 2 Bürftenmader, 2 Eonbitoren,
2 Dreber, 1 Sfüigfieder, 2 Färber, 3 Feilenhauer, 6 Tlafchner, 2
Rrachtfuhrleute, 1 Frifeur, 10 Gärtner, 1 Gasanftaltunternehmer, 5
Gerber, 2 Gipfer, 7 Glaſer, 1 Glasſchleifer, 2 Gürtler, 3 Hafner,
72 Handelsleute (und zwar: 3 Bantiers , 20 Ellenwaarengeichäfte, 12
Spezereigeſchäfte, 6 Duincaillerier und Merceriegefhäfte, 1 Mein: und
Landesproduftenhandlung, 3 Eifenhandlungen, 3 Holzhandlungen, 2
Putzhandlungen, 7 Viktualien- und Mehlhändler, 3 Kleiderhandlungen,
3 Trödler, 3 Steinkohlenhandlungen, 3 Makler, 3 Kommiſſionäre,) —
6 Hauderer, 2 Hutmacher, 2 Rammmader, 1 Korbmacher, 5 Kübler,
8 Küfer, 3 Kürfchner, 70 Landwirthe, 4 Maler und Lakirer, 3 Mau—
rer, 20 Mebger, 3 Müller (mit 4 Mahlmühlen), 4 Pfläfterer, 2
Pofamentiere, I Putzmacherinnen, 2 Profkuratoren, 3 Sägmühlenbeſitzer,
7 Sattler, 3 Schirmmacher, 12 Schloffer, 10 Schmiede (3 Grob:
fchmiede, 1 Kettenfchmied, 4 Kupferichmiede, 1 Mefferfchmied, 1 Nagel:
fchmied), 24 Schneider und Kleidermacerinnen, 18 Schreiner, 33
Schuhmacher, 4 Seifenfieder, 3 Seiler, 1 Siebmadher, 1 Strumpf:
ftrider, 1 Tapezier und Dekorateur, 3 Uhrmacher, 1 Vergolder, 4
Wagner, 1 MWafenmeifter, 2 Weber, 8 Weinhändler, 33 Mein: und
7 Bierwirtbe, 6 Ziegler, 6 Zimmerleute. Auf alle nicht fabrik—
mäßig betriebenen Gewerbe fommt ein Gewerbitenerfapital von 1,754,250
Gulden. — Das Grunde und Häuferftenerfapital der Stadt be:
trägt für 1862 die Summe vor 3,673,480 Gulden, das Gefammtftener:
kapital 9,114,580 Gulden. Am Jahr 1850 betrug dasfelbe erft
4,865,060 Gulden; es bat ſich alfo in 12 Jahren beinahe verdoppelt.
Was die Vermögensverhältniffe und überhaupt das mufterhaft verwal-
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 699
tete Finanzweſen der Stadtgemeinde felber betrifft, fo weist die Stadt:
rechnung für 1860 eine Einnahme von 101,588 fl., eine Ausgabe von
98,664 fl. 38 fr, umd einen Vermögensftand nad, der nach Abzug
von 124,783 fl. 32 ir. Echulden die Summe von 559,368 fl. 56 fr.
beträgt und während des genannten Jahres in Folge von Schulden:
tilgumg um mehr als 10,000 Gulden zugenommen bat. Alle diefe
Derbältniffe in Verbindung mit der Zunahme der Bevölkerung und der
Hänferzahl beweifen die wachfende Bedeutung Pforzheims zur Genüge.
Möge die ſchützende Hand der Vorfehung auch ferner über einer Stadt
walten, die — von jeher ein Foftbares Juwel in ber Krone ber
badifhen Yürften — nad fo vielen wechſelnden Scidfalen, wie fie
diefe Blätter eingehend gejchildert haben, immer wieder zu neuer Blüte
gelangt ift und einer noch größern Zukunft entgegen geht!
Regiſter.
A.
Aab, Geſchlecht, 301, 392, 559.
Abgeordnetenwahl, erfte 684.
Abrecht, Geſchl. 301, 392, 407, 432,
466, 468, 532.
Abzug 72, 358
Achtſynit, Kanzler 61,269, 286, 320,468.
Adel und adelige Häufer in Pfh. 146,
163, 298, 300, 463.
Ador, Kommerzienrath 632.
Albrecht v. Brandenburg 322.
Alemanen 26.
Almofenfond 160, 284, 335, 606,
Altäre der Schloßfirhe 150.
a 21, 2, 104, Sl nr =
Altſtädter Kirche 31, 41,71, 105, ff., 186,
309, 526.
Angeftellte in Prb. 364.
Anlebensloogvereine 690.
Anshelm, Thom., Buhdruder 189.
Apothefen 460, 544, 686.
Arbeiterzahl der Fabriken 631, 643,
653, 664, 666, 667, 697.
Arbeitslohne 490, 632, 664.
Ariovift 7.
Arlaud, Geſchl. 662.
Armbruftbaus 45%.
Aſpern, Schlacht v. 673.
Aue 78, 45
Auauftinerflofter 116, 323,
Aufterlig, Schladt v. 671.
Autenrieth, Geſchl. 4
Autran, Gründer ver Bij.Fabr. 624.
B.
Baden ein Kurfürſtenthum 671, ein
Großherzogthum 672.
Rad, oberes od. unteres 163, 458, 347.
Baden-Durlah 267.
Baden-Pforzbeim 267.
Badftuben 159, 163, 293.
— 259.
Baiern in a 412, 437.
Barfüßerkloſter ſiehe Franziskaner.
Barthold, Geſchl. 484 559.
Baſel, Friede v. 669.
Bauer, Geſchl. 164, 392, 407, 580,
585, 594, 665.
PBauernfrieg 265.
Baugeſellſchaft, gemeinnügige 690.
Baumann, Geſchl. 301, 392, 553.
ee er
Baurittel, Geil. .542, 544 ff., 353,
560, 660, 661, 60».
Baufchlott 73, 111, 114, 315, 322, 354,
405, 540.
Beder, Geſchl. 301, 559, 605, 657.
Beh, Geſchl. 164, 356, 362, 365, 392,
407, 424, 432, 318, 331, 559, 568,
380.
Beckh'ſche Stiftung 362.
Befeftigungswerfe 77, 118, 121, 162,
297, 446 ff., 520, 522, 547, 568, 697.
Bequinen 111, 115. 116, 317.
Belanerung von Pf. 515, 525.
Benckiſer, Geſchl. 616, 678, 683, 690.
Beobachter, Pforzb. 636.
Bernhard L, Marfaraf 92, 136, U. 176.
Bertbier, Marihall, in Pf. 6892.
Berthold. Bruder 75.
Befchreibungen d. Stadt 292, 446, 465,
— 408, 464,531,
358 ff.
Bierbandel, Hädtifher 462.
Bifouteriefabrifation 606, 624 ff., 697.
PBilfingen 70, 212.
Birfenfelv 11, 109, 113, 118, 150, 405.
Bleibe 616.
Bleichwiele 36, 122, 279, 359.
Blockhaus 459.
Bohnenberger, Geſchl. 666, 678, 653.
Bonlanden, früherer Ort 112,
Borgnis, Geſchl. 661.
Bougine, K. J. 59.
Braun, Geſchl. 518.
Breidt, Geſchl. 392, 407, 484, 559.
Bremerbof
Brenner, Geſchl. 392, 432, 434,
Brodſchauer 240.
Brovfhrannen 124.
Brögingen il, 14, 43, 70, 109, 113,
118, 150, 187, 322, 405.
Bröginger BVorftabt 78, 449.
Bronner, Geil. 484.
Bruderbaus 457.
Bruderſchaften 160.
Brüden 12, 122, 291, 455, 545,
Brunnen 155 fr.
Brunnenorbnung 250.
Regifter, 701
Bub, Geſchl 301, 365, 392, 424, 466, | Düren 11, 15,73, 113,118, 150,310,540.
320, 559, Durlad v., Sehhl 87.
Buchdruderei 189 ff, 303, 686.
— Geſchl. 301, 3 — 518,
henbronn 118, 1 150, 156.
Bürger, Geſchh — —
Bürgereid 247.
Bürgerannahme 222, 248, 560,
Bürgermeifter 188, 235. 301, 365, 423,
100, 522, 392, 31, 551, 610, 678,
Bürgermilitär 554.
Bürgerſchaft 96, 247, 430, 562.
Bürgerfchule, hobere
Bürgerwittwenkaſſe 614.
Bujard, Geſchl. 653, 660, 661, 665, 678.
Bund, deutfcher 675,
Eäcilienverein 690.
Eäfar, J. 7.
Calw, Grafen v. 35, 36, 44.
Galwer Straße 694,
Campo Kormio, Friede v. 670.
Chriſtenthum, Berbreitung 30.
Chriſtin A., Mitgründer d. Bil.-#. 624 ff.
Ehriftoph, Markgraf 173.
Eifterzienferinnen, Kfofter 49, 111, 154,
158.
Darmsbach 159.
Dehmen 219, 233, 475.
Deimling, Gefhl. 301, 357, 391, 392
407, 456, 466, 522, 532, 533, 542,
580, 581, 605, 617. 821, 64.
Dentfteine, Denttafeln und Dentmäler
14. ff., 181, 183, 185, 277, 291, 298,
539 ff., 544, 601, 674, 693.
Dennig, Geſchl. 666, 678, 633, 686, 690.
Deutſchkatholiſche Gem. Gründung 688.
Diebigraben 396, 449.
Dietlingen 11.18.33.43 118,
ietlingen 11, 15, 33, 43, 100, 110,
137, 150, 150, 211, 265, 405, 438,
Dillſtein 95, 105, 150, 186, 309.
Dittler, Gefchl AOL
Döffingen, Schlacht 99.
Dominifaner-Klofter u. Kirche 74, 108,
111, 115, 165. 309, 323, 399, 401
Dominitanerinnen-Klofter 41, 49, 74,
108, 111, 118, 153, 187, 203, 323,
329, 401, 456, 573, 620.
Dreißigiähriger Krieg 375 ff.
Dürrmenz 32, 114, 150,
Durlader Straße 566.
Eberftein, Grafen v. 38.
Eberg, Peter 367.
Ederih 283,
Eintradht, Verein 690.
Einwanderer in Pf. 560, 677:
678, | Eifenbahneröffnung 694.
7 nn. 693. —
iſingen 16, 33, 100, 113, 118, 174
2 ⏑ß⏑
Eifinger Yo 16.
Eifingen, Herren v. 65.
Ellmendingen 11, 14, 15, 33, 43, 101,
109, 110, 112, 114, 118, 137, 322.
Emigranten, franz. 677,
Enderle, Geſchl. 301, 356, 559,
Enzberg 32, 113, 150.
Enzberg, Herren v. 62, 174.
Enzgau 31, Grafen darin 33.
Ercmiter-Klofler 116, 323.
Erhard, Geil. 301, 392, 425.
Ernft, Markgraf 176, 268, 316.
Ernft Friedrih, Markgraf 351.
Erfingen 113, 212, 266, 317.
Eſelsſtall
Effig, Geſchi 301, 357, 392, 403, 44,
Euchele, Gefchl. 301, 372, 392, 407,
126, 432, 539,
Euphemia 114, 134.
Eutingen, 11, 33, 113, 118, 126, 150,
159, 187, 322, 601,
Erefution, milit. 581, 584, 588, 592.
Fabri, Dr. Wendelin 330.
Fabrifen, Anzahl 655, 657, 660, 662,
665, 666, 667.
—
Fabrikordnung, alte 635,
Balfengarten 95.
Bauler, Geſchl. 301, 392, 466, 532,
Feldner, Geſchl 301,365, 425, 428, 559,
Feldordnun
Fegert, Geſchl. 4
ar ki 290, 438, 513 917, 328,
Reuerfprige, erfte 550.
Feuerwehr 690.
Fink, Gefhl. 164, 392, 407, 686.
Fintenftein, Gefchl. 606, 632,
Kifhwafler i. d. Enz 41, 281,
legler 97.
61,258, 272,611
lopwefen 88, 125,1 :
Flößerwittwenfaffe 6I4 #
84
702
Roblenftall 17.
Kontelin’fve Stiftung 362, 692,
Kortbildungsverein 690,
Kräufeinflift, adelihes 539.
Sranten 29,
Franziskaner-Kloſter u. Kirche 74, 111
115, 152, 186, 399, 401, 410, 413,
3 eg rg SSL Sn.
ranzofen in Pf. 511, 514, 525, 527
530, 567, 677.
Fraucnverein 600.
Frei, Adam 195.
Freundſchaft, Berein 691.
Srevel 157, 358.
Friedland, Schlacht v. 672.
rievrich, Großherzog 676, 693,
riedrich III, Kaifer, in Pfh. 146,
riedrin 1, Marfgraf 55, 1. u. II, 92,
Se Ni vo tgraf 354, 394, 444
riedrich V., Marfgra
VI A444 np — ZI
BR Magnus, Markg. 415, 538,
Srohnden 217, 476, 565, 678,
Frobfinn, Verein 690,
Fuchs, Seidl. 484.
Fübner, Geſchl.
Fürftengruft 268, 270, 351, 353, 374,
445, 526, 539, 540, 602, 674.
Fürftenverfammlungen zu Pforzh. 100
143, 146, 323.
me
_—
G.
Gaſthäuſer 460 ff.
Gauverfaffung 31
Gebäudezahl 696.
Geiger, Geſchl. 164, 285, 356, 392,
407, 432, 568, 678.
Beiger’ihe Stiftung 285, 691,
Geiftlihe der Stadt 40, 73, 107, 182,
192, 311, 313, 322, 325, 336, 364,
405, F16, 317, 529, 550, 686.
Geiftlihe der Altftant 186, 322, 364,
405, 686.
——
Geldwechſel 226.
Gelehrte aus Pf ., 163. 193, 295,
316, 330, 596,
Örcleite 123, 158, 272, 357.
Selpverhältniffe 128, 278, 397, 493.
Gemeindedienfte 237.
Gemeindegut 219.
Gemmingen, Herren v. 145.
Georg Friedrich, Marfgraf 353, 363,
367, 378, 400,
Georgsbrunnen 119 ff.
Georgöfteige 120.
Regiſter.
Georgsſtift 119, 309, 413, 452, 457,
5 —
Gerbel, Nik. 344.
Gerichtöwefen 222, 231,
Germanen 6.
Gerwig, Gefhl. 164, 392, 429, 518,
Gewerbliche Berbältniffe 125, 158, 161,
178, 253, 294, 459, 485, 513, 556,
283, 605, 611, 685, 697,
Gewerbſchule 689.
Glaſer, eg —
Glaubenstreue der Pforzh. 365
Gloden der Schloßfirde 54.
Göbrichen 15, 32,43, 109, 114, 265, 322,
Göldelin, Gefhl. 85, 102, 103, 142,
Goldkontrole 656 ff.
Goldſchmiedsordnung 262,
Grabfteine 14, 63, 82 ff., 102, 112, 150,
174, 129, 182 fi, 268, 269, 273, 286,
237, 293, 298, 320, 362, 460,520,525.
Gräfenbaufen, Herren X
Graue Schweſtern, ſiebe Beguinen.
Gregorianiſcher Kalender 377
Grepffenberger, Joh., Buchdrucker 207.
Groß, Geſchl. 164,
Gülich, Geſchl. 606, 666, 690,
Stern Huf Sreite 491, 507. 531
Güter- u. Häuferpreife 491, ;
Guſtav Adolph v. Schweden 302.
Guftav-Adolpb-Bercin 690.
Butleutbaus 119.
Gutt, Osw. Kanzler 320,
Hadel 5.
Hafner, Gefhl. 302.
Hagenſchieß 15, 73, 145, 146, 159, 357,
514, 516. 519, 534, 557, S6L
Damberg 137, 146, 150.
nn oberer und unterer 458, 488,
Hardheimer Schlößchen 17.
Dauptrecht 279, 358
Heerichau bei Pf. 139, 681, 683,
Heivdenteller 16. ,
Heil» und Pflegeanftalt 118, 610.
Deiliggeiftipital 117, 187, 329, 401.
Heimeheim, Herren v. 70.
Heinrich IV,, Raifer, in Pforzheim 39.
Deinzelmann, Geſchl. 301, 392.
Heiſch, Geſchl. 469, 484, 548.
Helmftädt, Oberſt v. 382
Herren zu Pforzheim 92,
— b, Kloſter 49, 56,59, 80, 101,
Regifter,
Hermionen 6,
Herrmann, Gefchl. 484.
a — an 50 ff,
errmann VI. 55, VII. 76, 91, VI
und IX. 92, — —
DHerenprozeffe 211, 501.
— Kloſter 5, 36, 38, 40, 42,
Hirfhaue Sof 41, 77, 402.
rihauer Hof 77,
Hocgewäfler 524, 563, 622, 695,
Horter, Geicht. 432, dr
Hopeifen, Geil. 560.
Dohened, re Sr
Hohenlinden, Schlabt v. 670.
Siehe die, 44 ff.
obenwarth 11, 23, 36, 43, 145, 146.
.. Seigt. Ask. mn
olzhauer, Geſchl. 392, 484, 506, 580
551, 588, 592, —
Holzpreiſe 161, 491,
Hortari, Fürft 28.
Hoipital und Pfründnerpaus 658,
en 308, 108% 51a
1, 309, 405, 514.
Bug, A, Stavtihreiber 180, 207.
Hufliten in Pforzheim 15T
Hutten, Uri v., in Pf. 306.
J.
Seren alte 293, 457, 462, 545,
246,
Jaiſer, Geſchl. 301, 302.
Jakob I,, Markgraf 137, 152.
Jakob , Markgraf 351.
Jemappes, Schlacht v. 669,
Jena, Schlacht v. 672.
325 Herren v. 64 R
nicriften 83, 275, 291, 298, 323,
457, 56,52
Interim 317.
Interimsbefepl 532.
Johann, Freigraf v. Kleinegypten 184.
Joſeph U, Kaifer, in Pf. 622.
Joſephine, franz. Kaiferin, in Pf. 679,
Irmengard, Gemahl. Herrmanns V. 52,
— Siechen- und Zuchthaus 573,
Iſpringen 64, 112, 113, 118, 150, 187.
Ffraelitiiche Schule 69.
Ittersbach 5, 11, 322, 353.
Sudenvertolgungen 88, 97.
Kachel, 2. 693.
Kaifer, Geſchl. 164.
Kaiferwahlen zu Pforzheim 39.
. Kallpart 282, 515, 555.
703
Kanoniter-Klofter 116, 323.
Kanzler, Wald 17.
Kapelle auf dem Friedhof 546,
Kapfenhart, Herren v. 68,
Kappelhof und Kappelwiefen 41.
Kapuziner in Pf. 413, 439,
Karl, Großherzog 673, 675.
Karl Friedrich, Markgraf 541, 599, 673,
Karl-Rriepriche-fefte 603,
Karl IV., Kaifer, in Pfh. 95.
Karl 1, Markgraf 138,
Karl II, Martgraf 268, 275, 319,
Karl Wilhelm, Markgraf 539.
Karoline, Martgräfin 602, 628, 630,
Katholifhe Gemeinde, Kirche u. Geiſt—
lihe 73, 619, 637.
Kap, Geichl. 455, 532, 546, 574, 581,
Keller, Geſchl. 301, 392.
Kelten 4.
Kelter, herrichaftliche 279.
Kercher, Geſchl. 301, 356, 392, 405,
428, 463, 518, 520, 532.
Kern, Geſchl. 159.
Kierer, Geſchl. 164, 392, 407, 429, 432
Kienle, (Kiehnle, Kienlin) Geſchl. 133
359, 697, 660, 661, 665, 678.
Kiefelbromm 11, 16, 32, 73, 111, 113,
118, 150, 405, 673.
Kirhberg 78.
Kirchenordnung 320.
Kirchenzucht 493 ff., 357.
Kirchhof 298, 457.
Klausſchweſtern fiehe Beguinen,
Kleebau 600.
Kleidung 210.
Kleintinderpflege 689,
Klöfter, Aufhebung derfelben 320, 323,
325.
Koch, Geſchl. 164, 392, 407.
Kollegiatftift zu St. Midael 149, 316
401,
sollmar, Geſchl. 620, m
Königsbach 11, 15, 33, 114, 1
Konigsbach, erten v. 66. Zu
Korn, Geſchl. 133, 392,
Kräbened, Burg 60.
Kranfenunterftüßungsvereine 690.
Krentel, Geſchl. 466, 485, 683, 684.
———— 690, : —
reuzkirche 118,446, 452, 457,546,
Kriegstoien 512, 514, 521, 523, 327,
530, 532, 534, 565, 568,570,571,678,
aid,
397.
704
Kruzifir, altes 621, 623.
Kürsner, Konrad 305, 337.
Kupferbammer 48
Kurz, Geſchl. 560
Kuticherweg 12.
Lagerbüder 278, 357.
Lampredt’fhe Stiftung 618.
Landacht 473.
Landesordnung 207, 229,
Landhag 27.
Yandfhaftehaus 459.
Landwirtbfchaftliher Verein 690.
Yangenalb 2, 137
Langenfteinbab 11.
Lannes, Marſchall, in Pf. 679,
Regiſter.
Luxemburgiſcher Krieg 502.
Lurusgefege 207, 496.
: mM
| Maaf und Gewicht 252 49.
| Maafpfennig 276,
Maclet, Geſchl. 665.
Mäpdceninftitut 639,
Männergefangvereine 691.
Märklin, Geht. 544.
Wäule, Geſchl 164, 392, 515, 559,
Maler, Geſchl. 164, 365, 392, 40,
457.
442,
Mannrecht 247,
Marbovp Z
Marechal, Geſchl. 650.
ı Marengo, Schlacht v. 670.
Lateiniſche Schule 154, 193, 303, 333, | Marie Yuife, franz Katferin, in Pf. 682,
456, 478, 521, 526, 548, 68.
Yeverner General 445.
Legel, Gefhl. 84,
Lehen, Pforzheim ein Pfälger-, 140.
!chningen 118, 137, 145, 146.
Yehningen, Herren v. 69.
teibbrand, Geſchl. 392, 485.
Leibeigenfchaft 96, 144. 247, 601.
Leipzig, Schlacht v. 674.
Teig, Geil. 485.
er Geſchl. 301,'39%, 407, 485, 683,
Leopold, Großherzog 602, 675.
Leproſenhaus 1194
Yefeverein 680.
Martomannen 6.
Marttbrunnen 275, 455,
Marttorpnung 249,
Marftplag 121, 454.
Marquard, Joh. 18.
Martin, Kirche St., f. Altſtädterkirche.
Maulbronn, Klofter 49, 56, 59, 73,
— fe 133, 382 596
ay, e ch .- a Zu 997,
Meerwein, .. a 3, 392, 407,
432, 466, 518, 520, 559, 580, 581.
Meier, (Maier, Mayer) Geil. 301,
356, 392, 407, 532, 559, 581, 683.
Mehlaccis
Melac in Pf. 515, 535.
Leutrum v. Ertingen 152, 174, 175, | Melandthon 2, 166, 195, 331
282, 306, 339, 432, 502, 540, 545. | Melter, Gefchl. 466
Leyerle, Geicht. 301, 553.
| Merle. Geil. 392, 485,
Lichtenthal, Klofter 41, 54, 56, 65, 104, | Merfurstempel 18, 19.
107, 108.
tiebened 58, 59, 174, 502, 528.
tiebener, Gefhl. 71, 8%
Liebeners Hof 76, 121.
tiebenzell 23, 43, 114.
Liebenzell, Herren v. 68.
Lindenplatz 454.
Löffelſtelz, Burg 63.
Lowenbund 98,
Lomersheim, Herren v, 64,
Longueville'ſche Siifegelder 354,
Lorhard, ob. 198,
Lorſch, Klofter 32.
Lotthammer, Geſchl. 301, 357, 392,
433, 518, 359.
Ludwig, Großherzog 602, 675.
Luneville, Friebe v. 6ZL.
Lutgard, Priorin 112,
Luß, Geſchl. 164, 392, 467, 660, 661.
Merz, Geſchl. 392, 485.
Meünerei 107, 244.
Mepelgraben 56, 122,
Meggeroronung 119, 256.
Meurah 18, Au.
Michael, St. Kirche, ſiehe Schloffirche.
Militärweien 577, 684.
Minoritenflofter, fiebe Franziskaner.
Miftorpnung 252.
Moreau in Pf. 677.
Mülen 95, 109, 122, 123, 157, 160,
359,
Müplpaufen a. d. W. 145, 146.
Mühlhauſen, Herren v. 64,
Wühlzins 157, 280.
Müller, Geſchl. 164, 559.
Müllerordnung 254.
Münfter, Seb. 304.
Münzftätte in Pf: 159,
Regiſter. 705
Murat, General in Pf. 679,
Mürrle, Gefhl. 392, 485, 559.
Mufeum 545, 621, 682
Mufitverein 6
Mutfchelbach 113, 174, 353.
Mutſchelknauß, . 462, 559.
Nagoldgau 32.
Namen der Stadt 24, 47, 74
Napolcon L 670 ff., derfelbe in Pf. 679,
681
Narrenhäuslein 456.
Neivlingen, Herren v. 64.
Neidlingen, Ort 64, 109, 112, 113.
Neuvdörfer, Geil. 392.
“Neuenbürg 11, 33, 36, 126,
Neuenbürg, Grafen v. 67.
Neuhäufer, Geſchl. 485, 657.
Neuhaufen 11, 43, 137, 145, 146.
Neuhaufen, Herren v. 69, 146, 252.
= Marihall, e 7 *8 *
iefern 5, 11, 38, 43, 73, 100, 114
150, 174, 204, 322. ==
Niefern, Herren v. 61.
Niefernburg 61, 269.
Nitolausfapelle 41, 77
Nördlingen, Schladt v. 404,
Nöttingen 11, 14,15,32, 110, 174, 405,
Nymwegen, en v. 507.
Dbervögte zu Pf. 63, 68, 103, 147, 150,
18%. 207, 301, 309, 314, 36 364
986,
366, 376, 405, 466, 542,
Dbfervanten, fiche Franzisfaner.
DOechsle, Gefhl. 661
Oeſchelbronn 5 11, 32, 43, 73, 100,
114, 118, 405, 672.
Orleans fcher Krieg 508.
DOftertag, Gefchl. 407, 466, 485,520,532.
Päpagogium 688,
— riede v. 675,
atriziergefchlechter 72, 81.
Pfälzer Krieg 138.
Pfarrwohnungen 459.
— 32,
for; 5, 25.
Pforzen a. d. Wertab 133,
v. Pforzheim, Dragebot 44, Heinrich
v. Pf. 130, Herrmann, Günther, Lukas
und Jacob v. 133,
Pforzheim, Amt 137.
Pforzheim, baierifh 410, ein pfälzifches
Leben 141, 603.
Pfundzoll 226, 472, 520, 578, 583, |
Pflüger, Pforzheim.
Philipp, Markgraf 176, 264,
Phorca
Phorcis 3,
borfys 2.
Phyſiokratiſches Syſtem 600.
Plätze, öffentliche 297.
Ge 0, a re
olizei 209, 223, 248, 357.
Volnifber Krieg 540, SZL.
Porta Dercynia 24.
Fee der Meßger 487, 583.
oftfiraße, alte 12, 13.
Präfentationgrecht der Stadt 481.
Predigerklofter, ſ. Dominitanerflofter.
Preife der Lebensmittel 161, 210, 398,
406, 490, 504, 507, 530, 562.
Preßburg, Friede v. 671.
Privatelementarfohulen 689,
Privilegienbrief 215, 270, 683.
— 276.
ulvermühle A488.
RN 627, 633, 662.
Nabe, Grg., Buchdrucker 323.
Nabened, Burg 60,
Räpple, Sefchl. 164,
Naftatter Kongreß 670.
Rathhaus 298, 458, 546, 697.
Realſchule
Recollekten, ſiehe Franziskaner.
Reformation in Pf. 302 Fi.
Reformation der Klöfter in Pf. 152.
Reformirte in Pf. 561, 687.
Refugies, franz. 561.
Regenten, vier 231.
Reich» und Kreisfteuer 577, 595.
Reichshauptſtraßen über Pforzheim 121,
123, 556,
306,
Reihstammergericht 585.
Rektoren u. Lehrer der lat. Schule 194,
316, 333, 364, 478, 522, 548, 688.
Religiongfriede zu Augsburg 319.
Religionskämpfe 413.
Remchingen 15, 373.
en, . v. 66, 146.
endenz zu Pforzheim 57, 92, 273,276,
404, 540. —
Refitutiongedift 400,
Reuchlin, 3. 1, 159, 165 ff., 190.
NReunionsfammern 509,
Revolution, franz. 668.
Rheinbund 672.
Rheinfranten, ee 34,
Richter, Gefchl. 4 en
706
Niefle, Geſchl. 164.
Ringer, Geſchl. 301, 407, 580,
Rod 58, Sl.
Römerftraßen 10.
Römerzeit 8.
Römische Alterthümer 13.
Römifche Gebäude 15.
Römifhe Münzen 15.
—— Ing 360, 692.
ohr'ſche Stiftu
Roller, Geſch 1. 560, a.
Roßwag, — v. 64
Rothacker, Geſchl. 3201 560.
Rn L, — 56, I. u. IN. 91,
IV., VI. u. 8
Rübt, Set. *
Ruſſen, gefangene in Pf. 630.
Ruſſiſcher Feldzug 674,
Nyswil, Friede F 334
Sängerfrang 691.
Saif, Geſchl. 301.
Salzburger, ausgewanderte 562,
Salzgeld, Salzftabel ıc. 208, 214, 225,
378, 383.
Salzmefler 234,
a —— —
Sattler, Ge 164
* Schäfer, Geihl. 164, 3 Ei
Skhäuffele, Gefhl. 435.
Schafhof 22,
Shall, Geſchl. 485.
Schanz, Gefhl. 301, 392.
Schanzäcker
Schatzung 357,475, 520,576, 582,595.
Scheerle, Geht. 39 3 nn 466, 485.
/ Schellbronn 36, 43, 110, 145,146.
Schlachthaus 8
Scleglerfrieg 63, M.
Schloß 78, 122, 279, 358, 445, 446,
f., 338, 540, 620.
Schloßberg
Schloßbrunnen 455.
Schloßgarten 279, 358, 575.
Schloß » 19, 19, 30, 3 36. 77, 105 ff,
——
12, 316, 456, 313, 630, 693.
Schmalfatvifcher Krieg II.
Schmidt, Gefgt. 104, 301, 302, 581,
Son Geſchl. 466, 485, 580, 52.
— Geſcht Ti 164, 392, 407, 545,
Süote, Geſchl. 392, 485, 542, 662,
1. 92,
Regifter.
Schönauer, Geil. 435.
Schroth, Gefchl. 407.
Schülerfefte 454, 548.
Schüpenfeft 237.
Schügengefellfihaft 236, 362, 459, 554.
Schulden der Stadt 13, 476,554, 699.
Schulden fürftlihe 221.
Schulhäuſer 547, 689,
Schulweſen u. Yehrer 244, 316, 365,
2 458, 478, 547, 548, 600, 686,
re zu Pforheim 70, 101 ff.,
118, ‚, 301.
Schweden in Bf. 403,
Schwarz, Geil. 455.
Schmwebel, 30h. 305, 336.
Schweigert’fhe Stiftung 692.
Sedenheim, Schlacht v. 139.
Seehaus 11, 357
Seelhaus 163, 457.
Seuden 199, 312, 392, 406, 500, 562,
* — 5, 118, 329, 452, 574.
Sieben pital 115, 118, 329, 45
Siegel der Stat 79, 356. —
Siegle, Geſchl. 164, 392, aa, 558, 2 581.
Sigismund, Kaifer, in in Porzd. 144,
Singergeſellſchaft 195, 2,
Sittengefchichte 206 ff ft., 493 ff.
Solo, Geſchl. 392, 427 ff., 466, 485,
518, 290,
Spanifcer ————— 263.
Sparkaſſen 690.
Speiſen, übliche 208
Spitaltirche 118, 429.
Spracproben 80, 131.
Stadtkirche 76, , 456, 550, 620.
Stadtmauer 118, i
Stadtmetzig 329,
Stanträtbe 72, 189, 231, 235.
Stabtrechnung 470,
Stabtfehreiber 180, 237, 298.
Stadtfolvaten 611.
Stadtverfaffung 213, 610.
Städtebund, ſchwäb.
Städtifche Gebäude 458,
Stahl, Gefhl. 485.
Stablbiiouterie 656, Gl.
—— 627, 633, 652,
Staib, Gefhl. 485.
— Herren v. F
Steineck 69, 137, 15, 133 48
Steinhaus 71, 108, 110, 121. KHunmar 85
Stephan, St., Kirche, ſiehe Stadtkirche.
Sterbfaffen 690,
Regifter,
707
Steuerverhältniffe 72, 157, 217, 355, | Berpfändung Prorzbeims 148, 178,
7 ff. 698.
Vertreibung der Geiftlihen 422.
Step, Geil. 301, 356, 392, 426, | Bermögen, fädtifches 699.
581
568,
360, 617 ff., 691.
374, 588,
466, 520, 559
Stiftungen 254 ff.
Strafen 278, 358,
zen 2 ’ i
traßen der Stadt 97,12
297, 452, 543, 696,
Straubendart, Herren v. 67.
Strieth od. Strutt 5, 145.
Sueven 6.
Spnagoge, Erbauung 688.
Spnode, franz. reform. zu Pf. 561.
Sppbilis, epivemiiche 200,
Tabaktrinken 499, j
— Eifen- u. Salzmonopol 379,
983.
Zaubftummenanftalt 75, 609.
Zelcgraph in Pf. 682, 694,
Zheurung 290, 398, 406, 504, 507,
562, 622, GA.
Thiergarten 11.
Thore Stadt 79, 102, 118, 122,
162, 296, 447 ff, 547, 697.
Thorſchluß 222.
Thormwart 242.
Tiefenau, Göldner v. 103.
—— 11, 43, 137,
37.
Tilly in Bf. 399,
Zilftt, $riede v. 672,
Zod, fhwarzer 96.
Töchterſchule, höhere 689.
151, 162, |
1}
|
|
145, 146, |
Weißes Regiment
Werbkaſſe 634
| en Johann v. in Pf. 438.
nn I, Mitbegründer der Bij.Fab.
25.
Viertmeiſter 242.
Villars, ut, in Pf 568,
Vogtgulden
Volferwanderung
Wagner, Geſchl. 164, 392 359, 568.
Wagram, Schlacht v. 673.
Wahlordnung 147, 233,
Waiſenhaus, Landes-, 115, 539, 572,
604
ff.
Waiſenhauskirche 574,
Waifenbaus, ftädtifches 639.
Waldorbnung 249,
Warttburm 23,
Wafenmeifter 244, 359,
Wafferzins 157, 360,
Waterloo, Schlabt v. 675, 683,
Weeber, Gefhl. 164, 365, 392, 404,
423, 423, 466, 553, 359.
Weggeld 359, 470.
Wehre 123.
Weiberrevolution —
Weiler 68, 114, 173, ;
Weißcnftein, Burg 60, 95, 145.
Weißenftein, Ort 105, 150, 186,
Weißenftein, Herren v. 57, 60.
376,
ertwein, Geſchl. 73,
Traug, Geſchi. 392, 427, 432, 485, | Wertwein’fde Stiftung 285, 360, 692.
Türt, Gefchl. 301, 392.
Turnverein le i
Uprenfabrifation 606, 624
624,63 ff
Ungarn, ihre Züge 34,
Ungeld 72, 95, 98, 157, 214 238,
279, 280, 578, 59.
Unger, ob.
466, 511, 559,
Union u. Yiga 375,
Unter&der, Gefchl. 560. 592,
Unterfauf 226,
Untergänger 242,
Utrecht, Äriede v. 571.
V
Vebmgericht 233,
Verfaſſung, badiſche 675,
308, 330 ff. |
Ungerer, Gefhl. 164, 331, 392, 407,
Weſtheimer, Barth. 196.
MWeitphälifcher Friede 439.
Widdum 105.
Widmann, Joh, Arzt 181.
Wiederaufbau der Stadt 543,
Wiedertäufer 315.
Wien, Friede v. 673,
Wieſen, herrſchaftl. 359.
Wieſenszins 157.
Wilderſinn, * —D—— 392,
407, 466, 520, 553,
Wilderſinn ſche Sen 617, 692.
Wilferdingen 15, 32, 17
Wimpfen, Schladt v. 330 ff., 621.
Windwächter 245.
Winter, ftrenger 563.
Wirmgau 32.
Wirthsordnung 257.
Wohnungen, Einricht. 293.
45*
708 Regifter,
Wolf, Geſchl. 133, 392, 407, 559. Zebntfpeicher 459.
Würm 105, 114, 118, 137, 1 150, 174, | Zigeuner 184.
282, 309. — 12, 185.
3: 3infe 157, , 359.
Zauberbalfam, Pforzheimer 557. Zoll 72, BL ae 178, en 359.
Zehnten 41, 109, 157, 279, 282, 358. | Zülpich, 6, Shladt v chlacht v.
Zehnthof, Lichtenthaler 108, 459, Zunftwefen 124, 248. 3 5831.
Zehntland 8.
.— —— >
J. Bezug auf [meine Ankündigung in der 5. Lieferung dieſes
Werkes mache ich den verehrlichen Subferibenten die ergebenfte Anzeige,
daß die Deden mit Driginalpreffungen in fehönfter Ausführung vorrä-
thig find und folhe fammt dem foliden Einband des Wer:
tes um den billigen Preis von 1 fl. 15 Er. geliefert werden.
Für auswärtige Abonnenten ſind die Decken auch ohne Einband
von mir oder durch die Buchhandlung von J. M. Flammer (W.
Behrens) um den Preis von 54 Fr. zu beziehen, und fehe id ges
neigten Aufträgen entgegen.
Pforzheim im Juli 1862.
Hermann Schober.
EEE — — ——
Zur Nachricht für den Buchbinder.
en
Die der fünften Lieferung beigegebene Abbildung Pforzheims von 1643
wird bem nanzen Werk als Titelbild vorgeheftet. Das Bildniß Reuchlins (2,
Lieferung) muß vor Seite 165 fommen.
Stadtfiegel von 1256.
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