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Full text of "Geschichte der Stadt Pforzheim"

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Geschichte 
der Stadt Pforzheim 


Johann Georo Friedrich Pflüogef 





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Bayer. Staatsbibliothek 


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Geſchichte | 

der 


Stadt Pforzheim.“ 


Rearbeitet 


von 


3. 6. £. üger, 


Vorſteher der boberen Tohrerichule in Pſorzheim. 





3 — 

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* Erſte Lieſerung. — 

Pforzheim, 1861. 


Druck und Sommiffionsverlan von X. M. Klammer. 


* Ä 

(I. Behrens.) 

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Diefe Geihichte der Stabt Pforzheim ericheint in 4— 5 Lieferungen zu je 36 
Kreuzern, Haupttitel, Negifter, Inhalts: und Subferibentenverzeihnift 
werden fammt etwaigen Zuſätzen und Berichtigungen mit ber legten 
Lieferung ausgegeben werben, 


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der 


Stadt Pforzheim. 


Bearbeitet 


von 


3. 6. 4. Müger, 


Direktor der höhern Töchterſchule in Pforzheim, 


— — — 
an 


Pforzheim, 1862. 
Drud und Kommilfionsverlag von I. M. Flammer— 
(W. Behrens.) 


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21 


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Nach langjährigen Vorarbeiten übergebe ich hiemit der Deffentlichkeit 
die Gejchichte einer Stadt, die eine der älteften unferes Landes ift, Jahr: 
hunderte hindurch auch die größte Stadt der alten Markgraffchaft Baben 
und geraume Zeit die Refidenz ihrer Fürften war, bei vielen wichtigen 
Ereigniffen, welche dieſe und ihr Land betrafen, eine hervorragende Rolle 
geipielt, eine große Zahl bedeutender Männer hervorgebracht hat und 
heute in Bezug auf Gewerbthätigkeit unter den badiſchen Städten den 
erften Rang behauptet. Ich habe weder Mühe noch Zeit gejpart, auch 
fonftige Opfer nicht gefcheut, um eine möglichit zufammenhängende und 
ausführliche Darftellung der Vergangenheit Pforzheims liefern zu können, 
und ich Hoffe, in erfter Neihe den Bürgern und Einwohnern diefer Stadt 
jelber, ſodann überhaupt Allen, welche fich für waterländifche Gejchichte 
intereffiren, eime nicht ummwilllommene Gabe zu bieten. Muß es für 
jene doppelt wichtig erfcheinen, mit den Begebenheiten und Veränderungen 
näher befannt zu werben, welche fih auf dem Stüd Erde, auf dem fie 
fich tagtäglich beivegen, ſchon zugetragen haben, fo ift auch für ben Freund 
der Gejchichte überhaupt die Darftellung der biftorifchen Vergangenheit 
eines einzelnen Drtes ſchon darum von Bedeutung, weil ſich einerfeits 
barin im Kleinen Alles wiederholt, was die Meltgejchichte im Großen 
aufweist, und weil andererfeits zu eben biefem Großen und Ganzen der 
Geſchichte jenes Kleine und Einzelne die erforderlihen Baufteine liefert. 

Ergibt fi) daraus die Bedeutung des Einzelnen für das Ganze, 
jo Kann wiederum Jenes nur in Zuſammenhang mit Diefem richtig auf: 
gefaßt und verftanden werden. Es wird deshalb eine Ortsgeſchichte nur 
dann ihrem Zweck entfprechen, wenn fie nicht bloße abgerifjene Einzel: 
heiten zufammenhangslos aneinanderreiht, wie das fo häufig in Chroniken 
geſchieht, fondern wenn Alles, was fie enthält, nicht nur im möglichit 


u 


enger Verbindung unter fih, jo daß eine ftete Entwicklung des Einen 
aus dem Anbdern erfichtlih ift, fondern au im Zuſammenhang mit ber 
vaterländiichen, ja der allgemeinen Geſchichte dargeftellt wird. Ich babe 
diefem Grundfaß bei Ausarbeitung des vorliegenden Werfes durchweg 
gehuldigt. Jedem Kapitel it das, was zum allgemein gefchichtlichen 
Verftändnig und zur Feithaltung des hiſtoriſchen Zuſammenhangs „des 
Einzelnen mit dem Ganzen zu wiffen nöthig ift, vorangeftellt, und es 
wird mir Freude mahen, von fompetenten Beurtheilern meines Buches 
zu vernehmen, daß ich darin nach richtigem Plane gehandelt und auch, 
indem id; mich auf das Maaß des Nöthigen beſchränkt, das Rechte 
getroffen babe. 

Dei Abfafjung vorliegender Geſchichte Pforzheims konnte ich mehrere 
Vorarbeiten benützen, da ſchon früher einige Verſuche gemacht worden 
find, manches Wichtige aus der Geichichte diefer Stadt zufammenzuftellen, 
Dies geſchah zuerft gegen Ende des fiebzehnten Jahrhunderts durch den 
von Pforzheim gebürtigen Dr. 3. H. Map in feinem „Leben Reuch— 
ins“ (Durlah, 1687), fpäter durch E. L. Deimling im Vorwort 
zu feinem Drama: „bie vierhundert Pforzheimer” (1788), duch Gehres 
in feiner „einen Pforzheimer Chronik“ (1795 und 1811), theilweiſe 
aud durch Roller in feinem „Berjucd einer Beichreibung Pforzbeims“ 
(1811); Fragmentarifhes bat Lotthammer in jeimer Seitjchrift: 
„Pforzheims Vorzeit“ (1835) geliefert. Alle diefe Schriften enthalten 
für eine zufammenhängende Geſchichte Pforzbeims mandes brauchbare 
Material, aber auch Vieles, was ohne forgfältige Prüfung nicht benutzt 
werden konnte, weshalb ich überall, wo es möglich war, auf die Quellen, 
aus denen die Verfaſſer jener Schriften ſchöpften, felber wieder zurüds 
gegangen bin. Am fleißigften und gründlichften unter den Genannten 
bat Lotthammer auf dem Gebiete der Gefchichte feiner Vaterſtadt ge: 
arbeitet; doch ließ ihn der Tod jein Werk nicht vollenden. Seine 
Manufcripte, die fi) im Großh. Generallandesarchiv zu Karlsruhe be- 
finden, haben mir manche ſchätzbare Ausbeute gewährt, obgleid) auch bier 
wieder auf Grund nemerer Forſchungen und der Ergebnifje derjelben 
Vieles zu berichtigen und zu ergänzen war. 

An fonftigen Quellen, und zwar gedrudten und ungedrudten, 


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babe ih, wie mein Verzeichniß derſelben nachweist und wie auch aus 
ihrer unten folgenden Angabe erfichtlih it, eine fehr große Zahl benützt, 
und es iſt mir durch Verarbeitung des aus denſelben geſchöpften Materials, 
das, in Zufammenhang gebracht, oft ganz überrafchende Ergebniffe lieferte 
und ein MWeiterbauen geftattete, auch gelungen, über manche Parthien der 
Geſchichte Pforzheims, die bisher noch wenig aufgehellt waren, Licht zu 
verbreiten, Anderes, was irrig aufgefaßt und demgemäß auch nicht ganz 
ber Wahrheit entfprechend und lückenhaft dargeftellt war, zu berichtigen 
und zu verpollftändigen, und überhaupt ein zufammenhängenderes und 
mehr ins Einzelne gehendbes Bild der Vergangenheit Pforzheims zu ent: 

rollen, als dies bei frühern Verſuchen der Art gefchehen. Ungedrudte 

Duellen fanden fi zunächſt im biefigen Stadtarchiv, und obgleid 

ein großer Theil desfelben den Flammen des orleans'ſchen Krieges zum 

Opfer fiel, fo ift doch noch eine Anzahl für den Geſchichtsforſcher werth: 

voller Urkunden, alter Kagerbüder, Kopialbüder, NRathe: 

protofolle, Bürgermeifter: und Stiftungsrehnungen x, 

vorhanden , die nebft Alten des Großh. Oberamts umd der Heil— 

und Pflegeanftalt dabier, fowie alten Kontraktenbüdhern des 

Großh. Amtsreviforats, ferner alten Kirchen büchern, Zunftrech— 

nungen, Familienaufzeichnungen u. ſ. w. vielen Stoff zur 

Verarbeitung lieferten. In noch höherm Grad war dies beim Großh. 
Generallandesardiv im Karlsruhe der Fall, das mir durch bie 
Liberalität Großh. Minifteriums des Innern zugänglich gemacht wurde, 
und aus dort aufbewahrten Urkunden, Repertorien, Kopial— 
und Ragerbüdern, Alten ꝛc. konnte ich für meine Zwecke ein jehr 
reiches Material erheben. Die Quellen, aus denen ich gefchöpft habe, 

find in meinem Werk überall angegeben, und zwar in ber Regel bie 

Hauptquellen zu Anfang eines jeden Kapitels, andere Quellen unter dem 

Tert. Alle einzelnen Stellen mit Gitaten zu belegen, wie das in ge: 

lehrten geſchichtlichen Arbeiten zu gefchehen pflegt, hielt ich dem Zwecke 
meines Buches nicht entfprehend ; doch ift diefes in meinem Manufeript 
geſchehen, und ich bin deshalb im Stande, Jedem, der vielleicht eine 
derartige nähere Auskunft wünfcht, im Einzelnen Rede zu ftehen und 
meine Quellen zu nennen, 


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Schließlich muß ich mich der Pflicht der Dankbarkeit gegen bie- 
jenigen Männer entledigen, deren freundlicher Unterftügung id) bei meiner 
Arbeit mich zu erfreuen hatte, Es find dies zunächft in unferer Stadt 
die HH. Oberamtmann Fecht und Dberbürgermeifter Zerrenner, 
fodann die HH. geh. Hofrath Dr. Vierordt in Karlsruhe und Pro: 
fefior Dr. Fickler in Mannheim. Zu ganz befonderm Danfe aber bin 
ich den HH. Archivbirektor Dr. Mone, Ardivratt Dam bacher und 
Archivrath Dr. Bader in Karlsruhe verpflichtet, die mir im Allgemeinen 
wie im Einzelnen aufs Bereitwilligfte mit Nath und That an die Hand 
gegangen find und in Ausarbeitung meiner Pforzheimer Ortsgeidhichte 
fo wejentlichen Vorſchub geleiftet haben. 

Und fo möge diefelbe dem hinausgehen und um fo nacfichtigere 
Beurtheilung finden, als ich nicht Gefchichtichreiber vom Fach, fondern 
auf diefem Feld bloß Dilettant bin, wenn auch das Studium ber Ge 
fchichte von jeher zu meinen Lieblingsbefchäftigungen gehörte, Weiß mein 
Bud aber nicht allein bloße Neugier zu befriedigen, fondern auch zu 
belehren und Freude und nterefje an der Geſchichte einer Stadt, bie 
mir eine zweite Waterftabt geworben, zu erweden, fowie innigere An: 
bhänglichkeit an dieſelbe und den vaterländifchen Boden überhaupt, nament: 
lich aber auch Liebe zu einem Fürftenhaus zu pflanzen, das Pforzheim 
immer zu feinen Kleinodien zählte und von dem fo manche erlauchte 
Ahnen der Stadt mit ganz befonderer Gunft zugethan waren, jo find 
erfüllt die Wünfche 

Pforzheim, im Sommer 1860. 


des Berfaflers. 


Inhaltsverzeihniß, 


.u—— 


Seite 

Erftes Sagenhaftes . i ; 1 
weites l. Urgeſchichte (600 Chr. = gr n. 5 r. 4 
8§ 1. Die Kelten. 4 

$ 2. Die Germanen (Sueven, Warfomanın r ; 6 

Drittes Römerzeit (15—400 u. 4 R ’ 8 
6 1. Allgemeines . : z 5 ; . . 8 


* Römerſtraßen 10 
$ 3. Leugenzeiger, Grabfleine, Altäre, Binföde, Münzen. 13 
— .Römiſche Gebäude und Mauerrefte A ‘ — |° 
Pforzheim, eine Römerftadt . : 20 

Diertes — Pforzheim während der großen Bölferbewegungen 
und Bölterfämpfe in den nachfolgenden Jahrhunderten (240—900) 26 
$ 1. Die Alemanen . : ö r : 3 i . 26 
62. Die Franfen : j ; } r . r . 29 
$ 3. Der Enzgau . . 3a 

Fünftes — Die früheften Herten von xfendum 000-1200) 35 

61. Die Grafen von Calw 35 
$ 2, Die Grafen von Eherfein_. ; ; i ; —37 
93. Das Kloſter Hirfhau . —40 
$ 4. Die Herzoge von Schwaben (Hopenfaufen) . 44 
$5. Die Pfaljgrafen bei Rhein A j i 47 
Schötes Kapitel, Pforzheim badiſch (um 1220) j u 50 
$ 1. Die Markgrafen von Baden 30 
* Kenn wirb babifch ; ; u ——— 
— forzheim im 13. Jahr — 55 
81 — 55 

$ 2. Beſonderes. (Pforzheim nad Außen, Adelogeſchlecher 


der Umgegend) . . 5 j : R } — J7— 


VI 


83. 
$4 


$ 5. 
$ 6. 


Anhaltsverzeichniß. 


Innere Berhältniffe Pforzbeims. (Schultheißen, Stadt. 
rath, ftädtifhe Abgaben, Klöfter ıc.). ; 

Umfang, Ausfeben, Theile, Namen und Siegel ber 
Stadt; Spradprobe aus dem 13. Jahrhundert 
Pforzheimer Gefchlechter i 

Eine Sage 


Achtes Kapitel, Pforzheim während der mehrfach erfolgten Theilun- 
gen und Zerflüdelungen der Marfgraffchaft Baden bis zur 
Wiedervereinigung des Getrennten (meift 14. Fr 


$ 1. 
g 2, 
83. 


Allgemeines 

Beſonderes chonbein * Außen) 
Inneres . A ; 

a. Schultheißen 

b. Klöſter, Kirchen, Spitäler 

c. Ausfehen und einzelne Theile der Stadt 
d. Gewerbe, Handel ac. i ; ä 
e, Pforzheimer Bürgergefrhlechter 


Neuntes Kapitel. Pforzheim unter den Markgrafen Bernhard L., 


Jalob 1, 


1. 
) 2. 
3. 


RD 


$ 4. 


und Karl L En 15. ai 

Allgemeines . 

Beſonderes 

Inneres . . 

a, Städtiſche Verhältniſſe im Allgemeinen . 

b. Kirde und Schule (Errichtung eines Kollegiatfifte, 
Reformation der Klöfter, Gründung einer Tatei- 
nifhen Schule) ö R s . F 

c. Gewerbe und Handel, herrfchaftlihe Einfünfte in 
Pforzheim, Bruderfchaften, Preife ver Lebensmittel 

d. Stadtbeile, Bürgergeſchlechter : 

Johann Reucblin 


Behntes Kapitel, Pforzheim unter . rito ( 175-1518) 


$ 1. 
$ 2. 
g 3. 
g4. 
$ 9. 
$ 6. 


Allgemeines 

Befonderes A 

Gründung einer Buchbruderei in Pfor heim (um 1500) 
Die Pforzheimer Gelehrtenſchule (um 1500) 
Gründung der Singergefellfhaft (1501) 

Zur Sittengefcbichte jener Zeit . 


Elfte® Kapitel. Stadtverfaflung (von 1500) 


$ 1. 
82. 


Vorbemerkungen. „Ordnung und — von 1491 . 
Der Ortsvorftand 

a, Schultheiß und Gericht . 

b. Bürgermeifter und Rath 


Seite 


[7 Er nz 
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Inhaltoeverzeichniß. 


Die Gemeindevienfte . 

Die Bürgerfhaft 

Polizeilihe Einrichtungen und Anortuungen 
a, Allgemeine Polizei . ; . . 
b. Befondere Polizei 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim unter ven Martgrafen Bon, Ernfi 
und Karl I. (1515 — 1577) 


g1. 
g2, 
83. 


84. 
$ 5. 


$ 6. 


Allgemeines . 

Befonderes. Pforzheim feinen Fürften ——— 

Inneres. (Verſchiedenes, Stiftungen, Schützengeſell— 

ſchaft und Schützenfeſt 1561, fonftige Ereigniſſe) 

Die Stadt ſelbſt 

Kirchliche Verhältniſſe Prorzpeims im Reformation- 

jeitalter 

a, Bor der Einfüprung der Reformation in Baden- 
Durlach (1517—1556).. 

b. Einführung der Reformation (1556 a 

Berühmte Pforzheimer aus dem Reformationgzeitalter 

a. Johannes Unger j ; . . . 

b. Johannes Schwebel 

e, Ritolaus Gerbel 


Dreizehntes Kapitel. Pforzheim unter er vormundfäaftlichen 
Regierung und den Markgrafen Ernft en und — 
Friedrich (1877 1622) 


$ 1. Allgemeines : E04 

$ 2, Befonvderes. (Prorzheim feinen Fürften ae - 

$ 3. Inneres. (Stiftungen, Verſchiedenes, — in 

Pforzheim um 1600) 

$ 4. Religionsunruhen in Pforzheim 1601-1609) . . 

Bierzehntes Kapitel. Pforzheim — des —— Krie⸗ 
ges (1618 1648). 

$ 1. Einleitung . 

$ 2. Die erften Jahre des Krieges ( 1618-1623) 

$ 3. Die Schlacht bei un am 26. April (6. Mai) 


$.4. 


$5 


$ 
$ 
$ 


1622 ı 

Bon ver Sclacht von Wimpfen bis zur Sclacht von 
Nördlingen (1622— 1634) R 

Die Schlacht von ee und ihre Folgen cs 
—1636) . ‚ 

Religionsbedrückung in Pforzheim (1635 — 1643) 


4 
” 


Fortfegung. Glaubenstreue der Pforzheimer ** 


Letzte Jahre des Krieges (1643-1648) 


302 
319 
330 
330 
336 
344 


VIII 


Inhaltoverzeichniß 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim in der Zeit vom SIDE 
Frieden bis zum orleans’fhen Krieg (1648— 1688) . i 


$1. 
52. 
$ 3. 
54. 


$ 5. 
$ 6. 


Allgemeines . 
Beichreibung der Stavt, Bevölferungsverpältniffe . 
Blicke in’s ſtädtiſche Gemeinleben, Bürgergefhlechter . 
Zunft und Gewerbsverhältniffe. Preife ver — 
Lebensbedürfniſſe. Maaß, Gewicht ꝛc. 

Zur Sittengefbichte . 

Zum boländifh-franzöfifchen Cinzemburgifden) Kriege 
(1672—1679) . 


Schöjchntes Kapitel, — im — een Reg (1688 


— 1697) 
$ 1. 
$.2. 
$ 3. 
4. 


$ 5. 


$ 6. 


. 


Einleitung . . 
Bom Beginn ded Krieges bis zum erſten Brand. 
(Herbſt 1688 bis Januar 1689) 

Vom erſten bis zum zweiten Brand. Chauuur bis 
Auguft 1689) 

Zuftand der Stadt nad dom weiten Brand. Benin 
gen zur Verbefferung desfelden (1689-1691) . 

Neue Berwüftungen. Berennung und Plünderung Pforz- 
heims. Treffen bei Pforzheim und dritter Brand (1691 
und 1692) 


Die folgenden Rriegsjahre. Der Friede zu Ryswit 


(1693— 1697) 


Siebzehntes Kapitel. Die erften hehnzheme des 18. Zahrhundens 
(1697 —1746) . 


$1. 
$ 2. 


$ 3. 
$ A, 


$ 5. 
$ 6. 
57. 


Allgemeines 

Beſonderes. Wiederaufbau der Stadt; Verſuche zur 
Herbeiführung beſſerer Zuſtände 

Fortſetzung des Vorigen; vevoͤllerungoverhaãlinifſe 
nach dem Krieg; neue Einwanderungen 

Pforzheim im ſpaniſchen Erbfolgekrieg (1701 - 1714) 
und im polnifchen Krieg (1733—1735) : i 
Gründung des Waifenhaufes zu Pforzheim (1714) 
Der Privilegienftreit (1716—1730) . 

Berühmte Pforzheimer 

a. Johann Heinrih May . 

b. Johann Burkard May . 

c. Karl Joſeph Bougine 


Achtzehnte® Kapitel. Pforzheim unter Karl Friedrich bis zum Aus: 
bruch der franzöfifhen Revolution ——— 


g 1. 


Allgemeines 


596 
597 


399 


Anbaltsverzeichniß. 


5 2. Beſonderes 


$ 3. 


$ 4. 


Inneres (fäbtifche Berhäftnifle, Gewerbe, Dandel, 

Kirchliches, beſondere Ereigniſſe) 

Entſtehung und Entwicklung der BStouuerhiadrüator 

in Pforzheim (1767 ff.) - . 

a. Erfie Anfänge, Errichtung einer Uprenfabrif . 

b. Erweiterung der Uhrenfabrik zu einer Juwelen», 
Gold» und Stahlwaarenfabrif : 

ce. Trennung der Quincailleriefabrif von der üpren- 
fabrif e s 

d. Weiterer Fortgang der Uprenfabrifation i 

e Beiterer Fortgang der berrfihaftlichen Stahlfabrit 
Verkauf derſelben; Entſtehung neuer Kabinete 

f. Einführung der Goldkontrole; weitere Entwicklung 
der Pforzheimer Bijouteriefabrikation 


Neunzehntes Kapitel, Vom Beginn der rn Revolution 
bis auf die neuefte Zeit (1789-1862) . b 


S 1. 


Allgemeines ; ; j 


$ 2. Pforzheim während der frangöffepen Kriege 
$ 3. Innere Berhältniffe Pforzheims; Schluß 





Hi ur) 
Erſtes Kapitel 


Sagenhaftes. 


Die älteſte Geſchichte Pforzheims iſt in ein Dunkel gehüllt, das 
völlig zu durchdringen auch der gründlichſten Forſchung nie gelingen 
wird, weil die Quellen, aus welchen Zuverläßiges geſchöpft werden könnte, 
gar ſpärlich fließen. Kaum iſt für ſpätere Jahrhunderte einzelnes Ab: 
gebrochene, Fragmentariihe aufbewahrt worden, und es erjcheint oft: 
als eine ſehr undanfbare Mühe, alle die an nnd für ſich faſt nichte: 
fagenden Notizen zu fammeln, um aus deren Wergleihung ein Ergeb: 
niß zu erzielen, das eme gut erhaltene zuverläßige Quelle in einigen 
Zeilen uns ficherer gewähren kann. Für ältere Zeiten ift man faft 
ganz auf Fombinirende Urtbeile und Bermuthungen verwiejen. 

No indeffen die Geſchichte fchweigt und oft kaum Vermuthungen 
geftattet, da ift die innmer rege Phantafie des Menſchen um fo geihäftiger, 
bie vorhandenen Lücken auszufüllen und an die Stelle der gejhichtlichen 
Thatſache die Sage zu eben. Zeigt fi dieſe Erfcheinung in ber 
Geſchichte faft aller Völker, warum follten wir ihr nicht auch in dem 
engern Rahmen begegnen, in welchem ſich eine Stadtgefchichte bewegt? 
In der That hat es auch in Bezug auf die äÄltefte Gefchichte Pforz— 
heims, namentlich auf die Gründung der Stadt, an Verjuchen nicht ges 
fehlt, diefe in die .graue Vorzeit zu feßen und Pforzheim den Rang 
unter den älteſten Städten der Welt anzuweiſen. 

Als die Griechen, ſo erzählt der berühmteſte aller Pforzheimer, 
Johann Reuchlin,1) nach zehnjähriger Belagerung die in Kleinaſien ge 
legene Stadt Troja im Jahr 1184 vor Chriſtus erobert und zerſtört 
hatten, Ha fuchten ſich manche ihrer bisherigen Bewohner, welche vom 
Schwert verſchont geblieben waren, eine neue Heimath. Der befannteite 
unter dieſen trojaniichen Flüchtlingen iſt Aeneas, der nach Italien 


— — 





-— 


) Reuchlin, de verbo mirifico, 1494, — J. =. Maji vita Reuchlini, p. 95- 9. 
Prager, Pforzheim, 1 


2 Erſtes Kapitel. Sagenbaftes. 


ging und deſſen Sohn Askan dafelbit die Stadt Albalonga gründete, 
welche fpäter die Mutterftadt von Nom wurde Aber ein anderer ebd: 
fer Trojaner, Namens Phorkys, feste feinen Wanderſtab noch weiter 
und kam endlich in den Schwarzwald. An einem klaren Fluffe machte 
er Halt, und als er von einem alten Manne den Namen „Enz“ ver: 
nahm und dafür Aeneas verftand, rief er begeiftert aus: 

Biſt du jener Aıncas, welden dem Troer Anchiies 

Venus die Schöne cebar an des Eimois phrygiſchem Etreme? 
Und nun beſchloß Phorkys, an diefer Stelle eine Stadt zu bauen, die 
er, als es gefcheben, nach feinem Namen Phorka taufte, woraus dann 
fpäter der Name Pforzheim entſtanden ift. 

Ob diefe Sage von der Gründung der Stadt Pforzheim bins 
bie Trojaner Älter als Reuchlin iſt und von ihm nur wiebererzählt 
wurde, oder ob fie in feinem eigenen Kopf gewachſen: das will ich 
nicht entjcheiden. Letzteres möchte indeß dns Wahrſcheinlichere fein, und 
dürfen wir uns darüber nicht wundern, da es ganz im damaligen Ge: 
fhmade lag, den Urſprung der Städte möglichit weit zurüd zu batiren. 
Aehnliches geihab ja auch bezüglih der Stammbäume der Adelsge— 
ichlecyter , die manchmal bis zur Arche Noahs zurüdreichten. Es fehlt 
zu obiger Erzählung, um die Nehnlichkeit der Gründung Pforzbeims 
mit der Noms in noch belferes Licht zu eben, nur neh ein Albalonga, 
und es ift zu verwundern, daß Meuchlin nicht an Langenalb gedacht 
und daſſelbe in Beziehung zur ntjtehung Pforzheims gebracht bat, 
was doch jo nahe gelegen wäre. Zu bemerken iſt bier noch, daß ſich 
Melanchthon über dieſe Erzählung Reuchlins Tuftig machte. In einem 
zu Ende des 17. Jahrhunderts erjcienenen Büchlein, 1) worin der 
Gründung Piorzheims durch die Trojaner auch Erwähnung gejchieht, 
jest der Verfaſſer treuherzig hinzu: „Ich fürchte aber, die guten Tro— 
janer ſeyen bieher über das Gebürg nie kommen.” Mir dürfen als 
ficher annehmen, daß der Mann Recht bat. 

In eine nur wenig fpätere Zeit ſetzt ein württembergifcher Chronift 2) 
die Entftehung von Pforzheim, bringt diejelbe aber auch, vielleicht von 





1) Der Durdlauchtigften Zürften und Marggraien von Baaben 
Leben, Regierung, Großtbaten und Abiterben x. ꝛc. (Frankfurt und Leipzig bei 
Riegel, 1695.) ©. 91. 

») M. Ib. Friſchlin, hiſtoriſche Beſchreibung des Landes Württemberg 
(». 1614), 1, 43. 


Erites Kapitel. Sagenhaftes. 3 


Reuchlin verleitet, mit flüchtigen Trojanern in Verbindung. Er erzählt, 
im Jahr 2900 nah Erſchaffung der Welt hätten fih Grunius und 
Thorcis vom Stamm des Aeneas Sylvins (eines jüngern Sohnes 
des Trojaners Neneas, den dieſer nach der Angabe des Dichters Virgil 
in Stalien mit Lavinia, der Tochter des laurentiniſchen Königs Latinus 
erzeugte,) in der Gegend des Schwarzwaldes niedergelafjen. Grunius habe 
die Stadt Gröningen (Mark-Gröningen in Württemberg), Phorcis aber 
die Stadt Piorzbeim an der Enz gebaut. 

Es ift ſchon in der Leberfchrift dieſes Kapitels gefagt, wohin 
derartige Erzählungen vermieten werden müßen, nämlich in das Neid) 
ber Sage, oder, da die Cage dech im der Megel noch einen geichicht- 
lichen Untergrund bat, in das Gebiet der vollftändigen Erfindung. 


1* 


Sweites Kapitel 


—nnn 


Urgeichichte. 
(600 v. Chr. — 15 n. Chr.) 


F 1. Die Kelten. 


Die älteften Bewohner Mitteleuropas, alſo auch Deutfchlande, 
waren die aus Hodafien um 600 ver Ghrifti eingewanderten Kelten 
oder Eelten. Namentlich fcheinen das Rheinthal und die dasfelbe be: 
grenzenden Borhügel des Schwarzwaldes ſchon frühe durch die Kelten 
angebaut worden zu fein, und bis auf unfere Tage haben fih Spuren 
feltifcher Niederlaffungen und Teltiicher Kultur als Denkmäler einer dun— 
keln Vorzeit erhalten. Es gehören dazu die Erdwälle und Gteinringe 
die Trichtergruben und Hünengräber, die man ſchon im verſchiedenen 
Theilen unferes Landes aufgefunden bat, und namentlid) find die Grab— 
hügel mit Steinplatten und die beim Nachgraben zum Vorſchein gekom— 
menen Schmudjachen von Gold, Kupfer oder Bronce und gefchmolzener 
Erde zuverläßig keltifher Herkunft. Auch die Namen mander unferer 
Städte find Feltijchen Uriprungs, fo Juliomagus (Stühlingen), Bodumgo 
(Bodmann), Brigobanne (Bräunlingen), Brifiacum (Breifah), Yupodunum 
(Ladenburg), Bruchfal (von brug sal, was fo viel als großes Haus oder 
Wohnſitz bedeutet). 1) 

Es ift kaum zu bezweifeln, daß auch der Nordabhang des Schwarz: 
waldes ſammt dem fich daran anschließenden Hügelland und den dagfelbe 
durchfchneidenden Thälern von den Kelten beivohnt war, wenn auch 
biefür ein betimmter Beweis durch aufgefundene keltiſche Alterthümer bis 
jetzt nicht geliefert werden fann, Der Umftand jedoch, daß das Alb: und 
Pfinzthal mit dem durch eine leicht zu überfteigende Waſſerſcheide davon 
getrennten Enzthal von jeher einen bequemen Uebergang vom Rheinthal 





) Mone, Zeitfchrift zur Gefchichte des Oberrheins, VII, 381. 


weites Kapitel. Urgefchichte. 5 


in das Nedarthal boten, fomit ohne Zweifel auch die Kelten bei ihren 
Wanderungen diefen Weg eingeichlagen haben, berechtigt zu dem Schluffe, 
daß dieſelben jhen früh auch in die Gegend von Pforzheim gekommen 
fein und Einzelne davon ſich da, wo die Vereinigung dreier nie verfie- 
genden Flüſſe und ein fruchtbarer Thalgrund zur Anfiedelung einluden, 
niedergelaffen haben mögen. Unverkemmbare Spuren keltifcher Abſtam⸗ 
mung finden ſich bei manchen Orts- und andern Namen der Gegend 
von Pforzheim. 1) So läßt fid der Name des Fluſſes Nagold von 
dem feltiihen an aghallt, oder mit abgefürztem Artikel m aghallt, 
ableiten, mas auf deutſch Hirſchbach heißt Es fprict dafür 
nicht nur der fpätere Name des Fluſſes und des Städtchens Nagolb, 

der in Urkunden aus dem achten und neunten Jahrhundert Nagalt 

und Nagalta lautet, fondern es ftimmt damit auch der Name des 

an der Nagold liegenden, im neunten Jahrhundert gegründeten Kloſters 

Hirſchau überein. Der Name Enz kann vom Feltifchen an, Waſſer 

gebildet fein, dem ſpäter das deutfche t angefügt wurde, das fih dann 

wie bei vielen andern Wörtern, in s oder z verwandelte. Aus uchel, was 

fo viel als hoch, Tuftig, thurmartig bedeutet, fann Huchenfeld eben ' 
jo gut entjtanden fein, als Heuchelberg, (alt Huchelberg), Heuchelheim ıc. 

(Daß diefe Namen nicht von Hugo herkommen, zeigt ihre Schreibung.) 

Vielleicht it aud der Name der Anhöhe Hachel von diefem uchel 

berzuleiten, fowie die Structh oder Strutt, wie die fog. Strüt- 

oder Strietäder rechts der Wurmberger Straße früher (fo noch 14392) 

biegen, von sruth, d. h. Bad, Fluß abgeleitet werden kann, indem 

wirklich ein Bad in der Nähe jenes Feldes entfpringt, der dafelbit früher 
Weiher bildete. Ittersbach heißt auf keltiſch Wahholderbad, De 
Ichelbronn wäre gleih Binjenbronn, Niefern läßt fich von ’n ibhar, 
Eibenbaum, herleiten u, ſ. w. 

Auch für den Namen der Stadt Pforzheim darf man um keltiſche 
Ableitung nicht verlegen ſein. Es liegt wenigjtens nahe, denfelben mit 
dem wälſchen ffordd in Zuſammenhang zu bringen, was fo viel als 
Strafe, Durchgang bedeutet und dem deutichen Pforz (altdeutich Phorz) 
genan entjpricht. Jene Bedentung ftimmt aud volltommen wit der ü 
Lage der Stadt, über welche ſchon in früheſter, vielleicht Keltifcher Zeit 








1) Man vergl. zum Folgenden Mone, Urgefchichte Badens, H. 81. 
2) Sahs, Einleitung im die Gefhichte der bad. Marfgraffhaft, HM. 323. 


6 Zweites Kapitel. Urgeichichte. 


wichtige Verbindungsftraßen führten, überein. Der Name Pforzheim 
würde alfo in diefem Falle die Bedeutung von Straßenheim haben. 
Es fehlt nicht an Beijpielen von Ortsnamen, die von alten Straßen 
berühren, 3. B. Straßenheim bei Ladenburg, Straßen bei Zuremburg.!) 
Auch der Name Straßburg ift verwandter Bedeutung. 

Ob übrigens, wenn man die Berechtigung dieſer Ableitung aner: 
tennen will, nach der erften Einwanderung der Selten, welche, wie be: 
reits erwähnt, ſchon mehrere hundert Jahre vor Chrijtus erfolgt fein mag, 
oder bei der Rückwanderung keltiſcher Abkömmlinge aus Gallien, die ins erjte 
Jahrhundert der chriftlihen Zeitrechnung fällt und von der im folgen: 
den Kapitel die Mede fein wird, am Einfluß der Nagold in die Enz 
eine keltiſche Nieberlaſſing gegründet und ihr der erwähnte Name ge 
geben wurde, läßt ſich natürlich nicht ermitteln. 


$ 2. Die Germanen (Sueven, Markomannen). 


Die Kelten blieben nicht im ruhigen Befiß des Landes. Vom 
hohen Norden Europas ber, als ihrer eigentlichen Heimath, drangen 
noch vor Beginn der chriftlichen Zeitrechnung die wilden Germanen 
oder die Deutfhen immer weiter gegen Süden vor, und die Kelten, 
oder wie man fie fpäter auch hieß, die Galen oder Gallier, mußten 
ihrem unmibderftehlichen Andrang weichen und, jedoch nicht ohne lange und 
blutige Kämpfe, auch das rechte Mheinthal, alfo damit unſere Gegend, 
verlaffen und ſich auf das linke Ufer des Stromes zurüdziehen. Ohne 
die fpätere Dazmwiichenfunft der Nömer wäre es den Germanen ficher 
gelungen, die Gallier ſich ganz unterwürfig zu machen. 

Die Germanen bildeten nicht ein großes, zufammenhängendes Wolf, 
ſondern zerfielen in viele, theils größere, theils Heinere Völkerſchaften 
ober Volksſtämme. Derjenige von ihnen, welcher den füdlichen Theil des 
heutigen Deutichlands, alſo auch das jetige Baden und Württemberg, 
einnahm, bieß Sueven oder Hermionen Aus erftrm Wort ift 
fpäter der Name Schwaben entftanden. Die verfchiedenen Gaue oder 
,„ Meinern Staaten bderjelben, namentlich die zwifchen dem Rheine, der 
Donau und dem Maine liegenden, errichteten unter ſich ein Bündniß, 
eine Art Eidgenoſſenſchaft, und nannten ſich Markmannen, auch 





) Mone, Zeitſchrift für die Geſchichte bes Oberrheins X. 202. 


Zweites Kapitel. Urgefchichte. 7 


Moartomannen, d. bh. Grenzmannen. Diefer Suevenbund wurde 
befonders den Galliern furdtbar, uud endlich zog ein ſueviſcher Fürft, 
Ariovift oder Deerveft, 72 Jahre vor Chrifti Geburt, mit einem 
Heer, das bis zu 120,000 Mann anwuchs, über den Rhein, um jeinem 
Bolt im heutigen Burgund ſchönere und fruchtbarere Wohnpläge zu 
verschaffen, als fie die bisherige Heimath bot. In ihrer Noth wandten 
ſich die am meiften bedrohten galliidhen Völker an den römiſchen Feld: 
bern Julius Cäſar; zwiihen ihm und Arioviit Fam es darauf im 
Jahr 58 bei Befangen zur blutigen Schlacht, in welcher die Kriegskunſt 
der Römer den Sieg davon trug. 

Obgleich Cäfar bald darauf das linke Mheinufer mit dem römischen 
Meiche vereinigte, jo wagte er doch nicht, in Deutſchland ſelbſt Erobe— 
rungen zu machen; nur am Mittelrhein verfuchte er zwei Uebergänge 
(bei Trier in ben Jahren 55 und 53 v. Chr), die jedoch leine weitere 
Folge hatten. 

Die Markfomannen mochten indefjen in den Römern doch allzu gefähr— 
liche Nachbarn erkannt haben und für ihre Unabhängigkeit beiorgt geweſen fein, 
Sie bejchlofjen deshalb, ihre bisherigen Wohnfige zu verlajjen und ander: 
wärts, entfernt von der römiſchen Uebermacht, ein feſtes Reich zu grün: 
ben. So zogen fie alfo um das „Jahr 9 oder 15 n. Chr. unter An: 
führung des Eugen und mutbigen Marbod oder Marobod nah 
Böhmen. 8 genüge bier die Bemerkung, daß fich diefer Fürſt zwar 
im Anfange ben Römern jehr furdtbar machte , fpäter aber durch Ber: 
rath in deren Hände gerietb und als Gefangener in Ravenna ruhm— 
los ftarb. 


Drittes Napitel. 


— — — 


Römerzeit. ) 
(15 — 400.) 


$ 1. Allgemeines. 


An dem dur den Wegzug der Markomannen faſt menfchenleer 
gewordenen Landſtrich zwiſchen Main, Donau und Rhein, demnach auch in 
unferen Gegenden, liegen fi Einwanderer aus Gallien, alfo Nachkom— 
men der frühern Bewohner des Landes, der Kelten, nieder, mit denen 
ſich vermuthlich die wenigen zurücdgebliebenen Germanen vermifchten. 
Da fie ſich unter römiſchen Schuß ftellten, fo fcheinen fie von den Rö— 
mern als Gegenleiftung zur Entrihtung von Natural: und Geldabgaben, 
vielleicht des Zehntens, verpflichtet worden zu fein, weshalb man davon 
den Namen Zehntland (Agri decumates) abgeleitet hat. (Letzterer 
Name wird übrigens auch „vermeſſenes Land“ überfeßt von dem Kreuz 
[>< = einem römifchen Zehner], welches die römiſchen Geometer zogen, 
ehe fie ihre Feldmeffungen begannen.?2) Indeſſen fahten die Römer 
jelbft immer mehr Fuß in dem für fie und ihre Zwecke jo günftig ges 
legenen Land, und namentlich fcheinen noch im Laufe des erjten Jahr: 


!) Hanptquellen: Mone, Ürgefhichte Badens; Mone: Zeitichrift zur 
Geſchichte des Dberrbeins; Stälin: Württembergifche Geihichte; Leichtlen: 
Forſchungen im Gebiet der Geichichte, Altertbums: und Scriftenfunde ; 
Creuzer: Zur Gelichte altrömiicher Gultur am Oberrhein und Nedar; 
Wilhelmi: Einsheimer Jahresberichte, Nappenegger: Aurelia aquensis 
(Beilage zum Mannheimer Eyreumsprogramm für 1853); Arnsperger: 
Bericht Über die im Hagenichieß bei Pforzheim 1832 aufgefundenen Altertbümer 
(Pforzh. Veobachter von 1832, No. 63— 65); Memminger: Beichreibung 
von Württemberg; Paulus: die Römerftraßen, fowie defjen archäologiſche Karte; 
bie Schriften des bad. Alterthbumsvereins x. Wo noch andere Schriften 
benüßt wurden, find fie an den betreffenden Etellen angegeben, 

2) Niebuhr, römifhe Geſchichte. 


Drittes Kapitel. Römerzeit, 9 


hunderts ſolche Römer und vömifche Provimzialen den Kern der Be- 
völferung gebildet zu haben, welde urfprünglic als Veteranen und 
Linientruppen eingezogen waren und als Belohnung für treu geleiftete 
Kriegsdienfte Ländereien erhalten hatten. Die fürmlite Aufnabme der 
ſüdweſtlichen Ede Deutichlands in das Syſtem der römiſchen Provinzial: 
verwaltung mag um das Jahr 84 nad Ghr. erfolgt fein, während das 
Land ſchon vorher, vielleicht Schon unter Kaiſer Augnftus, militärisch be— 
jeßt war, (Das ältefte römiſche Denkmal unjeres Yandes mit Zeitan: 
gabe Fällt in die Regierungsperiode des Kaifers Trajan, alſo zwiſchen 
98 und 117 n. Chr.) Das Land zwifchen der Donau und der rauben 
Alp wurde zur Provinz Rhätien, der obere Theil unferes jeßigen Groß- 
berzogtbums zu Sequanien, der untere zu Obergermanien geſchla— 
gen, dejjen Oberbefehlshaber der Herzog (dux) zu Mainz war, und ber 
vermuthfich für unfere Gegend, wie für die ganze jpätere ſpeier'ſche Diö— 
zefe, feinen Unterbefehlshaber in Speier hatte. 

linter der Herrichaft ber Römer gelangte das nenerworbene Land 
bald zu beſſerem Anbau , namentlih da diefelben mande Gewächſe des 
Südens , wie die Nebe, in das Rheinthal verpflanzten; und als aud 
in Folge der wachſenden Beröfterung und der Wermehrung der Ort: 
fchaften , der Handel in Aufnahme kam, bauten die Mömer fowohl zur 
Begünftigung desielben, als auch zu militärifchen Zwecken, ausgedehnte 
Heerftraßen, die ſich aum Theil bis auf unfere Zeiten erhalten 
haben. Außerdem Tegten fie eine Menge von Bädern, Tempeln, 
Landhänfern, Kaftellen, Wartthürmen 2c. an, die heute noch von dem 
regen Leben, welches damals in umfern Gegenden geberricht haben mag, 
Zeugniß geben. Bei dem bedeutenden Handelsverkehr, der ſogar zur 
Gründung ftändiger Handersaefellichaften, führte, 1) ift es natürlich, daß 
unter den römifchen Gottheiten namentlich der Beichüter des Verkehrs, 
Merkur, ſich einer befondern Verehrung erfreuen durfte. Aber auch 
andern Göttern der Kultur, fo dem Apollo, dem Aeskulap, dem 
Bulkan, dem Neptun, der Diana u. A. wurden Dentiteine gefebt und 
Altäre errichtet, von denen die Gegenwart noch eine Anzahl aufzumeifen 


1) In Ettlingen beftand 3. B. ein contubernium nautarum, b. h. eime 
Schiffergefelligaft. Da indejfen die Alb nie jchifibar war, jo können darunter 
nur Flößer verſtanden ſein, wie man ja auch heut zu Tage noch die Flötze 
manchmal Schiffer heißt und in Gernobach darum eine „Schiſfergeſellſchaft 
beſteht. 


10 Drittes Kapitel. Römerzeit. 


bat, Daß übrigens durd die Mömer aud frühe ſchon das Chriften: 
thum in unfere Gegenden kam, ift ſehr glaublich, wiewohl Beweiſe durch 
Schriften und Denkmäler fehlen. Mande Städte unjeres Landes haben 
den Römern ihre Gründung zu verdanken; der Hauptort des weftlichen 
römischen Worlandes fcheint aber die Civitas Aurelia aquensis, bag 
heutige Baden, gewejen zu jein. Diefe Stadt bildete einen Haupt: 
ftraßenfnoten nnd erjtredte fich ihr Gebiet, nach aufgefundenen Leugen— 
fteinen zu jchließen, im ziemlicher Entferining gegen Süden, noch weiter 
aber (17 Leugen zu 7500 Fuß, alfo etwa 10 Stunden) nach Norden, 
demnach bis in die Gegend von Pforzheim. 


$ 2. Näömerſtraßen. 


Pforzheim war, wie nebenitehendes Kärtchen zeigt, ein Knotenpunkt 
für eine größere Anzahl von Nömerftraßen. Die wichtigfte derjelben war und 
ift wohl diejenige, welche von Straßburg und Baden ber über Ettlingen und 
Pforzheim nad) dem Nedar führt. Eie zieht von Baden aus zuerft in nörde 
licher Richtung längs des Gebirges hin, wendet ſich aber von Ettlingen an, 
wo eine andere Hauptitraße von Lanterburg her eingemündet baben 
muß, nad Often. Hinter Ettlingen, wo ein Seitenweg nad Spiel 
berg, Ittersbach ꝛc. ausläuft, führt fie im Albthal bei der fogenannten 
Wattmühle durch einen Wald den Berg hinan, mo die Quaderfteine 
mit tiefen Geleiſen noch fichtbar find, und gebt dann an Reichenbach 
und Langenjteinbach vorbei, wo fie zwei bie vier Fuß tief unter dem 
Aderfeld Hinftreicht und Steinſtraße heißt. Weiter führt fie durch 
Miefengelinde in den Eichbuſch an Auerbach Hin über die ſogenannte 
Bernhälden, auf deren bödyitem Punkt fie die heutige Strafe durch— 
ſchneidet, und fteigt dann ins Pfinſthal hinab, mwoielbjt eine Zweigſtraße 
vom Kraichgau ber einzutreffen jcheint. Zwiſchen Nöttingen und Ell— 
mendingen, an der Kelter bes letztern Orts, gebt die Straße wieder 
aufwärts unter dem Namen Hochſtraße, führt ſodann ſchnurgerade 
über fefte Schichten von Kalkftein, über welche fie nur als ein bie und 
da wohlerhaltener 12 Fuß breiter Damm von Meinen Steinen hervor: 
ragt, (weil die Grundlage eine kunſtmäßige Strafe überflüſſig machte), 
links an Dietlingen, wo wieder eine Seitenſtraße nad Birkenfeld fich 
abzweigt, am obern Saum der Weinberge, denen die Straße hie und 
da bat weichen müfjen, vorbei, in das Bröginger Feld, und von bier 


Drittes Kapitel, Römerzeit, 414 





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I Straße von Baden und Ettlingen ber über B = Reichenbad, 
L — Xangenfteinbad, E = Ellmendingen, D — Dietlingen, Br = 
Brögingen, P = Pforzheim, Th — Thiergarten, S — Seehaus und 
— Tiefenbronn nad) Leonberg und Kannſtatt. — U Seitenftraße 
über Spielberg und ttersbady gegen Bi — Birkenfed. — II. Sei: 
tenftraße über N — Nöttingen und Königsbah in den Kraichgau. — 
IV. Seitenftrafie von — Dietlingn nah Bi — Birkenfeld. — 
V. Straße über K — Siefelbronn und D — Dürm an den Nedar. 
— VI GSeitenftraße von Th — Thiergartn an R — römiſchen 
Ruinen im Hagenſchieß vorbei nah O — Deichelbronn. — VII. Straße 
von Baden und Gernsbad her über N — Veuenbürg nad Pforzheim. 
— VIII. Straße von Baden und Gernsbad her über den Dobel nad 
Pforzheim. — IX. Straße über die höchften Höhen des Schwarzwaldes, 
zuletzt über Langenbrand und S — Salmbach nah Pforzheim. -- 
X Straße von Neuhaufen, Ho — Hohenwarth, an Hu — Huchenfeld 
vorbei nad Pforzheim führend. — XI. Straße über E — Entingen, 
an N = Niefen ꝛc. vorbei nad Illingen und Bietigheim. — 
XII. Straße von Pforzheim über den Wald nad O — Oeſchelbronn. 
— XII Straße von W — Wurmberg nah Illingen. 


12 Drittes Kapitel. Römerzeit. 


durch den Wald Meittelsberg und über den Wallberg hinter Brö— 
Bingen auf die das Enzthal bei Pforzheim auf der linken Seite be: 
gränzende Anhöhe, wo die Römerjtraße, nachdem fie die jetige Durlacher 
Straße durchfchnitten hat, unter dem Namen alte Poſtſtraße oder Kut— 
ſcherweg befannt iſt. Von der Springer Höhe an, wo fidh wieder 
eine Seitenftraße abzmweigt, die durch die Gemarkungen von Göhrichen, 
Kiefelbronn, Dürrn ıc. an den Nedar führt, ift unfere Nömerftraße als 
ſolche eine Strede weit nicht mehr zu verfolgen. Doch ift gewiß, daß 
fie von dort rechts ab in das Enzthal hinunter, hinter der Schloßkirche 
vorbei, durch die Lindenftrafe oder das frühere Zigen nergäßchen, 
deſſen Namen abermals auf eine Römerſtraße hinweiſt, durch die 
Altſtadt und unterhalb der jetzigen Altſtädter Brücke, wo ſich eine 
hölzerne Römerbrücke befand, mit noch andern bier zuſammenlanfenden 
Straßen über den Fluß führte und fih am Scafhof vorbei den jenfei- 
tigen Bergabbang wieder hinaufzog. Oberhalb des Thiergartens, da wo 
der Wald anfüngt, ftößt man auf die Kortiegung der Straße, woſelbſt 
fie als dammförmige, durch Quaderſteine gebildete, in der Mitte gemöhn: 
lich etwas gewölbte Erhebung leicht zu erfenmen und durch den Hagen: 
fchieß zu verfolgen ift. Sie zieht dafelbft am Seehaus vorbei durd den 
fog. Hegelsbuſch, folgt der jetigen Landſtraße, die fie zwei Mal durch: 
ſchneidet, nach Tiefenbronn, und fett fich fodann über Leonberg gegen 
bie Solitüde und von dert nad Kannſtatt fort. 

Diefer intereffante Straßenzug hatte wie die meiften Nömerftraßen 
die Eigenthümlichkeit, daß er, abweichend vom hentigen Gebrauch bei An: 
legung neuer Straßen, nicht den Thälern nachzog, ſondern fi), wo 
immer möglich, auf den Landhöhen bielt, und bei unvermeidbaren Thal- 
einfchnitten die Höhe und Waſſerſcheide raſch wieder zu gewinnen wer: 
ftand. Auf diefe Weiſe waren die römiichen Straßen feindlichen Ueber: 
fällen weniger ausgeſetzt, dienten vielmehr jelbft als eine Art Schutzmauer 
gegen diefelben und litten ohnehin weniger durdy die zerftörende Mitte: 
rung. Gegen Tettere fchübte überdies der Bau der Straßen, dem bie 
Römer eine ſolche Dauerhaftigkeit zu geben verftanden, daß unfere Zeit 
ben römiſchen Straßenanlagen kaum etwas Mehnliches an die Eeite 
feßen kann. Einige Mittheilungen bierüber dürften noch am Plage 
fein. Die Bauart der römiſchen Straßen verlangte einen erhabenen 
Damm, beftehend aus großen, mandmal viercdig gehauenen, unten 
keilförmig zugeſpitzten Steinblöden, welche die Grundlage bildeten und 


Drittes Kapitel. Römerzeit. 13 


durch Gips, Kalt, ja felbft Eiſen mit einander verbunden wurden. 
Darüber ftampfte man einen Lehmboden, und erjt auf diefem lag die 
eigentliche Fahrbahı, beſtehend aus einer Lage von Kics und Steinen, 
die durch Mörtel dicht verbunden waren. Natürlih bradten die ver: 
ihiedenen Gebirgsarten, durch weldye diefe Straßen zogen, in den allge: 
meinen Plan auch wieder manche Bejonderheit. 

. Sit der eben beichriebene Straßenzug der am beiten noch erfenn: 
bare, jo haben aucd die andern mehr oder minder deutliche Spuren 
hinterlaffen. Mehrerer GSeitenftragen ift ſchon Erwähnung gefcheben. 
Ein anderer Straßenzweig läßt fih vom Thiergarten aus in der Rich— 
tung gegen Oeſchelbronn durch den Hagenſchieß ebenfalls verfolgen, und 
ift ein Stüd derjelden auf der Höhe zwiſchen Gutingen und Niefern 
unter dem Namen der „alten Poftftraße“ wohl bekannt. Sie 
führt am den römifchen Ruinen im Hagenſchieß vorbei und mochte haupt: 
ſächlich dazu beftimmt fein, die Verbindung zwiſchen diefen Gebäulich— 
keiten ꝛc. und den Hauptſtraßenzügen zu unterhalten, Die übrigen 
Nömerftraßen der Umgegend von Pforzheim find auf vorftehendem 
Kärtchen verzeichnet. Alle diefe verfchiedenen Straßen mögen aud) ver: 
idiedenen Zweden gedient haben, wie das bei den Römern der Fall 
war, bei denen es bejondere Militärftragen, Handelsſtraßen, Boten: 
wege ꝛc. gab. 

Der Zeitpunkt der Erbauung unjerer Römerſtraßen, namentlid) 
der Hauptzüge derfelben, läßt ſich mit Sicherheit nicht beftimmen ; nad) 
den Jahrzahlen aufgefundener Lengenzeiger (Meilenfäulen) zu ſchließen, 
mag die Anfegung derfelben etwa in die Zeit zwiichen 200-—225 nad) 
Chr. fallen, wenn nicht manche davon fhon einem frühern Jahrhundert 
ihre Entjtehung verdanken. 


5 3. Srugenzeiger, Grabſteine, Altäre, Silpſtöche, Münzen. 


Die Gegend von Pforzheim weilt eine große Zahl römiicher Alter: 
thümer auf, die dafelbit zu verſchiedenen Zeiten aufgefunden wurden, 
und da fie jehr wichtige Zeugen römischer Kultur find, welche dem Un: 
tergang nicht anheim fielen, jo ergibt fich hierans ihre große Bedeutung 
für die Erforfchung unſerer ältern Gefchichte von ſelbſt. Aus diefem 
Grunde mag 8 gerechtfertigt ericheinen, wenn alle derartigen Alterthümer 


14 Drittes Kapitel, Römerzeit. 


bier aufgezäblt werden. 1) Es find hauptſächlich Leuzenzeiger, Grabjteine, 
Altäre, Steinbilder und Münzen. Von den Ueberreften römifcher Ge: 
bäude wird unten die Rede fein. 

Leugenzeiger oder Meilenfäulen wurden bei Nöttingen und 
Ellmendingen, und zwar an Stellen, wo: die Nömerftraße durchzog, 
aufgefunden. Es find deren drei, und wurden diefelben zu Ehren ber 
jeverifhen Kaiferfamilie (nämlih der Kaifer aracalla, Elagabalus 
und Alerander Serverus) in dem Zeitraum von 213 bis 223 errichtet, 

An Grabfteinen fand man in Pforzheim den eines Wehr: 
mannes der 4. Kohorte der achten Legion, fodann einen andern eine 
Viertelftunde oberhalb der Stadt an ber Enz, den ein gewiſſer 
Duintus, und endlid einen dritten, von dem aber mur noch die Hälfte 
vorhanden und in dem Altar der Kirche zu Eutingen eingemauert 
ift, den eine Mutter, Arruntia PVicteria, bat ſetzen Taffen. Bezüglich 
des erſten Grabfteines fei bier bemerkt, daß die darauf genannte achte 
Legion, welche die Beinamen Augusta, Augusta Pia, Fidelis Con- 
stans, Antoniniana führte, für ben Schub nnd die Kultur des Land: 
ſtrichs diesfeits des Rheins neben der 22. Legion von befonderer 
Nichtigkeit war, und fcheinen ſich einzelne Kohorten derfelben in unferer 
Gegend aufgehalten zu haben, (namentlich im zweiten Jahrhundert,) 
fowie außer in Pforzheim auch in Offenburg, Straßburg und Main;. 
Nah der Mrovinzialifirung des ſüdweſtlichen Deutſchlands kommen 
außerdem noch die 1,, 14. u. 21. Legion vor. 

Ein römiiher Altar wurde bei Brößingen, ein anderer bei 
Remchingen aufgefunden. Auf den vier Seiten des erfteren befinden 
ſich verfchiedene Figuren, darunter Vulkan als Kräftige männliche Ge: 
ftalt, in furzem, leichtem Gewand, mit Zange, Hammer und Ambos. 
Der letztere ftellt auf drei Seiten Bilder aus der Odyſſee dar; die vierte 
Seite ift Teer. 

Am bedentendften ift die Zahl der aufgefundenen Steinbilder 
und Bildſtöcke. Dahin gehören, Üüberfichtlich zufammengeftellt: Br ö« 
Bingen: a) ein Bildfted, auf allen vier Seiten mit Figuren, darunter 
Bulfan unverkennbar, in den übrigen Jupiter und Victoria ꝛc. zu ver: 
mutben; b) ein Kubus, abermals mit dem Bildniß Vulkans, wahrichein: 


1) Diefelben befinden fih theils noch am den unten angegebenen Orten, 
theils in der Altertyumspalle zu Karlerube, theils find fie wieder verloren 
gegangen. 


Drittes Kapitel. Nömerzeit. 15 


ih auch des Merkur und der Leda. Dietlingen: ein Stein mit dem 
Bildniß Merkurs, und ein anderer mit einer männlichen und einer weib: 
lihen Figur, mit nicht ungeübtem Meifel erbaben ausgehauen. Ell— 
mendingen: ein Bildnik Aeskulaps mit dem Schlangenftab. Nöt- 
tingen: ein Merkur mit Schlangenftab und Geldbeutel, ferner ein 
Hirtenſtück, beide in erhabener Arbeit. Remchingen (jetzt ein Hof, 
fonft ein Dorf zwiſchen Wilferdingen und Singen) früher an. der nicht 
mehr vorhandenen alten Kirche eingemauert: ein Merkur und ein Bild: 
tod mit Satyrn und fonfligen Figuren. Wilferdingen: Votiftein mit 
römischer Anfchrift, früher im Garten des Poſthauſes dafelbft eingemanert; 
man fand darunter Münzen von Trajan und Hadrian.!) Königsbach: 
eine reitende weibliche Figur, Flachbild. Göbrichen: Nelieffiguren, in 
tanzender Stellung. Dürrn: ein Stein oder Altar, worauf in erha— 
bener Arbeit die Thaten des Herkules und die Befreiung der Andro: 
meda durch Perſeus abgebildet find. Endlich wurden auch bei den im 
Jahr 1832 im Hagenſchieß bei Pforzheim (fiehe unten) veranftalteten 
Nachgrabungen Bruchſtücke verſchiedener Bildftöcde aufgefunden, von denen 
einer die Buchftaben ... NOBE (Abnobe, vellft. Deae Abnobae, d. i. 
der ſchwarzwäldiſchen Göttin Diana), der andere die Inſchrift MIIRCV, 
d. h. Mercurio (dem Merkur) zeigte. 

Schließlich jei auch noch der römischen Münzen erwähnt, welche zu 
verjchiedenen Zeiten in bedeutender Zahl in und bei Pforzheim aufge: 
funden worden find. Sie reihen von Galigula bis Walentinian, alfo 
vom Jahr 37 bis 378, und gehören den Megierungszeiten der Kaifer 
Saligula (37 — 41), Trajan (98— 117), Voluſian (251), Tacitus (276), 
Balens und Yalentinian (364—378) u. U. an, 


$ 4 Wömifcdye Gebäude und Maucrreſte. 


Bon eben fo großer Wichtigkeit für die Ältere Geichichte Pforzheims 
find die in der Nähe der Stadt noch vorhandenen Ueberreſte römischer 
Gebäude, Wir reiben den ſchon aufgeführten Alterthümern eine Be: 
ſchreibung derjelben an. 

Etwa eine Viertelftunde hinter Brößingen, in einem einfamen Thale, 


1) Bei Wilferdingen wurbe 1859 beim Eiſenbahnbau auch ein römifches 
Schwert einem uralten Todtenfelbe enthoben. 


16 Drittes Kapitel. Römerzeit. 


am Abhang des oben ſchon erwähnten Mittelbergs liegen die Trüm— 
mer von einem unter dem Namen altes Schloß beim Volke befann: 
ten Gemäner, das ganz mit Bäumen bewachſen it. Man kann die 
Grundmauern von drei oder vier Gebäuden von nicht ganz gleicher 
Größe noch deutlich unterjcheiden. Diejelben find wieder von einer ge: 
meinfchaftlichen Mauer umgeben, welde etwa 80 Schritte in die Breite 
und 100 Schritte in die Tiefe, den Berg hinauf, mißt, Die Regel: 
mäßigkeit der Anlage; der Umſtand, daß diefes fogenannte Schloß gar 
feine Gegend beherricht, vielmehr von böhern Bergen überragt wird, 
alfo keine jener freigelegenen Nitterburgen jein kann; daß es ferner, 
gegen die Gewalt der Nordwinde gefchiiht, gerade dem Sonnenaufgang 
zugefehrt iſt; die alte Ueberlieferung, nad welder die Kirche zu Brö— 
Bingen aus den Steinen diefer Trümmer erbaut fein fol und alfo 
wahrſcheinlich auch die oben erwähnten Bildſtöcke eben daher find, nicht 
weniger die Nähe der Nömerjtraße, welche nur einige Hundert Schritte 
oberhalb vorbeiläuft: — alles Diejes zufammengenommen läßt vermuthen, 
daß fein Schloß, jendern eine römiſche Kapelle bier geitanden habe. 

Auf dem Vorſprung einer Höhe, eine Viertelftunde von Kiefelbronn 
und eine halbe von Dürrn entfernt, finden ſich die Ueberreſte eines 
großen Gebäudes. mit einem Heinen Nebengebäude. Man bielt dasfelbe 
früher immer für eine mittelalterliche Nuine ; allein Haufen von römi— 
ichen Leiſtenziegeln und vömifche Wärmeleitungsröhren, die man dafelbit 
fand, ſowie die ganze Bauart lafjen fiinen Zweifel, daß es römijchen 
Urſprungs iſt. 

Ein Alterthumskenner 1) bringt auch das ſogenannte Eiſinger 
Loch, einen Erdfall zwiſchen Eiſingen und Göbrichen, mit den Römern, 
und zwar mit römiſchen Bergwerken in Verbindung, welche die Römer 
daſelbſt eröffnet hätten. Daß die Römer auf dieſer Höhe, welche weit— 
hin, ja bis Landau ſichtbar iſt, beſchäftigt waren, ſcheint der Name 
Heidenkeller anzuzeigen, den ein erſt ſeit Anfang dieſes Jahrhun— 
derts völlig verſchwundenes altes Gemäuer in der Nähe dieſes Erd— 
falles führte. 

Noch umfangreicher und wichtiger, als alle bisher aufgeführten 
Mauerreſte, find aber die Gebäudetrümmer im Hagenſchieß. Wenn 
man von dem Wege, weldyer auf dem rechten Enzufer von Pforzheim 


1) Meinbrenner in Morgenblatt v. 1807, No, 199. 





Drittes Kapitel. Römerzeit. 17 


nah Eutingen führt, etwas näher an leßterem Orte, als an Pforzheim 
rechts abbiegt und dajelbjt denjenigen Theil des Hagenſchießes, welcher 
ber Kanzler heißt, betritt, jo gelangt man ſchon nach einer Heinen 
Viertelſtunde an einen Theil jener Baurefte, welche, auf eine Fläche von 
beinahe einer halben Quadratmeile zerjtreut, fi an mehr als zwanzig 
verfchiedenen Drten befinden, Sie beftehen zum Theil freilih nur noch 
aus moosbedbedten Haufen von Steinen und Ziegeljtüden, zum Theil 
aber auch aus wohlerhaltenen Grundmauern, welche bald fleine, bald 
größere, oft auch von Quermauern durchzogene Räume umfchließen, über 
denen ſich einft Gebäude erhoben haben, Namentlich läßt der größte 
diefer Räume, der ungefähr ZOO Fuß im Geviert mefjen mag, troßbdem, 
daß er jebt ganz mit Tannen überwachjen ift, noch mande Gebäude: 
trümmer erfennen, Pur wenige Schritte von jener Umfafjungsmauer 
entfernt, befinden fich die Trümmer eines andern Gebäudes, das drei 
Heine, nad einer Seite abgerundete, nifchenartige Kabinete mit eben 
fo viel anftoßenden kleinen vieredigen Gemächern enthält. Diefe Ein- 
richtung, ſowie die doppelten Böden mit dazwiihen durdführender Röh— 
renleitung, welche man bei Nachgrabungen vorfand, gaben früher zu der 
Anfiht Veranlafjung, daß das Gebäude ein römiſches Bad geweſen ſei, 
während jene Vorrichtungen mit den Nöhren ꝛc. wahrfcheinlih nur zum 
Heizen ber verjhiedenen Zimmerchen angebracht waren, befjen die Römer 
in unferm Klima nody mehr, als die eigentlichen Bewohner des Landes 
ſelbſt, bedurften. Solche Heizeinrictung beftand immer in einem Heiz— 
Iofal, das unter dem ganzen Zimmer durchlief (hypocaustum). Auf 
den vielen Badjteinpfeilern desjelben ruhte der Boden der Zimmer, ber 
aus Stein: oder Ziegelplatten, oder aus geftampfter Erde beftand; übri— 
gens firömte die Hite nicht bloß dur die GSteinplatten, fondern auch 
durdy die viereckigen Badjteinröhren (tubuli), welche die ganze Zimmer: 
wand befleideten und mit einem Anwurf von Gips bedeckt waren. Dieje 
Röhren ftanden ſenkrecht über einander; ihre wagrechte Verbindung unter 
fi) wurde durch vieredige Löcher bewerkftelligt, die in der Mitte der: 
jelben angebradt waren. Großen Flächenraum hatten die einzelnen 
Zimmer nicht, nad) dem allgemeinen Charakter der bürgerlichen Wohnungen 
bei den Römern. Cine ähnliche Heizeinrichtung zeigte fih beim Nach— 
graben auch in dem Seitengemach eines anderen Gebäudeüberreſtes. 
Tiefer im Hagenſchieß liegen weitere Bautrümmer, die unter dem Namen 


des Kohlenftalles und des Hardheimer Schlößchens bekannt 
Pflüger, Pıorzbeim. 2 


18 Drittes Kapitel. Römerzeit, 


find. Nachgrabungen förderten bei erfterm verfchiedene Alterthümer, 
darunter den Kopf eines Denkſteins, den Rumpf eines Reiterbildes, ver: 
ſchiedenes Geräthe von Bronce, viele Scherben von Gefäßen aus Siegel- 
erde, Glasiherben, Bruchſtücke von Ziegeln, ja eine völlige Begräbniß- 
ftätte mit Trümmern von Aſchenkrügen mit noch daranhängender Aſche 
‚zu Tage!) Bei diefem Fohlenftall ftand früher ein unter dem Namen 
„Zaufftein” bekannter großer Stein, in Form eines Bedens, mit latei— 
niſcher Umfchrift. Leider wurde derfelbe von einem Steinhauer zu einem 
wirklichen Taufſtein umgearbeitet und befindet ſich jetzt als folder in 
der Kirche zu Eutingen. Das fogenannte Hardheimer Schlößchen be: 
fteht aus einer etwa 3 Ruß dicken Umfangsmaner, welche ein vollfom: 
menes Biere bildet, das nach jeder Seite 125 Fuß mißt. Innerhalb 
besfelben müfjen mehrere Gebäude geftanden haben, von denen das größte 
etwa 50 Fuß Tang und 30 Fuß breit war. Hier wurden verjchiedene 
Alterthüümer,, fo unter andern ein Bruchſtück von einem Altar aufgefun: 
den, aus deſſen Inſchrift hervorging, daß derjelbe nnd vermuthlich das 
ganze Gebäude, das vielleicht eim römischer Tempel gewefen fein mag, 
bem Merkur gewidmet war, — (Siehe oben.) Auch in noch andern 
Theilen des Hagenſchießes wurden zit verfchiedenen Zeiten allerlei alter: 
thümliche Gegenstände aufgefunden, fo Ueberreſte eines Ziehbrunnens, 
thönerne Platten, Röhren von gebranntem Thon Bruchſtücke von Ge: 
fühen aus Ziegelerde, Glasſcherben mit eingebrannten Farben, große, 
in Plattenform gebildete Hufeifen, Waffenſtücke ꝛc. Bei Urbarmachung 
des früheren Meurach-Waldes, (Mäurach, Mänerih, Gemäuer), welche 
zu Anfang diejes Jahrhunderts erfolgte, ſollen mancherlei merkwürdige 
Geräthichaften von Metall zum Vorſchein gekommen fein, find aber, wie 
es fcheint, unbeachtet geblieben und nicht gefammelt werden. — An der 
nach Tiefenbronn zc. führenden Römerſtraße ftieß man bei Aufgrabung 
eines Hügels, der ſchon lange die Aufmerkſamkeit erregt hatte, auf römi— 
fches Mauerwerk mit römischen Ziegeln und einem Haufen Cifenerz 
im verfchiedenften Zuftand der Bearbeitung durch Feuer, nämlich theils 
ganz roh, theils halb geichmolzen, theils als völlige Schladen. Dafelbft 
war ohne Zweifel eine römifche Eifenfchmelze, und an den Bergabhängen 


1) Viele folder Gegenjtände waren bis 1842 im Scebaufe aufbewahrt; 
jegt find fie in der Alterthumshalle zu Karlsruhe. Dort befindet ſich auch 
eine im Jahr 1849 zu Pforzheim aufgefundene römiſche Wafferleitungsröhre 
aus Thon, 


Drittes Kapitel. Römerzeit. 19 


des nahen Würmthals, we vor nicht langer Zeit nod) Bergbau auf 
Eifenerze im Sandfteingebirge betricben wurde, beurfunden mehrere tiefe 
und breite Gräben, mit denen die Erzgänge verfolgt wurden, daß dort 
ſchon die Nömer den einfachen Bergbau unternommen haben, 

Auf Spuren des frühern Anbaus des Bodens ſtößt man allent: 
halben ; ſogar von ehemaligem Weinbau find fichere Zeugen vorhanden, 
indem am Hardheimer Rain nod) einzelne Stöde der wilden oder ver: 
wilderten Rebe ftehen, welche weit umher wildwachjend nicht angetroffen 
wird. Diejenige Fläche des Hagenſchießes, wo ſich alle diefe Ueberrefte 
römifcher Niederlafjungen und römiihen Anbaues finden, ſcheint alfo 
früher nicht mit Wald bededt gewefen zu fein. 

Zu melden Zwecken haben wohl diefe Gebäulichkeiten ꝛc. gedient 
und wer bat fie bewohnt? Es ift natürlich nicht möglich, auf dieſe 
Fragen eine beftimmte Antwort zu geben. Das Wahrſcheinlichſte ift, 
dag die römischen Gebäude im Hagenſchieß ein fog. Präſidium, d. h. 
eine vorgefhobene Milttärftation waren, die beim inrüden der Römer 
in das Land angelegt, aber von den Soldaten wieder verlaffen wurde, 
alg man die Linien wieder weiter vorſchob. Die Gebäude fammt dem 
umliegenden Lande mögen alsdann mit friedlichen Koloniften beſetzt wor: 
ben fein, die unter dem Schub des nachher angelegten Römerbkaſtells 
an der Enz (fiebe unten) Feldbau trieben, auch die Erzgänge des Ha- 
genſchießes ꝛc. auszubeuten fuchten. Jedenfalls deutet es auf eine zulett 
friedliche Niederlaffung, daß auf feinem der aufgefundenen Ziegel ꝛc. 
eine Legionszahl zu finden war. Daß es aber urſprünglich eine ſolche 
war, läßt fih aud darum bezweifen, weil die praftifchen Römer der: 
gfeihen Tandwirthichaftlihe Anlagen wahrſcheinlich nicht an dent gegen 
Norden gerichteten Abhang des Thales gemacht, fondern dazu lieber die 
fonnigere Sübjeite gewählt haben würden. 

Es ift in diefem Kapitel bereits eines Merkurstempels Crwäh— 
nung gefcheben. Ein folder befand ſich höchſt mahrjcheinlich auch da, 
wo jetzt die Schloß: oder Michaelsfirhe fteht. Es kann nämlich ber 
Beweis geliefert werden,t) dak man am Oberrhein nad Einführung 
des Chriſtenthums die Heinen Merkurstempel in Michaelstapellen ver— 
wandelt und an die Stelle des römischen Handelsgottes einen chriſtlichen 
Erzengel gefest hat. Dies geſchah beifpielweife zu Miegel am Kaiſer⸗ 


1) Mone, Urgeſchichte Badens, I, 293 und 264. 2 


20 Drittes Kapitel. Römerzeit. 


ſtuhl, bei der Micaelskapelle in der Nähe von Brucfal, ähnlich beim 
Michelsberg bei Gundelsheim und Bönnigheim ꝛc. Alle diefe Punkte 
find durch Ausgrabungen als Nömerftätten erwieſen. ft es da um 
wahricheinfich, daß auch an der Stelle der heutigen Michaelskirche früher 
eine Michaelsfapelle ftand, in welche der Merkurstempel bei Einführung 
bes Ghriftenthums verwandelt wurde? Der weitere Umftand, daß die 
Nömerbauptfirake an diefer Stelle vorbeizog und letztere ſich ſehr zur 
Errichtung eines Tempels eignete, mag die ausgefpredhene Vermuthung 
noch weiter unterftüßen. 1) 


85. Worzheim, eine Nömerfladt. 


Zu welchen Schlüffen berechtigen nun die bisherigen Zufammen- 
ftellungen und Befcreibungen in Bezug auf Pforzheim? Denn 
nur auf Schlüffe ift man bei dem Umſtande angewiejen, daß fein römi— 
fer Schriftjteller einer Stadt erwähnt, die da gelegen fein könnte, wo 
ſich jet Pforzheim findet, und daß aud auf feiner römischen Haupt: 
ftraßenfarte, wovon zwei auf umfere Zeit gefommen find und von denen 
eine ?) auch das füdlihe Deutſchland umfaßt, an der Stelle, wo jet 
Pforzheim Liegt, ein römischer Ort verzeichnet iſt. Letzterer Umſtand 
darf übrigens weder befremden, noch überhaupt von etwaigen nähern 
Unterfuchungen und daraus zu ziehenden Schlüſſen abhalten, da zu der 
Zeit, wo jene Karten gefertigt wurden, nämlidy gegen Ende des 4. Jahr: 
bunderts, die Nömer nahezu aus unfern Gegenden vertrieben waren. 
Aus diefem Grunde findet man- darauf auch feine der Heerjtraßen ver: 
zeichnet, welche vom Rheinthal in das Innere des Zehntlandes führten. 
Wenn indefien auch Beweiſe durch Schriftiteller fehlen, jo ſprechen die 
bereit8 angeführten römischen Alterthümer, als Altäre, Grabjteine, 
Leugenzeiger, Münzen, Gebäudetrünmer, Straßenzüge ıc. um jo deut: 


1) Klüber, (Baden, 1) ipricht fogar von ſchönen römifhen Ruinen , bie 
man in der Amtskelferei, alio der heutigen, binter der Schloßkirche liegenden 
Domäncnverwaltung bemerken könne. Diefelden fcheinen indeß nicht mehr 
vorhanden zu fein, oder jene Angabe beruht auf einem Irrthum. 

2) Die peutinger'ihe, fo genannt nad einer Augsburger Patricierfamilie, 
in beren Befig fie früher war. Jetzt ift fie in Wien. Sie beftcht aus 12 
Vlättern, ift im Ganzen 20 Fuß lang und 1 Fuß hoch. 


Drittes Kapitel. Römerzeit. 21 


licher, und berechtigen, da ſie für die Anweſenheit der Römer in der 
Gegend von Pforzheim unumſtößliche Beweiſe liefern, zu weitern 
Schlußfolgerungen. 

Die Römer unterliegen aus ftrategifchen Gründen, die bei ihnen 
überall in erfter Reihe in die Wagichale fielen, es felten oder nie, bie 
Ausmündungen (Debouches) der Gebirgsthäler durch Schanzen und 
Kaftelle zu deden. Zur Anlegung eines foldhen Kaſtells an der Enz 
waren nun mehrere Gründe vorhanden. Einmal münden bei Pforzheim 
zwei Thäler in ein drittes aus, und zwei von diefen drei Thälern, 
nämlich das Enz und Nagsldthal, öffnen zugleich den untern Schwarz: 
wald, Da wo jebt Pforzheim Tiegt, war alfo jedenfalls ein fehr wich: 
tiger Punkt für Befeftigungen, da er gleichjam die Pforte des Schwarz: 
waldes bildete und ficherlich von Seite ber Römer jede mögliche ftrategifche 
Beachtung fand. Zu biefer Annahme drängt aber noch der weitere 
Umftand, daß, wie fchon gezeigt, bei Pforzheim eine größere Anzahl der 
Nömerftragen zufammenliefen. Die Nömer legten überall längs ihrer 
Straßen in entipredyender Entfernung von einander Kaftelle an, damit 
erjtere immer offen bleiben und vom Feind nicht unterbrochen oder abges 
fchnitten werben konnten. Mit manchen ſolcher Kaftelle, namentlich wenn 
fie an wichtigern Punkten Tagen, mochten vielleicht auch befeftigte Lager 
verbunden geweien fein, die eime größere Befabung aufnehmen und 
dadurd auch den benachbarten Kaftellen zur Dedung dienen Tonnten, 

Der Enzübergang mit feiner Brüde war zur Anle— 
gung eines ſolchen Kaſtells wichtig genug, und da lehzteres, 
wie erwähnt, auch zugleich den Zweck hatte, den Eingang in zwei wich 
tige Schwarzwaldthäfer zu beberrichen, fo dürfen wir wohl annehmen, 
daß das an der Enz liegende Kaftell nicht nur einen bedeutendern 
Umfang batte, fondern daß auch ein feites Standlager zur Auf⸗ 
nahme einer größeren Truppenabtheilung damit verbunden war, und aus 
Beidem nach und nach eine eigentliche Stadt mit nicht unbedeutender 
Bevölkerung ſich bildete. 

Hiemit iſt auch die ſpecielle Lage derſelben oder des römiſchen 
Pforzheim feſtgeſetzt. Wie oben bemerkt wurde, war der Straßenüber: 
gang über die Enz unterhalb der jetzigen Altſtädter Kirche, wo eine 
hölzerne Brüde die Verbindung zwijchen den beiden Flußufern berftellte. 
Dort ftand alfo auch das Römerkaſtell und nahm mit feinem Lager zc. 
den größten Theil der heutigen Altftadt ein, die auch daraus hervors 


22 Drittes Kapitel, Römerzeit. 


gegangen ift. Dafür, fowie für den römiſchen Urfprung der Altftadt 
überhaupt, die ſich dadurd als den äÄlteften Theil Pforzheims ausmweist, 
fprechen noch andere gewichtige Gründe. Faſt alle römiſchen Münzen, 
die man in Pforzheim (fo 3. B. 1832) ausgrub, wurden in der Alt: 
ftadt gefunden; ebenfo ift diefe auch der Fundort römischer Steindenkmäler 
und Inſchriften. Es ift ſogar wahrſcheinlich, daß die Yundamente der 
jesigen Altſtädter Kirche römischen Urfprungs find. 

Ein weiterer gewichtiger Beweis für eine Mömerftadt an der 
Stelle der jetigen Altjtadt ift der Name der Teßteren. Es ift darunter 
überall, wo er vorkommt, nicht fowohl ein alter Theil einer Stadt, 
ala vielmehr eine alte Stadt zu verftehen. „Das Wort Stadt 
(auch Dorf, Weiler, Burg) findet man häufig mit Alt verbunden. 
Wenn daneben eine Neuftadt vortommt, fo hat man feinen Grund, 
aus der Bezeichnung alt auf einen römischen Ort zu fchließen; fteht es 
aber allein, fo ift es nicht des Unterfchiedes wegen geſetzt, fondern bes 
beutet hohes Altertbum, und it dann eine römiſche Niederlaffung zu 
vermutben.” 1) Das Alles trifft nun bei der Pforzheimer Altftadt voll 
fommen zu, und es find jedenfalls zwei weitere Umstände bezeichnend 
genug, um ſolche Vermuthung der Gewißheit näher zu bringen. Einmal 
tennt der, Sprachgebraud bis auf den heutigen Tag feine Altftadt, fon: 
dern eine „alte Stadt”; fodann wird noch in Urkunden des Mittel: 
alters die Altftadt nie als integrivender Theil des fpätern Pforzheim 
aufgeführt, fondern e8 heißt immer: Die Stadt Pforzheim, die „alte 
Stadt” (alfo auch nicht Altftadt) ſammt den Vorftädten. 

Mit der Römerftadt am Enzübergang war vermuthlich auch eine 
Boftftation verbunden. Auf allen Römerftraßen befanden ſich nämlich 
folche Stationen, und waren diefelben entweder Städte und Dörfer, 
oder wenigftens fog mansiones, wo man übernachten Fonnte, oder 
mutationes, (Geſpannwechſel), wo Pferde und Wagen untergebradjt waren, 
Daß eine folche mit dem römischen Pforzheim verbumbden war, dafür ſpricht 
nicht nur eine halbverflungene Sage, daß einmal jenfeits der Altjtädter 
Brücke, da, wo jet der Schafhof fteht, im uralter Zeit eine „oft“ ge— 
weſen fei, fondern aud der Umſtand, daß die Nömerftraßen, die über 
Pforzheim führen (fiehe oben), auf zwei Streden in der Nähe Pforz- 
beims, nämlih auf ber Springer Höhe gegen die Durlacher Straße 


1) Mone, Urgeihichte Badens, 1., 208. 


Drittes Kapitel, Römerzeit. 23 


und im Hagenfchieß zwiſchen Eutingen und Niefern, heute noch „alte 
Poſtſtraßen“ genannt werden. 

Das Nömerkaftell zc. an der Enz ftand jedenfalls einerjeits mit dem 
Präfidium oder der Niederlaffung im heutigen Hagenſchieß, andererfeits 
mit einem römiſchen Warttburm auf dem in der Nähe liegenden 
Wartberg in Verbindung. Dort diente das Kaftell zum Schub; bier 
mußte ibm der MWartthurm in allen Fällen, wo fi dies als nöthig 
erwies, die erforderlichen Signale geben. Der jetzige Thurm auf dem 
Wartberg iſt zwar ſchwerlich römiſchen Urſprungs, ſondern ſtammt wahr— 
ſcheinlich aus dem Mittelalter. Das hindert aber nicht zu glauben, 
daß auch die Römer auf dieſem höchſten Punkt der linken Seite des 
Thals einen Thurm erbaut hatten, der wiederum einerſeits mit dem Kaſtell 
auf dem Thurmberg bei Durlach, defjen ältefte Theile nachgewiefener 
Maßen römiſchen Urfprungs find, andererjeits mit dem Wartthurm zu 
Befigheim, vielleicht auch zu Leonberg korreſpondirte; doch geſchah Letz— 
teres, da eine direkte Verftändigung von diefen Thürmen bei der Lage 
derjelben fat nicht möglich war, vermutblid mit Hülfe eines andern 
Thurmes, der fih auf einem noch böhern Punkt unferer Gegend als der 
Wartberg ift, und zwar ſehr wahricheinlich zu Hohenwarth, befand, 
wo ohnehin aud eine Nömerjtraße vorbeiführte;, denn der Name 
dieſes Drtes deutet offenbar auf eine früher dort gewefene „bobe 
Warte“ Hin, Diefelbe mochte wehl auch wieder mit der Riefenburg 
in Liebenzell in Verbindung ftehen, von der ein großer Theil noch 
in ihrer jeßigen Gejtalt von den Römern herrührt. Alle diefe Wart- 
tbürme (specula) waren fo angelegt, daß fie für" Signale gebraucht 
werden Fonnten, und zwar Tags durch Rauch und eine Art Telegrapben, 
Nachts durch Pechfakeln. Solche Signale gaben aber die Wartthiirme 
nicht nur fich ſelbſt gegenfeitig, fondern auch den Burgen und Kaftellen, 
welche in den Thälern und namentlich, wie in Pforzheim, an den Fluß: 
übergängen lagen, um fie zu warnen. Manche folder römischen Warten 
wurden von den Alemanen zerftört, worunter wohl auch die bei Pforz— 
heim gehört haben mag, die alfo dem Schickſal der Niederlafjung im 
Hagenſchieß nicht entging. Diefe Thürme wurden aber meift im Mit: 
telalter wieder aufgebaut, um zu gleichem Zweck, wie zur Mömerzeit 
zu dienen. 

Mir haben nun noch Unterfuchungen über den Namen anzuftellen, 
der dem römiſchen Pforzheim gegeben worden fein mag. Wie oben 


24 Drittes Kapitel. Römerzeit. 


ſchon erwähnt, finden wir einen foldhen weder bei einem römifchen Schrift: 
fteller,, noch auf römischen Straßenkarten. Wir find deshalb auch hier 
wieder auf Vermuthungen angewiefen. Hatten bereits die Kelten ba, 
wo jett Pforzheim liegt, eine Niederlaffung gegründet, fo wurde vieleicht 
der ältefte Name der Stadt von den Römern beibehalten und in ihrem 
Munde latinifirt. Es kann jedoch aud fein, daß die Römer ihrem 
Kaftell und Standlager ıc. an der Enz jelbitftändig einen entipredhenden 
Namen gaben, und da dürfte denn die Bezeichnung Porta, die Thüre 
oder Pforte, Vieles für fih haben; denn die Stadt lag ja wirflih am 
Eingang des Schwarzwaldes und des römischen Zehntlandes, und mit 
geringer Lautveränderung und durch Anhängung der urdeutſchen Silbe 
bein oder beim, auch hain und haim, welde die Franken fpäter gern 
an fremde Ortsnamen fügten, wäre der dermalige Name ber Stadt her: 
geftellt. Ummahrfcheinlicher ift der Jufaß, „Hereyniae“ zu Porta; denn 
derfelbe ift zur Ableitung des Namens Pforzheim nicht nur überflüffig, 
fondern es kann auch leicht nacdhgewiefen werden, daß der Schwarzwald 
zur Zeit der Mömerberrfchaft gar nicht mehr Hercynia oder Orcynia 
(weßhalb man früher Pforzheim von „Orcynheim“ ableiten wollte 1), 
bieß, fonden Abnoba, aud Silva Martiana.?) 

Ohne auf Berechtigung Anfpruh machen zu wollen, dürfte bier 
auch der möglichen Ableitung der eriten Silbe des Namens Pforzheim 
von „portus“, der Hafen, die Schifflände, die Anfurt, Erwähnung ges 
heben. Wenn es nämlich richtig ift, daß die Römer auf den Flüffen 
Enz, Würm, Nagold und Nedar Flößerei getrieben haben, (und daran 
ift Faum zu zweifeln), jo war die Stelle, wo jetzt Pforzheim liegt, da= 
mals ſchon, wie heute noch, für einen Anlandungs: und Haltpunkt fehr 
geeignet, Sowie nun das lateinische Wort nauta eben fo gut einen 
Flößer, als einen Schiffer bedeutet, eben fo kann auch unter portus ein 
Halt: und Anbindeort, eine Anfurt für Flöße veritanden werden. Der 
y Beatus Rhennans, Lib, rer. germ. (Basil., 1531.) 

2) Der Grieche Eratosthenes erwähnt zuerft eines „orcynischen‘‘ Waldes. 
Cäſar fennt einen „Hercynia silva“ ebenſo Etrabo, Tacitus einen „Abnoba“, 
verjhiebene andere Schriftiteller baben dafür „Rauraci montes“, Ammianus 
Mareellinus (ein römischer Gejchichtichreiber aus dem vierten Jabrhundert) nennt 
den Schwarzwald Silva Martiana und jo beißt er auch auf der peutinger’ichen 
Tafel. Für Abnoba ſprechen auch mehrere aufgefundene römifhe Denffteine, 


(Müllenbach: Deanae Abnobae; Röthenbah im Würtmb: Abnoba ; Hagenſchieß: 
. nobe , .„; Müblburg: Deae Abnobae), 


Drittes Kapitel. Römerzeit. 35 


Uebergang des Wortes portus in Porz, Phorz, Pforz, Liegt mindejtens 
eben jo nahe, ala der des Wortes porta oder des keltischen fTordd, und hat 
auch einige Analogien für fih. Bei Altenwört an der Donau (in Ober: 
öfterreih) war früher ein Ort Porz oder Pforz, der aber fängt vom 
Fluß weggeipült worden ift, und als Hafenort feinen Namen von portus 
erhielt, Dasjelbe ift ficherlih auch der Fall mit dem Flecken Pforz 
zwifchen Rauterburg und Rheinzabern. 

Leßterer gibt bier noch zu einer Bemerkung Anlaf. Man bat 
nämlich früher den Namen Porca, den ein römifher Schriftfteller (ber 
fog. Geograph von Ravenna) anführt, auf Pforzheim bezogen. Da 
indefien alle andere Orte, die er mit Porca nennt, auf der linken Seite 
des Mheines liegen und Porca zwiſchen Speier und Straßburg aufge 
führt ift, fo ift unter diefer Bezeichnung ficherlich nicht Pforzheim, fon- 
bern der erwähnte Fleden Pforz zu verftehen, 


Viertes Anpitel 





Pforzheim während der großen Völferbewegungen und Völker: 
Fämpfe in den nachfolgenden Jahrhunderten. ') 
(400 — 900.) 


$ 4. Die Alemanen. 


Zwei Jahrhunderte lang hatte ſich das oberrheinifche Grenzland 
eines Friedens erfreut, der durch zweimalige Einfälle der wilden Katten 
in den Jahren 51 und 161 wohl vorübergehend geftört wurde, aber 
doch die ungebinderte Entwidelung diefer römifch gewordenen Provinz ge: 
ftattete. Wenn nun auch die Mömer viel für die Kultur derjelben 
thaten, fo darf man dabei freilich nicht vergeffen, daß die Befißnahme 
der Länder am Oberrhein zu einer Zeit erfolgte, da in Nom ber alte 
Geift, den wir fonft an den Römern fo fehr bervundern, längſt ver: 
ſchwunden, und mit der damaligen römischen Kultur ein Sittenverderbniß 
verbunden war, das die Bezeichnung eines deutſchen Gefchichtsichreibers : 
„glänzendes Elend“ volllommen rechtfertigt. Und fürwahr, theuer 
genug, nämlich mit dem Berluft ded Vermögens, der Freiheit und der 
Sprache, mußten die unterworfenen Völker diefe römifhe Scheinfultur 
bezahlen, und endliche Verarmung, Erfterben alles nationalen Bewußt— 
feins und geiftige Verwirrung waren die unausbleiblide Folge der römi- 
ihen Herrihaft. Bald indeffen traten Ereigniffe ein, welche die lebtere 
und bie durch fie berbeigeführte Kultur nicht nur ſchwer bedrohten, ſon— 
bern zulett Beiden ein Ende machten 


1) Benüpt wurden hauptſächlich: Mone: Urgeihichte Badens; Bader: 
badiſche Landesgeſchichte; Preuſchen: badiſche Geſchichte; Leichtlen: Bei— 
träge; Häuffer: Geſchichte der rheiniſchen Pfalz; Stälin: Württembergiſche 
Geſchichte; der Codex Laureshamensis; Dumbeck: Geographia pagorum 
uf. w. Andere benugte Quellen find bei den betreffenden einzelnen Stellen 
angegeben, 


Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 27 


Die Römer hatten zur Sicherung ihrer Erwerbungen im füdfichen 
Deutichland nit nur eine größere Zahl von Kaftellen und Ihürmen, 
fowohl im Innern, als hauptfählih an den Grenzen angelegt, jondern 
außerdem auch zur Dedung der Dftgrenze des Zehntlandes einen ſog. 
Zandhag oder Pfahlhag, d. h. einen Orenzwall, errichtet, der fi von 
ber Donau (bei Regensburg) bis an den Main (bei Aichaffenburg) 
"und von dort an den Unterrhein z0g, und zum Theil aus ordentlichen 
Mauerwerk oder Steinreiben, zum Theil aus bloßen Verhauen, einfachen 
Erddämmen oder manerartig aufgeführten Nafenftüden beftand. em 
feits diefes Grenzhags wohnten fuevifchegermanifche Stämme, namentlich 
die Hermunduren, zu denen Übrigens die Nömer lange Zeit in durchaus 
friedlichen Verhältniſſen ftanden. 

Ums Jahr 240 jede durchbrachen die Deutfchen, durch die Ge— 
waltthätigkeiten und Graujamfeiten der Römer gereizt, diefen Landhag. 
Es vereinigten fich die verfchiedenen fueriihen Volksſtämme zu einem 
Bündniffe, von dem fie den Namen Alemanen oder Alamanen 
befamen. Dieje fielen nun verwüjtend in das römiſche Gebiet ein. Es 
erhob ſich dadurch zwifchen ihnen und den Römern ein Kampf, der mit 
wenigen Unterbrechungen weit über 100 Jahre dauerte. Wenn es auch 
dem einen oder andern der römifchen Kaifer gelang, die Alemanen zus 
rüdzubdrängen, wie 3. B. dem Probus, der fie fogar über den Pfahlhag 
zurücdwarf und diefen ſtärker befeftigte, jo wiederholten ſich die Ein- 
fälle dody immer wieder, bis endlich zu Anfang des fünften Jahrhun— 
derts der römifhen Herrſchaft am Oberrhein gänzlicd ein Ende gemacht 
war und die Alemanen fich in ungeftörtem Befitte des Landes befanden. 

Bei diefen unaufhörlichen Einfällen und Kämpfen ging auch die 
Kultur, welche die Römer berbeigeführt batten, wieder zu Grunde, und 
namentlich wurden alle römischen Städte und Kolonien verwüftet. Diefes 
Schickſal traf auch — vielleicht ſchon in der Mitte des 3., wahrſcheinlich 
aber erft gegen Anfang des d. Jahrhunderts, um welch letztere Zeit 3. B. 
and Baden zerftört wurde — das römische Pforzheim und die Kolonie 
im Hagenſchieß. Bei näherer Unterfuchung dev an letzterm Ort vorhans 
denen Bautrümmer zeigt es fich, daß Aber die Niederlaffung, welche ſich 
bafelbit befand, eine allgemeine und fo gräuliche Beraubung und Zer— 
ftörung, letztere theils durch Menfchenhände, theils durch Feuer erging, 
daß fait auch nicht das geringite Zeichen, das davon noch eine beftimmte 
Kunde geben könnte, unzertrümmert gelafien wurde. Doc kommt von 


28 Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 


diefen Zerftörungen auch viel auf die Rechnung anderer Völker, jo der 
Bandalen, Manen, Hummen (fiehe unten), die im 5. Jahrhundert diefe 
Gegenden verbeerend durchzogen. 

Indeſſen jcheint im Allgemeinen hauptjächlih die Städte, Kaſtelle 
und Mititärkolonien der Römer dieje Zerſtörung betroffen zu haben, weni— 
ger die Hütten des Landvolkes, deſſen Loos es war, in die Leibeigenfchaft 
ber neuen Herren zu gerathen und ſich nach und nach mit den neuen“ 
Einwanderern zu verfchmelzen. Dieje Hütten waren fehr einfach; denn 
fie beftanden gewöhnlich nur aus über einander gelegten Balken oder 
dichtem Flechtwerk, darüber ein Strohdach. Doch ahmten die Alemanen 
fpäter auch die Baukunft der Römer nah. seite Wohnfige in größern, 
ummauerten Städten waren ihnen aber damals noch verhaßt ; fie er: 
ſchienen ihrem SFreigeitsfinn als Gefängniffe und Grabftätten, Doch mochten 
die Hütten, die von neuen Anfiedlern neben den Ruinen unferer zerftörten 
Nömerftadt erbaut wurden, wie das anderwärts ebenfalls gefchab, 
mit einander als Ort (villa) den Namen des römischen Pforzheim aud) 
ferner führen, der jedoch im Munde der Alemanen vermöge der rauhen 
Klänge ihrer Sprache jedenfalls eine Veränderung erfuhr, welche jchon 
damals den Webergang zur ſpätern Bezeichnung vermittelte. 

Das den Römern entriffene Land theilten die alemanifchen Heer— 
führer oder Fürften unter fih, jo daß jeder derfelben fein befonderes 
Gebiet (pagus) erhielt. Es ift nicht unwahrſcheinlich, daß dieſe Gebiete 
ober Zandbezirke in den fpätern Gauen fortgedauert haben. Derjenigen 
alemanifchen Fürften, welche auf diefe Weife in den Befig des oberrheis- 
nifchen Grenzlandes kamen, waren es eilf: Suomari, Hortari, Ehnodo- 
mari, Serapio, Uri, Urficin, Wefteralp, Gundomad, Badomari, Macrian, 
Hariobaud, Welchem von denjelben die Gegend von Pforzheim gehörte, 
ift unbefannt. Vermuthlich war es aber Hortari, deſſen Gebiet als den 
Städten Worms und Speier gegenübergelegen bezeichnet wird. 

Noch während die Kriege zwiichen den Alemanen und Römern 
dauerten, begann die Völkerwanderung Die aus Aften nad 
Europa vordringenden wilden Hunnen machten 375 befanntlih damit 
den Anfang. Wenn fid) auch die Wellen ihres erſten Stoßes nicht bie 
an den Oberrhein fortpflanzten, jo wurde bie Gegend von Pforzheim 
jedenfalls durdy den Zug des Hunnenkönigs Attila berührt, der 450 
aus Ungarn, mit 5— 700,000 Mann aufbrach, der Donau entlang 
und durch die Länder des Oberrheins, wahrjcheinlih dabei die frühern 


Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5, bis 10. Jahrhundert, 29 


Nömerftragen benügend, nah Gallien vordrang, und nad) der Schlacht 
von Chalons nach Italien ging, wo er an einem Blutfturze ftarb, Eine 
alte Sage, die wohl gefchichtliche Wahrſcheinlichkeit für ſich bat, will 
wiſſen, daß zu den von ben Hunnen auf ihrem Berwüftungszug zerftörten 
Drten auh Pforzheim gehört habe.) Minder wahrſcheinlich ift 
der ebenfalls behauptete Wiederaufbau des Ortes durd den fräntifchen 
Statthalter Emmerich im Jahr 510; denn damals war das rechtsrheiniſche 
Alemanien fiherlih noch gar nicht in fränkiſchem Beſitz. 


$2. Die Stanken. 


Faſt gleichzeitig mit den Alemanen am Oberrhein hatte fih am 
Niederrhein ein anderes deutſches Volk, die Franken, gegen die römifche 
Herrichaft erhoben. Sie gingen über den Rhein, durdzogen Gallien, 
und es dauerte nicht lange, fo befand fi der nördliche Theil dieſes 
Landes, dem fie alsdann ihren Namen gaben, troß des Widerftandes 
der Römer, in ihren Händen. Nun hatten fi aber in„einem großen 
Theil Galliens aud) Alemanen niedergelaffen; zwifchen beiden Völkern 
entjtand Eiferfuht, und endlich kam es zum offenen Kampfe, der 496 
zur Schladyt von Zülpich führte und mit der Unterwerfung der linke: 
vheinifchen Alemanen endigte. Aber auch auf das eigentliche Alemanien 
am rechten Rheinufer blieb diefe Schlacht nicht ohne wichtige Folge; die 
Franken jhhoben ihre Grenze vom Main ber gegen Süden immer weiter 
vor, und endlich bildete die Dos die Scheidelinie zwiſchen fränfifchem und 
alemanijhem Land. Diefelbe zog fi von der Dos über die Murg am 
Enzurfprung vorbei über die Höhen zwifchen der Nagold, Würm und Glems 
gegen den Nedar ꝛc. Auf folhe Weile kam — wahricheinlid um das 
Sahr 536 — auch die Gegend von Pforzheim unter fräntifche Kerr: 
ſchaft und bildete einen Theil des ausgedehnten Herzogthums Deutſch— 
franten, weldhes jpäter in ein Rhein- und Oftfranten abgetheilt 
wurde. 

Aber auch andere bdeutihe Stämme vermochten der wachlenden 
Kriegsmacht der fränkiſchen Könige auf die Dauer nicht zu wiberitehen, 
und bald bildeten auch) die Herzogthümer Sachſen, Baiern und Alema— 
nien oder Schwaben Beftandtheile der großen fränkischen Monardie. 


1) M. Ib. Friſchlin, Hiftorifhe Befchreibung von Württemberg. 


30 Viertes Kapitel. Pforzheim vom 5, bis 10. Jahrhundert. 


In welches Verhältniß die jet badischen untern Landestheile, da: 
runter auch die Gegend von Pforzheim, zu den fränkiſchen Eroberern 
getreten find, läßt fich bei dem Mangel genauer Nadrichten im Einzelnen 
nicht beflimmen. Doc jcheint es, daß mit den Befiegten bier härter 
verfahren wurde, als im füdlichen Theil Alemaniens. Der Kern ber 
alemanijchen Bevölkerung wurde wahrjcheinlich hinansgedrängt und durch 
fränfiihe Einwanderer erjeßt, namentlich fcheint eine größere Anzahl 
fränkiſcher Grafengefchlechter in den eroberten Landestheilen Wohnſitz ge- 
nommen zu haben. 

Durch die Franken fam auch das Chriftenthum in unjere Gegenden 
und trug fehr viel dazu bei, die Sitten zu mildern und den Segmungen 
allmäliger Givilifation den Weg zu bahnen. Wann und durch wen 
indeß die neue Lehre zuerft verbreitet wurde, kann nicht angegeben werben. 
Sicherlich aber hatte fie bereits im 7. oder 8. Jahrhundert bei uns 
Murzel gefhlagen, und es mag bald auch mit dem Bau criftlicher Kirchen 
begonnen worden fein. Die hieroglyphiſchen Figuren über dem Haupt: 
eingang der Altftädter Kirche find jedenfalls uralt und mögen wohl aus 
der Zeit der Tinführung des Chriſtenthums ſtammen. Wahrſcheinlich 
follen fie den Sieg desfelben über das Heidenthum ſymboliſch darftellen. 
Auf ein hohes Alterthum deuten aud die Drudenfüße am Portal. 
Die Gründung mander unfer älteften Kirchen fällt in das 8. und 9. 
Jahrhundert, alſo noch in die Farolingifche Zeit, die überhaupt an 
religiöfen Schöpfungen ſehr reih war. In dem von Pforzheim nicht 
weit entfernten Illingen wurde ſchon 775 eime Kirche gebaut, in Hoch: 
dorf bei Vaihingen 812, in Dürrmenz 836. In das 10. oder 11. 
Sahrhundert ift wohl auch der Anfang des Baues der Schloß: oder 
Michaelskirche zu feßen, wenn er nicht ſchon in eine frühere Zeit fällt. 
Schon ihr Name deutet auf ein hohes Alterthum. Wielleiht ging fie 
aus einer Michaelsfapelle hervor, in welche der wahrfcheinlich früher an 
ihrer Stelle geftandene Merkurstempel (S. 19) bei Einführung des 
Ghriftentbums verwandelt wurde. (Eine Michaelskirche wurde beifpiel: 
weife jchen 793 auf dem Michaelsberg bei Bradenheim in Württemberg 
gebaut). Der ältefte Theil der Schloßkirche ift das Mortal und bie 
Vorhalle, über weldyer ſich jett die Orgel befindet. Beide zeigen den 
byzantiniſch-romaniſchen Bauſtyl, deſſen Hauptkennzeichen balbkreisrunde 
Bögen auf würfelförmigen Säulenknäufen ſind, welch letztere wieder auf 
ſchwerfälligen Säulen ruhen. Bei vielen ältern Kirchen trifft man dieſe 


* 


Viertes Kapitel. Pforzbeim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 31 


Bauart. Aehnliche Drudenfüße, wie an der Kirche der Altftadt, finden fich 

auch am Portal der Schloßkirche. Man verfteht darunter die Bändel oder 

Neftel, welde im Kreis, oder auch 4, 6: und Seckig künſtlich verjchlungen, 

jo daß man weder Anfang noch Ende erfennt, an den Thüren folder 

Gebäude in Stein ausgehauen find. Der Druden-, eigentlich Druiden- 

fuß (Druiden hießen die Feltifchen oder gallifchen Priefter) kommt ſchon 
auf Feltifhen Münzen vor. An Gebäuden icheint er geheime Maaf- 
verhältniffe angedeutet zu Haben, zugleich aber auch eim Zeichen ber 
Treue und des Heils und ein Bannnıittel gegen böfe Geifter geweſen zu 
fein.) — ebenfalls ift aber die Altftädter Kirche (d. h. die jetzige 
nur noch in einzelnen Theilen) älter als die Schloßkirche; denn wir fine 
ben, daß jene noch i. J. 1344 bie Mutterkirche, letztere die Tochterfirdhe 
oder das Filial derjelben heißt. 

Zur Verbreitung des Chriſtenthums und zur Pflege desjelben 
wurde ſchon früh eine Anzahl Bisthümer errichtet, jo auch eines in 
Speier, wohn Pforzheim mit Umgegend gehörte. Diefes Bisthum 
blühte unter den ſächſiſchen uud ſaliſchen Kaiſern in Folge reicher Schen- 
tungen bald auf. 

In allen den Ländern, welche nunmehr die Franken in Beſitz ge: 
nommen hatten, murden auch bie fräntifchen Militär: und Staatsein- 
richtungen eingeführt, welche fich in der Gauperfaffung vereinigten. 
Nach der ungefähren Hundertzahl (Eenten) der Männer oder Familien 
ftand die in einzelnen Höfen oder fonftigen Niederlafjungen angefiedelte 
Einwohnerſchaft unter einem Gentworfteher oder Centgrafen; (ſchon 
im 8. Jahrhundert Seulthaizeo, Schultheiß genannt); viele jolher Hun- 
derte bildeten mit einander einen Gau, an deffen Spige en Gaugraf 
fand. Diefe Gaugrafen, als Oberrichter und Kriegshauptleute der ver: 
ſchiedenen Bezirke, waren fönigliche Amtleute, über denen der Herzog ale 
oberjter Gerichtsherr und Heerführer waltete. Die Namen mander jol- 
her Gaue Haben ſich bis auf unfere Zeit im Gebrauch erhalten, jo des 
Dreisgaus, des Hegaus, des Kraichgaus u. f. w. 


$ 3. Der Enzgau. 


Zu den Gauen unferer Gegend gehörten der Nagold, Wirm- und 
Enzgau. Keßterer erjtredte fi über das mittlere und untere Gebiet 





) Mone, Anzeiger, 1833, S. 251 -53. 


32 Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 


ber Enz, aljo hauptfächlich über die heutigen Oberamtsbezirke Pforzheim, 
Vaihingen, Maulbronn und zum Theil noch Neuenbürg und Bretten, 
während der Wirmgau einen Theil des Würm- und Nagoldthales 
jammt anliegenden Orten, der Nagoldgau dagegen das jehige würt- 
tembergiſche Oberamt Herrenberg und Theile der Oberämter Horb, 
Freudenftadt und Nagold umfaßte. Als zum Enzgau gehörig erfcheinen 
in den Urkunden des Klofterse Lorſch,!) aus denen man überhaupt von 
dem DVorhandenfein eines Enzgaus etwas weiß, zum Theil aud in 
andern Schriftitüden, folgende (jest meift württembergifhe) Orte: 765 
Illincheim ($llingen), 766 Breteheim (Bretten, wird aber fpäter immer 
im Kraichgau aufgeführt), 766 Linzingen (Lienzingen), 767 Rotmars- 
heim (vermuthlih ein Schreibfehler ftatt Lotmarsheim, Lomersheim), 
769 Helmufisheim (Helmsheim, DO. U. Brudjal, kommt jonft immer 
im Kraichgau vor), 769 Mulner marca, (Mühlader), 770 Hubestat 
(Ubſtadt DO. A. Bruchſal, font zum Kraichgau gehörig), 774 Escincheim 
(2), 779 Turmenz (Dürrmenz), 781 Reginhershusen (?), 782 Glate- 
bach (Glattbach), 784 Horoheim (Horrheim), 789 Budincheim (Bie- 
tigheim), 791 Autinesheim (Detisheim), 792 Saraesheim (Sersheim), 
793 Alaolfingen (Eilfinger Hof) und Rutgisingen (Rieringen), 800 
Lotmarheim (Romersheim), 801 Hochtorph (Hoddorf), Horoheim 
(j. 0.) und Hasalah (Haslah, O. U. Vaihingen), 801 Lengenfeld 
(Leinfelder Hof), 813 Reod (Nied bei Vaihingen oder Ruith bei Bret: 
ten), 836 Tardingen (Dertingen), 854 Lotmasen (Xomersheim), 
Gladebach (f. o.), Nessenbrunn (Oeſchelbronn ?) und Andensen (Detig: 
beim), 892 Gumboldeshusen (?), Mulnhusa (Mühlhaufen a, d. €.) 
und Hadardesheim (?), 1100 Zeizolfeswilre (Zeifersweier), Lenzin- 
gon, Durminzi (beide f. o.), Cussilbrunnin (Kiejelbronn), Enzeberch 
(Enzberg), Dagelvingen (?). — Vom anftoßenden Pfinzgau werden 
in den Lorſcher Urkunden aufgeführt: 769 Sigengen (Singen), 895 
Vulvirincha (Wilferdingen)," und aus dem Kraichgau: 770 Nuz- 
boumen (Nußbaum), und 900 Gebergingen (Göbrichen). Schen im 
9. Jahrhundert hatte auch das Klofter Reichenau Befigungen in ber 
Gegend von Pforzheim , jo zu Nettingen (Nöttingen), Singen, Theo- 


1) Es wurde 763 dur den Grafen Eancor geftiftet, der durch feine 
möütterlichen Vorfahren wit dem farolingiihen Königsgeichleht verwandt war. 
Es Tag in dem heutigen Großherzogthum Heſſen zwiichen Bensheim und Worms, 


Viertes Kapitel, Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 33 


telenhusen (Dietenhaufen), Almousdingen (Ellmendingen), Ysingen 
(Eifingen), Uitingen (Cutingen), Chuningespahe (Königsbad) ꝛc. 

Es geht daraus hervor, daß die Zahl der Orte des Enzgaus bie 
theils villa, theils marca genannt werden, ſchon vom 8. bis zum 
12, „Jahrhundert eine ziemlich bedeutende war. Der Name Pforzheim 
fommt in diefen Urkunden nun freilich nicht vor.) UWeberhaupt fehlt 
für die Gegend zwiſchen Neuenbürg und Pforzheim jede vrkundläche 
Gaubgzeihnung. Daraus darf aber keineswegs der Schluß gezogen 
werden, daß andere Orte, als die oben angeführten, nod nicht vorhanden 
waren umd der Enzgau nicht noch manche umſchloß, die eben zufällig 
‚mit dem Klofter Lorſch zc. in Feine Berührung kamen. 

Der Enzgau felbft wird in den erwähnten Urkunden Enzingowe, 
‚Enzigowe, Encingowe, Entzgowe, Enzgowe genannt. Cine Unterab- 
teilung desfelben jcheint der Schmiegau gebildet zu haben. 

Ob der Enzgau feine befondere Grafen gehabt hat, ift zweifelhaft. 
Es kommt zwar ſchon im Jahr 902 ein Graf im Enzgau, Namens 
Walaho, ein Glied des ſaliſch-fränkiſchen Haufes, vor; er war aber auch 
zugleich Graf des Worms-, Speier-, Kraich- und Einrichsgaus (letzterer 
nördlih von Mainz.) Es ereignete fich überhaupt nicht felten, namentlich) 
gegen das Ende der Farolingifhen Zeit, daß einzelne Grafen über 
mehrere Gaue gleichzeitig gefegt waren. So finden wir um das Jahr 
1100 einen Bruno von Laufen als Grafen des Elſenz-, Kraich- und 
Enzgaues, Nicht felten waren die Gaunamen auch bloß geographiiche 
DBenennungen, unabhängig von aller politifchen Eintheilung, und vielleicht 
noch ererbt aus der altalemanifchen Zeit, welche dem Eindringen der 
Franken vorherging. Es ift möglich, daß dies auch beim Enzgau der 
Fall war. Auch das darf nicht überfehen werden, daß zwiſchen 
einem obern und einem untern Enzgau unterjchieden werden muß. 
Pforzheim gehörte zu erfterem, und es Könnte fein, daß deſſen Geſchicke 
fogar mehr mit dem angrenzenden Wirmgau, als dem untern Enzgau 

verknüpft waren, und daß, wo bisher von Grafen im Enzgau die Rebe 
geweſen, bloß der untere damit gemeint war, namentlich” wenn berjelbe 
feinen für fi abgefchlofienen, felbftjtändigen Grafenfprengel bildete. ' 


1) In ber Gott'sauer Chronik von Leichtlin ift (S. 14) zwar gelagt, 
daß als zum obern Enzgau gehörig genannt würden: Brögingen, Pforzheim, 
Eujfilbronnen und Novum castrum (Neuenbürg). Es ift jedoch nicht anzugeben, 


wo bdiefe Orte mit ſolcher Bezeihnung vorkommen. 
Pflüger, Pforzheim. 3 


234 Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10, Jahrhundert. 


Es dürfte bier der Ort fein, anf einen früher vielfach begangenen 
Irrthum aufmerffam zu machen. Don der Annahme ausgehend, daß 
Pforzheim und Umgegend immer zu Shwaben gehört hätten, glaubte 
man aud die Gefchide der Stadt mit der Gefchichte diefes Herzogthums 
verflochten und gelangte durch diefe irrige Vorausſetzung auch zu ganz 
unrichtigen Schlüffen und Folgerungen.” Pforzheim und der Enzgau 
gehörten aber zu Rheinfranken (Francia teutonica), wie bereits 
auseinander gejeßt wurde. Es kann deshalb aud im der Mitte des 
zehnten Jahrhunderts wohl kein Herzog Leopold von Schwaben in Pforz: 
beim feine Refidenz gehabt haben, wie ſchon behauptet wurde.1) Ueberdies 
lebte damals gar fein ſchwäbiſcher Herzog dieſes Namens, fondern von 
949 His 954 (+ 957) regierte in Schwaben Herzog Riutolf, ein 
Sohn von Kaifer Otto I. (Sein Vorgänger war Herzog Herrmann I. 
von 926— 948, und fein Nachfolger Herzog Burkhard von 954--973). 
Was es deshalb mit der weiten Erzählung, daß jener (erdichtete) Her: 
308 Leopold im Jahr 985 Stuttgart angelegt habe, auf ſich hat, können 
bie Leer ſelber ermeflen. 





1) Bon Ib, Friſchlin a. a. O.,, u, von Gehres im feiner Pforzheimer 
Ehronif, 


SJünftes Kapitel. 





Die frübeften Herren von Pforzheim. ') 
(900 — 1200.) 


$1. Die Grafen von Calw, 


Zu den fränfifchen Gefchlechtern, welche, wie oben bemerft, nad) 
Beftegung der Alemanen bei Zülpich in das Iinfsrheinifche Land zogen, 
das zum fränkiſchen Reich gefchlagen worden war, gehörten auch, wie 
ſich mit Sicherheit annehmen Täßt, die Grafen von Calw, und ihre 
Stellung muß um fo wichtiger geweſen fein, als ihr Wohnfiß unmittel- 
bar an der alemanifchen Landesgränze lag, wo fie das vorherrichende 
Geichleht waren. In ihre Hände wurden fpäter auch die Grafenämter 
mehrerer Gaue, jo des Wirm-, Zaber: und Murr:, insbefondere aber 
des Uf- und Pfinzgaues, gewiß auch des von diefen Landfchaften ganz 
eingejhloffenen Enzgaues, mwenigftens des obern, gelegt, (wenn näm— 
lich derfelbe mehr als ein geographifcher Begriff war. ©. 33,) 

As die Gaugrafenämter nach und nach erblich wurden und die 
Grafen ihre große Dienftgewalt hauptfächlih dazu benützten, in ihren 
Sprengeln möglichſt viel eigene Güter zu erwerben, gelangten auch die 
Grafen von Calw zu ausgedehnten und zahlreihen Familienbefitungen, 
die in dem ganzen Landftric; zmifchen dem Rhein und Nedar, alfo im 
Uf:, Pfinz:, Wirm⸗, Glems-, Enz, Zaber:, Murr: und Schopachgan, 


1) Benüpt wurden bauptjählih: Mone: Quellenfommlung der badiſchen 
Landesgeſchichte: Mone: Zeitichrift zur Gefchichte des Oberrhein; Bader: 
Wahrer Urfprung Badens; Bader: Badenia (die Ältere); Krieg: Geihichte 
der Grafen von Eberftein; Preufchen: Badifche Geſchichte; Fecht: Geſchichte 
der badiſchen Landihaften; Sachs: Einleitung in die Gefchichte der badiſchen 
Markgrafihaft; Häuſſer: Gefchichte der Pfalz; Stälin: Württembergifche 
Geſchichte; Erufins: Schwäbiſche Chronik; der Codex Hirsaugiensis (eine ber 
für die ältere Geſchichte Pforzheims wichtigften Quellen) ı |. oe 


36 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 


zerftreut Tagen. Es wird darunter eine Menge von Orten aus der 
Gegend von Pforzheim urkundlich genannt, jo im jegigen Oberamt 
Pforzheim namentlih Schellbronn und Hohenwarth, im jegigen Würt- 
temberg: Liebenzell, Möttlingen, Münklingen, Merklingen, Döffingen, 
Weil, Vaihingen, ebenjo Neuenbürg und Umgegend. Es darf mit 
Sicherheit angenommen werden, daß noch mande andere Orte, fo 
namentlihb Pforzheim, zu den Befitungen der Grafen von Calw ge: 
hörten, und es fehlt nidyt an Stimmen, weldye fogar behaupten, daß 
Pforzheim der Sit derfelben war, und daß mit dem Bau der Schloß: 
fire ſchon durch die Grafen von Calw begonnen worden fei. 1) 

Die älteſte Gefchichte diefer Grafen Liegt übrigens im Dunkeln. 
Ein Erlafried und fein Sohn Noting, Bifchof von Vercelli, fowie ein 
im Jahr 870 vorfommender Graf Adalbert, welcher nad einer Urkunde 
des Klofters Lori im Nagoldgau Güter eintaufcht, find als Altwordern 
ber Calwer zu betrachten. Ein anderer derjelden ftiftete im Jahr 830 
oder 832 das Klofter Hir ſchau. In den Zeiten, wo ſich die Geſchlechter 
noch nicht durch die Namen ihrer Burgen von einander unterſchieden 
— diefer Gebraud kam erft im 11. Jahrhundert auf — haben zum 
Geſchlecht der Calwer vermuthlich einige Gaugrafen gehört, welche den 
Namen Adalbert trugen, den gewöhnlichen Taufnamen des calwijchen 
Geſchlechts und welche Gaue verwalteten, worin ſpäterhin Beftandtheile 
ber calwijchen Beſitzungen vorkommen, jo der Zabergaugraf, der im 
Jahr 1003, der Murrgaugraf, der im Jahr 1009, ein Ufgaugraf, der 
in ben Jahren 1041 und 1046 auftritt. Der erfte, der mit der Be 
zeichnung von Calw (Comes de Kalewa) vorfommt, ift Adalbert I. 
1037. Ihm folgte fein Sohn (oder Enkel) Adalbert II. Diefer machte 
fih durch Gründung des Klofters Sindelfingen, neue Stiftung des 
Klofters Hirſchau, ferner als Anhänger des Gegenkönigs von Kaiſer 
Heinrich IV., Rudolph von Schwaben, berühmt. Zu dem Glanze diefes 
Grafen und feines Haufes mußte überhaupt nicht wenig beitragen, daß 
in Leo IX. (1050) ein Schwager, in Viktor II, (1055), vielleicht ein 
Bruder, in Stephan IX. (1057), der Oheim einer Gattin den päpft- 
lichen Thron zierte. Der berühmtefte feiner Söhne war der jüngfte, 
Gottfried, von welchem weiter unten noch die Rede fein wird. 


1) Bergl. Fickler, in „das Großherzogthbum Baden * von Heuniſch und 
Bader. 


Fünftes Kapitel, Die früheften Herren von Pforzheim, 37 


Da die Geſchichte Pforzheims mit der der Grafen von Galm 
fpäterhin nicht mehr zufammenhängt, fo fei nur in Kürze bemerkt, daß 
fi ihr Geſchlecht in der Mitte des 12, Jahrhnnderts in 3 Kinien 
fpaltete, Calm- Calw, welde 1262, Calw:Löwenftein, welche um 
1300 und Ealw:Baibingen, welche in ber Mitte des 14. Jahr: 
hunderts erloſch. 


$ 2. Die Grafen von Eberſtein. 


Daß die Grafen von Eberftein von den Galwern abftammten, 
unterliegt nad dem dermaligen Stand der gefhichtlichen Forſchung keinem 
Zweifel mehr. Alle eberfteinifhen Beſitzungen, ſammt der Burg, wovon 
das Gefchlecht den Namen erhielt, waren urſprünglich calwiſch, und fielen 
dem Aſte als Erbſchaft zu, den das Gefchlecht der Calwer jenfeits des 
Gebirges getrieben hatte. 

Es wurde nämlih oben ſchon erwähnt, daß die Herrn von Calw 
au Grafen im Ufgau oder Dosgau gewefen fein. Als die Grafen: 
Ämter nach und nad) erblich wurden, fheint dag im Ufgau auf einen 
Seitenzweig dieſes Gefchlechtes übergegangen und Jüngere Zeit als Graf: 
haft Vorchheim oder Forchheim bei demfelben geblieben zu fein, 
nachdem nämlich die Gewohnheit aufgefommen war, die Grafenfprengel 
nicht mehr bloß mit dem Gaunamen zu bezeichnen, fondern häufiger mit 
dem Namen der gewöhnlichen Grafenfite oder Gaugerichtsftätten. Die 
älteften Grafen im Ufgau, die in Urkunden vorfommen, waren Gebhard 
(um 950) und Conrad (987). Ob diefe beiden ſchon Calwer waren, 
läßt ſich nicht beſſimmen; wohl aber dürfte dies von dem Grafen Adal- 
bert (aljo wie die Calwer gewöhnlich hießen), behauptet werden, der 
in der Mitte des 11. Jahrhundert lebte (er wird, wie ſchon bemerkt, 
in Urkunden von 1041 und 1046 genannt), Diefer fcheint nun vier 
Söhne und eine Tochter Hinterlafjen zu haben, unter welche er feine Güter 
vertheilte. Bon der Tochter wird weiter unten die Rede fein. Nach 
den Befitungen und Schlöffern, welche den Söhnen zufielen, nannten 

fie fi : Anfelm von Forhheim (im jebigen Beyrtsamt Ettlingen, 
unferr des Rheins), Burkhard von Staufenberg (bei Gernsbach), 
Berthold von Eberftein (bei Gernsbach) und Adalbert, wahrſcheinlich 
von Hohen berg (bei Berghaufen im Oberamt Durlach). Es mag 


38 zünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 


hier bemerkt werden, daf Berthold von Eberftein der erfte Graf ift, der 
unter diefer Bezeichnung vorkommt, Indeſſen hätte fi ſchon fein 
Bater diefelbe eben fo gut beilegen können, als er ſich Graf von Ford: 
heim oder im Ufgau nannte, da der Sit ber Grafen im Ufgau von 
Forchheim auf die Burg Eberftein übergegangen war. Neben den ges 
nannten Grafen erſcheint um dieſelbe Zeit, wahrjcheinlih von frühern 
Theilungen herrührend, ein Graf Reginbot von Malſch (bei Ettlingen) 
und ein Graf Wezel von Grötzingen (bei Durlach). Alle diefe 
Gefchlechter ftarben bald wieder aus, und mur das der Eberfteiner hat 
ſich länger erhalten. 

Nicht umſonſt Habe ich mich bier etwas ausführlicher, als dem 
Zweck diefes Buches angemeffen erfcheint, auf genealogiſche Verhältniſſe 
eingelafien; denn aus noch vorhandenen Hirſchauer Urkunden geht hervor, 
daß von dreien der genannten vier Brüder jeder im Befib des achten 
Theils von Pforzheim war. Ohne Zweifel beſaß auch der vierte 
- Bruder, Burfard von Staufenberg, den gleichen Antheil; wenigftens 
war er bei Pforzheim begütert, — ein dort liegendes Gut, welches 
Vogt Ebert von Speier dem Klofter Hirſchau theilweife vermachte, 
hatte früher dem Herrn von Staufenberg gehört; — und wenn biefer 
Burkard nun felber dem genannten Klofter neben 3 Huben?) Lanbes 
zu Niefern 1/5 der dortigen Kirche (d. 5. des Kirchenſatzes) vermadhte ; 
wenn Gleiches durch Berthold von Eberſtein gefhab; wenn auch bie 
Brüder Herrmann und Alwig von Forchheim, die Söhne Anjelms von 
Forchheim und Erben Adalberts von Hohenberg, zufammen 1/, der Kirche 
zu Niefern an Hirſchau vergabten und alfo fi) daraus ergibt, daß die vier 
obengenannten Brüder mit einander die Hälfte der Kirche zu Niefern befaßen: 
fo mag dies Alles nicht nur abermals dafür ſprechen, daß wirklich dieſe vier 
Brüder zufammen das halbe Pforzheim ihr Eigenthum nannnten, fon: 
dern auch die Vermuthung zur Wahrfcheinlichkeit, ja Gewißheit erheben, 
daß fie dasfelbe von ihrem Water Adalbert ererbt hatten, welcher dem— 
nad die ganze Hälfte wie von Pforzheim, fo auch von der Kirche zu 
Niefern, ungetheilt bejefien baben muß. Wielleiht hatten die Grafen 
bon Forchheim oder Eberftein auch die andere Hälfte im Befik, und 
ein badifcher Geſchichtſchreiber 2) fagt auch wirklich, daß Pforzheim 

) Eine Hube war 30-40 Morgen groß. 

2) Fecht, Gefchichte der badiſchen Landſchaften S. 219. Die Quelle ift 
jedoch nicht angegeben. 


Fünftes Kapitel, Die frübeften Herren von Pforzheim. 39 


im Jahr 1002 als eberfteinifhes Dorf Marktrecht erhalten habe. 
Vielleicht war auch die eine Hälfte von Pforzheim im Beſitz des Haupt: 
ftammes ber Galwer geblieben, während die andere an den Geitenaft 
im Ufgau, aljo an die Eberfteiner übergegangen war. Ich werde auf 
diefe Annahme weiter unten zurüdfommen. So viel wird aber aus dem 
Bisherigen, wie zum Theil auch aus dem Nacfolgenden hervorgehen, 
daß die damaligen Verhältnifie Pforzheims noch ſehr zerjtüdelt und 
wechielvoll waren. Zu bemerken ift, daß in den erwähnten Urkunden 
Pforzheim nicht Stadt genannt, fondern mit dem Worte „villa“ be 
zeichnet wird. Es bedeutet dasſelbe nicht jowohl einen „Weiler“, wie 
man abzuleiten leicht verſucht ift, fondern überhaupt eine zuſammen⸗ 
bängende Niederlaffung ober einen Flecken, und zwar, weil in ben 
betr. Urkunden bereitd von einem Markte in Pforzheim die Rede ift, 
(S. 40) einen Marktflecken. Es ſcheint alfo Pforzheim damals das 
Hauptmerkmal der Städte des Mittelalters, Mauern und Gräben, noch 
nicht befefien zu haben, fondern ein offener Ort gemefen zu fein. 
Zwar gab es im Mittelalter auch befeftigte Flecken und Dörfer, die 
indeffen in der Regel bald die Rechte und Einrichtungen der Städte 
und auch den Namen von folchen erlangten, 

Es mag bier die Bemerkung eine Stelle finden, daß einige Ges 
ſchichtſchreiber und Ehroniften behaupten, Pforzheim fei in der Zeit, ba 
es nad den bisherigen Auseinanderjegungen calwiſch oder eberſteiniſch 
war, ber Wahlort zweier deutſchen Könige geweſen, nämlich 91 Kon 
rabs L,1) und 1077 Rudolfs von Schwaben, des Gegenfaifers von 
Heinrich IV.2) Beide Angaben beruhen aber auf einer Verwechslung Pforz⸗ 
heims mit Forchheim bei Bamberg in Baiern, wie aus Urkunden und 
andern Duellen nachgewiefen werden kann.) Immerhin mag aber bie 
Angabe interefjant fein, daß im Jahre 1067 Kaifer Heinrich IV. zu 
Pforzheim eine Urkunde ausftellte,d) nad) welder er dem Grafen 
Eberhard von Nellenburg einen Wildbann in den Gauen Öletgau und 
Hegau verlieh. 

1) © z. 8. 3. Bed in feinem Lehrbuch der allgemeinen Geſchichte III., 40. 

2) So Zeiler, ſchwäb. Ehronit, ©. 14, Cruſius, ſchwäb. Chronik, 
1, Thl., 7. Bud, 9. Kap, ©. 468, Shopper, historia eccles. Germanorum 


III. 763 u. 9. 
3) Vergl. namentlih Luben VL, 316 unb IX, 126, 
4) Sie befindet ſich abſchriftlich im Schaffhauſer Arhiv und es erwähnt 


ihrer Stälin L, 618, 


40 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 


Mir können den Zeitabfchnitt, bis zu welchem die Darftellung der 
Geſchichte Pforzheims bis jet gediehen ift, nicht verlaffen, ohne noch der 
Einfälle der Ungarn in Deutfchland zu erwähnen, die ihre Berheerungs- 
und Plünderungszüge mehrmals, fo in den Jahren 909, 910, 913, 
915, 917, 937 und 955 bis an den Schwarzwald und noch weiter aus: 
behnten. Am Jahr 917 drangen fie 3. B. durch Schwaben bis nad) 
Lothringen vor, 937 überfchritten fie ebenfalls den Rhein, 955 kamen 
fie bis in die Schwarzwalbgegenden. In Tetterm Jahre jedoch befreite 
Kaifer Otto L, nachdem diE Ungarn hen 933 durch Kaiſer Heinrich I 
bei Merfeburg beflegt worden waren, durch die Schlacht auf dem Lech— 
felde Deutfchland auf immer von diefer Plage. 


63. Das Kloſter Hirſchau. 


Die in 4 Achtel getheilte Hälfte von Pforzheim wurde indefien 
bald wieder vereinigt. Um das Jahr 1085 vermachte Graf Berthold 
von Eberftein neben andern Gütern in der Ortenau und im Ufgan 
fein Achtel von Pforzheim, mit Ausnahme des Marktes, dem Klofter 
Hirfhau. Zwei weitere Achtel erfaufte fobann diefes Klofter von 
Graf Herrmann, dem Sohne des obengenannten Anſelm und Neffen. 
Adalberts, defien Erbe er au war, um 70 Mark. Ueber das vierte 
Achtel, das Burkhard von Staufenberg beſaß, geben die Hirfchauer 
Klofterurfunden, denen diefe Notizen entnommen find, feinen Auffchluß; 
es it indeh anzunehmen, daß diefer Graf nad dem Beifpiel feines 
Bruders und Neffen dem Klofter Hirſchau, dem alle Eberfteiner aus 
alter Famikienanhänglichkeit jehr zugethan waren und als deſſen Wohl 
thäter fie Häufig ericheinen, fein Achtel ebenfalls entweder (um billigen 
Preis) verkauft oder verfchentt habe, Gleiches that er ja auch, wie oben 
bemerkt, mit dem ihm gehörigen 1/; ber Kirche zu Niefen. So kam 
aljo das halbe Pforzheim an das Klofter Hirſchau. (Um diefelbe Zeit 
gab aud Siegfried, Dechant zu Pforzheim, nachmals Mönch zu Hirfchau, 
dem Klofter 200 Malter reiner Frucht, die zu 20 Mark gerechnet 
worden; ferner ftiftete er 4 Mark und wieder 7 Mark, ebenfo ein 
Pferd, das für 5 Mark verkauft wurde und noch verjchiedenes Andere, 
jo 24 Talente zum Ankauf eines Eigentfums zu Müngesheim und 7 
Talente zum Ankauf eines Weinbergs in Zeutern bei Bruchfal.) 


Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 4 


Erlangte auf folhe Weiſe das Klofter Hirſchau das Hoheitsrecht 
über einen anfehnlichen Theil der Stadt, jo bejaß es, wie aus Hirfchauer 
Urkunden hervorgeht, ſchon früh auch eigene Güter dafelbft, die im Laufe 
der Zeit durch Schenfung und Kauf nocd vermehrt wurden, und zu 
denen allerlei fonftige Berechtigungen kamen, Die meiften der lebten 
gingen in der Folge durch Kauf oder Tauſch an das Frauenkloſter ber 
Dominikanerinnen zu Pforzheim über. Zu folden Nechten gehörte auch 
die Kollatur der beiden Bfründen in der Kirche der Altſtadt und der St. Niko: 
lausfapelle, ſowie die Frühmeßpfründe daſelbſt, das Fiſchwaſſer in der Enz bei 
Pforzheim, dev Tafelzins von Häufern, Scheuern ıc. zu Pforzheim, der 
große Zehnten zu Pforzheim (jpäter mit Lichtenthal getheilt), der Wie- 
fenzinsg aus Meurach, Kappelwiefen (d. h. St. Nitolaus-Sapellenwiefen) 
ꝛc. Mit der Bewirtbihaftung der eigenen und Lehengüter, fowie ber Er- 
bebung und Aufbewahrung von Zehntfrüchten hing ficher der Hirſchauer 
Hof zufammen, der in ber Altftadt bei der St. Nitolausfapelle lag und 
deſſen ſchon in den früheften Urkunden Erwähnung gejchieht, (Wir erfahren 
beifpielmeife, daß Markgraf Rudolph I. diefen Hof, der ſchon feinem 
Bater verfeßt gemwejen war, 1282 dem Klofter zurüdgab, wahrjcheinlich 
weil die darauf ruhende Schuld bezahlt wurde.) Der Umftand, daß bei 
ben erwähnten Pfründen und dem Hirſchauer Hof immer nur die Alt: 
ſtadt genannt wird, berechtigt zu der Vermuthung, daß diefe damals, 
als Pforzheim in den theilweifen Beſitz des Klofters gelangte, noch den 
wefentlichften Theil der Stadt bildete und die neue Stadt erft in ihren 
Anfängen vorhanden war, Der Hirfchauer Hof, wenn auch längſt 

verſchwunden, bat fi doch dem Namen nah als „Kappelhof“ ober 
Kapellenhof“ erhalten, (von ber babei befindlichen Nikolauskapelle jo 
genannt,) und wurden vor etwa 80 Jahren die Ruinen des alten Hof: 
gebäubes aufgegraben. — Diefes muß fehr umfangreich geweſen fein, da 
der Hirfhauer Hof fpäter (1565) als in 3 Höfe getheilt ericheint, deren 
jedem ein anfcheinlicher Theil von Gütern zugewiefen war. Zum erften 
berjelben gehörten beifpielmeife: Haus, Hofraithe, Scheuer und Garten, 
1 Stüd Krautgarten, 40 Morgen Ader und 81/, Morgen Wieſen, zu 
allen dreien etwa 140 Morgen Feld.) Diefer Hirſchauer Hof ſcheint 
im IOfährigen Krieg mit der ganzen Altjtabt abgebraumt und mM 
nicht wieder aufgebaut worden zu fein. 


1) Erneuerung und Beihreibung ber Gülten und Zinfe bed Frauen— 
Flofters von 1565. 


42 Fünftes Kapitel, Die früheften Herren von Pforzbeim, 


Das Aureliuskloſter Hirſchau, vier Stunden von Pforzheim ent: 
fernt, im Nagoldthale gelegen, wurde im Jahre 830 oder 832, wie 
oben ſchon erwähnt, durch die Grafen von Calw gegründet.1) Es zeich— 
nete fich fchon unter den erften Aebten Liudebert, Gerung und Regen: 
bodo namentlich durch trefflihe Schuleimrichtungen aus, gerietb aber 
bald in Verfall, bis es in Folge feiner im Jahr 1075 erneuerten Stif- 
tung auch zu neuer Blüte gelangte, befonders unter dem vortrefflichen 
Abt Wilhelm, dem großen Reformator des Benebdiktinerordens (+ 1091). 
Da der Raum des urfprünglichen SKlofters, welches auf dem rechten 
Nagoldufer ftand, die Mönche nicht mehr fahte, jo baute Wilhelm, hie— 
bei unterftügt von der Markgräfin Judith von Baden, (fiehe unten) das 
neue Klofler auf dem linken Nagoldufer, von welchem noch ein Kirch— 
thurm romanifcher Bauart über Ruinen emporragt. 

Unter Abt Wilhelm kam auf oben bemerktem Wege das halbe 
Pforzheim an das Klofter Hirfchau, blieb indeffen nicht lange in deſſen 
Beſitz, weshalb bier zur Geſchichte des Kloſters, das indeſſen lange 
nachher noch in Pforzheim viele Eigengüter und Berechtigungen befaß, 
nur noch kurz bemerkt werden mag, daß Hirfchau nad etwa fiebenhun- 
bertjährigem Beſtehen zur Zeit der Neformation fäkularifirt und im Jahr 
1692 jammt einem Jagdſchloß, das fi) Herzog Friedrich I. von Würt- 
temberg auf einer Anhöhe, ganz in ber Nähe bes Klofters, erbaut hatte, 
niedergebrannt wurde. Die malerifhen Ruinen find heute noch eine 
Zierde des freundlichen Thales. 

Am Ende des 11. und im 12. Jahrhundert Hatte Hirfchau weit 
ausgedehnte Befitungen, und war durch diefelben wohl eines der reichften - 
Klöfter des füdlichen Deutfchlandse. Außer der Hälfte von Pforzheim 


1) Die Gefhichte der angeblihen Gründerin des Kloflers, Helizena, 
weche in bas Jahr 645 gefegt wird, muß bem Meich der Sage zugewieſen 
werben. Sie lautet: Einer reichen adeligen Wittwe, Heligena v. Galm, welche 
finberlos war, eriheint ald Traumbild eine Ebene, wo aus einem Stamm brei 
Fichtenbäume bervorfproßten, mit der Mahnung, bier eine Kirche zu gründen, 
Diefem bimmlifhen Winke folgend, zieht fie gleich mit Anbrud bes nächſten 
Tages, von zwei Dienern und einer Magd begleitet, hinaus, trifft das ihr im 
Traum erfchienene Wahrzeichen, küßt den Boben und ftiftet nad eingeholter 
Einwilligung ihrer Verwandten, namentlih Eawarbs und Leopolds , eine mit 
Gütern reich ausgeftattete Kirche. Ihr Sündenkleid, ihren Schmuck ꝛc. übergibt 
fie an bie St. Nifolaifapele in Calw, Fleidet fih als Nonne und ftirkt vn 
in Tübingen. 


Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim, 43 


befaß das Klofter, wie zum Theil fhon erwähnt, aus Schenkungen und 
Käufen des 11. und 12. Jahrhunderts in den nächſten badiſchen und 
württembergifchen Umgebungen der Stadt urkundlich Güter bei oder zu 
Niefern (3 Huben und 1/; der Kirche fchenkte um 4400 Burkhard 
von Staufenberg, 4 Huben umd 1/, der Kirche Berthold von Eberftein, 
Herrmann von Eulz 6 Huben, 2 Huben Rapoto von Breitenau, 1/y 
der Kirche Herrmann und fein Bruder Alwig von Forchheim, 5 Huben 
Ludwig, Graf von Arenftein), Brötzingen (Mdelbert, wahrſch. von 
Hohenberg, ſchenlte 2 Huben dafelbft, Rudolf, Graf von Himmelsberg, 
41/, Huben), Dietlingen (Voller und deſſen Bruder Seliger von 
Stettfeld 1/, Hube und 1 Weinberg, Berthold von Eberftein 2 Huben, 
Gunderad von Thalader 2 Huben), Ellmendingen (Berthold von 
Eberftein 2 Huben, Winther von Dsweil 4 Huben und die Kirche), 
Göbrichen (Schwigger von Eberdingen 21/, Huben, deffen Söhne 
Simon und Schwigger 1 Hube, Efbert von Speier u. A. 12 Huben), 
Hohenwarth (Gottfried von Calw gab das Dorf mit Allem, was 
dazu gehörte), Huchenfel d (Gerhard von Oberader 4 Huben), Neu: 
haufen (ob aber der Ort im Bezirk Pforzheim gemeint ift, weiß ich 
nicht: Adelbert, Priefter in Plieningen und fein Bruder Wolfram 
1 Hube, Hiltebert von Neuhaufen 1/, Hube daſelbſt), Oeſchelbronn 
(Buggo von Ruthmarsheim 2 Huben, Kleriker Adelbert 1 Hube, deffen 
Sohn 1/, Hube, Etiho von Gertringen 1/, Hube,) außerdem befaß 
Hirfhau Güter in Schellbronn und Tiefenbronn,; — ferner hatte 
das Klofter Befigungen in Liebenzell, Schömberg, Biefelsberg, Calm- 
bach ꝛc., ſodann in andern Theilen Badens bei Stupferih und Wein- 
garten (Amt Durlach) bei Zeutern (Amt Bruchſal), bei Burbady und 
Forchheim (A. Ettlingen), bei Kuppenheim und Raftatt (U. Raſtatt), 
beit Sasbach und Ahern (A. Achern), bei Oppenau (U. Oberkirch), bei 
Endingen und Forchheim (A. Kenzingen), bei Sinsheim (A. Sinsheim); 
ferner außer dem, mas aus den mwürttembergijchen Memtern Calw und 
Neuenbürg ſchon angeführt wurde, noch andere Befigungen in denfelben, 
fowie in den Bezirken Freudenftadt, Herrenberg, Horb, Nagold, Nür- 
tingen, Reutlingen, Rotenburg, Sulz, Tübingen, Urach, Ulm, Aalen, 
Hal, Mergentheim, Backnang, Befigheim, Böblingen, Brackenheim, 
Eannftatt, Eplingen, Heilbronn, Leonberg, Ludwigsburg, Marbach, 
Maulbronn, Nedarfuln, Stuttgart, Vaihingen; — enblich aud noch 
in Hechingen, in Baiern nnd im mittlern Rheinlanbe. 


44 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 


$g 4 Die Gerzoge von Schwaben. 


Eine Hirfhauer Urkunde gibt uns Auskunft, in weſſen Hände 
Pforzheim, das nad den bisherigen Auseinanderfegungen nad) einander 
calwiſch, eberfteiniih und, wenigftens zum Theil, hirſchauiſch war, in 
ber Folge gelangt fein muß. Laut jener Urkunde hatte nämlich Herzog 
Friedrich von Schwaben einen Dienftmann, Dragebot von Pforzheim, 
dem er die Erlaubniß gab, eine Hube Landes zu Pforzheim dem Klofter 
Hirſchau zu vermahen. Für diefe Erlaubnig mußte der Kämmerer des 
Klofters, Walcuno, dem Herzog eine Mark ausbezahlen. Aus diefer 
Urkunde läßt fich num wohl mit Grund der Schluß ziehen, daß Pforz 
beim damals entweder theilweife, oder vielleicht ganz, den Herzogen von 
Schwaben, alfo den Hohenftaufen gehört haben muß; denn das Recht, 
bie Erlaubnig zu einem Verkauf oder einer Vergabung von Gütern zu 
ertheilen, fteht doch offenbar nur demjenigen zu, der die Landeshoheit 
oder das Eigenthumsreht desjenigen Ortes hat, in defjen Gemarkung 
die weggegebenen Güter liegen. 

Auf welche Weife Pforzheim an die Hobenftaufen kam, läßt ſich 
geſchichtlich nicht nachweiſen; doc ift es fehr wahrſcheinlich, daß diefelben 
durch Heirat in nahem verwandtſchaftlichem Verhältniß zu den Grafen 
von Calw ftanden und von diefen wenigitens das halbe Pforzheim an 
bie Hohenftaufen überging. Vielleicht erwarben fich letztere dann auch 
die andere Hälfte durh Kauf, Tauſch oder in fonftiger Weiſe vom 
Klofter Hirſchau, fo daß alfo die ganze Stadt in ihre Hände gelangte. 

Wann diefes geſchah, läßt fih um fo weniger mit Beftimmtheit 
fagen, als obige Hirfchauer Urkunde feine Jahrzahl zeigt, aljo derfelben 
auch nicht entnommen werben kann, welcher der hohenſtaufiſchen Schwa⸗ 
benherzoge, die den Namen Friedrich trugen, darin gemeint iſt. Da 
indeſſen der ebenfalls darin erwähnte Kämmerer Walcuno in andern 
Urkunden mit dem Hirſchauer Abt Volmar zufammengenannt wird, der 
von 1120—1157 den Krummftab führte, fo muß jene Schenkung auch 
um bdiefe Seit, jedenfalls aber nicht viel früher oder fpäter erfolgt fein, 
(wern auch Walcuno den Abt Volmar überlebte.) 

Nun regierte über Schwaben von 1079 — 1105 Herzog Fried: 
ih I, von 1105—1147 Herzog Friedrih IE und von 1147—1152 
Herzog Friedrich III., der in letztgenanntem „Jahre deutſcher Kaifer 
wurde und unter dem Namen Triedrih I. der Rothbart in der Ge 


Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 45 


ſchichte genugſam befannt ift. Der in obiger Urkunde genannte Herzog 
Friedrich iſt alfo ficher entweder Friedrich IT. oder III., wahrſcheinlich 
aber der eritere, 

Für die Art und Weife, wie die Hohenftaufen in den Befit von 
Pforzheim kamen, ift jedoch noch eine Möglichkeit vorhanden, bie hier 
nicht unberührt bleiben Tann. Es ift oben die Vermuthung ausgefprochen 
worden, daß das halbe Pforzheim noch im Beſitz der Grafen von Calw 
verblieb, als die andere Hälfte an die verfchiedenen eberfteinifchen Zweige 
dieſes Gefchledhtes und fodann an das Klofter Hirſchau überging. Zu 
Anfang des 12. Jahrhunderts hatte Graf Gottfried von Calw in Folge 
des Umftandes, daß fein älterer Bruder Adalbert III. noch vor feinem 
Vater ftarb und der jüngere Bruder den geiftlihen Stand ermählte, 
alle Macht feines Haufes wieder auf ſich vereinigt; er befaß fomit auch, 
wenn obige Annahme richtig ift, das halbe Pforzheim, Es liegt nun 
jedenfalls nicht außer dem Bereich der Wahrfcheinlichkeit, daß er auch 
die andere Hälfte von Pforzheim als uraltes Familiengut durch Kauf 
oder Taufch oder auf irgend anderm Wege von Hirfchau wieder an ſich 
brachte, was er um fo Teichter Konnte, als er als Vogt des Klofters zu 
demjelben in nahen Beziehungen ftand, und als ein Mann bekannt 
war, der, wenn e8 darauf ankam, ſich aud nicht ſcheute, mit ſolchen 
geiftlichen Anftalten nicht eben fehr glimpflid; zu verfahren, namentlich 
aber für die Dienfte, welche er ihnen leiftete, fi theuer bezahlen zu 
laſſen. Da Gottfried das Unglück hatte, feinen einzigen Sohn früh ins 
Grab ſinken zu fehen, fo fiel fein reiches Hausgut an feine Tochter 

Uta, welche um 1130 die Gemahlin Herzog Welfs VI. wurde, und 
ihm ein veihes Erbe, darunter wahrſcheinlich auch Pforzheim, (wenigſtens 
urkundlich nachgewieſen Orte in der Nähe von Pforzheim, wie Lieben 
zel, Ernftmühle, Schömberg, Biefelsberg ꝛc.) zubrachte. Sie lebte aber 
mit dieſem Welf in Feiner glücklichen Ehe, fo daß bald wieder eine 
Trennung ber Ehegatten erfolgte. 1) Welf gerieth fpäter häufig in Geld- 
verlegenheiten, aus welchen ihn fein Schweiterjohn Kaifer Friedrich der 
Rothbart bereitwillig befreite. Zum Lohn dafür wurden dem Kaifer 
und feinem Haufe viele welfifche Befitungen, darunter auch erheirathete 





*) Uta zog fih auf das Schloß Schauenburg in ber Ortenau zurüd, wes⸗ 
halb fie öfters Herzogin von Schauenburg genannt wird, und gründete 1196 
in hohem Alter das Klofter Allerheiligen. 


46 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim, 


calwifche Güter, auf die Zeit des Ablebens Herzog Welfs VL (+ 1191) 
zugefagt und fogleich zu Lehen, Einiges auch bereits zu eigen 
gegeben. Könnte darunter nicht auch Pforzheim geweſen fein? | 

Da indefien Herzog Welf mit BVerfchleuderung feiner Güter erft 
nach dem Tod feines einzigen 1167 gejtorbenen Sohnes begann, fo 
müßte unter dem Herzog Friedrich der oben genannten Hirfhauer Ur: 
kunde entweder Friedrich IV., ein Gejchwifterfind von Friedrih dem 
Rothbart, (1152 — 1167), oder nody wahrjcheinlicher Friedrih V., der 
zweite Sohn Rothbarts (1167 — 1191) verftanden und angenommen 
werben, daß Ieterer diefem feinem Sohne das von Herzog Welf erwor- 
bene Pforzheim übergeben habe. 

Die Hobenftaufen, die nad) und nach zu fo großer Macht und fo 
hohem Anfehen gelangten und dem deutfchen Reich eine Meihe ber treff- 
lichſten Kaifer gaben, nannten ſich urſprünglich Herren von Büren (fo 
fchrieb fi 3. B. noch der Urgroßvater von Friedrich Barbaroſſa), bie 
Friedrich I. in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts die Burg 
Staufen oder Hobenftaufen zwiſchen Göppingen und Gmünd erbaute 
und fein Gefchlecht fi) davon benannte. Diefer Friedrich I. gelangte 
in Folge feiner Anhänglichkeit an Kaiſer Heinrih IV. (1056 — 1106), 
deffen Tochtermann er auch wurde, in den Befib des Herzogthums 
Schwaben, wodurd er den nadymaligen Glanz feines Haufes begründete. 
Sein zweiter Sohn beftieg den deutſchen Kaifertbron unter dem Namen 
Konrad III. (1137—1152); diefen folgte als Kaifer fein Neffe Fried: 
rih J der Rothbart (1152—1190), hierauf deſſen Sohn Heinrih VL 
(114% —1197), diefem zuerft fein Bruder Philipp (1198— 1208), dann 
fein Sohn Friedrih I. (1212 — 1250), defjen Sohn Konrad IV. 
(1250 — 1254) die Reihe der hobenftaufifchen Kaifer beſchloß. Mit 
bem Tode Konradins, des Sohnes von Konrad IV., der auf Befehl 
Karls von Anjou in Neapel 1268 enthauptet wurde, erloſch das glor: 
reiche Geſchlecht der Hobenftaufen. — 

Dasſelbe war nad und nad) zu reichen Familienbeſitzungen gelangt, 
die in Schwaben, Franken, dem Elfaß, Burgund, dem heutigen Baden ıc. 
zerjtreut lagen. Von den Iehtern führen wir außer Pforzheim hier noch 
an: die Städte Einsheim, Eppingen, Durlach, Ettlingen, Gengenbad), 
Zell am Hammersbach, die Burg Mahlberg, und eine Zeit lang gehörte 
auch das Schloß Badenweiler den Hohenftaufen. 


Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 47 
$5. Die Pfalsgrafen bei Uhein. 


Noch einmal follte indeffen Pforzheim feinen Herrn wechfeln, bevor 
es am dasjenige fürftlihe Haus kam, in deſſen Befib es bis auf ben 
heutigen Tag faft ununterbrochen geblieben ift. Auch über diefem Theil 
ber Geſchichte der Stadt ſchwebte früher ein Dunkel, bis dasſelbe vor 
nicht Ianger Zeit durch eine Urkunde theilweife aufgehellt wurde, weldhe 
dem verloren geglaubten, aber glüdlicherweife wieder aufgefundenen 1) und 
für die ältere Gefchichte Pforzheims jehr wichtigen Ardiv des Klofters 
Herrenalb angehört. In jener Urkunde, auf weldyer fich die Jahrzahl 
1195 findet, thut nämlich Heinrich, der Sahfen Herzog und Pfalz: 
graf bei Rhein feinem Schultheißen und feinen Bürgern 
zu Pforzheim (Phorceim) zu wiſſen, daß er das Klofter Herrenalb 
und Alles, was demfelben gehöre, in feinen Schu und Schirm genom- 
men und dasfelbe von Zoll und aller ungebührlichen Dienftbarfeit bes 
freit habe.?2) Wer war nun diefer Pfalzgraf Heinrich und wie fam 
Pforzheim in den Beſitz desfelden? Die erfte Frage läßt ſich mit Be 
jtimmtheit, die zweite wenigftens in einer Weiſe beantworten, die den 
Stempel der MWahrfcheinlichkeit trägt. Es ift jedoch nöthig, zu dieſem 
Zwecke etwas auszuholen. 

Nachdem die Würde eines rheinifchen Pfalzgrafen, die ihren Ur- 
fprung am fränkischen Königshof in Aachen hatte, erblich geworden und 
lang bei einer und derfelben Familie geblieben, auch durch Kaifer Hein— 
rih V. im Jahr 1113 dem oben ſchon genannten Grafen Gottfried 
von Calw zur Belohnung für geleiftete Dienfte verliehen worden war, 
fam die rheinifche Pfalzgraffchaft bald nach dem (1131 erfolgten) Tod 
Gotifrieds an das Haus Hohenftaufen, indem fie Kaifer Friedrich I. der 
Rothbart 1156 feinem Bruder Konrad übertrug. Defjen einzige Tochter 
und Erbin Agnes hätten nun die Hohenftaufen gerne mit einem ihres 
Namens vermählt, um die Pfalzgrafenwürde bei ihrem Haufe zu erhal: 
ten; aber die Liebe fiegte über die Politik, und Agnes heirathete dem 
ſchönen und ritterlihen Sohn eines Verbanntn, nämlih Heinrid 
den Langen oder den Schönen, deſſen Vater der — freilich durch 

eigene Schuld — unglüdliche Welfe Heinrich der Löwe von Braunfhweig 


*) 1842 durch Archivrath Dr. Bader in Salem. . 
*) Diefe Urkunde ifi vollſtändig abgebrudt in der (ältern) Badenia us. 
189 von Bader. 


48 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 


war. Nach dem Tode feines Schwiegervaters 1195 wurde Heinrich 
der Lange auch der Nachfolger desjelben als rheinifcher Pfalggraf , und 
zwar mit Zuftimmung Kaifer Heinrihs VL, und eben dieſer Pfalzgraf 
Heinrih war es nun, der das oben erwähnte Schreiben an feinen 
Schultheißen und feine Bürger zu Pforzheim richtete. Herzog von Sach— 
fen nannte er ſich zugleidy darin, um anzudeuten, wie wenig rechtlich be: 
gründet es ihm erſchien, daß ihm oder eigentlich feinem Vater, der durch 
feine Treuloſigkeit gegen Kaifer Friedrich den Mothbart ſich ſchwere 
Strafe zugezogen hatte, auch die ſächſiſchen Stammgüter entriffen wor: 
den waren, 

Wie war aber Pfalzgraf Heinrih in den Beſitz Pforzbeims ge 
langt? Dffenbar auf feinem andern Weg, als dem der hohenſtaufiſchen 
Erbſchaft. War ja doch fein Schwiegervater Konrad der Sohn jenes 
Herzogs Friedrih IL, den wir oben bereits als wahrjcheinlihen Herrn 
von Pforzheim Fennen gelernt haben, Von diefem vererbte fi) wohl 
manches bobenftaufiihe Beſitzthum, darunter fiher auch Pforzheim, auf 
Pralzgraf Konrad, der es wiederum nad) feinem 1195 erfolgten Tode 
feiner einzigen Tochter und damit zugleid) feinem Schwiegerfohn hinterließ. 

Nehmen wir jedoh an, daß Pforzheim auf dem oben auseinander 
geſetzten welfifchen Ummeg an die Hohenftaufen, und zwar durch Kaifer 
Friedrich I den Rothbart an feinen zweiten Sohn, Herzog Friedrich V. 
fam, fo müßte die Stadt entweder ſchon bei den Lebzeiten des letztern, 
oder nady feinem 1191 erfolgten Tod in die Hände feines Onkels, des. 
Pfalzgrafen Konrad übergegangen fein, was um fo leichter geſchehen 
konnte, als Herzog Friedrich V. unvermählt und kinderlos ftarb. 

So viel dürfte aus dem Bisherigen hervorgehen, daß Pforzheim 
im zwölften Jahrhundert, aljo während der Zeit, da es hohenſtaufiſch 
und pfälziſch war, feine entfcheidende Entwicklungsperiode durchlebt hat 
und aus einem Flecken zur Stadt herangeblüht fein mag, bie bereits 
mit Mauern und Gräben umzogen war und überhaupt ftäbtiihe Ein- 
richtungen hatte. Doc wird, was wir hier anzufübren nicht verfäumen 
wollen, Pforzheim in einer zwiſchen 1190 und 1197 ausgeftellten Ur: 
funde noch villa (S. 39) genannt.1) Als folhe muß es aber ſchon 
von Bedeutung gewefen fein, fonft wäre wohl die Burg Enzberg darin 
9) Stälin, I. 384, wo mitgetheilt ift, daß ber Erzbiſchof Johann von 


Trier die bei der „villa“ Pforzheim gelegene Burg Enzberg an ſich gebracht 
babe. 


Fünftes Kapitel, Die früheften Herren von Pforzheim, 49 


nicht ale „bei Pforzheim liegend“ bezeichnet, Schon zu dieſer 
Zeit beftand auch ein Nonnenklofter in Pforzheim Da unter den 
8 Kiöftern, welche Pforzheim fpäter befaß, 2 Frauenklöfter waren, näm— 
lich der Eifterzienferinnen und der Dominifanerinnen, der Or: 
den der Letztern aber erft im 13. Jahrhundert (1206) geftiftet wurde, 
der erftere aber bereits 1099, fo kann das erwähnte Pforzheimer Frauen— 
kloſter nur den Eifterzienferinnen angehört haben. Es fpricht dafür der 
weitere Umftand, daß im 12. Jahrhundert nod mehr Ciſterzienſerklöſter 
in der Gegend von Pforzheim gegründet wurden, jo Maulbronn um 
1140, Herrenalb 1148. Die Eifterzienfer hatten ihren Namen von 
dem Stammflofter des Ordens, nämlich Citeaur unweit Dijon in 
Franfreih, das der Benebdiktinerabt Nobert gründete. Durch die Thä- 
tigkeit des heiligen Bernhard von Glairvaur, der diefem Orden angehörte 
war bderjelbe fchon 100 Jahre nach feiner Stiftung in den Beſitz der 
reichften Abteien Europas gelangt. 

Noch ift zu bemerken, daß das Kloſter der Eifterzienferinnen zu 
Pforzheim nach ſpätern urfundlichen Andentungen in der Altftadt lag — 
wo, das laßt ſich nicht mehr beſtimmen. 


Pflüger, Pforzheim. 4 


Schstes Kapitel, 


— — 


Pforzheim badifch.‘) 
(lim 1220.) 


51. Die Markgrafen von Baden. 


Mir haben im vorhergehenden Kapitel gefehen, wie die Hobeitsrechte 
über das getheilte oder ganze Pforzheim nad einander in verſchiedene 
Hände gelangten. Es bleibt num noch die Aufgabe, zu zeigen, wann und 
auf welche Weife die Stadt an dasjenige Fürftenhaus Fam, in deſſen Befit 
fie ſchon mehr als ſechs Jahrhunderte hindurch faft ununterbroden ge— 
blieben ift. Zum beffern Verſtändniß diefes Nachweifes, ſowie der ſpä— 
tern Geſchichte Pforzbeims überhaupt, ift es nothmwendig, auf den Ur: 
iprung des Haufes Baden und die Gründung der Markgrafſchaft, welche 
diejen Namen trug, zurüdzugehen. 

Ungefähr zu berfelben Zeit, als Pforzheim in den Beſitz der 
Grafen im Ufgau oder von Eberftein übergegangen fein mochte, nämlich 
im 11. Jahrhundert, Tebte als Graf im Breisgau und Thurgau Ber- 
tbold I, ein Nachkomme der alten Grafen, welche vielleicht ſchon mehrere 
Sahrhunderte lang diefe Gauen, ſowie bie anftoßende Baar, verwalteten 
und vielleicht fogar von den alten Herzogen von Alemanien abftanımten. 
Als Entfhädigung für das ihm von Kaifer Heinrih II. für geleiftete 
Dienfte verfprohene, aber nad deſſen Tod vorenthaltene Herzogtbum 
Schwaben erhielt er das Herzogthum Kärnthen und die Mark Verona, 
welch letztere er feinem zweiten Sohn Hermann übertrug, der fi 
beshalb „Markgraf von Verona“ nannte, Beide wurden zwar 
in den Kriegen, welche unter Kaifer Heinrich IV. ausbradhen, im Jahr 
1073 ihrer Würden wieder entſetzt, behielten aber aud ihre Titel 


) Quellen: Verſchieden. 


Schötes Kapitel, Pforzheim badiſch. 51 


bei,1) Daher kommt es, daß die Nachkommen und Nachfolger Bertholds 

in directer Linie, als fie ſich fpäter, wie die meiften Gaugrafen, nicht 

mehr nad) ihrem Gau, fondern nad) ihren Mohnorten nannten, den Titel 

„Herzoge von Zähringen“ führten, obgleich es Fein Herzogthum 

Zähringen gab. Auf gleiche Weife ift eine „Martgrafihaft Ba 

den” entftanden. Denn jener Herrmann vermählte fih mit Judith, 
einer Tochter des Haufes Calw-Eberſtein und vermuthlich Schweiter der 
oben ſchon (S 37) angeführten vier Brüder Berthold, Anſelm, Burk— 
hard und Adalbert, welche ihm als Mitgift oder als Erbſchaft verfchie: 
bene Befigungen im Uf- und Murrgau, darunter die Stadt Baden, 
zubrachte, und ihn, den Markgrafen von Verona, num auch zum 
Herrn von Baden machte?) Ueberdies hatte er ala väterliches Erbe 
Befigungen im Breisgau, namentlich die Burg Hochberg erhalten. Unter 
ben fpätern Nachfolgern Herrmanns I, wurden im 12. und 13, Jahr: 
hundert die beiden Titel „Markgraf von Verena” und „Herr zu Baden“ 
in den einen: „Markgraf von Baden“ verfchmolzen. 

Bon Herrmann I. mag noch erwähnt werden, daß er 1074 im 
Klofter Elugny in Burgund, wohin er fih — bis zum Tode uner: 
fannt — zurücigezogen hatte, fein Leben befchloß, weshalb er auch der 
„Heilige“ Heißt. Ihm folgte fein Sohn Herrmann. (1074—1130), 
der wahrjcheinlich das alte Nömerkaftell bei Baden zu einer bemohnbaren 
Ritterburg einrichtete und in den Tetsten Urkunden, welche feiner erwäh- 
nen, bereit8 marchio de Badin, 5. h. Markgraf von Baden genannt 
wird. Wie fein Vater, jo nahm auch Herrmann IT. (1130 — 1160) 
an Neichsgefhäften Iebhaften Antheil, weshalb wir ihn jehr Häufig in 
der Umgebung ber hohenftaufifchen Kaifer Konrads III. und Friedrichs J. 
finden, welch Ießtern er auch auf einigen feiner Züge nad Italien bes 
gleitete. In ähnlicher Weife nahm fein Sohn und Nachfolger Herr: 
mann IV, (1160—1190) an dem Kreuzzuge Theil, den riedrid I. 
in hohem Alter machte und wobei er ertrank. Auch Herrmann IV. 
follte nicht mehr in fein Vaterland zurüdfehren, indem er 1190 in 
Antiohia von der Peſt hinweggerafft wurde, Er hinterließ 3 Söhne: 





, 9 Ein jpäterer Herrmann (III) erhielt zwar die Mark Verona durch Kaifer 
Friedrich I, zurüd, war jebocdh nur Furze Zeit in ihrem Befip. 
*) Diefe Judith ftarb 1091 zu Salerno in Stalien, wo fie ben Papft 
Gregor VII, beſucht hatte. Sie ift eben fhen als Miterbauerin des auf bem 
linfen Ragoldufer liegenden neuen Kloſters Hirſchau genannt — 


52 Sechstes Kapitel. Pforzheim badiſch. 


Herrmann V,, Friedrih und Heinrich. Letzterer wurde auf die Herr- 
ſchaft Hochberg mit der Landgraffchaft im Breisgau abgeibeilt, während 
die beiden andern das väterliche Erbe gemeinfchaftlich übernahmen. Nach 
dem Tode Friedrichs, der auf einem Kreuzzuge ftarb, war Herrmann V. 
(1190 — 1242) alleiniger Herr der vom Vater ererbten Beſitzungen, 
die indeſſen noch Feine fehr große Ausdehnung hatten, da fie bloß Die 
Herrichaft Baden mit zerftreuten Gütern im Uf- und Pfinzgau, die 
Herrihaft Iburg mit der Burg gleichen Namens und ben Kirchipielen 
Steinbah und Sinsheim, die Vogtei Selz und endlich verſchiedene Güter 
und Lehensherrlihkeiten in Schwaben umfaßten.) Was Herrmann V. 
als Reichsfürſt Teiftete, daß er 3. DB. ein treuer Anhänger der hohen: 
jtaufiichen Kaiſer Heinrichs VL, Philipps von Schwaben und Friedrichs II. 
war und namentlich letztern auf vielen feiner Züge, jo auch 1241 gegen 
die Mongoten oder Tataren begleitete, die verwüftend im  öftlichen 
Deutichland eingefallen waren: das Alles mag bier nur kurz berührt 
werden. Um jo mehr müſſen wir aber bei diefem Fürſten deswegen 
verweilen, weil er die Macht und das Anſehen des badijchen Haufes 
durch neue Ländererwerbungen, darunter auch der Stadt Pforzheim, um 
ein Bebeutendes vermehrt bat, 


$ 2. PMorzheim wird badifch. 


Herrmanns V. Gemahlin, Irmengard, war eine Tochter eben 
jenes rheinischen Pfalzgrafen Heinrich, der 1195 an feinen Schultheißen 
und feine Bürger zu Pforzheim das oben (S. 47) erwähnte Schreiben 
richtete. Als Mitgift erhielt diefelbe neben andern Be- 
fißungen fiber die Stadt Pforzheim.?) Das war ein jehr wich— 
tiger Zuwachs für die damals noch fehr Heine Markgaffchaft Baden! In 
welhem Jahr aber Pforzheim mit diefer vereinigt wurde, läßt fich nur 
annähernd beftinnmen, da bei der Feſtſtellung der eben erwähnten That: 
ſache doch über die Zeit des Anfalls beftimmte Angaben fehlen. 
Irmengard war um 1203 geboren,3) und wurde nad) einer Sitte, die 


1) Bader, wahrer Urjprung Babens ©. 45 und Baber, Herrmann V, 

2) Majus, vita Reuchlini, S. 109, — Bader, Herrmann V., ©. 45, 
Baber, Rudolf IL, ©, 11. Tolner, I., 33, u. a. a. O. 

®) Vergl, Häuſſer, Geſchichte der Pfalz. 


Schstes Kapitel. Pforzheim badiſch. 53 


damals bei den fürftlichen Häuſern berichte, vermuthlich ſchon zwiſchen 
1210 und 1212 mit Herrmann V. verlobt, während die Bermählung 
erft mit den mannbaren Jahren derfelben erfolgte. Man wird nun nicht 
fehl gehen, wenn man annimmt, daß diefe um 1220 ftattgefunden habe. 
Erhielt nun Jrmengard die ihr zugebachten Ländereien wirklich als Mit- 
gift, fo muß Pforzheim um das Jahr 1220 badiich gewor: 
ben fein. War jenes nicht etwa der Fall, jondern fiel Pforzheim erft mi 
den Tod des Schwiegervaters Herrmanns V., weldher 1227 erfolgtet 
als Erbſchaft an Letztern (mas umwahrſcheinlicher ift), fo bleibt jedenfalls 
fo viel gewiß, daß Pforzheim zwifchen 1220 und 1227 von der Pfalz 
an Baben überging. 

Als Erbihaft feiner Gemahlin erhielt Herrmann V. im Jahr 1227 
gemeinfchaftlih mit feinem Schwager, Otto dem Erlauchten, aud bie 
welfiiche Stadt Braunfchweig. 1) Da indeffen die weite Entfernung und 
der getheilte Beiig den Werth diefes Gewinnes ſehr verminderten, fo 
ergriffen beide Fürſten mit Freuden den Antrag Kaijers Friedrichs IL., 
das braunſchweigiſche Erbe gegen andere Befigungen an ihm abzutreten. 
Der Markgraf ging einen Tauſch mit ihm ein, wornach er für fein 
Halbtheil die Stadt Dur lach zum Eigenthun, die Stadt Ettlingen 
als Lehen, und die Städte Sinsheim, Eppingen und Laufen 
für die Summe von 2300 Markt Silber als Pfandichaft erhielt. 
Lestere fcheint jedoch im der Folge bald wieder abgelöst worden zu 
fein. Gewiß iſt indeh, dag die Erwerbung jener zwei Städte eine 
dauernde und darum von großer Wichtigkeit war, da diefelben, in Ber: 
bindung mit Baden und Pforzheim, als vier fefte, bald auch mit bür— 
gerlihen Einrichtungen, befuchten Märkten, anfehnlihen Gemeindegütern 
und geiftlichen Stiftungen ausgeftatteten Orte, die Hauptſäulen bildeten, 
auf denen die Markgrafichaft Baden emporwuchs, 2) 

As Markgraf Herrmann V. ftarb, fonnte er feinen Söhnen ſchon 
ein anfehnliches Fürſtenthum binterlaffen, das theilg ererbt, theils ertaufcht, 
theils auf verfchiedene andere Weife, auf die bier nicht eingegangen wer: 
den kann, erworben war, Es beitand dasfelbe zunächſt aus den ges 
nannten vier Städten, denen noch Steinbady als folche, ſowie die Schlöffer 
Mühlberg und Grötingen angereiht werden können; alsdann in einer 
y Bergl. Bader, Markgraf Herrmann V., ©. 46, und Sachs, Einlei— 


tung im die Gefchichte der bad. Marfgrafigait I., 346. 
2) Bergl, Bader, Markgraf Herrmann V. 


H4 Schstes Kapitel. Pforzheim badiſch. 


ziemlihen Anzahl von Flecken, Dörfern und Höfen, welche diefe Städte 
umgaben, und endlich in einigen zerftreut und entfernt liegenden Ber 
fitungen , wie in den Städten Balnang und Befigheim, in einem An: 
theil an Altenfteig, wahrſcheinlich auch in dem Amt Lindenfels im Oden⸗ 
wald, weldes aber fpäter 1277 wieder an die Pfalz verkauft wurde,!) 
und in den Pfandfhaften von Selz, Eppingen, Sinsheim und Laufen, 
Von diefen Städten war Pforzheim auch deshalb noch von befonderer 
Wichtigkeit, weil es einen geeigneten Verbindungspunft zwifchen ben ba= 
diſchen Befigungen im Rheinthal und denen am untern Nedar und 
Schwarzwald bildete, 

Noch jei erwähnt, daß die Gemahlin Herrmanns V., Irmengard, 
im Jahr 1245 „zum Geelenheil ihres (1242) verftorbenen Gemahls, 
zur Sühne ihrer Vergehungen und zum bleibenden Gedächtniß ihrer 
Söhne“ das Klofter Lihtenthal gründete und beide Ehegatten dort 
begraben liegen. 


') Bergl. Häuffers Geſchichte der Pfalz, I., 127. 


Sicbentes Kapitel 





Pforzheim im 13. Jahrhundert !) 
$ 1. Allgemeines. 


Als Markgraf Herrmann V. im Jahr 1242 geftorben war, folgten 
ihm im der Megierung feine beiden Söhne Herrmann und Rudolf, 
welche diefelbe gemeinſchaftlich führten, bis erjterer 1249 durch die Hand 
der verwitiweten Herzogin Gertrud von Defterreih die Regentſchaft 
dieſes Landes erhielt.2) Won biefer Zeit an vegierte Rudolf I. allein, 
Er war ein Mann von großer Umfiht, Thätigfeit und Kraft, und 
namentlich ftets eifrig bemüht, jebe fich ihm darbietende Gelegenheit zur 
Vergrößerung feines Landes zu benügen, was ihm auch fo ſehr glückte, 
daß er als der eigentliche Gründer der Markgrafſchaft Baden betrachtet 
wird.3) Die wichtigſte Erwerbung war die eines Theils der Grafſchaft 
Eberſtein, wodurch das babiſche Beſitzthum nicht nur anſehnlich erweitert, 
ſondern auch abgerundet wurde. 


1) Benützt wurden bei dieſem Kapitel außer einigen ber früher ſchon ar» 
geführten Gefdichtswerfe namentlid bie Urkundenarchive ber Klöfler Herren 
alb, Lihtenthal und Rehenshofen, zum Theil aud Bebenhauſen, in 
der Zeitjchrift für die Geſchichte bes Oberrheins, Band I. bis IX. ; ferner ber 
Codex Hirsaugiensis; Klunginger: Geſchichte des Kloſters Maulbronn; 
Urkunden, Repertorien, Kopialbücher und Lagerbüd er des Lan: 
desarchivs, ſowie auch des Stadtarchivs; Kolb: Lexikon von Baden; Ba der: 
Markgraf Rubolfl.; Kausler: Beichreibung des Oberamts Neuenbürg u, a. m. 

%) Herrmann farb jedoch ſchon 1250, nachdem er noch einen Erben gezeugt, 
jenen Bringen Friedrich, welder mit Herzog Conradin, feinem ungertrenn: 
lichen Freunde, auf dem Schaffot in Neapel 1268 fo traurig geendet bat. 
Derjelbe erſcheint in der Geſchichte, was durch bie eben berührten Verhältnifie 
ettlärlich wird, bald ale „riebrih von Baden“, bald als „Friedrich von 
Deſterreich.“ 

3) Ausführlicheres über dieſen Fürften in Baders Schrift: Marfgraf 
Rudolf I, von Baden. 


56 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhunbert. 


Die Regierung Rudolfs I, war eine äußerft unruhvolle. Sie fiel 
großentheils in jene „kaiſerloſe, jchredliche” Zeit, die man das Interreg— 
num zu nennen pflegt. Unter die Fürften, welche die Auflöfung des 
oberften Neicdysverbandes dazu benüßten, fi) Länder zu erwerben, und 
fürftlihe Hoheit, ſowie veihsunmittelbare Selbſtſtändigkeit zu erlangen, 
gehörte auch Markgraf Rudolf. Solde Zu: und Uebergriffe verwidelten 
ihn natürlich in eine Neihe von Händeln mit feinen Nachbarn, aus 
denen der ritterlihe Degen indefjen größtentheils ſiegreich hervorging. 

Am Jahr 1273 wurde Rudolf von Habsburg zum deutfchen Kaifer 
gewählt. Es ift befannt, welde Mühe fid) derſelbe gab, die Verhältnifie 
des deutſchen Neiches, das ganz aus feinen Fugen zu geben drohte, 
wieder mit Präftiger Hand zu ordnen und die innere Sicherheit herzuftellen. 
Zu dem Ende begann er feine Reichsverwaltung damit, Alles entichieden 
zurüczufordern, was die Fürften und Herren während des Interregnums 
dem Reiche widerrechtlich entzogen hatten. Eine ſolche Forderung mußte 
die Betbeiligten, darunter Markgraf Rudolf, empfindlidy treffen, und es 
bildete fi deshalb in Schwaben und am Rhein ein Bündniß wider 
ben beneideten und verhaften Habsburger, deſſen Häupter der Markgraf 
von Baden und der Graf von Mürttemberg waren, Kaifer Rudolf 
aber befeßte rafch die Länder feiner Gegner, noch che der MWiderftand 
gehörig organifirt war, und unfer Markgraf mußte fi dem neuen 
Neichsoberhaupte unterwerfen, Doch fand der fehbeluftige Herr auch 
in der Folge wieder Anlap zu Händeln, namentlih mit dem Biſchof 
von Straßburg. 

War Markgraf Rudolf auf der einen Seite ein ritterliher Degen, 
der fein halbes Leben in Fehden zubradyte, jo war er anf der andern 
Seite auch gläubig und fromm im Geifte feines Zeitalter, Kirchen 
und Klöfter, unter letztern befonders Lichtentbal, Herrenalb, Gottesau 


und Maulbronn erfreuten ſich feiner freigebigen Hand oder feiner wohl: 
wollenden Gefinmung. 1) 


) In jener Zeit des Minneſängerthums fand auch die Dichtkunſt am 
Hofe bes Markgrafen willige Pflege. Ein Minnefänger, Boppe, ber fih an 
demſelben aufgielt, vühmt „den von Baden und ouch von Berne (Verona), den 
alten (Rubolf) und den jungen (HerrmannVIl,)“ als Einen „der ere gert“; 
wenn er Unmöglibiten aufzählen will, nennt er die, baß „der edel vürste 
von Baden das alte Gebzenstein (Gebjenftein im Amt Blumenfeld) durch 
vorhte ufgit (durch Furcht aufgibt), “ (Stälin.) 


Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 57 


Alt und lebensfatt, und nicht ohne Manches, was er gethan oder 
veranlaßt hatte, bereut zu haben, verfchied Markgraf Rudolf im No: 
venber 1288 auf feinem Schloffe zu Eberſtein, und wurde in Lichten- 
thal beigeſetzt. 


$ 2. Deſonderes. 
GPforzheim nah Außen, Adelsgeſchlechter der Umgegend.) 


Daß auch die Stadt Pforzheim in jener bewegten Zeit vielfach 
in den Strudel der Ereigniſſe hineingezogen wurde, wird wohl begreiflich 
erfcheinen, wenn uns auch die Gefchichte Einzelheiten darüber nicht auf: 
bewahrt hat. Als Rudolf von Habsburg bald nad) feiner Erwählung 
zum deutſchen Kaifer die widerfpenftigen Fürſten, darunter Markgraf 
Rudolf, zur Ordnung brachte und raich das Land und die Städte deg 
letztern befeßte, da mag and Pforzheim neben Baden, Mühlberg, Dur: 
lah und Größingen kaiſerliche Truppen in feinen Mauern beherbergt 
haben, Als im Jahr 1287 Herrmann, der Ältefte Sohn Rudolfs, au 
der Stelle feines altern Vaters, deſſen Fauſt das Schwert nicht mehr zu 
führen vermochte, begleitet von zwei Söhnen und an der Spite von 
6000 Mann, darunter ſicherlich auch Pforzheimer, ins hintere Nagold: 
thal zog, um mit dem Grafen von Hohenberg einen Strauß um dag 
Städtlein Altenfteig auszufechten, zu welchem Zweck er bei der Stadt 
Pforzheim ein Anlehen gemacht zu haben jcheint, (fiehe unten) und als 
er bierauf, nad erfimpftem Siege, verheerend in das Gebiet des Pfalz: 
grafen von Tübingen einfiel: da mochte man wohl auch in Pforzheim 
mit Beforgniß den Gang der Ereignifie verfolgen, da bei einer Nieder: 
lage Herrmanns vielleicht das gleiche Schickſal die badifhen Lande ge 
troffen hatte, wie es über die eines andern Fürften erging, Es waren 
verhängnißvolle, ſchwere Zeiten! 

Markgraf Rudolf hatte feine Reſidenz theild zu Baden, wo er 
dann das obere Schloß bewohnte, theils zu Pforzheim. In den 
legten Fahren feines Lebens bielt er fi) meift auf der (alten) Burg 
Eherftein auf, wo er auch ftarb. 

Im Jahr 1263 übergaben die Brüder Berthold und Belreim don 
Wizenftein) (Weißenftein) laut einer zu Etheningen (Ettlingen) aus: 
gefertigten Urkunde dem Markgrafen Rudolf „in Anerkennung der vielen 


58 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert, 


Wohlthaten, welche ihnen vom Markgrafen und feinen Vorfahren zuge: 
fommen“ alle ihre Nechte auf die Burg Lie benegge mit der aus: 
brüdlichen Willenserklärung, daß „das vollkommene Herrſchaftsrecht, der 
freie, unbeſchränkte Beſitz ſowohl auf genannter Burg, als dem Dorf 
Wirme und allen andern dazu gehörigen Befigungen in Höfen und 
Feldern, bebauten und unbebauten, in Lehensleuten und Leibeigenen, 
MWiefen und Waiden, befahrenen und unmegfamen Gegenden, Wäldern 
und Gebüfhen, Mühlen und Mühlwerken, Waſſern und Wafferabfällen, 
Tifchereien und Jagden und allen damit verbundenen Rechten, welde 
auf irgend eine Weiſe zur Burg felbft gehören” dem genannten ihrem 
Herren mit vollem Rechte zugehören ſolle. Bloß das Darf Huoden 
velt (Hucenfeld) wurde von diefer Eigentbumsübergabe ausgenommen, 
welches die Brüder von Weißenftein mit Vorbehalt ihrer Kehensherrichaft 
an folgende Perfonen als Lehen überließen: Eunrad, genannt Colbe, 
Sohn Albert Eolbos, dem auf Burg Burftenede (Fürſteneck bei 
Oberkirch), Bertold, genannt Wiedener von Ingersheim (zwi 
ſchen Ludwigsburg und Befigheim), Liotwin von Glatebach (Glatt⸗ 
bad bei Vaihingen), Sibotto von Hule (?), Albert von Helfen: 
berg (bei Marbach), Conrad und Sibotto, Gebrüder von Scho— 
nowe (Schönau hinter Heidelberg). „Wir erlauben aber”, heißt es 
am Schluß der Urkunde, „daß die vorgenannten Perfonen freie Macht 
haben follen, das genannte, von uns zu Lehen gegebene Dorf in die 
Hände und Gewalt unferes oft genannten Hern, des Markgrafen zu 
überlafien, ohne daß die uns fchuldige Lehenspflicht dabei ein Hinderniß 
fein folle.” Der Urkunde find die Siegel der beiden Ritter von Wei- 
Benftein, ferner Con rads von Roſſew ac (Roßwag bei Vaihingen), 
Reinhard Kimons von Baden und Bertholds von Remchingen 
(bei Wilferdingen) angehängt und in berfelben find als weitere Zeugen, 
aufgeführt: Conrad von Rode,t) Hugo von Werbenwac (Mer: 

1) Rob, von roben, reuten, ausreuten abgeleitet, mag ed mehrere 
gegeben haben. Ein Ort Rod lag nab einer SHerrenalber Urkunde vom 
18. Februar 1263 zwiſchen Pforzheim und Weißenftein, und trägt daſelbſt eine 
Anhöhe diefen Namen nad. Bielleiht war biefer Ort aud ber Sig eines 
Nittergefchlechtes, das fi darnady benannte, und von weldem oder von einem 
andern Rob bie heute noch blühende Adelsfamilie der v. Röder abftammt, 
welche biefem Namen noch ben ihrer Burgen beifegten, 5. B. Röber von Diers: 
burg, Möder von Mberg, Röder von Hohenrod, Röder von Roded. Ein Purk: 
hard von Rode erſcheint ſchon im Gefolge Herrmanns V., ein Udalricus de Rode 
im Cod, Hirsaug., 72. 


Sirbentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 59 


renwag, Stfrid von Ottenkeim (Detigheim), Borhhard, genannt 
Burner, Heinrih von Barchuſen, (Berghaufen) und Walther 
von Eberjtein, Conrad, Schirmvogt von Remchingen und 
Blicger von Steinah (am Nedar). 

Der Inhalt diefer Urkunde ift hier etwas ausführlicher angegeben, 
einmal um barzuthun, welche wohlwollende Gefinnung die Weißenfteiner 
gegen den Markgrafen hegten, die überhaupt auf das Verhältniß bes: 
jelben zu feinen Bafallen ein günftiges Licht wirft, fodbann um zu zeigen, 
wie zerftüdelt damals die Verhältniffe mancher, jelbft Meiner Orte, wie 
Huchenfeld waren, und endlih, um überhaupt die Form folder Urkunden 
einigermaßen Fennen zu lernen, wie fie in damaliger Zeit ausgeftellt 
wurben, 

Daß fih Markgraf Rudolf aud von Zeit zu Zeit im Schloß 
Liebened aufgehalten babe, bezeugt ein Schreiben vom Februar 1268 
(oder 1269), das er von dort aus an die Stadt Straßburg richtete. 

Bon feiner wohlwollenden Gefinnung gegen die der Stadt Pforzs 
heim nahe liegenden Klöfter Hirihau und Maulbronn zeugt, daß 
er eriterm 1282 einen Hof zu Pforzheim zurüdgab , der feinem Vater 
ehemals verfet gewejen war, (©. 41) und daß er lehteres von feinem 
Schloß Mühlberg aus am 16. Januar 1258 „wegen feines großen 
Eifers in Uebungen der Andacht bei Tag und Nacht“ vom Zoll und 
Umgeld der Stadt Pforzheim befreite, Dieje Freiheit wurde unterm 
18. Januar desjelben Jahres von der Stadt Pforzheim ſelbſt beftätigt. Solche 
Gefinnung ſcheint fein Enkel, Friedrich IL. getheilt zu haben, indem er 
im Dezember 1295 den jeweiligen Schaffner des Klofters Herrenalb zu . 
Pforzheim mit Zuftimmung der dortigen Bürgerfchaft von allen Steuern, 
Abgaben und Dienftleiftungen gegen jährliche Entrichtung von 5 Pfund 
Heller, welche jedes Mal an Oftern und Michaelis an die Stadt bezahlt 
werben mußten, befreite. 

Endlich jei auch noch erwähnt, daß in einer Schenkungsurkunde vom 
27. Dttober 1288, durch welche Rudolf dem Klofter Lichtenthal zu 
einem Geelgerette für feine „Miſſethat“ verfchiedenes Eigenthum ver: 
macht, der marfgräflihe Schreiber zu Pforzheim, Konrad, als Zeuge 
genannt ift. 

Da manche Glieder derjenigen Nittergefchlechter, welche in ber 
nähern oder entferntern Umgebung Pforzbeims auf ihren Burgen faßen, 
in die Gedichte der Stadt vielfady verflochten find und einige derfelben 


60 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert, 


fpäter fogar eigene Häufer in Pforzheim befagen, fo möge eine Zuſam— 
menftellung diefer Gefchlechter, wie fie mit Benugung der mandyfachften 
Quellen ermöglicht war, bier folgen. Wir beginnen mit den vorhin 
genannten 

Herren von Weißenftein (Wizzenftein, Wyſſenſtein). 

Bekanntlich waren früher in und bei Meißenftein drei Burgen, bie 
im Munde des Volkes heute noch Nabened, Kräbened und Ho: 
heneck genannt werden. Die Ruinen der erftern finden fi) bei der 
Kirche von Meißenftein , der zweiten etwas weiter oben im Wald; von 
der dritten, die jenfeit? der Nagold am Kallert lag, ift faft jede Spur 
verſchwunden. In Weißenftein hatte einft ein angefebenes und begütertes 
Adelsgeichleht jeinen Sit, und mir begegnen verfchiedenen Gliedern des: 
felben, namentlich in den Urkunden der Klöfter Herrenalb, Frauenalb, 
Maulbronn und Rechenshofen oder Marienfron (bei Hohenhaslach im 
Amt Vaihingen, jet Hof und Domäne), fowie anderwärts. So finden 
wir eines Berthold von Weißenſtein als Zeugen bei der Hochzeit des 
Ritters Kuno von Menzenberg in Tübingen 1231 erwähnt. Im Fahr 
1240 find die drei Brüder Berthold, Belreimf) und Helferich 
von Weißenftein als Zeugen in der Stiftungsurfunde des Klofters Re— 
henshofen aufgeführt, welches von einem Ritter Efel von Efelsberg 
gegründet wurde, Die beiden Erftern finden ſich ebenfalls als Zeugen 
in Herrenalber Urkunden von 1254 und 1356. An das Klojter Nechens: 
hofen vergabten, bez. verkauften 1354 Berthold und fein Bruder Gott: 
bert von Weißenftein, letzterer Pfarrer zu Haslach, fpäter 1265 Rektor 
“der Kirche zu Brötzingen, ihre Güter, Zinfe nämlich und Weinberge 
mit allem Andern (Neibeigene ausgenommen) ſammt dem Patronatredyt 
der Kirche zu Haslady; doch behielt fich Gottbert eime Tebenslängliche 
Penſion von 50 Pfund Heller vor. Im Jahr 1257 verfauft Ber- 
thold von Weißenftein an Herrenalb Güter in Neufat (am Dobel) und 
verzichtet 1257 zu Gunften des Klofters Nechenshofen auf feine Güter 
und das Patronatsredht in Heffelbah (D. U. Vaihingen). Berthold 
und Belreim von Meißenftein erfcheinen 1263 wieder als Zeugen in 
einer Herrenalber Urkunde und übergeben, wie ſchon erwähnt, in dem: 
jelben Fahr Liebeneck zc. an den Markgrafen Rudolf von Baden. 


Br Diefer Belreim oder Belrem von Weifenftein iſt der Gegenfland einer 
anzichenden Sage, welche Ludwig Auerbach dichterijch verarbeitet hat. 


Eiebentes Kapitel, Pforzheim im 13, Jahrhundert. 61 


Berthold von Weißenſtein kommt 1265 wieder als Zeuge vor, und 
ſein Bruder Belreim verkauft 1276 an das Kloſter Maulbron ſeinen 
Hof in Zaiſenhauſen mit einem Drittel des großen und kleinen Zehntens 
daſelbſt, nebſt Leibeigenen an verſchiedenen Orten um 255 Pfund Heller, 
und verzichtet auf jeinen Antheil an zwei Mühlen daſelbſt, welche fein 
Bruder Berthold, von dem das Frauenalber Salbuch 1277 zwei Töchter, 
Gertrud und Mete jel., anführt, dem Kloſter geſchenkt. Das Kloſter 
Maulbronn erhält 12851 von PBetriffa, der MWittwe des (ältern) 
Berthold von Weißenftein 24 Pfund Heller und einen Nachlaß von 
10 Schilling jährlicher Gefälle zu einem Jahrestag für fie und ihren 
verftorbenen Mann mit weißem Brod, Wein und Fifchen. Berthold 
(der jüngere) von Weißenſtein ſchenkt 1295 dem Klofter Maulbronn 
alle feine Güter zu Magftatt (DO. A. Böblingen), einen Hof, beide 
Mühlen, (die aber ſchon 1276 theiweife verfchenft wurden), und einen 
Theil des großen Zehntens in Zaifenhaufen, fammt dem Patronatrecht 
der dortigen Kirche, und übergibt im nämlichen Jahr alle ſeine Lehengüter 
ſeinem Vetter Rudolf von Roßwag. Er kommt noch einmal 1301 im 
Frauenalber Salbuch vor. 

Von dieſer Zeit an verſchwinden die Weißenſteiner aus der Ge— 
ſchichte, und Berthold mag, wie ſich dies aus ſeinen Schenkungen ergibt, 
der letzte ſeines Geſchlechts geweſen ſein. Auf das weitere Schickſal der 
Burg Weißenſtein werden wir unten zurückkommen. Das Siegel und 
Wappen der Weißenfteiner zeigte einen dreiedigen, vierfach quergetheilten 
Schild. 

Die Herren von Niefern (Mievern, Nienern, Nieffern, 

Nuffran 2c.). 

Bon ihrer Stammburg Hohenniefern, die auf einer Höhe bei dem 
Dorfe Niefern lag, ijt feine Spur mehr vorhanden. Doc fcheint im 
Drte Niefern felbft noch eine zweite Burg vorhanden gewefen zu fein, 
und zwar an der Stelle, wo jet die Niefernburg fteht; denn im Jahr 
1555 übergab Markgraf Karl IL feinem Kanzler Achtſinit „den alten 
freiadeligen Burgſtadel“ in Niefern, um darauf zu bauen. Die Edeln 
von Niefern waren, wie Viele andere Ritter der Gegend, Dienft- 
leute der Grafen von Vaihingen. Sie kommen vom 12. bis 14. Jahr⸗ 
hundert in zahlreihen Gliedern vor.) Go ift ſchon 1186 ein Hein: 

) Hauptiählih in Maulbronner, Herrenalber, Frauenalber, Rechenshofer 
und Lichtenthaler Urkunden. 


62 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert. 


rich von Niefern in einer Herrenalber Urkunde als Zeuge aufgeführt; 
4203 übergaben Albredt und Konrad v. N. dem Klofter Maul: 
bronn ihren Theil des Patronatsrechts zu Oelbronn und Elfingen, 
1251 und 1266 erjcheint wieder ein Konrad v. N., 1258 ein Ger: 
lad v. N, 1277, 1279 und 1281 ein Heinrich v. N. (Hobinnie: 
vern), in leßtgenanntem Jahr auch ein Adalbert v. N., der mit feiner 
Toter Elijabeth (1284 Gifela genannt) Schenkungen an Herrenalb 
macht; im Jahr 1285 verzichten die Brüder Albert und Konrad 
von Niefern zu Gunften des Klofters Maulbronn auf alle Anfprüche 
an die Hälfte des Vogtrechts über den Hof Elfingen und den Ort Del: 
bronn; 1289, 1293 und 1299 kommt diefer Albert von Niefern 
wieder als Bürge und Zeuge vor und verkauft 1294 mit feiner Frau 
Kunigunde wegen vielfacher Unglüdsfälle und unerträgliher Schuldenlaft 
fein Fiſchwaſſer bei der Stadt Mulnagger (Müblader) um 30 Pfund 
Heller an Maulbronn; 1296 treffen wir auf Konrad, Gerlach und 
Heinrich von Niefern, auf den Erftern wieder 1314, 1321 auf Hein: 
rich und Gerlad von Niefern; 1332 erfcheint wieder Heinrich 
v. N. mit feiner Frau Guta von Eifingen und Beider Sohn Rein: 
bard, 1338 Heinrich v. N; 1342 ftiftet Klara v. N,, Wittwe 
Heinrihs von Roßwag, eine Präbende zu Roßwag und begabt fie. 1365 
wird eines Heinrich von N. erwähnt. In den Jahren 1412, 1422 
und 1436 treffen wir einen Hans von Niefern, als defien Kinder 1496 
Bernhard, Jörg und Margaretha genannt werden, Nach dem 
Lichtenthaler Tobtenbuch ftarb dafelbft am 6. Januar 1541 die Nonne 
Dorothea von Nieffern und 15. April 1546 die Nonne Urfula 
von Nieffern. 
Die Herren von Enzberg (Entzberg, Enzeberg, Enzeberc, Enceberc, 
Encenberch ꝛc.) 

Bon ihrer am 14. Sept. 1384 durch Pfalzgraf Ruprecht I. in 
Folge eines Streites mit dem Klofter Maulbronn zerftörten Stammdurg 
find nody wenige Ueberrefte vorhanden. 

Die Herren von Enzberg werben ſchon im 10. Jahrhundert ge- 
nannt und waren, wie die von Niefern, Lehensleute der Grafen von 
Calw und Baihingen, fpäter aber ber Markgrafen von Baden, Nach 
einer zwifchen 14190 und 1197 ausgeftellten Urkunde (vergl, S. 48) 
ging die Burg Enzberg zu jener Zeit von Konrad, Graf von Calw, 
an den Erzbifchof Johann von Trier über, der fie aber jedenfalls nicht 


Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 63 


fange behielt. Die Herren von-Enzberg fommen in Untunden vom 13, 
und 14. Jahrhundert jehr Häufig und in äußerſt zabfreichen Gtiedern 
vor, zum Theil mit allerlei Beinamen, z. B. 1368 Reinhard von 
Enzberg, genannt Her Nir, 1381 und 1395 Albrecht) genannt Schit- 
helin von Enzberg, 1436 Friedrich von Enzberg, genannt Bitſcher, 
(derſelbe beſaß 1443 ein Haus zu Pforzbeim;) 1314 Friedrid von 
Enzberg, genannt von Hohenriet, Al brecht von Enzberg, genannt von 
Gemmingen, Konrad, Heinrich, Friedrich und Gerhard, die 
Rummeler genannt, 1363 Albrecht von Enzberg, zu Steichenberg, 
(Amt Eppingen) geſeſſen, 1378 Albaecht von Enzberg, zu Odhfenberg, 
(Zabergäu) gefefien ꝛc. Von den drei Schleglerfönigen, welche Graf 
Eberhard von Württemberg 1395 in Heimsheim gefangen nahm, 
waren zwei Enzberge, nämlih Reinhard und Friedrid. Die Enz: 
berge hatten im 13. Jahrhundert das Vogtrecht überMaufbronn , was 
zu manchen Händen VBeranlaffjung gab. Sie befaßen Güter und 
Rechte zu Zaifenhaufen, Oelbronn, Tiefenbach, Elfingen, Oetisheim, 
Weißach, Kieſelbronn, Schmie, Lienzingen, Zaiſersweiler, Schützingen, 
Knittlingen, Dertingen, Oeſchelbronn und Rauenthal, Illingen, Dürrn, 
Bauſchlott, Lomersheim, Goölshauſen, Richen, Stodheim, Steppach, 
Springen, Roßwag ꝛc. Alle dieſe Beſitzungen ꝛc. gingen aber nach 
und nach durch Verkauf ober Vergabung in andere Hände, namentlich 
an verſchiedene Klöſter über, und 1405 verkauften Georg von Enzberg 
und feine Söhne Konrad und Georg nad Zerftörung ihrer Burg 
auch all ihr Einkommen und ihre Rechte zu Enzberg, Düren, Baus 
ſchlott und Kiefelbronn um 770 Gulden an das Klofter Maulbronn, 
und verfprachen, ſich megen der Brechung ihrer Burg nicht zu rächen. 
1443 finden wir noch einen Triedrih und 1456 einen Hans von 
Enzberg. 

Die Herren von Dürrmenz (Durmenze, Dorment, Durmencze), 
aus welchem Geſchlecht Ulrich I., Biſchof von Speier 1161 zu diefer 
Mürde erhoben worden, waren bis in das 15. Jahrhundert im Beſitz 
von Dürrmenz , welches aber dann ganz an das Klofter Maulbronn 
und fpäter mit diefem an Württemberg fam. Ein Albrecht von Dürr: 
menz war 1442 Vogt in Pforzheim. — Die Herren von Dürrmeng, 
von Niefern und von Enzberg mögen urfprünglih nur einen Stamm 
gebildet haben; denn alle drei Gefchlechter führten einen Ning im Wap- 
pen. Die Trümmer der Burg zu Dürrmenz, welche auch Löffelftelz 


64 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert. 


beißt, find noch vorhanden. — Aus ihrer Nachbarſchaft erwähnen wir 
nody ferner der 
Edeln von Illingen, 
deren Güter ebenfalls nad und nah an Maulbronn übergingen, ber 
Edeln von Lomersheim, 
von deren Stammburg noch ein Thurm übrig ift, und von denen Einer, 
Walther, um 1140 das Klofter Maulbronn ftiftete, welches nach dem 
Ausfterben der von Lomersheim zu Anfang des 16. Jahrhunderts den 
ganzen Ort an fi) brachte, — der 
Herren von Roßwag, 
beren Stammſchloß bei dem gleichnamigen Dorfe an der Enz lag. Sie 
gebörten im Mittelalter zu den reichſten und angejebenften Rittergeſchlech- 
tern unjerer Gegend. Sie waren Dimaften vom erjten Wang, denen 
urkundlich das Anfehen „erlauchter Perfonen“ gegeben ward. Verwandt 
mit ihnen waren die Herren von Weißenftein. Die Herren von Roß— 
wag kommen bereits im 12., noch mehr im 13, Jahrhundert in Urkum: 
den häufig vor, ftarben aber ſchon im 14. oder 15. Jahrhundert aus. 
Die Roſe im Wappen deutet auf Verwandtſchaft mit den Eberfteinern 
bin, (Der Grabftein einer am 13. Dezember 1291 geftorbenen Irmen— 
gard von Magenheim, Gemahlin Rudolfs von Roßwag, wurde im 
Frühjahr 1858 auf dem Schulplatz in Pforzheim ausgegraben.) — 
Endlich ſei auch noch der 
Edeln von Mühlhauſen und 
derer von Oetisheim erwähnt. 

Fragen wir nach den Adelsgefchlechtern, welche nördlich von Pforz: 

beim gewohnt haben, fo treffen wir zunächſt auf die 
Herren von Neidlingen (Nidelingen). 

Wir finden ihrer fchon im 12. Jahrhundert erwähnt, wo (in 
Hirſchauer Urkunden) ein Adelwig und ein Arnold von Nidlingen 
vorkommen. Das Dorf Neidlingen ſammt der Burg des gleihnamigen 
Adelsgeſchlechts lag zwiſchen Kiefelbronn und Göbrichen, weftlih von der 
Strafe von Pforzheim nach Baufchlott, und bezeichnet der fog. Neulinger 
Berg noch die Stelle, wo jenes Dorf geftanden Es jcheint indefjen 
ſchon zu Ende des 14. Jahrhunderts nicht mehr eriftirt zu haben, fon- 
dern bereits in Iſpringen, das früher ein Filial von Neidlingen war, 
aufgegangen geweſen zu fein. Als Gemarkungsname wurde indefjen der 
Name Neidlingen noch Tange beibehalten. 1321 lebten die Brüder 


Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 65 


Johann und Marquard von Neidlingen, vorher ihr Vater Berthold 
von Neidlingen. Marquards Frau war Gifela von Horkheim (DO. N. 
Heilbronn) und ihre Kinder biegen Kraft, Anna und Johann. 
Jener Ältere Johann ſchenkte dem Kloſter Lichtenthal den halben Laien: 
zehnten in Eifingen, Die beiden Brüder Johann und Kraft v. N. 
fommen wieder 1344, 1355 und 1357 vor. Mit dem Dorf jcheint 
auch bald das Adelsgejchlecht verſchwunden zu fein. Die von Neidlingen 
waren Minifterialen der Markgrafen von Baden. Ahr Wappen war ein 
dreiediger Schild mit eirter Hag: oder Schafſcheere. — 

Bon den 
| Herren von Eijingen (fingen, hingen) 

bat die Gefchichte nur, wenig aufbewahrt. Doch finden wir 1197 einen 
Siegmund von Gifingen, und ift derielbe in einer Schuldurkunde, 
welhe Markgraf Herrmann V, und fein Bruder Friedrich dem Abt 
Helmwich in Selz für geliehene 200 Mark Silbers ausftellen, mit An: 
dern als Bürge genannt. Die Frau Heinrichs von Niefern war 1332 - 
eine Guta von Eifingen Cine Chriftine von Illingen, genannt 
von Yßingen, ift 1431 als Frau des Bürgers und Nichters in Pforz- 
heim, Großhans Roth, genannt v. Vaihingen, bezeichnet. Wahrjcheinlich 
war es diefelbe Chriftime won Singen, welche 1447 (in zweiter Che) 
als die Gemahlin Erhards von Königsbady aufgeführt it. Im Jahr 1495 
verfauft Ludwig Sllinger, genannt von Eifingen, das ihm gehörige letzte 
Viertel von Eifingen an Markgraf Ehriftoph von Baden um 1519 fl. 
Ein Ludwig von Eifingen hatte 1501 ein Haus in Pforzheim, ein 
Peter von Yfingen kommt 1519 vor. 

Die Herren von Stein, (Amt Bretten). 

Auf den Grundmauern des alten Schlofies dafelbit fteht jetzt das 
no von einem Graben umgebene Pfarrhaus, Em Ulrich von Stein 
fommt 1252 ff. in Urkunden vor, fo beifpielweife in dem Freiheitsbrief, 
den Markgraf Rudolf I. 1258 dem Klofter Maulbronn gab (fiehe unten). 
1370 treffen wir einen Wolfgang von Stein, und 1631 war bei 
einer Gefandtfchaft, weldye der ſchwäbiſche Kreis nach Wien ſchickte, ba- 
diicher Seits ein Friedrich von Stein. Es gab aber jo mande 
Adelsgejchlechter diefes Namens, da nicht mit Beftimmtheit ausgemacht 
werden Kann, ob die Genannten dem Geſchlechte der Herren von Stein 
bei Pforzheim angehörten. Der ziemlich verftümmelte Grabftein eines 


Edeln von Stein findet ſich in der dortigen Kirche, Ihr — war 
Pflüger, Pſorzheim. 


66 Stebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 


ein dreiediger, von der Rechten zu Linken getheilter Schild, wovon 
der umtere jchraffirt mit Goldpuntten, der obere gejchacht mit einem 
Goldpunft in jedem Viered, Die 
Herren von Königsbad (Konngespach, Küngespach, Küngſpach, 
Kingespach, Kungsbach,) 
finden wir vom 13.—15. Jahrhundert in vielen Gliedern und Zweigen 
vertreten. Im Jahr 1259 erfcheint Heinrich v. K. mit feinen Söhnen 
Herrmann, Helwig und Heinrid; 1271 übertragen die Brüder 
Herrmann, genannt Veſe, und Sigmund v. K. dem Schultheißen 
Diether von Ellinendingen und Diether bei der Kirche alle ihre Güter 
in der Gemarkung von Ellmendingen und Meiler zu Eigenthum; als 
Zeugen erfcheinen u, A. die Gebrüder Herrmann und Kuno von 
Königsbady, die Schwefter Beider, Bertha, war die Gemahlin Niberts 
von Sickingen. Bon 1290 an kommt häufig en Simon von Könige: 
bach vor, als deffen Kinder 1303 Simon, Emebard, Herrmann, 
NReinbot, Sifela, Agnes, Kunigunde und Engela genannt 
werden, im welchem Jahr fie einen Hof in Sprantbal an Herrenalb 
verfaufen. 1336 ericheinen Kuno, Grozbott, Klainbott, und 
Balfam von K., 1338 ein Diem v. K., 1363 Herrmann und 
Konrad K., im 15. Jahrhundert Wilhelm v. K., 1423 Pele 
v. K., Witwe Wolfs von Grafened, 1447 Erbard v. K., der 1458 
mit feiner Frau dem Markgrafen von Baden alle feine Güter zu 
Königsbach für den Fall ihres Abfterbens vermacht. Noch finden wir 
1482 und 1491 einen Hans von Königsbach, der Vogt zu Porz: 
heim war und dort ein eigenes Hans beſaß. Später fcheint das Ge: 
ſchlecht erloichen zu fein, Das Wappen desfelben zeigte zwei von einan— 
ber abgewandte halbe Waſſerräder mit quadratifcher Abtheilung. 
Die Herren von Remdingen, 

die zum alten deutfchen Adel gehörten, beſaßen zwei Burgen, die den 
Namen Nemdingen trugen. Die eine lag zwiichen Wilferdingen und 
Singen, da wo jett noch eim Hof diefes Namens ich befindet. Die 
andere lag zwifchen Dietlingen und Schluttenbah im D. A. Neuenbürg. 
Ein Wolfardt von Remchingen wohnte ſchon 1165 einem Turnier in 
Zürich bei. In den folgenden Jahrhunderten ericheint diefes Gefchlecht in 
äußerst zahlreichen Gliedern, von denen manche im weitern Verlauf der 
Geſchichte Pforzheims noch vorkommen werden. Die Burg Remchingen 
(bei Witferdingen) mit Zubehörbe wurde 1429 von Markgraf Bern: 


Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 67 


hard von Baden an Gumpolt von Giltlingen. auf Wiebderloofung um 
4000 Gulden verkauft. Die von Remchingen bejaßen jedoch in der 
Mitte des 16. Jahrhunderts wieder einen Theil des Schlofies, den fie 
mit dem Dorf Langenfteinbah 1562 an Markgraf Karl IL um 45000 
Gulden verkauften. — Das Wappen der Remchingen zeigte auf brei- 
edigem Schild kreuzweis auf Stäbe gelegte Lilien. 
Die Herren von Gräfenhaufen (Grauenhufen), 

die ihre Burg beim Dorf gleiches Namens im Oberamt Neuenbürg 
hatten, fcheinen frühe ausgeftorben zu fein. Ein Adalbert und Liut— 
fried von Gr. kommen fhon im 41. Jahrhundert in Hirſchauer Ur: 
funden vor. In der Mitte des 13. Jahrhunderts treffen wir als 
Dienftmann der Grafen von Vaihingen einen Kraft von Gr., zu gleicher 
Zeit einen Albert von Gr. und defien Sohn Heinrich, melde ben 
Beinamen der Drofcheler, Troffiler, Troschelarii hatten. Letzterer erſcheint 
noch 1294. 

Grafen von Neuenbürg (Numwenburc, Novum Castrum) 
nannten ſich mand) Mal auch die mächtigen Grafen von Vaihingen, jo 
1289: Konrad von Vaihingen oder von Neuenbürg, — von denen 
bereits als eines Zweiges der Grafen von Calw (S. 37) die Rede war. 
Stadt und Schloß Neuenbürg waren zuerft calwiſch, dann eberfteinifch, 
dann vaihingiſch; Hierauf erhielten Beides die Markgrafen von Baden 
und zulegt die Grafen von Württemberg. 

Die Herren von Strubenhart (Strobenhart,. Straubenbart) 
beſaßen eine Burg in der Nähe von Neuenbürg. Sie kommen in 
Hirſchauer Urkunden fhon im 11. und 12. Jahrhundert vor. Ein 
Eberhard v. St. iſt in der Stiftungsnrfunde des Klofters Herremalb 
von 1148 aufgeführt und fommt im 12. Jahrhundert noch mehrfach) 
vor. Die Straubenharte befaßen ziemlich ausgedehnte Güter, fo zu 
Gräfenhauſen, das ihnen faft ganz gehörte, zu Pfinzweiler bei Neuen: 
bürg, zu Spranthal ıc. Im Jahr 1364 ftiftete ein Berthold von 
Strubenhart fammt feiner Gemahlin Gera eine Frühmefie auf Maria 
Magdalena Altar im Frauenkloſter zu Pforzheim. Die Straubenbarte 
waren im 14. Jahrhundert Mitglieder des Schleglerbundes, welcher gegen 
die immer mächtiger werdenden Grafen von Württemberg gerichtet war. 
Fre Vefte wurde 1367 won Eberhard dem Greiner erobert. Die 
Straubenharte erhielten diefelbe zwar 137& wieder zurück; bei ber Fort— 
ſetzung des Schleglerkrieges jedoch wurde die Burg Rn, ab Eher: 


68 Sicbentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 


bard und fein Sohn Ulrich von Württemberg gaben dem Markgrafen 
Bernhard von Baden 1381 die Zuficherung, den Wiederaufbau bderfelben 
niemals zu gejtatten. Man fieht noch Mefte davon im Wald bei 
bei Neuenbürg. — Die Straubenharte, deren einer, Schönhard von 
Straubenhard, in der Kirche zu Weiler begraben liegt, wie fein Grab: 
ftein zeigt und die auch im Pforzheim anſäßig waren, (ein Meb von 
Strubenhart beſaß um 1400 ein Haus hinter dem Prediger : Kfofter, 
und der alte Obervogt in Pforzheim, Chriſtoph Scherer von Strauben: 
bart ftiftete 1590 100 fl. ins dortige Almofen), befaßen die Burg im 
14, Jahrhundert gemeinfchaftlidh mit den 

Herren von Schmalenftein (Smalenftein), 
nachdem dieſe ihre bei Weingarten gelegene Stammveſte an die Pfalz 
verkauft hatten. Bei der Eroberung Strubenbarts 1374 wurden fünf 
diefer Herren, nämlib Hans, Großkunz, Kunz der Mutterfohn, Klein: 
funz und Neinbard gefangen genommen. 1382 verkauft Kunzev. Schm. 
feinen Antheil an Strubenhart ſammt Zugebör, fein Dorf Langenalb, 
ein Viertel des Dorfes Dobel, feinen Hof umd feine Reben zu Niebele- 
bach, auch alle feine Leibeigenen, um 900 fl. an die Markgrafen Bern- 
bard, und Nudolf von Baden. Das Geſchlecht der Schmalenftein erfcheint 
noch am Ende des 15. Jahrhunderts, nachdem faft alle feine Befißungen 
an Württemberg gelommen waren. 

Die Herren von Kapfenhart (Kaphenhart) 
bejaßen eine Burg. beim Dorf gleiches Namens in einem Seitenthal der 
Nagold bei Reichenbach. Diefelbe wurde 1299 von Hedwig, Wittwe 
Heinrichs von Kapfenhart, und ihrem Schwager, Friedrich von Enzberg, 
zum ewigen Heil ihrer Seelen dem Klofter Maulbronn übergeben gegen 
ein Leibgeding für die Frau und Kinder und Anſprüche dev letztern auf 
freie Wohnung im Klofter, fowie gegen Entrihtung von 100 Pfund 
Heller an genannten Friedrih. Diefelbe Edelfran machte 1305 ein 
Vermächtniß von 15 Pfund Heller an das Klofter Mechenshofen Die 
Burg Kapfenhart beſaßen am Ende des 13. Jahrhunderts die Herren 
von Enzberg und von Nippenburg. 

Die Herren von Liebenzell, (Liebencelle, Libincelle, Libvncelle) 
faßen auf der fog. Niefenburg auf einer Anhöhe bei der Stadt Lieben- 
zell an der Nagold, wo noch die anjehnlichen Ruinen derjelben, darunter 
ein Thurm römifhen Urfprungs, fihtbar find. Im 13. Jahrhundert 
fommt namentlich ein Ludwig von Liebenzell mit feinen Vettern Nein: 


Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 69 


bard und Wolfram vor. Bon feinem Streit mit der Markgräfin Ir— 
mengard von Baden wird unten die Rede fein. In der Folge machte 
er auch mehrfach Schenkungen an Herrenalb. Auf der Burg Liebenzell 
(in castro Libincelle) jtarb am 21. April 1284 Kunigunde, die Ge: 
mablin Rudolfs I. von Baden. Die Sage erzählt, daß die Burg Lie 
benzell einft von einem Markgrafen von Baden erobert und der Befiter 
derfelben, unter dem Namen des Tyrannen von Merklingen befannt, von 
dem Thurm berabgeftürzt worden fei. — Das Wappen der Herm von 
Liebenzell bildeten zwei von einander abgewvendete, vierzähnige Schlüffel. 

Der Herren von Stein zu Steined, 
welche im Befiß der nun in Trümmer liegenden Burg gewejen zu fein 
ſcheinen, bevor dieſelbe jammt dem jog. Gebiet an die Herren von 
Gemmingen gelangte, finden wir jhon im 12, Jahrhundert erwähnt, 
zu welcher Zeit ein Adalbert von Steine mit feinen Söhnen Reinbot, 
Reinhard und Konrad vorkommt. Ferner erfahren wir, daß 1324 ein 
Wolf von Stein und Wolf, feines Bruders Sohn, einen Vertrag mit 
Maulbronn fließen, kraft defien jene fein Necht an den Wald Hagel: 
ſchieß, und das Klofter keines an den Wald bei Steinegg haben, 
letzteres auch verbunden jein jolle, dem Herm von Stein jührlidy zwei 
Bundſchuhe und cinen Gürtel im Werth von 1 Schilling zu geben. — 
Ein Wolf von Stein war einer der drei Schlegelfönige, welche Graf 
Eberhard der Raujchebart von Württemberg 1395 zu Heimsheim ge: 
fangen nahm, Im Jahr 1442 kauft Dietrih von Gemmingen von 
einem Hans von Stein zu Steined die Hälfte des Städtchens 
Heimsheim, der jelber wieder diefes Beſitzthum von den Pflegern der 
MWittwe feines verftorbenen Bruders, Margaretha von Stein, und 
ihrer Kinder erftanden hatte. (Der Grabftein eines „Hans von Sten: 
ned” von 1519 mit Wappen [|Mühlrad] ift in der Schloßkirche zu 
jeben). 

Die Herren von Neubaufen (Newhuſen) 
find auch wenig befannt. in Hildebert und ein Helmwig von Neu: 
baujen kommen um 1100 in Hirfhauer Urkunden vor. Zu Anfang 
des 16. Jahrhunderts gelangte ein Reinhard von Neuhauſen in den 
Beſitz von Weißenftein, und findet fich fein Wappen (ein Löwe, der einen 
Aſt Hält) dafelbft eingehauen, 

Die Herren von Lehningen (Roningen) 
müfien früh wieder ausgeftorben fein, da ſchon im 15. Jahrhundert 


70 Siebente® Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 


die von Gemmingen den Drt Lehningen als badifches Lehen beſaßen. 
Im Jahre 1272 wird ein Werner von Lehningen genannt, befien 
Wittwe, Adelheid von Weil, ihrem Sohn Konrad im Klofter zu Her: 
renalb Verſchiedenes vermacht, wovon fie ſich jedoch die Tebenslängliche 
Nutznießung vorbehält. Dieſer Mönch, Konrad von Lehningen, kommt 
1275 in einer andern Herrenalber Urkunde als Zeuge vor, 
Die Herren von Heimsheim (Haimeshain, Haimishain, 
Haimensheim, Heimitheim) 

kommen fchon in frühern Hirfchauer Urkunden vor. Ein Heinrich v. 
H. ericheint 1181 als Zeuge in einer Herrenalber Urkunde, ein Albert 
v. H., welcher Mönch im Kloſter Bebenhaufen (bei Tübingen) war, ift 
1279 und 12851 mehrmals als Zeuge in Bebenhaufer Urkunden genannt. 
In Heimsheim hatten übrigens noch mehrere Adelsgefchlechter ihren Sit. 
Stadt und Schloß Heimsheim (Heimfen) fpielten im Schleglerfrieg eine 
Rolle. (Ein Heinrih von Heimsheim kommt 1263 aud als Pforzheimer 
Bürger vor.) 

Bon Öliedern anderer Adelsgefchlechter der Umgegend, bie (in 
Hirihauer Urkunden) ſchon im 11. und 12. Jahrhundert genannt wer: 
den, aber jehr bald wieder ausgeftorben zu fein feheinen, möge hier noch 
eines Helwinus von Bilfingen, eines Birtilo von Brößingen 
und 1075 eines Buob von Grunbah Erwähnung gefcheben, 


$ 3 Innere Verhältniſſe Pforzheims. 
(Schultheißen, Stadtrath, ſtädtiſche Abgaben, Klöfter ꝛc.) 


Ueber die innern Verhältniſſe Pforzheims zur Zeit des Anfalls an 
Baden und unter der Negierung Herrmanns V. und Rudolfs J., aljo 
im Laufe des 13. Jahrhunderts, läßt fih im Allgemeinen nicht viel 
Ausführlies angeben, da die Quellen noch immer jehr fparfam fließen, 
Indeſſen geftatten mandye noch vorhandenen Urkunden, fowie verſchiedene 
kurze Notizen, denen wir da und dort in Ältern und neuern Geſchichts⸗ 
werfen begegnen, wenigſtens einige Anhaltspunkte. 

Es ift bereis gejagt worden (S. 47), daß Pforzheim ſchon zur 
Pfälzer Zeit feinen eigenen Schultheißen beſaß. Welches der Geſchäfts— 
kreis desjelben war, wird im zehnten Kapitel ausführlicher auseinander 
geiet werden. Es genüge bier einftweilen die Bemerkung, daß der 


Siebenies Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 71 


Schultheiß ohne Zuthun der Gemeinde vom Tirften ernannt wurde, 
Doc fiel dabei feine Wahl meift auf angejehene Bürger der Stadt 
jelber. Der Schultheiß führte im Gericht der Stadt im Namen des 
Fürften den Vorfig, wie in der Folge Namens der Stadt im Rath der 
Bürgermeifter. Deswegen beginnen aud alle ältern Erlaſſe der ſtädtiſchen 
DOberbehörden mit der ftändigen Formel: Wir Schultheiß, Vürger- 
meifter, Gericht umd Math der Stadt ꝛc. Später wurde das Amt des 
Schultheigen einem jeweiligen Beamten übertragen. 

Um die Mitte des 13, Jahrhunderts, noch zur Zeit Herrmanns V, 
und vielleicht ſchon, als Pforzheim badifch wurde, bekleidete jenes Schult— 
beigenamt Erlewin Liebener. Er gehörte einem angejehenen Patri— 
ciergejchlecht der Stadt an, wird in manchen wichtigen Urkunden ale 
Zeuge aufgeführt und darin häufig vor andern Adeligen genannt. So 
fommt ev am 25. März 1240 bei einer Schenkung "des Pforzheimer 
Bürgers Wernher an das SKlofter Herrenalb vor; ferner bei einer 
Schenfung, weldye die Söhne Herrmanns V. ihrer Mutter im März 
1245 machten, um jie in den Stand zu jeßen, ben Bau des Kloſters 
Lichtenthal zu vollenden; jodann im Juli 1246 in einer Urkunde, laut 
welcher Bifchof Heinrich II. von Speier und das Domkapitel dafelbit die 
eben erwähnte Schenkung beftätigen, und endlih 1256 in einer weitern 
Urkunde, nad welcher die Mönche von Herrenalb einen Theil des Zehn: 
tens zu Dietenhaufen an fid) gebracht. Daß Liebener auch ein reicher 
Mann gewefen fein muf, geht daraus hervor, daß er im Jahre 1257 
in feinem Teſtamente feine Güter in der Altitadt dem Nonnenklofter der 
Dominikanerinnen in Pforzheim vermachte, daß er am 26. Januar 1259 
dem Kloſter Maulbronn ein Gut zu Königsbach jchenkte, wobei die 
Brüder Reinhard und Ludwig von Liebenzell, von benen er es gekauft 
hatte, fi) verbindlich machten, das Klofter in ruhigem Beſitz davon zu 
laſſen, wenn fie noch 25 Pfund Heller von Erlewin erhielten; — und 
daß er gemeinfchaftlich mit feiner Frau Mechthild vom fteinernen Haus 
am 22. Juni 1359 ein Hofgut vor dem Gröginger Thor zu Durlad) 
taufte, das letztere nach dem noch im nämlichen Jahr erfolgten Tode 
ihres Gemahls dem Kloſter Herrenalb ſchenkte. As Zeugen find in 
der Schenkungsurkunde unter Andern aufgeführt: Gobibertus, Kleriker 
von Wizinftein und Hugo, Priefter von Brebiheim (Brögingen ?). 

Auf Schultheiß Liebener mochte wohl unmittelbar Schultheiß 
Friedrich gefolgt ſein, der am 22. Februar 1290 einen Bermäctntß: 


72 Stebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert. 


brief des Prieſters Konrad von Neibsheim beglaubigt. Im Jahr 1292 
war bereits Heinrih von Steimar an feine Stelle getreten, welcher 
am 12. März j. J. eine Urkunde ausftellt, laut weldyer der Prieſter 
Eberhard, Sohn Albert Liebeners, dem Klofter Herrenalb eine Schyen: 
fung macht. Wichtiger ift ein anderes Schriftftüd vom Dezember 1295, 
weil daraus hervorgeht, daß unter den Schultheigenamt Steimars be: 
veits zwölf Bürger der Stadt als Geſchworene oder als Stabträthe 
gewählt waren. Mit ihnen erfahren wir auch verſchiedene Namen ber da: 
maligen Patriziergeſchlechter in Pforzheim (fiche unten). Sie biegen: 
Steimar der Ältere, Heinrih v. Durlach, Berthold, Sohn 
Gozolds, Albert Weife, Gotbold Weife, fein Bruder, — 
Erlewin, genamıt Rümmelin, Gozzold Liebener, Heinrich 
Rovte, Walther v. Vaihingen, Eberhard Steimar, Hein: 
rich, Sohn Kunos — und Boldmar, 

Welche innern ftädtifchen Einrichtungen Pforzheim im 13. Jahr: 
hundert ſonſt befaß, ift im Einzelnen ſchwer zu ermitteln. Wenn Mark: 
graf Rudolf 1258 das Klofter Maulbronn von Entrichtung bes „Zolles 
und Ungelts“ zu Pforzheim befreite; wenn ferner Markgraf Friedrich 
dem in der Stadt wohnenden Echaffner des Klofters Herrenalb mit 
AZuftimmung der Bürger eine ähnliche Befreiung von ftivre (Steuern) 
bete (Grunds und Gewerbfteuer), vsziehen (Ausziehen), burcichaft 
(Bürgihaft), wahtphennige (Wachtpfennig), torlon (Thorlohn), 
rovbbete (Maubbete), überhaupt von allen Bürgerleiftungen, Ab: 
gaben und fonftiger Dienftbarkeit gegen alleinige Entrichtung von jährlichen 
5 Pfund Heller angedeihen ließ, fo gebt daraus hervor, daß in Pforz: 
beim dergleichen Abgaben damals erhoben worden find. Auch der 
Zehnten jpielte eine wichtige Nolle, und befand ſich das Recht zur 
Erhebung desjelben nicht nur in den Händen des Adels und ber Klöfter ꝛc., 
fondern ging durch Kauf auch vielfach an Privatperfonen über. So kaufen 
die Brüder Werner, genannt Hopphin von Pforzheim, den Zehnten 
an der Straße nad Vaihingen von Wernher von Rofjewac und feiner 
Frau Eliſabeth am 23. Juni 1279 um 100 Pfund Heller; fo finden 
wir ferner, daß im Jahr 1295 (18. Nov.) Heinrih Hopfen (vielleicht 
der Sohn eines der eben Genannten) und feine Frau Ellinde dem 
Klofter Herrenalb neben einen halben Hof zu Hochdorf aud die Nut: 
nießung des achten Theils des dortigen Zehntens ſchenken ıc. 

Haben wir oben gefehen, daß Markgraf Rudolf fi wohlwollend 


Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 73 


gegen das Klofter Maulbronn bewies, jo können wir dasſelbe auch von 
einigen Bewohnern Pforzbeims jagen, wie denn bereits einer Schenkung 
des Schultheigen Erlewin Liebener an diefes Klofter erwähnt wurde. 1) 
Am 8, Oktober 1266 übergibt Mengozo, Bürger zu Pforzheim, dem 
Abt und Konvent in Maulbronn alle feine Gefälle bei Pforzheim um 
I Pfund Heller. Am 11. September 1291 vermaht Wortwin 
(Wörtwein), Rektor oder Dekan der Kirche zu Pforzheim, dem Kloſter 
Maulbronn ZU Schilling Heller und 21/, Ohm jährlichen Weingefälls 
in Kürnbach, auch 13 Ohm Wein und 4 Quartalien in Gindertbad) 
zu einem Jahrestag, der mit weißem Wein, Waizenbrod und Fiſchen 
begangen werden fol. Am 27. Januar 1293 vermacht Neinlind, 
Wittwe des Konrad Zehner in Pforzheim dem nämlichen Klofter ein 
Haus zu Speier in der Herdgafie und 4 Morgen Weinberg in Dürs 
renzimmern, 

Das Klofter Maulbronn, defien um das Jahr 1140 erfolgter 
Gründung bereits (S. 49) gedacht worden ift, gelangte nad) und nad 
zu jo reichem Beſitz, daß es an mehr als hundert Orten begütert war. 
Se gehörten ihm u. A. Güter, Rechte und Gefälle im württembergifchen 
DM Maulbronn (in den Orten Dürrmenz, Engberg, Jllingen, Mühl: 
ader, Delbronn, Detisheim, Wiernsheim , Wurmberg), in den Oberäm: 
tern Befigbeim, Bradenheim, Heilbronn, Leonberg, Mergentheim, Neuen: 
bürg, Stuttgart, Vaihingen, im jebigen Großherzogthum Baden in 
ben Aemtern Bretten, Brucfal, Bühl, Carlsruhe, Durlach, Eppingen, 
Pforzheim (in den Orten Pforzheim mit Kollaturrecht, [vergl. unten] 
Baufchlott mit Kollaturreht der Frühmefje, Düren, Kiefelbronn, 
Kiefern, Oeſchelbronn), Philippsburg, Schwetzingen; außerdem in der 
Pfalz noch viel Eigenthum. Im Befib des Klofters war auch ſchon 
1285 der Wald Hagenſchieß, (wenigftens ein Iheil davon), über 
welchen damals zwijchen dem Klofter und den Herren von Enzberg ein 
Streit entjtanden war. Derfelbe wurde dahin entichieden, daß dem 
Kloſter der Hagenſchieß gehöre; doch follten die von Enzberg das Recht 
haben, unter Auffiht des Klojters zum Bau von Speihern in ihrer 
Burg tannene Dielen daraus hauen zu laſſen. Ein ähnlicher Streit 
entftand fpäter 1324 wegen des Hagenjchießes mit den Herren v. Steined, 


1) Vergleiche hiezu die Negeften in Klunzingers Gedichte von Maul- 
bronn, ©. 15—4l, 


74 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert. 


ber im Weg des Vergleiche (©. 69) ebenfalls zu Gunften des Kloſters 
feine Entjcheidung fand, — Noch mag bier bemerkt werden, daß bie 
Wappen der Edeln, welche Maulbronn begabten, dort großentheils noch 
zu feben find, fo ans unferer Gegend die der Herren von Dürrmenz, 
Enzberg, Königsbach, Niefern, Remdingen, Roßwag, Lomersheim, Vai: 
hingen, Weißenſtein ꝛc. 

Solche Schenkungen an Klöſter lagen im Geiſte der damaligen 
Zeit, die gegen Kirchen und Klöſter im Allgemeinen ſehr freigebig war. 
Man gab Güter hin für ſein und der Seinigen Seelenheil, für ein 
Begräbniß in der Kirche, bei eigenem Eintritt in ein Kloſter, für ein 
aufgenommeues Kind, für ausgewirkte Abſolution, vor Antritt eines 
Kreuzzuges und dal. Wie viel ächte Frömmigkeit dabei mitwirken 
mochte, mag bier ummterfucht bleiben. So viel ift gewiß, daß Mancher 
fi durch derartige Gaben und Vermächtniſſe mit feinem Gewiffen am 
Beiten abfinden zu können glaubte. 

Wurden Schenkungen von Pforzheimer Bürgern vielfah an aue- 
wärtige Klöfter gemacht, jo hatten fi) auch die Klöfter der Stadt felbft 
gleicher Gunft zu erfreuen. Zu dem ſchon 1150 gegründeten ber 
Eifterzienferinnen kamen im Laufe des 13. Jahrhunderts auch die Klöſter 
der Dominikfanerinnen, der Franziskaner und der Domini: 
taner, 

Der Orden der Dominikaner, oder der Mönde und Frauen 
(28 Predigerordens, welcher zu Anfang des 13. Jahrhunderts (1206) 
durch den Gaftilianer Dominitus Guzmann gefkiftet wurde, fand fchnell 
große Verbreitung, und ſchon um 1250 muß den Do minifanerinnen 
ein Klofter in Pforzheim gebaut worden fein. Zum eriten Mal geſchieht 
vesfelben 1257 bei einer Schenkung Erlewin Liebeners Erwähnung 
(S. 71). Sodann kommt es wieder in einer Urkunde vom Jahr 1265 
vor, Die Gebänlichkeiten diefes Klofters, welches auch oft das rauen: 
Mofter zu Maria Magdalena oder der Büßerinnen heißt, be 
fanden ſich da, wo jest die Heil: und Pflegeanftalt fteht, und zwar da— 
mals und fpäter noch außerhalb der Stadtmauer („venwendif der more”). 
Das Klofter der Dominikanerinnen erwarb fih nah und nah ver: 
ſchiedene Güter und gelangte dadurch bald zu bebeutendem Beſitz. Se 
verfaufte Graf Konrad von Vaihingen den großen Zehnten dafelbft am 
30, Juni 1265 an bejagtes Klofter, fo übertrug am 26. Oktober 1265 
ber Geiftlihe (decamus) Gottfried von Vehingen (Vaihingen) jeinen 


Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 75 


Anteil am Zehnten zu Vaihingen an das Frauenkloſter vom Orden 
der Büßerinnen bei (apud) Pforzheim. Unter den Zeugen erſcheinen 
in der betreffenden Urkunde außer einigen Bürgern von Pforzheim auch 
Gottebreth von Weißenjtein, Rektor der Kirche zu Breccingen 
(Brögingen) und Heinrich, Pfarrer (plebanus) von Kuffelbrunne 
(Kieſelbronn); jo geftatten ferner am 28. Juli 1287 die Grafen Kon: 
vad und Heinrich von Vaihingen dem Frauenkonvent des Predigerordeng, 
unter gewifjen Vorbehalten eine Hofftatt zu Vaihingen zu Kaufen ıc. — 

Die Franziskaner (hiev auch Barfüßer, Minoriten, mindere 
Brüder) deren Orden 1209 vom heiligen Franzistus von Affifi geſtiftet 
wurde, ſiedelten ſich im Jahr 1270 in Pforzheim an, und vier Jahre 
nachher wurde ihmen bereits eine prächtige Kirche gebaut, die mit einem 
in gothiſchem Styl aufgeführten Thurm geſchmückt war. Das Franzis: 
kanerlloſter ſtand da, wo ſich jetzt die Taubſtummenanſtalt befindet, und 
noch iſt das Chor der Kirche erhalten und wird zu den Gottesdienſten 
der katholiſchen Gemeinde benutzt. Auf die Gründung dieſes Kloſters 
war ſicher die Anweſenheit des berühmten Franziskaners Berthold (Rache) 
von Negensburg CH 1272) in Pforzheim nicht ohne Einfluß. Diefer, 
ein feuriger Redner, der überall berumreifte, durch die überwältigende 
Macht jeiner Worte rohe Gemüther erſchütterte, die Ablafprediger be: 
tümpfte, als Friedensftifter auftrat und auf eine Verehrung Gottes im 
Geift und in der Wahrheit drang 1), predigte im Dftober 1259 unter 
ungeheuerm Zulauf aud in Pforzheim 2), und es liefert einen ſchönen 
Beweis von der eindringlichen Gewalt feiner volksthümlichen Rede, fowie 
von feiner MWirkfamkeit als Friedensapoftel, daß er den Ritter Ludwig 
von Liebenzell zu bewegen verftand, von feinen langjährigen Feindfelig: 
feiten gegen die verwittwete Markgräfin Irmengard abzulafien und fid 
nicht nur bezüglich einer Zehntabtretung an das Klofter Lichtenthal dem 
Ausſpruch eines Schiedgerichts zu fügen, fondern auch dieſem Kloſter 
das Patronatsrecht der Kirche zu Jffezheim mit allen anklebenden 


') Daje, Kirchengeſchichte, 3. Auflage, S. 328, und Kling, Berthold des 
Sranzisfaners Predigten (Berlin 1824). 
) Schon 3 Jahre vorher war er aud im Konftanz aufgetreten. Die 
Konftanzer Jahrbücher (in Mone, bad, Archiv I. 193) enthalten darüber 


folgende Notiz: „Anno Domini 1256 Brebiet Bruoder Bertolt ze Coſtentz 
zen erjien.” 


76 Sicbentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 


Rechten abzutreten. 1) Auch diefes Klofter erwarb fi im Laufe der 
Zeit anfehnliche Beſitzthümer, was fpäter den Mönchen nicht zum Bor: 
theil gereichte. So finden wir, daß Wernher von Roſewach und feine 
Frau, eine geborne v. Sternenfels, am 30. Juni 1284 demfelben 
einige Befißungen in Urach ſchenkten, während Letzteres wieder feinerjeits 
diejenigen Beſitzungen, welche ihm daſelbſt von Albert von Urach zuge: 
falfen waren, im April 1291 dem Kloſter Herrenalb übergibt ıc. Aus 
leßterer Urkunde erfahren wir auch, daß der damalige Guardian (Abt) 
des Klofters Dietrich hieß. Der Urkunde ift das Klofterfiegel (in 
bräunlichgelbem Wachs an Pergamentftreifen) angehängt. Es läßt fi 
darauf, fo weit es noch übrig, ein Engel mit einer Fahne über den 
Fegfeuer erkennen. 

Das Dominikanerklofter, auch Predigerkloſter zu 
&t. Stephan, wurde an die Stelle gebaut, wo ſich jebt die beiden 
Schulhäufer und der Schulpla befinden, Es fcheint dies im Jahr 
1279 gefchehen zu fein; denn damals bewilligt Markgraf Herrmann VII. 
ben Predigermönden, in Pforzheim ein Haus (d. 5. ein Klofter) zu 
bauen. Diefes Klofters ift in einer Urkunde des Klofters Rechenshofen 
von 1336 als beftehend zum erften Mal beftimmte Erwähnung gethan. 
Im Jahr 1340 ftiftete Mechthild, Wittwe des Heinrih Rot, einige 
Pfründen in diefes Klofter. Bei der Aufzeichnung ber geiftlihen Pfrün: 
ben und Gülten, weldye 1580 ftattfand, war ber ältefte noch vorhandene 
Kapitalbrief 1348 ausgeftellt. Diefes Klofter gelangte überhaupt bald 
auch zu großem Beſitzthum. (Mäheres weiter unten.) 

Einer eigenthümlichen Beitimmung bezüglich der geiftlidhen Güter 
begegnen wir im Jahr 1287 (30. März), Diefelben waren nämlid, 
in der Negel frei von Abgaben und Dienftlaften. Dadurch entging ber 
Herrſchaft ein Bebeutendes an Steuern, ebenjo ben Gemeindeeinnahmen, 
was den Bürgern um fo empfindlicher fiel, als die Gemeindelaften, 
namentlich auch die perfönlichen Leitungen an Frohnden, Wachten ꝛc., auf 
das Grundeigenthum gelegt waren. Die Bürger von Pforzheim, in deren 
Gemarkung fehr viele Kloftergüter Tagen, fuchten ſich Erleichterung zu ver: 
ichaffen, und wußten ben Markgrafen Herrmann VII, der vermuthlich ein 
Antehen bei der Stadt machen wollte (S.57), als Bedingung desfelben, bie 


1) Vergl. das Urkundenarchiv des Klofters Lichtenthal in Mones Zeit: 
ſchrift VAL, 95 und die von Dambacher gemadte Bemerkung. 


Siebentes Kapitel, Pforzheim im 13. Jahrhundert. 7— 


wahrſcheinlich dem Markgrafen ſelbſt nicht unerwünſcht war, zu einem Erlaß 
zu bewegen, durch welchen eine Verminderung der Güter in todter Hand 
verfügt und den Klöftern aufgegeben wurde, all ihr Tiegendes Eigenthum 
auf Pforzheimer Gemarkung binnen Monatsfrift zu veräußern. Dadurch 
war aber den Klöftern auch wieder eine Begünjtigung gewährt. Wurden 
isre Güter zum Verkauf ausgefett, fo konnten diefe die Bürger aller: 
dings erwerben; thaten leßtere dies aber nicht, jo konnten fie fi) in der 
Folge audy nicht mehr über Schmälerung ihrer Gemeindeeinnahmen be: 
Hlagen.?) 

Außer den Klöftern und ihren Kirchen begegnen wir in biefer 
Beriode wiederholt auch der Kirche zu Pforzheim Ob damit bie 
Kirche der Altftadt oder die Schloßfirche gemeint ift, weiß ich nicht. 
Vielleicht die erftere, da die Schloßkirche noch im folgenden Jahrhundert 
als Filial der Altjtadtfirdhe bezeichnet wird. In einer Urkunde von 1240 
fommt ein Morhard, Proviſor der Kirche zu Pforzheim vor. In 
einer andern von 1277 finden wir einen Dekan „Wortwinus“ (Wört- 
wein) als Zeugen aufgeführt. Daß derjelbe 1291 eine Schenkung an 
Maulbronn machte, it fhon (©. 73) erwähnt worden. In einer 
weitern Urkunde von 1282 wird bereits auch die St. Nikolauska— 
pelle in der Altjtadt genannt. Diejelbe lag neben dem Hirfchauer 
Hof, von weldem ©. 41 die Rede geweſen. 


$ 4 Umfang, Ausfehen, heile, Mamen und Siegel der Stadt. 
Eine Sprachprobe aus dem 13. Iahrhundert. 


Treudig war Pforzheim, nahdem aus dem Flecken eine Stadt ge: 
worden, berangeblüht, und es erfcheint ſchon im 13. Jahrhundert neben 
Baden als der bedeutendfte Ort der Markgrafihaft, der mit Mauern, 
Zwinger, Wall, Graben und Thürmen verjehen und vermöge foldher 
Befeftigung zu einer Zeit, wo das Schiefpulver noch nicht erfunden war, 
jedem feindlihen Anfall trogen konnte. Es iſt fehr wahrſcheinlich, daß 
die Befeftigungswerfe, deren Mefte ſich bis auf unjere Zeit erhalten 
baben, wie 3. B. die zwei alten Thürme in der Aue, der vieredige 
Thurm bei Kupferſchmied Machlet, die an verfchiedenen Stellen nod) 


1) Bergl. die Bemerkungen von Dambader in Mones Zeitfchrift, IE, 
236 fi. 


78 | Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert. 


vorhandene Stadtmauer ꝛc., lebtere wenigftens zum Theil, ans den 
43. Jahrhundert ftammen. 

Ein recht ftattliches Ausfehen, das ſich auch in den folgenden Jahr— 
hunderten wenig veränderte, mochte Pforzheim ſchon damals gewähren 
mit feinen eben erwähnten Befeftigungen, feinen Mauer: und Thorthürmen, 
wozu auch noch die Thürme mehrerer Kirchen Famen, die, wie aus dem 
Vorhergebenden erfihtlih, damals ſchon gebaut waren, namentlich aber 
auch mit feinen drei Vorftädten, deren Namen ſchon in fehr früher Zeit 
vorkommen. Die Altjtadt, die, wie bereits erwähnt, älter als die eigentliche 
Stadt ift und darum nicht, wie die Brößinger Vorſtadt, erft angebaut 
wurde, war von jener ganz getrennt, da der Zwiſchenraum zwifchen Stadt 
und Altitadt, alfo das ſpätere fog. Pfläfter (jet Sopbienftraße), damals 
noch nicht überbaut war, hatte eigene Mauern und Thore, und war 
überhaupt die Altſtadt nicht in dem engen Verband zur eigentlichen 
Stadt, wie das heut zu Tag der Tall. In dem Teftamente bes 
Schultheißen Erlewin Liebener von 1257, worin er den Pforzheimer 
Nomen Güter vermacht, fteben die bezeichnenden Worte: In veteri 
civitate juxta Phorzhein, d, h. in der alten Stadt bei Pforzheim. 
Noch im Jahr 1352 finden wir Konrad den Weingärtner, Wortwin 
den Weber und Konrad den Schopperer als befondere Richter der Alt: 
jtadt bezeichnet. Die Altftadt fcheint früher auch größer als jet ge: 
weien zu fein und erft im ZOjährigen Krieg nicht nur ihre Befeſtigungen, 
fondern aud viel von ihrem Umfang verloren zu haben. Aber aud) 
damals noc finden wir immer noch einen bejondern „Viertmeiſter“ der 
Altftadt. Wie die Altftadt, jo waren auch die Aue und die Brötzinger 
Borftadt mit befondern Befeftigungsmwerken verfehen. Jene iſt fehr alt, 
was ſchon der Umstand beweift, daß viele der älteften Familien ber 
Stadt aus der Aue abitammen, Die Bröginger Vorjtadt wird zum 
eriten Mal 1323 genannt. (Siehe unten.) 

Wenn Markgraf Rudolf I. feine Nefidenz, mit Baden und Eber— 
ftein abwechſelnd, zu Pforzheim hatte, jo kann daraus dev Schluß ge: 
zogen werden, daß in letzterer Stadt damals auch ſchon ein fürſtliches 
Schloß erbaut war. Jedoch fehlen alle fichern geſchichtlichen Nachweiſe 
über die Zeit der Erbauung eines jolhen. Der Name Schloßberg 
ſcheint indeß erſt ſpäter aufgekommen zu fein, da wir denjelben 1383, ja 
noch im 16. Jahrhundert als „Kilchberg“ oder „Kirchberg“ bezeich— 
net finden, Von fonftigen Häufern und andern einzelnen I heilen der Stadt 


Eiebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 79 


finden wir in alten Urkunden!) erwähnt: „Des Liebeners Hof“ 
in der Altſtadt 1257 und 1284, das „Haus des Blochelins“ 1206, 
ein „Frauenthor“ (porta dominarum) 1290, — und endlidy außer: 
bald der Stadt: „des Kürfhners Wingert“ (vinea pellificis) 1284. 

Was den Namen betrifft, den Pforzheim im 13. Jahrhundert 
trug, jo begegnen wir am häufigſten der Schreibweile Phorzbein, 
und da bdiefelbe aud in dem damaligen Stadtfiegel vortommt, fo muß 
fie als die offizielle und richtige betrachtet werden, 

Diejes Stadtfiegel, das fich, in Wachs abgedrüdt, an vielen Urkun— 
den des 13., 14. und 15. Jahrhunderts, das erſte Mal 1256 an einer 
Herrenalber Kloſterurkunde vorfindet, ift rund, zeigt, wie aus der hier 
befindlichen Abbildung zu erjehen ift, einen dreiedtigen, gemölbten Schild 





mit dem badifchen Schrägbalfen und der Umſchrift: SIGILLVM CIVIVM 
IN PHORZHEIN, b. 5. Siegel der Bürger in Pforzheim, 

Bei der ſchwankenden deutichen Ortbographie jener Zeit, die natür- 
lich noch feine allgemeine war, fondern immer nur den betreffenden 
Mundarten, diefen in der Regel aber mit größter Treue entiprad, darf 
es ung nicht wundern, wenn wir noch auf verſchiedene andere Schreibweifen 
des Namens der Stadt ftoßen. So wird diefelbe in der oben erwähnten 
Pfälzer Urkunde von 1195 „Phorceim”, in einer andern aus jener 


— — — — ne 


1) Meiſtens Herrenalbern. 


80 Eiebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert, 


Zeit „Porzeim“ (5. 43) genannt. In den Jahren 1256 und 57 
finden wir neben der richtigen Schreibweife auh Phorzheim, Phortzeim 
und Phorczen, 1266 Phoribleim, 1279 und 1284 auch Phorz- 
bain, 1287 neben Phortzhein and Pforzein, und tritt im folgen: 
den Jahrhundert neben dem Ph das Pf immer häufiger auf. Wir 
finden bdiefen Uebergang auch bei andern Ortsnamen, fo 3. B. bei 
Poren (bei Donauejchingen), das in Urkunden aus dem 9. Jahrhundert 
unter dem Namen Forra, Phora, Phorra vortommt. 

As Probe der damaligen Sprache unferer Gegend möge bie 
ältefte deutfche Urkunde des Klofters Herrenalb hier ftehen. Sie 
ift vom 28. Juni 1287. Alle ältern Urkunden, fowie auch viele fpätern, 
find in Tateinifcher Sprache abgefaßt. Doch begann im 13. Jahrhun— 
dert die deutjche Sprache fih nad und nach daneben geltend zu machen. 
Das erfte befannte Beifpiel, daß ein König, Konrad IV., eine Urkunde 
deutich ausſtellte, it vom Jahr 1240. Zu befierm Verſtändniß unten: 
ftehender Urkunde muß bemerkt werden, daß die Grafen Conrad und 
Heinrich von Vaihingen darin dem Frauenkonvent des Predigerordens 
in Pforzbeim zwar geftatten, das darin bezeichnete Eigenthum in Vai: 
bingen zu kaufen und frei zu befiten; aber von andern Gütern, die fie 
noch in Bau nähmen, müßten fie Bete geben; ohne Bewilligung der 
Grafen follten fie Feine neuen Güter erwerben; Güter, die ihnen ge: 
ſchenkt würden, follten fie den Grafen oder ihren Bürgern binnen Jahres: 
frift zu Faufen anbieten ıc. Man flieht daraus, daß die Grafen von 
Baibingen zu ganz Ähnlichen Maafregeln wie Markgraf Herrmann VII. 
griffen, um fich ihre Einkünfte an Steuern nicht ſchmälern zu laſſen. 

„Wir grave Guonrat und grave Heinrih von Veihingin duen kunt 
allen den, die dijen brief borent leſen, daz wir den fropwen von dem 
conuente der predier ordins ze Pforzein mit bedachtem muote und mit 
onferm ganzem willen vnd vnſerre erben han erlonbet zefoufenne eine 
boueftat ze Vaihingen, da fie mugen vf gebumwen ain büs, ain ſchiw— 
ern, vnd ain Gäden, 1) daz fie in der houereit ir zehenden, iv wagen, 
end ir karreche mugen geftellen, vnd fol div felbe bouereite wi fin, ez 
fi denne, daz fl ander guot buwen, egger, wifen, oder garten, der fol 
bete geben von ir wegen vnd von finen wegen nach dem guote, az er 
denne bumet. Sie fuln auch dehein guet furbaz me da gewinnen, wan 








N Hier wohl Schopf, Schuppen. 


Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 8 


mit vnſerm willen. gewinnent fie ez dar ober, fo ſuln wir, oder vnſer 
erben der jelben guotes vnderwinden. Iſt aber, daz in Albreht Kalt: 
ijen durch got, oder zekovfe dez jelben zehenden dailit 1) git, daz fol in 
dem felben vehte fin, alfe da vor gefchriben ftat. Furbaz me ift, daz 
man in durch got beheinerflahte 2) guot da git, daz fuln fie im der jare 
vriſte vns, oder vnſern burgern geben ze kaeufe. Die vor geſprochen 
frovwen vergehent ovch des mit vns am difen gegenwartigen briefen, 
daz fi durch wnfer liebe, vnd durch, onfer bete fulm begen aller unferre 
vordern järgezit, vnſer felbes, und aller vnſerre nad Fumen an dem 
fritage vor dem palme tage. Diz fint die gezuge, die am vnſerme 
dinge 3) waren, bie da nach gefchriben ſtant: her Albert der kirchere 
von Beibingin, Heinrich der Firdherre von Sarweſhein, Cuonrat von 
Sterrenvelz, Volrih von Wefingin, Heinrich von Remihingin, Lodewic 
und Stofelin von Horhein, dar nady die rihter von Baihingin, Albreht 
Kaltifen, Dietmar, Euonrat der Smit, Anfelm von Damme, vnd ander 
biderbe Tinte, die dar an waren. Daz biz ftete belibe vnd fefte, dar 
vmbe han wir vnſer jnfigel, des marcgrauen Hermans von Baden, vnſers 
jwefter mannes graue Eberhardes von Tumwingen, der rihter von Spire, 
der vor gefprochen frovwen, hern Dietribes eins ritters von Lomerfhein, 
und des von Enziberg bern Cuonrat, am dien gegenwartigen brief ge 
henlet. Diz geſchach, da von gotes geburte waren duſent jär, zewai 


hundert jar, vnde fiben vnd acizig jar, an dem Mendage nad fante 
Jacobs dage.“ 


85 Pforzheimer Geſchlechter. 


Es ift bereits (S. 71) angedeutet worden, daß Pforzheim eine 
Anzahl patrizifcher Geſchlechter bejaß, die fich durd ihren Reichthum 
augzeichneten. Es find dazu einige Erläuterungen nothwendig. Man 
muß im Mittelalter zwiichen einem Rand: und einem Stadtadel unter: 
fcheiden. Jener wohnte auf feinen Burgen, diefer in den Städten und 
bildete hier den angefebenjten Theil der Bevölkerung. Man findet diefe 
Erſcheinung in vielen ältern Orten. In den Händen diefes Stabtabels 
oder der Patrizier, die man häufig auch einfach „Geichlechter” oder 


1) Getheilt, nur in Theilen, 

2) Keinerlei. 

3) Berhandlungen. j 
Pflüger, Pforzheim. 6 


82 Eiebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Sahrbunbert. 


„Hausgenofien” bie, und die aus militärifchen Beſatzungen der Städte 
von frühern Jahrhunderten, in Pforzheim vielleicht fchen von der Calwer 
Zeit, hervorgegangen fein mochten, Tagen alle Theile der obrigfeitlichen 
Gewalt, und es wurde jorgfältig darüber gemacht, daß fich Fein Unberufener 
eindrängte. Als fich aber in manchen Städten nad) und nach die Korporatio— 
nen der Zünfte bildeten und diefe am jtädtifchen Negiment ebenfalls ihren 
Antbeil beanipruchten, Fam es vielfach, fo z. B. um 1330 in den Städten 
Speier, Worms und Mainz, zu Zunftempörungen, wodurch die Megie: 
rung der Batrizier geftürzt wurde und die Wertreter der Zünfte die 
Gewalt an fich riffen. Ob Aehnliches auch in Pforzheim gefchab, ver 
mag ich nicht zu fagen; mohl aber ift daraus, daß wir Glieder patri- 
zifcher Gefchlechter neh im 15. und 16. Jahrhundert fortwährend obrig- 
feitlihe Stellen befleiden fehen umd neben ihnen auf Handwerker ale 
ihre Kollegen ftoßen, der Schluß zu ziehen, daß die Gewalt fräter eine 
getheilte war. Die Geſchlechter vermifchten ſich übrigens in der Folge 
fo jehr mit den anderen Bürgern, daß ber Unterfchieb weaftel und man 
nur noch zwiſchen Bürgern (darunter der frühere Adel) und Nichtbürgern 
unterfchied. Das NAufzählen der vornehmſten und befannteften jener 
frühern Ratriziergefchlechter mag der Zuſammenſtellung der Namen von 
fonftigen Bürgern vorausgehen, wobei ber Vollftindigfeit wegen in ber 
Zeit ſowohl etwas zurüd: als vorwärtsgegriffen werden muß. Noch ift 
zu bemerken, daß fi das Andenken mancher Glieder diefer Patrizier: 
geichlechter in Grabfteinen erhalten bat, die ſich in ber Schloßkirche vor: 
finden, welche Begräbnißftätte, im Vorübergehen gefagt, auch wieber ein 
Beweis für den höhern Stand ift, dem die Betreffenden im Leben an: 
gehört haben. 
Tiebener. 

Des Schultheigen Erlewin Yiebener ift bei den Jahren 1240, 
1246, 1256, 1257 und 1259 bereits gedacht worden. Seinen hohen 
Stand mag das beweifen, daß er 1245 als Zeuge vor dem Nitter 
Kymo von Baden und im gleichen Jahr und in gleicher Eigenfhaft vor 
Konrad Schenk von Winterftetten genannt wird. Wir finden im 13. 
und 14. Jahrhundert nody mehrere diejes Geſchlechts, ſo 1256 einen 
Eberhard L., 1265 Heinrich L., 1275 Eberhard 8, (ältejter Grabitein 
in der Schloffirche, 1) wahrſcheinlich der nämlihe L. wie 1256), 1292 

) Er fteht an der Wand einer Eeitentapelle, und find Name und Jahr: 
zahl noch Teicht zu entziffern. 





Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 83 


wieder einen Eberhard und einen Albert L., 1296 Gozold und feinen 

Sohn Berthold L., 1339 Albert %., 1380 Gogold L. Für den Reid: 

thum der Liebener zeugt, was oben bereits davon gejagt worden ift. 
Weiß (Weiſe, Weifo, Waiſe). 

Die Weiß ſind ein uraltes Pforzheimer Geſchlecht. Schon in einer 
Urkunde von 1179 kommen ein Udalrieus und ein Herrmann Weio, 
wahrſcheinlich won Pforzheim, mit der Bezeichnung ingenwi viri, d. h. 
freigeborene Männer, vor, rjterer wird auch 1186 wieder als Zeuge 
in einer andern Urkunde genannt, worin Kaiſer Friedrich I. Barbarofia 
ben Berfauf von Gütern in Dertingen an Herrenalb beftätigt. Ferner 
finden wir von diefem Geichleht: 1256 Albert W., 1284 Berthold, 
Albert und Gottbold W,, 1295 Albert und Gottbold W. (als Stadt: 
räthe), 1302 Gottbold W., 1319 Sigfried W. und feine Frau Hedwig, 
eine Edle von Mönsheim, Albrecht, Trautwein und Gotthold W., 1321 
Albrecht, Erlewin und Gotthold W., 1328 Gotthold W., 1329 Heila 
W,, 1336 und 1338 Zigfrid W,, 1345 GSigfried und Werner N, 
(Beide haben Antheil an Gräfenhaufen), 1352 Sigfried, Hartmann, 
Wirhelm W., 1355 Walther W., 1376 Priefter Wortwein W., 1383 
Wernher W. ꝛc. Bon dem anggedehnten Beſitz und dem Neichthum 
der Weiß mag das zeugen, was umten noch über ihre Verkäufe und 
Vergabungen gejagt werden wird. 

Roth (Route, Rovte, Neuten, Rotte, Rot), genannt Vai— 
hinger oder von Vaihingen. 

Ein Gefchleht, das jih bis in die neuere Zeit verfolgen läßt. 
Ein Heinrich, genannt Veyhinger, kommt ſchon 1259 vorz der nämliche 
als Heinrich von Vaihingen 1263 und 1265; ein anderer Heinrich 
Rovte (vielleicht auch derfelbe) ift 1295 Mitglied des Stadtraths, ebenſo 
ein Walther von Vaihingen, 1328, 1332, 1347 und 1358 ftoßen wir 
wieder auf einen Heinrich R., welcher in letztgenanntem Jahr Schieds-⸗ 
mann in einem Streit zwiichen der Pfalz und der Stadt Speier iſt!); 
1358 kommen auch ein Eucharius und ein Günther N. vor; 1371 iſt 

Günther von Vaihingen unter den Pflegern des Frauziskanerkloſters; 
1396 Heinz R. und fein Sohn, (verk. ein Haus ꝛc. in der Altſtadt); 
1400 Konzlin und Heinrich Not; 1420 ein Johannes R., Prieſter 
Grabſtein in der Schloßkirche), 1428 Petrus Roth, genannt Vaihinger, 


1) Lehmann, Speierer Chronik, 769. 





84 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 


(Grabftein ebendafelbft); 1431 Großhans R., Richter (verkauft 1/, des 
Zehntens zu Nußbaum an Herrenalb), 1442 Hans R., ein württem: 
bergifcher Lehensmann, 1468 ‘Peter Rot, genannt Baihinger; 1487 Hans 
R., Pfarrer zu Mönsheim; 1515, 1539 und 1544 Eudarius Vai— 
binger, 1552 Hans R., 1609, 1623, 1643 Ulrich R., genannt Vai: 
binger, 1610 Bitus R., genannt Vaihinger, Pfarrer von Dietlingen ; 
1676 Peter R., (Zeugmacer) ijt letzte Spur diefes Gefchlechtes. Das 
Wappen desfelben fcheinen drei verichränfte, mit ben Spitzen in fenfrechter 
Richtung zufammenftoßende Vierecke geweſen zu fein. 
Hopf, (Horpdo, Hopphin, Hopfen). 

Dieſes Patriziergeichlecht ſcheint bald wieder ausgeftorben zu fein. 
Ein Eberhard H. ift 3 DB. 1256 Zeuge in einer Urkunde, welche die 
Gebrüder Berthold und Belreim von Meikenftein ausftellen; derſelbe 
ericheint auch 1265 mieder; die Gebrüder Wernber, genannt Hoppbin 
1279, ein Heinrih Hopfen 1295 :c. 

Imhof (im Houe, im Hove) 

Die Gebrüder Einhart und Günther (im Hove) kaufen 1279 die 
Dörfer Eutingen und Riefh (2?) von den Herm von Roßwag. Ein 
Volkmar ift 1295 Stadtrath, wahrfcheinlih ein Imhof, denn diefer 
Name kommt bei diefem Gefchleht noch mehrfah vor, fo 1319, 
1339 (Richter), 1347, 1396 (Richter); — 1321 erfcheinen ein Gün— 
tber J., 1354 eine Frau Mechthold, genannt die Einhardin im Hofe, 
ibre Tochter Pele, die Klofterfrau (ftirbt 1360 umd wird in Maulbronn 
begraben), und ihre Schweitern, die Legelerin und die Nappenberrin, bie 
aljo an Angehörige anderer Batriziergefchlechter verbeirathet waren. 

Tegel (Legelin, Legeler). 

1339 find Heinrich und Konrad L. Bürger und Richter in Pforz— 
beim; 1348 ift ein Kraft, genannt Legelin, Herrenalbiſcher Klofterpfleger 
in Pforzheim, 1400 kommt ein Wetzel Legelin vor ıc. 

Rappenberr. | 

Ein fehr reiches und angefehenes Gefchleht, das aber erft im 
14. Jahrhundert vorfommt. 1343, 1354 und 1356 begegnen wir einer 
Guta Rappenherr, von deren Meichthum ihre Verkäufe und Schenkungen 
von Gütern, Rechten ꝛc. an verichiedene Klöfter Zeugniß geben. (Siehe 
unten). Sie ftarb 1372 (Srabftein in der Schloßfirde). Im Jahr 
1345 verkauft ein Günther Rappenherr mit Sigfrieb und Wernher Weiß 
feinen Antheil an Gräfenhaufen um 414 Pfund Heller an Württemberg. 


Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 85 


Im Fahr 1380 kommt ein Dietrich Rappenherr vor; ein anderer Rap: 
penherr ift 1392 badiſcher Kanzler. 1400 wird eines Conz Rappenherr 
erwähnt ; 1429 ftarb Elsbeth, Tochter von Albert Wels und Gemahlin 
von Günther Rappenherr (Grabftein in der Schloftirche); ein Johannes 
R. iſt 1434 und 1452 Pfarrer und 1452 ein Dietrich Rappenherr 
Vilar; 1460 iſt eim Theodor N. Viear des Micyaelftifts; ein anderer 
dieſes Geſchlechts ericheint 1442 als württembergifcher Lehensmann ıc. 
Dieies Geflecht war auch in Weil der Stadt anfäßig und begütert. 
Unter den 1388 bei der Schlacht von Döffingen durd Graf Eberhard 
von Württemberg Gefangenen war auch ein Nappenherr von Wyl. Die 
Grabfteine der Rappenberre in der Schloßkirche find am dem Wappen 
mit 2 gegeneinander gekrümmten Fiſchen kenntlich. 
Steimar oder Steinmar. 

Ein Heinrih von Steimar erfcheint 1292 und 1295 alg Schultheiß 
in Pforzheim, ein Steimar der Aeltere und ein Eberhard St. gleichzeitig 
als Stadträthe. Ein Steimar vermacht mit feiner Frau Edelind 1324 
den Klöftern Herrenalb und Lichtenthal eine Gült von 8 Maltern Roy: 
gen zu Förch und Sandweier (bei Naftatt). 1371 kommt wieder ein 
Eberhard Stenmar fel. vor, defien Tochter Heilentrud eine Beguine 
(fiebe umten) war, 

Flad, (Blade, Flade). 

Im Jahr 1312 erfcheint ein Heinrich Flad mit feinen Kindern 
Konrad, Heinrich, Dietmar, Konrad, Elifabetb und Meta Flad. 
1322 wieder Heinrich F., derfelde 13%; 1347 und 1351 kommen 
eine Sanne Flad und ihre Söhne Heinz, Günther und Dietrich vor, 
und ftiften diefelben eine Frühmeſſe zu St Michael; 1371 Dietrich 
Flad, der von Lichtenthal ein Gut bei Au am Rhein lehnt; fein Bruder 
Günther Fı ift gleichzeitig Pfarrer in Pforzheim; 1400 und 1402 Hart: 
mann lad; 1401, 1407 und 1422 Heinz Flad, Schultheiß. Ein 
Bernhard Flad war 1460 unter den eriten Kanonikern des Michaelſtifts. 
Die Grabfteine von Konrad F. geft. 1422 und noch anderer diefes Ge 
ſchlechts ſind in der Schloßkirche. Sie find au dem Mappen mit einem 
laden (Kuchen) leicht zu erkennen. 

Goldelin, Göldelin, Goldener von Tiefenan. 

Ein reiches und angefehenes Gefchlecht, ven dem unten mehr bie Rede 
fein wird, das wir aber Hier der AJufammenftellung wegen aufführen. 
Diefem Geflecht gehörte unzweifelhaft ſchon ein Berthold an, ber 


86 Siebentes Kapitel. Pforzheim ım 13. Jahrhundert. 


1298 unter dem Namen „der Goldmann“ vortommt. 1328 war 
Wernher Göldlin Schultbeig in Pforzheim; 1371 ftirbt nad einem 
Epitaph in der Schloßkirche, über welchem ſich Iateinifche Verſe 
befinden, Yuitgarde, die Frau des Schultheißen Heinrih G., der ohne 
Zweifel identiſch iſt mit dem Scultheißen Heinz, Kunzen jel. Sohn, 
welcher 1359 eine Pfründe in der Schloßkirche ftiftete umd auch 1361 
erwähnt wird; 1371 kommen ein Heinrich und ein Wernher Goldelin 
vor; 1397 begegnen wir wieder einem Heinrich G. Mehr von ihm 
unten. Ein Mernher Göldlin machte 1412 dem St. Thomas und 
Andreas Altar in der St. Michaelskirche eine Stiftung von 1 Schill, 
6 Schillg. Pf. und 3 Faſmachtshühnern, die auf der Bleichwiefe am 
Meselgraben rubte. 
Goßlin oder Göflin. 

Ebenfalls ein durch Reichthum ausgezeichnetes Geſchlecht. 1340 
kommen Wernher und Walther Gößlin, 1348 und 1402 Tommt ein 
Aberlin Gößlin wor, der u. U. auch Befigungen in Heimsheim hatte; 
diefem Goßlin ſchuldete beifpielweife auch Heinrich II, Graf von Eber: 
ftein, 20 Pfd. Heller, und erbot fich, im Fall er acht Tage nach erfolgter 
Mahmımg nicht zahlen könne, einen Knecht mit einem Pferde auf feine 
Koften in eine öffentliche Herberge zu legen big zur gänzlid;en Tilgung.t) 
1368 und 1371 bekleidete ein Gößlin das Schultheißenamt, und ift der: 
jelbe vielleicht die nämliche Perfon mit dem Schultheigen Albert, der 1383 
dem Stift St. Maria zu den reden in Mainz eim Parthie Holz 
ſchenkt. Um 1400 kommen ein Wernher und Walther Göflin, 1402 
wieder ein Schultheiß Goßlin vor; 1419 ein Aberlin Gößlin, 1454 
ein Wernher Gößlin; 1460 gehörten Peter und Ib. Gößlin zu dem 
erften KRanonifern des Michaelſtifts; 1466 it Ib. Gößlin Pfarrer zu 
Pforzheim; 1533 und 1585 war ein Peter Goflin Bürgermeifter in 
Pforzheim ꝛc. 

Wels, 

Bon diefem Gefchlecht kommt ein Aberlin Wels ſchon 1376 vor 
und beſaß derjelbe ein Haus in der Brößinger Gaſſe. Doc fpielten 
die Welfe in Pforzheim erft im 15. Jahrhundert eine Rolle. Nach 
einen Grabfteine der Schloßkirche ftarb 1400 Anna Welfin, Ehefrau 
bes Marquard Plus. 1400 und 1422 lebten ein Hans, Konz und 


— — — — — 


ı) Krieg, Geſchichte der Grafen von Eberſtein. 





Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert. 87 


ein Albert W.; des letztern 1429 geftorbener, an Günther Rappenherr 
vermäblt geweſener Tochter Elsbeth iſt ſchon Erwähnung geicheben. 
Balthaſar Wels war 1470 und 1473 Schultheiß in Pforzheim und 
ſtarb 1476. Die Grabſteine der Welſe in der Schloßtkirche (fie liegen 
vehts vom Hanpteingange) find gewiß ſchon Jedem durch das viefige, 
aefrönte W, das fich darauf befindet, aufgefallen. 

Rumelin, Rümelin. 

Ein Erlewin Rumelin ift 1295 Stadtrath; derfelbe wird noch 
einmal 1296 und wieder 1304 mit feiner Tochter Tran Heilwig genannt, 
die an Herrenalb eine Schenfung macht. j 

v. Durlach. 

Ein Konrad v. Durlach erſcheint 1240; ein Heinrich der Jüngere 
v. Durlad) 1256; derjelbe (wahrſcheinlich) 1279; ein Heinrich v. Dur: 
(ach ift 1295 auch unter den oben angegebenen Stadträthen. Ein Zraut: 
wein v. Durlach ift 1347 unter den Stadtrichtern. 

Von noch anderm Bürgeradel, dem wir in einzelnen Gliedern begeg: 
nen, mögen hier angeführt werden: Sifried genannt v. Heimsheim 1263, 
Konrad der Schmied, genannt von Nußborf 1279, Konrad Bernhuſer 
(von Berndaufen) 1279, Ulrich von Winrefheim (Miernsheim) 1319, 
u. f. w. Bon andern Pforzheimer Bürgern, bei denen nicht unterfucht 
werben foll, ob fie zu den Patriecirn gehört haben oder nicht, kommen 
im 13. Jahrhundert vor: Wernher und feine Frau Judela 1240, 
Diether und Heinrich Gozold 1240, Guntram 1245, Berthold Mar: 
fhall 1256, Heinrich Snabil (Schnabel) 1256, Albert der Krämer 1256, 
Blohhelin 1256, Rufelin 1256, Konrad Genfelin 1256, Mengozo 1266, 
Mahtolf 1272, die Gebrüder Dietmar und Marguard 1279, Konrad 
Zehner 1293, Berthold, Sohn Gozolds 1296, Berthold Widmann 1300. 

Auch von diefen Bürgern fcheinen viele fehr bemittelt geweſen zu 
fein. Wenn ferner, wie ©. 76 erwähnt, Markgraf Hermann VII. in bie 
Lage kam, bei der Stadt Pforzheim ein Anlehen machen zu müfjen, fo 
mag ſich diefelbe auch in feinen ungünftigen WVermögensverhältniffen be: 
funden haben, 


$ 6, Eine Sage. 


Unter der Regierung Nudolfs I., nämlich im Jahr 1260 ober 
1267, ſoll fich im Pforzheim eine Begebenheit zugetragen haben, welche 


88 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 


in ältern Chroniken mit bald mehr, bald weniger wunderbaren Zuthaten 
erzählt wird. Da fie unzweifelhaft einen geichichtlichen Kern hat und 
einen Blick auf eine dunkle Schattenjeite der damaligen Zeit eröffnet, fo 
möge eine Kurze Erzählung derjelben audy hier ihre Stelle finden. 1) 
Ein altes Weib — jo lautet die Gefchichte — verkauft aus ſchnö— 
der Gewinnſucht ein jiebenjähriges Mägdlein, mit Namen Margaretha, 
an die Juden, Dieje verftopfen ihm den Mund, öffnen ihm die Adern, 
und umwinden es, um fein Blut aufzufangen, mit Tüchern. Nachdem 
das Kind unter der Marter geftorben war, wird es von den Juden 
unterhalb des Schleifthors in die Enz geworfen und mit einer Menge 
von Steinen bejhwert. Nach einigen Tagen redt es die eine Hand in 
die Höhe. Die Schiffer eilen voll Schreden hinzu und zeigen das 
merkwürdige Ereigniß in der Stadt an, Der Markgraf kommt ſelbſt 
berbei, und als das Kind aus dem Waſſer gezogen wird, richtet es ſich 
auf, bietet dem Fürften die Hand und fordert ihn zur Race auf. 
Darauf ſinkt es wieder todt zurüd, Man wirft nun einen Verdacht 
auf die Juden, und läßt fie zufammenfordem; und wie fie fich dem 
Leichnam nähern, fangen die Wunden von Neuem an zu bluten.2) Da: 
rauf bin geftehen die Juden die Greueltbat, das alte Weib ebenfalls, 
und werden nun allefammt theils geräbert, theils gehenft. Der Leichnam 
bes Kindes, das vom Volke als Märtyrerin betrachtet wird, kömmt in 
einen fteinernen Sarg, ber in der Schloßkirche beigefet wird und bie 
Auffchrift erhält: Margaretha a Judaeis oceisa ob, (iit) feliciter 
Anno Domini MCCLXVII Cal. Jul. fer, VL, d. 5. „Margaretha, 
von den Juden umgebracht, ftarb ſeliglich am Freitag den 1. Juli 1267." 3) 





') Quellen für bdiefelbe find: Sachs, U,, 16, der aber feinen Gewährs: 
mann, ben Thom. Cantipratanus (L. 11, Miraculorum et Memorabilium sui 
temporis) zitirt, welcher wieberum erzählt, daß cr die Geſchichte aus dem 
Munde zweier Orbensbrüber vernommen, Man ficht, daß viel „Hörenjagen“ 
bakei ift. 

2) Der Glaube, daß die Wunden eines Gemorbeten twieber zu fließen an: 
fingen, wenn der Mörder in die Nähe des Leihnams komme oder ihn berühre, 
war im Mittelalter allgemein verbreitet, und diente fogar als Mittel, um bie 
Schuld oder Unſchuld deſſen, der eines Mordes bezichtigt war, an ben Tag 
zu bringen, Man nannte ein ſolches Verfahren das Bahrrecht. 

3) Bon der Jahrzahl UCCLXVII kann übrigens das VII. aud zu Cal, 
Jul. gehören; dann wäre der Mord am 25, Juni 1260, (dev auch ein Freitag 
war,) erfolgt. 


Stebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Kahrhundert. 89 


Sämmtlihen Schiffen aber verlich der Markgraf zur Belohnung für 
das Auffinden des Kindes und zugleich als beftändige Erinnerung an 
diefes wunderbare Ereigniß für fih und ihre Nachkommen auf ewige 
Zeiten die Wachtfreiheit in der Stadt Pforzheim, zugleih aber aud) 
das Vorreht, dat alle Jahre am Frühjahrsmarkt 24 Schiffer mit 
flingendem Spiel und Ober: und Untergewehr auf dem Markte aufziehen 
und an diefem Tage die Stadt allein bewachen, fowie für Sicherheit 
des Marktes forgen durften. 

Zur Ergänzung obiger Wundergefchichte wird weiter erzählt,1) daß 
nad; eimer Aufzeihnung im Heiligenbuch des Dominikanerinnenklojters 
das Grab des Kindes im Jahr 1507 im Beilein des Kardinals Bern: 
bardinus geöffnet und der Yeichnam noch ganz unverwest gefunden worben 
ſei. Im Jahr 1647 hätte man denfelben jedoch in einem andern Zu— 
ftande, nämlich ganz dürr, doch fo, daß man die Nägel nod) hätte 
wahrnehmen fönnen, und mit abgefondertem Haupte im Sarge ange: 
troffen, und fei der Leichnam fo nad) Baden gebradht worden, 

Die ganze Gefchichte von dem „durch die Juden getödteten Mägd— 
lein® ijt ein wunderliches Gemiſch von richtigen Angaben und abergläu: 
bigen Zuthaten. Daß der Mord, abgejehen von allen Nebenumftänden, 
eine geſchichte Thatſache ift, läͤßt fich wohl nicht bezweifeln, da der fteinerne 
Sarg, der den Leichnam des gemordeten Kindes barg, in der Schloß: 
fire noch aufbewahrt und als ſolcher bezeichnet wird. Er ſteht rechts 
vom Haupteingang an der Wand, Die Inſchrift, die übrigens nicht in 
den Sarg eingehauen, fondern darauf gemalt ift, kann nicht mehr ent- 
ziffert werden, wenn ſich auch noch einzelne Buchſtaben derfelben erkennen 
lafien. (Ein anderer, aber größerer fteinerner Sarg mit Dedel fteht 
neben dem des Kindes.) Sodann war es in jenen Zeiten gar nichts 
Seltenes, daß man die Juden der Ermordung von Ghriftenfindern be: 
ſchuldigte, angeblich, weil fie das Blut derfelben zu magiſchen Zwecken 
mißbrauchen wollten. Solche Fälle ereigneten ſich nicht nur in Pforze 
beim, ſondern auch in noch andern Orten, Es waren überhaupt die 
Juden im 13, und 14. Jahrhundert bei jedem Anlafje den ſchrecklichſten 
Derfolgungen ausgeſetzt. Brad) irgendwo eine anftedende Krankheit aus, 
io hieß es, die Juden hätten die Brummen: vergiftet, und es mochte wohl 
häufig vorfommen, daß die Unglüdlichen, um den Qualen der Folter 


1) Bon Gamans; ebenfo in Maji vita Reuchlini, p. 109 seq. 


90 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert, 


ſich zu entziehen, Verbrechen eingejtanden, die fie nicht begangen batten. 
Bon den gräßlichen Audenverfolgungen des 14. Jahrhunderts wird weiter 
unten die Nede fein, 

Was nun den Zujammenbang betrifft, in welchen die Pforzheimer 
Flößerzunft mit diefer Wundergefchichte gebracht wird, jo ift fo viel 
richtig, daß die Flößer bis auf die neuere Zeit allerdings wachtfrei waren 
und von ihrem Ehrenreht, am Märzmarkt öffentlich aufziehen und die 
Stadt bewachen zu dürfen, unausgeſetzt Gebrauch machten. Der uralte 
Flößermarſch, der jedes Vial beim Anfzug geblafen wurde, hat fid) 
bei Vielen noch in Tebendiger Erinnerung erhalten.) Ob folder Ge- 
brauch jammt Wachtfreiheit ſich wirklich von oben erzähltem Ereigniß 
berichrieb, müffen wir dahin geftellt fein laſſen. Daß übrigens im 
13. Jahrhundert ſchon eine geordnete Flößerzunft in Pforzheim beitand, 
ift fehr wahrſcheinlich wenn auch die Urkunden erft im folgenden Jahr: 
hundert über das Floßweſen jener Zeit helleres Licht verbreiten. 2) Die 
Flößerei ift jedenfalls in Pforzheim fehr alt (S. 24), und mag den 
frübeften eigenthümlichen Nahrungszweig der Bewohner gebildet haben. 


1) Verfaſſer dieſer Gefchichte hat fich diefen Marfch von einem alten Flößer 
vorpfeifen Taffen und ihn im folgender Meife notirt: 





2) Auf eine Spur von Flößerei ſtößt man in einer Herrenalber Klofter- 
urfunde vom 23, März 1294. — 


Adtes Bapitel 


.— —— — 


Pforzheim während der mehrfach erfolgten Theilungen und Zer—⸗ 
ftüchelungen der Marfgraffchaft Baden bis zur Wiedervereinigung 
des Getrennten, (Meift 14. Jahrhundert.) ') 


$ 1. Allgemeines. 


Die Geſchichte der Markagrafihaft Baden bietet nad) dem Tode 
Rubolfs I. und faft während des ganzen vierzehnten Jahrhunderts das 
unerfreufiche Bild mehrfacher Theilungen und Zerflücelungen, wodurch 
nicht nur eine weitere Träftige Entwidlung der Markgrafichaft in der 
Meife, wie foldye unter Herrman V. und Rubolf I. begonnen, unmöglich 
gemacht wurde, fondern auch eine auffallende Abnahme des früher erwer: 
benen Anjehens erfolgte. Indeſſen wand fich doch das badifche Fürften: 
geſchlecht durch alle diefe Theilungen am Ende noch glücklich hindurch, 
bis Nudolf VI. oder der Lange im Jahr 1368 die getrennten Lan: 
bestheile wieder vereinigte und fein Nachfolger Bernhard der Große, 
wenn auch erft nad) nochmaliger, aber vorübergehender Halbirung 
(1380 bis 1391), als der dritte Gründer der Markgrafſchaft Baden 
auftrat. 

Nah dem Tode Rubdolfs I., welcher im Jahr 1288 erfolgte, 
wurde fein Land unter feine 4 Söhne, Herrmann VII, Rudolf IL, 
Heſſo und Rudolf IIT., getheitt. Die Stadt Pforzheim kam dabei 
an Herrmann VII, welcher übrigens ſchon bei Lebzeiten feines Waters 
Antheil an der Negierung genommen und unter Anderm die ſchon 
(S, 76) erwähnte Verminderung von Gütern in todter Hand (im 
Jahr 1287) verfügt hatte. Diefer Herrmann VII. war auch der 
Fertpflanzer des markgräflichen Stammhanfes, indem zwei feiner Brüder, 


') Die Hauptquellen find größtentheils biejelben, wie im vorhergehenden Kapi: 
tel, Wonoch andere Quellen benügt wurden, find fie unter dem Tert angegeben, 


92 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


nämlich die beiden Rudolfe, kinderlos verſtarben, der andere, Heſſo, zwar 
zwei Söhne (Herrmann VIIL, und Rudolf Heſſo) hinterließ, die indeſſen 
ebenfalls ohne männlihe Nachkommen mit Tod abgingen. Dadurch, 
ſowie durch Heirathen gelangten ihre Befißungen fpäter wieder an den 
Hauptitanım ihres Geſchlechtes zurück. Aber aud bier erfolgten noch 
mehrfache Theilungen. Markgraf Herrmann VIL, der feinen Bater nur 
um drei Jahre überlebte, und jhen im Jahr 1291 ftarb, hinterließ 
drei Söhne, Friedrich IL, Rudolf IV. und Herrmann, wel 
fetsterer aber fhon als Kind feinem Vater in die Ewigkeit nachfolgte. 
Rudolf war in feiner Augend für den geiftlichen Stand beftimmt wor: 
ben und befleidete 1302 bereits die Stelle eines Chorherrn zu Speier. 
Er Tegte indeffen fpäter das Priefterkleid wieder ab und verwaltete mit 
feinem ältern Bruder Friedrich gemeinfchaftlich die Landestheile, welche 
ihnen ihr Vater als Erbe binterlaffen. Diefe gemeinfame Regierung 
börte aber bald auf, da die beiden Brüder es für gerathener 
fanden, zu einer Theilung ihres Landes zu fchreiten. Rudolf IV. erhielt 
daber nebſt andern Befigungen die Stadt Pforzheim, die er nad 
erlangter Volljährigkeit zu feiner Nefidenz wählte und von welder er 
den Namen: „Herr zu Pforzheim“ führte. Zum Unterjchied von 
feinem damals noch lebenden Oheim, Rudolf IIL., heißt Rudolf IV. auch 
der Junge; mand Mal wird er aud der Weder genannt, Es wird 
weiter unten von ibm noch mehrfach die Rede fein, 

Bezüglich des Stammes Friedrichs IT. fei nur in Kürze bemerkt, 
daß derjelbe mit feinem Sohn Herrmann IX. wieder ausftarb, weshalb 
alsdann die dahin gehörigen Beſitzungen an die Nachkommen Rubolfs IV, 
fielen. Defien Söhne waren Friedrich III. und Rudolf V. Erfterer 
nahm feinen Sit zu Baden, Letzterer zu Pforzheim, weshalb er auch 
den Titel feines Vaters: „Herr zu Pforzheim“ fortführte. Gleich 
diefem und noch häufiger als der Bater heißt and Rudolf V. der Weder. 
Er jtarb 1361 in Pforzheim kinderlos, weshalb alle badifchen Befitungen 
in ber Hand des Schnes feines ältern Bruders, nämlid Rudolfs VL 
oder des Langen, wieder vereinigt wurden. In dem Lebenbrief, den 
ihm Kaifer Karl IV. 1362 ausftellte, ift zum erften Mat offiziell von 
„einem Fürftentbum der Markgrafſchaft Baden” die Rede. 
Kam es auch bald mac feinem Tod, welder 1372 erfolgte, zu einer 
neuen Theilung feines Landes umter feine zwei Söhne Bernhard I. und 
Rudolf VIL, fo fielen doch des Lebtern Beſitzungen bei feinem Abſterben 


93 


Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


terregn um 
* ————— 
Rudolf von Habsburg 
1273-1291: 
Adolf von Naſſau 
1291— 129. 
Albrechtl. 1298— 1308, 
Heinrich VII, 
1308 —1313. 
Lubwig der Baier und 
riedrich non Oeſterreich 
313—1330 bez. 1347: 





Rudolf I. + 1288. \ 
(Rforzheim.) 
Herrmann VIT. 1291. Rudolf I. + 129%. Heſſo + 1297. Rudoelf IN. + 1332. 
(Pforzheim.) 
Friedrich IE. + 1333. Rudolf IV. + 1348. Herrmann 1300. Herrmann Hr, Rudolf Heflo + 1335. 
(Herr zu Pforzheim.) 
En — —— — PER 


—ñ———— —— 








| ET nn 


Karl IV, 1847—1373.|Herrmann IX. + 1353. Friedrich INT. + 1353 Rudolf V. + 1361, Margaretha, Adelheid, 
| (Herr zu Pforzheim.) . Gemahlin Gemahlin 
| Friedt. IM. Rudolis V. 
Wenzel 1378 — 1400, Friedridd und Rudolf Rudolf VI + 1372. Ä 
7 als Kinder. (Pforzheim.) 
——— — —— — — 
Bernhard I. + 1431. Rudolf VII. + 1391. 
(Rforzheim.) 


94 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


im Jahr 1394 wieder an jenen zurüd, jo daß BernbardI oder der 
Große wieder Herr der ganzen Martgrafichaft Baden war. 

Vorftehende genealogifhe Tabelle, weldhe die Zeit von Rudolf I. 
bis zu Bernhard I. umfaßt, wird behufs leichterer Ueberſicht ſowohl der 
badifchen Gejchichte im Allgemeinen, als der Stadt Pforzheim, ſoweit 
fi) diefelbe auf die Herren von Pforzheim bezieht, eine nicht umer: 
wünſchte Zugabe fein. Die damit verbundene Reihenangabe der deutichen 
Kaifer mag demjenigen, der eine nähere Kenntniß der deutichen Geſchichte 
befigt, ebenfalls zu befjerer Drientirung dienen, 


$ 2.  Befonderes. 
(Bforzbeim nah Außen.) 


Da Pforzheim in damaliger Zeit die bedeutendfte Stadt der Mark— 
grafichaft und Mefidenz mehrerer Markgrafen war, die fich zum heil 
nad ihr benannten, jo kann es nicht auffallen, daß fie bei manchen 
Negierungsbandlungen, namentlich Fehden ihrer Herren, die im jener 
unrubvollen Zeit jo häufig waren, genannt wird, und nicht felten auch, 
wie ſchon früher, in den Strudel der Ereigniſſe bineingezogen wurde, 

Im Jahr 1314 war es nach den Tod des Kaijers Heinrich VIL 
von Luremburg bei der Erwählung eines neuen Kaifers leider zu einer 
Doppelwahl gefommen, indem ſich ein Theil der Stimmen auf Ludwig 
von Baiern und der andere auf Friedrich den Schönen von Defterreich 
vereinigte. Daraus entftand ein achtjähriger verbeerender Krieg, der erft 
1322 durdy die Schlacht von Mühldorf, in welcher Friedrich gefchlagen 
und gefangen genommen wurde, ſein Ende fand. Die Markgrafen von 
- Baden ftanden zuerjt auf der Seite Friedrichs von Defterreih, und da 
die nahegelegene Stadt Speier dem Kaifer Ludwig gehuldigt hatte, fo 
wurde fie vom Bruder Friedrichs, dem Herzog Leopold von Defterreic, 
mehrmals belagert, fo im Jahr 1320, wobei ihm Markgraf Rudolf IV. 
Hilfe leiftete. Unter den Städten ,. welche das Ihre dazu Keitrugen, 
wird neben Durlah, Stellhofen, Befigheim und überhaupt 88 andern 
aud Pforzheim genannt. 1) Nachdem ſich jedoch das Kriegsglüd für 
Ludwig von Baiern entſchieden hatte, ſchloſſen ſich die Markgrafen von 


1) Lehmann, Chronifa der freien Reichsſtadt Speier, S. 761. 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 9 


Baden an diefen an; Mudolf IV. föhnte ſich alsdann ach mit der Stadt 
Speier wieder aus, und erfeßte ihr den Schaden, den er ihr zugefügt, 
durch Erlegung einer Summe Geldes. 

Im Jahr 1338 trat die Burg Weißenſtein ſammt Zubehör, 1) 
fowie theilweife aud Pforzheim, in ein eigenthümliches Lehenverhältniß 
zu Mainz. Nacd den wenigen und Furzen Notizen darüber, welche noch 
vorhanden find, ?) mag der Sachverhalt folgender gewefen fein: die erfte 
Gemahlin Markgraf Rudelfs IV. war Luitgarde, Mittwe des Grafen 
Albredst von Löwenſtein. Bald nad ihrer Vermählung, melde 1322 
erfolgte, gab fie für ihren minderjährigen Sohn erfter Ehe ihrem num: 
mehrigen Gemahl das Städtchen Bönnigheim und die Burg Magen: 
beim 3) zu kaufen, eine Veräußerung, welche 1329 der indeß volljährig 
gewordene Sohn Yuitgardens, Graf Nikolaus von Köwenftein, beftätigte.?) 
Nun ftanden aber jene beiden Orte unter mainzifcher Oberlehensherr: 
fichkeit, weshalb Markgraf Rudolf von dem Erzbifchof von Mainz damit 
belebnt ‚wurde. Bald darauf, nämlich 1338, verkaufte er jedoch Bönnig— 
beim “wieder an einen deln von Sachſenheim. Es fcheint dabei 
die Kehensverbindlichfeit gegen Mainz unter der Bedingung aufgehört zu 
haben, daß der Markgraf andere eigentbümliche Güter an Mainz über: 
gab, und von dort wieder als Lehen zurüdempfing, und zwar die Burg 
Weikenftein fammt Zubehör, ferner das Schultheißenamt, das 
alte Ungeld und alle Mühlen zu Pforzheim. Dieſes Lehen: 
verhältnig dauerte mehrere hundert Jahre. 

Auf Ludwig den Baier folgte Kaifer Karl IV. Als derielbe nad 
Beendigung des Neichstages von Nürnberg 1347 die oberrheinifchen 
Städte befuchte, hielt er fih, von Leonberg kommend, auch bei dem 
Markgrafen Rudolf IV. am 9. Dezember zu Pforzheim auf und 
nahm in der Stadt, wahricheinlih im marfgräffihen Schlofie, fein 
Nachtquartier. Non bier aus befahl er den Landvögten Eberhard (dem 


) Tiefe beftand in dem Thal Weißenftein mit den Höfen und Höufern 
Diliftein und Falkengarten umd andern dergl. Höfen und Hänfern, allen Steuern, 
Fülten, Etrafen, Frobndienften, Benützung von Wald, Waide und dem Zehn— 
ten von Büchenbronn, ferner der Mühle zu Weipenflein, den Wäldern Wafferz, 
Mübl: und Zwerchhalde und dem Waſſerzoll. 

2) Bergl. Sache, I, 280 und Lotthammer, Pforzheims Vorzeit, 169, 

3) Beide liegen im heutigen wilrttembergiichen Oberamt Befigheim, 

+) Stälin, II,, 683. 


96 Achtes Kapitel. Pforzheim ım 14. Jahrhunbert, 


Greiner oder Rauſchebart) und Ulrich von Württemberg, das Klofter 
Herrenalb, das er in feinen Schirm genommen, zu jhüten, und beftätigte 
der Deutichordenstommende zu Ulm den Befit der Pfarrkirche zu Herr: 
lingen. Am folgenden Tag ſetzte der Kaifer feine Reife nad) Baſel fort. 

Auf Markgraf Rudolf IV., der 1348 ftärb, folgten, wie ſchon 
erwähnt, jeine Söhne Friedrich III. und Rudolf V. Beiden buldigt 
am: Dienftag nad St. Nikolaustage 1348 die Bürgerihaft von Pfor z— 
beim und ſchwört „den bochgeedelten Markgrav Friedrichen und Mark: 
grad Nudolfen, genannt dem Weder, Gebrüdern von Baden und Herm 
zu Pforzheim, ſich mit ihrem Leib und Gut, mit ihren Weibern umd 
Kindern niemals von ihnen zu entfremden.” Durch ſolche Huldigungen 
fuchten die Fürften eimerjeits die Landftädte jelbft fefter an ſich zu Ketten, 
damit fie nicht von den Meichsftädten, die damals in Kräftigfter Blüte 
ftanden und zur Beichräntung der fürftlichen Macht fi) durch Bündniffe 
fejter aneinander ſchloſſen, in ihr Anterefje gezogen und vom Gehorjam 
gegen ihren Landesherrn abwendig gemacht werden möchten; andererfeits 
wollten fie dadurd auch verhindern, daß nicht einzelne Bürger ſich von 
den Reichsſtädten als. fogenannte Pfahlbürger aufnehmen ließen oder zu 
andern Herrn zögen. Es läßt fi annehmen, daß die benachbarten 
jhwäbiichen Reichsſtädte es Pforzheim gegenüber an folden Verſuchen 
nicht fehlen Tießen, Aehnliche Verficherungen wie der Markgrafen von 
Baden ließ fich um jene Zeit auch der Graf von Württemberg von den 
Städten Böblingen, Bradenheim, Xeonberg ꝛc. geben, und fogar noch 
den Zuſatz machen, daß fie im Fall der Entfremdung „als treulos, 
ehrlos und meineidig feiner Herrſchaft mit Leib und Gut gänzlich ver: 
fallen wären. #3) Im Jahr 1382 ließ ſich Markgraf Bernhard fogar 
ein Privilegium von Kaifer Wenzel darüber ausftellen, daß Niemand 
von Fürſten, Herren oder Städten einen badifchen Unterthan in fein Land 
oder Burgredyt aufnehmen folle. 

Zu den vielen ftaatlichen Wirren gejellte fi damals noch eine 
andere Noth. Der Schwarze Tod, eine furchtbare Seuche, welche 
Erdbeben, furchtbare Stürme und Hungersnot porausgingen, war durch 
Kaufleute aus dem Morgenlande nach Italien verfchleppt worden und 
verbreitete fich von dort aus über ganz Europa mit folder Wuth, daß 
in wenigen Jahren vielleicht zwei Drittel der ganzen Bevölkerung unferes 


') Stälin, II, 331. 


Achtes Kapitel, Pforzheim in 14. Jahrhundert, 97 


Erdtheiles hinweggerafft waren, Beſonders viel Dpfer forderte biefe 
Peft in den Städten, von denen manche ganz weröbeten. Go ftarben 
3.2. in Villingen 4000, in Bafel 14,000, in Straßburg fogar 16,000 
Einwohner. 1) Es fehlen uns nähere Nachrichten über das Auftreten 
diefer Seuche in Pforzheim und die Verheerungen, welche fie daſelbſt 
angerichtet; fie mag indefien in diefer Stadt nicht weniger als ander 
wöärts gewüthet Haben. Damals war es auch, daß ſich der rohe Fana- 
tiemus des Volkes gegen die Juden wandte und diefe ohnehin vechtfofe 
Bewohnerklaſſe befchuldigte, die Peſt durch Vergiftung der Brummen ꝛc. 
berbeigeführt zu haben. Es ergingen deshalb über bie Juden die bu: 
tigften Verfolgungen. In Konftanz 3. B. wurden 27 Juben, denen 
man Täfterlihen Muthwillen mit dem Sakrament des Altars vorwarf, 
lebendig verbrannt, und 1348 mußten fogar alle Juden, welche ſich 
wicht zum UWebertritt in die hriftliche Kirche verftanden, den Feuertod 
erleiden. In Baſel wurden die Unglücklichen in eine hölzerne Hütte, 
die auf einem Rheinfloß erbaut war, eingefperrt und ſammt dieſem 
und jener 1349 den Flammen preisgegeben. Einige Tage nachher über: 
lieferte die Stadt Freiburg alle Juden dem Teuertode; Gleiches geſchah 
zu Breifah, Neuenburg und Endingen. Der Magiftrat der Stadt 
Straßburg ließ im nämlichen Jahr 900 Juden Tebendig verbrennen. 
In Eplingen verfchloffen fich die „Juden felber in ihre Synagoge und fteckten 
ſolche in Brand. In Pforzheim mag man mit ihnen nicht glimpflicher, als 
anderwärts verfahren fein; denn daß Juden daſelbſt wohnten, beweist der 
ſchon früh vorfommende Name ber „Judengaſſe.“ (Vergl. auch S. 88.) 
Man rechnet, daß in dem einzigen Jahr 1348 nicht weniger als 12,000 
Juden durch foldhe Verfolgungen ihren Tod gefunden haben.) Waren 
letztere der ftärkfte Ausflug des Fanatismus, den der ſchwarze Tod 
erzeugt hatte, fo veranlaßte anf der andern Seite der tiefe Eindrud ber 
herrſchenden Peft das Aufkommen einer Sekte, welche durch Geifelungen 
und Geifelaufzüge den Zorn Gottes verföhnen mollt. Man nannte fie 
deshalb Geisler, (Flagellanten, Flegler). Sie zogen von Ort zu Ort 
in ganzen Schaaren, gewöhnlich eine prächtige Fahne voraus, wurden 
mit Glodengeläute empfangen und trugen Mäntel und Fleine Hirte mit 
rotben Kreuzen, Ihre gemeinfchaftlichen Selbftpeinigungen bejtanden 

) Baber, bad. Landesgeſchichte, S. 292, 
*) Bergl, Bader, bad. Landesgeſchichte, S. 292 und Stälin UII., 244. 
Pflüger, Pforpbeim. nn 7 


rim! 9* 14 
t Mae Ze *244 


98 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


barin, daß fie fich der Neihe nach auf die Erde nieberlegten, worauf 
ihr Meifter ihren emtblößten Rüden fo Tange geifelte, bis das Blut 
ſtromweis berunterlief. Ein folder unheimlicher Geislerihmwarm zog im 
Frühjahr 1349, von Würzburg berfommend, auch durd) unfere Gegen: 
den,!) und mag neben Weil der Stadt, Calw, Herrenberg, Tübingen 
und andern benachbarten Städten, wo fein Erſcheinen geſchichtlich nach— 
gewiefen werden kann, auf feinem Ing, der zuleßt durch Baden nad 
dem Elſaß ging, auch Pforzheim berührt haben. 

Am Jahr 1361 am Dienftag nah Oculi verlieh Kaiſer Karl IV. 
dem Markgrafen Rudolf VI (dem Langen) zu Nürnberg die Freiheit, 
für fid) und feine Nachktommen in ber Stadt Pforzheim vom Wein 
und Getreide ein Ungeld zu erheben, und zwar im ähnlicher Weiſe, 
wie dies durch andere Fürſten auch gefchehe. 2) Die betreffende Urkunde 
lautet : 3) 

„Wir Karl von Gottes Gnaden, römiſcher Kaifer, zu allen Zeiten 
Mehrer des Reichs und König zu Boheimb, befemen und thun Fund 
öffentlich mit diefem Brief allen denen, die ihn ſehen und hören leien, 
daß wir haben angejehen ftete und getreue Dienfte, die ung und dem 
heiligen Neiche der hochgeborene Rudolf der Jüngere, Markgraf zu 
Baden und Herr zu Pforzheim, oft gethan hat und thun fol und mag 
in künftigen Zeiten, und haben ihm von unfern jonderlichen Gnaden 
fold) Gnad gethan und thun auch mit diefem Brief, daß er und jeine 
Erben in jener ehgenannnten Stadt Pforzheim ein Ungeld auf Wein 
und Korn aller Früchte feßen, und davon nehmen mag und jollend, nach 
des Landes Recht und Gewohnbeit und ohne alle Gefährde, als wir und 
des Reiches Fürften und Herren in Unferen und ihren Städten pflegen 
zu nehmen. Mit Urkund diefes Briefes, verfiegelt mit Unferm faifer: 
lichen nfiegel, der geben ijt zu Nürnberg nach Ehrifti Geburt dreyzehn⸗ 
hundert Jahr, darnach in den einundſechszigſten Jahr des nächſten Dien- 
tags nach dem Sonntag, als man faget Oeuli, Unferer Reiche in dem 
fünfzehnten und des Kaiferthums in dem jechsten Jahr. * 

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts herrichten faſt fortwährende 
Kämpfe zwiſchen den ſchwäbiſchen Neichsftädten, die ſich zu einem furdht- 


— — — — 





1) Stälin, IH,, 246; Tiſchen dorf, die Geisler (Leipzig 1810), ©. 19 ff. 
) Sad, IL, 163. 
9) Alten des Generallandesarchivs. 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, 99 


baren Bunde 1) vereinigt batten, und den Herren, deren Länder an 
ihre Gebiete gränzten, befonders aber dem Grafen von Württemberg. 
Dagegen ſchloſſen die Herren auch wieder ihre Bündniffe, von denen 
der Löwenbund und der Schlegferbund, die fich aber felbft oft wieder 
in den Haaren lagen, die befannteften geworden find, 2) fo daß bei der 
Ohnmacht und Untüchtigkeit des damaligen Kaifers Wenzel ganz 
Deutichland, namentlich das füdliche, das Bild einer wilden Zerriffen- 
beit bet. Auch die Markgrafen von Baden nahmen an diefen bin- 
tigen Kämpfen, bei denen gegenfeitige Mordbrennerei an der Tages— 
ordnung war, mehrfach Theil, was unter Anderm im Jahr 1388 
eine Verheerung der badifchen Lande, 3) jedenfalls in erſter Reihe 
der den ſchwäbiſchen Neichsftädten nahe Tiegenden, alſo auch dev Ge— 
gend von Pforzheim, zur folge hatte. Heiß entbrannte namentlich 
der Kampf im Nuguft 1388 um den befeftigten Kirchhof des Dorfes 
Döffingen, (d Stunden von Pforzheim und 1 Stunde von Weil 
der Stadt entfernt), wohin die württembergiſchen Bauern beim Ein: 
bruch der Städter ihr Vieb und ihre Habe geflüchtet hatten, ber: 
bard der Greiner brachte aber den letstern mit Hilfe des Pfalzgrafen Rup- 
recht, des Markgrafen Nudolf VII. von Baden und anderer Herrn, 
freilich mit Verluſt feines Sohnes Ulrich, eine empfindliche Niederlage 
bei. Bald nachher, nämlich 1395, eroberte er durch umvermutbeten 
nächtlichen Weberfall das Städtdyen Heimsheim (Heimjen) und nabm 
dafelbft mehrere Häupter des Schleglerbundes gefangen. Unter den- 
jenigen, welche bei der Niederbremmung des Städtchens Berlufte er: 
litten batten und deßhalb gegen den Grafen Eberhard auf Schadlos- 
haltung Hagten, war auc der Bürger Aberlin Gößlin aus Porz 
heim, der cine Forderung won 500 Gulden jtellte. ) Ob er dieſe 
Summe vom Grafen erhalten, weiß ich nicht. Da die Schlegler 





) Es gehörten dazu die Etädte: Augsburg, Ulm, Konftanz. Eplingen, 
Reutlingen, Rottweil, Weil die Stadt, Ueberlingen, Memmingen, Biberach, 
Ravensburg, Lindau, St. Gallen, Kempten, Kaufbeuern, Leutfirh, Ißny, 
Wangen, Pfullendorf, Weyl in Thurgau, Buchhorn, Buchau, Nörplingen, 
Dinkelsbühl, Bopfingen, Aalen, Rottenburg a. T., Gmünd, Hall, Heilbronn, 
Wimpfen, Weinsberg. Später famen noch mehrere andere dazu. 

2) Namentlih durch AUhlands „Eberhard ber Greiner,“ 

») Sachs Il, IM. 

*) Gehres, Chronik von Weilerftadt, ©. 75. 


4100 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, 


troß dieſer Niederlagen und Berlufte nicht ganz unterbrüct werben 
konnten und auch eine gegen fie gerichtete Verordnung des Kaifers 
Menzel unbeachtet blieb, jo gaben die Fürften ihren Bündniſſen gegen 
die Schlegler eine weitere Ausdehnung, und .es vereinigte ſich zu 
dem Ende am 18. Dez. 1395 in Pforzheim cine größere An: 
zahl von Fürften, fo der Erzbiſchof von Mainz, der Biſchof 
von Speier, der Pialzgraf, der Markgraf von Baden, Herzog Lupolt 
der Die von Deftreih, Graf Eberhard von Württemberg und die 
Abgeordneten von 15 ſchwäbiſchen Städten. Aehnliches geihab bald 
nachher auch zu Mergentheim. Da verzweifelte die Schleglergeiellichaft 
an einem weiteren Erfolge ihres Widerftandes und ließ fih am 
3. Februar 1396 in Pforzheim zu nacgiebigen Verhandlungen 
mit dem Grafen von Mürttemberg herbei. Noh im nämlichen 
Jahr erloſch der Bund. ') 

Es ift fo eben von dem befeſtigten Kirchhof zu Döffingen die 
Nede geweſen. Dergleihen gab es damals in vielen Dörfern, und 
fie dienten den Landbewohnern hauptſächlich dazu, den wertbuollern 
Theil ihrer Habe bei Kriegsgefahr dahin zu flüchten. 2) Ueberreſte 
derartiger Befeftigungen finden fich noch in manden Orten, jo 3. B. 
in Niefern, Dietlingen, Eifingen ꝛc. In Oeſchelbronn find fie mit den kaſſe— 
mattenähnlichen Gewölben in neuerer Zeit verfchwunden; daſelbſt waren 
fie mindeftens ſchon im 14. Jahrhundert vorhanden, 3) In Diet: 
lingen und Cifingen hatte früher jeder Bürger des Orts auf dem 
Kirchenfpeiher einen Heinen Bretterverfchlag, Gaden genannt, wo er 
jeine werthvollſte Habe bergen konnte. Im Eifingen mußten für 
jeden Gaden jährlih 1 bis 3 Kreuzer Zins bezahlt werden, und 
e8 vererbten fich diefelben in den einzelnen Familien, #) 

Wie in Schwaben, fo fehlte es auch anderwärts an Fehden 
zwiſchen dem Adel und den Städten nicht. So war 1373 ein 
heftiger Streit zwifchen Speier und den Herren Konrad, Heinrich 
und Ulrich ven Remchingen und dem Nitter Miprecht von Helmftätt, 
Bogt zu Pforzheim, entjtanden. Bei einem Streifzuge erichlugen die 


’) Stälin, Il. 
2) Bergl. Mone, bad. Ardiv, UL, 148. 
2) Mone, Anzeiger VL, 241. 


s R Pforzheimer Diozes, Kirchen: und Schulbeihreibung von 1735 (Landes 
arhiv), ’ 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 101 


Söldner von Speier den Ritter Ulrich von Remchingen vor feinem Haufe ; 
bei einem andern Zug jededy erlitten fie auf dem Feld von Bruch— 
jal und Möffingen großen Verluft, da ſich der Adel durch Bürger 
von Bretten und Pforzheim verftärft hatte. Ginige Tage nachher 
wurden jedoch wieder einige Bürger von Pforzheim gefangen nad) 
Speier gebracht. So ſcheint das Kriegsglüd noch mehrmals gewechfelt 
zu baben, bis endlich Biſchof Adolf von Speier zwifchen beiden 
Theilen zu Germersheim am Samstag nad) Urban defielben Jahres 
Frieden ftiftete, ') 


8. 3, Inneres. 
a) Schultheißen. 


Im Anſchluß an das, was oben (S. 70 fi.) über die erften 
Schultheißen Pforzheims gejagt ift, möge bier die Reihenfolge der 
jelben um fo mehr ergänzt werden, als diefe Beamten auf die 
innern Verhältniſſe der Stadt einen großen Einfluß ausübten und 
zwiſchen Megierung und Bürgern ein wejentlihes Mittelglied im 
damaligen ftaatlihhen Organismus bildeten. Auf Heinrich von Stei— 
mar folgte wieder ein Schultheig Yriedrich oder Frizze (Frizzo.) 
Derjelbe wird in verichiedenen Urkunden genannt, fo in eimer folden 
vom 1. Septbr. 1300, worin das Stadtgeriht in Pforzheim eine 
Schenkung des Bürgers Berthold Widmann und feiner Frau Richenza 
au das Klofter Herrenalb beglaubigt; ebenfo kommt er wieder im 
Februar 1302 vor, an welchem Tage Schultheiß und Stadtgericht 
zu Pforzheim 2) urkunden, daß Diether, Schuitheig von Ellmendingen, 
und feine Frau Irmentrut um 60 Pid. Heller, die fie empfangen 
haben, an das Klofter Herrenalb den von bdiefem um 1 Malter 
Spelz jährlihen Zinfes bisher als Zinslehen befefienen vierten Theil 
des Groß: und Kleinzehntensg zu Ellmendingen verkauft, übergeben 
und auf alle ihre Rechte daran verzichtet haben, doch fe, 


!) Lehmann, Epeierer Chronik 814. 

2) Die Urkunden beginnen mit der fländigen Formel: Nos Fridericus 
scultetus, jurati, ceterique cives in Phorzhein :c., d. h. Wir S chultpeißpgriebrich, 
die Geſchworenen (Stadträthe) und die übrigen Bürger zu Pforzheim ıc, 


102 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, 


daß der Irmentrut und ihrem Sohn Diether der Kleinzehnt anf 
ihre Lebenszeit verbleiben, nad ihrem Tode aber dem Kloſter zu: 
fallen folle, ) Endlich wird Schultheiß Frizze als Bürge in 
einer Kaufurkunde vom Juli 1303 genannt, nach weldyer der Ritter 
Simen von Königsbach ud feine Kinder einen Hof im Spranthal 
um 30 Pd. Heller an Herrenalb verkaufen, — Im Mai 1312 dagegen 
urfundet bereits ein Schultheiß Heinrich mit dem Stadtgericht eine 
Schenkung des Bürgers Heinrich lade und feiner Kinder (von Weinbergen 
in Dertingen an Herrenalb), und finden wir dieſen Schultheigen in 
einer Urkunde vom 24. Dez. 1319 als Heinrich von Eberdingen oder 
Eberdringen?) bezeichnet. Daß derfelbe in Pforzheim ein eigenes Haus, 
und zwar „am Waſſer vor dem Tränkthor“ beſaß, geht aus der 
Stiftungsurtunde der früheften Siechenanftalt vom Jahr 1322 hervor. 
(Siehe unten.) 3) Doch jcheint er damals nicht mehr Schultheiß 
gewefen zu fein, da bereits am 20, Juni 1321 ein Schultheiß 
Wader in einer Urkunde genannt wird, nad) weldyer die Bürger 
Albrecht, Erlewin und Gottbold Weile als Pfleger und Vormünder 
der Kinder des verftorbenen Gottbold für ihre Mündel eine Schuld 
von 20 Pf. Heller mit Zinfen und Gefällen zu Ellmendingen und 
Schellbrom bezahlen. Am Sabre 1328 bekleidete das Schultheißen— 
amt Wernber Göldelin, und wird mit den Bürgern und Nic: 
tern „Gozzolt der Waife und Gunter in dem Houe“ in einer Ur: 
kunde vom 17. Dftober jenes Jahres aufgeführt, nach welcher der 
Bürger „Hainrih der Riſe zu Pforzbain um finer fele hailes willen 
vnd aller jiner vordern vnd nach kummen“ den vierten Theil des Laien: 
zehntens zu Weingarten, „daz aim febztail ijt alles zenbenden zu 
MWingarten in dem Dorf und vf der marg, ze velde und ze walde, 
an korn, an wine, an ballern oder an andern nützen, wie die haiz- 





') Allen diefen Urkunden (meift aus dem SHerrenalber Archiv) ift oder 
war das Seite 79 abgebildete Siegel der Stadt Pforzheim angehängt. 

?) Eberdingen oder Eberbringen am Strudelbahb im O. A. Baihingen 
war chedem cin badiſcher Ort, der mit andern calwiſchen Befigungen an Baden 
gefommen war. Die v. Eberdingen waren Lebensleute der Grafen von 
Galw, fpäter von Löwenftein und fommen vom 12. bis 14. Jahrhundert vor, 

3) Sein Grabſtein ift noch vorhanden und fteht an der Wand der vordern 
rechten Scitenfapelle der Schloßkirche. Bon der Umfchrift Taffen ſich noch bie 
Worte entziffern: 7 Anno dmmi, 1324 in die... .. Henricus de Eberdringen 

» scult. requiescat in pace am, 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 103 


zent oder wie man die nennet“, dem Kloſter Herrenalb übergab. 
Die Familie der Göldlin ftand im 14. Jahrhundert in Pforzheim 
in großem Anfehen *) (S. 85) und hatten diejelben ihren Namen ihrem 
Reihthum zu danken; denn eigentlich hießen fie von Tiefenau, 2) 
und werden deßhalb fpäter auch als Göldlin von Tiefenau aufge: 
führt. 3) Das Schultheigenamt ſcheint auch während eines großen Theiles 
des 14. Jahrhunderts bei diefer Familie geblieben zu jein; wenigſtens 
ſpricht dafür eine in der Schloßkirche noch erhaltene Inſchrift 4) auf 
Luitgarde, genannt Göldenerin, Gattin des Schultheifen Hein: 
rich, welche 1371 ftarb. (Daß Gäldener und Göldlin identiſch 
find, ift wohl nicht zu bezweifeln.) Im Jahr 1345 hieß der Schult: 
heiß Seßelin; 1367 und 1371 Goßlin; 1383 Albert, wahr: 
ſcheinlich auch Söldner oder Goßlin. — Vogt zu Pforzheim war 1356 
Wipreht von Helmftett, Herr zu Bifchofsheim und Buchelbach, 1373 
Gerhart Utzlinger, 1388 und 1391 Hang Conzmann. Diefer be: 
fiegelt im erjterm „Jahre einen zwiſchen Württemberg und Baden zu 
Leonberg geſchloſſenen Ginigungsvertrag; 5) in letzterm Jahre ift er 
Mitbürge für die Summe von 400 fl., welche Markgraf Bernhard I. 
zu einem Seelgeräthe für feinen verftorbenen Bruder Rudolf dem Klofter 
Lichtenthal ausgefet bat. Conzmann wurde fpäter Amtmann in Baden, 
wo er fih viele Vergehungen zu Schulden kommen ließ, weßhalb er 
abgejeßt wurde und Entſchädigung leiten mußte, 


') Bergl. Lotthammer, Piorzheims Vorzeit, ©, 146, Sads U., 235, 
Tſchudi, Schweizerdhronif 1, 624, Leihtlin, Beiträge, 186. 

) Das Stammſchloß Tiefenau lag wahricheinlih bei Sinsheim (O.A. 
Baden, und trägt dafelbit ein Hof dieſen Namen nod. 

) Ein Heinrih Göldlin von Tiefenau gerietb zu Ende des 14. Jahrbun: 
berts) in heftigen Streit mit bem Markgrafen Bernhard. Es wird fpäter mehr 
davon bie Rebe fein. 

4) Diejelbe findet fih an der Wand der einen Seitenfapelle und lautet: 
Anno domini 1371 feria sexta post dnicam letare obiit Luitgardis dicta Göln- 
denerin uxor heinrici Stulteti, amen. Pfortzheim. Requiescat in pace. D. h. „Im 
Jahr des Herm 1371 am Samstag nach Lätare farb Luitgard, genannt Bölnde 
nerin, Gemahlin des Schultheißen Heinrich, Amen. Pforzheim. Sie ruhe in 
Frieden!“ 

°) Steinhofer, württemb. Ehronif, II, 464. 


104 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, 
b. Klöfter, Kirchen, Spitäler x. 


Vielfach finden wir wieder in Urkunden ꝛc. des 14. Jahrhunderts 
verfchiedener Klöfter und der Beziehungen gedacht, in welche die Stadt 
Pforzheim oder einzelne ihrer Theile, auch Familien und Bürger darin 
zu denſelben getreten find. Sehen wir, um folhe Verhältniſſe aus: 
einander zu ſetzen, zuerſt nach den betreffenden auswärtigen Klöftern, um 
fodann in der Stadt felbjt wieder die nöthige Umſchau zu balten, 

Bon jenen it in erfter Reihe Lichtenthal zu nennen. Der 
Gründung diefes Eifterzienferkflofters durch Markgräfin Irmengard (1245) 
ift im vorigen Kapitel bereits gedacht worden. In Folge frommer Ber: 
mächtnifje, ſowohl von Seiten der badifchen Markgrafen, als des benach— 
barten Adels, war dasſelbe nah und nad zu bedeutendem Beſitzthum 
gelangt, 1) und namentlich waren ihm auch die Kirchenfäge von Baden, 
Ettlingen, Mali, Steinbach ꝛc. und damit das Patronatrecht diefer 
Kirchen gefchenft worden. Gleiches geſchah 1344 auch mit den beiden 
Kirchen in Pforzheim.?) Am 21. Februar jenes Jahres ftellte Mark: 
graf Rudolf IV. eine Urkunde aus, nad) welder er mit feiner Gemahlin 
Maria, Gräfin von Detingen, und mit Zuftimmung feiner Söhne, der 
Markgrafen Friedrich III. und Rudolf V. und ebenfo feines Neffen, des 
Markgrafen Herrmann IX. und defien Gemahlin Mechthild, Gräfin von 
Vaihingen, mit Berathung der Aebte Wernher von Neuburg und Rupert 
von Herrenalb und mit Wiſſen ihres Vetters, des Grafen Berthold von 
Eberftein und des Ritters Burkard von Spät, das Patronatrecht über 
die Kirche zu Pforzheim mit allen anflebenden Rechten und Nubungen 
an das Klofter Lichtenthal vergab, welches fortan das Einkommen der: 
felben nach erlangter Inkorporation der Kirche in das Klofter beziehen 
und auf Lebensunterhalt und Kleidung feiner Angehörigen und die Auf: 
befierung feiner Pründen verwenden, dafür aber auch ihr, ihrer Vor— 
fahren, Erben und MWohlthäter und insbefondere ihres Oheims, des 
Markgrafen Rudolf II. Gedächtniß begehen follten. Die Ankorporation 
wurde am 5. Juli 1344 durch Bifhof Gerhard von Speier mit Yu: 
ftimmung des dortigen Domkapitels vollzogen, um, wie e8 in der betr. 








!) Vergl. Herr: Das Klofter Lichtenthal, feine Kirche und Kapelle (1833) ; 
Bader: Kurzgefaßte Geichichte des altbadiſchen Frauenklofters Lichtenthal (1845); 
Bader: Die Stifter des Klofters Lichtenthal ıc. (1845). 

*) Bergl. Mones Zeitichrift VIEL, 482, 490, VIII. 81, 456. 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 105 


Urkunde heißt, der großen Noth, worin ſich das Klofter befand, dadurch 
abzubelfen. Die päpftlihe Beftätigung aller diefer Inkorporationen 
Baden, Ettlingen, Pforzheim ꝛc.) erfolgte erſt 1379. — Unterm 
26. Juni 1347 wurde das neue Verhältniß, in welches die beiden in— 
korporirten Kirchen von Pforzheim, nämlich die Mutterkirche von 
St. Martin (Atjtadt) und die Filialfirhde von St. Michael 
Schlogkirche) zu dem Klofter treten follten, ebenſo das Verhältniß diefer 
beiden Kirchen zu einander, durch den Speierer Propft Ulrich von Wir: 
tenberg geregelt. Dem Klofter war nämlich ſchon in der Uebertragungss 
urfunde die Verpflihtung auferlegt worden, für die Pforzheimer Kirche 
einen eigenen Pfarrer oder doch einen ftändigen Pfarrverwefer (vicarius 
perpetuus) zu halten und aus dem Kirchenfage, der jedenfalls jehr be— 
deutend geweſen fein muß, zu befolden. Es wurde nun feftgefegt, da 
der Pfarrverweſer alle Accidenzien, die Zinſen der für Jahrestage ges 
machten Stiftungen, und den Kleinen Zehnten in Stadt und Altſtadt, 
jowie den umliegenden Filialien (Würm, Huchenfeld, Dillftein, Weißen: 
ftein) als fein Einkommen erhalten, aber verpflichtet fein ſolle, daraus 
jährlich 30 Pfund Heller an das Klofter Lichtenthal abzugeben. Er 
mußte zwei Hilfspriefter halten, von denen einer bei Tag und Nacht in 
dem dazu bejtimmten Haufe bei der Altjtädter Kirche bleiben mußte, un 
mit Hilfe des dortigen Hirfchauer Präbendarius (wahrfcheinlich der 
St. Nitolausfapelle) alle kirchlichen Funktionen zu verrichten, namentlich 
Sterbende zu verfehen. Alle Kinder, der alten Stadt fowohl, als der 
neuen und der Yilialgemeinden, jollten nur in der Kirche zu St. Martin 
und nicht zu St. Michael, und zwar entweder vom Pfarrverwefer felber, 
oder von einem jeiner Hilfspriefter getauft, und im derfelben Kirche auch 
alle Bekanntmachungen, Verkündigungen zc. vorgenommen werden, Der 
Pfarrverwejer, oder irgend ein Anderer, der einen großen Theil des 
Kirchengutes befäße, jolle auch verpflichtet fein, das erforderliche Zucht: 
vieh, nämlid den Karren, Eber und Widder zu halten. Käme ber 
Pfarrverwefer jeinen Verpflichtungen, namentlich bezüglicd der Verſehung 
von Sterbenden und der am Lichtenthal zu bezahlenden 30 Pfund Heller, 
nicht nach, jo folle er ohne Weiteres vom Bifchof abgeſetzt werben können. 

Die Urkunden, denen alle diefe Beftimmungen entngmmen wurden, 
find ſehr belehrend für manche der damaligen Verbältnifie Pforzheims. 
Zum erjten Male ift darin mit Bejtimmtdeit von den beiden Haupts 


106 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14, Jahrhundert. 


Kirchen der Stadt, nämlich der St, Martins: ') und der St. Michaels: 
firche die Rede, und wird jene die Mutter: und dieſe die Tochterkirche 
oder das Filial genannt. Doch drohte die Tochter der Mutter bereits 
über den Kopf zu wachen, was daraus zu entnehmen, daß der Pfarrer 
für beide Kirchen in der neuen Stadt, in der alten dagegen nur ein 
Hilfspriefter die Wohnung zu nehmen hatte, Immerhin blieb aber da: 
mals St. Martin vor St. Michael das Necht der Proklamationen, der 
Taufen ıc, gewahrt. Es geht aus allem dem von ſelbſt hervor, daß 
die Altſtadtkirche die Ältere it und daß, wenn früher im Allgemeinen 
von einer Kirche in Pforzheim die Nede war, zunächſt dieſe und im 
zweiter Reihe die Schloßfirche gemeint fein konnte. Daß letztere Kirche 
aber in der Mitte des 14. Jahrhunderts vollendet daftand, iſt eben fo 
wenig zu bezweifeln. Vom älteften Theil diefer Kirche und der wahr: 
ſcheinlichen Zeit feiner Erbauung ift oben (S. 30) ſchon die Rede ges 
weſen. Die Erbauung des Langhauſes ijt mindeftens in das 13. Fahr: 
hundert zurüczuverjeßen. Es fpricht dafür nicht nur die ganze Bauart 
desfelben, fondern auch die über dem ſüdlichen Eingange befindliche In— 
ſchrift: Petite et aceipietis (d. h. bittet, fo wird euch gegeben), deren 
Buchſtabenform ganz die Tateinifch = getbifche tft, wie fie im 12, und 
13. Jahrhundert üblihb war. Das Chor der Kirche ift, wie wir fpäter 
noch berühren werden, vom Jahr 1460, ein Anbau auf der Nordfeite 
von 1487. — Die jetige Altftädter Kirche it natürlich nicht mehr die 
urfprüngliche, mit Ausnahme der Grundmauern und des Steins mit 
den Hieroglyphen über dem Portal, vielleicht au noch andern Mauer: 
werte. Die dermalige Kirche mag erft nach dem dreikigjährigen Krieg, 
in welchem die Altftadbt abbrannte, gebaut fein. Ihre Vorgängerin, die 
der Nachfolgerin noch manche Mefte binterließ, wurde vielleicht 1419 
aufgeführt ; denn noch zu Anfang des laufenden Jahrhunderts war an 
einem Örundpfeiler der Kirche ein Wappen wahrzunehmen, welches einen 
Berſchfiſch vorftellte, in deffen Rücken eine Gabel ftad, Darüber ftand 
ber Name Friedrich Berſch und die Jahrzahl 1419, womit vielleicht 
dev Baumeifter der Kirche und die Zeit des Wieberaufbanes derjelben 
bezeichnet werden follte. 


) Sads IV,, 135 ſagt, daß die Altitabtfirche nah einer Urkunde von 
1385 St. Maria geheißen babe. Es ift dies aber fi.serlih ein Druck- ober 
Schreibfehler oder eine unrichtige Lesart, anftatt St. Martin. 





Achtes Kapitel, Pforzbeim im 14. Jahrhundert. 107 


Wie die Kirchenſätze jelber, jo ging auch das Necht der Vergebung 
des Mefneramtes der Altitadt, und damit zugleih das Einkommen 
desfelben, am Lichtenthal über. Im Jahr 1352 verkauften die Pforz« 
heimer Bürger Walther, Albrecht, Wernher und Berthold Weiß 
ihren Antheil am Meßneramte der Altitadt, das ihre Familie bisher zu 
verleihen hatte, um 24 Eleine gute Gulden von Florenz. ') Ebenfo ver- 
kaufte die Wittwe von Siegfried Weiß, Hedel von Mönsheim, fanımt 
ihren Söhnen Hartmann und Wilhelm Weiß 1353 ihren Antheil am 
Mefneramt um 30 fl. ebenfalls an Lichtenthal. Won diefem Kloſter 
ging jedoch fraglihes Meßneramt bereits 1359 um die Verfaufsfumme 
von 130 Pfund guter Heller mit aller Zubehörde an Hirſchau über. 
Um darauf nicht wieder zurückkommen zu müſſen, fügen wir bier noch 
bei, daß das Necht der Verleihung des Mefneramtes bei Aufhebung 
legtgenannten Klojters an Württemberg ımd 1563 durch Tauſch an die 
Markgrafen von Baden kam. 

Es möge bier auch der Stiftung zweier Pfründen aus dem Zeit: 
raume, in welchem die Pforzheimer Kirchen an Lichtenthal fielen, erwähnt 
werden. Am Jahr 1344 ftiftete die Pforzheimer Bürgerin Guta 
Phennerin eine ſolche Pfründe in die dortige Kirche und verlieh das 
Kollaturreht dem Klofter Maulbronn. Im Jahr 1359 hing Mark— 
graf Mudelf V., Herr zu Pforzheim, ſein Siegel an einen Brief, in 
welchen Agnes und der Konvent des Franenklofters zu Düren (Beuern, 
Ort, zu welchem Lichtenthal gehört), grauen Ordens von Entlers (Gifterz), 
dem Schultheißen Hein, Kunzen fel. Sobn, erlauben, eine Frühmeſſe 
zu ftiften in der Pfarrkirche zu Pforzheim zu St. Micyael. 

Der erfte Geiftliche, den Lichtenthal 1347 anftellte, hieß Rudolf. 
Im Jahr 1353 war ihm bereits Johann Steimelin oder Stenne 
in nachgefolgt. Das Einkommen desfelben wurde wegen Unzuläng: 
fichteit der Pfarrbefoldung um 4 Ruder Wein, (oder ftatt defien 12 Pb. 
Heller), 1 Ruder Heu und 1 Ruder Strob erhöht. Dafür mußte er 
aber verfprechen, nicht nur die Werbindlichkeiten gegen Lichtenthal püntt- 
licher als bisher gefcheben, zu erfüllen, ſondern aud die 19 Pfund 
Heller Rückſtände, welche das Kloſter noch zu fordern hatte, in Terminen 
abzubezahlen. Eine abermalige Aufbefierung der Pfründe erfolgte 1397 


— — — 





) Man vergl. zu dieſer und zu andern Stellen das, was weiter unten 
über ben Geldkurs des 13. bis 16. Jahrhunderts gejagt iſt. 


108 Achtes Kapitel. Pforzheim ım 14. Jahrhundert. 


unter Bfarrer Johann Eifenmenger, der fi beflagt hatte, „daz die 
phründe zu Kleine were, und daz er ſich vnd die zu im borten (gehörten, 
nämlich die beiden Hilfspriefter,) von der felben phründe müczen nit 
herneten und begen mohten“ (nicht zu ernähren und zu erhalten ver: 
möchte). Er erhielt darauf bin 12 Malter Roggen weiter; auch wurde 
ihm das Mepneramt geliehen. Doch mußte er veriprechen, fich mit der 
nun wiederholt aufgebefierten Pfarrpfründe bei Strafe des Berluftes 
derfelben fortan begnügen zu wollen. Sein Nachfolger Günther 
Flad vertaufchte 1384 die Pfarrei Pforzheim gegen eine andere Pfründe 
an Berthold Trautwein, welcher die jchriftliche Verficherung geben 
mußte, daß er „jelbe pharre zuo Phorkhein in finen händen haben 
wil und ein pharrer dar uf bliben die wile er gelebe, und fol da mit 
feinen wechſel vmb eine andere pfruonde nummerme getun in dcheine 
wife, dann mit einer eptiffen zuo Liechtental guoter wille.” Er wird 
auch 1385 als Pfarrer genannt, 1) 

Außer dem Kirchenfage und dem, was daran hing, machte Lichten- 
thal in Pforzheim noch verfchiedene andere Erwerbungen, Im Jahr 1347 
faufte e8 von dein Schultheißen Eberhard von Iptingen (württemberg. 
DU. Maulbronn) und feiner Frau Lugart ihr Haus, Scheuer und 
Hof zu Pforzheim unten am Prediger-Kloſter, welches Alles von dem 
ebenfalls beſagtem Schultheißen gehörigen Steinhaus und Garten getrennt 
und unterjteint war, um 8 Pfund Heller Gült, mit der Auflage, daß 
jährlich auf Pfingſten dem Kloſter Hirihau 6 Heller Erbzins entrichtet 
und zwijchen der Scheuer und dem Steinhaus nie gebaut werde. Im 
Jahr 1363 vermacht diefer Eberhard, der nad) dem Tod feiner Frau 
und feiner Tochter Irmel in das Dominikanerklofter zu Pforzheim ges 
gangen war, an Lichtenthal auch befagtes Steinhaus, uebſt Keller und 
Hof, wofür alljährlich für ihn, feine Frau und alle feine Kinder ein 
Jahrestag gehalten werden ſollte. Diejes Steinhaus lag einerfeits neben 
den Frauen von Lichtenthal (vergl. 1347), amdererfeits neben dem 
Garten des Frauenklofters zu Pforzheim, und hatte früher Konrad Net: 
manteln gehört. Wenn wir nun noch weiter hören, daß das Klofter 
Lichtenthal 1347 von den Dominikanern in Pforzheim auch deren hinter 
den Kloſter gelegenen Speicher ſammt Zehntichener um jährliche 12 
Schillinge pachtete und fpäterhin käuflich erwarb, jo folgt aus diefem 


') Urkunde in G, L. Archiv. 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 109 


Allem, daß Lichtenthal im Beſitz aller der Häuſer war, die in der Spi— 
talſtraße dem jetzigen neuen Mädchenſchulhauſe gegenüber liegen oder 
lagen; denn der Lichtenthal'ſche Zehnthof war bekauntlich an der Stelle, 
wo jetzt das Haus von Fabrikant Kübeleberle ſteht und wurde erſt zu 
Anfang der 1850er Jahre abgeriſſen. — Auch einen Garten beſaß 
Lichtenthal daſelbſt, der beifpielmeife 1396 um jährlih 1 Pfund Heller 
verpachtet war. Noch verdient bemerkt zu werden, daß der Pforzheimer 
Bürger Dietrich Flad 1371 von den Lichtenthaler Nonnen ein Gut zu 
Au am Rhein (O.-A. Raftatt) pachtete ; endlich daß Lichtenthaf von 
Heinz Mötte (Roth) 1396 ein Haus jammt Hof und Scheuer in der 
Altstadt um 29 Pfund Heller erfaufte, 

Wie im 13., fo finden wir aud im 14. Jahrhundert, daß das 
Klofter Herrenalbt) der Gegenitand der Aufmerkjamteit und der 
Begabung mancher Pforzheimer Bürger und Bürgerinnen war, von . 
andern aud Dies und Jenes käuflich erwarb. Go ſchenkte 1301 der 
Bürger Berthod Widmann (S. ST) und feine Frau Richenza dem 
Klojter Herrenalb ihr ganzes Vermögen, das fie in Pforzheim und an 
andern Orten befaken; (1302 verkauft Schultheiß Diether von Ellmen— 
dingen mit feiner Frau Irmentrut den von ihnen bisher bejefjenen 
vierten Theil des großen und Heinen Zehntens in Ellmendingen um 
60 rund Heller); im April des nämlichen Jahres (1302) reverfiren 
ber Pforzheimer Bürger Gottbold Weiß und feine Frau Adelheid, daß 
fie an Herrenalb um 300 Pfund Heller verkauft haben: zwei Theile 
an der Mühle zu Pforzheim, genannt „ber VBoglerin Mühle”, den dritten 
Theil des großen und fleinen Zehntens in den Dörfern und Markungen 
Brögingen und Birkenfeld, ferner Güter in Brößingen, Cllmendingen, 
Neidlingen und Göbrichen und den vierten Theil des großen und Kleinen 
Zehntens daſelbſt; — alle diefe Güter und Zehnten erhält aber Gott: 
bold Weiß vom Kloſter als Zinslehen wieder zurück um einen jährlichen 
Zins von 44 Malter Roggen, 27 Malter Spel, 42 Malter Haber 
und 10 Pfund Heller und 5 Schilling. Da Weiß den bemerkten An— 
theil des Zehntens in Brögingen und Birkenfeld vom Markgrafen Fried: 
ih II. zu Lehen trug, das Klofter ihn aber als freies Eigenthum 
erwarb, jo mußte Weiß dem Markgrafen einen Hof neben der Kirche zu 
Pforzheim als Lehenerfaß geben und empfing denjelben wieder zu Lehen. — 


1) Vergl. biezu die Herrenalber Urkunden in Mones Zeitichrift. 


110 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


Im Jahr 1304 ſchenkt Heilwig, die Tochter Erlewin Numelins, zu ihrem 
und ihres verjtorbenen Gemahls Heinrich Hegening Seelenheil, bem 
Kloſter Herrenalb 224/, Pfund Heller. Ebenfo ſchenken 1312 Heinrid) 
lad und jene Kinder Konrad (Pfarrer zu Hirſchlanden, O.A. Leon: 
berg), Heinrich, Dietmar, Konrad, Elifabetb und Meta dem Kloſter 
als eine Gabe unter Lebenden fünf Morgen Weinbergs zu Dertingen; 
Sigfried Weiß, Sohn des obengenannten Gottbold Weiß, und feine 
Frau Hedwig, (eine geb. von Mönsheim) geben 1319 mit Zuftimmung 
der Pfleger der minderjährigen Geſchwiſter Sigfrieds und des Mark— 
grafen Rudolf IV. an Herrenalb, um des bei 1302 genannten Leben: 
zinjes ledig zu werden, die dort bezeichnete Mühle mit allen dazu ge 
börigen Nechten und Nubungen, nämlich verfchiedene Brodfchrannen zu 
Pforzbeim, wovon alle Woche 5 Heller oder ebenfoviele Hellerbrode 
fallen, fammt 1/; des großen und Heinen Zehntens zu Brößingen und 
Birkenfeld.) — 1321 bezahlen die Pfleger der minderjährigen Kinder 
des Gottbolds Weir eine Edyuld von 20 Pfund an Herrenalb mit 
Zinfen und Gefällen in Ellmendingen, Dietlingen, Nöttingen, Schell- 
bronn ꝛc. — Am Jahr 1328 übergibt der Pforzheimer Bürger Hein: 
rich Riſe um feiner, feiner Vordern und Nachkommen Seelenheils willen 
dem Kloſter Herrenalb den vierten Theil des Laienzehntens zu Wein: 
garten (D.:U. Durlach) (S. 102), den er felber vier Jahre vorher von Pe: 
triffa von Remchingen, Witte Heinrichs von Roßwag, um 300 Pfund 
Heller erfauft hatte, — Im Jahr 1336 nehmen Rudolf der Nenner von 
Pforzbeim und feine Fran Mechthild, „der Zurgelern Tochter”, vom 
Klofter um jährlich 2 Pfund Hellers im Erbbeitand die Hofftatt und 
das Steinhaus und was dazu gehört, den Keller ausgenommen, zu 
Pforzheim unten am Markt, „zwiſchent der KHederinen bus und der 
Zurgelerin” gelegen. — 1336 verkauft Albert Liebener von Pforzheim 
an Herrenalb alle feine Weingärten in und bei Dertingen um 90 Pfb. 
Hellers. — Bon Pforzheim aus nahm Kaifer Karl IV. 1347 aud 
Herrenalb in feinen befondern Schirm, — und endlich erfahren wir aus 
einer Urkunde von 1348, daß diefes Klofter einen beiondern Pfleger 
oder Guftos, Namens Kraft, m Pforzheim hatte. 

Wenden wir uns nun noch nach dem Klofter Maulbronn, um 
von biefem das, was auf Pforzheim Bezug hat, anzugeben.?2) Es ift 





1) Die Urkunde folgt unten ganz. 
2) Bergl. Klunzinger, Gefhichte von Manfbronn, S. 25 ff. ver Regejten. 


Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert. 111 
J 


dies bei verſchiedenen Vermächtniſſen und Verkäufen der Fall. Im Jahr 
1302 ſtiftet die Beguine Guota (ſiehe unten) von Pforzheim, genannt 
Schwertfeger, 8 Schilling jährlicher Zinſe in den beiden Glattbach (O. A, 
Vaihingen) zu einem Wahsfiht auf den Altar zum heiligen Kreuz in 
Maulbronn, mit der Bedingung, daß, wenn dies nicht genau eingehalten 
würde, die Gefälle an die Kirche zu Pforzheim fallen follten, — Im Jahr 
1328 verkauft Sigwart, genannt Herzog zu Pforzheim, dem Kloſter 
etliche Güter zu Bauſchlott. — Das Jahr darauf (19. Aprit 1329) 
verfanft Heila Waifin (Weiß) dem Klofter 6 Malter Roggen, 6 Malter 
Hafer und 86 Schilling jährlicher Einkünfte zu Kußelbrunnen (Siefel: 
bronn) für 34 Pfund Heller. Am 17. Januar 1343 verfauft Guta 
Rappenherrin von Pforzheim dem Kloſter Maulbronn einen Hof zu 
Flacht. Dieſelbe verfauft im Juli 1356 dem Kloſter den Gailingshof 
jammt einer Mühle und dem ‘Patronate zu Flacht nebſt */, des 
Zaienzehntens dajelbit um 50 Pfund Heller, — Am 10. April 
1344 übergibt Guta Pfennerin oder Phennerin von Pforzheim, 
Gerumgs Wittwe, dem Klofter Maulbronn die Kollatur der von ihr 
fh der Pfarrkirche zu Pforzheim geitifteten Pfründe (S. 107). Die: 
felbe „edle Matrone“ ftiftet 1359 zu eimer täglichen. Mefje auf dem 
Altar des heil. Benedikt zu Maulbronn 400 Pfund Heller. Eine 
andere dieſes Geſchlechts, Irmela, wahrſcheinlich Tochter der Guta, ver: 
macht am 25, Februar 1375 dem Kloſter einen Hof zu Speier. — 
Am 25. Mai 1359 vermaht Guta Vefenmaverin von Pforzheim dem 
Klofter zu einem Geelgeräthe ebenfalls 400 Pfund Heller, — 

Mas mın die Klöfter der Stadt Pforzheim felber betrifft, 
fo iſt der Gründung von vieren derjelben, welche im Laufe des 12. und 
13. Jahrhunderts erfolgte, bereits Erwähnung geicheben, nämlich der 
Gijterzienferinnen, der Dominifanerinnen, der Domini: 
kaner und der Franziskaner. Am meiften begegnen wir im Laufe 
bes 14. Jahrhunderts dem zweiten diefer Klöſter, und wir finden dasfelbe 
namentlih bemüht, fein Befigthum zu vermehren. So erfauft es am 
5. Auguſt 1325 von Markgraf Friedrich IL und feinem Sohn Herr: 
mann IX. 3 Pfund Keller Gült an der Mühle zu Nöttingen; — um: 
gekehrt verkaufte Priorin und Konvent des Klofters an das Frauenflofter 
zu Rechenshofen am 7 Nov. 1336 einen halben Hof mit der halben 
Kelter im Dorfe Haslach und einige Weingärten und Acer daſelbſt mit 
Bewilligung des Markgrafen Rudolf IV. von Baden und „des geiich- 


112 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrbunbert. 
3 

lichen beren des priord und des conventes der prediger zu Phortzhein.“ 
Im Jahr 1338 erfauft diefes SLlofter wiederum von dem Bürger Sei: 
fried Weiß zu Pforzheim und feiner Frau eine Hube in der Neidlinger') 
Mark, ihren Theil des großen Zehntens zu Göbrihen und 1 Simri 
Delgeld vom Heinen Zehnten dafelbft. — Am St. Marrentag 1344 
„eerichreibt ſich das Frauenkloſter Predigerordens zu Pforzheim über 
das gekaufte Dorf Ellmendingen, (das dem Klofter bereits 1313 
verpfändet geweien war,) einer Miederlofung gegen ihren Herrn Mart: 
graf Herrmann IX.” — Im Jahr 1355 beſaß das Klofter auch den 
Oberhof zu Jipringen und gab ihn im diefem Jahr dem Walther Faul: 
leder in Erbbeitand.?) 1350 verlieh ein Graf won Eberftein gemein: 
fhaftlih mit dem Markgrafen von Baden diefem Klofter den Pfarrfat 
zu Dürrenglattbad.3) Im Jahr 1365 verkaufen die Edelknechte Ber: 
thold Göler und feine Brüder Konrad und Hans, alle von Enzberg, 
Söhne des Ritters Konrad von Enzberg, mit Willen und Rath ihres 
Baters an die Priorin Lutgard von Asbergd) und den Konvent des 
Predigersffrauenklofters auswendig der Stadtmauer (S. 74) ihre Kirchen: 
fäße zu Iſpringen und Nodelingen um 1500 Gulden, und „geloben fle 
zu fertigen mit ihres hochgeborenen Herren Hand, ihres Lehensherren, 


1) Vergl. ©. 64, wo von biefem bald verſchwundenen Ort die Rebe ift. 
Ein anderer untergegangener Ort im Bezirk Pforzheim ift Bonlanden, ber 
zwifchen Pforzheim und Weil der Stadt, bei Steinega, gelegen haben muß. 
Er fommt in einer Herrenalber Urkunde (Bonlanden apud Steinecke) von 
1310 vor. — Daß früher auch zwiſchen Pforzbeim und Weißenftein ein Dörf— 
Ken Rod lag, iſt Eeite 58 bemerft worden, 

) Aften des Großh. Dberamts Pforzheim. 

’) Krieg, Grafen von Eberftein, S. 62 (nach Gabelfofer). 

) Das Andenfen biefer 1377 geftorbenen Lutgard (Pucgard, Luitgarbe), 
welche ſchon 1340 Klofterfrau in Pforzheim war (Stälin, II, 709), erhält 
nod ein Grabftein, der ihr und einer Lutgard von Tübingen gemeinichaftlich 
gefept wurde und im Hof der Heil- nnd Plegeanftalt zu Pforzheim in einer 
Mauernifche aufbewahrt wird. Es befindet ſich darauf das Bildniß einer Frau 
in Nonnentracdht mit der Umſchrift: + ANNO DNI MCCCLXXHI PRIDIE 
ANTE GREGORI ORUT SOROR LUCGARD PALATINA DE TUWINGEN 
ET POSTEA IN TERCIO ANNO FELICIS ET ADAUCTI OBHIT DOMINA 
LUCGARD PALATINA DE ASBERG SOROR NOSTRA + d. h.: „Im Jahr 
1374 am 11. März ftarb die Echwefter Lucgard, Pfalzgräfin von Tübingen, 
und im britten Jahre nachher am 30. Auguſt ftarb die Fran Lucgard, Pfalz⸗ 
graͤfin von Asberg, unſere Schweſter.“ 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 113 


des von Leuwenſtein“, der jodann im folgenden Jahre (1366) dieſe 
Kirchenjäge zu feinem und feiner Vordern Seelenheil dem Kloſter als 
freies Eigenthum übergibt. Am 13. Februar 1376 verkaufte diejenige 
Priorin, melde auf Lutgart von Asberg folgte, nämlich Anna von Balz: 
bofen, mit ber Sammnung (Konvent) des Frauenflofters an Maulbronn 
verichiedenes Einkommen zu Unteröwisheim. Daß 1363 die Domini: 
fanerinnen einen Garten hinter den Dominikanerklofter befaßen, ift oben 
(S. 108) ſchon gefagt worden. Aus einem Vergleich, der zwifchen ben 
Herren von Württemberg und Baden 1402 gefchlofjen wurbe,') erfehen 
wir, daß die Dominikanerinnen ein fteuerfreies Höflein zu Vaihingen, (wahr— 
fcheinlicy das ſchon ©. 75 u. SO angeführte) und einen Weingarten zu Di- 
zingen befaßen, wegen deſſen fie damals in einen Nechtsftreit mit Hans von 
Gültlingen verwidelt waren; daß fie ferner an Pfaff Seifried und Hug 
von Venningen 20 Pfund Heller Guts und an Gberhardt Sölern 
3 Pfund und 2 Sch. Heller forderten, welch letztere Summe ihnen 
erblich zugefallen ſei zu einem Geelgerette won ihrer Mitſchweſter 
Alhaußen von Gröningen; daß fie endlich in Eberdringen eine balbe 
Ohm Wein und Zinfe von Frit von Liebenftein zu beziehen hatten 2c. 
Außer den bereits genannten Priorinnen lernen wir 1370 and zwei 
Nonnen diefes Klofters kennen, nämlich Gerhus, Schwefter des Bürgers 
Heinrich) Pforzheim von Grüningen (Markgröningen) und deren Muhme, 
Alhus von Damm (Thann, D. A. Ludwigsburg). Sie beftimmiten im 
angegebenen Jahr, daß nad) ihrem Tode 1/, des Raienzehntens zu Vai: 
Bingen und 2 Meingirten in Horrheim (O. U. Vaihingen) an das 
Klofter fallen follten. Um diejelbe Zeit war auch eine Pfalzgräfin 
Elsbeth von Tübingen, genannt Schererin, „Cloſterfrow“ zu Pforzheim. 
Das Klofter der Dominikanerinnen wurde überhaupt nach und nad) jehr 
reich. Außer den ſchon genannten Beſitzthümern, Einkünften 2c. erwarb 
ſich basſelbe noch ein Viertel des Zehntens zu Birkenfeld, Brögingen 
Ch), Neidlingen ('/,), Kiefelbronn (1/g), Mipringen (ganz), Glap⸗ 
pach, Nußdorf (1/5), Vaihingen (1/4), Dürrn (1/,), Dizingen (a), 
Utingen (Eutingen), Ingersheim (.); — ferner Gülten und Renten zu 
Üttelsburg, Mutſchelbach, Nußdorf, Vaihingen, Düren, Enzberg, Utingen, 
Ingersheim, Merklingen, Wurmberg, Erſingen, Mingen, Bietigheim, 


— — 





— — 


) Stein hofer, Württemb. Chronik 11., Gehres, Chronik von Wei⸗ 
lerſtadt, S. 72. 
Pflüger, Pforzheim. 8 


114 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


Geberchingen (Göbrichen), Friolzheim, Illingen, Mühlhaufen, Asberg, 
Baden, Badnang, Bradenheim, Boppenweiler, Bönnigheim, Baufchlott, 
Kannftatt, Dürrmenz, Elfingen, Ellmendingen, Eßlingen, Gartach, Groß: 
jachjenbeim, Grönningen, Güglingen, Gruppenbach, Gertringen, Gem: 
mingen, Sabelnberg, Heidelsheim, Heſſigheim, Hutigbeim, Heimsheim, 
Hirichlanden, Hohenhaslach, Hefnerhaslach, Klingen, Kirnbach, Königs: 
bach, Lienzingen, Liebenzell, Münfingen, Möngheim, Magitatt, Mühl: 
baufen, Münjter, Nußdorf, Nußbaum, Niefern, Nippenberg, Oberöwis— 
beim, Deichelbronn, Pfaffenhofen, Neutlingen, Schmieheim, Stein, Stutt- 
gart, Steinah, Seelbach, Tuttlingen, Weiler, Weilerftadt, Weiler im 
Zabergau, Wafferburg, Enzweihingen, Wiernsheim, Würm, MWimpfen, 
Waiblingen, Warmbrunn, Zaberfeld, Zaiſersweiher, Zuffenhauſen 
0.00!) 

Zu der Zeit, als die erwähnte Yutgard von Asberg Priorin des Domi— 
nifanerinnenflofters war und auch die andere Lutgard von Tübingen darin 
den Schleier trug, beherbergte dasielbe längere Zeit einen auf eigene 
Weiſe dahin gefommenen vornehmen Gaft, nämlid Euphemia oder 
Eugenia, eine Tochter Eduards III, Königs von England. Ahr 
Dater hatte fie für einen Grafen von Geldern zur Gemahlin beftimmmnt. 
Da diefe Verbindung aber gegen ibre Neigung gina, fo entfloh fie aus 
England nad Flandern, reite von da aus zu Fuß nah Köln und ver: 
richtete in einem dortigen Gafthofe unter dem angenommenen Namen 
Gertrud längere Zeit Magddienfte. Da fie fi) durdy Fleiß und Ge: 
fchiflichfeit vor allen andern Dienftboten auszeichnete, jo erregte diejes 
große Eiferfucht, und eine ihrer Nebenmägde wußte fie dadurdy in den 
Verdacht des Diebſtahls zu bringen, daR fie ein Kleid, das fie zu die— 
ſem Zweck entmendete, unter Enphbemiens Kopftifien veritedte. Ihre 
Abſicht gelang ihr vollfommen. Guphemie oder Gertrud wurde des 
Diebftahls beſchuldigt und zu einer für ſolche Fälle üblichen Strafe, 
nämlich zur Tragung des Halseiſens am Pranger, verurtbeilt. Sie 
ertrug diefelbe mit Gelaffenheit, wäre aber von einigen Engländern, bie 
fihy unter den Zuſchauern befanden, beinahe erkannt worden, wenn fie 
nicht ihr Geficht durdy ihre Thränen unkenntlich gemacht hätte. Nach 
überftandener Strafe wurde fie aus der Stadt gewiejen, kam nad) 
langen Bejchwerden nady Pforzheim, wo fie im Klofter der Domini: 


) Vergl. Gültbefchreibung des Frauenkloſters zu Pforzheim (Landes: Archiv.) 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 115 


fanerinnen gaftlihe Aufnahme fand und nad abgelegtem Gelübde bis 
an ihren Tod verblich, welcher um das Jahr 1367 erfolgt fein fo. *) 

Des Prediger: oder Dominifanerklofters finden wir in 
diefer Periode auch mehrmals wieder erwähnt. Daß der frühere Schult- 
heiß von Sptingen, Eberhard, als Mönch in dasfelbe trat, nachdem 
feine Fran und feine Tochter geitorben waren, ijt bereits gejagt werden. 
Am Jahr 1368 finden wir darin aud feinen Sohn Johannes ale 
Lesmeiſter, d. h. ala Lehrer für den jungen Klerus, und 1373 war der: 
jelbe bereits zur Würde eines Priors gelangt. Als ſolchen finden 
wir diefen Johannes von Iptingen in einer Urkunde von gedachten 
Jahr, worin er namens feines Kloſters von Engeline Pfaff in Weil 
der Stadt vierthalb Pfund Heller entlehnt und ihr dafür Pfaff Heinrich 
Schribers Haus, zu Weil am Kirchhof gelegen, verpfündet. An diejer 
Urkunde hängen die Siegel des Kloſters und des Priors. Auf erjterem 
befindet fih ein Marienbild mit der Umichrift: CONVENTUS FRAT- 
RUM PRAEDICATORUM PHORZHEIMENSIS (Konvent dev re: 
digermönde zu Pforzheim). Das andere it dadurch intereffant, daß 
auf demfelben dargeftellt tft, wie ein Abt einen neuangehenden Mönch 
auf diejelbe Weiſe mit einer Ruthe Eräftig züchtigt, wie dies auf einen 
gewifien Körpertheil bei Heinen Kindern zu gejchehen pflegt. Es ſoll 
diefer Gebrauch deshalb eingeführt worden fein, um die Herren vom 
Adel, die durch ihren Stolz die Ordnung in den Klöftern vielfach ftörten, 
vom Eintritt in diefelben abzuhalten. 2) 

Bom Klofter der Franziskaner oder Barfüßer erfahren wir, 
daß dasjelbe 1371 von Schwejter Heilentrud aus Pforzheim (wahrſchein— 
ich einer Beguine) ihren Hof zu Gölshaufen (B. A. Bretten) um 
60 Pfund Heller erfaufte. Diefen Hof ſchenkten die Barfüßer in der 
Folge dem Spital in Pforzheim, von welchem er 1451 um 155 Gulden 
an Herrenalb kam. Als Pfleger des Klofters werden 1371 genannt: 
Heinrih Goldelin, Günther von Vaihingen, Schultheiß Goplin, Günther 
Flad und Wernher Goldelin, 

Vom Klofter der Gifterzienjerinnen, über deffen Geſchichte 
fortwährend ein Dunkel Liegt, habe ih auch Für dieſe Periode nichts 
Beftimmtes in Erfahrung bringen können, 





1) Die Quelle für diefe Erzählung ift Maji vita Reuchlini, pag. 116-118, 
Man vergl. aud das am Schluſſe dieſes Kapitels folgende Gedicht. 
2) Gehres, Chronik von Weilerftadt, S. 77. 


446 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


Sonftige Klöfter, die vermutblic den 14. Jahrhundert ihre Ent: 
ftehung verdanften, waren in Pforzheim :1) Ein gedoppeltes, vegulirtes 
Auguftinerklofter, das aus zwei Flügeln beftand, Der eine diente 
den Kanonikern, der andere den Eremitern zur Wohnung. Die 
Kanoniker oder regulirten Chorherrn lebten, aßen und fchliefen gemein- 
fhaftlih unter der ummittelbaren Aufficht des Biſchofs oder Abtes. 
Nach der Reihenfolge der kanoniſchen Stunden begannen nody tief in 
der Nacht ihre frommen Uebungen. Für ihren Unterhalt forgte der 
Biſchof aus dem Kirchengut; doch war ihnen Einiges zu befißen erlaubt. 
Den Eremitern verlich Papſt Alerander IV. 1256 die Privilegien der 
Bettelorden. Cie entftanden aus verfchiedenen zerftreuten Mönchsvereinen.?) 
Die Klofterkicche gehörte den Kanonikern und Eremitern in Pforzheim 
gemeinschaftlich. Wo diefes Klofter geftanden, läßt fich nicht ermitteln, 
und ift überhaupt wenig davon bekannt. — Außer demfelben wird 
aber noch eines andern Augnftinerflofters erwähnt,3) das 
wenigftens 1380 ſchon beftanden haben foll.*) Näheres darüber ift aud) 
nichts befannt. Es foll da geftanden haben, wo fih jebt das Schlacht: 
haus und das Maifenhaus befinden,5) Erwähnung gefdjieht bloß 1499 
einmal eines Altar „St. Nicolai in ecel. monial, St. Augustini“, 
d, 5. „zu St. Nikolaus in der Auguftiner Klofterficche.”6) 

Den Klöſtern ift auch ein Beguinenhaus anzureihen, deſſen 
1379 gedacht wird, indem die Bequine Katharina Arnoldin in jenem 
Jahre ein ſolches in Pforzheim bauen ließ, während Beguinen ſchon in 
früherer Zeit daſelbſt vorkommen (jo 1302 ꝛc.). Beguinen oder Be: 
gutten (mweibl.), forwie die Begharden (männl.) hießen ſolche Perfonen, 
welche fi), ohne Slloftergelübde getban und die Megeln eines Ordens 
angenommen zu haben, zu Webungen der Andacht und Wohlthätigkeit 
vereinigten und Gefellichaften bildeten, in eigenen, oft durch Schenkungen 
fehr bereicherten Beguinenhäufern zufammenlebten und ſich durch Fleiß 
und Gittlichkeit, fowie durh Sorgfalt für die Jugend auszeichneten, 





1) Vergl. Kolb, Leriton von Baden, I, 61. 

?) Bergl. Hafe, Kirchengefhichte, S. 200 und 334. 

2) Bon Peter Lancillotus, ber ein Verzeichniß aller Auguftinerflöfter 
ber ganzen Welt machte. Vergl. Kolb, IL, 61, 

4) Züngler, Notate. 

6) Franc. Petri Suev, Eccl,, pag. 666 und Kolb a. a. O. 

6) Nepertorium des Generallandesardivs, 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, 117 


Soldyer Gejellfchaften waren ſeit Ende des 11. Jahrhunderts viele vor: 
handen; fie mußten aber durch die Eiferfucht der geiftlichen Orden fchwere 
Verfolgungen erleiden. Klausſchweſtern, wahrſcheinlich Beguinen, kommen 
noch 1611 in Pforzheim vor. 

Zu dieſen Klöftern ꝛc. kamen im Laufe des 14. Jahrhunderte 
auc einige Stiftungen, deren Zweck verbefjerte Krankenpflege war, und 
von denen eine auch Flöfterliche Einrichtung hatte. Im Jahr 1323 
gründete Markgraf Rudolf IV. mit feiner Frau Luitgard in der Brößin- 
ger Vorftabt das „Hofpitalhbaug des heiligen Geiſtes.“ Das: 
jelbe hatte Höfterlihe Einrichtung und waren die Hofpitaliter, die nad) 
der Regel des heiligen Auguftin lebten, zur Kranken- und Armenpflege 
verpflichtet, Solcher Hofpitalhäufer des heiligen Geiftes gab es im 
Allgemeinen nur wenig, fo in Schwaben, außer in Pforzheim, noch in 
Markgröningen, Memmingen und Wimpfen. 1) Der Anfang des Stif: 
tungsbriefes?) lautet (im heutigen Deutfh): „Wir Markgraf Rubdolf 
von Gottes Gnaden, Markgraf von Baden der Jüngere (IV.) und 
Tran Luitgard, die Markgräfin, unſere eheliche Frau, kunden allen denen 
die diefen Brief immer gefehen oder leſen hören, daß wir mit guter 
Betrachtung angefehben haben die große Würde und fondere Gnade, 
die der göttlihe Drden des heiligen Geiftes in dem Spital zu Rom 
erworben hat vom heiligen Water der Ghriftenheit und Papſten des 
Stubles von Nom, und darum fo haben wir mit gutem Willen und 
Andacht dem Meifter und Brudern desfelben Ordens aufgeben zu rechter 
Gab, die man nennt unter Lebenden, ben Spital, den wir geftiftet haben 
in der Vorſtadt unferer Stadt zu Pforzheim ꝛc.“ — War bdiefes Heilig: 
geiftfpital oder Heiliggeiftflofter ſchon bei jeiner Gründung mit den erfor: 
berlihen Einfünften verfehen worden, (audy Hirſchau verzichtete damals 
auf 28 Heller Zins ab dem Platz, auf welchen das Klofter gebaut 
wurde,) fo hatte es fih auch im der Folge reicher Schenfungen und 
noch eimmal der Huld jeines Stifters zu erfreuen. Am freitag nad) 
St. Walpurgtag 1336 vermachten Markgraf Rudolf und feine eheliche 
MWirthin Maria3) dem Spital die Summe von 25 Pfund als jährliches 
9) Stälin, II, 712, 

2) Sads, II., 129. 

3) Die zweite Gemahlin des Markgrafen, Wittwe des Grafen Wernher 
von Hohenberg. Seine erftie Gemahlin war die ſchon erwähnte Luitgard, Wittwe 
des Grafen Albrecht von Löwenſtein, welche ſchon 1324 farb, Bergl. ber 
dburhlaugtigften Fürften und Markgrafen von Baaden x. ©. 151. 


118 Achtes Kapitel. Piorzheim im 14, Jahrhundert. 


und ewiges Hellergeld, Als Meiiter des Spitals wird 1367 ein Heinrich 
von Nau genannt; fchen 1323 hatte fi) ein Bruder, Heinrich von 
Mainsheim (Mönsheim), in dasjelbe eingepfründet. Zum Heiliggeift: 
ipital gehörte wahrfceinlih das demfelben gegenüber liegende Kreuz: 
firchlein, das als beftehend zum eriten Male 1454 genannt wird. 

Der Gründung des Hofpitalbaufes zum beiligen Geifte war aber 
die eines Siechenſpitals in Pforzheim vorausgegangen. Am 25. 
Juli 1322 kaufte die bereits erwähnte Markgräfin Luitgard, Gemahlin 
Nudolfs IV,, laut eines alten, abichriftlih ned vorhandenen Stiftungse 
briefes t) das Haus des Schultbeißen Seinrich von Eberdringen (S. 102) 
zwiſchen den Waflern vor dem Tränkthor, und bejtimmte es zu einem 
Spital für elende und arme Siechen. Dieſes Haus ftieß an das Frauen: 
Eojter der Dominikanerinnen und lag alfo, wie ſchon die Bezeichnung 
„vor dem Tränkthor“ beſagt, außerhalb der Stadtmauer. Das Siechen- 
fpital gelangte mich und nach zu veihem Eintommen und bezog ?) Gülten 
und Zinfe aus Pforzheim, Gräfenhaufen, Ellmendingen, Büchenbronn, 
Huchenfeld, Jspringen, Eiſingen, Stein, Rußbaum, Göbrichen, Kiefel- 
bronn, Oeſchelbronn, Glattbach, Wurmberg, Nußdorf, lacht, Weißach, 
Eberdringen, Mönsheim, Wimsheim, Brötzingen, Birkenfeld, Dietlingen, 
Würm, Merklingen, Simotzheim, Heimsheim, Eutingen, Lomersheim, 
Illingen, Sersheim, Großſachſenheim, Oetigheim, Bönnigheim, Kirchheim 
a. N., Boppenweiler, Ditzingen, Stuttgart, Rechenshofen, Dürrn, Klein— 
ſachſenheim, Brackenheim, Gernsbach, Lehningen, Iptingen. Für dieſes 
Spital wurde ſpäter eine eigene Kirche gebaut, und zwar ganz in der 
Nähe deſſelben, nämlich unterhalb des jetzigen Gaſthauſes zur Kanne, 
wo ſpäter die Stadtmetzig war und jetzt das Haus von Bäcker Schuſter 
iſt. Vorläufig ſei bier bemerkt, daß bald nach Aufhebung des Frauen: 
kloſters (1977) das Siechenſpital durch die Gebänlichkeiten des letztern 
vergrößert wurde, aber 1689 abbrannte, Am Jahr 1714 erbaute fo: 
dann auf der Stelle, wo dasjelbe geitanden, Markgraf Karl Wilhelm 
ein Landeswaifenhaus, deſſen Näumlichkeiten aber nad) einander ver: 
ſchiedenen Zweden dienen mußten, bis die Anjtalt ihrer urfprünglichen 
Beitimmung, ein Siechenhaus oder eine Heil: und Pflegeanftalt 
zu fein, im Jahr 1854 zurücgegeben wurde. 





) Alten ber Großb. Heile und Pflegeanjtalt Pforzheim, 
*) Zinebuch des Spitals zu Pforzheim im Pandesardiv. 


Achtes Kapitel, Pforzheim im 44. Jahrhundert. 119 


Zu biefen zwei Spitälern kam noch ein drittes. Außerhalb der 
Vorſtadt Aue Tag auf einer Anhöhe das St. Georgenftift, das 
ihen 1348 vorhanden war. 1) Es bejtand damals aus einem großen 
Haus mit einem geichloffenen Hof; fpäter kamen noch eine Kapelle und 
andere Gebäulichfeiten, 31/, Morgen Ader und 1 Morgen großer Wald 
dazu, und gelangte überhaupt das Stift nad) und nach zu bedeuten 
dem Vermögen, jo namentlid) vielen Kapitalien, die zu Anfang des 
vorigen Jahrhunderts, obgleich viele derfelben in den Kriegen des 17, 
Jahrhunderts verloren gegangen waren, noch ein jährlihes Einkommen 
von 741 fl. 294), kr. abwarfen. 2) Das St. Georgenitift diente als 
Aſyl für anftedende Kranke, war alfo, wie aus allen Andentungen her⸗ 
vorgeht, ein ſogenanntes Leproſenhaus. Solcher Anſtalten, die and) 
Gutleuthäuſer, Miſelhäuſer, (von Miſelſucht, Ausſatz), Malazhäufer 
(vom franzöſiſchen malade) hießen, gab es im Mittelalter ſehr viele, 
ſelbſt in kleinern Orten. Sie waren in der Regel außerhalb derſelben 
erbaut, um die Verbreitung der anſteckenden Seuchen zu hindern. 3) 
Das war auch bei dem St. Georgenftift der Fall. Daß ein ſolches Les 
profendaus ſchon zu Anfang des 15. Jahrhunderts in Pforzheim be: 
fand, geht daraus hervor, dag damals die Erlaubniß zur Erhebung 
einer Kollefte für den Bau einer Leproſenkapelle ertheilt wurde, 9) 
und wenn fpäter mehrfach angegeben wird, 5) daß leproſe Perfonen in 
das St. Georgenftift aufgenommen wurden; wenn den ſtädtiſchen Metzgern 
verboten war, Schweine ꝛc. aus dieſem Stift zu kaufen; 6) wenn endlich 
die Bauart desjelben ganz mit der von andern Leprofenhäufern überein- 
ſtimmte: fo geht wohl mit Sicherheit daraus hervor, daß auch dag 
St. Georgenftift ein ſolches Leprofen- oder Gutleuthaug war. Derühmt 
war von jeher das Waſſer des Stiftsbrunnens, und man hielt dasfelbe 
für befonders beilfräftig bei Lähmungen und fonftigen Uebeln. Nach 
einer alten Sage ſoll dasſelbe ſogar unter der Enz hindurch in die 
Stadt geleitet und daſelbſt zu Bädern benützt worden ſein, ſo z. B. in 
der vorhin erwähnten Siechenanſtalt. In einer um die Mitte des 





) Repertorium des Generallandesardhivs. 

2) Alten der Großh. Heile und Pflegeanitalt Pforzheim, 
») Mone, Zeitichrift IE, 259. 

+) Alten bes Landesarchivs. 

) In Rathöprotofollen (im Stabtardiv). 

°) Metzgerordnung von ca. 1500 (im Stabtardiv). 


120 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


vorigen Jahrhunderts erjchienenen Schrift 1) heißt es u. A.: „Die 
Heilkraft des Waflers iſt berühmt, und man bat dasjelbe, fowie in ber 
Stadt und aud anderwärts, alſo auch beim Waifenhaus in vielerlei 
Umftänden, befonders bei Eontracturen, Yähmungen, zu der Verbeflerung 
des verdorbenen Geblüts und fonften vielmal gar fonderbar bewährt 
gefunden. Der Geihmad gibt nicht das geringite Kennzeichen von 
einigen darin enthaltenen Mineraltheilen, fondern es ift nur ein jehr 
reines Waſſer. Dasjelbe, kurmäßig getrunfen, thut ebenfalls gute 
Wirkung.” Es war deßhalb auch in dem ehemaligen Waifen:, Toll: 
und Zuchthaus ein eigenes Bad eingerichtet, zu weldhem das Waſſer 
des St. Georgenbrunnens benüßt wurde, Ein ſpäterer Sachverftändiger 2) 
jagt über dieſes Waller: „Es wird in viele Häufer als ein befon- 
ders gutes Waſſer geholt, indem es die Kräße bei ſolchen, die eine 
Anlage dazu haben, auf die Haut treiben, aber auch wieder heilen 
jol. Das Waffer enthält falzjauren Kalk ꝛc.“ Heut zu Tage fcheint 
man von ber Heilkraft diefes Waſſers — und mit Recht — feine fo 
günftige Meinung mehr zu haben. Der St. Georgenbrunnen, forwie die 
St. Georgenfteige find dermalen noch die einzige Erinnerung an das 
längft verſchwundene St, Georgenftift. 


ec. Ausſehen und einzelne Theile der Stadt. 
(Zum Theil aus dem Bisherigen hervorgebend.) 


Das allgemeine Ausjehen der Stadt mag fih vom 13. zum 
14. Jahrhundert und während des feteren nur wenig verändert haben. 
Dur die beiden Anguftinerflöfter, die Kreuzkirche, die Spitalficche ꝛc. 
erhielt Pforzheim einen nicht unbedeutenden Zuwachs zu dem zahlreichen 
Türmen, die früher eine Hauptzierde der Stadt waren, Deutete der 
Umftand, daß ihen im 13. Jahrhundert dic badiihen Markgrafen ab: 
wechſelnd ihren Sit in Pforzheim hatten, auf das DVorhandenfein eines 
fürftlichen Schlofjes bin, fo kann ein folhes um fo weniger im 14, 
Sahrhundert gefehlt haben, als die Stadt bald nad 1300 längere Zeit 
Nefidenz der Herren von Pforzheim wurde, und die Markgrafen mehr: 


1) Umftändliche Nachricht von dem Waiſenhaus in Pforzheim. Karlsrube 
bei Maklot, 1759, 


2) Roller, Veichreibung von Pforzheim, 1811. 


Achtes Kapitel. Piorzbeim im 14. Jahrhundert. 421 


fach hohe Befuche, fo im Fahre 1347 den Kaifer Karl IV,, und zwar 
ficherlih in ihrem Schloffe beherbergten. Sehr umfangreich kann das: 
jelbe übrigens nie gewejen fein, da die zum Theil noch vorhandenen 
Befeftigungsmauern, welche das Schloß mit den dazu gehörigen Ge: 
bäulichkeiten von der Stadt abfondern und basfelbe früher zu eimer 
Art Gitadelle machten, keinen fehr großen Raum einjchließen, von 
dem überdies die Schlohfirhe mit andern Gebäulicykeiten, die jebt 
meift nicht mehr vorhanden find, einen ziemlichen Theil in Anſpruch 
nahm. Einen Hof neben der Kirche befaß 1302 der Bürger 
Gettbold Weiſe. Welche Kirche damit gemeint ei, ift aus der Urkunde 
wicht zu entnehmen. Wielleiht war es der Hof in der Altſtadt, den 
wir 1257 und 1284 (S. 79) unter dem Namen des „Liebeners Hof“ 
tennen gelernt haben. Vom Marktplatze, der vermuthlid won jeber 
diejelbe Geſtalt wie jest hatte und bei Anlage der Stadt einen yralti- 
ihen Sinn bewies, it 1336 die Nede, und wir erfahren bei der nänız 
lichen Gelegenheit, daß das Klofter Herrenalb unten am Marfte ein 
Steinhaus mit einer Hofftatt befaß, an welches rechts und links 
die Häufer der „Heckerin“ und der „Zorgelerin” anftießen, 
Die ausdrüdliche Bezeihnung „Steinhaus“, der wir mehrfach begegnen, 
berechtigt zu dem Schluß, daß fteinerne Häufer damals in Pforzheim 
noch etwas felten und die meiften Gebäude nur „unterjteint” und wahr: 
ſcheinlich mit Riegeln aufgeführt waren. Wenn jogar noch im folgenden 
Jahrhundert, nämlich in der Landesordnung von 1495, Herzog Eber: 
bard im Bart verordnen mußte, daß wenigftens in den Städten ber 
Unterbau der Häufer von Stein fein und legtere mit Ziegeln gebedt 
werden müßten, 1) fo läßt fich daraus entnehmen, wie es im Wllges 
meinen beim Bauen vorher gehalten wurde. Der jährliche Beitand von 
2 Bid. Heller, der für diejes Steinhaus und die dazu gehörige Hofitatt 
bezahlt werden mußte, läßt einen Blick auf die Geldverhältnifie und die 
Miethpreife der damaligen Zeit thun. Bei diefem Steinhaus, das in 
einer Urkunde vom Jar. 130% abermals genannt ift, lag aud das 
Haus Liebeners, und kommt femer am nämlicyen Ort das Haus 
der „Soltjmidin“ vor. Eines Haufes, das Heinz Noth und fein 
Sohn in der Altjtadt beim Brunnen befaßen und das hinten an bie 
„Wydem“ * und vornen auf die „freie Reichsſtraße“ ftieß, iſt 


) Etälin, IM, 784, 


122 Achtes Kapitel. Pforzbeim im 14. Jahrhundert. 


bereits gedacht worden. Mehrfahb wird and der Vogelerin 
Mühle („der NToglerin men”) aufgeführt, jo 1302 und 1319. 
Mahricheinfih ift damit die Obermüble, die in fpätern Urkun— 
den aud) Zwingelmühle beit, gemeint. 1348 ift die Pfriemen— 
mühle außerhalb Pforzbeims, alſo die Nonnenmühle, fammt 
einem dazı gehörigen Stampfrad erwähnt, — Daß das Kloiter 
Lichtenthal hinter dem Dominikanerkloſter, alfo in der heutigen Spital: 
ftraße, verfchiedene Erwerbungen machte und dafelbft auch die Domini: 
Fanerinnen einen Garten beſaßen, it oben fchon bemerft worden, Bon 
den damaligen Straßen der Stadt werden aufgeführt: die Brösinger 
Gaſſe 1366 umd 1376, eine Fiſchergaſſe („des Echnlers Haus in 
der Fiſchergaſſe“ in der Au), die Brunnengaffe, (jebt verlängerte 
Lammgaſſe bei der Synagoge binunter), wo das Bequmenhaus war :c. 
— Die Straßen der Stadt waren damals noch nicht gepflaftert; denn 
diefe Sitte kam erft im folgenden Jahrbunder auf. Am Jahr 1416 
gab Augsburg ein Beifpiel, vielleicht das erite, mit der Pflafterung, das 
andere Städte im Lauf der Zeit nachahmten. Des „Altorfer: ober 
Altftädter Thors“ erwähnt eine Urkunde von 1389. Sodann wird 
auch noh 1322 eines „Tränkthors“ gedacht, vor welchem, und zwar 
zwifchen dem Waſſer, das Haus des Schultheißen Heinrich von Eber— 
bingen Tag, das die Markgräfin Luitgard anfaufte umd zu einem Siechen- 
baus beftinnmte, Dasfelbe ftieß, wie ſchon erwäbnt, an das Klofter ber 
Dominikanerimmen, das (S. 74) ebenfalls außerhalb der Stadtmauer war. 
Sowohl da8 Tränftbor, als das früher (S. 79) genannte Frauen-— 
tbor, die beide gegen das Klofter hinführten, mußten verſchwinden, als 
jpäter die Stadtmauer erweitert und das Klofter fammt manden ans 
ftoßenden Häufern ebenfalls mit derfelben umfchleffen wurde Wenn 
das Haus Heinrichs von Eberdingen ald „zwiihen dem Waifer* 
liegend bezeichnet wird, fo geht daraus hervor, daß damals (1322) ber 
Mühlkanal, der ja mit der Eng und dem Nonnenmäblfanal den 
Stadtteil einſchließt, wo fih jenes Haus befand und die Heil: umd 
Pflegeanftalt jetst ftebt, fchen vorhanden war. Auch des Metzelgra— 
bens und der daran ftorenden Bleichwieſe geſchieht ſchon früh Er: 
wähnung. (S. 86). Die Auer Brüde wird unter dem Namen 
„Steynin Bruden” zum eriten Male 1365 genannt. (Hirſchau 
bejaß das Fiſchwaſſer oberhalb dieſer Brücke und unterbalb bis St. Martin.) 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14, Jahrhundert, 123 


Der Altftädter Brüde geichieht 1383 Erwähnung, und war der 
Zimmermann Gonzlin Zurn (Zorn) mit der Aufficht darüber betraut. 


d. Gewerbe, Handel ıc, 


Daß nicht bloß der Mühlbach im 14. Jahrhundert ſchon vorhan— 
ben war, fondern daß überhaupt die Stadt damals fchen von noch 
andern Kanälen, fowie heut zu Tage, durchſtrömt werden fein muß, bes 
weist der Umftand, daß in einer Urkunde von 1342, nämlich dem unten 
folgenden Floßvertrag, bereits vier Wehre in der Enz bei Pforzheim 
genannt werden, aljo nur eines (das Finkenſtein'ſche) weniger, als es 
beut zu Tage noch find. Daraus läßt fih auf das frühere Vorbanden: 
fein noch mehrerer Mühlen, deren obnebin auch 1338 als mainziſcher 
Lehen Erwähnung geſchieht, und fonftiger Waſſerwerke, (Oelſchlagen, 
Schleifmühlen, Walkmühlen, Lohſtampfen ıc.), wie wir derfelben heute 
noch längs des Gewerbfanals finden, ein Schluß zieben, und man barf 
wohl annehmen, daß icon im 13. und 14. Jahrhundert eine ähnliche lebhafte 
Gewerbthätigkeit geherriht haben muß, wie wir derfeiben in ben folgen: 
den Jahrhunderten, am meiften aber freilich in der neueften Seit bes 
gegen. Wurde eine feldhe chen durch die Lage Pforzheims ſehr bes 
günftigt, das von jeher über bedeutende und nie verfiegende Waſſerkräfte 
verfügen konnte, fo mochte auch der Umfland nicht wenig zur Erhöhung 
jener Gewerbthätigkeit und zur Belebung des Verkehrs überhaupt beis 
tragen, daß ſchon im 14. Jahrhundert zwei Reichshauptſtraßen 
über Pforzheim gingen. Die eine, bereits (S. 121) erwähnte, führte 
vom Rhein ber nach Kannftadt. Dort war, wie ſchon zur Mömerzeit, 
ein Hauptftraßentnoten, nnd Tiefen dafelbft noch zwei andere wichtige 
Straßen aus, nämlich eine, die von Bruchſal über Maulbronn, und eine 
andere, die von Heilbronn über Laufen dabin zog. Die gemeinfchaftliche 
Fortfegung diefer drei Straßen ging über Eßlingen, Plochingen, Göp- 
pingen, Geiklingen nad Um ꝛc. Eine andere Reichshauptſtraße führte 
von Frankfurt ber über Bretten, Pforzbeim, Merklingen, Weiler: 
ftadt ꝛc. nad Um, und von dort in die Schweiz und nad Italien. 
Diefe Strafe war früher wichtiger, als die andere, was ſchon die vielen 
Verträge über das Geleit auf derfelben bemeifen, denen wir ſpäter bes 
gegnen. Zu all dem kommt noch, daß die Stadt Pforzheim, die be: 


124 Ahtes Kapitel. Pforzheim im 14, Jahrhundert, 


deutendfte der alten Markgrafihaft Baden, von ihren Fürften immer 
ſehr begünftigt wurde und ihren Bürgern die freiefte Negfamteit, ſoweit 
ſich diefelbe mit den damaligen Verhältniſſen vertrug, eben jo gut, als 
den Bewohnern der Reichsſtädte verftattet war. Pforzheim zeigte ſich 
auch den badiſchen Fürſten feit dem Anfall der Stadt an diefelben be: 
ftändig treu ergeben. Wird ihnen doch ſchon in der Stadtordung von 
1491 von Markgraf Chriſtoph das Zeugniß ertbeilt, daß fie ſich gegen 
feine „vorbern löblicher gedechtnis allwegbeer zü ſchymipf vnnd zü ernnit, 
mit getruwen darftrefen, hilff vnnd ſtuvr gehorfamlich erzeigt, willig vnnd 
wolgehalten band.“ =. 

Wie in andren Städten aktes Yandes ‚t) jo mochte fih aud in 
Pforzheim ſchon im 14. Jahrhundert ein geregeltes Zunftwefen aus 
gebildet haben, wie wir demjelben fpäter fo häufig begegnen, (Bergl. 
©. 82). Die ftädtiichen Zünfte fpielten feiner Zeit eine wichtige Nolle, 
und brachten, wie ein badiſcher Geſchichtsſchreiber bemerft,2) „nicht nur 
Ruhe und Ordnung, fondern aud eine nüßlihe Miſchung der verichie- 
denen Bürgerftände, ihrer Grundſätze und Sitten, eine ftrenge Ehrbarkeit 
und einen fichern Wohlftand hervor, worüber man es gerne vergißt, daß 
fie ihren Urfprung doch in einer engberzigen Abſchließungs- und Vor: 
theilsfucht hatten,” Nebenbei hatten aber die Zünfte auch einen mili- 
tärifchen Zweck, und erfchienen bei drohenden Gefahren wohl gerüftet, 
jede unter der Anführung ihres Zunftmeiftere, um den gemeinjamen 
Feind muthig zu bekämpfen. An Gelegenbeit dazu fehlte es in den da: 
maligen unruhvollen Zeiten nicht. 

Ueber die einzelnen Gewerbe und Fünfte, welche in Pforzheim 
damals beftanden, erfahren wir übrigens urkundlich Näheres jest noch 
nicht, und finden wir nur über einige derfelben unbeitimnte Andeutungen. 
Der Mühlen ift ſchon gedacht worden. Diefelben waren meiſtens 
Eigenthum der Fürften, Klöfter ıc., und wurden an dazu geeignete ‘Per: 
jonen in Erblehenpacdht gegeben. Zu der „Vogferin Mühle“ gehörten 
1319 fünf verichiedene Brodihrannen der Stadt, nämlich die 
Schrannen „der Ranfaltin, Heinrih Getzinſ, Vlrichs von Winrejheim, 


) So 3. B. in Villingen, Freiburg, Konſtanz, Ueberlingen, Kenzingen 
vw. a. In Villingen wurden ihon 1324 die Zunftmeifter mit 4 Beifigern in | 
den Rath aufgenommen und Pfullendorf erhielt 1333 eine Junftverfaffung, | 
(Bader, bad. Landesgeihichte, Seite 303 fi.) 

2) Bader a. a. O. 


Achtes Kapitel, Pforzheim im 14, Jahrhundert. 125 


Conratz Schvmels vnde der Volmarin ſchrannen, vnde der Ranfaltin 
Bachvs (Backhaus),“ und fielen von denſelben allwöchentlich 5 Heller 
oder eben fo viel Hellerbrode der Mühle zu. Des Hanfes einer 
„Soltimidin“ ift auch ſchon Erwähnung geſchehen, ein Beweis, daß 
das Gewerbe der Goldichmiede damals ſchon in Pforzheim vertreten war, 
Einen Weber Wortwin und einen MWeingärtner Konrad, bie 
beide im der Aitjtadt wohnten, haben wir bereits auch kennen gelernt, 
Ein Bäder Heinrih Hagen kommt 1347, ein Seifried Ferwer (Fir: 
ber) 1361, Guntram der Schmied 1366, zwei Fiſcher Entlin 1363, 
ein anderer Friedr. Krieg 1383, ein Zimmermann Zurn 1365, 
ein Götz Krämer 1395 vor. 

Am meiften tritt im 14. Jahrhundert das Flo ßweſen aus dem 
Dunkel, welches früher noch über demfelben geichwebt. Wichtig dafür 
it der Vertrag, der in Betreff des Flößens auf dem Medar, der 
Enz, Nagold und Würm zwifchen Baden, Württemberg und Heilbronn 
im Jahr 1342 abgefchloffen wurde. Es gebt daraus hervor, wie be 
deutend ſchon damals die Flößerei auf diefen Flüffen war, fo daß eine 
Regelung derfelben nothwendig erſchien. Nach dem Vertrag, welcher bie 
Deffnung der erwähnten Flüſſe bezweckte, hatten die Flößer zwar an 
beftinnmten Wehren Zölle zu entrichten, doch follten diefe Wehre und 
die Wafferftraßen überhaupt ohne Unfoften für die Flößerei erhalten und 
von dem Holz, welches auf den Flößen Tiege, nichts bezahlt worden. 
Das fichere Geleit, welches den Flößern und den Kaufleuten, die Holz 
kauften, zugefagt wurde, follte auch in Kriegszeiten nicht beeinträchtigt 
werden, Bei der Michtigfeit diefer Vertragsurtunde mag fie bier voll 
ftändig mitgetbeilt werden. ') 


„Copie Vergleichs zwiichen den fürftlichen Häufern Baden und Würtem— 
berg wegen Flößens auf der Würm, Nagold, Enz und Nedar von 
1342. 

Wir Marggraff Rudolph von Baden, unnd Wir Graue Ulrich von 
Würtemberg verjehen?) offentlih an diefem Brieff für Uns, Wufer 
2) Eine Abſchrift derfelben befindet fi bei ben biefigen Flößerzunftaften, 
und ift fie bier bemüßt, Für ihre Korreftheit kann ich nicht gutſprechen. 
Gin (vermuthlich fehlerhafter) Abdrud derſelben ficht Rausler, Beihreibung 
bes Oberamts Neuenbürg, ©. 154 fi. 
2) bejahen oder befennen, 


1936 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


Erben, vnnd all vnſer nachlommen, vnndt thuen kundt allen denen, die 
In Ammer anfehendt, Tefendt, oder börendt leßen, das Wir durch nutz 
vnndt frommen Vnſer, Unferen Erben, unndt aller Bnjer Nachkommen, 
vnndt auch dur Bitt der Erjamen weißen Leut, der Burgermeifter, des 
hats vnnd der Burger gemeinlid zu Heilbron ſeyn vbereinkommen, 
vmb das Floſſen vff der Würm, off der Nagold, vff der Eng, vnndt 
vff den Nekher, alfo das Mir diefelben Waßer vnnd auch die Straßen 
vff denjelben Wafjern haben geoffnet, vnndt gevffet, und das es Immer— 
mebr, ewiglic ein geoffnete, vndt gevfiente Straß vff denfelben Waſſern 
fein fell vndt bleiben zu gleicher Weiß ala hernach geichriben ſtett. 

Bon Erft jo haben Wir die Würm gevffent, big geen Pforkhein 
in die Entz, vnd wer daruf Floſſen will, der joll von jedem Hundert 
Zimmerholtz, oder von jedem Hundert Dilen geben zu Zoll, zu Lieben: 
egge an dem Were ſechs Heller. 

Darnadı haben wir die Nagolt gevffent, bis gehn Piorkheim in 
die Ent, vnnd wer darauff Floſſen will, der fell von Jedem hundert 
Zimmerbolß oder von Jedem bundert Dilen geben zu Liebenzell an dem 
Were zu Zoll ſechs Heller, vnndt zu Wißenftein zehn Heller. 

Darnach fo baben Wir die Ent gevffent, all fern man darauf 
gefloffen mag bis. gehn Beſſigkheim in den Nekher. Darnach jo haben 
Wir den Nekber gevffent zu Beſſigheim bis gehn Hailbronnen an die 
EStattmauer, mit ſolcher Beſcheidenheit 1) wer darauf floſſen will, der joll 
von Jedem hundert Zimmerholg, oder von Jedem hundert Dilen geben, 
zu der Mewenburg?) zu Zell von zweyen Wehren zwantig Heller, 
darnach zu, Pfortzheim von vier Wehren vierkig Heller, zu Bingen 3) 
von einem Wehr vier Heller, zu Nüffern von einem Wehr vier Heller, 
zu Dürmünge von einem Wehr vier Heller, zu Lomerkheim von einem 
Wehr vier Heller, zu Mühlhaußen von einem Wehr vier Heller, zu 
Nofienwage von einem Wehr vier Heller, zu Vayhingen von zweyen 
Wehren zwangig Heller, zu dem obern Niringen von einem Wehr zehen 
Heller, zu dem niedern Niringen an einem Wehr vier Heller, zu Ne 
micheim von einem Wehr vier Heller, zu Bnffingen von einem Wehr 
vier Heller, zu Bejfigfheim von zweyen Wehren, zwanzig Heller; Es ift 
ift auch geredt, zu welchem Wehr man Zoll gibt alß vorgeſchriben ftebet, 
da foll Jeder Herr, oder Jeder Armmann?) dem man den Zoll gibt, 

’) mit folchem Beſcheid, d. h. mit ſolcher Beſchränkung. 2) Neuenbürg. 
8) eigentl. Uttingen, Uitingen, Eutingen. *) arme Mann, Leibeigener, ber 
mit der Erhebung des Zolles beauftragt war. 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 1N 


Schutzbretter an daſſelb Wehr machen, das zwiſchen den Seulen ſey 
zwölff Schue weit, vnndt ſollen die Schutzbretter bawen vnnd machen, 
on der Fuhrleit?) ſchaden. Man ſoll auch zu keinem Viſchs babe 2), 
noch Jendert 3) anders, dan alß vorgeichriben it, feinen Zoll, noch 
nichtzit 2) geben, were auch, das daß Waßer Jendert vergruße, oder 
vergrundt *) würdt, oder ſonſt vnützo würde, das man nicht wohl ge 
fleifen möchte, bey wer Wehr oder Mühlen das geichehe, der ſoll es 
vffrichten vnnd vertig machen ohn der Furleüt ſchaden. Es iſt auch 
geredt, was vff den flofjen Teit vngeuerlich 6) von Holtzs, es ſeye vff dem 
Zimmerholss, oder vff den Dilen, oder Wehre das man ſchelleich 7) 
oder Legjchiff 9) an die Floß bend, das foll alles freilihen 9), und ohn 
allen Zoll faren, vnnd geen, vnnd ſoll auch niemandt den audern vor— 
bietten, noch bekümmern 10), das an den Flöſſen geirren oder gehindern 
möchte, in feinen Weeg ohn alle geucehrde 11), 

Es iſt auch geredt, was vff den Flofien liege von Holtzes, oder 
was darauf fehrt von Feileuten, das foll vff und ab fridt vnnd Gleidt 
haben, vor allermenniglich, es ſeve in Krieg, oder ohne Krieg, dafielb 
Gleidt jollen auch die Nauffleut die Kauffendt, oder vngeuehrlich kauffen 
wollen, fie fahren vff den Floſſen, oder fie gangen, oder fie Reiten vff 
dem Yandt vff oder ab, haben ohn alle geuehröt, Were aber darwider 
thett, vund den Friden und das Gteidtl?) vberführe oder breche, das follen 
Wir Marggraff Rudolff von Baden, vnndt Wir Graff Blrich von 
Mürtemberg, vnndt Vnſer Erben, vnnd all Bnfer Nachkommen, weren 
vnnd wenden, alß fern Wir Finden und mögen ohn alle gevehrde, Dep 
zu Vhrkundt vnnd zu einer ewigen Gezeugnuß, haben Wir Marggraff 
Rudolff von Basen, vnndt Graue Vlrich von Würtemberg, die vorge: 
nanndten, dieſen Brieff befiegelt mit Vnſern nfiegeln, die daran han— 
gende, der geben ijt zu Stuttgartten an dem weifjen Sonntag da man 
zhalt von Chriſti Rurth brepgehen hundert Jare, vnndt in dem zwey 
vnndt vierzigften Jare.“ — 

2) nämlich der Flößer. *) Fiſchfang. 2) fo viel ald etwa. ) nichts. 
5) verſchlammt. #) ungefähr. 7) Schäleichen. *) Nahen. ®) frei. 19) bes 
fäftigen. *') Gefährde. 32) Geleite. Durch genenicitige Verträge hatten die 
meijten Fürſten die in jenen unrubigen Zeiten zur Eicherheit des Handels To 
notbwendige Verpflihtung übernommen , die dur ihr Gebiet reifenden Kauf: 
leute zu ſchützen. Natürlich mußte für folches Geleit auch etwas bezahlt werben. 
Bon ſolchen Geleitverträgen wird weiter unten mehr bie Rede fein. 


128 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


Es ift zwar num in diefer Urkunde nicht gefagt, daß eine geordnete 
Flößerzunft in Pforzheim damals ſchon beftand; es kann indeR aus dem 
ganzen Anhalt derjelben mit Sicherheit geichloffen werden. In Pforz 
beim mußte wohl eine Hauptjtatien fein, da die Enz dur Aufnahme 
der beiden andern Flüſſe hier erſt völlig flößbar wird, und es läßt fi 
mit Gewißheit annehmen, daß da, wo zu einem Erwerbszweig ſich eine 
fo fchöne Gelegenheit bot, auch viele Hände ſich damit befaßten ımd die 
Flößerei im Intereſſe der Ordnung und eines geregelten Betriebs, wie 
jedes andere Gewerbe in damaliger Zeit, fehr früh ſchon zünftig wurde. 
Daß die Pforzheimer Flößer 1383 ihr Gefchäft bereits bis nad) Mainz 
ausdehnten, zeigt ein Eintrag im Seelbuch des Stifte Mariä zu den Gre- 
den zu Mainz, welder lautet: Anno dom, 1383 Albertus scultetus 
de Porzheim dedit ad edificia beate Marie virginis in lignis emptis 
erga ipsum 35 libr. hall, cujus memoria habeatur in perpetuum, ') 
d. h. Albert der Schultheiß von Pforzheim gab zum Bau der feligen 
Nungfrau Maria an von ihm erkauften Hölzern 35 Pfund Heller, defjen 
Andenken beftändig bleiben möge. 

Zum befjern Verſtändniß mancher Angaben, wie fie dag gegen: 
wärtige Kapitel ſowohl, als die frübern entbalten, und auch die folgen: 
den Abichnitte bringen werden, und um überhaupt einen allfeitigern 
Maapitab zur Vergleihung der Vergangenheit mit der Gegenwart zu 
haben, tft e8 nothwendig, auf die Geldverhältniſſe früherer Zeit 
näher einzugeben. 2) Die Vergleihung der alten Münzwerthe mit den 
jegigen ift übrigens fehr ſchwierig, weil diefelben früher im einzelnen, 
oft nahliegenden Orten und Bezirken ganz verfchieden waren und auch 
der Münzfuß fich Häufig änderte. Das ältefte und gemöhnlichte 
Mechnungsgeld war das Pfund, welches aber niemals in einem 
Stüd ausgeprägt wurde, weil man Feine Prägftüce für fo große Mün- 
zen hatte. Die ımbeholfene Prägung der Theilftücte, die feine beftimmte 
Größe und feinen ſcharfen Nand hatten, machte es nöthig, diefelben aufs 
Pfund abzumwägen, während man fi) heut zu Tage mit dem Zäh— 
len begnügt, weil die Scheidemünzen genauer geprägt find. Am meiften 
ift Bis jetzt die Bezeichnung „Pfund Heller” vorgefommen. Gleichbe— 
deutend damit war ein „einer Gulden von Florenz." Diefe Gulden 


) Mone, Zeitſchrift XT,, 260. 
2) Vergl. Mone, Zeitſchrift II. 385 ff. III. 309 ff, VW, 257 ff. IX. 189 ff. 


Achtes Kapitel, P forzheim im 14, Jahrhundert. 129 


waren von Gold und wurden zuerit in der Stadt Florenz geprägt, 

daher der Tateiniihe Name forenus (franz. florin) und das Zeichen 

fl. für Gulden. Ein Pfund Heller beftand gewöhnlih aus 20 Scil: 

ling Heller, auf jeden Schilling Heller gingen 12 Heller, fo daß alfo 

ein Pfund Heller durchfchnittlih 240 Stüd Heller zählte. Aehnlich 

war die Pfennigrednung; 12 Pfennige waren 1 Schilling Pfennig, 

und 20 Schilling Pfennig waren 1 Pimd Pfennig; nur war 1 Pfen: 

nig da8 Doppelte von 1 Heller, 1 Schilling Pfennig das Doppelte von 

1 Schilling Heller und 1 Pfund Pfennig das Doppelte von 1 Pfund 
Heller. Auf 1-Prund Pfennig gingen alſo durchichnittlich 240 Stüd 
Pfennig oder 480 Stück Heller, Der Werth von einem Pfund 
Heller war aber nun nad Zeit und Ort außerordentlich ver— 
ſchieden; namentlich wurde derfelbe im Lauf der Zeit immer geringer. 
Während er z. B. zu Anfang des 14. Jahrhunderts für die Gegend von 
Fforzheim etiva 6 fl. 15 fr. betrug, alfo 1 Schilling Heller 183, kr. 
und 1 Seller etwas über 1'/, Kreuzer umferes Geldes werth war, 
fand das Pfund Heller 1321 auf 6 fl, 12 fr. und um 1350 war ber 
Werth desjelben bereits auf 4 fl. A fr, gefunfen. Hundert Jahre 
fpäter, nämlih um 1460, galt 1 Pfennig ungefähr 11/, (genau 125/,,) 
Kreuzer des jetzigen Geldes, alfo 1 Schilling Pf. etwa 153%, Kreuzer, 
1 Pfd. Pfennig demnach 5 fl. 14 fr., 1 Pfund Heller 2 fl. 37 ir. 
Nah Pforzheimer Lagerbücdern aus dem 16, Jahrhundert (1527, 
1565 und 1574) waren die damals üblihen Münzen noch die 
nämlichen, wie früher, nur daß fih der Pfennig no in 4, und 
ber Keller in 2 Ortlin oder Oertlin abtbeilte. Auf den Red: 
nungsgulden gingen zu jener Zeit 14 Schilling Pfennig oder 
28 Schilling Heller. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts war nun 
der Werth eines Rechnungsguldens gleih 2 fl 52%, kr. unferes 
Geldes; alſo galt 1 Pfund Pfennig 4 fl. 6'%, kr., 1 Pfundb 
Heller 2 ji. 3, ir, 1 Schilling Pfennig ungefähr 12°%/, kr., 
1 Pfennig alſo etwa 1 Er., 1 Heller war gleich 1/, Kreuzer. Gegen 
Ende des 16, Jahrhunderts betrug der Rechnungsgulden mur noch 
2 fl. 16 Er. unferes Geldes ‚ alijo war 1 Pfund Pfennig — 3 fl. 
14 kr., 1 Pfund Heller 1 fi. 37 fr., 1 Schilling Pfennig — 
95/, ki, ein Pfennig etwa %/, Kreuzer u. ſ. w. Als der alte Pfen— 
nig und Heller nah und nad auf den jeigen Werth (Ci, und 1/s 


Kreuzer) herabſanken, fo wurde bie Pfundrechnung der Guldenrech⸗ 
Pflüger, Pforzheim. 9 


130 Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


nung gleich; deshalb kam fie als unnöthig außer Gebraudy; denn 
1 Pfund Pfennig war alsdann 1 Gulden und 1 Pfund Heller 
1/2 Gulden. 

Neben dem Handel und den Gewerben blühten in den meiften 
damaligen Städten auch Wiſſenſchaft und Künjte in erfreulicher Weiſe. 
Bürgerlichen Schulunterricht findet man im 14. und 15. Jahrhundert 
ſchon in jehr vielen Orten. Pforzheim mag darin hinter andern Städten 
nicht zurüdgeblieben jein, Zu dem reichen Kontingent der Singer und 
Dichter, welcher damals ſchon und in der Folge noch zahlreicher aus 
den Städten bervorgingen, bat auch Prorzbeim feinen Mann geftelt. 
Es ift dies Meifter Heinrich von Pforzheim, Leider ift von ihm 
weiter nichts, als fein Name und ein einziges Gedicht bekannt, das die 
Ueberſchrift: „Des Fifhers Nahe“ führt. ') Dasielbe befteht aus 
nicht weniger als 425 Verszeilen und erzählt in Tauniger Weife ein 
Abentheuer, das ein Fiſcher mit einem eijtlichen hatte. Es beginnt 
mit den Worten: 


Merfe nach der welte pblicht 

Ir kurtze wil ift anders nicht 
Waz man finget oder fait 
Bnzucht und dba by trundenhait 
Hat man für ein toren ſpiel 
Da von ich nit Tafen wil 

Aller welt ze flür 

Wil ich jagen ain auentür 

Bon einem viſcher wol gemnot 
Der ye vor jhaden was behuot 
Der vnder Burg jaz ze tal 

Da nam ain wazzer bin fin val ꝛc. 


Läßt fich aus dem Anfang diefes Gedichts, ſowie aus den mitgetheil: 
ten Bruchftüden ꝛc. einiger Urkunden die Sprache des 14. Jahrhunderts, 
wie fie in der Gegend Pforzheims üblich war, erfehen, jo mag zu dieſem 
Zwecke noch in ausgedehnterm Maaße eine ganze Urkunde fih eignen, 
welche Schulthei und Gericht der Stadt am 24. Dezember 1319 aus: 
geitellt haben. Diefelbe iſt ſchon mehrmals eitirt worden und mag alfo 





1) Es ftcht in Laßbergs Lieberfaal, Thl. 3, S. 217. — Bezüglich bes 
Nomens des Dichters ift indeß auch zu vergleichen, was ©, 133 über das Adel: 
geſchlecht „von Pforzheim“ gejagt ift. 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 131 


auch zum Beleg für vwerichiedene Thatfahen und Angaben dienen, deren 
bereits Erwähnung gefcheben ift, oder die mitgetheilt worden find. ') 

„Wir Heinrich von Eberdringen (S. 102), der ſchulteiz, vnde die rihter 
gemeinlih von Phorzhein, vergehen offenlih an dijem briefe, daz an ge: 
rihte vor vns ftuont unſer borger Sifrit von Phorzbein, Gotboltes 
feligen des Weifen fon, vnde Hedewig, fin eliche wirtin, vnde veriahen 
vnd erfanten fich des, das fie vm den cinf, dem fie fchuldic warn ze ge- 
ben eweclic dem clofter der monde von Albe, den def vorgenanten 
Sifrides vater vnde mvoter verfouften vm driv hundert pfunde guter 
beller, der fie gewert wurden von dem vorgefcriben clofter, aber dei 
vorgenanten cinſes waf alle jar vier vnde vierzie malter roden, fiben 
vnde zweinzie malter dinkeli, vnd zwei vnde vierzic malter habern, vnde 
eilf pfont heller ane fonft jchillinge, von den gvoten, die bie nach gefcri- 
ben ftent, daz ift div zweiteil der myln zu Phorzhein, die man beizzet 
der Bogelerin moln, des zebenden daz dritteil, dein vnde groz, zu Bre: 
Bingen vnde zu Birkenvelt, beidiv in den dorfern vnde vf dem marken, 
vnde oc) vf anderme guote, die fie hant zu Bretzingen, zu Nidelingen, 
Geberchingen, vnde zu Elmendingen ligen. Daz fie des vorgenanten 
cinjes ledic wurden eweclich, dar vm fo hant die vergenanten Sifrit vnde 
Hedewig vor vnſ vf geben eweclich dem vorgeferiben clofter die mol, 
die da vor genennet ift, mit allen dem reht vnde noßen, die zu derſel— 
ben moln borent, daz ift mit namen die brotfchrannen der Ranfaltin, 
Heinrichs Getzinſ, Vlrichs von Winrefhein, Conratz Schumels, vnde ber 
Volmarin ſchrannen, vnde der Nanfaltin bachvs, da von alle wochen 
vallent fünf heller, oder alſ maniget heller brot, vnde daz dritteil de; 
zehenden, beidiv groz vnde clein, wber die marke zu Bretzingen vnde zu 
Birkenvelt, vnde och in denfelben zwein dorfern, Difiv vorgenanten guot 
bat Sifrit vnde fin wirtin, die da vor genennent fint, geben reht vnde 
redelich dem vorgeferiben clofter zu Albe ze ham eweclich vnde ze niezzen, 
ſwie ef im goot oder note mac gefin, Wir Heinrich, dev ſcholteiz, vnde 
die. rihter von Phorzhein, die vor geſeriben, vergehen och an dieſem 
Briefe, wan der vorgenante Sifrit hat gefwifterit, Wernhern, Eriftin, vnde 
Elfebeten, die nit fint zu im tagen Fomen, fo bat her Abreth der alte 
Weiſe, Drotwin, Gozfelt, od die Weife, der vorgenannten finde pfleger 





1) Sie ift aus dem Herrenalber Klofterarhio und fteht in Mone's 
Zeitſchrift, V., 466. = 


132 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, 


vnde formont, in der hant Gotbolt felic jatte vnde gab vor den ribtern 
mit irme gbote ze ton, ſwaz fie wolten, die bant vergehen vor vnſ an 
der Einde ſtat, jmaz Sifrit vnde Hedewig fin wirtin hant gerihtet um 
ben vorgenanten cinj mit dem clofter von Abe, alf da vor geferiben 
ftet, wan ez mit ir willen vnde vate gejchehen iſt, ſtete vnde gan ze 
ban an alle geverde. Vnde dar vın jo git vf vnde verziehet ſich Sifrit 
vnde Hedewig, vnde her Abreth der alte Weife, Drutwin vnde Gozſolt 
och die Weifen, die da vor genennet fint, der vor geferiben finde forınont, 
an der jelben finde ftat, for fich, for alle ir erben vnde nachkvmen aller 
der reht vnde anſprache, die fie jolten oder mohten gehan oder gewinnen, 
nv oder hernach, an geiflihem oder an weltlichem geriht, vnd globent 
och, daz vorgenante clofter niemer ze irrent oder ze hindern mit worten 
oder mit werfen an den vorgenanten guten beinlich oder offenlih. Daz 
aber diz allez gang vnde tete blibe dem vorgenanten clofter ze Albe, 
dar vm jo han wir Heinrich der jchulteiz, vnde die ribter von Phorzhein 
durch der vorgenanten Inte bete willen, Sifrides, Hedewige, vnde od) der, 
die dba formont fint der vorgefcriben Kinde, zvo dem ingefigel vnſers her: 
ven, margraven Mudolfes, des jungen, von Baden, vnſere ftete ingefigel 
gehenket an dijen gegenwertigen brief. Wir der vorgenante marcgrave 
Ruodolf von Baden vergehen offenlich an diefem briefe, daz alles, daz 
ba vorgeferiben ftet, mit vnſerm gonſte vnde goten willen gejchehen fi, 
onde globen, daz vorgenante clofter von Albe niemer ze irren an den 
vorgenanten guten vnde dav um fo benfen wir vnſer ingefigel zuo dem 
ingefigel vnſer burger von Phorzbein am difen gegemwertigen brief zu 
einer gezivenifje der vorgeferiben ſache. Dirre brief wart gegeben an 
dem heiligen abent zvo wihennaht, do man zahlte von gotz gebvrte driv- 
zeben hundert jar, da nad) in dem nivnzehenden jar.“ 


e. Pforzheimer Bürgergeſchlechter. 


Die Patrizierfamilien, welche fi) im 13. und 14, Jahrhundert zu 
Pforzheim befanden, find ſchon im vorigen Kapitel aufgezählt worden. 
Es mögen bier nody andere Namen, die im 14, Jahrhundert in Pforz: 
beim vortommen, zufammengeftellt und dabei umentichieden gelaffen werben, 
ob fie zu den Batriziern gehörten oder nicht: ) Guta, genannt Schwert- 


1) Diejenigen Geſchlechter, welche fich ſeit jener Zeit bis heute in Pforzheim 
erhalten haben, find durch gefperrten Drud bezeichnet, 


Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 133 


feger 1302, Heinrich Hegening 1304, Nanfalt 1319, Heinrich Getzin 
1319, Konrad Schumel 1319, Volmar 1319, Heinrich Nies 1321, 
Konrad Retmantel 134 und 1368, Sigwart, genannt Herzog 138, 
Rudolf der Nenner 1336, Heder 1336, AZurgeler 1336, Wernber 
May 1339, Guta Phennerin 1344 und 1359, Künlin, Sohn Kuno 
Mavſers 1346 1), Sigfried Seßhelin (Michter) 1347, Heinrich Hagen, 
Bäder 1347, Konrad der Weingärtner 1352, Walter Wolff 1352, 
Wortwin der Weber 1352, Konrad der Schopperer 1352, Heinzlin der 
Suter 1352, Berthold der Schürer 1352, Benz Korn 1352, Alb: 
recht der Schü 1352, Johannes Schreiber von Straßburg 1358, 
Guta Veſenmayerin 1359, Seifried Ferwer 1361, Walter Entlin ber 
Alt und Walter Entlin der Jung, zwei Fiiher aus der Au 1365, 
Guntram der Echmied 1366, berlin Sturmler 1367, Einhart Drud: 
berr und Volkmar, fein Sohn 1368, Irmela Phennerin 1375, Kunzlin 
Zurn der Zimmermann 1383, Friedrich Krieg der Fiſcher 1383, Cunz 
Clos 1394, Götz Krämer 1394, Berthold Männlin 1395, Albrecht 
Hofe (Richter) 1396, Einhard Ziegelkolb 1399. 

Aus Urkunden von 1316 und 1320 erfahren wir auch, daß es 
damals, wie früber fhen (S. 44), ein Adelsgeſchlecht gab, das fich 
von Pforzheim ſchrieb. Am erftgenannten Jahr wird eines Speierer 
Fürgers, Herrmann von Pforzheim, erwähnt, und im Jahr 1320 
bat Ritter Ulrich von Kröwelsau (bei Meilerftadt) einen Tochtermann, 
Günther von Pforzheim. Auch ipäter kommt der Name Pforz: 
beim noch mehrmals als Gefchlechtsbezeichnung vor. So hatte Kaifer 
Marimilian I. 1492 und 1493 einen Sekretär, Lukas von Pforz 
beim, den er im erftgenannten Jahre zu feinem „oberften Auffeher und 
Gegenihreibergeneral aller feiner Aufichläge, auch feiner und feiner 
Dienftlente Steuern in Defterreih ob und unter der Ens und zu 
Gmunden“ ernennt. — 1502 bis 1508 lebte zu Bafel der Buchdrucker 
Jakob von Pforken. Er war aus Kempten gebürtig; es Tann 
alſo das „von Pfortzen“ nur der Familienname geweſen jein, wenn 
er nicht aus dem nicht fehr weit von Kempten entfernten Pforzen an 
der Wertach bei Kaufbeuern gebürtig war, cin Ort, der in Urkunden 
ſogar auch unter dem Namen Pforzheim vorkommt, wie unjere Stadt 


!) Diefer Name zeigt, auf welchen Urfprung die verihiebenen Amar 
Geſchlechtsnamen ber Kienle, Kiehnle, Kienlin 2. zurüdzufübren find. Künlin 
beißt fo viel, ald der junge oder Feine Kuno, 


134 Ahtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 


an der Enz. Bielleiht war auch der erwähnte kaiſerliche Schreiber aus 
diefem Pforzen oder Pforzheim gebürtig. — Daß 1370 in Markgrö- 
ningen ein Bürger und Richter Heinz Pforzheim hieß, ift oben auch 
ſchon bemerkt worden. 


Anbang. 


Euphemia. 
Bon A. Banspach. 


Die Glocke zu der Hora war verklungen 

In Pforzheim bei den jrommen Kloſterfrau'n; 

Ein Bußpſalm, von der Nonnen Chor gelungen , 
Drang fhwer und bang durch's frühe Morgengrau'n: 
Da tönt das Glöckchen an des Haufes Pforte ; 

Doch ungehört verhallt der leiſe Klang, 

Verhallet gleich dem ſchmerzgehauchten Worte, 

Das fih empor aus wunder Seele rang: 


„O möge mir dies nicht zum Zeichen werben, 

Daß aus mich fchließt dies heilige Aſyl! 

Kennt doch mein einzig Hoffen noch auf Erden 

Nur dieſes eine, dieſes letzte Ziel!" — 

Raub durch den Garten führt der Sturm, ber wilde, 
Der neue Tag beginnet feucht und kalt; 

Da knieet fill vor dem Madonnenbilbe, 

Im Froſte zitternd, betend die Geſtalt. 


So ward fie von den frommen Frau'n gefunden 
Und dann geleitet zu der Oberin, 

Die ſchon erfannte in ben erften Stunden 

Der Fremden reinen, glaubensvollen Sinn; 
Denn ob fie auch, geheimnißvoll verichwiegen, 
Nicht Kunde gab aus ihrer frühern Zeit: 

Der Seele Adel ſprach aus ihren Zügen; — 
Die Freiftatt war für immer ihr bereit. 





1) Bergl, S. 114, 


Ahtes Kapitel, Pforzheim im 14, Jahrhundert, 


So lebte fie denn mandes Jahr im Stillen 

In Pforzheim’s Klofter, dienend Allen gern; 

Sie fannte nur den einz'gen Wunſch und Willen, 
Zu wandeln auf bem rechten Pfad zum Herrn. 
Erft als fih nahte ihre letzte Stunde, 

Da löste endlich fie der Zunge Band, 

Und nannte mit jhon balberblih'nem Munde 
Den Namen von dem fernen Baterland: 


„Am Thron von England ftand einft meine Wiege; 
Mein Bater ift der König Eduard, 

Man fjagte oft, ich trage feine Züge, 

Als von der Welt mir nod gehuldigt ward. 

Da follt! ih dem von Geldern mich wermähfen, 
Dem Ungeliebten, dies trieb mich zur Flucht. 
Was ic erlitten — laßt mich's nicht erzählen ; 
Mir ward des Ungehoriams bitt're Frucht. 


„Ich Hab’ gefehlet — und ich hab’ gebüßet ; 

Gott ift gerecht, doch er ift guädig auch; 

Er bat zulegt den Leidenokelch verfühet, 

Gerührt von der Gebete Opferraud. 

Grüßt mir den Vater! — Mög’ er mir vergeben — 
Die Palme winkt — der Sieg ift endlich da.“ — 
Eie lächelt jelig, es entihwand ihr Leben, 

Und ausgelitten bat Eupbemia. 


135 


Aeuntes Kapitel 





Pforzheim unter den Markgrafen Bernhard J., Jakob I, 
und Kari 1.) 
(Größtentheils 15. Jahrhundert.) 


F 1. Allgemeines. 


Die beiden Söhne, welche Rudolf VI. oder der Lange hinterließ, 
nämlich Bernhard I und Rudolf VII. (S. 93), waren bei dem Tode 
ihres Vaters noch minderjährig, weshalb fie unter die Bormundichaft 
von Kurfürft Ruprecht I. von der Pfalz geitellt wurden. Diefelbe 
icheint jedoch um 1380 zu Ende gegangen zu fein; denn in biefem 
Jahr nahmen beide Brüder eine Theilung der väterlichen Lande vor, 
wobei Bernhard I. die Städte Pforzheim und Durlach fammt der 
untern Markgrafichaft, Rudolf aber Baden erhielt. Mit dem Tode des 
Letztern, welcher 1391 erfolgte, wurde die ganze Markgrafichaft in die 
Hand Bernhards wieder vereinigt. Schon bei ihrem Negierungsantritt 
hatten die beiden Brüder, denen nicht entgangen war, wie ſchädlich die 
vielen bisherigen Theilungen auf das Anfehen des marfgräflichen Haufeg 
eingewirkt ‚hatten, einen Erbvertrag miteinander abgeſchloſſen, worin feft- 
gefet wurde, daß die Markgraffchaft Baden Fünftig nie mehr als zwei 
Herren haben, das Recht der Erftaeburt gelten und eine Linie der 
andern beim Ausfterben in ihrem Landestheile nachfolgen folle. Ebenſo 
wurde die Veräußerung von Yand und Leuten gänzlich unterfagt und 
bejtimmt, einerfeits wie e8 mit Verpfändungen gehalten werden, anderer: 
jeits, welches das Einfommen nachgeborener Söhne und die Ausfteuer 
ber Prinzeffinnen fein ſolle. Diefer Vertrag ift eine der wichtigften 


1) Die allgemeinen Geihichtsquellen find meift die frühen; die befondern 
find überall angegeben. 


Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15, Jahrhundert. 137 


Handlungen Markgraf Bernhards, und es ift nur zu bedauern, daß er 
unter feinen Nachfolgern nicht immer beachtet wurde. 

Die vielen Fender! , welche Bernhard J. theils zur Wahrung jeiner 
Yänder und der Ehre feines Haufes, theils zur Unterftügung von Bun- 
deögenoffen und Freunden unternahm, können bier füglich übergangen) 
und nur fo weit berührt werden, als die Stadt Pforzheim dabei 
in irgend einer Meife genannt wird. So heldenmüthig im Krieg, ebenio 
thätig und winfichtig war er in frieblihen Geſchäften, und jorgte nicht 
nur für die Vermehrung feiner Länder, fondern au für deren innere 
Ordnung und den Wohlitand feines Volkes. Markgraf Bernhard ftand 
deshalb auch bei den andern deutſchen Fürſten in hohem Anfehen, und 
mag den Beinamen des Großen, der ihm wielfach gegeben wird, eben 
jo gut, wie mande andere Fürften verdienen, denen man dieſe Benen- 
nung beizulegen pflegt, wenn er auch von allzu großer Leidenſchaftlichkeit 
nicht frei zu fprechen tft. 

Bon ben drei Söhnen Bernhards I. überlebte ihn nur einer, 
Jakob I., der deshalb aud in dem ungetheilten Beſitz der badiſchen 
Lande gelangte. Er regierte fie von 1431 bis 1453 mit dem Lobe 
eines ebenſo gerechten und weiſen, als friedliebenden Fürſten. Durch 
ihn wurde die Markgrafſchaft abermals nicht nur mit neuen Erwer⸗ 
bungen anſehnlich vergrößert, ſondern auch für Ordnung, namentlich 
aber auch für die öffentliche Sicherheit beſtens geſorgt. In ſeinem 
Teſtamente beſtimmte Markgraf Jakob, daß von ſeinen fünf Söhnen 
drei, nämlich Karl, Bernhard und Georg ſeine Länder unter ſich theilen, 
die beiden andern aber, Johann und Markus, ſich dem geiſtlichen Stande 
widmen follten. 2) Nach dem Tode Jakobs ging jene Theilung auch 
wirflich vor fih, und fam dabei Stadt und Amt Pforzheim, welch 
letzteres damals aus den Orten Würm, Dietlingen, Ellmendingen, 
Langenalb, Friolzheim, Ziefenbronn, Neuhanfen, Steinegg, Hamberg 
und Lehningen beftand, an Bernhard, diejes Namens ber Zweite. Er 
heit auch der Heilige, weil „in feinem fchönen Leibe eine noch ſchönere 
Seele ihre Wohnung hatte, die er mit Demuth, Mitleiden und Heilig: 


) Ausführlicheres darüber bei Sachs, 11., 177—296, zum Theil aud 
bei Bader, bad. Landesgeſchichte, S. 326 fi. Preuſchen, 504 — 516, ſowie 
in andern Geihichtswerfen. k 

2) Erfierer wurde Erzbifhof von Trier, Leterer Biſchof von Lüttich. 


138 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


feit, als der Krone aller Tugenden, zu ſchmücken fuchte,“') Aber ſchon 
im folgenden Jahre, nämlich 1454, trat Markgraf Georg zu Pforzheim 
feinen Yänderantheil an feine zwei ältern Brüder gegen eine Summe 
von jährlichen 1000 Gulden ab, widmete fich ebenfalls dem geiſtlichen 
Stande und wurde fpäter Bifchof von Mes. Als nun auch Bernhard IL. 
feinem Bruder Karl die Regierung feines Landes übertrug und auf 
einer Gejandtichaftsreife, die er im Auftrag des Kaifers Friedrichs ILL 
an alle europäifchen Höfe zum Zweck eines Kreuzzuges machen jollte, 
in Oberitalien 1458 plöglih ftarb, jo gelangte Karl I. in den Befit 
der ganzen Markgrafichaft, und die Gefahr, die dem Anſehen des ba— 
diſchen Hauſes durch abermalige Yänderzeriplitterung gedroht hatte, war 
für jet wieder befeitigt. — 

Markgraf Karl J. regierte von 1453 — 1475. Diefe Zeit war 
eine Außerjt unruhvolle, da der kriegeriſche Sinn des Markgrafen, der 
ihm auch den Beinamen des Kriegers zuzog, ihn mehrfad, verleitete, 
fi in Händel zu mifchen, von denen er ein unbetheiligter Zuſchauer 
hätte fein können. Wenn ihm auch das Lob eines guten und verftän- 
digen Negenten gezollt wird, fo tadelt man auf der andern Seite das 
an ihm, daß er in feinen Entſchlüſſen nicht die nöthige Feſtigkeit zeigte. 

Unter den Kriegen Karls I. it feiner bekannter geworden, als der: 
jenige, den er mit dem Kurfürften Friedrich dem Siegreichen von ber 
Pfalz führte. Da derjelbe auch Pforzheim mehrfach berührt, fo 
muß bier ausführlicher darauf eingegangen werden, 2) 

Im Jahr 1461 entitanden nad dem Tode bes Erzbifchofs von 
Mainz heftige Streitigkeiten bezüglich dev Perfon des Nachfolgers. Auf 
der einen Seite machte ein Graf Diether von Iſenburg, auf der andern 
Graf Adolph von Nafjan Anjprühe auf den erledigten Biſchofsſitz. 
Des Erjtern nahm ſich der Kurfürſt Friedrih von der Pfalz an, für 
den leßtern traten insbefondere der Markgraf Karl von Baden, Graf 
Uri von Württemberg und Biſchof Georg von Meg, des Markt: 
geafen Bruder, in die Schranken, und da eine friedliche Beilegung diefes 
Streites nicht gelang, fo wurde zum Schwert gegriffen. 

Kleinere VBerwüftungen gingen voraus; im Februar 1462 aber 


) Sads, I, 509. 

2) Bergl. Sachs, I, 432 ff. Bader, bad. Geſch. 354 ff, Häuſſer, 
Geſch. der Pfalz, I., 369 ff. Stälin, württemb, Geſch., UI., 535 f., Mone, 
Unellenfammlung, II, 140 ff. 


Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15, Jahrhundert. 139 


wurde der Krieg ernftlich begennen. Der Kurfürft fiel mit ftarfer 
Heeresmacht in die Markgrafichaft ein, drang bis gegen Bforzbeim 
vor, verbrannte daſelbſt drei Dörfer und verbeerte das Remchinger Thal 
(das Seitenthal der Pfinz, das von dem frühern Dorf Nemchingen oder 
auch von Singen aus nah Königsbach und Stein führt,) mit Feuer und 
Schwert. Dafür erfchienen im März verheerende Schaaren aus Mürt: 
temberg und Baden in der Pfalz, drangen bis gegen Heidelberg vor, 
verwüfteten die ganze Umgegend und legten eine Menge von Dörfern 
in Aſche. Im Mai ging Markgraf Karl über den Rhein umd ver: 
heerte die pfälziſchen Beſitzungen im Elſaß. Diefes langfame Hinzögern 
und Länderverwüften ohne enticheidenden Schlag mußte Niemand vers 
berblicher fein, als dem Pfalzgrafen. Es lag ibm darum Alles daran, 
eine rafche Gelegenheit zur Entſcheidung zu erhalten, und dieje wurde 
ihm von feinen Gegnern geboten. Durch falſche Benrtheilung der 
Kräfte des Pfalzgrafen und fonftige irrige Nachrichten getäufcht, ent— 
ichlofien fi die verbündeten Fürften, in Maſſe in der Pfalz einzufallen 
und den Gegner durch einen gewaltigen Schlag zu überwältigen. Am 
25. Juni vereinigten fich die badifchen und württembergiichen Heere bei 
Pforzheim, einjchlieglih der Hilfstruppen von Trier und Met in 
einer Gefammtjtärke von SOOO Mann zu Fuß und zu Noß.?) Beim 
Eintritt in die Pfalz (bei Bretten) begann ein wahrer Verwüftungszug. 
Manche Reiter bauden ihren Pferden breite Baumäfte an die Schwänze, 
um in den Sornfeldern, durch welche fie ritten, dic Verwüftung zu vers 
größern Ein Angriff auf die pfälzifche Weite Heidelsheim mißlang, 
weil der Kurfürft, den die Verbündeten fern in Baiern glaubten, felber 
darin war. Don dort zog das Heer weiter unter Brandlegung in allen 
Dörfern bis gegen Heidelberg hin, mit kühnen Abfichten auf das dortige 
Schloß und in der fihern Hoffnung, in kurzer Zeit die ganze Pfalz 
einzunehmen, Bei St. Leon wurde eine MWagenburg gefchlagen und 
das Fußvolk daſelbſt zurüctgelaffen, während die Fürften mit ihren 700 
Pferden in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni einen Streifzug gegen 
Sedenheim am Nedar hinunter machten. Am andern Tag aber 


— — — 





Graf Ulrich Hatte vorher an Markgraf Karl geſchrieben, er möge Für 
ſehung thun, daß ihm und den Seinigen, wenn fie bet Pforzheim Nachtlager 
hätten ober bis folgenden Freitag verziehen würden, Wein und Brob um billige 
Bezahlung widerfahren möge. Steinhofer, HL, 59. 


140 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


brach der Pfalzgraf, der ganz im der Stille feine Leute (über 2000 
zu Fuß und 1000-1200 zu Pferde) gefammelt hatte, plötzlich aus 
dem Schwesinger Wald hervor und überrafchte mit feiner Ueberzahl 
die Gegner, welche, von ihrem Fußvolk abgefchnitten und zwifchen den 
Nedar und Mhein eingeflemmt, die ungünftigfte Stellung Batten. 
Heiß entbrannte die Schlacht, in welcher treß der muthvolliten Ge: 
genwehr feiner Feinde der Pfalzgraf einen glänzenden Sieg erfocht 
und den Markgrafen Karl von Baden, den Grafen Ulrich von 
Miürttemberg und den Biſchof Georg von Met nebft vielen Herren 
vom Abel gefangen nahm.!) Xebterer wurde auf das Schloß Eicholz— 
beim bei Mannheim, die beiden Erjtern aber nach Heidelberg ge: 
bradyt und nad erfolgter Heilung ihrer Wunden auf dem Schloß 
bafelbft eingekerkert. Nach einjühriger Gefangenſchaft, während welcher 
die Fürſten äußerſt ftreng gehalten und nicht nur in Feſſeln gelegt, 
fondern fogar einmal fünf Wochen lang in den Stock geichlofien 
wurden, jchlug endlich die Stunde der Befreiung, aber unter welchen 
Bedingungen! Außerdem, daß die Fürſten verfprechen mußten, nie 
mehr feindfelig gegen den Pfalzgrafen aufzutreten und ihm mit 
dem Papſte, der ihn im den Bann getban, binnen Sahresfrift aus: 
zuföhnen, im Falle der Nichterfüllung bei einer Strafe von 30,000 





1) „Als ein A mit einem I aeziert, (M) 

Bier Hufeilen waren formirt, (CCCC) 

Eine Art und ber Apoftel Zahl, (LXII) 

Geſchah die Schlacht am Nederthal. 

Da ſchlug und fing ein junger Pfälzer 

Einen Bader, Jäger und Sälzer, 

Friedrich, der Siegreiche wohlgenannt, 

Der Kurpfalz Zier durch alle Land,“ 
fo heißt es in einem Liebe aus damaliger Zeit. (Der Jäger ift der Württems 
berger wegen des Jägerhorns, das er auf dem Helm führte, und ber Sälger 
if der Bilhof von Meg wegen der reichen Ealzgefälle dieſes Hochſtifts). Be: 
fannt ift auch die Ballade von Guſtav Ehwab: „Das Mahl zu Heidel— 
berg,“ worin ber Dichter die Sage behandelt, daß der Pfalggraf feine Ge: 
fangenen am erften Abend (Andere jagen bei der Freilaſſung) köſtlich bewirthet, 
ihnen jedoch fein Brod vorgefeßt habe , weil fie ihm „feine Mühlen verbrannt 
und feine Fruchtfelder verwüftet hätten,“ — Unter den Gefangenen, welche in 
Mones Qucllenfammlung, III., 147 und 148 aufgezählt find, fcheinen auch 
Pforzheimer geweſen zu fein, jo Wernher Plus, Martin Dietrih, Konrad Flach, 
Hans Wolf, Ulrich Schoch, Hans Felder u. N. 


Neuntes Kapitel. Pforzbeim im 15. Jahrhundert. 141 


Gulden für den Markgrafen: mußte Lebterer auch noch verfchiedene 
Ländereien abtreten oder Ansprüche, die er darauf geltend gemacht 
hatte, aufgeben, die Stadt Pforzheim zu einem pfälzifhen 
Leben machen, das dur nichts, als die Bezahlung von 40,000 
Gulden aufgefagt werden könnte, und endlich außer den Aufrechnungen 
für die Beköſtigung im Gefängniſſe als Löfegeld die für die dama— 
lige Zeit ungeheure Summe von 100,000 Gulden, wovon 20,000 
Gulden baar, bezahlen. 1) In der betreffenden Urkunde wurde aud) 
feitgefegt, daß der Kurfürft das Geleit?) von Pforzheim nad) Bretten, 
der Markgraf dagegen das von Bretten nach Pforzheim haben folle. 
Bei jolhen Bedingungen durfte Friedrih den Markgrafen ſchon 
feierlich entlaffen, was aud unter dem Schalle von Trompeten und 
Pfeifen geichab. 

Bon der Zeit an mar die Megierung des Markgrafen eine 
durchaus friedlihe. Es wird zwar von einem hroniften 3) erzählt, 
ber Markgraf fei 1469 dem Grafen von Württemberg mit 800 Mann 
zu Pferd ins Land gefallen, habe ihm etlihe Dörfer in Brand ge: 
ftedt und bei 2000 Schafe hinweg nah Pforzheim treiben lafjen. 
Es iſt dies indefjen darum unmahrfcheinlich, weil beide Fürften damals 
in jo guten Ginvernehmen ftanden, daß ſogar Graf Eberhard von 
Württemberg für die Zeit feiner Abweſenheit (er wollte eine Pilger: 
fahrt ins heilige Land machen) 1468 dem Markgrafen Karl die Re: 


ı) Stälin, IM, 543. Wie fih der Markgraf diefe Gelder verſchaffte, 
lefen wir in Eikhart Argtes v. Weiffenburg Geſchichte feiner Zeit, 
(Mone, Archiv II., 269), wo es beißt: „Am obgenanten jare (1463) gab 
feifer Friederich der Dritt dem marfgraven von Baden, feinem ſwager, bie 
Judden-ſchatzung, alfo das ein iglicher Judde, der do was uber drei jare, jollt 
geben ein gulden bevor us und darnach je dem britten (nad anderer Lesart 
den zehmten, vergl. die Urfumdenmittheilung des Wiener Archivs im ben 
Schriften des bad. Alterthumsvereins, Bd. II., S. 243.) pfenning alles ſins 
guts, alſo, das dem marfgraven me dan zweimal hundert tauſend gulben, ale 
man jagt’, wurden, dadurch er fins ſchadens wider zu fam. Zu dem het er 
auch alles fin Tand geſchetzt.“ (Der Markgraf mußte jedoch [Baden, 
12. März 1464] verſprechen, die Hälfte des reinen Ertrags ber Judenſteuer, 
nah Abzug der Einfammlungstoften, dem Kaifer nah Frankfurt ober um zu 
übermagen. Vergl. die Ehriften des badiſchen Altertyumsvereins Bd. I. 
&. 243.) 

2) Vergl. S. 127. 
®) Bernhard Herzog in der Elſaßiſchen Chronik.“ 


142 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert, 


gierung ber öſterreichiſchen Vorlande übertrug. 1) Bejonders war Mart- 
graf Karl darauf bedacht, feine Länder zu vermehren, was ihm gleich 
jeinen Borfahren auch gelang. Bon mehreren jeiner Regierungshandlungen, 
welche Pforzheim betreffen, wird unten die Rede fen. Karl I 
tarb am 24. Februar 1475 an der Peſt in feiner Reſidenzſtadt 
Baden, 


$ 2. Befonderes. 


Markgraf Bernhard IL hielt oft feinen Hof im Pforzheim, 
wenn ihm auch fein unruhiger Geift nicht geftattete, im ingend einer 
Stadt feine ftändige Mefidenz zu nehmen. Im Befige aller ritter: 
lihen Eigenſchaften, Eriegerifch fein ganzes Leben bindurd, war Bern: 
bard bejtindig von einer großen Zahl jeiner adeligen Vaſallen um: 
geben, welche ihn im Krieg unterftügen, im Frieden aber den Glanz 
jeines Hofes erhöhen mußten. Unter denjelben ragte durch Reichthum 
vor Allen hervor: Heinrih Göldlin von Tiefenau,?) einem alten 
Patriciergefchlechte Pforzheims angehörig (S. 85). Seine Vorfahren 
hatten mehrfach das Schultheißenamt daſelbſt bekleidet (S. 103), und 
es ſtand überhaupt die Familie Göldlin in der Stadt in großem 
Anfchen. Mit dieſem Heinrih Göldlin gerieth Markgraf Bernhard 
in einen heftigen Streit, dem wahrſcheinlich Geldforderungen zu Grunde 
lagen, und der jo weit führte, daß der Markgraf feinen Vaſallen zu 
Pforzheim für feinen Feind erklärte, fo daß Gölblin aus Pforzheim und 
der Markgrafſchaft flichen mußte. Da wurde er von tiefem Haß gegen 
den Markgrafen erfüllt, und überall fein Recht, oder feine Rache gegen 
denfelben, oder vielleicht Beides fuchend, begab er fich in den Schuß 
des Grafen von Württemberg. Darüber beklagte fich der Markgraf, 
und es entftand daraus ein heftiger Streit zwifchen beiden Fürften, der 
1399 durch ein Schiedsgericht zu Leonberg beendigt werden follte. Die 
Zuſammenkunft war aber eine fruchtloſe, ebenjo eine andere zu Weil 
der Stadt, bis emdlih 1402 in Vaihingen die Streitjache dahin ent: 
jchieden wurde, daß Graf Eberhard dem Markgrafen gegen Göldlin 
behilffich fein müſſe. 


) Stälin, II, 564. 
2) Vergl. Lottbammer, Pforzbeims Vorzeit, 147 ff. 


Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 143 


Diejer zog nunmehr nad Züri, we er fich als Bürger aufnehmen 
ließ !) und alsbald auch zum erften Reichsvogt gewählt wurde, Bon 
dort aus verfuchte er aufs Neue feine Nechte gegen den Markgrafen 
geltend zu machen, und legte jogar zu dem Ende dem Kaifer Ruprecht 
von der Pfalz Briefe und Urkunden vor mit der Bitte, ihm zu dem 
Seinigen zu verhelfen. 2) Die Urkunden wurden aber ſowohl von dem 
Markgrafen, als von den faiferlichen Räthen für umächt erklärt. Nach 
dem Tode Göldlins ernenerte jein Sohn Heinrich 1414 feine Forbe- 
rungen an Bernhard, und als fie ibm nicht gewährt wurden, kam es 
zu offener Fehde, da fich die Zürcher ihres Mitbürgere annahmen. 
Doch wurde noch im mämlichen Jahre der lange Streit durch einen 
Vergleich beendigt, bei welchem fich der Markgraf zu Gunſten der Ya: 
milte Göldlins zu einer Entihädigung verftanden zu baben ſcheint. 3) 

Wie Pforzheim fehr häufig von den Fürften der an die Markgraf: 
ſchaft angrenzenden Länder zu ihren Zuſammenkünften gewählt wurde, 
wenn irgend gemeinichaftliche Verabredungen zu treffen oder Streitigkeiten 
zu fchlichten waren, fo fchlofien au am 14. Januar 1400 der Kur: 
fürft Muprecht von der Pfalz und der Herzog Lupold der Dide, dem 
die Regierung der öfterreichifchen Vorlande übertragen war, zu Pforz: 
beim — wahrfcheinlih unter den Augen Markgraf Bernhards, — 
einen Vertrag mit einander, welcher zwar zunächſt auf die Erhaltung 
der Ruhe und Sicherheit ihrer Länder abzielte, aber den bechgehenden 
Planen Ruprehts, der wenige Tage nachher zum römiſchen Kaifer ge: 
wäblt wurde, and ſonſt fürderlidy fein mochte. Welches Inhalts diejer 
Vertrag war, gebt daraus bervor, daß Graf Eberhard von Württem: 
berg darin von den zu Befebdenden ausdrüdlih ausgenommen wurde. 

Das oben (S. 96) ſchon erwähnte Privilegium, welches Kaiſer 
Wenzel dem Markgrafen Bernhard 1382 verlieh, nach welchem „fein 


— — „Derfelb ri Göldlin was von Pforzheimb vß des Marge 
grafen Land, von finen vordern, und bat ouch etwas Nechtung an ber Etadt 
ze Tforgheim, und was vor Jaren als er etwas Epänne mit dem Marggraven 
gebebt, gen Zürich gezogen, und da Burger worden" x, Tſchudi, Schweizer 
Ehrenif, J., 674. 

2) Nach einer Notiz im Piorzbeimer Archiv belief ſich feine Schuldforberung 
an den Markgrafen auf die ungeheure Summe von 60,000 Gulden. 

) Bergl. Tſchudi, J., 674 und Sachs I., 235. Das Geläleht ber 
Goͤldlin von Tiefenau fommt fpäter in Pforzheim nicht mehr vor. 


144 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


Fürft, Herr oder Stadt oder fonft Jemand keinen der Seinen zu 
Burger abempfahen, und, wenn es ſchon vorher geſchehen wäre, ſolches 
null und nichtig fein ſolle,“ verwidelte den Markgrafen in mehrfache 
Händel, namentlih mit den Städten, gegen welche er nie die, freund: 
lichften Gefinnungen begte, jo unter Anderm 1397 mit der Stadt Speier, 
weil der Rath derjelben um 1394 einige markgräflibe Unterthanen und 
Reibeigene aus Pforzheim und Ettlingen zu Bürgern aufgenommen 
hatte.“) Diefer Streit kam bis vor den Kaijer Wenzel, der ihn zu 
Gunften der Stadt Speier entjchied ,2) jedoch den Herren das Recht 
zugefland, ihre Leute innerhalb Jahresfriſt zurückfordern zu dürfen. Aus 
ähnlicher Urſache, die verichiedene Pladereien im Gefolge hatte, erhob 
fih um 1420 ein Öitreit zwiſchen Bernhard und den breisgauijchen 
Städten, der 1424 eine Verwüjtung der Markgrafſchaft nach fich zog 
und dur den Vertrag von Mühlburg beendigt wurde.3) Zwiſchen 
Markgraf Bernhard und Württemberg, das auch am Kriege theilge— 
nommen hatte, kam es zu einen bejondern Vergleich, bei welchen feſtge— 
feßt wurde, daß die Richtung, zu Pforzbeim gemadt (?), bei Strafe 
von 5000 Gulden beibehalten werden ſollte. — Berührte diefe Ver: 
beerung des Landes die Gegend von Pforzheim und die Stadt felbft 
weniger, als die im Rheinthal gelegenen Theile der Markgrafihaft, jo 
war dafür ein Krieg im Jahr 1402 dem an Württemberg anftoßenden 
marfgräflihen Lande um fo verderblicher geweſen, weil Graf Eberhard 
in Württemberg, mit weldem Markgraf Bernhard ohnehin nicht im 
freundfchaftlichiten nachbarlichen Verhältniſſe lebte, mit andern Fürſten, 
die der auf Bernhard wegen Ungehorſams erboste Kaiſer Ruprecht gegen 
ibn aufgeboten hatte, nebft diefem felbft vermüftend im die ihm zunächft 
gelegenen Theile von Baden eingefallen war. Ob Pforzheim auch da— 
bei gelitten babe, it nicht befannt, 

Am 9. Auguft 1418 beherbergte Pforzheim in feinen Mauern 
wieder einen hoben Gaft, nämlich den Kaifer Sigmund, von dem Konzil in 
Konftanz wohl zur Genüge, aber gerade nicht von der vortbeilbafteften 


1) Nebenbei aud, weil die Speierer dem Markgrafen für verſchiedene Be: 
Ihädigungen, welche feinen Ländern in vorbergegangenen Kriegen erwachſen 
waren, feine Entihädigung leiften wollten. 

) Lehmann, Speierer Chronik, ©, 848, 

’) Vergl. Königshofen in Mone, Quelleniammlung, 1, 255 u. 285, 
und Sachs, II, 264 ff. 


Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 145 


Seite bekannt. Er reiste damals in Schwaben umber und hatte fich 
einige Tage in Baden aufgehalten, von wo er über Ettlingen, Pforzheim 
und Weil der Stadt nad Eflingen ıc. Fam. Markgraf Bernhard erwies 
dem Kaifer viel Aufmerkfamkeit und veranftaltete ihm zu Ehren namentlid) 
große Fagden ‚1) mozu die ausgedehnten Waldungen des Landes, zu denen 
bamals der Hagenſchieß 2) jchon gehörte, reichlich Gelegenheit boten. 
Daß die Lehensverbindlichkeit gegen Mainz wegen Weißenftein ꝛc. 
(S. 95) nody unter Markgraf Bernhard fortdauerte, erfehen wir daraus, daß 
derfelbe am Dienftag nach Judica 1426 von dem Kurfürften Konrad 
von Mainz zu Pforzheim aufs Neue mit Burg Weißenftein ſammt Zus 
behör, dem Schultheigenamt, dem altem Ungeld und den Mühlen zu Pforz- 
beim belehnt wurde, Diejes Lehenverhälmig nahm inbefjen bald nachher ein 
Ende;3) denn im Jahr 1444 trug bereits Dietrich von Gemmingen 
das Schloß Weigenftein ſammt Zugehör von der Martgrafſchaft zu 
Lehen, nachdem derſelbe 1439 mit feiner Ehefrau Agnes von Sidingen 
die Dörfer Neuhaufen und Lehningen, den fechsten Theil an ben Dör— 
fern Tiefenbronn, Friolsheim und Mühlhauſen, desgleichen feinen Theil 
an den Weihern auf der Struott, wie auch feine Zinfe und Rechte zu 
Reichenbach, Hobenwarth, Schellbronn und Mödlingen um 4200 fl., 
ſowie im Jahr 1440 feinen Theil an Steinegg, Burgftadel und Thal, 
um 450 Gulden an den Markgrafen Jatob I, verkauft hatte. Das 
Schloß Steinegg fammt dem Thal, der Mühle und Sägmühle, auch 
verſchiedene Waldungen erhielt ſodann Dietrid von Gemmingen von 
Jakob I. 1448 als Erbleben zurück; dag Gleiche geſchah nochmals 1461 
durch Markgraf Karl I, und wurde dabei die Erbbelehnung auch auf 


) Der Markgraff von Baden tet dem Konig große Ere und furte in umb 
in feinem Land jagen, Eberb. Winded bei Stälin, III, 415. 

2) Ueber ven Hagenſchieß vrgl. auch S. 72, Die älteften Nachrichten über ben: 
felben in einem ber Lagerbücher, die in der Regiftratur des Forſtamts Pforzheim 
fi befinden, reihen zwar nur bis 1499; doch geichieht des Hagenſchießes als 
Eigentyum ber Markgrafen von Baden ſchon um 1460 (S. 157), 1461 bei 
Sachs, 11.,427 und in einer Urkunde des ftädtifchen Archivs von 1480 Erwähnung. 

3) d. b. es begann von Neuem, ald Weißenflein wieder an die Markgrafen 
zurüdgefallen war, So finden fich Lehenbriefe Über Burg Weißenftein, Schult: 
heißenamt, Weinungeld und Mühlen zu Pforzheim vom 17. April 1583, aus: 
geftellt von Erzbiihof Wolfgang und vom 7. Februar 1711 von Erzbiſchof Lo: 
tbar Franz. Wann dicfes Lebensverbältnig aufgehört bat, weiß ich nicht. 
(Vgl, Lüinig, corp. jur. feud, Il, 189 bis 192.) 

Pflüger, Pforzheim. 10 


146 _ Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert, 


die Dörfer Tiefenbronn, Hamberg, Schellbrenn, Hohenwarth, Neuhauſen, 
Müůhlhauſen und Lehningen, mit den dazu gehörigen Unterthanen, Steuern, 
Wildbännen und befonders den Wald, der Hagenſchieß genannt, ausge: 
dehnt, nachdem der gleiche Markgraf zwei Jahre vorher, nämlich 1459, 
auch die Belehnung mit Weißenftein erneuert und die Dörfer Huchen: 
feld und Büchenbronn hinzugefügt hatte. Xebteres Lehen blieb indeſſen 
nicht bei ber von Gemmingen’ihen Familie Denn fhen 1464 wurde 
es nebſt Dillften von Karl L an Heflo von Kaltenthal ale 
Mannlehen (d. 5. nur auf die männliche Nachkommenſchaft ferterbend) 
übertragen, und zwar unter den gleichen Bedingungen, wie es Diet: 
rich von Gemmingen erhalten hatte, namentlich mit Vorbehalt des Oeff⸗ 
mungsrechtes, d. h. der Beſitzer von Weißenftein mußte den Lehensherrn 
zu allen Zeiten ohne Weigerung in das Schloß aufnehmen. Doc 
blieb Weißenſtein auch nicht bei diefem Geſchlecht, fondern wechielte feine 
Befiter noch mehrmals, So beſaß es 1488 ein Edler von Ehingen, 
1512 kam es an Reinhard von Neubauien (©. 69), 1566 an 
Martin von Remchingen, der es aber nicht lange behielt, fondern 
an den Markgrafen von Baden, wie die Sage berichtet, wieder -verfpielt 
haben fol. Bon der Zeit an verichwindet MWeißenftein allmählig aus 
der Geſchichte, und fcheint das untere Schloß nie gewaltfam zerftört, 
fondern nach und nad) zerfallen zu jein. 

Im Jahr 1451 fab Pforzbeim, wie da8 früher ſchon mehrmals 
der Tall gewejen war, eine Anzahl Fürften in feinen Mauern verjammelt, 
E8 war nämlich zwiſchen Ludwig, Herrn zu Lichtenberg, und den Grafen 
von Leiningen ein heftiger Streit entbrannt, der nad der rohen Sitte 
feiner Zeit fogleih auch zu gegenfeitigen Länderverwüſtungen führte. 
Markgraf Jakob fuchte Frieden zu ftiften, und nachdem zwei Konvente, 
zu Heidelberg und Speier, nicht zum erwünſchten Ziel geführt, kamen 
die ftreitenden Parthien nebft den Friedensvermittlern, darunter Biſchof 
Reinhard von Speier, Markgraf Albrecht von Brandenburg, Markgraf 
Jakob von Baden und der Deutjchmeifter Soft von Venningen, zu Pforz: 
beim zufammen, wo der früher ſchon geichlofiene Waffenftillitand bis 
auf den Dreikönigstag des folgenden Jahres verlängert wurde. Der 
Streit felbft aber ging erft bei einer neuen Zuſammenkunft zu Straß: 
burg 1452 vollftändig zu Ende. 

Um 27. Juni 1473 beherbergte Pforzheim wiederum einen 
bohen Saft, nämlih den Kaifer Friedrih III. Derjelbe fam vom. 


Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 147 


Reichstag von Augsburg, wo er vergeblich vwerfucht hatte, die Fürften zu 
einem Kriege gegen die Türken und zu einem Feldzug gegen Karl den 
Kühnen von Burgumd zu beitimmen, und reiste num über Ulm, Göp: 
pingen, Eßlingen, Stuttgart, Leonberg, Weil und Pforzheim nad 
Baden, um dort feinem Schwager, dem Markgrafen Karl, jowie feiner 
Schwefter einen Beſuch zu mäcen.1) Welche Ehrenbezeugungen dem 
Kaifer von der Stadt Pforzheim bei der Durchreife erwieſen wurden, 
darüber ift nichts befannt. Groß werden fie übrigens nicht geweſen fein, 
da Friedrich III. in Deutichland in Feiner befondern Achtung ftand und 
in feiner Perſon die Hoheit des Meichs nicht wenig berabgefunfen war.?) 


6 3. Inneres. 
a, Stäbtifhe Verhältniffe im Allgemeinen. 


Was die Entwidlung der ftädtiichen Verhältniſſe, insbefondere die 
Einrichtung des Ortsregimentes betrifft, wie ſich daffelbe im fünfzehnten 
Jahrhundert geftaltete, jo hat fih noch eine merhwürdige „Ordnung, 
wie Gericht, Rath, Bürger: und Baumeifter erwäbhlt wer: 
den jollen“, vom 10. November 1409, aljo aus der Negierungszeit 
Bernhards I, erhalten.?) Da diefelbe indefjen mit der Stadterdnung 
von 1491 und den in den folgenden Jahren als Zuſätze und Ergän— 


») Karl I. hatte zur Gemahlin Katharina, eine Tochter von Herzog Ernft 
dem Eifernen von Deftreih, dem Vater Friedrihs IM. Die Hochzeit mit ber: 
felben war 1447 in Pforzheim aufs Prachtvollfte begangen worben. 

2) „Er reit aljo in dem lande umb al ein betteler und ſchatz ein flatt 
noch der anderen. Zuoleft ritt er gon Metze und bettelt ouch da ſelbeß. Gr 
bett dem rich ouch nie Fein guots, die wil er feifler was, — — Darnach zoge 
er in Swoben und bettelt in allen richftetten draffter, jo in Swoben ligen. 
Zuo left fam er gon Dugsburg, do er vor ouch gewefien was und zertte bo 
und wolt nyeman nuetz geben umb das fin." Fortiegungen des Königs: 
bofen in Mone, Quellenſammlung, 3., 265. — Auf dem folgenden Reiche: 
tag zu Augsburg blieb der Kaifer an Zehrungskoſſen 6736 Gulden ſchuldig; 
die Kölner mußten ihm auslöfen. Als der Kaifer abreifen wollte, hielt ber 
Zunftmeifter ber Hufſchmiede wegen einer Forderung, die er er an ben Hof zu 
machen hatte, die faiferlihen Pferde auf. Stälin. HL, 569. 

*) Kopialbuch im ſtädtiſchen Arhiv, S. 194 fi. — Markgräfliger Vogt 
zu Piorzbeim, der wahrſcheinlich bei der Abfaſſung diefer Wahlorbnung mit 
wirfte, war um jene Zeit (ficher 1412) Albreht von BER TE 63). 


448 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


zungen bderjelben gegebenen andern Ordnungen im engiten Zufammen- 
bang fteht, fo mag fie auch erft weiter unten am gehörigen Ort 
umftändlicher berücfichtigt werden. Nicht unerwähnt kann ich bier 
laſſen, daß die Stadt Pforzheim mehrfach die Ehre hatte, für Hleinere 
und größere Anlehen, welche die Markgrafen, namentlich Karl J., mad: 
ten, Bürge und Mitfhuldnerin zu werden, fo 1454 für eine Summe 
von 13 fl. 20 r., melde Markgraf Bernhard von Wernher Goflin 
aufgenommen, ferner für 1200 Gulden, welche Bernhard an Heinrich 
von Berwangen und Albrecht von Zeutern fchuldete, fodann für andere 
Schulden desfelben im Betrag von 1950 Gulden, — ebenfo für 100 
Gulden, welche Markgraf Karl I. 1459 von Berchtold Horder von 
Gertringen, für 1000 Gulden, weldhe er 1469 von den Mormfern zu 
Straßburg, für 1000 Gulden, welche er im nämlichen Jahr von Dechant, 
Kapitel und Vikarien des Chores im Hochſtift zu Speier, für 400 Gul: 
ben, die er ebenfalls im Jahr 1469 von Dechant, Kapitel und Vilarien 
des Hochftifts zu Straßburg, für 1200, melde er abermals 1469 von 
Probft, Dechant und Kapitel des Stiftes zum jungen St. Peter, für 
40 Gulden, welche er 1472 von unferer lieben Frauen Kirche zu Tie— 
fenbronn aufnahm u. f. w. Bei der Stadt felbft wurden ebenfalls An- 
leben gemacht, jo 3. B. 1450 von den Söhnen Jakob I, Karl, Bern: 
hard und Georg. Die Summe ift jedoch nicht genannt. 1) Es brachten 
ſolche Umftände die Stadt, die felber mehr als einmal in der Rage war, 
zu Geldaufnahmen fchreiten zu müſſen, häufig in Verlegenheit, und die 
auf folche Weiſe entftandenen Schulden, zu denen fpäter noch verfchiebene 
andere kamen, lagen wie ein Alp auf der Stadt und wurden namentlich) 
im 17. Jahrhundert, während deffen faum die Zinſen derſelben bezahlt 
werden Fonnten, immer größer und bdrüdender, Ich werde darauf 
zurückkommen, 


b. Kirhe und Schule. 
(Errichtung eines Kollegiatftiftes, Reformation der 
Klöfter, Gründung einer lateinifhen Schule.) 
Das Wichtigfte, was in kirchlicher Hinficht im Laufe des 15. Jahre 
bunderts gejhab, war die Umwandlung der Pfarrkirche zu St. Michael 


) Alle dieje Angaben find ehemaligen Aufzeichnungen im Stadtarchiv 
entnommen. 


Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhunbert. 149 


in ein Kollegiatftift. Das Beifpiel, das Jakob I. in der Stadt Baden 
gegeben hatte, indem er dafelbft 1452 die Hauptpfarrkirche zu einer 
Stiftskirche erhob, ahmte fein Sohn Karl I zu Pforzheim im Jahr 1460 
nach, nachdem der Papſt Pius IL. am 29, November 1459 von Mantua 
aus feine Zuftimmung zu diefer Ummandlung gegeben und den Biſchof 
Johann zu Speier, ſowie den dortigen Domherrn Rutker von Lauter— 
burg mit der Einrichtung des Stifts, ſoweit dieſelbe die geiſtliche Be— 
hörde anging, beauftragt hatte. Ferner verordnete der Papſt auch die 
Kleidung , deren ſich die Stiftsherren bedienen jollten.1) Das Kapitel 
des neuen Stiftes bejtand aus einem Dechant, 12 Kanonikern, 12 Vika— 
rien oder Kaplänen, welche den Gottesdienft nach der ihnen vorgefchrie: 
benen Ordnung beforgen mußten und die Erfpektanten für die Stifte: 
pfründen waren, ferner 2 Mietblingen (Helfern) und 4 Chorjchülern. 2) 
Erfter Dekan war 3) Jodokus Bonet. Zu den erjten Chorherrn gehörten: 
Magifter Sebaftin, Mag. Melchior, Lizentiat Peter Gößlin, Jakob 
Gößlin, Ambrofius von Kirchheim, Nik, Dorfe, Nik, Dude, Bernhard 
lad, Joh. Eberlin, Peter Dufer; es kamen noch dazu: ob. Gerud 
und oft Müller; — zu den Vikarien gehörten: Joh. Bader, Job. 
Boner, Leonhard Bannwarth, Joh. Befideym (Beſika), Math. Zürcher, 
Joh. Bender, Heinrich von Durlach, Theodor Rappenherr, Joh. Ruder: 
mann, Joh. Weiler. Bon den Chorhern wurde jpäter einem das Amt 
eines Kuftos, einem andern das des Sängers übertragen. Eine Probftei 
des Michaelftiftes wurde jeboch erſt jpäter (1505) errichtet. Bezüglich der 
Beſetzung aller diefer Pfründen, ſoweit das Recht dazu nicht in andern Hän- 
den war, behielt fi der Markgraf das Patronatreht vor, und mußte dag 
Kapitel jedem neuen Landesfürften, wie dag 5. B. 1521 geſchah, Huldigen 
und bekennen, daß die Mitglieder desſelben „Sr, fürftl, Gnaden gehor: 
ſame Kapläne, und berjelbe ihr Landesfürft und Superattendens fei.“ 
Das Beſetzungsrecht aller Pfründen fuchte Markgraf Karl durch Tauſch 
und Kauf nach und nah an ſich zu bringen, und taufchte unter andern 
ihon 1460 an Herrenalb das Patronatreht der Kirche zu Nußbaum 


1) Der betreffende Akt wurde am Mittwoh vor Allerheiligen (27. Oft.) 
1460 durch den Faiferlihen Notar Johann Seelbah aufgenommen. Beral. 
Alten bes Landesarchivs. 

2) „Die geiftlihen Güter in Land betreffend und beren Meftitutiongere: 
fution“ im Lanbesardiv. 

9) Akten bes Landesarchivs. 


150 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


und der Frühmeſſe zu Göbrichen gegen die Leihung der Pfründen umferer 
lieben Frauen und St. Johannes des Täufers, Solcher Pfründen mit 
den entfprechenden Altären in der Kirche war e8 eine bedeutende Zahl, 
und fie hatten zum Theil fehr reiche Einkünfte, So treffen wir einen 
St. Fabians: und St. Sebaftians:- Altar, einen St. Lauren— 
tius⸗Altar, einen St. Ratbarinen: Altar, einen St. Matthäus: 
Altar, einen Altar der heil. drei Könige, einen Altar der beit. 
Dreifaltigkeit, einen St. Mar. Magbdalenen: Altar, einen 
St. Thomas: und Andreas: Altar, einen St. Peter: und Baule: 
Altar (ſchon 1347), ein St. Johannes des Täufers- und Evan: 
geliften: Altar, einen Altar Cireumcisionis Domini oder ber 
Beichneibung des Herrn, (von Graf Wilhelm von Eberftein 1431 ge: 
ftiftet), 1) einen St. Jakobs: Altar, einen St. Nillaufen:Altar, 
einen St. Foften- Altar, einen Altar Omnium sanctorum oder 
Allerheiligen, unferer Frauen-Altar (Shen 1413 erwähnt) und 
einen St. Michaels: Altar.2) Andere Prründen waren noch: bie 
Pfarrei zu St Michael (durch Kichtenthal zu vergeben, S. 104), bie 
Präbdikantenpfründe und die Spitalpfarrei. 3) Das Einkommen des 
St. Micaelftiftes war ein fehr anfehnliches und weist 3. B. das Stifte: 
lagerbuch von 1502 Gülten auf zu Glappach, Nußbom, Ufpringen, 
Kufjelbronn, Würm, Wurmberg, Düm, Buchinpron, Hamberg, Woffen- 
ftein, Nieffern, Entzberg, Brebingen, Tütlingen, (Dietlingen), Birkenfeld, 
Menshenm, Wyſſach, Löchkeym, (Löchgau), Wimßheym, Utingen, Tilftein, 
Dürmentz, Küngspach, Birkenfeld, Pfortzheim, (hier am meiſten); ferner 
2/3 des Kornzehntens zu Reichenbach (das andere 1/, bezog die St. Mar: 
tinsficche), und es fcheint, daß hauptfähhlich zur Aufbemahrung diefer 
Truchtbezüge das Stift 1482 vom Vogt Hans von Königsbach namens 
des Markgrafen den alten Herrfchaftsipeicher erfauftee Sonſt mußten 
die Stiftsherren zu Pforzheim verfprechen, Feine Güter an fich zu 
bringen, welche der Herrichaft eigen, betbar, fteuerbar oder bienftbar 


!) Der Grabftein desſelben ift in ‚der Schloffirdhe, links vom nördlichen 
Eingang. 

2) Mehrere diefer Pfründen waren 1365, 1411 und 1414 geftiftet worden, 
die zweitlegte durch Pfafi Wernher und jeine Schwefter Irmel. 

®) Bergl. hiezu das Stiftslagerbuh von 1502 und das Stifts-, Lager: 
und Zinébuch von 1559 im Landesarchiv, 


Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15, Jahrhundert. 151 


wären, (um bie Einfünfte der Herrſchaft nicht zu ſchmälern, weil alle 
geiftlihen Güter abgabenfrei waren, vergl. ©. 76), und jollte dem 
Markgrafen, "wenn das Stift je dergleichen Güter in der Markgraf 
ſchaft Baden oder den dazu gehörigen Herrſchaften erwerben würde, 
das Miederloofungsrecht zuftehen. — Entſprechende Wohnungen wur: 
den den Stiftsherren unterhalb der Schloßkirche in der Prediger: 
oder Pfarrgafie eingerichtet. Diefelden brannten jedoch im orleand’ 
ſchen Kriege 1689 mit der Stadt nieder. Die Trümmer der Stifte 
berrenwohnungen ftanden aber noch 1778, wurden indeß bald ba= 
vauf abgebrochen und der Platz in einen Garten verwandelt, umter 
welchem fich aber die Stiftskeller zum Theil bis Heute erhalten haben. 
° Ueber die innere Organifation des Stifts ift weniger bekannt. Da 
indeffen anzunehmen ift, daß diefelbe ber des Chorherrenftiftes in Baden 
entſprach, fo mögen einige Mittheilungen aus dem Statut des leiter 
bier ihre Stelle finden. 1) Als Einkommen follte der Probſt jährlich 
100 Gulden, der Dedant 50, der Euftos und der Sänger jeder 40, 
ein anderer Ganonitus ober ein Vikar 30 Gulden beziehen. 2) Die 
Stiftsgeiftlichen hatten von dem Wein, ben fie zu eigenem Gebraud 
einlegten, Kein Ungeld zu bezahlen, doch durfte ein Prälat nicht mehr 
als vier, ein Canonikus nur drei, ein Vikar nur zwei Fuder Wein ein 
fegen. Dem Markgrafen blieb das Präfentationsrecht vorbehalten. Unter 
den zwölf Stiftsberren follten vier Doktoren oder Lizentiaten, die andern 
“aber fromme und gelehrte, aus rechtmäßiger Ehe erzeugte Männer fein, 
Was den leiten Punkt anbetrifit, jo behielten fi die Markgrafen dns 
Recht vor, ausnahmsweiſe ihre eigenen natürlichen Söhne in Vorſchlag 
zu bringen, und ſollten dieſelben ohne Widerrede angenommen werden, 
Im Falle zwiſchen den Markgrafen, ihren Beamten oder Untertanen 
und den Siftsherrn und dem Kapitel ein Streit entjtehen würde, ſollte — 
ſelbe durch ein Schiedsgericht erlebigt werden, von beſſen vier Mitglie⸗ 
dern zwei aus den Räthen des Fürſten und zwei aus dem Kapitel 
ernannt wurden. Weun dieſelben nicht einig werden konnten, mußte noch 
eine fünfte Perſon als weiterer Schiedsrichter erwählt werden, und zwar 
je nachdem der Streit eine geiſtliche oder weltliche Sache betraf, entvede 
durch die Geiftlichen oder die Näthe. Beim Ausſpruch deg Sciedsge- 


1) Sachs, H,, 358 ff., nach dem Cod. dipl. Bad, 
2) An Pforzheim müſſen indeß die einzelnen Pfründen beſſer dotirt gt: 
weſen fein, beim die zu Mar, Magd, Altar trug 3. B. 42 fl. j 





152 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


vichts in feiner derartigen Zuſammenſetzung ſollte es alsdann fein 
Bewenden haben. 

Eine wichtige Veränderung war ſchon 1443 mit einigen Klöftern ber 
Stadt vorgegangen. Es kann als bekannt vorausgefeßt werben, wie 
traurig ſich nach und nad) die Juftände der Kirche geftaltet hatten, und 
wie namentlich die. Klofterzudyt in Verfall gerathen war. Allgemein 
theilten deshalb alle Beffergefinnten den Wunſch einer Reformation ber 
Kirche an Haupt und Gliedern, und der Ruf nad) einer ſolchen hatte 
bauptfächlich die Kirchenverfammlung in Konftanz veranlaßt, welche von 
1414 — 1418 ftattfand, aber bezüglich einer Kirchenverbeſſerung leider 
fein Ergebniß hatte, jondern im Gegentheil den frommen Johann Huß, 
der eime foldhe angeftrebt hatte, zum Scheiterhaufen verurtheilte. Bald 
nach Beendigung des Konftanzer Konzils trat ein anderes zu Baſel 
zufammen 1431 — 1443, das troß der Proteftationen des Papftes zur 
Berbeilerung des Kirchenregiments und der Kirchenzucht emergifche Be: 
ſchlüſſe faßte und unter Anderm eine Reformation der Klöfter befahl. 
Alsbald berief Markgraf Jakob I. den Franziskaner-Guardian Nikolaus 
Garoli von Heidelberg zu diefem Zwecke nah Pforzheim. Derfelbe 
gehörte zu den fog. „Obfervanten,“ oder „ben mindern Brüdern von 
ber Obſervanz“, zum Theil auch „Recollekten“, d. h. „Eingezogene” ge: 
nannt, welche einen beſondern Zweig des Franziskanerordens bildeten, 
als folder nad langen Berfolgumgen von der Kirchenverfammlung zu 
Konftanz anerfammt worden waren, und ſich durch ftrengere Beobachtung 
der Kloftergelübde auszeichneten, bejtändig barfuß gingen (daher der 
Name „Barfüher *), und fpäter über die übrigen Franziskaner, ober 
„Sonventualen, Dlinoriten der gemilderten Regel“ die Oberhand befamen. 
Bereits hatte Caroli aud das Franzisfanerflofter in Heidelberg, wohin 
er mit drei Orbensbrüdern auf den Wunſch des Kurfürften Ludwig 
aus Frankreich gelommen war, reformirt, und vollführte diefes Wert 
nun auch in Pforzheim. Im Einverftändniß mit dem Bevollmächtigten 
des Markgrafen, Paul Lutran (Leutrum) von Ertingen!) und einem 


1) Wahrſcheinlich berjelbe, dem Markgraf Karl 1458 „einen Garten zu 
Pforzheim vor dem Altorfer (Altftädter) Thor am Wafler und an ber Prediger 
Garten, genannt Friedrich Tyfels Wyer Garten“ gegen eine Schuld abtrat, 
welche Lutran namens jeiner rau an den Markgrafen zu fordern hatte, 
Sads, Il, 405. 


Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 153 


Erperten, den der Markgraf ebenfalls ernannt hatte, 1) wurde das orb⸗ 
nungswibrig erworbene Vermögen des Franziskanerkloſters eingezogen 
und dem Spital in Pforzheim mit der Bedingung überwiefen, an das 
Sichenhaus zum heiligen Georg (S. 119) jährlih 10 Gulden abzu— 
geben, wovon 5 zur Grbaltung der Gebäulichkeiten und 5 zu 
jonftigen Bebürfnifien verwendet werden jollten. Den Mönden wurde 
bloß ein Kapital von 400 Gulden zur Anfhaffung von Büchern und 
zu der Baunerhaltung des Klofters beftimmt. Auch im Innern des 
Klofters wurden Reformen vorgenommen, die Zucht verfchärft, die Mönche 
zu ernſtern Beihäftigungen angehalten und überhaupt die Umwandlung 
ber bisherigen „Konventualen“ in „Obfervanten“ bewerkitelligt. (Bei den 
Barfüßern wurde am 8. September 1467 begraben: Johann Nir von 
Hohened, gen. von: Engenberg, ehemals Biſchof von Speier. Er hatte 
diefe Würde freiwillig niedergelegt und ſich mit Vorbehalt eines jähr: 
lichen Einkommens 1464 zu feinen Freunden nach Pforzheim begeben.) 2) 

Aehnliche Veränderungen gingen mit dem rauenflofter ber Domi- 
nilanerinnen vor. Mochten fih auch bier, wie allenthalben, die 
Nonnen gegen die Neformen noch widerfpenftiger als die Mönche zeigen, 9) 
fo gelang es dem Markgrafen doch, das Klofter durch feine Maafregeln 
in fo guten Ruf zu bringen, 4) daß fünf Bewohnerinnen besfelben 1463 
ins Württembergifche berufen wurden, um dort Ähnliche Ordnung ein 
zuführen, fo namentlich in dem Kloſter Offenhauſen oder Gnadenzell, 
defien Nonnen durch ihre ausichweifende Lebensart großes Aergerniß 
erregten. Sie fanden aber gar keine Folgſamkeit, trafen Scherben an, 
auf die Treppen geftreut, damit man die Ankunft der Mufternonnen 
befier höre und Zeit gewinne zum Verſtecken fehr ungeiftlicher Gegen: 
fände. Da meinten die für armen Schweftern beftändig, und ließen 


— ·— — 





) Vergl. Bierordt, Geſchichte der Reformation in Baden, J. 33. 

2) Lehmann, Speierer Chronik, S. 1009. 

°) Der von feiner Zeit hochverehrte Karthäuſer zu Güterſtein bei Urach, 
Eonrad von Mündingen, batte ſchon einige Wochen nad Beginn der Nefor: 
mationsbeftrebungen des Markgrafen einen beiftimmenden Brief an denſelben 
geſchrieben und ihn aufgefordert, auch unter bie geiftlichen Frauen Zucht und 
Ordnung zu bringen, jedoch die charakteriſtiſche Aeußerung beigefügt : „Ber: 
knöpfet einen Sad Flöhe, jo viel ihr möget ; dannoch enthupfen und verſchlupfen 
fie.” Bierorbt, L, 35. 

*%) Es war, fagt ber ſchwäb. Chroniſt Grufins, mit hohen Mauern umgeben 
und wohl beſchloſſen, und waren viel ehrlicher und frommer Jungfrauen darin, 


154 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


fi auch durch die zürmende Frage eines Kartbäufers wenig tröften : 
„Meint ihr, man babe euch ins Paradies geheilt und nicht zur Beflerung 
ſchlimmer Sitten? Und würdet ihr euch in Pforzheim nicht ſchämen, 
wenn ihr unverrichteter Sache heimkämt?“ — Dennoh mußten die armen 
Nomen ohne vollzogene Reformation zurück.“) 

! Markgraf Jakob hatte auch mit noch andern Klöftern Verbeſſe— 
rungen im Sinne. Leider gingen aber die Früchte des Bafeler Konzils 
durch die Wiener Goncordate, weldye der ſchweche Kaifer Friedrich II. 
mit dem Papft Eugen IV, 1448 abſchloß, wieder verloren, weshalb 
auch der Markgraf die weitere Neformation feiner Klöſter nicht durch: 
ſetzen konnte, ſo daß wahricheinlich die Mehrzahl derfelben in Pforz: 
beim unangefochten blieb. (In dem der Eifterzienferinnen hatte 
fich Kurz vorher eine Tochter des Markgrafen Bernbard, Margaretha, 
als Nonne befunden und ftarb darin 1431.) 

Aber auch ſonſt hatte ſich in Pforzheim das Bedürfniß nad Kir: 
chenverbeſſerung geltend gemacht und fogar die huſſitiſche Lehre Eingang 
gefunden. Ein buffitiicher Priefter, Friedrich Reiſer, kam mehrmals, fo 
auch 1446 nach Pforzheim und gab fid) dafeldft, wie anderwärts, Mühe, 
bie Zahl der „Bekannten“, wie man die heimlichen Huffitenfreunde 
nannte, zu vermehren. In Straßburg aber fpürten ihn die Domini- 
faner aus, und er wurde daſelbſt 1458 nebſt vielen feiner Anhänger 
verbrannt, Unter andern Zeugen der Verhöre erfcheint auch eine Porz: 
bheimerin, welche einen Bekenner ber verfolgten Lehre mit dem Namen 
„Johannes von Rhein” bezeichnete; diejer babe ihr zu Pforzheim in 
ihres Vaters Haus den Entfhluß, Nonne zu werden, ansgerebet und 
fie an einen andern ältern Prediger gewiefen, durch welchen ihr Haube 
an die herrichende Kirche vollends wanfend geworden fei.3) 

Eine recht erfreuliche Erſcheinung in dem fünfzehnten Jahrhundert 
it zu Pforzheim die Gründung einer lateinifhen Schule, Das 
Bebürfnig nad folden von Klöſtern unabhängigen Anftalten war in 
damaliger Seit um jo fühlbarer geworden, je mehr die Kloöoſterſchulen 
in Verfall gerathen waren. Wer in Pforzheim jene Schule ins Leben 
vief und wann dies geſchah, it unbekannt. Möglich, daß ihre Grün: 
dung mit der des St. Michaelſtiftes zufammenbing, deren vielen Geift: 


U) Vierordt, I. 36. 
2) Kolb, Lerikon I, 62. 
») Bierordt, I., 59, ff, 


Reuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert, 155 


lichen durch den Unterricht an der Iateinifhen Schule eine paſſende Be— 
ihäftigung geboten war. Gewiß it, daß die Schule ſchon in den lebten 
Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts ſich in Blüte befand und 
viele andere ähnlihe Anjtalten weit überragte. Hatte doch ſchon Jo: 
hann Meuchlin zwifchen 1460 und 1470 feine erſte gelehrte Bildung 
an diefer Anjtalt geholt, und war nach feiner eigenen Verfiherung !) 
eine große Zahl von Gelehrten aus Pforzheim hervorgegangen, die bem 
Grund ihrer umfaffenden Bildung ebenfalls auf dev Mittelſchule dieſer 
Stadt gelegt hatten. 


ec. Gewerbe und Handel, berridhaftlide Einkünfte in 
Pforzheim, Bruderihaften, Preiſe der Lebensmittel, 


Wurden jo die geiftigen Intereſſen in erfreulicher Weiſe gepflegt, ſo 
mag die Frage am Platze ſein, was denn im fünfzehnten Jahrhundert 
zur Förderung der materiellen Intereſſen Pforzheims geſchehen ſei und 
welchen Fortgang namentlich die gewerbliche Entwicklung, der Haudel der 
Stadt x, in dieſer Zeit genommen. Die Frage iſt ſchneller geſtellt, 

- als beantwortet, da die vorbandenen jpärlichen Notizen nur wenig Auf: 
ſchluß geben. Durch die vielen Kriege, welche namentlich Bernhard L, 
jpäter auch fein Enkel Karl I, führten, mußte der Verkehr natürlich 
vielfältig beeinträchtigt werden, und wie groß die Unficherbeit beiſpielweiſe 
zu den Zeiten Karls I war, gebt daraus hervor, daß um 1460 Nie: 
mand ſich unterftehen durfte, nur eine Stunde weit zu reifen, ohne der 
Gefahr der Plünderung ausgefegt zu fein, und daß wegen der allgemein 
berrfchenden Unficherheit fogar an vielen Orten verboten wurde, die 
Frankfurter Meſſe zu befuchen.2) Inter ſolchen Umständen waren die 
Bürger der Städte, wenn auch hinter den Mauern derjelben ficher, doch 

in der Negel auf eim kleineres Feld gewerblicher Thätigkeit angewieſen, 





1) De verbo mirifico, ed. Tub,,. 1514, p. 3.: „Literatorum ingens numerus 
inde genitorum,“ Wer dieje früheſten Gelehrten Pforzheims waren, jagt uns 
die Geſchichte nicht; wohl aber wird weiter unten von andern ausgezeichneten 
Männern dieſer Art, die der folgenden Zeit angehören, die Rebe fein. 

2) So warf umter Anderm auch ohne Scheu vor der geiftlihen und welt, 
Macht 1440. der Ritter Sigfried von Zyllnhart den Kämmerer bes Papſtes, ber 
von Frankfurt heimfehrte, nieder und fchleppte ihm als Gefangenen in das 
Schloß Steinegg bei Pforzheim. Vierordt, I, 10. 


156 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


welche zunächſt nur örtliche Bedürfniſſe umfaſſen konnte, und erſt einer 
jpätern Zeit war es vorbehalten, derjelben einen erhöhten Aufihwung zu 
geben. Immerhin aber mochte in den friedlichen Jahren, welche zwifchen 
ben einzelnen Fehden lagen, Pforzheim fich eines in Anbetracht 
ber Verhältniſſe lebhaften Verkehrs erfreuen, da, wie ſchon bemerft 
wurde, mehrere Neihshauptitraken über diefe Stadt zogen und Pforz 
beim eine jehr einträgliche ZJollftation für die Markgrafen war. Welch 
Gewicht letztere auf diefe Einkünfte legten, jehen wir daraus, daß Karl J. 
im Jahr 1468 bei Kaifer Friedrich III. ein Privilegium auswirkte, nad 
welchem diefer, um den Betrügereien der Fubrleute ein Ende zu machen, 
bie zur Umgehung des Zolles zu Pforzheim und Durlad von der 
Straße abfuhren, diefen Fuhrleuten bei einer Strafe von zehen Mark 
löthigen Goldes befahl, den gewöhnlichen Zoll alsdann entweder zu 
Singen, oder wo es jonft dem Markgrafen gefällig wäre, zu entrichten. 

Wie viel in Pforzheim an Zöllen bezahlt wurde, darüber gibt ung 
ein altes Verzeichnig der herrſchaftlichen Einkünfte in Pforzheim, Huchen- 
feld und Büchenbronn, 1) Aufihluß. Nach demfelben mußte um die 
Mitte des 15. Jahrhunderts in Pforzheim an Wafferzoll entrichtet 
werden: von 100 Hölzern oder Borden, groß oder Mein, 8 Schilling 
Pfennig (2 fl. 6 fr. vergl. ©. 129) von gezimmertem Holz von 
40 Schub Länge und darunter, für jedes Stüd 1 Pfennig (1'/; fr.); 
— an RLandzoll: ein Magen voll Eifen zahlt 14 Pig. (etwas über 
18 kr.), Salz oder Wein 8 Pfg., ein Kard voll Wein 2 Pfg., eine 
Tonne voll Honig, Häring, Fiſche ꝛc. 3 Pfg., ein Zentner Wachs 3 Pfg., 
ein Karren voll MWildwerk für Kürfchner und Schuhmader auf jedes 
Pferd 15 Pig., ein Karren voll gebrochenen Knoblauchs das Pferd 15 
Pfg., Knoblauch mit Kraut daran 4 Pfg., ein Wagen voll Gewand, die 
für die Frankfurter Meſſe bejtimmt find, für das Pierd 3 Sch. Pig., 
ift der Wagen nicht voll, jedes Stück Tuch 2 Pfg., ein Wagen voll 
ausgeführter Butter, Schmalz, Unfhlitt ꝛc. jedes Pferd 15 Pig, ein 
Wagen voll ausgeführter Speichen, Reife, Felgen 2 Pfg., ein Wagen voll 
Frucht in die Stadt 2 Pfg. ein Pferd, das Frucht trägt, 1 Heller, jeder 
Wagen voll Frucht aus der Stadt 1 Heller, ein Pferd, das auf dem 
Viehmarkt gekauft oder verkauft wird, 1 Pfg., 2 Schafe 1 Pfg., ein Pferd, 


') 8 befindet ſich im Landesarhiv und wurde um 1460 aufgeftellt, 


Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 157 


das durch die Stadt geführt oder getrieben wird, 2 Pfg., ein Rind 
2 Pig., 2 Schweine 2 Pfg,, 2 Schafe auch 2 Pfg. u. f. w. — Außer 
dem Zoll bezog der Markgraf in Pforzheim an Bete: von jedem 
100 Gulden Steuerkapital 1 Gulden, auf Michaeli zu bezahlen; doch 
wurde 1474 der Stadt Pforzheim von Markgraf Karl ein Freiheitsbrief 
ausgeſtellt, daß die Bürger von ihren Gütern, liegenden oder fahrenden, 
mehr nicht, als 1 Schilling von 100 fl. bezahlen ſollten. Im nämlichen 
Jahr übergab auch Markgraf Karl, was ein neuer Beweis feiner wohl: 
wollenden Gefinnung gegen die Stadt Pforzheim war, derſelben das 
am Markt gelegene Kaufhaus ſammt allen Gefällen. — Ungelb: 
von je 15 Maaß Wein 1 Maaß, wovon jedoch die Stadt die Hälfte 
bezog (unter Markgraf Karl aus befonderer Gnade bis auf MWiederruf 
das Ganze); — Zinfe: 3.2. von den 26 erblic, verliehenen Mebel- 
bänten von jedem 10 Sch. Pig. (2 fl. 37 kr.) außer I Sch. Pig. Zunft: 
geld, das die Mebger zu bezahlen hatten; von ben Brotbänken der Bäder 
zahlte jeder 10 Sch. Pig. (neben 15 Sch. Pig. Zunftgeld); außerdem 
bezog die Herrfchaft Zinfe von ihrer Waltmühle und Oelmühle an der 
Enz (damals aber in den Händen der Stadt), ihrer Ziegelſcheuer, 
3 Schleifmühlen, 2 Kupfermühlen, Sägemühle im Hagenfchieß, von 
Weingärten, Häufern, Jahrmärkten ꝛc.; — Wafferzinfe: vom Fiſch— 
waffer unterhalb der Altftädter Brüde und oberhalb der jetzigen Non: 
nenmühle bis Birkenfeld, Fiſchbankzins ꝛc. — Wiefenzinfe: von der 
Scheuern-, Bleichwieſe ꝛꝛc. Mühlzinfe: von dr Wagmiühle 
(vergl. unten) jährlih 39 Malter Kernen und 39 Malter Roggen, und 
zwar alle 14 Tage von beiden Fruchtgattungen je 12 Simri (das Malter 
faßte aljo 8 Simri); von der andern Mühle oder Spitalmühle 
bei der untern Badftube, alfo der jetzigen Eich mühle, jührli 39 Malter 
Kernen und eben fo viel Roggen; von der Schepplers Mühle, jet 
Kloftermühle, jährlih 291/, Malter Kernen und eben jo viel Roggen; 
von der Göppingers- oder Pfriemenz, jest Nonnenmäühle von 
beiden Fruchtforten 26 Malter; von der Zwingelmühle jebt Ober 
mühle 26 Maltr; — ferner gehörten der Herrfchaft ſämmtliche 
Frevel, groß und Mein, — endlich eine Anzahl Wälder in der Ge: 
gend von Pforzheim, darunter namentlih der Hagenſchieß, über den ein 
eigener Förfter gejeht war. Was den Zehnten betrifft, ſo bezog dem: 
felben noch 1401 das Klofter Hirſchau allein, und zwar den großen und 


158 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


Heinen Zehnten, 1) mußte aber dafür in Pforzheim dem Markgrafen 
betändig ein Pferd mit einem Knecht und einen wohlgerüfteten Wagen 
zu Reiſen halten und den Jägern bei Jagden Zehrung geben. Später 
war der Zehnten zwiichen Hirſchau und Lichtenthal getheilt, und wird der 
Verpflichtung zur Stellung eines Wagens nicht mehr erwähnt, wohl 
aber der Lieferung von 200 Bund Stroh in den fürftlihen Marftall, 
und der Verpflichtung, die Jagdhnnde des Fürſten zu füttern, wenn ders 
jelbe in der Gegend von Pforzheim jage. 

Eine nicht unbedeutende Einkommensquelle war für mande Ges 
bietsherrn auch das Geleit (5. 127). An deu gerade im 15. Jahr: 
bundert durch die wiedererwacdhte Raub: und Fehdeluſt des zahlreichen 
Adels ehr unruhigen Zeiten war diefelbe Vorficht für den Handel noth— 
wendig, welde im 13. Jahrhundert die mächtigen Verbindungen der 
Hanſa und: des rheinischen Städtebundes hervorgerufen batten. Die 
Fürften hatten auch allmählig einfehen gelernt, daß ein ficherer Verkehr 
jewohl ihren Unterthanen — was nun freilich weniger in Anſchlag ges 
bracht wurde — als namentlich den fürftlichen Kaſſen von Vortheil fei, 
und um die öffentliche Sicherheit zu befördern, wurden häufig Veran: 
ftaltungen bezüglich des Geleits der Kauflente und der Kaufmannswaaren 
getroffen und Verträge darüber abgeſchloſſen. Die erfte Nachricht über 
einen ſolchen Vertrag, welcher Pforzheim betraf, ift von 4452. In 
diefem Jahr verabredete fih Markgraf Jakob mit dem Kurfürften von der 
Pfalz dahin, daß Baden die Handelsleute von Pforzheim nad Bretten 
zu dem alten Galgen und auf der andern Strafe zu der Ziegelhütte im 
Rinklingen, Pfalz aber von diefen beiden Punkten nad Pforzheim geleiten 
follte. Diefer Vertrag wurde 1463 (S. 141) dahin abgeändert, daß umge: 
tehrt Baden das Geleit von Bretten nach Prorzbeim, und Pfalz von Pforz⸗ 
beim nad) Bretten haben ſollte. Es bielt jedoch, ſehr ſchwer, die gefchlofienen 
Verträge Über das Geleit immer aufrecht zu erhalten. Bald wurde geffagt, 
dag Diefer zu wenig Mannſchaft ſchicke und die Straßen nicht ſicher 
halte, bald ſollte Jener den Kaufleuten zu viel Geleitsgeld abnehmen. 
Daher kommt e8, daß wir von Zeit zu Zeit neue Beſtimmungen fiber 
bas Geleitweien finden. 

Welche Gewerbe in Pforzheim befonders blühten, geht aus mehreren 





Vergl. „Inſtrumen tirte Kundſchaft über die Rräftationes, fo das Kloſter 
Hirſchau“ ıc. im Pandesardiv. 


Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert, 159 


Urkunden, insbejondere den verfchiedenen Gewerbordnungen bervor, welche 
zum Theil noch im fünfzehnten, zum größten Theil aber zu Anfang des 
jechszehnten Jahrhunderts für die Stadt gegeben wurden. Es wird 
davon weiter unten ausführlich gehandelt werden. Daß aber im 
fünfzehnten Jahrhundert ſchon eine große Gewerbthätigkeit in Pforzheim 
geherrſcht haben und Kunſt wie Wiſſenſchaft ſorgfältig gepflegt worden 
fein muß, geht daraus hervor, daß Reuchlin bereits 1503 ſeine Vater— 
ſtadt „honor artificum fabricatrix ingeniorum“ nannte, ') d. h. eine 
Ehre oder Zierde der Künftler und Hervorbringerin bedeutender geiftiger 
Kräfte. Aus Pforzheim war der finnige Holzfchneider Johannes Kern, 
der die Chorftühle in der Stiftsfirche zu Baden verfertigte. In Pforz⸗ 
heim, als der wichtigſten Stadt der Markgrafſchaft, war auch die fürſt⸗ 
liche Münzſtätte; denn wir finden unterm Jahr 1413 einen „Jakob 
Pröglin, Münzmeiſter, zu Pforzheim geſeſſen,“ aufgeführt. (Unterm 
25. November 1421 vertaufte Markgraf Bernhard an denſelben und 
defien Frau Anna die Badftube, zu und um die Stadt gelegen, die 
früher Heinrich; von Berwangen zu Lehen befefien, auch einige Stücke im 
Hagenſchieß, auch zu Eutingen und Söllingen gelegen, jowie verjchiedene 
Gefälle und Zinjen zu Darmsbach, Pforzheim und Ottenhaufen, Güter 
und Zinje zu Dietlingen und endlich den vierten Theil von Nußbaum 
und ber dort fälligen Bete und Zinfen um 550 fl.) 2) Daß Pforzheim 
auch einen fehr geſchickten Armbruſtmacher beſaß, erfehen wir daraus, 
dag Markgraf Karl I. 1466 diejen „Michael Armbrufter den Jungen 
zu Pforzheim von befundern unfern Gnaden, aud das er dem unfern 
zu Pfortzheim mit finem handtwerk befterbaß vor gefin möge,“ alfo 
wegen feiner für die damalige Zeit, in welcher Schießgewehre noch wenig 
verbreitet waren, wichtigen Kumft, von allen Steuern, Frohnden und 
jonjtigen Laften befreite. Der Name „Armbrufter“ ift in der betreffen: 
den Urkunde Handwerks: und Geſchlechtsname zugleich, wie wir ſolchen 
Dezeichnungen in damaliger Zeit häufig begegnen. Se finden wir um 
1400 3) unter den Pforzheimer Bürgern einen Heinrich Goldſchmied, 
Klaus Kantengieper, Heinz Wollenfchläger, Hans und Berthold Spengler, 
Aberlin Schreiner, Kunz Murer, Arnold Fiſcher, Wetzlin Taugenhauer 





1) So ſagt Schwarz im Heidelberger BREIT IINERDENNNN, bei ber 
Preisvertheilung von 1811, S. 21. 

?) Herrenalber Archiv. 

) In Repertorien und Urkunden des Landesarchivs. 


160 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


u. A. m, Unter den Gewerben jcheint das der Wollenweber ſchon 
damals jehr ftark vertreten geweien zu fein. Neben dem obengenannten 
Goldihmied kommt gleichzeitig auch ein Bürklin Kremer der Ringlein- 
macher vor, 

+ Antereffant find die verfchiedenen Bruderihaften, die ſchon im 
Laufe des 15. Jahrhunderts unter den Angehörigen verſchiedener Zünfte 
beftanden. Das Handwerk hatte nämlid eine doppelte Innung oder 
Bereinigung, eine rechtliche, die in der Junftordnung enthalten war, und 
eine religiöfe, wofür die Bruderfchaft beftimmt wurde, Beide Beziehungen 
bielten das Gewerbe in Ehrbarkeit zufammen, führten zu gegenfeitiger 
Hilfeleiftung und gaben der Arbeit Weihe und Troſt. 1) So iſt 
1423 2) einer Bruderſchaft zwifchen ben Bäckerknechten und den 
Meiftern und Pflegern des Siechenfpitals zu Pforzheim, und zus 
gleih der Stiftung einer Jahreszeit dur die Bäckerknechte erwähnt. 
Durd jene war die Pflege und Verforgung erkranfter oder arbeitsun: 
fähiger Handwerksangehörigen gefichert, durch dieje den gegenfeitig ein— 
gegangenen Verbindlichkeiten die religiöfe Weihe gegeben. Einer ähnlichen 
Bruderſchaft von Seiten des Schneiderhandwerks begegnen wir im 
Jahr 1410, der Tuer und Weber 1469, der Weingärtner 1491, 
(diefelben bejaßen in der Altjtädter Kirche einen eigenen Altar, den zu 
St. Pantaleon), der Zimmerleute 1509, der Schuhmader 15293) xc. 
— Neben diefen Bruderſchaften bei einzelnen Zünften beftand aber unter 
ber Bürgerichaft ſchon 1407 auch eine allgemeine Vereinigung, welche 
man „St. Mattbiefen Bruderfhaft” hieß.) Das Vermögen 
aller dieſer Bruderſchaften wurde jpäter (1533) zu einem allgemeinen 
Almofenfond verichmolzen. Wir werden darauf zurüdtommen. 

Wie wichtig die Mühlen der Stadt waren, geht daraus hervor, 
daß dieſelben nebft Meifenftein und dem Schultheißenamt zu Pforzheim 
1338 zu einem mainzijchen Lehen gemacht wurden (S. 95), in welchem 
Verhältniß fie noch lange ſich befanden. Sie find im Borftehenden 
bereit genannt, Man ficht daraus, daß die vier Mühlen, welde 
Pforzheim heute befitt, chen vor 400 Jahren vorhanden waren, bie 
fünfte aber, die Wagmühle, verichwunden it. Sie lag in der großen 


) Vergl. Mone, Zeitichrift I, 3. 

2) Urkunde des Landesardivs. 

2) Lagerbudh des Almojens — (Stabtardiv.) 
*) Lagerbuch des Almoiens (Stadtarchiv). 


Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert, 161 


Gerdergaffe, wo ein Mühlrad mit der Jahrzahl 1568 am Haufe des 
Gärtners Frank den Ort diefer Mühle, die hinten an den Mühlkanal 
ſtieß, noch bezeichnet. Außerdem werden an andern Wafferwerfen auf: 
geführt: Hufe und Waffenfihmiedmühlen, (befanden ſich da, wo jett 
der obere Hammer ift), weiter abwärts am Kanal Walk- und Schleif: 
mühlen , and eine Delfchlage, die obere und untere Stampf- oder Rin- 
denmühle der Gerber, KRupfermüblen ꝛc., die Delichlag: und Schleif— 
mühle in der Altjtadt bei der St. Nikolauskapelle. Auch an Sägmühlen 
war fein Mangel, und befand ſich die Stadt felbft im Befit einer ſolchen, 
welche einem „Stadtſäger“ zur Beſorgung übergeben war.“) Daß auch 
die Flößerei im 15. und 16. Jahrhundert in Vfüte war, jagt ung ein 
geographifcher Schriftiteller, der in der Mitte des 16. Jahrhunderts 
lebte, in folgenden Worten:?2) „Das Volk, fo bei der Kinzig wohnt, 
beionders um Wolfach, ernähret ſich mit den großen Bauhölzern, die fie 
durch die Kinzig in den Rhein flözen und groß Geld jührlid erobern. 
Desgleihen thun die von Gersbach und andern Flecken, die an ber 
Murg gelegen find, gleihwie die von Pforzbeim groß Flöz 
in den Neckar treiben.“ Ausführlicheres über die gewerblichen 
Verhältniſſe der Stadt im folgenden Kapitel. 

Es waren oben die Gehalte erwähnt, die den Stiftsherrn zu Baden 
und auch in gleichem Verhältniſſe denen zu Pforzheim ausgeworfen 
wurden. Wem jene Summen nieder vorkommen, der vergeſſe nicht, daß 
ihnen die damaligen Preiſe der wichtigſten Lebensbedürfniſſe entſprachen. 
Einige Mittheilungen darüber dürften nicht am unrechten Platze fein. 
Zu Anfang des 15. Jahrhunderts wurden zu Durlach ein Malter 9 
Korn um 4 bis 5 Schillinge (48 fr. bis 1 fl.), eine Ohm Wein um 
10 Schilling (2 fl. 3 kr.), ein Hammel oder ein Schaf um 41/, Schil⸗ 
ling (56 fr.), zwei Kühe und ein Kalb um 5 Pfund (20 fl. 30 fr.) 
verfauft und für einen (auswärtigen) Schüler jührlih 4 bis &1/, ‘Pfund 
(16 fl. 24 — 18 fl. 27 fr.) fammt einem Sad Kom als Koftgeld 
bezahlt. %) 

Nach ftatiftifchen Zufammenftellungen über die Preije der Lebens⸗ 





y Koptalbuch im Stabtarhiw, S. 239: „Stadtſägersordnung.“ 

) Seb. Münſter, Cosmographia. WERE 

») Ein damalines Malter hatte 8 Simri oder Mepen, 1 Simrt hatte 
4 Bierling, ein Bierling — 4 Viertel oder Meflein. 

) Sads, IL, 337, 4 

Pflüger, Pforzheim, 


162 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


mittel während der leßten fieben Jahrhunderte,) die auf die jegt üb- 
lichen Maafe, (alſo bei den Getreideforten und Hülſenfrüchten auf das 
neubadiihe Malter) berechnet find, koſtete im 15, Jahrhundert das 
Malter Kernen oder Waizen im beutigen Baden durchſchnittlich 1 fl. 
30 kr., Halbwaizen, Erbſen und Linjen 1 fl. 19 fr., Korn, Molzer und 
Bohnen 1 fl. 2 kr, Gerſte und Welſchkorn 56 fr., Dintel 36 fr., Haber 
32 fr., der ZJentner Heu 9 fr., ein Bund Strob 1 fr. Dem entiprechend 
waren die Holzpreife. Im Jahr 1517 koſtete bei Pforzheim das Klafter 
Holz 31, bis 4 fd), und noch am Schluſſe des 17. Jahrhunderts 
wurde das Klafter (gemifchtes) Brennholz in den Piorzbeimer Stadt: 
waldungen um nicht mehr als 30 fr, verkauft, und ein Klafter Gipfel: 
ober Abholz kam nicht höher, als auf 4—8 Kreuzer zu fteben, 3) 


d. Stadttbeile, Bürgergeihledter. 


Schließlich mögen noch diejenigen Stadttheife, ſtädtiſchen Anftalten xc., 
welche im 15. Jahrhundert zum erften Male vorkommen, fowie 
die Namen mancher Bürger aus diefer Zeit aufgeführt werden, Von 
Stadtthoren finden wir des Brögingertbors und Häufer 
vor demfelben, alio in der Brötzinger Voritadt, die fchen 1323 vor: 
fommt, ferner wieder des Altorfer: oder Altftädter Thors, des Schleif— 
thors fammt dem Pla davor, neh immer aud eines Tränkthors 
und Predigertbors, in welch leßteres fich das Frauenthor (S. 79) 
verwandelt zu haben jcheint, erwähnt. Letztere beiden Thore beweifen, 
daß das Kloſter der Dominikanerinnen ſammt andern Gebäuden noch 
immer außerhalb der Stadtmauer (extra muros) lag, was auch durd) 
Urfunden beftätigt wird; ferner findet fih ein Steintbörlein. Bon 
Straßen werden außer den im vorigen Kapitel ſchon genannten die 
Altftädter Gafjen, die obere und untere Lauergaſſe (Xower: auch 
Löwergafie, d. h. Loh- oder Gerbergaffe), eine Judengaffe, das 
Darfüßergäßle, die „SIappergaffen“ (den 1400), wie die 
jeige Baumftraße vor ihrer Umtaufe hieß, die Schelmengaffe (untere 
Augafie), die Kloftergaffe, die Brunnengaffe (verlingerte Lamm— 


) Bergl. Heunifh und Bader, „das Großherzogthum Baden.“ 
2) Gött. hist. magaz,, VIII. 347 und 352. 
») Pforzheimer Bürgermeifterrehnung von 1688, 


Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert, 163 


ſtraße) aufgeführt. — Von den Gebäuden, welche für Geſundheits-, 
Armen: und Krankenpflege beftimmt waren, müſſen neben den drei 
Spitälern, die Pforzheim damals beſaß, nämlich dem Siechenfpital, 
dem Spital zum heiligen Geift und der St. Georgenpflege, aud das 
Seelhaus und bie zwei Badftuben genannt werden, Jenes Tag in 
der Brötzinger Vorftadt, beftand jchen 1456 und hatte die Auf 
gabe, nicht nur Arme überhaupt, fondern namentlich Franfe und durch 
reifende Bettler mit „Holz, Schmalz und Salz“ nad Notbdurft zu 
verfehen. 1) Die eine Babjtube, die obere, lag am Mühlbach unmit— 
telbar Hinter dem Schofgitter, die untere befand ſich beim jeßigen 
ftädtifchen Waiſenhaus. An ſolchen Badſtuben, die entweder Eigenthum 
der betreffenden Herrſchaft oder der Gemeinden waren und durch Ver— 
kauf oft auch in Privathände übergingen, fehlte es früher in feiner Stadt, 
ja kaum in Dörfern, und es wurde fehr darauf gehalten, daß fie in 
gutem Zuftand blieben und Gejunden wie Kranken dienen konnten. 
Gewöhnlich waren Dampfbadeinrichtungen damit verbunden. — Bon 
fonftigen Häufern der Stadt möge bier noch der adeligen ewähnt 
werden, deren Pforzheim als bedeutendſte Stadt des Landes, die an den 
adelreichen Kraichgau amftieß, ſchon im 15. Jahrhundert eine ziemliche 
Zahl aufweiſen konnte. Es gehörten dazu: 1400 das Haus Eberhards 
von Gertringen, 1401 des Hans von Wachingen, 1443 das 
Haus Friedrihs von Enzberg, genannt Bitfcher, beim Barfüßer Kir 
hof; 1451 das von Raul von Leutrum beim Prediger Kloſter; 1468 
das von Dietrih von Gemmingen im der Kloftergaffe; 1477 die 
Flehingen'ſche Behaufung, die früher Wendel von Remchingen 
gehört hatte, 1478 das Haus von Hang von Berwangen am Kirch: 
oder Schloßberg; 1480 das freiberrlich von Nippenburg’fhe Haus, 
ebenfalls am Kirchberg; 1482 Haus und Garten von Hans von Kö— 
nigs bach bei der oberm Badſtube; 1491 das Haus von Hans Eber: 
hard von Reiſchach, im der Altftädter Gaſſe, das früher denen von 
Storjhedel gehört hatte; 1492 das Haus Wilhelms v. Neipperg. 
Pforzheimer Bürger, deren Namen im 15. Jahrhundert in Urkun— 
den, Lagerbüchern, auf Grabfteinen ıc. vorfommen, waren: 2) Michael Arme 





») Lagerbuch des Almofens von 1711 im Stadtarchiv. 
2) Diejenigen Geichlechter, die fich feit jener Zeit bis heute in Pforabeint 
erhalten haben, find wie früher durch geiperrten Drud begeldpne. R 


164 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


brufter, Hang Bauer 1411, Hänslin Beth 1400, Kunzlin Bender, 
Friedrich Berfch der Zimmermann (vielleicht der Erbauer der frühern Altjtädter 
Kirche? Vergl. S. 106), Ulrich Blau, Kunz Brachert, Ulrich Brodbed, 
Hans Buchmüß, Hänslin Bull, Jerg Dreier, Hans Dulwer, Lug Dürr: 
mann, Klaus Dürrmenz, Hang Engelhard, Heinz Fallinbach, Hans Filer 
der Schloffer, Hans Fink 1400, Arnold Fiſcher, Hans Fiſchlin, Hans 
Frank, Aberlin Fürft, Hans Geiger 1400, Michel Gerwig 1486, 
Jakob Gilg, Hänslin Goldeijen, Heinrih Goldfhmidt, Klaus Göppinger, 
Hang Groß der Eeiler 1447, Heinrich Güldenmeifter, Konrad Gürtler, 
Heinz Hagdorn, Heidrich Hemler, Friedrich Heing, Konrad Hintermeier, 
Hirtenhans (pachtet 1403 von Markgraf Bernhard das obere Bad in 
Liebenzell um jährlide 20 fl), Peter Hubenſchmied, Aberlin Huter, 
Soft Hutmader, Ulrich Kayſer 1460, Klaus Kantengießer, Joh. 
Kern, Schreiner (vielleiht der ©. 159 genannte Künftler?), Soft 
Kepler, Jakob Kiefer 1479, Kunz Knebel, Berthold Knittel, Klaus 
Koch 1480, Nikolaus Kommerell 1430 (Grabftein in der Schloß: 
firhe), Hans Kraft, Friedrich Krieg, Walther Künlin 1400 (vergl. 
©. 133), Jakob Landzwinger, Wernher Lieſch, Hans Lungel, Joft Lu $ 
1460, Kunz Mäulin (Mäufe, Meulen, Meyle) 1401, Hans Maler 
1491, Berthold Mennlin, Peter Meglin, Mathis Müller 1400, Kunz 
Murer, Burkhard Narr, Joh. Nettinger (Grabftein in der Schloßtirche), 
Benz Deſchelbronn, Thomas Palm, Bertſche Pfenner, Herrmann 
Pfifter, Hans Ratmann, N. Neinfleifh, Michael Reinhard, Michael 
Räpple 1413, Georg Reuchlin, Wernher Riih, Kunz Ruf, N. Rüf: 
lin (Mieflin, Niefle) der Weber 1400, Günther Sattler 1400, 
Hänfel Schäfer 1455, Kunz Scheff, N. Scheppler, Friglin Scherer, 
Ulin Schmidt 1400, Otto Schneider 1400, Burkhard Schreiber, 
Aberlin Schreiner, Stephan Schuhmacher, Reinhard Seyler der Waffen: 
Ihmied, N, Sigelin (Siegele, Eiegle) der Schwertfeger 1400, Peter 
Suler (Grabftein in der Schloffirhe), Peter Start, Michael Strub, 
Hans Stuberlin, Klaus Stump, Weblin Taugenhauer, Hans Traute 
mann, Albert Tree, Friedrich Tyfel oder Teufel Grabſtein in der 
Schloßkirche mit einer abſcheulichen Teufelsfratze, vergl. S. 152), Hänslin 
Unger oder Ungerer der Gerber 1411, Hänslin Vetter, Konrad 
Wagner 1419, Hans Wappeler, Endris Wecher 1480, Aberlin 
Wegener, Heinz Weidenbufh, Hans MWeidenlaub, Kunzlin Weinzicher, 





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Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 165 


Heinz Weißenbach, Burkhard Wetzlin, MWendel MWilderfinn 1471, 
Heinz Wirme, Heinz Wollenichläger, Aberlin Wücklinger, Paul Wyler. 


54 Johann Wendlin. 


Diefer ausgezeichnete Mann, einer „der Brennpunkte literarifcher 
Reftrebungen in dem Zeitalter der Morgenröthe humaniſtiſcher Geiſtes— 
bildung, ein Hauptbegründer der ernitern Beichäftigung mit ber griecht- 
ſchen Sprache,” und — für die chriſtliche Welt — „Bahnbrecher zur 
Kenntniß der Hebräifchen,” 1) auch „Norläufer der Reformation,“ wie 
er ſonſt vielfach genannt wird, verdient wohl in einer Gefchichte feiner 
Paterftadt befondere Berückſichtigung. Wenn er auch feine umfaffende 
Thätiafert nicht innerhalb der Mauern derfelben entfaltete, ja feine Wirk— 
ſamkeit, foweit dieſelbe mit dienftlicher Stellung verbunden war, größten: 
tbeils nicht einmal feinen Naterlande angehörte, fo mag doch Pforzheim 
immerhin darauf ſtolz fein, den Mann erzeugt zu haben, der einft einen 
fo nahbaltigen Einfluß auf feine Zeit ausgeübt bat, daß noch heute 
„die Anfinge und Grundlagen unferer Bildung vielfach auf ihn zurück⸗ 
weiſen“, und der dadurch, daß er zu dem in ſeinem Zeitalter „beginnen 
den Kampf des freien Geiſtes gegen menſchliche Autorität, der Glaubens— 
freibeit gegen Glaubenszwang“ 2) einen Hauptanſtoß gegeben, der ganzen 
Menfhbeit angehört. 

Johann Neuchlin wurbe am 28. Dezember 1455, alfo während 
der Menierung des Markarafen Karl J., geboren. Sein Vater war 
Georg Reuchlin, und beffeidete wahrfcheinfich das Amt eines Vermalters 
des Klofterauts bei den Dominifanern. Derſelbe hatte außer Johann 
noch einen Sohn, Dionyſius, der fpäter ebenfo mie fein Bruder eine 
wiſſenſchaftliche Laufbahn betrat, und eine Tochter, Eliſabeth, welche den 

1) Stälin, IT, 717. 

2) Veral. die Schrift: „Johann Reuchlin, eine biographiſche Stizze“ 
von Lamev, die bier hauptlählih zu Grund gelegt ift. Belannt- 
lich hatte Reuchlin fhon früher auch feine Biographen gefunden, ſo 
namentlich feinen fandsmann Mad (Vita Reuchlini, Durlach 1687), "ferner 
Schnurrer, Mayerhoff, Erhard ꝛc. Auch Gehres gikt in feiner kleinen 


Pforzheimer Chronif* einen Lebendabriß Reuchlins nad „Schubarts Titeraris 
fchen Fragmenten.“ 


166 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert, 


eben fo reichen, als gründlich gebildeten Johann Reuter in Bretten 
heirathete und dadurch die Großmutter Melauchthons wurde. ') 

In feiner Jugend beſuchte Johann Neuchlin die damals blühende 
Schule feiner Vaterftadt und legte bier einen guten Grund in der lateis 
nifchen Sprache und in der Muſik. Im Alter von 141/, Jahren bezog 
er die Univerfität Freiburg, wo er am 19, Mai 1470 als akademiſcher 
Bürger eingefehrieben wurde und aufs Eifrigite philoſophiſche Studien 
betrieb, Nach feiner Rückkehr von Freiburg wurde er wegen feiner 
ſchönen Stimme unter die Hofjänger aufgenommen, und es mag wohl 
während dieſes Aufenthalts in feiner Baterftadt gewefen fein, daß er 
an ber Anftalt, der er früher als Schüler angehörte, nun aud) aushilis- 
weife als Lehrer unterrichtete. Markgraf Karl, der auf den talentvollen 
Jüngling aufmerkfam geworden war, erwäblte ihn 1473 zum Begleiter 
feines dritten Sohnes, des Prinzen Friedrich,?) auf die Hochſchule zu 
Paris, Hier ſetzte Reuchlin nicht nur feine in Freiburg begounenen 
Studien fort, fondern er warf ſich auch mit großem Eifer auf die Er: 
lernung dev griechiſchen Sprache. Aber noch im nämlichen Jahr mußte 
er Paris wieder verlafien, wahrſcheinlich um den Prinzen Friedrich in 
die Heimath zurück zu begleiten. Doch ſchon im folgenden Jahr 1474 
finden wir deu ftrebfamen Jüngling auf der Univerfität zu Bafel, wo 
mit Lernen, aber auch mit Lehren drei fruchtbare Jahre vergingen ; denn 
Reuchlin hielt dafelbft bereits Worlefungen über die lateinische Sprache 
und erflärte feinen Zuhörern die Klaſſiker. Zugleich arbeitete er daſelbſt 
ein Iateinifches Wörterbuch aus, das erfte Werk, welches von ihn erfchien. 3) 
Ja, der junge Mann, der bereits 1474 Baccalaureus und 1477 Magifter 
ber Philofophie geworden war, eröffnete fogar Vorlefungen über die 
griechiſche Sprache, die ihm aber von Seiten der Mönche unter den 
Basler Lehrern, welche befürdhteten, daß derartige Studien von der 
Religion abführen möchten, ſolche Anfeindungen zugegen, daß Reuchlin, 
vielleicht in Folge derfelben, Bafel verlieh und zum zweiten Mal nad 
Paris ging. Dort wußte er ſich durch Abſchreiben griechiſcher Schriften 


1) Ihre Tochter Barbara wurde nämlich die Frau Georg Schwarzerbs, 
Rüftmeifters zu Bretten; aus biefer Ehe ging Philipp Echwarzerb oder Me- 
landtbon hervor, 

2) Derfelbe war 1458 geboren, wurbe 1496 Biſchof von Utrecht und ftarb 
1517. Sads, H., 627 fi. 

) Es erlebte von 1477—1504 nit weniger als 23 Auflagen. 


Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 167 


nicht nur die Mittel zu jeinen weitern Studien und zur Anſchaffung 
von Büchern, die damals noch ehr thener waren, zu verfchaffen, ſondern 
jenes Abfchreiben brachte ihm auch großen geiftigen Gewinn, da er da: 
durch tiefer in die Schriftfteller eindrang und ganze Stellen feinem Ge- 
dächtniß einprͤgte. Schon 1448 begab ſich aber Neuchlin nach Orleang, 
we er zuerit Vorlefungen über griechiſche und lateinische Sprache bielt, 
auch eine griechiſche Grammatik ausarbeitete, nebenbei aber auch juriſtiſche 
Studien betrieb. Diefelben ſetzte er nachher in Poitiers fort und kehrte 
1481 als Lizentiat des bürgerlichen Nechtes in feine Heimath zurüd. 
Da er bier für feine Kenntniſſe und fein wiſſenſchaftliches Streben den 
rechten Boden nicht finden mochte, fondern nach einem umfaffendern Wir: 
kungskreis Nerlangen trug, fo wählte er die Univerfititsftadt Tübingen 
zu feinem Aufenthalt. Dort praftizirte ev zuerft als Advokat, wurde 
aber noh im Jahr 1481 als Vicentiat der Univerfitit immatrikulirt, 
las als Privatdocent über griechifche Sprache und erwarb ſich den Grad 
eines Doktors der Rechte. Dort verbeirathete er ſich auch und lebte 
mit feiner Fran in langer und glücficher, wenn auch kinderloſer Ehe, 
Von Tübingen ans befuchte er wohl auch von Zeit zu Zeit feine Water: 
ftadt Pforzheim; doc fcheint es zu einem längern Aufenthalt daſelbſt 
nie mehr gekommen zu fen. 

Durch eine Fertigkeit im Lateiniſchſprechen wurde Neuchlin mit dem 
Herzog von Mürttemberg, Eberhard im Bart befannt, der ein ſolches 
Vertranen zu ihm faßte, daß er ibm zu feinem täglichen Gefellichafter, 
Seheimfchreiber und geheimen Rath machte. Den Herzog mußte Neuchlin 
auch auf einer Meife nach Nom begleiten, wo eine Yateinijche Rede, welche 
letterer vor dent Papſt ımd den Karbinälen hielt, große Verwunderung 
errente. Nach der Rückkehr nahm er mit dem Hofe feinen MWohnfik 
in Etnttgart, wo er 1484 Aſſeſſor beim Hofgeriht und 1485 zum 
Anwalt de8 Dominifanerordeng für ganz Deutfchland gewählt wurde. 
Von Stuttgart aus machte er auch mehrere Geſchäftsreiſen, To 1492 
mit dem Herzog Eberhard zu Kaiſer Friedrich III. nad Linz, wo 
er fih Bis ins folgende Jahr aufbielt und‘ fammt feinem Bruder 
nicht nur in den Adelsitand erhoben wurde, fondern auch den Titel und 
die Mechte eines kaiſerlichen Pfalzgrafen erhielt. Dort fand er enblid 
auch die langgeſuchte Gelegenheit, die hebräifche Sprache zu lernen, indem 
er darin von dem Faiferlichen Leibarzt Loans, einem Juden, unter: 
richtet wurde, 


168 Neuntes Kapitel, Piorzheim im 15. Jahrhundert. 


Bald nad) feiner Rückkehr nach Stuttgart gab er feine berühmte 
Schrift: „Womwundertbätigen Wort” 1) heraus, Leider war feines 
Bleibens daſelbſt nicht mehr lange; denn als Herzog Eberhard 1496 ftarb, 
mußte Reuchlin Württemberg als Flüchtling verlaffen, da Eberhard ber 
Züngere fein Feind war, Er wandte ſich nad) Heidelberg, wo er frobe 
Tage verlebte und mehrere Werte ſchrieb, jedoch ein akademiſches Lehr: 
amt nicht beffeidete, Der Kurfürſt ernannte ihn 1497 zum kurfürftlichen 
Rath und oberiten Zuchtmeifter der Furfürftlichen Söhne gegen hundert 
Gulden Gehalt, ein Hofkleid und Entihädigung für zwei Pferde. Auch 
Reuchlins Bruder, Dionys, war damals in Heidelberg, ftieß aber in feinen 
Bemühungen, einen Lehrftubl für griechifche Sprache an ber Univerfität 
zu errichten, auf den entfchiedeniten Widerſtand der dortigen Mönche. 2) 
Von dort machte J. Reuchlin im Auftrag des Kurfürften 1498 feine zweite 
Meife nach Nom, erntete dafelbjt durch feine Gelehrjamkeit von Neuem 
allgemeine Bewunderung, und hatte die Freude, bald nachher wieder nad) 
Mürttemberg zurückkehren zu können, da ſich die Verhältniſſe unterdeſſen 
geändert hatten. Aufs Neue gab er fi dort wiſſenſchaftlichen Arbeiten 
bin, die mehrere Schriften zur Folge hatten, 3) aber freilih auch durch 
die Gefchäfte eines Bundesrichters des ſchwäbiſchen Kreiſes, wozu er 
1502 mit einem Gehalt von 200 Gulden ernannt wurde, häufige Un: 
terbrechungen erlitten. Nebenbei fette er das Studium der hebräifchen 
Sprache fleißig fort, und es iſt faſt umbegreiflich, wie er zu allen diefen 
Beſchäftigungen und Studien, wozu neben einer Korreſpondenz, die ſich 
auf die gelehrte Welt in Deutihland, Frankreich und Italien ausdehnte, 
noch verjchiedene Reiſen und Gefandtichaften kamen, Zeit und Kräfte 
finden Fonnte. Im Jahr 1506 erſchienen feine „Anfangsgründe 
des Hebräiſchen“ (Pforzheim bei Anshelm), ein Werk, wodurch 
Reuchlin auf diefem Gebiet die Bahn brach. Von Stuttgart aus mochte 


!) De verbo mirifico. Die erften Auflagen erfchienen in Bajel, die fpätern 
in Tübingen. 

2) Dieler jüngere Reuchlin ſteht im Matrikelbuch der Univerfität Heidel— 
berg am 26. Auli 1498 eingelchrieben als M. Dionysius Rüchlin de Pforzen, 

») So auch bie Gelegenbeitfihrift: „Doktor johanes Reuchlins tütich miſſive. 
warumb bie Juden fo lang in ellend find. Datum in Wyhenacht 
feiertagen zu einem guten feligen jar, Ad anum 1505. Gedrudt susPfopgheim. * 


Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15, Jahrhundert. 169 


er auch dann und warın wieder nach Pforzheim gekommen fein, und vermutb- 
lich hielt er bei einem folchen Beſuch die Vorträge, an welche der ſogenannte 
Reuchlin'ſche Hörfaal in der Schloßkirche, das einzige Denkmal, das 
feine Daterftadt noch aufzuweifen bat, erinnert, ) Bei feinem jedesma- 
ligen Aufenthalt in Pforzheim, wo fid ven 1507 an der Grofneffe 
Reuchlins, Philipp Melanchthon aus Bretten befand, 2) prüfte er auch 
immer jorgfältig die Nortichritte des Knaben und belchnte fie bald mit 
griechifchen, bald mit Inteinijchen Büchern. Bei einer diefer Befuchareifen 
wurde Reuchlin von den gerade verfammelten Geiftlihen des Pforzheimer 
Landfapitels zum Gaſtmahl geladen; da trat nad) Beendigung des Mahles 
der geliebte Knabe mit Irenikus und andern Mitichülern vor die Gäfte 
und führte eine Tateinifche Komödie auf, welche Reuchlin damals 
herausgegeben hatte. Bei diefer Gelegenheit verwandelte auch Neuchlin 
den bdeutichen Namen des Knaben, Schwarzerd, in das griechifche 
Melandhtben. 3) 

Bald darauf begann der „Judenſtreit“, der die übrige Lebenszeit 
Reuchlins fo ſehr verbittern follte. Fin getaufter Jude, Johann Pfeffer: 
korn, griff theils aus eigenem Haß gegen feine ehemaligen Religionsgenoflen, 
theils als Werkzeug der Dominikaner zu Köln, die Juden durch Wort 
und Schrift aufs Heftigite an und befchuldigte fie, daf in ihren Schriften 
gottegläfterlihe Dinge enthalten wären. Die Sache erregte großes Auf: 
feben und kam bis vor den Kaifer Marimilian, der die Vernichtung 
aller bebräifhen Bücher gebot, welche eine Schmähung bes Chriſtenthums 


1) Diefes „Collegium Reuchlinianum“ befindet ſich über der ehemaligen 
Sakriſtei (Süpjeite ber Schloßkirche). Dort war auch die Bibliothef Reuchlins 
(S. 171) aufgeftellt. Der Grabftein, den Reuchlin feiner Mutter mit ber 
Anschrift fegte: „Elissae Eckinae Georgii Reuchlin uxori, Johannes Capnion filius 
matri pientissimae posuit,“ ift Yeiber nicht mehr aufjufinden, obgleich er noch 
vor wenigen Jahren vorhanden geweſen ſein muß. 

2) Nah dem Tode des Vaters und Großvaters Melanchthons zog die 
Wittwe des Letztern, die Schweſter Reuchlins, 1507 mit ihren zwei Enkeln nach 
Pforzheim, wo Philipp die Tateiniihe Schule befuchte. 

3) Nach der Sitte der Gelehrten jener Zeit. Der griechiſche Name Reuch— 
lins war Kapnion. Es ift auffallend, daß Reuchlin unter dieſem Namen 
wenig, Melanchthon dagegen unter feinem deutſchen Namen Schwarzerb fait 
gar nicht befannt ift, 


170 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15, Jahrhundert. 


enthielten. Da letsterer Umſtand aber ſchwer zu ermitteln war, jo ging 
Pfefferkorn noch weiter und verlangte, dak alle Vücher der Juden, mit 
Ausnahme des neuen Teftamentes, verbrannt werden follten. Darüber 
wurden von mehreren Univerfitäten und Gelehrten, unter andern auch 
von Reuchlin, Gutachten eingeholt, und dieſer erklärte ſich 1510 ent: 
jchieden gegen ein jolches gewalttbätiges Nerfahren, das ſicher die erwartete 
Wirkung nicht haben, fondern nur Erbitterung erzeugen werde, und das 
ohnehin auch gar nicht nerechtiertigt fei, da die Bücher der Juden nichts 
Schlimmes, fondern im Gegentheil recht viel Gutes enthielten, das fich 
auch der Chriſt zu nutz machen könnte. Lebt fielen aber die Domini: 
kaner mit aller Gebäffigfeit über ihn ber, und Pfefferkoru gab gemein: 
ihaftlih mit dem Profejior und Dominifanerprior Jakob von Hong: 
ftraten eine Schrift unter dem Titel „Handipiegel* heraus, welche die 
gröbften Schmähungen gegen Neuchlin entbielt. Reuchlin blieb aber feinen 
Gegnern die Antwort nicht ichuldig und fchrieb feinen „Augenipiegel,“ 1) 
werin er ſich auf das Kräftigfte vertbeidigte. Damit hatte er aber 
Del ins Feuer gegofien; dem jett fing der Streit erjt recht an, und 
namentlich wandte fich der Angriff der Mönche nunmehr gegen die eben 
genannte Schrift. Es würde zu weit führen, bier den ganzen Nerlauf 
des literariſchen Kampfes zu verfolgen; es genüge die Bemerkung, daf 
faft das ganze gelehrte Deutichland daran Theil nahm, und die aufge: 
Härtern Geifter auf der Seite Reuchlins ftanden, darunter auch die be: 
rühmten Ritter Ulrich von Hutten und Kranz von Sickingen. Nament: 
lich war es leßterer, der durch fein energiſches Auftreten für Reuchlin 
die Dominikaner in Köln dahin brachte, daß fie in Nom am Ende felber 
die Niederichlagung des wegen Reuchlin eingeleiteten Prozeſſes erwirken 
und diefem die durch denjelben erwachſenen Koften wieder erfeßen mußten. 

Nach Außen bin aber batte diefer Streit mächtig gewirft und die 
Geiſter jo aufgeregt, daß er den Möncen gegenüber mit der Feder noch 
lange fortgejett wurde. Nicht wenig trug auch das Zuſammenſchaaren 
der ausgezeichnetften Männer Deutichlands um Reuchlin dazu bei, daß 
dadurch für die bald darauf erfolgende Reformation eine breite Grund: 
lage gewonnen wurde und Luther mit feinem entſchiedenen Auftreten 
nicht vereinzelt bdaftand, Diefer Reformator hatte vor Reuchlin die 


T— — — nr 


) 1511 bei Anshelm in Tübingen erſchienen. 


Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert, 171 


größte Hochachtung, was namentlich der Brief beweist, den er am 
14, Dezember 1518 an ihn ſchrieb, und Reuchlin rief bei der eriten 
Nachricht von dem offenen Auftreten Luthers erfreut aus: „ott Lob, 
num haben fie einen Mann gefunden, der ihnen fo bfutfaure Arbeit 
machen wird, dab fie mich alten Mann wohl im Frieden werden bin 
fahren laſſen!“ 

Doch follte den alten Mann noch verichiedenes Ungemach treffen. 
Wegen gefährlicher Kriegsunruben war er 1509 genöthigt, nach Angol: 
ftadt zu flüchten, ohne die Liebe feines Lebens, feine Bibliothek, mitneb: 
men zu können. Im Anfang fitt er dafelbit bittern Mangel; ſpäter 
beſſerten ſich aber feine Verhältniſſe wieder, namentlih als er am der 
dortigen Univerfität Borlefungen über griechiiche und bebräiiche Sprache 
eröffnete. Bald aber vertrieb ihn die Peit wieder aus Ingolſtadt und 
er Fehrte nah Stuttgart zurüd, wo er fein Hausweſen wieder einzurich 
ten gedachte, Aber die Univerfitit Tübingen ließ ihn einladen, dafelbit 
feine Vorlefungen fortzufeben. Schon waren die nöthigen Einleitungen 
dazu getroffen; bereits hatte die Kunde, daß der berühmte Mann wieder 
leie, viele Studenten, uamentlich aus Heidelberg herbeigezogen: als bie 
andauernde Kränflichfeit Neuchlins in ein gefährliches Fieber ausichlug. 
Vergebens war 1522 eine Badkur in Yiebenzell; man brachte den 
Kranken nah Stuttgart zurüf und am 30. Juni 1522, in feinem 
67. Jahre, Fam Neuchlin zur Ruhe. Auf dem Lazarethkirchhofe in 
Stuttgart liegt er begraben. 

Seiner Vaterſtadt hatte er ſchon ein Jahr vor feinem Tode feine 
reiche Bibliothet mit der Beitimmung vermacht, daß diefelbe im 
St, Mihaeleftift dafelbft zu freiem Gebrauch aufgeftellt werden jellte. 
Pforzheim beſitzt aber diefe Bibliothek Tängft nicht mehr. Sie wurde 
nämlidy im dreißigjährigen Krieg nach Weilerftadt geflüchtet, und nad 
mancherlei Terfchleppungen kam der Neft davon in die Großherz. Hof: 
bibliothet in Karlsruhe, wo ſich namentlich auch noch die auf Pergament 
geichriebene hebräiſche Bibel befindet, melde Kaifer Friedrich III. Reuch— 
lin in Linz gejchenft hatte. — Zu Anfang diefes Jahrhunderts war in 
der Schloßfirche noch der Katheder und Bücherkaften Reuchlins zu ſehen. 9 

Das Geſchlecht der Reuchlin, das in Pforzheim längſt nicht mehr 


") Roller, Beſchreib. von Pforzheim, ©. 15. 


172 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 


vorkommt , hat der Bruder von Johannes, Dionys, fortgepflanzt. Derfelbe 
wurde nämlich ſpäter Geiftliher im Elſaß, nahm eifrigen Antheil an der 
Reformation und verbeirathete fich. In jenem Land und im gleihen Stand 
blieben fpäter auch die meiften feiner Nachtommen, und blüht das Ge: 
ichledht der Neuchlin ſowohl in den Niederlanden, als in Mürttemberg 
nody fort. 3) 


1) Frübere Biographen Reudlins ftellten unter Mittheilung von Geſchlechts— 
vegiftern die Behauptung auf, daß das Gefchlecht der Neuchlin 1788 mit einem 
in biefem Jahre zu Straßburg verftorbenen Geifllihen, Friedrich Jakob N,’ 
erloſchen ſei. Es bat jedoch ein 1782 ebenfalls au Straßburg mit Tod abge: 
gangener Wundarzt, Andreas Franz Reuchlin, männliche Nahfommen'haft 
binterlaffen, und ftammen bie noch lebenden Reuchlin " (darunter der Ge: 
Ichichtichreiber Herrmann Reudlin) von ibm ber. — Das diefem Abichnitt 
beigenebene Bildniß Johann Reuchlins ift nach dem Delporträt gemacht, 
welches aus ber Berlajienihaft des erften ausführliben Biographen Reuchlins, 
des Profeffors Mai in Gießen, in ber bortigen Univerfitätsbibliotbef aufbe: 
wahrt wird und auch ſchon Thormwaldien für feine Walhallabüſte gedient bat. 
Das Facfimile ift einem der Reuchlin'ſchen bebräifchen Godices in der Großh. 
Hofbibliothef zu Karlsruhe entnommen. — Beides, Porträt und Facſimile, 
findet fi bereits als Titelbild in der ofen angeführten Schrift: „Johann 
Reudlin, eine biograpbiihen Skizze v. Dr. Lamey“, und fonnte der noch 
vorhandene Stein, ber bort fhon zu lithographiſchen Abzügen diente, aud 
bier benüßt werben, 


% 
—i 


Schntes Rapitel. 


Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 
(1475 — 1515.) 


$1. Allgemeines. 1) 


Markgraf Karl I. hatte drei Söhne Hinterlaffen. Der jüngfte, 
Friedrich, betrat die geiftliche Yaufbahn, während die beiden ältern, Chri- 
ftoph und Albredyt, 1475 vom Kaifer die Belehnung mit den badifchen 
Landen empfingen und bdiejelben auch gemeinfchaftlid regierten. Im 
Jahr 1482 geſchah jedoch eine Theilung zwifchen den beiden jungen 
Markgrafen; allein ſchon nach 6 Jahren vereinigte Chriftoph nad) erfolg: 
tem Tode feines Bruders Albrecht ſämmtliche badische Lande wieder in 
feiner Hand. Diejelben beftanden damals aus der Markgrafihaft Ba: 
den, welche die Nemter Pforzheim, Durlach, Ettlingen, Mühlburg, 
Graben, Kuppenheim, Naftetten, Steinbah, Neu:Eberftein, Bühl und 
Stollhofen umfaßte, aus der Herrſchaft Hahberg, der halben Graf: 
ſchaft Eberftein, der halben Herrichaft Lahr (pfandweife), den Aem— 
tern Altenfteig und Liebenzell und der halben Grafihaft Spon- 
beim. Während feiner langen Megierungszeit aber vergrößerte Mark: 
graf Ehriftoph fein Land durch zahlreiche Erwerbungen, fo namentlicd) 
in Folge eines Erbvertrags mit dem fetten Sprößling des hachbergifchen 
Haufes durch die Landgrafihaft Sauſenberg mit den Herrichaften 
Nöten und Badenweiler. Von fonjtigen Erwerbungen in der Nähe 
von Pforzheim find folgende zu nennen: Im Jahr 1483 übergab 
Bartholomäus von Gertringen an Markgraf Ehriftoph zwei Theile an 
dem Dorf Wyler (Weiler), die Theile an den Vogteien zu Singen 


1) Vergl. biezu neben Sahs und andern mehrfach ſchon angeführten 
Werken für badtiche Gefchichte namentlich den Aufſatz: Eine altbadiihe Fürſten— 
geftalt, von Bader in feiner Babenia (Jahrgang 1858), 


174 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


und Mutſchelbach mit allen Zugehörungen, den Hof zu Treyß (Trais 
bei Königsbady), zwei Huben zu Nöttingen, 1'/, Huben zu Wilferdingen, 
den halben Kirchenfag und halben Laienzehnten zu Nöttingen, wie er 
(Gertringer) und feine Vorfahren Solches von der Markgrafihaft Baden 
zu Leben getragen, gegen ein jührliches Leibgeding won 100 Gulden. 
Schon das Jahr vorber 1482 batte er von Abt Johannes und dem 
Konvent des Klofters Maulbronn ein Biertheil des Dorfes Niefern 
um 1200 Gulden gekauft; zwei weitere Viertel des Ortes erftand der 
Markgraf 1510 von Ritter Georg ven Bad um 2400 Gulden und 
ein gegen der Frühmeſſe zu Altenfteig übernommenes Kapital von 1000 
Pfund Hellers, nebjt der Verbindlichkeit einer jührlidhen Gülte von 
2 Pfund Hellers und 8 Malter Korngelds an die Frühmeſſe zu Nie: 
fern. Im eben genannten Jahr 1482 erfaufte der Markgraf von Elfe 
Billing, Wittwe des Heinrih Wyler zu Pforzheim, ein Viertheil des 
Dorfes Eifingen um 550 Gulden; ein weiteres Viertel diefes Ortes 
erftand er 1495 von dem Nitter Ludwig von Illingen, genannt von 
Nfingen, um 1519 Gulden. 1) Einen Theil des Dorfes hatte ſchon 
Markgraf Bernhard 1415 von Reinhard Hofwart von Kirchheim erfauft, 
fo daß alſo jeßt das ganze Eifingen badiih war. — Benerft mag bier 
noch werden, daß Markgraf Chriſtoph im Jahr 1499 die Burg Liebeneck, 
weldye ſchon 1466 nebit dem Dorfe Würm von den beiden Markgrafen 
Bernhard und Karl um die Summe von 800 fl. an den Pforzheimer 
Obervogt Paul Leutram (Pentium) don Grtingen verpfändet worden 
war, an den Sohn desjelben, Ludwig Leutrum ven Ertingen, fammt 
dem Dorfe Würm mit „Leuten, Gütern, Beten, Steuern, Zinfen, Ge: 
füllen, Gerichten, Freveln, Einungen, Dienften und Frobndienften, Wald, 
Waſſer, Aeckern 20," als Erblehen übergab, und daß Liebeneck bis zum 
Jahr 1823, wo ein Austauſch verſchiedener Herrichaftsgüter gegen 


') Von den beiden Zeugen: Konrad von Enzberg und Erhardt Theurlinger 
oder Thorlinger findet fich dev Grabftein des letztern, der 1480 das freiberrt, 
von Nippenburg’ihe Haus am Schloßberg faufte, in der Schloßkirche. Auf 
demielben erblidt man die &eftalt Thorlingers im ritterlidem Gewand, neben 
ihm die feiner Frau. Der Grabftein trägt die Umfhrift: Anno dni 1528 vl 
den fünft tag mertz starb der vest Erhart Thorlinger. Anno dni 1472 vl sundag 


Fer philippi vnd Jacobi starb die ersam fraw vrsel Thorlingerin der sel in 
riden ruhe. — Konrad von GEnzberg flarb 1497 und wurde bei den Barfüßern 


begraben. (Grufius, ſchwäb. Chronik.) 


Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 175 


Leutrum'ſche Beſitzungen ftattfand und die Burg felbft fammt bem 
umliegenden Orundeigenthum wieder an den Staat fiel, im Beſitz ge: 
nannter Familie war, 1) 

Außer den angeführten Ermwerbungen wurde Markgraf Chriftopb von 
Kaiſer Friedrich III. und deffen Sohn Kaifer Marimilian J., denen er 
wichtige Dienfte leiftete, als Belohnung dafür mit verfchiedenen Ländereien 
belehnt und unter Anderm auch zum Gouverneur des Herzogthums 
Luxemburg ernannt. 

Obwohl fih nun Ehriftoph an Reichsgeſchäften lebhaft betbeiligte 
und dabei wie wenige andere Fürften das volle Vertrauen der beiben 
genannten Kaiſer genoß, am deren Hof er ſich deshalb auch häufig be: 
fand, jo war er dennoch für das eigene Haus und Volk jo landesväterlich 
beforgt und thätig, daß man ihn mit vollem Recht den „Karl Friedrich“ 
feiner Zeit nennen darf. Denn abgefehen von den Grgänzungen und 
Erweiterungen feiner Lande, lag ihm deren inmere Sicherheit und Orb: 
nung zunächſt am Herzen. | 

Strenge hielt der Markgraf in feinen Gebieten auf die Handhabung 
des vom Kaifer Marimilian 1495 verfündeten ewigen Landfriedens, 
deſſen Einführung dur ihn felbit fo jehr gefördert worden war, und 
ebenfo trat er gemeinfchaftlih mit andern Reichsſtänden dem Umweſen 
der Vehmgerichte Eräftig entgegen. Irrungen und ftreitige Verbältnifie 
int Land oder mit benachbarten Herren und Städten ſuchte der friedfame 
Fürſt durch Verträge zu fchlichten und zu vereinigen, während feine 
Schutzbündniſſe mit den angejehenften Häuſern die Markgrafſchaft nad 








1) Da die Herrn von Leutrum in der Geſchichte Pforzheims vielfach vorfemmen, 
jo mögen einige Notizen über dieſelben hier fteben, Tie Ramilie von Ertingen ent: 
ſpraug aus dem Orte Ertinger (jet ein Marftfleden von etwa 2000 Einwohnern) 
bei Riedlingen (Württemberg) an der Donau, wo fie auf ber benachbarten Höhe 
eine Burg erbaut hatte. In Urkunden des Ciſterzienſer-Kloſters Salem fommen 
ſchon 1280 ein Adelbert, Heinrich umd Bertbold von Ertingen vor. Die Er: 
tiger gebörten urfprünglich zu den Lehensleuten der Grafen von Martiteir, 
verbreiteten ficy aber nachmals in verichiedenen Gegenden. Ein Aft ber Familie 
fiedelte fih zu Biberach bürgerfich an und erlofh 1440 mit dem dortigen Bür: 
germeifter Sigmund von Ertingen. Der ambdere Aft dagegen pflanzte ſich in 
dem Zweig der Leutrum von Ertingen bis auf unfere Tage fort, wobei ber 
alte alemaniihe Mannsname Liutram in ber Familie erblih und durch Bor: 
jegung anderer Perjonennamen Gejhlehtsname wurde, (Die Schreibart 
Leutrum ifteigentlic unrichtig.) Vergl. hiezu: Bader, Herrmann V., ©. 101, 


176 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


Außen bin befeftigten. Hauptjäcdhlid aber war Chriſtoph auf eime zeit: 
gemäße Erneuerung der alten Landes: und Stadtordnungen bedacht. 
Was er darin für Pforzheim that, wird in einem befondern Kapitel 
ausführlich gezeigt werden. Es darf uns deshalb nicht wundern, wenn 
ihm ein Zeitgenofje 1) folgendes Zeugniß gibt: „An Seelenadel und 
Biederkeit übertrifft der Markgraf von Baden alle übrigen Fürſten im 
Deutſchland; die ganze Zeit ber bat der Kaifer nichts Wichtiges ohne 
ihn unternommen, da er auch einer der verftändigften und tapferjten 
Herren des Reiches iſt.“ Von feiner durch und durch ehrenhaften Ge: 
finnung zeugt namentlich jein Benehmen gegen den Pfalzgrafen Philipp. 
Diefer war vom Kaiſer in die Acht erklärt worden, und verſchiedene 
Fürſten benüßten diefen Umftand, um im Trüben zu fifchen und 
Ländereien des geächteten Fürften an fich zu reißen. Auch dem Mar: 
grafen mutbete man zu, bei einer jo günftigen Gelegenheit dasjenige 
wieder an ſich zu bringen, was der ‘Pfälzer Fri feinem Vater ab- 
genommen hatte. Allein Chriftoph wies ſolch Anſinnen mit den 
Worten von fih: „Ehr' und Eid geh'n über Land und 
Bent!“ 

Nur einen großen Fehler beging der edle Fürft für die Zus 
kunft jeines Landes: bie Vertheilung besjelben unter feine drei 
weltlichen Söhne! Er traf nämlih 1515 die leidige Verfügung, da 
nad jeinem Tode fein ältefter Sohn Bernhard die fponheimifchen 
und Inremburgiichen, fein mittlerer Sohn Philipp die badifchen, 
eberſteiniſchen und Tahrifchen, der jüngfte aber, Ernft, die hachbergi— 
ihen, ſauſenburgiſchen, rötelnſchen und badenweilerſchen Lande und 
Beſitzungen erhalten folle. Wegen Kränklichkeit übergab er feinen 
Söhnen ſchon damals die Verwaltung der bezeichneten Länder auf 
vier Sabre, Bald jedoch gefellte ſich bei ihm zu des Leibes Blödig— 
feit auch noch eine Gemüthstrankheit, jo daß er unter die Wormunde 
haft feiner eigenen Söhne geſetzt werden mußte. Der greife Herr 
erlangte feine Gejundheit nicht wieder, lebte aber neh bis 1527, 
in weldem Jahr er in feinem Scloffe zu Baden verfchied. 

Die Megierung des Markgrafen Chriſtoph ſowohl, als feiner 
nächjten Nachfolger fiel in eine Aufßerft bewegte Zeit. Unter ben 


1) Beroaldo, ber Erzieher bes erften Sohnes von Chriſtoph, in ber 
Widmung einer von ihm herausgegebenen Echrift. 


Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 177 


altherfömmlichen Einrichtungen, Verfaſſungen, Geſetzen, Sitten und 
Anſchauungen, welhe dem Mittelalter fein eigenthünliches Gepräge 
verlieben, hatten fih gar manche überlebt, während eine Menge jo 
bedeutender Neuerungen in das öffentliche und Privatleben eindrangen 
und fih dort geltend machten, daß dadurch für die menſchliche Ge: 
jellichaft eine neue Kulturperiode begründet wurde. Cs geſchah dies 
bauptfählih durch die jo wichtigen Erfindungen und Entdeckungen, 
welche im 15. Jahrhundert und zum Theil ſchon früher gemacht 
wurden Don erjtern ift namentlich die des Schießpulvers und 
ber Buchdruderfunft, von den Entdeckungen die des Seewegs nad 
Oſtindien und insbejondere von Amerifa zu nennen. Durd alle 
diefe Ereigniffe traten im Wiſſenſchaft und Kunft, in Kirche uud 
Staat, in Politit und Kriegswefen, in Handel und Gewerbe, ſolche 
Veränderungen ein, daß jene Zeit wohl mit der unjern, in der Dampf: 
maſchinen, Eiſenbahnen und Telegraphen eine jo wichtige Rolle jpielen 
und bereits jo mächtige Umgeftaltungen zu Stande gebracht haben, 
wohl verglichen werden fan. Am meiften machte fi aber die Er: 
regtbeit der Geiſter auf kirchlichem Gebiete geltend, und es füllt noch 
in bie legten Yebensjahre des Markgrafen Chriſtoph, die freilich bereits 
geiftig umnachtet waren, jenes folgenreiche Ereigniß, welches in der 
Geſchichte unter dem Namen der Reformation bekannt ift. Bei 
ihr wird jedoeh exit im 42. Kapitel ausführlicher verweilt werden, 


$ 2. Beſonderes. 


Markgraf Chriſtoph hatte jeine gewöhnliche Nefidenz in Baden, wo 
er zuerſt im oben oder alten, fpäter aber in dem von feinem Vater 
Karl I, gebauten neuen Schlofje wohnte. Im Stadtbrief von 1510 
erflärte Chriſtoph die Stadt Baden für die „erſte und fürnehmfte” feines 
Fürjtentbums; doch machte ihr darin Pforzheim als größte Stadt 
des Landes immerhin Konkurrenz. Vorübergehend mag fi der Mark: 
graf aud im Pforzheim aufgehalten haben; zu einem längern Verweilen 
jheint es nie gefommen zu fein; wenigitens findet ſich fiber joldes nir— 
gends eine Andeutung, Wie wohl übrigens Chriſtoph der Stadt wollte 
und welden Werth er auf fie legte, zeigt fi am Beiten in der „Orb: 
nung und Polizei,“ welde er ihr 1491 verlieh. Wir werben im 

Pflüger, Pforzheim. 12 


178 Zehnttes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


folgenden Kapitel ausführlicher dabei verweilen. Wir benterfen nur bier 
ſchon, daß ſich der edle Fürſt durch feinen Freiheitsbrief in der Stadt 
Pforzheim ein Denkmal gefett hat, das mehrere Jahrhunderte überdauerte; 
und wenn der Brief auch bei veränderten Zeitverbältniffen feine Bedeu: 
tung verlor und zuletzt ganz außer Kraft trat, jo verdient doch der Fürſt, 
ber einſt Pforzheim fo manche Vortheile zumandte und damit eigentlich 
ben erjten Grund zur fpätern Bedeutung der Stadt legte, für immer 
ein dankbares Andenken 

Sehen wir ıms nad diefen Vorausſchickungen näber nach demjeni- 
gen um, was für die innere Gefchichte der Stadt in mehrfacher Be— 
ziehbung von Bedeutung it. Den Zoll, der dem Markgrafen Karl TI. 
von Kaifer Friebrich II. von allen Fuhrleuten auf allen Straßen inner: 
halb einer Meile von Pforzheim zu erbeben verjtattet wurde (S. 156), 
beftätigte derſelbe Kaiſer 1477 auch dem Markgrafen Chriſtoph, wodurch 
dieſem eine nicht unbedeutende Quelle des Einkommens offen blieb, die 
er auch ſpäter für ſich allein in Anſpruch nahm, als er von andern in— 
direkten Steuern einen Theil der Stadt überließ. Im Jahr 1482 
verſicherte Markgraf Chriſtoph eine Summe von 600 Gulden, welche 
Markgraf Albrecht von Brandenburg dem Stift Baden, wo ſeine Toch— 
ter Amalie begraben war, gegeben hatte, auf die Städte Pforzheim und 
Ettlingen. 1) Der Enwicklung des Handels und der Gewerbe war ber 
ber Stadt 1491 verlichene Privilegienbrief äußerſt günftig, da verjchie: 
dene Beitimmungen desjelben, wie 3. B. die Errichtung eines Geld: 
wechſels, bauptiächlih darauf beredinet waren. Zu den Gewerben, bie 
damals, wie früber ſchon, im befonderer Blüte ftanden, jcheint in erſter 
Reihe das der Tuchmacher gebört zu haben. Diefelben waren entweder 
Tucher, die ganzes Tuch machten oder Sergenweber, bie Sarſch 
(serge) oder leichten Wollenzeug verfertigten; e8 gehörten zum Hand— 
wert aber auch noch die andern Gewerbe, die fih mit der Verarbeitung 
ber Wolle befchäftigten, alfo Spinner, Kämmer, Walter u. dgl. Für 
dies MWollengewerbe, das damals in der ganzen Markgraficaft von 
großer Bedeutung gemefen zu fein fcheint, erjchien 1486 eine eigene 
„Wollenweberordnung”, die nicht weniger als 128 Paragraphen zählte 
und als frübes Beifpiel einer Gewerbeordnung für ein ganzes Fürſten— 


') Sache, II, %. 


Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 179 


thum alle Beachtung verdient. ') An die Tucherzunft verkaufte 
die Stadt mit Genehmigung des Markgrafen unterm 19. Februar 1497 
ihre „wa'tmuele mit der selftaßn und jlvfimne'e an der Enß, auch die 
bofjtatt dazwueſchen ußwendig Bretzynger vorſtat by der ziegelbuette, 
ſunder auch den ramgarten underhalb dem nuwen thurn hinder der 
obermmele gelegen, mit iv aller begriffe, vecbten ımd zuegeberungen.” 2) 
Dafür mußte das Gewerbe auf Martini eines jeden Jahres bezahlen: 
an bie herrſchaftliche Amtskellerei zu Pforsbeim 7 Pfund 6 Sch. Pfg, 
dem Spital auf Frohnfaſten 1 Pfd. 2, Sch. Pfg. an St. Antonien 
Altar 4 Bio, an St. Michaels Stiftsbau 10 Sch Pfg., ebendahin auf 
Pfingften 2'/, Sch. Pf. und dem Frauenkloſter (der Dominikanerinnen) 
vom Rahmgarten 101/, Eh. Pf. Dafür erbielt aber das Gewerbe 
auch den Ertrag von der mit der Walkmühle verbundenen Delichlag 
und Schleifmühle mit jährlichen 4 id. 24/, Sch. Pig. Aus diefen 
Lajten, die ein Kapital von über 1000 Gulden repräfentirten, geht ber: 
vor, daß die Zahl derer, weldhe dem Mollengewerbe angehörten, ſehr 
bedeutend gewelen fein muß. Ohne Zins wurde den Tuchern ferner 
überlafen „um ire tuochramen fuerter zuftellen und ufzurichten“ der 
„plaß ußwendig der ftatt fleiftbore underbalb dev ſteynyn Bruden zwiſchen 
der ſtattmuere und der Ente.“ Ebenſo wurde ihnen bei der Walkmühle 
jelbft ein Plat eingeräumt, um „zwo ramen zuo wiflingen (grober, ges: 
wöhnlich ſchwarzer Zeug, deffen Zettel Leinengarn, der Einichlag Wolle,) 
oder tuochen zu ſetzen“ Kerner wurde ihnen vom Markgrafen zuge 
fichert, daß er ihnen, wen fie „ein nuw waldmuele an der Wirm bus 
wen woelten”, zu dieiem Zwecke „ein gelegen hofſtatt dartzuo auch ome 
finden zins und andere befwernis geben und“ volgen laſſen woelle.“ 
Man fieht hieraus, wie fehr der Markgraf diejes wichtige Gewerbe zu 
heben bemüht war. Schen einige Jahre nad dem Webergang der 
Malfmühle an die Tuchmacher gerietben diefe 1504 in Streit mit dem 
DObermüller Theus Müller wegen des Neinigens des Mühlkanals, der 
durch den Markgrafen geichlichtet wurde. 3) 

) Eie ift abgebrudt in Mones Zeirichrift, IX, 147 ff. Ein Sergenweber 
war auch Hans von Lienzingen, deſſen Grabftein fib außen an ber Eitofeite der 
Schloßlirche befindet und der 1519 farb. 

2) Urkunde im ftädtiichen Archiv. Vergl. auch Zeitſchrift für Geſchichte 
be& Oberrheins, IX., 160. 


Vergleich im ſtädt. Archiv, 12 * 


180 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Ehriftopb. 


Aus den Gewerbeordnungen, die Markgraf Chriſtoph gegeben but 
und von denen unten mehr die Rede fein wird, läßt fich entnehmen, 
daß auch noch andere Gewerbe damals in Pforzheim von großer Ber 
deutung waren und Pforzheim überhaupt, wie früber ihen, den Rang 
als erfte Gewerbitadt der Markgraffchait behauptete, Weiter oben 
(S. 159) war bemerkt, daß Pforzheim einen geſchickten Armbruſtmacher 
gehabt hätte. Einen „Hubenſchmied“, (E. 164) d. b. Hauben- oder 
Pickelhaubenſchmied erhielt es 1491 und wurden demjelben in Anbetracht, 
daß er „feines handwerks geübt und ſuübtyl“ fer, vom Markgrafen be- 
fondere Freiheiten verlieben, wie dies im Mittelalter bei Waffenichmieden 
nicht felten geichab.?) Letztere waren in Pforzheim natürlich ſehr notb- 
wendig, da jeder Bürger wehrhaft fein mußte. — Wie früher des ge: 
ſchickten Holzichnigers Johannes Kern erwähnt wurde, fo treffen weir 

450% auf einen ähnlichen Pforzheimer Künftler, Antonius Bil d— 
ſchnitzer,?) bei dem, wie in andern Källen, letterer Name zugleich 
Geſchäfts- und Gefchlechtsbezeihnung war. Näberes über ibn und feine 
Geſchicklichkeit iſt jedoch nicht bekannt, 

Der Piorzbeimer Gelehrtenichule, die unter der Negierung Markgraf 
Chriſtophs ihre größte Blüte erreichte, werden wir einen befondern Abschnitt 
widmen. Gleiches ſoll bezüglich der Buchdruckerei geſchehen die Pforzheim 
fhon 1502 erbielt. Erwähnensmerth find aber bier neh zwei Männer, 
die ſich als Schriftiteller in ihrem Fach ausgezeichnet haben, Der eine 
ift Alerander Hug, Stadtichreiber zu Pforzbeim ſchon um 1487 bie 
noch 1529 (vorher in gleicher Eigenihaft zu Calw). Gr gab ein Buch 
heraus unter dem Titel: „Nhetorica und Kormulare beinab aller 
Schreiberei.” Dasfelbe wurde im 16. Jahrhundert in Tübingen häufig 
aufgelegt. 3) — Der andere, der einen großen Namen in dev Arznei: 
funde batte, ift Jobamı Widmann, in lat. Ueberſetzung Salicetus, 


) Vergl. Mone, Zeitſchrift, VI., 186. 

2) Piorzheimer Lagerbuch von 1502, ©. 35 und Mones Anzeiger, V., 390, 

3) Bergl. Stälin, IN, 777. — Ein Brief, der wabriheinlih ven ibm 
berrüßrt und am Samftag nach Martini 1486 aefchrieben ift, (er ift bloß 
„Stadtichreiber von Pforzheim“ unterzeichnet), findet fib im Landesarchiv. 
Derfelbe ift an den damals in Baden fih aufhaltenden Vogt von Pforzbeim, Hans 
von Küngfpach, gerichtet und betrifft Ungeld- und andere Einzüge. Cine 
Nachſchrift am Schluß lautet: „Lieber junfger wüſt ich das ir ein brettipil zu 
Baden vermöchten, jo wölt ich zu euch fomen.” 


Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Ghriftoph. 181 


genannt Möch inger (nad Maichingen, feinem Geburtsort). In Pavia 
in der Arzneitunde ausgebildet und mit dem Doktorhute geſchmückt, 
wurde er 1480 markgräflich badiſcher Leibarzt zu Raſtatt und 1484 
ordentlicher Lehrer der Arzneikunde an der Univerſität zu Tübingen, wo 
er großen Beifall fand, Im Auguſt 1492 betellte ihn Kaifer Meari- 
milian zum Yehrer der Arzneitunde in freiburg; doch zug ihn bereite 
im September des Jahres 1493 Eberhard im Bart wieder zu ſich alg 
Xeibarzt und Profejjor in Tübingen, Im Jahr 1506 wurde Wid— 
mann Ulmer Stadtarzt, bald darauf marfgräflih badifcher Yeibarzt in 
Pforzheim, als welder er 1524 ſtarb. Als Schriftiteller machte er ji 
verdient durch Teine gedrudtten Abhandlungen: „Truetatus de pustulis 
quae vulgato nomine dieuntur Mal de Franzos,“ (Tübingen, 
1497), — „Bon der Peſt“ (De pestilentia perutilis, Tübingen, 
1501, vermuthlih 2. Auflage, da diefe Schrift ſchon im der vorher: 
gehenden citirt wird), — „Bom Wildbad“ (Traetatus de balneis 
therımarum ferinarum vulgo Wildbaden, Tübingen, 1513), — 
„Negimen, wie man fi in peftilenzialiihem Lufft halten 
ſoll“, (Straßburg, 1519). Xebtere Schrift ijt ein ungearbeiteter Aus— 
zug der erſtgenannten, den Widmann laut der Vorrede feinen Töchtern 
zu Liebe in deutfcher Sprache gemacht und zum Bejten des gemeinen 
Volkes dem Drud übergeben bat. ') 

Wenden wir ung munmebr zu den Kirchen und Klöſtern der Stadt. 
Die durch Markgraf Karl I. durch den Anbau eines neuen Chores 
vergrößerte Stiftsfirhe zu St. Michael erhielt auch durch Markgraf 

) Vergleiche Fuchs, die älteften Echriftiteller über die Luftjeuche in Deuiſch⸗ 
land, Göttingen 1843, S. 396, ſowie die Schriften des Alterthumevereins zu 
Baden, IM, 244 ımd Stälin, HE, 774. — Das Andenken Ridmanne erbält 
in Pforzheim cine fteinerne Tafel an einem der vordern Pfeiler der Schloßkirche, 
worauf fih die Anichrift findet: Anne dni 1522 hat der wirbig hochgelert 
ber Johan Widman genannt Moechinger der Artznei doctor fin ampt ven 

Ho chwirdigen Sacrament des fronlichnams unſers bern Iheſu erifti 

allen Donerſtag In einigkeit zu Singen geftifft uff dem alltar der heiligen drey 
funig.* Nah der Stiftungsurkunde im Landesarchiv beſtimmte er dazu ein 
Kapital von 190 fl. Der Grabflein einer 1551 gefterbenen Tochter Wid— 
manns, Cordula, verebelichten Grempin, befindet fich ebenfalls in ber edioh: 
Arche. Sie wird in der Vorrede der letzten der oben angeführten Schriften 
genannt, 


182 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


Chriſtoph 1487 einen Anbau auf der Nordfeite, wie die dafelbft noch 
fichtbare Jahrzahl Heweist. Freitih wurde die Symetrie des Baues 
badurdy nicht wenig geſtört. Doch bat man im neuerer Zeit (1808) 
wenigitens dag Dach des Anbaues, das die jchönen gothiſchen Fenſter des 
Mittelſchiffs ganz verdedte, wieder entfernt, Daß der Dehant des 
Stiftes 1496 Paul Plus hieß, erfahren wir aus einer KRaufurkunde, 
nad) welcher Markgraf Chriſtoph von ihm und dem Amtsfeller Hans 
Bremgarten zu Pforzheim, als Vormündern der Kinder Hanfens von 
Niefern, den achten Theil von Sölingen ſammt verjchiedenen Gütern 
und Gülten daſelbſt und in Berghauſen erfaufte, 1) Ihm jcheint So: 
hann Schölderlin gefolgt zu fein, der 1517 eine Abſchrift des Pforzheimer 
Privifegienbriefes mitbeglaubigt.) Im Jahr 1505 errichtete Chriftoph 
eine Propftei des Michaelftiftes, (S. 149) wozu der Biſchof von Speier 
unter der Bedingung feine Eimvilligung gab, daß ein Viertheil der 
Gefälle des erften Jahres bei der Einſetzung eines jeden neuen 
Vropftes an ihm bezahlt werden mühte. 3) Es rief diefe Beftimmung 
mehrfach Neklamationen herver, jo 1538 bei Ernennung des Propftes 
Aftmann und 1552 bei Georg Bod. ) — Tas Patronatsredht behielt 
fich indeg der Markgraf vor. 9) — Im nämlichen Jahr erwarb derfelbe 
von der Stadt Pforzheim das Recht der Leihung der Kanonien von 
St. Fabian und St. Sebaſtian, wofür er der Stadt die Gerechtigkeit 
zu St. Laurentins Altar einräumte, 6) Hauptfählih aus Grabiteinen 
der Schloßkirche erfahren wir auch die Namen einiger Stiftögeiftlichen, 
jo 1485 des Vikars Johann Befeda (S. 149), 1506 des Vikars 
Johann Maver, 1491 geichieht Hanien Malers, des Kaplans bes 
Altars St. Peter und Pauls im Stift zu Pforzheim Erwähnung , 7) 
1497 de8 Mag. Joh. Gram, der Canonifus geworden, 9) von 1510 





1) Sachs, I, 54. 

2) Städtifches Ardiv. 

s) Lib. spirit, Spirit, VIII. 106, 

+) Landesarchiv. 

3) Sads, IIL., 75. 

%) Sachs, IH, 75. 

) Hiſtoriſch geneal. Nachrichten der Fam. Maler, ©. 1. 
*) Lib, spirit. dioec, Spir. ©. 34. 


Zehmtes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 183 


findet jich der Grabſtein des Canonikus Nikolaus Wyler, 1) der ſchon 
1484 als Bifar des Stifts vorfommt. ?) 1521 wird Joh. Pleuß als 
Canonikus und Ganter genannt, nachdem Markgraf Philipp das Jahr 
zuvor „des Sängers Amt” geitiftet hatte. Daß der Pforzheimer Stadt: 
Pfarrer bis 1510 ein Dr. Peugler 3) war, und fein Nachfolger Lukas 
Schleppel 1511 Weihbiihef zu Speier wurde, mag bier auch Erwäh— 
nung finden ,%) ebenjo, daß fich zwiichen feinem Nachfolger Mathis in 
Pforzheim und den dortigen Bettelmönden ein heftiger Streit erhob, den 
der Biſchof won Epeier dur den nach Pforzheim gefandten Dr. Gallus 
ichlichtete. 59) Auf Mathis folgte 1520 Pfarrer Paul Pfeffer, der in 
genanntem Jahr der St. Matthijenbruderihaft (S. 160) 20 ff. mit der 
Bedingung vermachte, daß der Zins von 4 Gulden jährlich zur Aus: 
theilung von Brod an arme Leute verwendet werden jollte, 65) 1539 
wird ein Dietrih Weiler als Pfarrer in Pforzheim genannt. Dem 
Ruralkapitel wurde 1539 geftattet, ein eigenes Haus zu bauen; das: 
jelbe wurde jedoch 1559 wieder verkauft. — Außer den ſchon genann- 
ten Grabmiälern der Schloffirche mögen noch folgende, die dem 15. und 
16. Jahrhundert angehören, bier angeführt werden, jo weit fie nicht 
fonft vorfommen: Bon 1518 findet fih ein Denkſtein, betreffend die 
Stiftung einer Meſſe durch Burkard von Reiſchach, Landhofmeifters 7) 
zu Baden, am Altare der heil, Dreifaltigkeit zu leſen, 1532 von So: 

1) Der Grabe oder eigentlih Gedenkſtein ift an einem Pfeiler des Mittel: 
Ichiffs befeftigt. Die Anichrift lauter: Anno dmi 1510 uff den 10. tag July 
ift der wirdig ber Miclaus Wyler canonid diß Stifts geftorben Ein ftifft Zweye 
mes uff heilig crüß altar ein von der beilligen drivaltigfeit uff Euntag zu 
leſen, die andere uff mitwoch von dem liden crifti zu fingen Zu troft fin vatter 
und mutter geſchwiſterig Auch die er inſunderheit vermeynt und allen glaubigen 
felen Die heilig drivaltikcit und das liden Grifti wol ir Selen gnedig barm: 
bergig tröſtlich ſin. In Pace quiescant Amen,“ 

2) Tiorzbeim, Renovation 1580 (im Landetardiv). 

’) Sein Grabftein iſt in der Schloßkirche. 

*) Remling, I, 221. 

5) Adami theol. v. Pelican. 

°), Repertorium im Landesarchiv. 

7) Da diefer Name, wie der des Haushofmeifters nody mehrmals vorfommen 
wird, fo jei bier bemerft, dap der Landhofmeiſter Überall im Lande ben 
Fürften als deſſen oberfter Befehls» und Willensträger vertrat, während bem 
Haushofmeifter die Leitung alles desjeninen oblag, was den Hofftaat 
und bie Hoföfonomie beiraf. Bergl, Bader, Badenia, I, 65. 


184 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


hannes Hochberg und feinem 1543 geſtorbenen Bruder Sebaſtian Hoch— 
berg; (erſterer war Propſt des Michaelſtifts und beglaubigte als folder 
1517 eine Abichrift des Privilegienbriefes, nachher wurde er Kanzler 
des Markgrafen, — Sebaſtian Hochberg beffeidete das Amt eines 
Küchenmeiſters); 1533 von Veit Breitjchmert dem eltern; von 1543 
findet ſich eine hölzerne Gedenktafel für Aıına von Ehingen, Bernhard von 
Hartens Ehefrau; von 1555 ift der Grabftein von Bernhard Friebrid, 
MWidergrin von Stauffburg (Staufenberg), der am 12. Juli 1558 durch 
den marfgräflichen Kammerjunker Wolf Kifcher im Schloffe zu Pforz- 
beim entleibt wurde. 1) Die übrigen Denkmäler werden an den dazu 
geeigneten Orten genannt werben, 

Ein intereffantes Grabmal der Schlofirhe vom Jahr 1498 verdient 
indefien noch befondere Erwähnung Es ift das eines „Johann, 
Freigrafen von Kleinegypten.“ Der Stein lag früher im 
mittleren Gang der Schlokfirhe vor der Kanzel, ift aber jest an dem 
Pfeiler aufgeftellt, der bei der Safriftei das Mittelfchiff von der vordern 
linten Seitenkapelle fcheidet. Die Umfchrift lautet wörtlihb: Anno 
dni 1498 vf mentag nach vrbani starb der wolgeborn her Johan 
frygraf vsz klein egipten dem got gnad des sel got barmherzig 
sy.2) Auf dem Grabſtein befindet fich eim viergetheiltes Wappen; 
auf zwei einander übers Kreuz entgegenjtehenden Feldern befindet ſich 
je ein fpringender Hirſch, auf jedem der beiden andern ein Stern über 
einem liegenden Halbmond. Auf dem Schild fist ein gekrönter Helm, 
über welchem abermals Stern und Halbmond ericheinen. Diefer reis 
graf Johann war ein Oberft der Zigeuner, diejes morgenländifchen, 
wahrſcheinlich aus Indien oder aus Nordafrika abjtammenden Volkes, 
das 1417 zum erften Mal in Deuticland auftauchte, wohin einzelne 
Horden desjelben, immer mit einem führer an der Spite, aus ber 
Moldau eingewandert zu fein feheinen. Nach der Schweiz kamen ihrer 
im Jahr 1418 auf einmal 14000. Man bielt fie anfangs für Bil: 
ger, die aus dem gelobten Land kämen, that ihnen nichts zu Leide und 
ertbeilte ihnen fogar Schuß- und Freiheitsbriefe, jo Kaiſer Sigismund 
im Jahr 1423. Ihr erftes Erſcheinen in den jest badischen Landes- 


— 


) Lagerbuch des Almoſens von 1711 im Stadtarchiv. 

) In der „ſchwäb. Chronik“ von Grufius find Thl. III. noch zwei andere 
ähnlidhe Grabſchriften von Ziegeuneranführern aufgezeichnet. Wo ſich diefelben 
befinden, iſt nicht angegeben, 


Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 185 


theilen Fällt ins Jahr 1422.15) Nah Konftanz und Umgegend kamen 
fie 1430. Man batte jedoch bereits erfannt, weß Geiftes Kinder fie 
ſeien?) und unterließ nicht, die nöthigen Vorſichtsmaßregeln gegen fie 
zu gebrauchen. Sicherlich geſchah dies and, als eine Horde der Zigeuner 
13498 vor den Thoren Pforzheims erfchien und, wie die Sage berichtet, 
genöthigt wide, um die Stadt herum zu ziehen, weil ihr die Thore 
verschlofien blieben. Das Zigeunergäßchen, N jebt Lindenſtraße, 
foll davon den Namen erhalten haben, ine Ausnahme fell bloß mit 
dem kranken Zigeuneroberft gemacht worden fein, der dann in der Stadt 
ftarb und in der Schloßkirche beigefett wurde. Noch jet übrigens 
bier bemerft, daß früher (fo noch 1735) eine ähnliche Tafel, wie der 
eben befchriebene Grabſtein, ſich auch in der Kirche zu Brößingen befand. 
Sie zeigte das Bild eines Mannes, mit einem Rinde an ber Hand, 
ſammt einem Mappen und der Umfchrift: „Anno domini 1552 ben 
23. April ftarb der Woblgeborne Herr Antoni Frey-Graff aus Klein: 
Egipten des Seel Gott gnädig und barmberzig ſeye.“ 4) 

Gehen mir von der Etiftsfirhe zu St. Michael über zu der 


1) „Als die beiden genant Arraciner des erſten in bis fant 
fament 1422, An dem veraeihriten jare an Dornftan vor 1. Mleriontaa 
(16. Juli) do fam ein Herkon, bier bergon Michel von Egiptenland, har in 
das Wieſental wol mit 50 Pierden und was ein ungeftalt jwarkes Volt und 
warent vor me ze Baſel und anders wo gefin. Das jelbe Volk was aller 
menglichen unwert und warent allewegen zuo velde und unter keim tache, und 
battent von dem babeft und unserm herrn dem fung und ven andern berrn 
guote geleigbriefe, das balfe ſy alles nuß, man batt ſy dannocht ungern, und 
warent och frowen under inen.“ Fortichungen des Königshofen in Mo- 
nes Quellenſammlung, 1., 298. 

2) In dem 1430 jar do fam ein jchwarz folf gezogen, hieſſ man Ziginer 
und warent uſſ dem mindern Gaipten x. Die zugent mer ben jechs ober 
fiben jar in allem fand mit groffer armnot und ellend und mit groſſer untrum, 
war fie ftalent, was ft an foment und wie es in (ihnen) werden moct mit 
zoberliften, warjagen, und menger band fund und Tift, die fi tribent ꝛc. Kom 
fanzer Chronik in Mones Quelleniammluna, 1., 334. 

s) Der Name besjelten kommt jhon 1565 vor, Es iſt indeſſen bereits 
(S. 12) bemerkt worden, daß der Name Zigeumerftraße oder Zigeunergäßchen 
auf römtichen Urſprung bindeutet. 

4) Pforzheimer Diozeß, Kirchen: und Schul : Beichreibung von 1735 (im 
Yandesardiv). 


186 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


St. Martins: ober Altftädterfirde, jo finden fi auch über 
diefe für den gegenwärtigen Zeitraum einige furze Notizen. Nocd immer 
waren neben Würm die Orte Duchenfeld, Dill: und Weißenitein (S. 105) 
in diefelbe eingepfarrt und mußten aud) ihre Todten zur Beerdigung babin 
verbringen. Für Huchenfeld trat 1496 darin eine Aenderung ein, indem 
nady einem zwijchen dem Weihbiſchof von Zpeier, dem Pfarrer der 
Altjtadt und der Gemeinde Huchenfeld zu Stande gekommenen Vergleidy 
letere ihre Todten von nun an im Orte felbit beerdigte. ') Im Jahr 1504 
jtifteten Konrad Stahel und feine Frau eine MWiefe zu dem Altar 
St. Anna in der Martinskirche. 2) Ferner erfahren wir, 3) daß im 
Jahr 1512 der Altftadtpfarrei eine neue Einrichtung gegeben wurbe. 
Worin diefe bejtand, weiß ich nicht zu jagen. In ebendemjelben Jahre 
erfolgte dafelbit die Präfentation eines neuen Geiftliben, und zwar tie 
gewöhnlich durch einen Abgefandten des Biſchofs von Speier, dies Mal 
durh den Domherrn Thomas Truchſeß. 4) Diefe Geiftlihen waren 
aber eigentlih nur Helfer oder Diakonen, da die Altftadtkicche von 
St. Michael aus pafterirt wurde, 

Dak das Franziskanerkloſter fein Vermögen 1443 verlor 
und auf das Nothwendigite beichränft wurde, ift bereits (©, 152) er: 
zählt worden. Von der fpätern Armuth der Mönche zeugt ein Brief 
aus der Zeit von 1483—1490, den der Straßburger Kanonikus Peter 
Schott fchrieb und der vermutblih an einen eimflußreichen Prediger in 
Straßburg gerichtet war. 5) Er Sagt darin unter Anderm: „Die 
Franziskaner wollen für nächſten Sonntag Cantate ein Kapitel halten 
in ihrem Pforzheimer Klofter, das aber aus Armuth eine fo große 
Verfammlung nicht zu ermähren vermag, zumal da wegen ber vorzu: 
nehmenden Wahl eines Provinzials die Zahl ungewöhnlich groß fein 
wird. Sprich dem Volk zu, daß es dem auf Almojenfammeln ausge: 
iandten Mater reichlih ipende, meldyer in Bologna mein Beichtvater 
(1478 ff.) mehrere Jahre lang geweſen ift. Dieje Pforzheimer find 


1) Urkunde im Landesardiv. 

2) Generalia, Religion, Kirchengut ꝛc. in ber Markgrafihaft Baden betr. 
1629, Generallandisardiv. 

5) Aus Sads, IV., 135. 

NEbendaſelbſt. 

>) Siehe deſſen Schrift: Lubrucatjunculae, S. 154. 


Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 187 


gute Leute und fogenannte Obfervanten.” Das endlihe Schickſal dieſes 
Klefters wird unten bei der Geſchichte der Neformation erzählt werden, 

Das Spital oder Klofter zum heiligen Geijte in der Brößinger 
Vorſtadt erhielt 1600 im der Perſon des Matthias Hütlin einen 
ſehr wackern Meifter. Der Generalvifitator der alemanifchen Klöfter 
zum. heiligen Geift, Rulin Kyſel, Meifter zu Stephansfeld im Elſaß, 
befahl nämlich, daß das Spital zu Pforzheim einen andern Meifter 
wählen müſſe. Der Markgraf präfentirte dazu den genannten Hütlin, der 
die Stelle auch erhielt, 1) und fie im Jahr 1514 noch bekleidete, wo 
er mit Joch. Bes, Prüzepter und Meifter zu Gröningen einen Bertrag 
abſchloß. Sein Nachfolger war wahrjcheinlih Nikolaus Faßmann, wegen 
deſſen Berlaffenihaft der Markgraf 1544 mit Marr von Ruffach, dem 
Drdensmeifter zu Stepbangfeld, einen Vergleich traf, 2) Ihm folgte 
Johann Fabri, der aber ihen 1547 ale Ordensmeiſter nach Stephans⸗ 
feld berufen wurbde.3) Daß zu den damaligen Brüdern des Heiliggeifis 
lofters auch Joh. Schwebel gehörte, wird unten bei der Gefchichte der 
Reformation erzählt werden. Gin anderer SKomventual hieß 1528 
Barth, Schweizer. 

Das HFrauenklofter der Dominitanerinnen zu Maria 
Magdalena nahm Markgraf Ghriftop im Jahr 1487 in feinen 
befondern Schuß, nebſt defien Dörfern Brögingen, Springen und 
Eutingen. Zugleich nahm er dasjelbe von der neuen (1486 pro: 
viforifch gegebenen) Ordnung aus, d. b. er befreite es von ber 
Bezahlung des Ungelds von Mein, Fleifh und Frucht ꝛc. Dagegen 
verfchrieben ihm die Nonnen ein jährliches Schirmgeld von 2b Gul: 
den und verftanden fich dazu, dem Markgrafen mit ihrer Unter: 
thanen Fuhr und Dienjt gewärtig zu .jein. Genannte drei Dörfer 
erhielten darum audy 1509 einen Frohndienſtbrief. ) Daß der jog. 
Oberhof, ähnlich wie der dortige Schafhof, bei Iſpringen ebenfalls den 
Klofterfrauen gehörte und 1486 im Erbbeftand gegeben wurde, erfehen 
mir aus einer Urkunde von jenem Jahr, 5) iner Heinen baulichen 

ı) Generalia, Religion, Kirhengut, Spitäler ꝛc. in der Markgraiſchaft 
Baden betr. 

2) Sachs, IV., 43. 

s, Alten des Landesarchivs. 

1) Sache, HI. 197, 

>) Akten Großh. Oberamts. 


188 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Marfarıf Chriſtoph. 


Veränderung des Kloſters mag bier auch erwähnt werden, In ihrem 
Garten an der Stadtmauer machten die Klofterfrauen ftatt des bisherigen 
hölzernen Gedrills eine Mauer, wovon das Kloſter die eine, die Stadt 
die andere Hälfte bezahlen mußte. 9) Da indejien nicht lange nadıber 
die Stadtmauer um das Frauenkloſter gezogen wurde und dasſelbe ale: 
dann nicht mehr extra muros (auswendig der Yauer) war, fo verpflich— 
tete ficdy die Stadt, dafür zu ſorgen, daß das Geficht der Mauer wicht 
gegen das Klofter gerichtet werde, und zu dieſem Behufe das erforder: 
liche Dielwerk machen zu laſſen und ewiglich zu unterhalten. Dafür 
bezahlten die Nonnen der Stadt die Summe von 200 fl. — Bom 
Klofter der Eifterzienferinnen, das nur jelten aus dem Dunkel 
bervortritt, in welches die Geſchichte desſelben gebüllt ift, erfahren wir, 
dag Ottilia, die zweite 1480 geborene Tochter Markgraf Chriſtophs, 
die den geiftlichen Stand erwählte, Aebtiffin desjelben war. 2) 

Verweilen wir noch einen Augenblick bei den Namen derjenigen 
Perſonen, melde vorzugsweiſe die Obrigkeit in Pforzheim bildeten. Als 
Obervogt in Pforzheim wird 1484 Hans von Kingsbadh (Könige: 
ba), 1512 ff. Binder oder Bindardt, Landſchad von Steinach genannt, 3) 
deſſen Unterfchritt auch die 1517 aefertigte Abſchrift des Privilegienbriefs 
trägt. 9) Das Amt eines Schultbeiken befleideten bis 1476 Bal- 
thajar Wels (veral. oben S. 87)5) 14854 Hans Tulwer, 6) 1499* 
Paul Hofmann, 7) 1501 Laurenz Ganshorn, gen, Widmann. #) — Zum 
eriten Male erfahren wir aud in diefem Yeitabfchnitte die Namen einiger 
Pforzheimer Bürgermeifter. Im Jahr 1486 befleidete diefe Stelle 
Johannes Meibel, 9) 1498 Konrad Wnler, 1%) um 1510 Lauren; Gans: 

j N Freiungen der Markgrafſchaft Baden. Landesardiv. 

*) Petri Suev, Eccles. S. 667. 

3) Zeitſchr. 1. d. Geſch. des Oberrbeins, I., 226. 

4) Im ſtädtiſchen Archiv, 

5) Sein Grabſtein befindet ſich in der Schloßkirche. Auf demſelben er; 
blidt man das Wappen der Welle, drei Tbürme, und unter diefen ein großes 
lateiniſches W. 

s) Generalia, Kirchen ꝛc. ©. 173. 

7) Regiſter, darnach allerhandt der Stadt Handlungen zu ſuchen, Lade O. 
(Stadtarchiv). 

s) Generalia, Kirchen ꝛc. 

) Stadtordnung von 1486 im Landesarchiv. 

10) Ertract Vertrags, wie es in der Mühle an ber Würm, Tiefenbronner 
Gemarkung, gehalten werden ſoll. (Siadtarchivp.) 


Zebntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 189 


bern, 3) 1517 Heinrich Lueſch,?) um 1520 Peter Wonzieher 3) ꝛc. 
— Die „zwölf ratsbern die ouch vrteil ſprechen jollen” (vergl. unten 
„Stadterdnung,”) hießen 1486: Hans Plus, Konrad Wyler, (diefe 
Beiden gebörten zugleich zu den 4 Negenten, vergl, unten), Dans Dul—⸗ 
ber, Hans Lueſch, Balthaiar Schell, Gabriel Engelbart, Kung Sattler, 
Wendel Heilgenboupt, Thomann Sattler, Klaus Göppinger, Laurenz 
Widmann, Michael Nüfflin, Die „zwölff von der gemeinde” (Aus: 
ihuR) waren: Dietrid Wyler, Ludwig Lienzinger (diefe Beiden Re: 
genten), Hänſin Kumerell, Hänfin Teichlin, Hänin Lienbart, Hanns 
von Hall, Martin von Biberad, Joh Hutmacher, Gerwig Pur (Bauer) 
der Jung, Michel Gerwik, Martin Badanen und Jerg Tryer (Dreier). 


53. Gründung einer Buchdrucherei in Pforzheim, (1502). 


Nachdem Johann Suttenberg um das Jahr 1440 die jegensreiche 
Srfindung der Buchdruckerkunſt gemacht hatte, war nad) wenigen Jahr— 
zehnten ſchon eine ziemliche Anzahl von Drucdereien in Deutſchland ge: 
gründet, Die ältefte Spur einer Drudichrift, welche in unferm engern 
Vaterlande erſchienen ift, findet fih 1466, und zwar zu Heidelberg, 
Augsburg erhielt eine Druderei 1468, Um, Eßlingen und Lauingen 
1473, Waubenern 1475, Freiburg 1480, Urach 1481, Reutlingen 
und Memmingen 1482, Stuttgart 1486, Konftanz 1489, Offenburg 
1496, Tübingen 1498. 

An Pforzheim wurde die erſte Druderei durh Thomas Ans: 
beim oder Anselm aus Baden im Jahr 1502 gegründet. Der 
Umstand, daß er fich jelbjt bei der Unterfchrift eines durch ihn gedruckten 
Merfes ale Magifter bezeichnet und daß er in den freundfchaft: 
fichften Beziehungen zu Reuchlin ſtand, der ihm fogar folde Titel 
gab, wie fie damals nur Gelehrten zufamen — mag beweifen, daß er 
fein gewöhnlicher Buchdruder war, ſondern eine fehr umfafjende, ja 
gelehrte Bildung beſaß. Daß gelehrte Männer die Gründung von 
Drudereien unternahmen, war überhaupt in feinen Zeiten nichts Seltenes, 


1) Abjchrift des Priv, Briefs von 1517 im Stadtarchiv. 
2) Ebendaſelbſt. 

3) Lagerbuch von 1527. 

) Stadtordnung von 1436 im Landesardiv, 





190 Zehntes Kapitel. Pforzbeim unter Markaraf Chriſtoph. 


Im Verlag Anshelms erfchien während der Zeit, da er in Pforzheim 
fein Gefchäft betrieb (1502 — 1511), eine Menge von Schriften, die 
ſich durch ſolch fchönen und korrelten Druck auszeichneten, daß Anshelm 
zu den berühmteſten Buchdrudern feiner Zeit gezählt wurde. Daß diefes 
Lob ein durchaus verdientes war, wird Jeder anerkennen, ber Gelegen: 
beit hatte, einzelne noch vorhandene Exemplare folder Schriften zu feben 
Es gebören dazu: ') „Dr. Brants Traum“ (1502); — „Behend 
und hübſch Rechnung vf allen Kauffmannſchaften“ (1502); — 
„Memorabilesevangelistarum figurae“ (1502, 2. Auflage 
1504); — Johannis Reucehlini L. L. Doctoris Liber conges- 
torum de arte praedicandi (1504 und 1508); — Magnen efi 
Babani Mauri de Landibus sanetae Crueis“ x. (1503); — 
„Rabani Mauri de Institutione Clericorum opuseulum 
aureum“ (1504, zweite Auflage 1505); — „Henriei BebeHi 
_ opusenla varia“ (1504); — „Rationarium Evangelistarum 
omniuam“ ıc.; (1505, neue Auflagen 1507, 1510); — „Doftor johanes 
Reuchlins tütfh miſſive warumb die Anden fo lang in 
ellend find. Datum in Wyhenacht Feiertagen zu einem guten 
feligen jar. Ad annum 1505. Gedruckt zu Pfortzheim;“ — 
„Joh. Reuehlini Phorcensis Rudimenta hebraica“ 
(1506; eines der am  verzüglichiten  ausgeftatteten Druckwerke 
Anshelms, das allein ſchon hinreichen würde, ihm einen ehrenvollen 
Platz in der Geichichte der Buchdruckerkunſt zu fihen); — „Ja- 
cobi Wimphelingii Apologia pro republica christiana“ x. 
(1566); — „Grammatica Jacobi Henrichmanni‘ x, 
(1506, 2. Auflage 1507, weitere Auflage 1508); — „Epistolae 
Franecisei Philelfi ex originario transsumptae“ (1506); — 
„Roberti Gaguini de arte metrificandi libelli‘ :«c, 
(1506); — „Opuseulum de sagis maleficis Martini Plantsch 
concionatoris Tubingensis“ (1507); — „Jac. Wimphelingii 
Schlettstattensis Theosophi Oratio desaneto spirituzc. (1507) 
„Cassiodorus senator de anima“ ıc, (1507); — „Bucolica 
Antonii Geraldini poetae laureati et protonotarii apostoliei‘ 
(150%); — „Joh. Reuchlini Phorcensis Sergius vel Capitis 
caput cum commentario Georgii Simleri“ (1507, 2. Ausg. 1508); 


) Vergl. Rangers Annalen der ältern beutichen Literatur, 8. Bd. 


Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 19% 


— „Commentaria epistolarım confieiendarum Henrici Be- 
belii‘ ꝛ⁊c. (1508, neue Aufl. 1509, 1510); -- „Joh. Reuch- 
lini Phorcensis Scenica progymnasmata cum commentario Georgli 
Simleri“ (1508, neue Aufl. 1509); — „Ein nutzlich regiment wider 
die boſen fransojen mit ettlichen Fugen fragftüden, von Alerander 
Spt” (1509; der Nebtiffin Eliſabeth Schötlin gewidmet); — „Opera 
Bebeliana“ (1509); — „Jacobi Wimphelingii Sletstadiensis 
Elegantiae majores“ :c. (1509, neue Aufl. 1510); — „Bartholo- 
maei Coloniensis Dialogus mythologieus“ (1509); — „P. V. 
(Virgilii) M. opuscula cum familiari expositione‘“ (1510); — 
„Annotationes Phil, Beroaldii Bonomiensis in commentarios 
Servii, Virgiliani commentatoris“ (1510); — ‚Joh, Brassicani 
institutiones“ ac. (1510); — „Vocabularius Joh. Altenstaig 
Mindelheimensis“ ⁊c. (1511); — „Liber hymnorum in metra 
noviter redactorum, Apologia et defensio poätice ac oratorie 
majestatis“ ⁊c. (Jahr ungewiß). 

Man wird aus diefem Verzeichniß, das anf Vollftändigkeit keinen 
Anfpruch macht, entnehmen können, weld ein rübriger Verleger und 
Druder Anshelm war und welche ausgezeichneten Schriften aus feiner 
Dffizin bervorgingen. In feiner Druderei fol Melanchthon, der ſich 
damals auf der Pforzheimer Schule befand, eine Zeitlang das Amt eines 
Korreftors veriehen haben. Im Jahr 1511 zog Anshelm von Porz: 
heim nad Tübingen ') und ließ fihb 1515 im Hagenau nieder. An 
beiden Orten errichtete er Drudereien und verlegte eine Menge der frei: 
finnigften Werke, in Tübingen namentlich viele Schriften Reuchlins. 
Kräftige Unterftügung fand er dabei an Wolfgang Aert, Druder, 
Philolog und Dichter zugleich. Diefer war ein vertrauter Freund Reuch— 
ling, des Erasmus und Ulrichs von Hutten, und hatte feinen geringen 
Antheil an der Ausarbeitung der epist. obscurorum virorum (Briefe 
ber Dunfelmänner). Wahrfcheinlich arbeitete er als Gehilfe bei Anshelm, 
was er bei feinen zablreihen Verbindungen gewiß nicht geihban haben 





1) Wir begegnen übrigens dem Namen Anshelm auch jpäter nod in Pforz: 
beim. Im Sabre 1548 fommt ein Johann Ansbelm, 1565 ein Kaipar und 
ein Hans Anshelm vor; fpäter 1632 ein Anton, 1650 ein Martin und 1662 
ein Hans Anshelm. Db dies Nachlommen von Thomas Anshelm waren, weiß 


ih nidt. 


192 Zehntes Kapitel. Pforzbeim unter Markgraf Chriſtoph. 


würde, wenn nicht Anshelm ein feines Umgangs würdiger Mann ge 
wefen wäre. 

Ob bei dem Wegzug Anshelms nad) Tübingen 1511 auch zugleich 
eine Verlegung feiner Pforzheimer Druderei dahin ftattfand, oder ob er 
in Tübingen ein neues derartiges Geichäft begründete und feine Druderei 
in Pforzheim in andere Hände überging: das vermag ich nicht anzugeben, 
Se viel ift gewiß, daß die Behauptung von Gehres in feiner „Pforz— 
beimer Ehronik,“ Pforzheim babe von Id an bis zum Beginn des 
19. Jahrhunderts keine Druderei mebr gehabt, entſchieden unrichtig ift; 
denn in den Jahren 1522 und 23 treffen wir als Budöruder in 
Piorzbeim Johannes Greiffenberger. eben diefem feinem eigent: 
lichen Geſchäft befliß er ſich auch der Malerei ') und war überdies der 
Verfaſſer mehrerer Schriften, die er felber drudte und verlegte, 2) Man 
erfieht dies aus der erjten dieſer Schriften, die genen „die falſchen 
Propheten“ gerichtet ift. Nachdem ſich Greiffenberger auf dem Titel: 
blatt als Verfaſſer derfelben genannt bat, ſteht am Ende der Schrift, fo 
daß bierin die Angabe des Druders und Drudortes zu erfennen ift: 
Bon mir Johannes Grevfienberger zu Pforzheym, 1524. Wahrſchein— 
ich verlegte er auch Schwebels „Ermahnung zu den Queftionfiern“ 
1522 umd deſſen „Nredigt vom guten Hirten,“ 1524, 3) 

Zur Bervollitändigung dieſes Abfchnittes mag, wenn wir auch ber 
Zeit etwas vorauseilen, bemerkt werben, daß die Greyffenberger'ſche 
Offizin in der Folge vermuthlicd wieder erlofhen it und Pforzheim 
vorübergehend Feine Druderer beſaß. Es läßt fich dies daraus ſchließen, 
daß Markgraf Karl II. bei Einführung der Reformation 1956 die 
„neue badische Kirchenordnung”“ nicht in feiner Mefidenz Pforzheim druden 
ließ, (was doch ficher aefcheben wäre, wenn diefelbe eine Druckerei gehabt 
hätte), jondern in Tübingen. Allein ſchon vom Dezember 1557 an 
ericbienen bei Georg Nabe in Pforzheim wieder nach einander mebrere 
Schriften, meiſt theologischen Inhalts, fo 3. B. eine von einem Edelmann 
am Hofe des Markgrafen in lateiniſcher Sprache verfaßte und von 
Pfarrer Iſrael Achatius in Pierzbeim ins Deutſche überfegte Schrift: 
„Wahrhafter Bericht alter und nener, das ift ewangelifher und papiſti— 





15 Nürnberger Gelchrienferifon von Will, I, 571. 

2) Vergl. unten Gefchichte der Reformation in Pforzheim. 

3) Vergl. unten Echmwebrls Lebensbejchreibung und ‚Geſchichte der Refor: 
mation“ in Pforzheim. 


Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 193 


jcher Lehre.” — Im Jahr 1569 verlegte Nabe die „geiftliche immer: 
währende Praktik (Kalender) auf das Jahr 1560” v. Mag. Kaſpar 
Brunnmyl, lutheriſchem Prediger in Geißlingen, — ferner die zweite 
Auflage einer ſchon 1557 zu Tübingen herausgekommenen Schrift: 
„Kurzer und einfältiger Bericht von des Herren Nachtmahl,“ von 
Dr. Andreä, mit einer Vorrede von Brenz, endlidy das „verbütfchiert 
mit < Siegelm verichloffene Buch“ von Seh. Frank. Am Jahr 1560 
erichien bei Nabe ein Werk über „forftlihe Oberherrlichkeit“ von Noe 
Meurer, wohl die ältefte Schrift diefer Art und heut zu Tage noch 
brauchbar. 

Mit der Verlegung der Reſidenz von Pforzheim nah Durlach 
1565 jcheint Pforzheim auch jeine Druderei wieder verloren zu haben, 
Wenigſtens verlautet von einer ſolchen in der folgenden Zeit nichts mehr. 
Erft dem laufenden Jahrhundert war es vorbehalten, Pforzheim wieder 
mit einer Prefie zu verfehen. Ich, werde weiter unten darauf zurüd- 
fommen. 


$ 4 Die Pforzhrimer Gelehrtenſchule um 1500, 


Welch ehrenvollen Rang die Iateinifhe Schule zu Pforzheim unter 
ähnlichen Anftalten bald nach ihrer Gründung einnahm, ift ſchon oben 
(=. 155) gefagt worden. Die Zeit ihrer größten Blüte fcheinen aber 
die zwei erften Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts gewefen zu fein ine 
Reihe ausgezeichneter Lehrer und eine große Menge Später berühmt ge: 
wordener Schüler liefern Zeugniß, in welch vortrefflihem Stande fich 
die Pforzheimer Schule befand. Von jenen verdienen folgende befondere 
Erwähnung: Georg Simmler. Gr war zu Wimpfen geboren, hatte 
fh zu einem der ausgezeichnetiten Schüler Reuchlins herangebildet und 
wurde Nektor in Pforzheim, welche Stelle er bis 1511 bekleidete. Yon 
feiner Befähigung als’ Lehrer und feinem erfolgreichen Wirken zeugen 
die Worte eines feiner Schüler, ran; Irenicus, welder fi") über 
Simmler alfo ausſpricht: „Daß id) ja des trefflichen Lehrers nicht zu 
erwähnen vergefje! Immer werde ich die vielfeitigen Kenntniffe Georg 
Simmlers rühmen, der lange mein Lehrer war, und unter defjen Zucht: 
ruthe ich zuerft geftanden und meine geringen Fähigkeiten ausgebildet 


BEREITEN 
') Jrenicus, Exeges. Germ., U, 
Pflüger, Yorzbeim. 13 


194 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


babe, dem ich mehr, als meinem eigenen Water verpflichtet bin, ja dem 
ich nächſt Gott Alles verdanke, was ich gelernt. Diefer Mann unter: 
wies mid in beiden Spraden (in der Iateinifchen und griechiſchen).“ 
Auch Melanchthon ſpendet diefem feinem Lehrer das größte Lob. Im 
Sahr 1514 verließ Simmler Pforzheim, um einem Ruf als Lehrer der 
Rechte an die Univerfitäit Tübingen zu folgen.) An feine Etelle trat 
Sohann Unger (1511 — 1524). Von ibm wird unten ausführlicher 
bie Rede fein. Auf Unger folgte als Rektor Martin Hilsbad, Ein 
Kollege von ihm war Job. Meifter, der 1538 in Pforzheim ftarb. 
Später bekleidete die Stelle eines Rektors Bobhard, genannt Schü, 
der 1552 dem Magiftrat zu Pforzheim ein Bud: „‚de studio literarum‘‘ 
widmete. Schon früher hatte an der Pforzheimer Schule Jakob 
Wimpfeling aus Schlettftadt gelehrt und während feines dortigen 
Aufenthaltes (er war um 1502 in Pforzheim) eine große literariſche 
Thätigkeit entfaltet?) Er wird in der Geſchichte der Meformation 
weiter vorkommen. in Kollege Simmlers in Pforzheim war Johann 
Hildebrand aus Schwehingen, der früher feine Bildung an der näm: 
lichen Schule erworben hatte, an welcher er nun als Lehrer und Kon: 
reftor wirkte, Bei ihn hatte Melanchthon das Studium ber griechifchen 
Sprache begonnen. Im nämlichen Jahr wie Simmler (151 1) zog auch 
Hildebrand nad Tübingen, we er Profeffor, fpäter Ephorus wurde. 
Sein Vorgänger in Pforzheim jcheint Gerhard Lift geweſen zu fein, 
den Irenieus 3) feiner ausgezeichneten Sprachkenntniſſe wegen einen zweis 
ten Reuchlin nennt, %) Gleichzeitig mit Simmler und Liſt lehrte in 
Pforzheim Nikolaus Gerbel. Ausführlicheres fiber ihm wird unten 
folgen. Unter den fonftigen Pforzheimer Lehrern der damaligen Zeit 
ft Joh. Knoderer aus Motenburg a/R. nicht zu vergeſſen, der 
früher auch ein Zögling der Pforzheimer Anftalt gewejen war. Er 
trat in der Folge in württembergiſche Dienite und ſtieg dort zur Würde 
eines Rathes und Kanzlers empor. 

Bon denjenigen ausgezeichneten Männern, welche auf der Pforz 


1) Vergl. Camerarius, Vita Melanchth, 7, Adami vita philos., 85, Secken- 
dorf, hist. Luth. II., 158. Letzterer nennt fogar Simmler den Gründer ber 
Pforzheimer Schule (S. 203). 

?) Riegg. amoen. Frib., 267. 

2) A. a. O. 

*) Vergl. über ihn auch Lampadius, Beiträge, S. 203 ff. 





Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 19% 


heimer Schule den Grund zu ihrer Bildung legten, die aber 
zum Theil ſchon eimer frübern, zum Theil einer fpätern Zeit ange: 
bören, find befonders zu nennen: Melandtbon, Kapito, 
Schmwebel, Frei, Glafer, Grynäus, Haller, Hebio, 
Irenicus, Weftheimer, die beiden Wertwein — Melde 
Umftände Philipp Melanchthon nah Pforzheim führten, wird 
jpäter bei der Lebensgeſchichte Johann Ungers erzählt werben. Daß er 
Profeſſor in Wittenberg und der treue Gehilfe Luthers beim Werke 
der Meformation wurde, fann ich als befammt vorausſetzen. — Wolfgang 
Kapito, einer der ausgezeichnetiten Zöglinge der Pforzheimer Schule, 
1478 zu Hagenan geboren, wurde jpäter Doktor in drei Fakultäten, 
Prediger in Bruchſal, bekleidete vor- und nachher akademische Stellen 
zu Freiburg, Bafel und Strakburg und ftarb 1541 an der Pet. Er wirkte 
eifrig für die Sadye ber Neformation. (Siehe unten.) 1) — Von Johann 
Schwebel werde ich ausführlicher reden. — Adam frei, ein ge: 
borener Pforzheimer, wurde Magifter und Kanter an der Stiftefirche 
zu Baden. Gr begleitete den älteften Sohn Markgraf Chriſtophs, den 
Prinzen Jakob, 1489 nah Nom, und wurde fpäter marfgräflicher 
Kanzler. Er wurde zu den ausgezeichnetſten Juriſten feiner Zeit gerechnet 
— Kafpar Glafer war ebenfalls zu Pforzheim geboren, wo fein 
Geflecht damals in mehreren Gliedern blühte, 2) Er ift als gründlicher 
Gelehrter bekannt. Im Jahr 1532 war er Lehrer an der lateinifchen 
Schule zu Gemmingen, ging aber im folgenden Jahr nad Zweibrücken 
ale Erzieher des dortigen Erbprinzen. Dafelbft wurde er nad) Schwebels 
Tod 1540 Generalfuperintendent. — Simon Grynäus, eigentlich 
Gryner oder Greiner, war 1493 zu Veringen im Hohenzoller'ſchen 
geboren. In Pforzheim, wo er ben bereits in feinem Baterland erhal: 
tenen Unterricht fortjeßte, ſchloß er innige Freundſchaft mit Melanchthon 
und begleitete denjelben wahricheinlih auch nad Tübingen. Won dort 
ging er nad Wien, wo er Profefjor der griechiſchen Sprache wurde, 
Einige Jahre nachher finden wir ihn als Schulrektor in Ofen, wo ihn 
aber feine Hinneigung zum Proteftantismus ins Gefängniß brachte, aus 


— — 





— — — 


) Näheres fiber ihn in Adami, vii. Theol. und Se ckendorf, hist. 
Luth, 1., $ 41, Nro. 4, Iſetin, IT, 428. 6. 

2) Wir finden 1519 und 15%0 einen Utz Glaſer, Philipp Glaſer, Han 
laser, Wilhelm Glaſer. 13* 


196 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


welchem ihn nur die eifrige Fürſprache des ungariſchen Adels rettete. 
Bald darauf kehrte er nach Deutſchland zurück und nahm in Heidelberg 
eine Profeſſur der griechiſchen Sprache an. Noch einmal drobte ibm 
in Speier das Gefängniß; doch enttam er nach Baſel, wo er nad 
einem bewegten Leben endlich Ruhe fand, Er ftarb daielbft am 1. Auguft 
1541.) — Berthold Haller,?) zu Rotweil geboren, erhielt feinen 
eriten Unterricht in Pforzheim zur Zeit, als die dortige Schule unter 
Simmler in jhönfter Blüte ftand. Lehrer und Meitichüler, unter letztern 
wieder Melanchthon, waren geeignet, den ohnedem lernbegierigen Yüng: 
ling zu ausgezeichnetem Fleiß anzufpomen. Melanchthon erinnerte ſich 
Hallers auch im fpätern Jahren nod mit großem Wohlwollen. Im 
18. Lebensjahre ging Haller auf die hohe Schule nah Köln, von we er 
in jeine Vaterftadt zurückkehrte. Im Jahr 1513 ging er nad Bern, 
wo er das Werk der Neformation begann und vollendete. 3) — Kafpar 
Hedio, eigentlih Hevdt, 1494 in Ettlingen geboren, auf der Schule 
zu Porzbeim, jpäter auf der Hochſchule zu Freiburg gebildet, war in 
ber Folge Lehrer in Baſel, Hofprediger in Mainz, Domprediger in 
Straßburg, wo er für die Suche der Reformation aufs Eifrigfte wirkte, 
Er ftarb dajelbft am 17. Oktober 1553. — Franz Arenicus, eigentlich 
Friedlieb, ebenfalls aus Ettlingen gebürtig (um 1495), erhielt feinen 
eriten Unterricht in jeiner Waterftadt, vertaufchte jedoch denſelben bald 
mit dem der Schule in Pforzheim, wo er mit Melanchthon gleich Gry— 
näus, Haller u. A. ſich innig befreundete. Dort nahm er auch an dem 
Scauipiel Theil, weldes vor Reuchlin aufgeführt wurde, als biefer 
einft von Stuttgart in feine Vaterjtadt fam (S. 169). Später jtudirte 
Irenieus in Tübingen umd Heidelberg, wurde an legterm Orte Magifter 
1518 Rektor der dortigen Katharinenſchule und Mitglied der philofophi- 
ſchen Fakultät, 1524 Stadtpfarrer in Ettlingen, 1530 nad) feiner Ber: 
treibung von dort Pfarrer in Gemmingen. Er ftarb um 1565.) — 
Bartholomäus Weitheimer, 1499 in Pforzheim geboren, ſcheint 
um 1525 Kaplan in Raftatt geweien zu fein, wo er den Drud einer 

*) Näheres fiber ihn Riegg. amoen, Frib., p. ?11. 

) Bergl. über ihn: Kirchhofer, Bertb. Haller oder die Neformition in 
Bern, Züri, 1828. 

3) Eiſenlohr, Kirchengeihichte und Melch. Kirchhofer, a. a. D. 

4, Camerarius, vita Melanchth, p. 8, und Cent epist. Henr. Schweb. 
No, 23, p. 68. 





Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 197 


Schrift des württembergiichen Neformators Brenz: „Bon Milterung 
der Fürſten gegen die auffrürifchen Bauern“ veranftaltete. Er zeichnete 
ſich auch ſpäter nicht nur als theologiſcher Schriftfteller , Sondern auch 
als gelebrter Buchdrucker aus. Gr ftarb als Greis in Horburg in der 
Grafſchaft Mömpelgard, unter deren Neformatoren er einen ehrenvollen 
lag einnimmt Gleich feinem Landsmann Reuchlin wermachte er feiner 
Vaterſtadt feine Bibliothek. (Dieielbe wurde im vorigen Kahrbundert 
nah Durlach gebracht und später mit der Hofbibliothek in Karlsruhe 
vereinigt.) -— Ghriftepb Wertwein war um 1510 in Pforzheim 
geboren. Er ftammte aus einer alten Familie (S. 77).') Im Jahr 
1536 kam er nach freiburg, nachdem er vorher in Tübingen ftudirt 
hatte, wurde fpäter Doktor in Padua, worauf er nach Wien ging Dort 
wurde er Almofengeber und Hefprediger von Kaiſer Ferdinand I, und 
endlich Biſchof von (wieneriſch) Neuftadt. Nach dem Tode des Biſchofs 
Naufen von Mien erhielt er deflen Etelle und wurde nun auch des 
Kaifers Gewiſſensrath. Er ftarb daſelbſt M. Mai 1553, nachdem er 
noch vor feinem Tode feiner Waterftadt ein Kapital von 300 Gulden 
zum Beſten armer Ztudirender vermacht hatte, — Mathias Wert: 
wein, des Vorigen jüngerer Bruder, geboren um 1520 in ‘Pforzheim, 
itudirte von 154 an in freiburg. Später folgte er feinem ältern 
Bruder nah Wien, wurde 1552 Domberr an der dortigen Metropoli: 
tantirhe, am 17. September 1553 Dekan bes Domtapitels, 1556 
Dompropft und Kanzler der Univerfität, und erhielt die Würde eines kaiſer— 
lichen Pfalzgrafen. Am Jahr 1559 gab er jenen Poſten auf, wurde 
alsdann Domberr in Augsburg, fpäter in Briren und zugleih Kanzler 
des dortigen Fürſtbiſchofs, wo er 6. Now. 1580 ftarb. Er machte vor 
feinem Tode eine Stiftung im Betrag von 6000 Gulden für ſechs 
ſtudirende Sünglinge, theils von Briren, tbeild von Pforzheim. Diefelbe 
aing jedoch im dreigigjährigen Krieg wieder verloren, 

Andere ebenfalls berühmte Männer, theils geborene Pforzheimer, 
theils Zöglinge der dortigen Schule, waren aus diefer und etwas ſpä— 
terer Zeit: Hieronymus Ju dus, Doktor beider Rechte und Rektor zu 








1) Aus derielben fommen noch vor: Peter Wertwein 1521, Philipp W. 
1565; ein anderer Peter W., wahrfcheinlih Sohn bes eben genannten, war 
1565 Amtmann des Frauenflofters zu Pforzheim, Ghriftopb Wertwein, ber 
um 1620 ftarb, ift der letzte biefer Familie geweſen. 


198 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſteph. 


Freiburg, 1523 (aus Pforzheim); 1) Mart. Mercator aus Pforzheim, 
1526 Lehrer an der Tat. Schule zu ſchwäb. Hall;?) Johann Lorhard, 
vermuthlich ebenfalls aus Pforzheim, Profefior des Gymnaſiums in 
Durlach, ftarb 1609 in hohem Alter als Prediger zu St. Gallen; 3) 
Joh. Marquard, Doktor der Rechte, aus Pforzheim gebürtig, gehörte 
zu den Räthen des Markgrafen Ernſt und murbe von diefem auf den 
Neichstag nach Negensburg geſchickt 154159) Konrad Detinger, eben: 
falls ein geborener Pforzheimer, trat im den Dienft des Laudgrafen von 
Heilen und war 1534 Hefprediger des Herzogs Ulrih von Württem— 
berg; 5) Peter Bilfinger, Johann Schopf, Schroppius, Rot 
u. U m. 

Bereits im zweiten Viertel des ſechszehnten Jahrhunderts, als 
Pforzheim feine berühmteften Lehrer verloren hatte und Feine ebenbürtigen 
Kräfte an ihre Stelle traten, hörte dev Ruhm derſelben allmählig auf. 
Viel trug nun allerdings auch der Umstand dazu bei, daß andere ähn— 
liche Anſtalten gegründet wurden und raſch zur Blüte gelangten, ie 
namentlich die Schule zu Straßburg, jpäter (1586) auch das Gymna— 
fium zu Durlach. 


$5. Gründung der Singergefelfhaft. (1501.) 


In diejenige Zeit, deren Daritellung die Aufgabe dieſes Kapitels 
it, fallt auf die Entjtehung des älteſten Vereins unferer Stadt, nämlich 
ber Singergeſellſchaft. Schon ihr Alter, in gleichem Grade aber 
auch die Neranlafjung ihrer Gründung läßt fie intereffant genug erſchei— 
nen, um ihr einen bejondern Abjchnitt zu widmen und Unterfuchungen 
über ihre Entjtehung anzuftellen. 

Die älteſte, urkundlich belegte Nachricht von dem Beftehen der 
Eingergejellichaft ift von 1683. Am 17. Oktober jenes Jahres nämlich 
erihien laut noch vorhandenen Rathoprotokolls Herr Niklaus Burkard 
der Goldſchmied Namens der Singergefellihaft als damaliger 


ı) Riegg. amoen. Frib, 

2) Pfaff, württemb. Geſch. ©. 9. 

3) Eijenlohr, Kırdengeihichte. 

) Sachs, IV, Al. 

°) Fischlin, memor, theol. Wuert. I, 3. 


Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 199 


Obermeifter derjelben und Elagte gegen Hans Knaus, daß diefer 20 fl. 
in bie Gejellichaft ichulde, die zur Kirche in Pforzheim verehrt (vermacht) 
worden ſeien. Weitere zuverläffige Runde über den Verein gibt das 
im Jahr 1701 angelegte und noch vorhandene neue Stammbuch des: 
felben. Damals erfolgte nämlid, nachdem während bes verheerenden 
orleans'ſchen Krieges die alljährlihen Verſammlungen der Gefellfchaft 
unterblieben waren, ihre neue Konftituirung, und zwar durch diejenigen 
Männer, welche ſchon im Jahr 1694 Mitglieder des Vereins geweien 
und 1701 noch amı Leben waren. Zu diefen gehörte u. A. auch der Glafer 
Chriſtoph Wilderfinn, der nach feiner eigenen Angabe im Stammbud 
der Gefellichaft 1684 beigetreten war und 1689 die Stelle eines Ober: 
meifters bekleidet hatte, Auf der eriten Seite des Buches findet ſich 
num folgende Bemerkung: „Diefe löbl. Sengergeſelſchaft rübret von 
Einer erichredlichen peit Zeit ber, im Jahr 1501, wo fi niemant 
mehr zu dem andern getrauet, ohne feinen Dodt zu fuchen, und ift 
das erfte Buch durch den Brant verbrant worden ano 1692. niemant 
ift berechtigt solche aufzuheben, oder weg zu nehmen.” Wer dieie Zeilen 
geſchrieben, ift dabei nicht angegeben. Es ijt indeß mit Sicherheit an: 
zunehmen, daß es dur ein Mitglied der Gefellichaft geſchah, welches 
das Ältere, 1692 verbrannte Stammbuch gelefen und obige Mittheilung 
über das Jahr der Gründung des Vereins und die Veranlaſſung dazu 
daraus geichöpft hatte. Ob mım jenes ältere Stammbuch, welches in 
erwähnter Notiz als das „erite” bezeichnet wird, auch das urjprüngliche, 
d. h. ein bei ber Gründung im Jahr 1501 begonnenes war, ob über: 
haupt damals, oder nicht erſt ipäter eim foldhes angelegt und die An: 
gaben über die Gründung der Veberlieferung oder geſchehenen Aufzeich- 
nungen entnommen wurden: das Alles läßt ſich nicht mehr ermitteln. 
Immerhin aber fteht die Ueberlieferung, die ſich bis heute lebendig er: 
balten hat, jener Angabe im dermaligen Stammbud) beftätigend zur 
Seite und weiß diefelbe noch mehr zu vervollftändigen. Als im Jahr 
1501, fo erzählt fie, eine fürchterlihe Peft wüthete, der Nachbar den 
Nachbar verließ, jeder fein Haus verichloß, die bilflofe Lage der Kranken 
noch fchredficher war, als der Tod ſelbſt und manche Geftorbene in ben 
Kammern, wo fie verfdieden waren, vermesten: da bildete ſich im 
Piorzheim ein Verein der biebderften Menſchen, welche ſich unter einander 
verbanden, ihren erkrankten Mitbürgern umentgeldlihe Hilfe zu leiften, 
feinen im Tod zu verlaflen und nicht nur für ihr Begräbniß Sorge zu 


200 Zehntes Kapitel. Pforzheim umter Markgraf Chriſtoph. 


tragen, ſondern fie auch unter Abfingung frommer Lieber zu ihrer legten 
Muhbeftätte zu begleiten (daher der Name „Singergefellihaft“). 
Zu fteter Erinnerung an dieje Peſt und an die aufopfernde Nächſten— 
liebe, die ſich dabei Fundgegeben, dauerte der Verein auch noch nad) 
dem Aufhören der Seuche fort, und er bat fich, wie befannt, bis auf 
den heutigen Tag, wenn aud, jelbftverjtändlich mit verändertem Zweck 
erbalten. 

An dem hoben Witer der Singergefellihaft läßt fi nah dem 
Bisherigen eben jo wenig zweifeln, als der Erzählung von der Veran- 
lafjung derfelben irgend gegründete Bedenken entgegen ſtehen. Nabe aber 
liegt dabei noch die Frage, von welcher Art denn eigentlich die Peſt 
gewefen, die zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Pforzheim jo ver: 
beerend aufgetreten jein fol, Weder mündliche, noch fehriftliche Weber: 
fteferungen geben im Pforzheim felber auf diefe Frage Beſcheid. Es 
ift darum nöthig, denſelben anderweitig zu ſuchen. Er läßt fi auch 
finden, fällt aber auf eine Weife aus, die eine erläuternde Einleitung 
nothwendig macht. 

Gegen Ende des 15. Jahrhunderes tauchte in Deutfchland eine 
abfcheuliche Krankheit auf, von der die Chroniften jener Zeit behaup: 
ten, daß diefelbe durch deutfche und ſchweizeriſche Landsknechte, bie 
in franzöſiſchem Dienft nach Neapel gekommen waren, nad Deutich- 
land gebracht worden fei. Ihre Verbreitung war eine fo raſche, daß 
fie im Verlauf weniger Jahre ganz Europa durdizog, und in man: 
den Gegenden, namentlih im Sübdeutſchland, fogar mit großer Hef— 
tigfeit epibemifch auftrat. Das Uebel ſchonte keines Geſchlechts, keines 
Alters, 1) keines Standes, 2?) Geiftliche wie Weltlihe, Vornehme wie 
Niedrige wurden befallen. Fragen wir, wie das möglid war, fo geben 
uns medizinische Schriftiteller jener Zeit darüber Auskunft. Sie erklären, 


— 


1) Hieronymus Emfer von Ulm zählt in einer 1510 von ihm erſchie— 
nenen Echrift eine Menge von Kindern auf, melde von ber Seuche befallen 
wurden. 

?) Man weiß heute noch eine Menge von Namen theil® durch ihren Rang, 
theils durch ihre Bildung hervorragender Perſonen, welche zwiichen 1495 und 1510 
von ber Seuche ergriffen wurden, lo Ulrich von Hutten, der auch jpäter baran 
farb, der Bifchof Hieronymus von Brandenburg, Herzog Ernft von Sadjen, 
Heinrich III., Graf von Schaumburg u. A Auch der Markgraf Philipp von 
Baden mußte 1533 der Krankheit erliegen. 


Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. PA! 


baß die Anſteckung ſchon durch das Zuſammenwohnen mit Kranken, die 
Benũtzung von Kleidern, Betten, Babdanftalten, hirurgifchen Inftrumen: 
ten, Trink- und Tiſchgeräthen, welche in ihrem Gebrauch gewefen, dus 
Küffen und einfache Berührung mit der Hand erfolgt ſei; ja man be: 
bauptete fogar, daß der Athem der Kranken und die von ihnen aus: 
gehende Luft binreichend fei, um ebenfalls von der Seuche befallen zu 
werden. Wenn wir nun weiter erfahren, wie jehr die Gefundheitspolizei 
damals noch im Argen lag, wie die Abjonderung der Angeftedten, 
namentlich in der erſten Zeit des Auftretens der Seuche, wirklich fo ſehr 
vernahläffigt wurde, daR in Bädern, Gafthäufern, Barbierftuben ıc., 
Kranke und Gefunde durch einander ſich derfelben Gefäße bedienten , jo 
daß beifpielmweife der Kurfürſt von der Pfalz durd eine eigene Verord— 
nung biefem Mißbrauch Einhalt thun mußte; 1) wenn ferner, wie es 
bekannt ift, die Aerzte fich ganz rath- und thatlos zeigten, und bei ber 
Neuheit ber Seuche ihnen fein Mittel gegen dieſelbe bekannt war: jo 
bürfen wir ung nicht mehr wundern, daR diefelbe ſolche allgemeine Wers 
breitung finden und fo verbeerend auftreten konnte, namentlich da auch, 
wie werfichert wird, ihr Charakter ein noch viel bösartigerer war, ale er 
es heut zu Tage if. Alle Zeitgenoffen fhildern die Krankheit, wie fie 
damals auftrat, als ein häßliches, furchtbares, bösartiges und giftiges 
Uebel, vor dem die Menfchheit zurückſchaudere, das den Leib auszchre, 
den Geift erſchöpfe und die Kranken in lebendige Keichen verwandle. 
Sie that ſich in der Regel bald nach ihrem Beginn dadurch Fund, daß 
fie ihr Gift über den ganzen Körper ergok und dieſes einen Hautaus— 
ſchlag erzeugte, der ſich entweder zu diden Kruften geitaltete, oder in 
warzen= ober zapfenartige Geſchwüre überging, die ſchwarzes Blut und 
ftinfende, giftige Jauche ergefien, nicht felten bis auf die Knochen drangen 
und Fäulniß Über den ganzen Körper verbreiteten, Nicht wenigen Sran: 
ten fielen die Najen ab, andern brannte das Uebel die Wangen hinweg 
oder Fächer in den Leib, zumeilen wurden felbjt die Augen zerftört und 
die Knochen blosgelegt. Der Verlauf der Krankheit war in der Megel 
ein ehr Tangwieriger und darum um jo qualvollerer, und endigte in 
den meiſten Fällen mit einem jammervollen Tod, namentlich wenn den 
Kranken Löcher in den Hals fielen, daß fie Feine Nahrung mehr zu fich 
nehmen Fonnten. Aber auch diejenigen, die wieder genafen, trugen von 


ı) Pfälzer Kop. Buch XVII., und Häuffer, Geſch. der Pfalz l. 457, 


202 Zehntes Kapitel. Pforzheim umter Markgraf Chriſtoph. 


der Krankheit lebenslängliche Gebreiten davon. „Es warb vil armer 
leuthen darvon vergifftet, Lamm, feldſiech, etliche Famend umb band und 
füß,“ fagt ein Schriftteller der damaligen Seit. 1) 

Wenn nun diefe Krankheit jo fürdyterliche Erfcheinungen zeigte und 
fo leicht fi auf Andere übertrug, fo darf es ung nicht befrembden, wenn 
der Freund den Freund, der Bruder den Bruder floh, wenn manche 
Kranke auf die elendefte Weife, oft durch Hunger, zu Grunde gingen, 
wenn felbit die Ausſätzigen, deren es damals nicht wenige gab, nicht 
mit jolhen Kranken zuſammenwohnen und verkehren wollten, weil fie 
fürchteten, von einem noch fchlimmern Uebel, als das ihre war, befallen 
zu werben. ?) 

Daß es eine derartige Seuche und keine andere Peſt war, die zu 
Anfang des 16. Jahrhunderts in Pforzheim fo entfeliche Verheerungen 
anrichtete und die Gründung der Singergejellichaft veranlafte, läßt fidh 
wohl nicht bezweifeln. Es ſpricht dafür auch der Umftand, daß jene 
Krankheit zu gleicher Zeit, wie in Pforzheim, auch in andern jetzt 
badiihen Städten geherrict bat, jo 3. DB. in Freiburg, wo 1501 
ber Peſt ausdrüdlih erwähnt wird, 3) jo in dem mäher liegenden 
Bretten, wo dieie Krankheit, an der auch der dortige Schulmeifter litt, 
Beranlaffung wurde, daß der Großvater Melanchthons diefen aus ber 
Schule nahm und für feinen Entel einen eigenen Hauslehrev hielt, — 
jo mamentlih in Heidelberg, wo, wie ein Geſchichtsſchreiber verfichert, %) 
die Seuche in Stadt und Umgegend zu Anfang des 16. Jahrhunderts 
gränzenlos wüthete, und, wie oben ſchon erwähnt, cin furfürftliches Dekret 5) 


) Siebold Schilling, Prieſter m Zürich, bei Mever:Ahrene: 
Geſchichtliche Notizen über die Luſtſeuche in der Schweiz, 1841, ©. 17. 

2) Zu dieſer Darftellung der Entitebung und Berbreitung der Seuche und 
ihrer äußern Eriheinung wurde bauptlählih benützt: Fuchs, die älteften 
Schriftfteller üter die Luſtſeuche in Deutfchland von 1495— 1510. (Göttingen, 
1843.) In diefem Buch find 13 folder Schriften, darumter auch Job. Wid— 
manne „Tractatus de pustulis“ (fiche oben ©. 181) vollftändig abgedruckt 
und aus vielen andern (jo aud us Widmanns „de pestilentia‘“) Belegftellen 
miitgetbeilt. Am Schluß gibt der Herausgeber eine Furze Darftelung der epis 
demiſchen Luftfeuche in Deutſchland. 

3) Sautier, Pbilaniropen von Freiburg, ober die Stifter und Wohlthäter 
der Univerfität, ©. 144. 

) Häuſſer, Geſchichte der Pfalz, 1. 457, 

5) Ebendaielbit. 


Zchntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 203 


bervorrief, das mit den Morten beginnt: „Als der allmechtig got ein 
ſchwere anhengig Tangwierig krankheit difer Ziten ober die menſchen diefer 
gegend verbengt, die von einem zum andern greiffet, genant die franzofen, 
vnd es nun Etlich Jar gewert und noch kein vfhoren bat“ ac. Unmwahr: 
ſcheinlich it bloß das, daß die Seuche in Pforzheim nur im Jahr 1501 
geberricht hat. Sie mag ſchon einige Jahre vorher dafelbft fich gezeigt, 
icheint aber 1501 ihren Höhenpunkt erreicht, und damals neben andern 
Mafregeln dagegen auch die Gründung der Singergefellihaft als eines 
freiwilligen Vereins zur Folge gehabt zu haben, deſſen Mitglieder ſich 
die Pflege der fonft verlafienen Kranken und die Beitattung der der 
Seuche erlegenen Todten zur Aufgabe machten. 

Daß die Krankheit auch in den folgenden Jahren noch fortdauerte, 
erjehen wir aus einer 1509 in Pforzheim (vergl. S. 191) erichienenen 
Schrift, die zugleich wiederum einen Beweis dafür Tiefert, daß die 
peitartige Seuche in Pforzheim wirflih von der bezeichneten Art 
geweſen. Die Aebtiffin des Dominikanerinnenklofters zu Pforzheim, 
Eliſabeth Schöttin, hatte dem Meiſter (Arzte) Alerander Sys (Seiz) 
daſelbſt fünf Fragen über die herrſchende Seuche vorpelegt. 1) Diefer 
beantwortete fie in einer Echrift, welche den Titel führte: „Ein 
nuglich regiment wider die bofen Frangofen mit ettlichen Eugen Frag: 
ſtücken.“ Der Berfafjer behauptet darin, daß die Krankheit im Jahr 
1491 in Alvernia (Auvergne) angefangen habe und „eine rut und ftraff des 
Himmelsfürften, unfer Sünd damit zu ftraffen,“ jei, 2) Wenn Seiz feine 
Schrift unbefangen der erwähnten Aebtiſſin widmete; wenn auch ber 
mehrfach angeführte Johann Widmann 1519 feinen Töchtern zu lieb 
einen deutſchen Auszug aus feiner ſchon 1497 über diefen Gegenjtand 
erfchienenen Schrift machte; wenn endlih auch Ulrich von Hutten eine 
Schrift über den gleichen Gegenjtand 1519 ganz arglos dem Erz: 
bifhof von Mainz widmete: fo geht daraus hervor, daß die Krankheit 
damals nicht den en anrüchigen Charakter trug, wie das heut zu Tage der 


1) Berg. Bierorbt, Geſchichte der evang. Kirche in Baden, II,, 99. 

2) Die Anfiht, daß die Seuche cine Etrafe Gottes fei, wel ſich die 
Menichen durch ihre umverbejierlihen Eünden, dur ihre Gottesläfterungen, 
ihren Hochmuth, und vorzüglih durd das häßliche Lafter der Unkeuſchheit zu— 
gezogen hätten, fand weite Verbreitung. Im Jahr 1495 erließ Kaifer Maxi— 
milian ein Edikt gegen die Gottesläfterer, worin ausdrücklich erwähnt wird, 
baß neben andern Plagen vorzüglich die Luftfeuche VBeranlaffung gebe, die Frevler, 
welde den Zorn Gottes crregten, firenge zu beftrafen, 


204 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


Fall iſt. Es erflärt ſich diefes ohnehin auch daraus, daß eine Anſteckung 
ganz leicht erfolgen und jomit den meiften der von der Seuche Behafeten 
der Vorwurf der Unfittlichkeit nicht gemacht werden formte. Groß aber ift 
das Verdienſt jener Männer, welche die Singergeſellſchaft gründeten und 
bereitwillig Gefundheit und Leben aufs Spiel feßen, um ihren von ber 
eelerregenden Seuche befallenen Mitbürgern oder deren Angehörigen 
Troſt und Hilfe zu bringen oder, wenn fie deſſen nicht mehr bedurften, 
ein ehrliches Begräbniß zu verichaffen. Wenn die Namen diefer Edeln 
auch nicht bekannt find, fo wird doch ihr Andenken in beftändigem 
Segen bleiben! 


Anbang. 





Die Pe in Pforzheim (1501). 


Welch Lärmen, welch Gebränge 
Stört Pforzheim's Morgenruh'? 
Was treibt in bunter Menge 
Das Volk dem Rathhaus zu ? 

O wär’ ed nie geiprodhen 

Das Ihanervolle Wort: 

„Die Veit ift ausgebrochen!“ 

So tönt’d von Ort zu Ort. 

Heute rotb, 

Morgen todt — 

Hilf uns, Herr, in der legten Noth ! 
Und wer noch wandelt im goldnen Licht, 
Gedenke des Todes, der Chriftenpflicht! 


D Keid! In jedem Haufe 
Kehrt Klag’ und Jammer ein; 
Die Würgerin, die granfe, 
Berihont nit Groß und Klein; 


Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 205 


Das Kind, den Fräft’gen Gatten, 

Das Weib im Schönheitsglang, 

Din Greis, den alterämatten, 

Tie Braut im Myrthenkranz. 

Heute rotb, 

Morgen tobt — 

Hilf uns, Herr, in der feßten Notb ! 
Und wer noch wandelt im goldnen Licht, 
GEedenke des Todes, der Chriftenpflicht! 


Verödet ſtehn die Straßen, 
Es ſchweigt der Arbeit Schall, 
Des Hirten muntres Plaien, 
Sefang und Beitichenfnall; 
Die Sterb’glod’ bört man hallen, 
Der Nonnen Klagepfalm, 
Biel hundert Opfer fallen 
Jach wie des Graſes Halm. 
Heute roth, * 
Morgen todt — 
Hilf uns, Herr, in der letzten Noth! 
Und wer nech wandelt im goldnen Licht, 
Gedenke des Todes, der Chriſtenpflicht! 


Der Kirchhof wird zu enge, 
Er ſträubt ſich mehr und mehr, 
Der Todten ſchwere Menge 
Zu faſſen nach Begehr; 
Am Wege, vor den Thüren 
Häuft ſich der Leichen Zahl: 
Kein Menſch will ſie berühren, 
Es ſteigt die Angſt und Dual. 
Heute roth, 
Morgen todt — 
Hilf uns, Herr in der letzten Notb ! 
Und wer noch wandelt im goldnen Picht, 
Gedenke des Todes, der Ghriftenpflicht ! 


Der Bruder flieht die Schweiter, 
Den Hausherren das Geſind, 
Ten Freund der Freund, fein beiter, 
Die Mutter jelbft ihr Kind. 
Seiprengt find alle Bande 
Der Eitte, der Natur; 


206 Zehnter Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriftopb, 


Wer übt noeh Macht im Lande ? 

Die Veit ift Herrin nur! 

Heute rotb, 

Morgen todt — 

Hilf uns, Herr, in ber legten Notb! 
Und wer noch wandelt im aoldbıren Licht, 
Gedenke des Todes, ber Chriſtenpflicht! 


Derweil nun, peſigepeinigt, 
Die Stadt voll Jammers war, 
Hat Rathes ſich vereinigt 
Von Bürgern eine Schaar 
Und glaubensſtark geſchloſſen 
Den edlen Singerbund; 
Viel wackre Gildgenoſſen 
Gelobten ſich's zur Stund: 
„Was euch droht, 
Dual und Tod, 
Pakt uns lindern der Kranken Noth! 
Und wer noch wandelt im goldenen Licht, 
Er üb’ an den Todten die Chriftenpflict!“ 


So führten fie mit Singen 
Ahr Amt, der Stabt zum Heil, 
So Hohen als Geringen 
Ward Hilf und Troft zu Theil; 
Die Lich’ und Treue kehrte 
Zurüd in’s Thal der Enz, 
Und Gott im Himmel wehrte . 
Dem Grimm der Peſtilenz. 
Heute roth, 
Morgen todt — 
Hilf dem Nächſten nach Gottes Gebot! 
Wer weiß, warın die Noth in’s Hans dir bricht! 
Gedenke des Todes, der Chriftenpflicht ‘ 


86. Dur Sittengefhidte jener Beit. 9) 


Die vorhandenen Quellen geftatten zwar die vollftändige Entwerfung 
eines Sittenbildes für jene Zeit nicht; indeffen find einzelne Pinfelftriche 





1) Hauptlächlich mach vereinzelten Notizen aus Schriftſtücken des ſtädtiſchen 
Archive, 


Rehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 907 


zu einem foldyen -immerbin imtereffant genug, um bier in möglichitem 
Zuſammenhang mitgetheilt zu werben. 

Daß die damaligen Sitten zum Theil ftrenger als die heutigen 
waren, erſehen wir aus einigen Beitimmungen der Yandesordnung ?) von 
1495. So jellten z. B. Gottesläfterer, die bei Gottes oder feiner lieben 
Heiligen Namen, Gliedern oder fonft ſchwören oder in anderer Weife 
Gott dem Schöpfer Unehre tbun, auch alle, die mit ſolchen Leuten ver: 
fehren, fie beherbergen oder ihnen zutrinfen würden, hart bejtraft und 
im Lande gar nicht geduldet werden. Wer der Ehre einer Jungfrau 
zu nahe trat, mußte ihr, wenn er fie nicht ehelichen wollte oder konnte, 
dafür eine bedeutende Geldiumme als Entihädigung bezahlen. Auf 
Ehebruch war eine Strafe von 10 Pfund ‘Pfennig (etwa 42 fl.) geſetzt ıc. 
Troß der ftrengen Strafen, welche für derartige Vergeben beftimmt waren, 
ſah es im Punkte der Sittlichfeit in damaliger Zeit im Allgemeinen viel 
ihlimmer aus, als heut zu Tage, und diejenigen haben jehr Unrecht, 
welche meinen, daß man in der „guten alten Zeit“ im bdiefer Beziehung 
weniger zu Hagen gehabt hätte. 

An Pforzheim, wie in manchen andern deutichen Städten, machte 
damals der fteigende Yurus, der übertriebene Aufwand bei Taufen, Hoch— 
zeiten 2c. Geſetze dagegen nothwendig. So wurde 3. B. im Jahr 1495 
beftimmt, daß bei Strafe won zehn Pfund Pfennig zu einer Hochzeit 
nicht mehr als fünfzig Perionen geladen und über „Fünf gemeiner Efien“ 
nicht gegeben werden dürften. Ein Hochzeitgefchenf durfte nicht über 
2 Schilling Pfennig (gegen 30 kr.) betragen ; nur nahe Berwandte und Auge 
ländifche durften geben, fo viel ihnen beliebte. Kindbettgeichenfe waren bei 
Strafe von 30 Schilling Pfennig verboten, Tauf- oder Pathengeſchenke 
durften den Betrag von 2 Schilling Pfennig nicht überfteigen. Aehnliche 
Verbote mußten gegen das Spielen erlafjen werden, Damals übliche 
Spiele waren namentlich das Damenbrett, 2) die Würfel und bie Kar: 
ten. Letztere, befanntlich eine franzöſiſche Erfindung aus dem Anfang 
des 15. Jahrhunderts, waren fchon zu Ende desielben in Pforzheim 


) Eiche elftes Kapitel. 

2) Verfprady ja doch der Pforzheimer Stadtfchreiber X. Hug dem in Baden 
befindlichen Pforzheimer Vogt, Hans von Königsbach, zu ihm zu fommen, wenn 
er „ein Bretiſpiel vermöchte“ (S. 180). 


208 Zehntes Kapitel. Piorzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


befannt. 1) Damals wurden aber alle dergleihen Spiele unterfagt, und 
nur gejtattet, „um Kurzweil“ und nicht höher, denn um einen Pfennig 
zu fpielen. Einzelnen ftädtiichen Bedienfteten, wie namentlih den Büt— 
teln, waren die Karten und Würfel im Wirthshaus ganz verboten und 
nur auf dem Rath- oder Kaufhaus erlaubt. 

Daß man in der „guten, alten Zeit“ eben jo wenig als heut zu 
Tage einen ſchmackhaften Biffen und einen guten Trunk verichmäbte, 
dafür Tafjen fich manche Beweiſe beibringen. Namentlih aber wurde 
ein „Zrunf“, wo es immer anging, mit jedem Geſchäft verbunden und 
auch immer zum Voraus bedungen. Sehr häufig mußte audy der Ge: 
meindefädel dazu berbalten, und die Mitglieder der ſtädtiſchen Behörden 
pflegten darin am wenigjten zu knauſern, wenn ihnen jelbjt etwas davon 
zu gut fam. Es boten foldhe Anläffe, Etwas zu „verzehren“, Erſatz 
für Diäten, von denen in Geld feine ausbezahlt wurden. Wie man 
fih dafür ſchadlos hielt, zeigt unter Anderm eine Schäfereirechnung, die 
zwar aus etwas fpäterer Zeit ftammt, 2) aber zu der Annahme beredh- 
tigt, da es früher auch nicht anders gehalten worden, Die ganze Ein: 
nahme der Schäferei, die damals in Stadt und Altftadt aus 1356 Stüd 
Schafen beitand, belief ſich auf 145 fl. 14 fr. Davon blieb außer dem 
unumgänglich nötbigen Ausgaben, worunter z. B. für Papier 2 fr., für 
- Stellung der Rechnung 24 fr. und ein Ertragefchenf für den Efribenten 
von 13 fr., nicht mehr reine Einnahme übrig, ale 13 fl. 48 ir.; das 
Uebrige wurde größtentheild „verzehrt“, und zwar nahmen Alle daran 
Theil, die mit der Schäferei irgend Etwas zu thun hatten. So heit 
es unter Anderem: „Als mit den Echäfern das Yamm mad alter 
Gewohnheit verzehrt worden, gingen bei Schwertwirth Chriſtoph Leonhard 
drauf 7 fl. 24 fr.“ ; ferner: „Bei Einziehung des Salzgeldes wurben 
durch Bürgermeifter, Bau: und Pferchmeifter, die Schäfer und ihre 
Weiber verzehrt 10 fl. 52 fr.” u, ſ. w. So finden wir and in ben 
alten Zunftrechnungen bei jeder Gelegenheit einen „Trunk“ verrechnet. 
Driginell ift jedenfalls aud der Umfiand, daß auf dem Rathhauſe zur 
Bequenlichkeit der Gerichts: und Rathsverwandten ein eigener Koch be: 
ftellt war. Auch an einem „Tanzboden“ fehlte es auf dem Rathhaus 


— — — — —— 


1) Die bedeutendſten Spielkartenfabriken waren zu jener Zeit in Ulm, von 
wo bdiefelben in Fäſſern bis nad Sizilien, ja in alle Welt verihidt wurden. 
?) Vom Jahr 1629, 


Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 209 


nicht. Don Weinen waren damals die befannteften und getrunfenften: 
Zandwein, Ortenaner, Breisgauer, Elſäßer, Rheinwein. Keine diefer 
Weinforten durfte aber bei hoher Strafe mit einer andern gemifcht wer- 
den; ebenfo war das Weinanmachen ꝛc. ftreng unterfagt und nur das 
Schwefeln geftattet. Ein Berfahren, den Wein füß zu erhalten, war 
damals fchon befannt. Neuer Wein durfte jedod ohne Erlaubnig Bür— 
germeifters und Raths vor Martini nicht ausgeichenft werden. Daß 
man auch zu Haus dem Weine fleißig zufprach, beweist eine Beftim- 
mung der Ungeldorönung, wornach bei Bezahlung eines Averfums für 
bas MWeinungeld auf eine Perfon jährlih 3 Ohm gerechnet wurden; 
dabei zählten vom Gefinde zwei Perfonen für eine. Dem unbefchräntten 
Zehen in den Wirthehäufern ſchob der damals chen üblihe „Nacht— 
gulden” einen Miegel vor, den nach der Polizeiftunde, welche im Som: 
mer auf 10, im Winter auf 9 Uhr feftgefett war, Gaft und Wirth 
bezahlen mußten. Die Maaß gewöhnlichen Weins koſtete durchfchnittlich 
2 Pfennig, Daß neben den Mein: damals auch das Biertrinfen 
üblich war, davon babe ich feine Spur gefunden, wenn nicht der Aus: 
drud „Maltzenſchow“ (Malzihau?), der fi in einem Beſcheid vom 
Sahr 1507 findet, *) etwa auf die damals bier übliche Kunft der Be: 
reitung des edeln Gerftenfaftes eine Folgerung geftattet. In dem Pri— 
vilegienbrief (fiehe unten) kommt übrigens ein Ungeld vom Bier nicht vor; 
basjelbe würde doch ficherlich nicht gefehlt haben, wenn fehen ein Bier— 
verzapf in größerm Umfange ftattgefunden hätte. Erit im Lagerbuch von 
1615 ift die Rede vom Ungeld von Wein und Bier. 

Die üblihften Speifen, welche namentlich die Wirthshänfer ihren 
Gäften boten, waren Suppe, Eier, Fleiſch, Fiſche, letztere gebraten, ges 
baden, gejotten und gefulzt, ferner Stodfifhe und Häringe, weld 
legtere, nach dem Umftand zu jchließen, daß ein eigener Häringſchauer 
in der Stadt beftellt war, vielleicht in verhäftnikmäßig größern Quan— 
titäten als heut zu Tage verzehrt wurden. Das Stüd galt 1 Pfennig. 
Eier Faufte man damals 5 Stüd um 1 Pfennig, An Fiſchſorten wur: 
ben verfpeist: Forellen, Karpfen, Hechte, Barben, Eſchen, Nafen, Schupp: 
fiſche. Auch Krebſe feinen beliebt gewefen zu fein. Daß der Markt 
gewöhnlich auch mit Geflügel verfehen war, ift verſchiedenen Angaben 


1) Beſcheid vff Allerhand Punkten, vßbeth, Abzug, Priefter gueter, Reifige 
Knecht, hußweinungelt der vom Abel, vnd ber Malgenfhow halb, anno 1507 
(früher in der Lade Q im ftädtiichen Archiv, fpäter verloren gegangen). 

Pflüger, Pforzheim. 14 


210 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


zu entnehmen. Was die Fleiſchpreiſe betrifft, fo galt damals 1 Pfund 
Kalb:, Lämmer- und Kützfleiſch 4 Pfennig und fo nad) Verhältniß auch 
die übrigen Fleiſchſorten; ein Kalbsgekrös Koftete 5 Pfg., ein Kützlein— 
oder Lämmergekrös 4 Pfg., ein Kalbstopf 5 Pfg., vier Kalbsfüße 3 Pfg., 
ein Ochfenmagen 1 Sch. Pfg., ein hinterer Darm 8 Pfg., ein Engbeutel 
6 Pfg., ein Fuß 5 Pig. Auf den Umfang des Fleiſchverbrauchs läßt 
fi) aus dem Viehſtande, der fehr bedeutend war, einigermaßen ein 
Schluß ziehen, Natürlic; waren die eben angegebenen Preiſe die nor: 
malen; zur Zeit einer Theurung ftiegen fie auch und riefen jogar außer: 
ordentliche Maaßregeln hervor. So wurde 3. B. im Jahr 1548 (Sonn: 
tag nach Medardus) wegen dev Theurung des Fleiſches und der Fiſche 
den Wirthen fireng unterfagt, an leifchtagen Beides zuſammen zu be 
reiten; an verbotenen, d. b. an Faſttagen durften fie, außer für Kranke, 
bei jchwerer Strafe kein Fleiſch kochen, 

Bon Gewürzen wurden außer den gewöhnlichen (Salz, Kümmel ꝛc.) 
auch Ingwer, Zimmt, Nägelein, Muskatnüſſe ꝛc. benügt. Aus deufelben 
machte man verfchiedene Mifhungen, die mit den Namen Süßwürz, 
Speifwürz und Pfefferwürz bezeichnet wurden, Das vorgefchriebene 
Nezept derjelben war folgendes: Zu einem Pfund Süßwürz nahm 
man 14 Loth Ingwer, 4 Loth Mustatnüffe, 6 Loth Zimmt, 2 Loth 
Nägelein, 6 Loth Pariskörner und 34/, oder 4 Loth Safran; zu einem 
Pfund Speiswürz kamen 12 Loth Ingwer, 5 Loth Zimmt, 4 Loth 
Mustaten, 4 Loth Pfeffer, 6 Loth Parisförner und 31/, Loth Safran; 
zu einem Pfund Pfefferwäürz wurden 14 Loth Ingwer, 3 Loth 
Musfaten, 6 Loth Zimmt, 2 Loth Nägelein, 4 Loth Grenn (grains ??) 
und 3 Loth Pfeffer genommen, 1) Die einzelnen Beftandtheile diefer 
Würzen mußten vorher forgfältig getrodnet und geſtoßen werden. Den 
Berkauf beforgten eigene Würzkrämer, die namentlih auf Jahrmärkten 
und Kirchweihen ihre Geſchäfte machten, und denen ftreng auf die Finger 
gejehen wurde, damit fein Betrug unterlief. 2) 

Die Kleidungsftoffe, welche in jener Zeit verwendet wurden, bes 
ftanden hauptfächlih aus Linnen und aus Wolle, Zum volitändigen 


1) Die Rehnung bei diefen Rezepten ift eine etwas wunberliche; beim 
erften fommen auf das Pfund 351, —36, beim zweiten 341/,, beim britten 
32 Roth. 

2) Bergl. hiezu Würzlrämerordnung, von Markgraf Ehriftoph am Montag 
nah St, Maria Magbalenentag 1515 gegeben. (Stabtardiv.) 


Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 211 


Anzug einer Bürgersfrau gehörten: ein Unterhemd, ein Unterrock, ein 
Oberrock, ein Schaubenrod, 1) ein Gürtel, der manch Mal mit Silber 
oder Gold beſetzt war, ein Mantel und ein Schleier. 

Dak damals die Leichen nicht nur auf den Kirchhöfen, fondern noch 
immer auch in den Kirchen jelbjt begraben wurden, iſt befannt. Der 
Gebrauch der hölzernen Särge ſcheint jedoch noch nicht allgemein geweſen 
zu fein. Es geht dies aus einigen Beitimmungen der im nächften Ka— 
pitel folgenden „Todtengräberordnung“ hervor. Wurden nämlich mehrere 
Leichen (auf einander) in ein Grab gelegt, jo mußte diefes für jede der: 
felben einen Schub tiefer gemacht werden, Wären fie in Gärgen ge 
weien, jo hätte ein Schub nicht bingereicht. Ferner heißt es darin: 
Kommt eine Leiche von Fremden her in einem Baum (Todtenbaum, wie 
im Oberland der Sarg noch heute genannt wird), oder begehrt Je— 
mand, in einem Baum begraben zu werden, fo mag das geſchehen ıc. 

Die Werfleute und Taglöhner mußten Sommers und Winters 
Morgens an die Arbeit gehen, jobald es fo hell war, daß man eines 
Pfennigs Münz oder Gepräge erkennen konnte, Feierabend wurde ges 
macht, wenn man das Salve läutete. Zu welcher Zeit dies gejchehen 
ſollte, hatte der Bürgermeifter nad Beſchluß Gerichts und Raths zu 
beftimmen. In ähnlicher Weiſe wurden Morgens and die Thore der 
Stadt „aufgeläutet.“ 

Der Glaube an Heren ftand in jener Zeit noch im fchönften 
Flor, und wie allgemein verbreitet derfelbe war, lehrt die Bulle von 
Papft Innozenz VIII vom Jahr 1484, durch welche die Herenprogefie 
eine feftere und geordnete Einrichtung bekamen. Auch in Pforzheim 
ſcheint es am ſolchen nicht gefehlt zu haben. 2) So erwähnen alte Akten 3) 
einer Anna Nodin von Mfingen (Eifingen) als einer Here vom Jahr 
1491, ebenfo der alten Hebamme von da; ferner der Barbara Dres 
berin und Brigitta Segerin von Dietlingen von 1532, der Doro 
thea Hugin von Hucenfeld von 1524, der Hebamme von Pforzheim, 
die deswegen den Namen der Unboldin erhielt, von 1491, ber Katha— 


) Ein Tſchauben⸗- oder Tſchobenrock, mit einem Tſchoben, d. h. einem 


beſondern Leibchen. 
2) In Pforzheim wurde 1507 auch eine Schrift: „Ueber bie Heren gebrudt, 


deren Berfafler ber Pfarrer Mart. Plantfh von Tübingen war (S. 1%). 
*) ‚Regiſtrum, darnach allerhandt der Stadt Pfortzheym Handlungen zue 
ſuchen,“ früher im hieſigen Stadtarchiv, jetzt aber nicht mehr — 


212 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 


rina Hedin und der Menſchin von Bilfingen aus der nämlichen 
Zeit. Wie die Prozefie ausfielen und ob und wie die der Hexerei 
Beſchuldigten beftraft wurden, ift in den Akten nicht geſagt. Meift 
traf der unglüdjelige Verdacht der Hererei die Weiber, befonders 
wenn fie alt, gebeugt und triefiugig waren; aber es kamen aud 
Beifpiele von Männern vor, die ſich mit dem Verhexen abgaben, jo 
zwei Männer aus Dietlingen, Edart und Schnefels, im Jahr 
1533. — Eines Herenprozefies, der zwar in eine etwas fpätere Zeit 
fällt, kann bier gleich mit erwähnt werden. Derfelbe fpielt in Er: 
fingen im Jahr 1576. Als der frauenalbiihe Amtmann Chriftopb 
Rothfuß am 23. Dftober jenes Jahres in Erfingen Herrengericht 
hielt, wurde die dortige Hebamme, Margaretba Bauerbader, all- 
gemein der Hererei beichuldigt. Sie verbere die Weiber, wenn fie 
niederfommen wollten, greife das Vieh an, lähme und tödte es, 
Meiber und Kinder in Erfingen und Bilfingen entfetten ſich vor ihr, 
und die Pfarrberrn beider Orte wollten kein Kind mehr taufen, wenn 
die Hebanıme dabei fei. Auf diefe Klagen bin wurde biefelbe ge: 
fangen gejeßt und am 1. Dezember zu Ettlingen verbrannt, Schon 
einige Jahre vorher (1573) waren drei Weiber aus Erfingen wegen 
Hererei in Unterfuchung genommen worden. Zwei davon, Mar: 
garetba Burkard und Katharina Hildebrandin, ftarben in Ba- 
den auf dem Scheiterhaufen,; die dritte, Anton Rots Frau, ent: 
leibte fich felbit im Gefängnifle. 1) Ergötzlich tft eime Bittſchrift, welche 
Schultheiß, Gericht und Gemeinde zu Erfingen und Bilfingen unterm 
7. Februar 1577 an den Markgrafen zu Baden richteten, und wo— 
in fie ihn um Gottes willen baten, daß er fie doch von ihren 
vielen böfen Weibern (Heren), die mit Lähmung und Tödtung des 
Viehs fortwährend großen Schaden anrichteten, befreien möchte. Ob 
und wie der Markgraf diefer Bitte entiprochen bat, vermag ich nicht 
zu fagen. 2) 


2) Vergl. hiezu: Debuftion, das Recht bes marggr. Haujes Baden auf 
bas Klofter Frauenalb, S. 134, 252 und 334, 

2) Andere Beiträge zur GSittengefhichte des 15. und 16. Jahrhunderts 
find im folgenden Kapitel zu finden, 


Elftes Rapitel. 





Stadtverfaffung von 1500, N) 
F 1. Worbemerkungen. „Ordnung und Polizei” von 1491. 7) 


Zu denjenigen Städten, deren innere NVerbältniffe unter Markgraf 
Chriſtoph und durch denjelben in einer Weile geregelt wurden, die for 
wohl dem frühern Herfommen die lebenskräftigen Elemente entnahm, 
als denfelben auch neue zeitgemäße Beſtimmungen anfügte, welche bie 
Grundlage zu weiterer fröhlicher Entwiclung bildeten, gehörte auch Piorz- 
beim. Don jeher ein Kleinod in der Krone ihrer Fürſten und darum 
immer der Gegenjtand befonderer Aufmerkfamfeit derfelben hatte ſich 
die Stadt feit ihrem Anfall an Baden ihren Landesherrn beftändig fo 
ergeben gezeigt, dak Markgraf Chriſtoph befchloß, ihr im Anerkennung 
der feinen Vorfahren bewiefenen Treue und um ihren Wohlftand und 
ihre Blüte zu befördern, befondere Freibeiten zu verleihen und alle ihre 
innern Verbältnifie im Sinne derfelben zu ordnen und zu befeftigen. 
Der Anfang dazu wurde gemacht durch eine „Ordnung vnd fry— 
beit der ſtat pfortzheym“, melde der Markgraf der Stadt auf 


4) Der nachſtehenden Darftellung find hHauptfächlic Urkunden, Kopialbücherx. 
bes Stadt-, zum Theil auch des Landesarhivs zu Grunde gelegt. Bergleis 
chungs weiſe wurden auch die „Ordnungen“ anderer Orte, fo 3. B. von Raftatt, 
(Mone, bad. Archiv, I. und Eifinger: Zur Topographie und Geſchichte von 
Raftatt, Beilage zum Prgeumsprogramm von 1855), Baden x. (Zeitſchrift 
für die Gedichte des Oberrheins, IV., 291 und 129 fi.) benützt. 

2) Es kommen in dielem Kapitel viele Geldangaben vor. Um den Leſern 
die Reduktion auf den heutigen Geldwerth zu erleichtern, bemerle ich mit Hin— 
weifung auf das ©. 129 und 130 Gefagte, daß ber Heller zu /, Kreuzer, bet 
Piennig zu 1 Kr., der Schilling Pfennig zu 12 Kr., das Pfund Heller zu 
2 Gulden, das Pfund Piennig zu 4 Gulden in runder und bequemer Summe 
berechnet werben fann. 


214 Elftes Kapitel. Stadtverfafiung von 1500. 


St. Michels des heiligen Erzengels Tag (29. Sept.) 1486, und zwar 
vorläufig auf 6 Jahre und unter der Bedingung verlieh, „daß, ob in 
ſechs jaren, den mechften nad) dato dißs brieffs nacheynander volgende, 
wir oder vnnßere erben, an vnfjelbs vnnd an vat, befunnden würden, 
das jolliche ordnungen, fryheiten vnnd vfffagungen, innhalt der gemelten 
verſchrybungen, vns vnd den von Pfortzheym mit guot noch nützlich 
werent, das mir dann ſollichs gang vnnd gar wibderumb abtuon 
onnd vfiheben” ꝛc. An die Stelle diefer proviforiichen Stabtordnung 
trat no vor Umfluß genannter 6 Jahre eine definitive „Ordnung und 
Polizei”, welche Markgraf Ehriftoph der Stadt am Montag nad) Neu: 
jahr 1491 ertheilte, und welde in der Hauptfache mit ber erften „Orb: 
nung und Freiheit” von 1486 übereinftimmte, in Manchem aber auch 
Beränderungen eintreten ließ, welche fid) durch die gemachten Erfahrungen 
als eine Nothwendigkeit herauggeftellt hatten, 

Im Allgemeinen enthielten die von Markgraf Chriftoph ertheilten 
Städteorbnungen eine Menge theils gemeinfamer, theils befonderer, den 
Dertlichkeiten der betreffenden Städte angepaßter Beftimmungen, welche 
unmittelbar auf Förderung der Freiheit, Sicherheit, Ruhe und Gedeih— 
Vichkeit ihrer Bewohner berechnet waren, Dody darf nicht überfehen mer: 
den, daß fie auch eine Vermehrung der fürftlichen Einnahmen bezwedten, 
indem fie die direften Steuern aufboben und dafür die Verbrauchsacciſe 
einführten, welche weit mehr abwarf, da ihr die Geiftlichkeit, der Adel 
und die herrichaftlichen Diener, wenn auch theilweife unter etwas ver: 
änderten Beftimmungen, ebenfo unterlagen, wie die Bürger. (In einer 
Woche Oftobers 1486 gingen beifpielweije in Pforzheim ein an Salzgeld, 
Weinungeld, Fleifhungeld, Fruchtungeld und Gtättgeld beinahe 57 Pfb. 
Pfennig oder gegen 300 Gulden, was jährlih an 15000 fl. machte, — 
eine bedeutende Summe für jene Zeit.) 1) Die gleihmäßiger ver: 
theilte Steuerpfliht mußte aber wohlthätig auf das ftädtifche Leben wirken 
und vermöglidhe Fremde berbeiziehen, wodurd Gewerbe; Handel und 
Wandel nur gewinnen konnten. So mußten ſich bald die Stadtbriefe 
als eine Einrichtung bewähren, welche allfeitig von den fegensreicdhiten 
Folgen begleitet war, 2) 

Der „Ordnung und Polizei” folgte für Pforzheim nad und nach, 





1) Stadtordnung von 1486 im Lanbesardiv, 
®) Bergl. Babers (neue) Badenia, J., 68. 


Elfles Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500, 215 


— nicht auf ein Mal, fondern wie ſich unter Zugrundlegung derfelben 
das Bedürfniß dazu ergab — eine Menge anderer „Ordnungen,“ durch 
"welche das Ortsregiment, das Gewerbswefen ꝛc. zeitgemäß geregelt wurden. 
Diele derfelben wurden aus früherer Zeit beibehalten, andere neu ge: 
geben, zum Theil noch von Markgraf Chriſtoph felber, zum Theil von 
und unter feinen nächſten Nachfolgern, und fpäter nach Bedürfniß ergänzt 
und verändert. Alle aber bildeten ein ineinandergreifendes Ganzes, das 
ung über die innen Verhältniſſe der Stadt, wie ſich diefelben zu Ende 
bes 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts geftalteten, die interefian- 
teften Auffchlüffe ertheilt und darum bier ausführlicher befprocdhen wer: 
den muß. Ehe ich es jedoch verfuche, ein Bild diefer Verhältniſſe zu 
entwerfen, müffen einige Bemerkungen vorausgeſchickt werden. Die wid): 
tigfte der erwähnten „Ordmungen”, nämlich die „neue Ordnung und 
Bolizei” von 1491, ift noch im Original vorhanden und zwar im ftäd- 
tifchen Archiv. Es ift ein ehrmwürdiges Dokument, aus 8 zufammenge: 
befteten Pergamentblättern beftehend, wovon 6 befchrieben find und 2 den 
Umfchlag bilden. An der durcigezogenen roth: und gelbfeidenen Schnur 
hängen die Siegel des Markgrafen und der Stadt Pforzheim. (Letzteres 
ift das ſchon ©. 79 beichriebene). 1) Bon den übrigen „Ordnungen“ 
find bloß Kopien vorhanden, die in ein Bud) 2) gefammelt find. Sie 
alle ausführlich mitzutheilen, wäre zu umſtändlich und würde allzu viel 
Raum in Anfprudy nehmen. Ich werde ftatt defien verfuchen, dem 
weſentlichen Inhalt derfelben in einem Gefammtbild darzuftellen und 
diefem, wie es gerade nöthig ift, einzelne Stellen aus jenen Ordnungen 
ausführlicher einzufchalten. Die Schwierigkeit diefes Gefhäfts dürfte etwaige 
Mängel in der fachlichen VBolftändigkeit entichuldigen. Die Stadtordnung 
von 1491 felber aber möge zuerft ganz folgen. 


1) Außerdem find im flädtifhen Archiv 3 Kopien davon, eine von 1517, 
eine zweite von 1693 und eine britte von 1716, ine größere Anzahl von 
Abſchriften befindet fi im Landesarchiv bei jpätern Alten, namentlid ben- 
jenigen, welde den zu Anfang bes 18. Jahrhunderts ausgebrodenen Privis 
legienftreit betreffen. 

*) Dasjelbe bildet einen ftarken Folianten von 339 beichriebenen Blättern, 
und icheint gegen Ende des 17. Jahrhunderts vom bamaligen Stabtichreiber 
Boch angelegt worden zu fein. Die Aufeinanderfolge der Einträge ift durchaus 
feine chronologiſche, fondern es berricht darin die größte Willfür, was aud bie 
Ueberfiht jehr erichwert, 


216 Elftes Kapitel. Stadtverfafjung von 1500, 


Derer von Pforzheim neue Ordnung und Polizei. !) 
A. Einleitung. 


Wir Chriftoph, von Gottes Gnaden Markgraf zu Baden ꝛc. und 
Graf zu Sponheim, befenmen öffentlich mit diefem Brief und thun fund 
allen denen, die ihn immer anjehen, lefen oder hören leſen: Nachdem 
wir aus angeborner fürftliher Natur geneigt und begierig find, den 
Unfern, die ſich täglich gegen uns gehorſamlich erzeigen und halten, ung 
auch mit Willen und Treuen dienen, ſolche unfere Hilfe und Gnade 
guädiglich mitzutheilen, durch die fie mit Förderung des gemeinen Nutzens 
an Ehre und Gut mögen zu Aufgang kommen: darum, und fo bie 
ebrfamen unfere lieben und getreuen Bürgermeiiter, Gericht, Rath und 
Gemeinde unferer Stadt Pforzheim fich gegen unſere Vordern löblicher 
Gedächtniß und ung allweaher, zu Schimpf und zu Emit, mit getreuen 
Darftreden, Hilfe und Steuer gehorfamlicdy erzeigt, willig und wohl ge: 
halten haben, und dergleichen biefür auch thun follen uns, allen unfern 
Erben und Nachkommen, die Markgrafen zu Baden, und der Stadt 
Pforzheim regierende Herren zu fein geordnet werden, und dann aud) 
bedenken, wiewohl die gemeldte unfere Stadt Pforzheim mit fammt 
der Altenftadt und den Norftädten daran in unferm Fürftenthbum der 
Markgrafihaft ein merklich Glied, und zum Handel und Wandel am 
Beften gelegen: fo ift fie doch bisher nicht höher, denn andere unfere 
Städte in der gemeldten unferer Markgrafſchaft, gefreit, und lange Zeit 
mehr zum Ab- denn Aufgang gerichtet geweſen. Solches auf befjern 
Weg zu bringen, han wir aus ehgemeldter fürftlicher Mildigfeit und 
fonders gnädigen Willens, fo wir zu der gemeldten unferer Stadt Pforz- 
beim und ihren Einwohnern tragen, mit guter VBorbetrahtung und nad) 
unferer Freunde und Räthe gepflogenem zeitigem Gutbedünken und Mathe 
die Obgemeldten von Pforzheim etwas mehr und weiter wollen freien, 
Bolizeien und Ordnungen geben, durch die in künftigen Zeiten biefelbe 
unfere Stadt von ihr ſelbſt gebefjert und zu mehrerer Achtung, Bau 
und unzergänglichem Weſen gehalten und gehandhabt, dieſelben Einwohner 


1) Dies beſſern Verſtändniſſes wegen iſt die Urkunde in heut zu Tage übli— 
cher Orthographie und Interpunktion mitgetheilt. Die einzelnen Paragraphen, 
die im Original bloß durch etwas größere Schrift der erſten Worte angedeutet 
ſind, wurden hier nummerirt, mit Ueberſchriften verſehen und der leichtern 
Ueberſicht wegen unter vier Hauptrubrilen gebracht. 


Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500, 27 


auch an Ehren und Gut zunehmen und Anbere von auswendigen Orten 
deſto mehr gereizt und hinein zu ziehen begierig werden mögen, inſon— 
derheit fo Alle, die jetzund da wohnen oder hinfür dahin ziehen, mit 
ihren Nahrungen in allerlei Werbungen frei und unverborgen bdafelbit 
dar und dannen bandthieren, üben, braucen und "handeln mögen zu 
ihrem Beten; freiem und geben auch jetund den genannten Einwoh— 
nern zu Pforzheim, in der Altenftadt und den Vorftädten daran, gegen 
wärtigen und künftigen, ihren Erben und Nachfommen, eine neue Freiung, 
Ordnung, Satung und Polizei für uns, alle unfere Erben und Nach— 
tommen Markgrafen zu Baden, wiffentli und unwiderruflich in Kraft 
diefes Briefes, als wir denn Solches von eigener Macht wohl thun 
mögen und biemit gethan haben wollen, Alles in der förmlichſten Weiſe, 
wie das in⸗ und außerhalb der Rechte und Gewohnheiten am kräftigſten 
und bejtendlichften fein fol, fann und mag, inmaßen und tie von 
Punkten zu Punften hernach eigentlich gefchrieben ſteht. 


B. Ordnung, 


4. (Steuer: und Frobndfreiheit.) Zum Erftn fo haben 
wir fie frei gemacht und gejegt und freien fie auch williglih und wohl 
bedachtlich durch Kraft diefes Briefes alio, daß fie auch alle ihre Nach⸗ 
kommen in derſelben unſrer Stadt Pforzheim, auch in der Altenſtadt 
und in den Vorſtädten, nun fürbaß mehr aller Bete, Schatzung, Steuer 
Frohndienſt, Landſchadens, Führung und aller Beſchwerniß, nicht auege 
nommen, in künftigen Zeiten und Tagen ewiglich ganz frei, ledig, unbe— 
tkümmert und ungedrängt ſein und bleiben, ſondern das Alles nicht mehr 
geben ober thun, wir aud, ihmen Soldyes nicht mehr auffegen oder zus 
mutben , noch das von unfern Wegen fchaffen oder geftatten follen noch 
wollen in keiner Weiſe weiter, denn wie nachfolgt. 

2. Gerſönliche Freiheit.) Weiter haben wir fie auch gefreiet, 
daß wir, noch unfere Erben oder Nachkommen, nod Jemand von unfern 
Wegen keinen Bürger oder Einwohner unfrer Stadt Pforzheim, aud 
in der Altenftadt und Vorftädten, nun und hernachmals an ihren Leibern 
oder Gütern nicht anders, denn zu Recht angreifen und faben, fie auch 
mit Thürmen oder Blöden, 1) noch Soldyes zu geihehen ſchaffen follen, 

) An den Fußblod einichließen, Der Gefangene mußte figen nnd feine 
Füße ausftreden, die zwiſchen zwei durchlöcherte Balken eingeißglofien wurben. 


218 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 


noch wollen, e8 ſei denn vorhin durch unfer Gericht dafelbit zu Pforzheim 
mit Recht erfannt, — ausgejchieden, 1) ob es wäre, daß derfelbe Bürger 
oder Einwohner zu Pforzheim um feine Verhandlungen nicht Bürgen 
hätte oder für ſich felber an feinem eigenen Gut nicht vermöchte, dafelbft 
dem Rechte nachzukommen und genug zu tbun, und dann Bürgermeifter 
und Rath zu Pforzheim fich des: oder derfelben auch nicht wollten an- 
nehmen, uns, oder an unfrer Statt unferen Amtleuten oder Schultheigen 
zu Pforzheim, den- oder diefelben auf unfer Gefinnen zurücdhalten und 
handhaben, als wir ihnen hierin zu thun Macht geben: alsdann fo 
mögen biefelben unfere, unferer Erben und Nachkommen Amtleute oder 
Schultheißen, fo je zu Zeiten fein werden, den: oder diefelben im Thurm 
oder fonft behalten, damit man des Nechten von ihnen fidher fein und 
befommen möge. Doch in allmeg ausgenommen, ob die That oder der 
Mißhandel den Leib oder das Leben berührte; um Solches mögen wir, 
unfere Erben und Nachkommen den: oder dieſelben mit Recht und nicht 
weiter ftrafen laſſen. 

3. (Strafreht über die fürftlihen Diener) Wir haben 
ung doch infonderheit vorbehalten, unfere Amtleute, Diener und Knechte 
zu Pforzheim zu jedem Mal um ihre Händel ihres Amtes halber im 
Thurm und fonft zu ftrafen, wie wir das bisher dafelbit zu Pforzheim 
und in andern unjern Gebieten zu thun Macht ban. 

4. (Freizügigkeit) Wir geben, gönnen und erlauben auch 
biemit den genannten unfern Bürgern und Einwohnern und allen ihren 
Nachkommen der vorgenannten unſern Stadt und den Vorſtädten einen 
freien Zug, alfo daß fie mit ihren Leibern und allen ihren Gütern aus 
und ein mögen ziehen, fahren, wohnen und kommen, wann und wohin 
einem Jeglichen, er fei reich oder arm, je zu Zeiten füglich eben und 
gelegen wäre, Doch daß derfelbe, der alfo von Pforzheim ziehen wollte, 
dies thue mit Wiffen eines Schultheißen bdafelbit, und daß er fich zuvor 
mit allen feinen Schulönern vertrage. Und ob fi Icht 2) in Zeit feines 
Weſens dafelbft begeben hätte, darum foll er dem Schultheißen Ber: 
ſprechniß thun, daß Solches mit Recht zu Pforzheim, und nirgends 
andersmo gerechtfertigt und ohne ferneres Ziehen ausgetragen werde, 
und darauf auf Stund nad folder Verfprechniß feiner vorgethanen 
Pflicht, desgleichen feines Leibes und Gutes ganz unverhindert ledig fein. 


!) ausgenommen. *) Etwas, 


Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 219 


Eie mögen auch in- oder außerhalb der Stadt Pforzheim und außer 
unferm Fürſtenthum der Markgrafihaft Baden an fremdem Ende, 
wohin und warn fie wollen, mannen und weiben !) dazu mit ihrem Gut, 
liegendem und fahrenden, werben und handeln, das verfegen, verkaufen, 
verändern, fich jelbft damit verfehen und in allweg damit gefahren, 2) 
thun und laflen, wie einem Jeden zu jeder Zeit allergefälligft und nütz— 
Kichft ift und fein mag, ohne Irrung, Eintrag und Hinderniß unfer, 
unferer Erben und Nachkommen und Männiglihs von unfern Wegen. 
Es foll und mag auch ein jeglicher unfer Bürger und Einwohner zu 
Pforzheim fein Gewerbe mit Gewahr aus und ein und zu Pforzheim 
treiben und führen, und einem jeden davon Lie Stadt mit Ein= und 
Ausfahren ganz offen fein, e8 wäre denn, daß feiner Gewahr in der 
Stadt bedürflich und noth wäre. 

5. (Gemeindsgut und Nutungen.) Wir erneuern und be 
ftätigen auch für uns, unfere Erben und Nachkommen in Kraft diefes 
Briefs den genannten Bürgermeijter, Gericht, Rath und ganzer Ge: 
meinde zu Pforzheim, auch in der Altenftadt und den Worftädten und 
ihren Nachkommen, alle ihre Almenden, Wälder, Waſſer, Wonn, Waide, 
Zwing und Bänn, befonders auch ihre Almend und Kallhartwälder ber: 
maßen, daß fie die Dehmen 3) von denjelben beiden Wäldern einen jeg: 
lichen Fünftigen Jahres nußen und nießen follen und mögen. Doch 
follen fie eines jeglichen Jahres, fo die Eder tragen, um ſolche Nutzung 
und Nießung ung und unfern Erben ein Pfund Pfennig zu Belenntniß 
unfrer fürftlihen Obrigkeit geben und ausrichten. Darnach fo erneuern 
und betätigen wir aud fir ung, unfere Erben und Nachkommen ihnen 
und ihren Nachkommen alle ihre Rechte und Freiheiten, gönnen und 
laſſen ihnen auch dazu ihre Gefälle, Weggeld, Meßgeld, Waggeld, Kauf: 
haus, Stättgeld darauf, Nathhaus, Zwingelf, 2) Stadtgraben, Ziegel: 
bütten, Waltmühle, Schleifmühlen, Fiichenzen, 5) Waſchhäuſer, und aud) 
die Rügungen der Mebger, Bäder und Müller, Felder und Wälder, 
ob und wie fie das Alles und Jedes bejonders bei weiland unfern 
Bordern und Voreltern löblicher Gedächtniß und ung bis auf beut 


+) Einen Mann oder ein Weib nehmen, *) verfahren. *) Waldertrag 
bezüglich der Eichelmaft oder des Eckerichs. +) Zwinger, der Zwiſchenraum 
zwiſchen der kleinen äußern und der größern innern Stadtmauer. 5) Fiſchwaſſer, 


Fiſchrecht. 


220 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500, 


Datum diefer Ordnung mit Briefen oder fonft hergebracht und noch 
haben, fie dabei bleiben zu laſſen, aljo daß fie das alles Jetztgemeldete 
binfür ausrichten, befeßen und entjegen, und zum Beften und Nüslichiten 
zu allermalen verhandeln follen und mögen, Und um daß Solches 
nah Nubß und füglicd geichehen und gehandelt werden möge, jo follen 
fie zu jeder Zeit, fo fie defhalb Ordnung machen wollen, unſern Schult- 
heißen dazu berufen, und wo demjelben nichts Beſſeres, benn ihre Auflag 
oder Fürnehmen wäre, bedünfen wollte, fo ſoll er Macht haben, Soldyes 
aufzuhalten, weitern unfern Rath darunter zu haben, 

6. (Deffentlihe Ruhe) tem fürder, fo haben wir geordnet, 
ob oder wann es ſich füge, daß ziween Bürger oder Einwohner uneins 
würden und dem Schultheigen deßhalb Klage käme, fo mag er jeder 
Partei gebieten unfern Frieden bei zehn Pfund Pfennigen. Ober fo, 
zween auf der Gaſſe, oder wo das wäre, in Gezänk oder Hader kümen 
fo ſollen ein Schultheiß, Bürgermeijter, ein jeder Richter oder Gebüttel, 
die das jehen oder hören, denfelben auch unfern Frieden gebieten bei 
fünf Pfund Pfennigen; und welcher dann über jold Gebot dem Andern 
Schmach, Schande oder Schaden zufügen würde oder zu gefchehen 
ſchüfe, es wäre mit Worten oder Werfen, derjelbe brüchige Theil fol 
dann folcher obgemeldten Poen, 1) bei der daun einem “eben Frieden 
geboten wäre, verfallen fein, davon uns drei Theile und der Stadt das 
vierte zufteben foll. 

7. Qlusnabme der berrfhaftliden Rechte.) Doch fo 
haben wir uns, unfern Erben und Nachkommen, Markgrafen zu Baden, 
in. dieſer vorgefchriebenen Freiung namentlich vorbehalten unfere fürftliche 
Obrigkeit und Herrlichkeit, Geleit und Wildbänne, Gebot und Verbot, 
dazu alle unfere Gülten, Zinfe, Renten und Gefälle, wie und wovon 
ung die bisher zu Pforzheim in der Stadt, der Altenjtadbt und Vor: 
jtädten gefallen, eingebracht und verrechnet find, oder hinfür zuftehen 
würden, cs ſei von Hänfern, Hofftätten, Mühlen, Aeckern, Wiefen, 
Gärten, Wafjern, Wäldern, Feldern, Dehmen, Zöllen, Freveln, Unrechten, 
Einungen, Bußen, Metzelbänken, Brodbänten u, A., wie foldes Alles 
auf ung kommen, und wir es bisher ingehabt, und nad) laut unjerer 
Zinsbücher durch unfere Amtleute, Keller und Knechte haben einbringen 


ı) Strafe. 


Elftes Kapitel. Stadtverfafjung von 1500, 24 


laſſen, genützt und genofjen, und gemeinlich alles das, fo unfrer Obrig- 
keit anhängig, und durch weiland unfre Vordern feliger Gedächtnig und 
ung über das, jo wir den Unfern von Pforzheim, wie vor und nad in 
diefem Brief begriffen und mit ausgebrüdten Worten gefebt und beftimmt 
ift, zugeftellt, dafelbft zu Pforzheim hergebradht und bisher gebraucht und 
inne gehabt haben, gar nichts ausgenommen, 

8. (Kriegsfteuer und Kriegspflidten) Wir haben ung 
and) ausgedungen, wäre ‚es Sad, 1) daß wir, oder unfere Nachkommen, 
Markgrafen zu Baden, einer oder mehrere, der dann unferer Stadt Pforz⸗ 
beim rechter Kürft oder regierender Herr wäre, gegen Jemand nieder- 
legen 2) oder gefangen würden, davor Gott der Allmächtige uns allzeit 
behüten wolle, daß wir dann nach Gelegenheit der Sache von den Un: 
fern won Pforzheim in der Stadt, aud) in der Altenftadt und in den 
Vorftädten eine ziemliche Steuer und Schatzung fordern, auffegen und 
nehmen mögen, fie audy fchuldig und pflichtig fein follen, die zu geben, 
in der Summe und Maſſe ungefähr, als fie von andern eigenen Leuten 
unfers Fürſtenthums aufgefett, gebeifchen und genommen würde; und 
ſoll doch darnach, fo oft das geichebe, diefe unfere Freiheit gleichwohl 
ungefhwächt, fondern allweg zu ihren Kräften bleiben, gehalten und 
dadurch nicht überfahren fein, noch werden. Die von Pforzheim follen 
auch im allen Kriegsgefihäften ung mit aller Hilf gehorfam fein und 
bfeiben, wie andere uniere Lande und Leute, ungefährlich ; desgleichen mit 
Stallungen zu Schimpf 3) und zu Ernſt, die zugurüften nad unjern 
Geboten und Gelegenheit der Sache gehorfam fein, Dazu, ob ober 
wann einiger Zugriff, Beichädigung oder andere Aufruhren in unſrer 
Markgrafichaft geſchehen, und gemeinlich fo dick unfere Amtleute fie zu 
Zeiten Noth bedünken und die Unfern von Pforzheim deshalb von ihnen 
oder ihretwegen ermahnt würden, daß fie dann nacheilen, retten und 
helfen follen nady allem ihrem Vermögen, wie andere die Unfern dag 
zu thun auch ſchuldig find, 

9. (Fürſtliche Schulden.) Ob auch wir, unfere Erben und 
Nachkommen hiefür einigerlei Hauptguts zu vergulten aufnehmen ) und 
die von Pforzheim, ſammthaft oder ſonderlich, 5) mit und zu uns oder 


*) Wenn es geſchehen ſollte. *) unterliegen. ?) Bei Feierlichkeiten, = 
Aufzügen, Turnieren x, 4) Ein verzinsliches Kapital aufnehmen. ®) mi 
andern Städten zufammen, ober für fid allein, 


239 Elftes Kapitel. Stadtverfaifung von 1500, 


ohne ung für ſich jelbit, zu Bürgen und Mitſchuldnern geben und ſetzen 
würden, da jollen fie auf unfere Schadloshriefe, jo wir ihnen bie in 
ziemlicher Form zuſchicken und geben laſſen, allmeg auch gehorfam fein, 
zu thun ohne Widerrede. 

10. (Berbindungen.) Es follen aud) die obgenannten Bürger: 
meifter , Gericht, Nath und Gemeinde noh Einwohner, fammthaft noch 
fonderlich, unter ihnen felber noch mit jemand Anderm feinerlei Bündniß 
machen, zufammen verichreiben, geloben, ſchwören noch verheißen ohne 
unfer, unferer Erben und Nachkommen Wiffen und Willen, 

11. (Gerihtswefen) Es joll auch hinfür unfer Gerichtsſtab 
zu Pforzheim gehalten und gehandhabt werden durch unfere Amtleute 
und Schultheißen, jo wir jederzeit zu Pforzheim haben, nad) laut der 
Drdnungen, die wir ihnen zu allen Malen geben werden, mit aufgefeßten 
ztemlichen und billigen Poenen darin begriffen, zu Handhabung desſelben 
unferes Stabs. Dod fol diefelbe Amtsordnung den Punkten, hierin 
ausgedrückt, denen von Pforzheim feinen Abbruch bringen. Diefelben 
Gebote und Poenen follen auch alle von unferm Schultheigen und Amt: 
mann aufbewahrt, ung und unfern Erben drei Theile, und der Stadt 
Pforzheim und aud) ihren Nadyfommen der vierte Theil zur Beſſerung der 
Stadt folgen und werden, Ob aber wäre, daß Einer ſolche Poene 
nicht zu geben hätte, den mögen wir aus ber Stadt verbannen; doch 
ausgeſchieden unſer Geleit, Wildbänne und hohe Obrigkeit, mögen wir 
mit Geboten und Strafen verbieten und halten nach unferm Gefallen. 

12. (Stadtwade.) tem, wenn Thurmknechte, Wächter und 
Thorwarte von der Stadt beſtellt und gedingt werden, das foll ge: 
ſchehen im Beifein unferes Schultheißen an unferer Statt, demfelben fie 
auch von unjern Wegen zuvorderft follen geloben und ſchwören und 
darnach der Stadt, wie fi) denn einem Jeglichen nach Gelegenheit feines 
Dienftes zu ſchwören gebührt, 

13, (Thorſchluß.) tem, die Schlüffel zu allen Thoren unferer 
Stadt Pforzheim ſoll haben unfer Schultheiß, und es mit Auf und 
Zufcließen derfelben Thore Tag und Nachts halten nad) unferm Beſcheib. 

14. (Bürgerannahme) tem, ein jeglicher Fremder, der gen 
Pforzheim ziehen will, foll von unferm Schultheißen angenonımen werben 
und geben einen Schilling Pfennig der Etadt, einen Schilling Pfennig 
dem Schultheißen und einen Schilling Pfennig den Gebütteln, 


Eiftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500, 293 


Und um daß den genannten Bürgermeifter, Gericht, Rath und 
Gemeinde und Einwohnern unferer Stadt Pforzheim mit fanımt ber 
Atenjtadt und den Vorſtädten und ihren Nachkommen diefe vorgefchrie- 
bene unfere Freiung und Begnadigung deſto fruchtbarlicher und ftattlicher 
erichiegen und ihnen zum Aufgang und Nuten, als es denn in ung aus 
ehrbaren und nothdürftigen Urfachen gemeint und angefehen ift, dienen 
möge: fo haben wir geießt und geordnet diefe nachgejchriebene Polizei, 
dinfür von ihnen gehalten zu werden, 

15. (Mehlaccie.) Zum Griten, daß ein jeglicher Bürger oder 
Einwohner, geiftlih und weltlih, auch ein jeglicher Bäder und Müller, 
Niemand ausgenommen, zu Pforzheim, der Altenftadt und den Vorftädten 
von allen Früchten, die er zur Mühle thut und zu Brod verbaden läßt 
ober jelber verbadt, zu rechtem Ungeld geben foll, nämlih von einem 
jeden Malter Kernen zwölf Piennig, von jedem Malter Roggen 
neun Pfennig, von jedem Malter Dinkel ſechs Pfennig und von jedem 
Malter Gerfte, die geftampft *) oder gegerbt würde, drei Pfennig. Und 
ob des etwas mehr oder minder ungerad wäre, darnach von jedem 
Simri Kernen anderthalb Pfennig und von einem ungeraden Simri 
Roggen auch anderthalb Pfennig, von "zwei Simri Roggen dritthalb 
Pfennig, von einem ungeraden Sinwi Dinkel einen Pfennig, oder von 
zwei Simri Dinkel anderthalb Pfennig und von einem jeden ungeraden 
Simri Gerfte einen halben Pfennig. 

16. Beeidigung des Mühlgefindes auf die Xccife.) 
Item, kein Müller, jeine Hausfrau, Knechte, Mägde, Kinder noch Ges 
finde follen bei ihrem Eide, fo fie deshalb jährlich und zu jedem Geding 
oder Eingeng eines neuen Geſindes ſonderlich ſchwören werden, keinem 
Bürger noch Einwohner zu Pforzheim keinerlei Frucht, weder Kernen, 
Roggen oder Dinkel zu mahlen noch keinerlei Gerſte zu ſtampfen oder 
zu gerben auf die Mühle ſchütten, ſie haben denn zuvor dagegen die 
Wortzeichen 2) von dem, des die Frucht iſt, in ihren Händen und Gewalt. 


#) gerollt. 2) Wortzeichen waren die Wahrs oder Beweiszeichen für ben 
bezahlten Accis. Cie beftanden in Pforzheim in runden Blechftüden von ber 
Größe eines halben Guldens, auf denen mit Buchftaben und Zahlen ber Name 
der Mühle, fowie die Menge und Gattung ber zu mahlenden Frucht angegeben 
war, Später traten Zettel an deren Stelle. 


294 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500. 


17. (Desgleihen der Bäder) tem und desgleichen fo foll 
der Bäder feinem Bürger nod) Einwohner zu Pforzheim, der Altenftadt 
und den Vorftädten, geiftlichen noch weltlichen, noch auch feinem Müller 
oder ihm ſelber, — denn die Müller und Bäder gleicher Weife mie 
Andere hierin auch begriffen fein jollen, — feine Frucht oder Mehl zu 
Brod baden, er babe denn zuvor auch die Mortzeichen, deshalb erlöst, 
in jenen Händen und Gewalt. Es ſoll aud Fein Bürger noch Ein: 
wohner, geiſtlich noch weltlih, noch ihr Gefinde Fein fremd Mehl kaufen, 
und ob Jemand anders, dem die Bäder, ihm ſelbſt baden wollte, ber 
fol doch fein Brod davon verkaufen. - 

‚18 (Mehlverkauf.) Auch fol kein Müller einer Perſon auf 
einmal mehr denn ein men!) Mebls verkaufen oder zu Kauf geben, 
aber wie did?) eine oder mehrere Perfonen kommen und Mehl be- 
gehren zu Kaufen, fo mag er& ihnen geben und fein Mal mehr denn 
ein men, Ä 

19. Weinihant) Zum Andern, den Weinſchank betreffend, 
ordnen und fegen wir: Welcher Bürger oder Einwohner, geiftlih oder 
weltlih, Niemand ausgenommen, zu Pforzheim, in der Altenftadt und 
den Vorſtädten Mein ſchenken will, der ſoll Kein Faß zu verſchenken 
antechen, es fei denn zuvor von den Geſchworenen verfiegelt, Wann 
auch ein Faß, alfo verfiegelt, zu ſchenken angeftochen würde, fo fell es 
ganz verungeldet und von jeder Ohm 8 Maag Weins in Geld ge: 
geben werden, 

20. (Weinacceis) tem, weldyer Bürger oder Eimvohner zu 
Pforzheim, der Altenftadt und den Vorftädten Wein einlegen will, der 
joU von dem, fo er in feinem Haus vertrinkt, zu Ungeld geben von jeder 
Ohm 6 Piennig. 

21, (Fleiſchaecis.) Zum Dritten, das Fleiſch betreffend, ordnen 
wir, daß ein jeder Metger von einem jeden Zentner Fleiſch won Rin— 
dern, Ochſen, Kühen, Kälbern und Schweinen, das fie metzgen und 
verfaufen, 18 Pfennig zu rechtem Ungeld geben foll; und ob des etwas 
minder oder ungerad wäre, fo geben je fünf Pfund 1 Pfennig, und wie 
ſich des nach Markzahl je zu Zeiten begibt und gebührt. — tem, von 
einem jeglichen Milchkalb fol man geben zu Ungeld 5 Pfennig, — 
stem, ob auch ein Bürger oder Einwohner, geiſtlich oder weltlich, zu 





) Imi, der vierte Theil eines Simris, *) oft. 


Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500, 225 


Pforzheim in feinem Haus einigerlei Vieh, was das wäre, nichts ang: 
genommen, mebgen laſſen wollte, daven fell er zu Ungeld geben und 
thun, mie vorfteht, gleicher Weiſe der Mebger davon geben und thun 
muß. Ausgenommen jeglicher Hanshabe ") follen ungeldfrei fein eines 
jegliches Jahres die allererften zwei Schweine und nicht mehr, fo fie in 
den Häufern metzgen nnd brauchen; die fibrigen Schweine alle, die ein 
Jeder desſelben Jahres metzgen laffen würde, foll er vwerungelden mie 
anderes Fleiſch, und alfo von jedem Zentner 18 Pfennig geben, und 
allweg fo foll ein jegliches Jahr damit an- und ausgeben auf St. Mar- 
tins Tag. Und doch vorbehalten die Priejterichaft und den Adel, die 
jegt zu Pforzheim find und künftiglich dabin ziehen: wie wir Markgraf 
Chriſtoph oder unfere Erben diefelben des Ungelds halb halten und 
lafjen werden, dabei foll e8 bleiben, und wie fie alfo von ung gelafien, 
davon foll denen von Pforzheim ihr Viertheil werden, wie von Anderm. 

22. (Salzverkauf.) Zum Bierten ordnen wir, daß binfür der 
Salztauf zu Pforzheim uns Markgraf Chriſtoph, unfern Erben und 
Nachkommen und der Stadt zuftehen und bleiben, alſo daß Niemand 
dafelbft oder außerhalb in der Altenftadt und den Vorftädten, geiftlich 
noch weltlih, bei Poene Leibs und Guts in feinem Haus feinerlei Salz, 
wober ihm das kommen möchte, brauchen foll, ev babe denn dasſelbe Salz 
von der Stadt erfauft. Und ob wohl etliche Bürger oder Einwohner 
zu Pforzheim mit Salz werben ?) wollten oder würden, fo follen fie doch 
davon in ihren Häufern bei vorgefchriebener Poene ganz nichts verbrauchen, 
no ihr Gefinde davon brauchen laſſen. Ob aber Eines Hausfrau 
oder Gefinde das thäten, die follen auch alfo, wie vorfteht, geftraft wer— 
den und das obgemeldte der Stadt Salz von ber Stadt zum Nützlichſten 
gekauft und verkauft werden mit ziemlichem beicheidenem Gewinne. Der: 
ſelbe Gewinn foll auch zu Ungeld gegeben und verrechnet werden. 

233. (Strafe der Uebertreter.) Welder Bürger oder Ein: 
wohner , wer der wäre, Niemand ausgenommen, durch fich felbft, feine 
Hausfrau, Kinder oder Gefinde an obgefchriebenen Ordnungen und Une 
gelden, es wäre von Brod, Fleiſch, Wein, Salz oder Anderem, Acht ver: 
halten oder verichlagen würde, der: oder diefelben follen darum geftraft 
werden an Leib und an Gut, alſo, daß ein Jeder, welcher das von dem 
Andern gejehen oder wiſſens hätte, bei feinem Eid unſerm Vogt oder 


1) Haushaltung. 2) handeln. 
Pflüger, Pforzheim. 15 


2296 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 


Schultheißen zu Pforzheim anf Stund anbringen, diefelben denn mit 
fammt dem Bürgermeifter gegen dem- ober denſelben ftrad die Strafe 
an Leib und Gut vornehmen und auffegen follen nad) der Verſchuldigung. 

24, GBeſchränkung der Unterkäufe) Item alle Unter: 
käufe follen hinfür aufzuheben, durch unfre Bürger zu Pforzheim, Ge: 
riht, Rath und ihre Nachkommen beftellt und verjehen, und alſo zus 
fammt dem Stättgeld, fo fürder auf dem Markt zu Pforzheim wird 
fallen, in unfere Theilung wie von anderm Ungeld, als vorjtehet, gegeben 
und gelegt werden. 

25. (PfundzolL)t) Alter Pfundzoll von Gewerbe und Kauf: 
mannſchaft allerhand Gewaare foll fürohin gemindert fein, und von 
jedem Gulden nicht mehr denn ein Pfennig gegeben werden. Doc uns 
ergriffen den Landzoll; derſelbe Pfundzoll und Landzoll fol uns, unfern 
Erben und Nachkommen allein zuftehen und bleiben wie von Alters ber. 

26. (Grund: und Kapitalfteuer der Ausmärker.) tem, 
was Ausleute, fie jeien geiftlih oder weltlich, Güter zu Pforzheim haben 
ober überfommen werden, die von Alters her nicht gefreiet find, es feien 
Pfennig, Gülten, Häufer, Aeder, Weingärten, Wiefen, Gärten oder 
Anderes in der Bet Hertommen, auch die folhe Güter felber nicht be— 
figen, ſoll ziemliche Bet gejeßt und von ihnen gegeben werben. 

27. (Geldwedjel.) Item es fol aud ein Gold- und Geld: 
wechfel zu Pforzheim aufgerichtet und allweg von einem Schultheißen 
mit fammt dem Bürgermeifter zum KHöchiten verliehen werben. 

28, Berrehnung, Vertheilung und Verwendung der 
Steuergefälle; Beftellung der Steuerbeamten) Das ob: 
gefchriebene Ungeld alles, von Frucht, Brod, Wein, Salz, Fleiſch mit 
ber Ausbet, jol durch die Schreiber und Knechte, die man dazu ordnet, 
getreulih aufgehoben, eingefanmelt und alle Jahre auf eine beftimmte 
Zeit ung Markgraf Chriftoph, unfern Erben und Nachkommen Mark: 
grafen, oder unfern Näthen , die wir zu allen Malen an unferer Statt 
dazu ordnen und ſchicken, vor Bürgermeifter, Gericht und Rath, auch 
einer Anzahl der Gemeinde, von denen von Pforzheim dazu gemählt, 
dafelbft zu Pforzheim Einnehmens und Ausgebens ehrbarlich verrechnet 
und in 4 Xheile getheilt werden, Davon follen wir aufheben und 
nehmen 3 Theile, und die von Pforzheim den übrigen 4. Theil. Mit 





) Raufaccis von Waaren. 


Eiftes Kapitel. Stadtorrfaffung von 1500, 227 


demfelben 4. Theil follen fie in gutem, gebührlichem Ban, Beflerung 
und billigem Weſen unzergänglic halten und handhaben und davon 
verloßnen der Stadt Graben, Zwingelf, Mauern, Thore, Thürme, 
Brüden, Wege, Stege, Strafen und andere der Stadt Bann und 
Zugehörde, dazu alle Wachten, Huten , nichts ausgenommen; dann das 
Schloß, Frohndienſt umd andere ihre anliegende Nothdurft, und ſich ſelbſt, 
noch feinen Einwohner, zu keinem Wege ferner beſchweren, noch drängen, 
Aber den Knechten und Sammlern obgejchriebenen Gefälls alles follen 
wir, unfere Erben und Nachkommen nad Anzahl unjerer aufgehobenen 
3 Theile allweg geben umd ausrichten 3 Theile an ihrem Lohn, darum 
fie werben gedingt, und die von Pforzheim nach Martzahl ihres Vier: 
theils auch den 4. Theil an ihrem Lohne geben. Diejelben Schreiber, 
Knete und Diener follen auch jest anfänglich von und, mit fammt 
unfern Bürgern zu Pforzheim beftellt und angenommen, auch bei ihren 
Handlungen und Dienften getreulich gehandhabt und beſchirmt werden, 
Wenn aber derſelben Knechte einer hinfür Todes abgeht oder fonft ab 
geſetzt wird, als wir des nad) eines Jeglichen Verſchulden Macht haben, 
fo jollen wir, unfere Erben und Nachkommen und darnad) die von’ 
Pforzheim, je Einen um den Andern zu beitellen benennen, alſo, baß 
fein Theil darin Vortheil haben oder ſuchen möge; doch jo ſollen fie 
ung und der Stadt allweg getreulich geloben und ſchwören, als ſich ihr 
jedes Dienftes halb gebührt. 

29. Rehnungsabhör.) Es follen auch die Obgemeldten von 
Pforzheim um den obgefchriebenen 4. Theil des Ungelds, auch anderer 
ihrer Gefälle, vor ung, unfern Räthen oder Amtleuten, oder wen mir 
dazu ordnen oder ſchicken werden, eines jeden Jahres auf einen benannten 
Tag Rechnung thun, wo und wie Solches angelegt und verwendet fei; 
doch ob ung eines Jahres auf den benannten Tag die Unfern zu fchicen 
oder zu ordnen nicht füglich oder gelegen jein würde, fo mögen wir foldhe 
Rechnung ändern oder fürfchieben nach unferm Gefallen. 


D. Schluß. 


30. (Befehl zur Aufrehthaltung diejer Drbnung.) 
Und wir Markgraf Chriftoph ubgenannt gereden und verſprechen bei 
unfern fürftlihen Treuen, Würden und Ehren für ung, alle unfere 
Erben und Nachkommen Markgrafen zu Baden ıc., bie, Wie vorfteht, 


298 Eiftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 


regierende Herrn zu Pforzheim find, die worgemeldten Birgermeifter, 
Gericht, Rath, ganze Gemeinde und Einwohner der Stadt Pforzheim 
mit der Altenftadt und den Vorftädten und ihre Nachkommen bei allen 
obgeichriebenen Stüden, Punkten und Artikeln, und auch bei andern 
obgemeldten Freiheiten zu handhaben, zu ſchützen und zu fchirmen und 
darein nichts zu Tegen, oder zu tragen, durch ung felbft, unfere Amtlente 
oder Jemand von unfertwegen, auch Niemand, welches Standes ber fei, 
wider dies obgefchriebene Ungeld, Ordnung und Neuerung zu freien, 
denn mit der Unfern von Pforzheim Willen, ausgenommen Priefter und 
Ehdelleute, mit denen follen wir es Macht haben, zu halten, wie in 
einem befondern Punkt hievon begriffen if. Sondern wir beißen und 
gebieten ernftlich und feitiglic für uns, unfere Erben und Nachkommen, 
allen unjern Amtleuten, Bögten, Schultheißen, Kellen, Zollern und 
allen Andern, die jeßt in unferm Dienft zu Pforzbeim find und hernach 
immer bdargefeßt werden, daß fie bei ihren Eiden und Pflichten, ung 
jeder Zeit gethan, die vielgenannten unfere lieben getreuen Bürgermeifter, 
Gericht, Rath und Gemeinde und alle Einwohner der Stadt Pforzheim, 
auch in der Altenftabt und in den Vorftädten und alle ihre Nachkommen, 
bei Allen vorgefchriebenen Almenden, Wäldern, Waflern, Wonnen und 
Waiden und bei allen obgerührten Freiheiten verbleiben laſſen und ſich 
nicht dawider legen, Hinderung thun, oder dazu tragen noch gefcheben 
laſſen, mit Worten oder Werken, fo lieb einem eben fei, fchwere Un: 
gnad deshalb zu vermeiden. Endlich jo fegen und ordnen wir, daß die 
von Pforzheim in der Stadt, Altenftadt und den Vorftädten, und ihre 
Nachkommen, nach unferm Tode unjern Erben und Nachkommen Mark: 
grafen, wie vorfteht, nicht huldigen, geloben noch ſchwören ſollen, e8 fei 
denn, daß diefelben unſere Nachkommen Bürgermeiftern, Gericht, Rath 
und ganzer Gemeinde dafelbft zuvor in ziemlicher Form werfchrieben 
und verfprochen haben, fie bei allen obgemeldten Freiheiten, Satzungen 
und Ordnungen inhaltlich diefes Briefs verbleiben und weiter ungebrängt 
zu laffen, fie auch dabei zu fchirmen und zu handhaben. 

31. (Revifion diefer Ordnung, Gelöbnif der Stadt.) 
Wir behalten auch uns und ihnen hierin vor, alfo ob diefe Neuerung, 
Gnade und Freiheit jegund nicht fo gründlich als noth bedacht wäre, 
fondern ſich hernach etwas Mehreres, Minderes oder Anderes erfinden 
würde, uns und der Stadt auch nutz und gut: daß wir dann zu beiden 
Theilen fammthaft, und doch kein Theil ohme des andern Gunſt, Wiſſen 


Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 229 


und Millen, infonderheit dasielbe alfo zu Beſſerung auch fegen , ordnen 
und handeln mögen, es fei von Pfundzoll, Brüdenzoll oder allerlei 
anderer Gewaare und Aufällen, wie ſich Solches jederzeit nach Gelegen- 
heit erheifchen würde, alle Gefährde, Untreue und Arglift hierin gänzlich 
vermieden und ausgeichieben, Und des Alles zu wahrer Urkunde, fo 
haben wir Markgraf Chriſtoph unſer Inſiegel öffentlich thun henken 
an eime feidene Schnur, durch diefen Brief, in Buchsweiſe auf ſechs 
Blätter geichrieben, gezogen; und wir vielgenannte Bürgermeifter, Gericht, 
Rath und ganze Gemeinde der Stadt Pforzheim, mit der Altenftadt 
und den Vorftädten, befennen und verjehen alle einbellig und unfcheidenlich, 
dbaß wir Mlle und Jegliche des voftgenannten unfers gnädigen, lieben 
Herrn Markgrafen Chriſtophs Freiung, Ordnung und Neuerung inhalt: 
lich diefes DBriefes zu befondern großen Gnaden in billiger Dankbarkeit 
aufgenommen haben; wir, unfer aller Erben und Nachkommen follen 
und wollen auch allen Punkten und Artifeln, bierin begriffen, ganz 
unabbrüchlih, getreulih, ehrbarlih und aufrichtiglich nachkommen, bie 
vollziehen und vollführen, wie das in allen und jeglichen Worten hievor 
don uns gefchrieben fteht, ohne alle Gefährde. Und des Alles auch zu 
wahrer Urkunde und mehrerem Gezeugniß, Jo haben wir ber Stadt 
Pforzheim Inſiegel zu des benannten, unferes gnädigen Herrn Inſiegel 
an biefelbe jeidene Schnur auch gehängt am diefen Brief, der zween 
gleichlautende geichrieben find, ung Markgraf Chriftoph der eine, und 
ung, Bürgermeifter, Gericht, Math und ganzer Gemeinde der Stadt 
Pforzheim, der ander. — Gegeben auf der Kanzlei zu Baden auf 
Montag nady dem beiligen Jahrstag zu Latein Circumeisionis domini 1) 
genannt, als man zählt nad Chrifti unfers Herrn Geburt Taufend 
BVierhundert Neunzig und Ein Jahr. 

Ein wichtiges Seitenftüd zu diefer „Stadterdnung * bildete die 
„Landsordnung, bey Leben Maragraf Chriftephen vßgangen.“ 2) 
Wie ſchon ihr Titel fagt, galt fie nicht bloß der Stadt Pforzheim, fonz 
dern überhaupt der Markgraffchaft Baden; doch mag fie für Pforz- 
heim befonders zurecht gemacht worden fein, um mit ber einige Jahre 
vorher gegebenen Stadtordnung im Einklang zu ftehen. Darauf deuten 


ı) Montag nad Neujahr, — 
) Dieſelbe iſt datirt vom Montag nach Kreuzerhöhung 1495 und füllt im 
Copialbuch 27 Blätter, 


230 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500, 


wenigftens alle die Stellen, in denen von der Stadt befondere Rede ift. 
Nach entſprechendem Eingang, welcher die Beitimmung enthält, daß bie 
Sandesordnung alle Jahre ein Mal öffentlich vorgelefen werben ſolle, 
fommt zuerit der Befehl, daß alle Bürger, Einwohner, (fo auch Knete; 
Bürgersföhne ıc.) die über 14 Jahre alt wären, dem Fürſten den Hul- 
digungseid ſchwören müßten; alsdann folgen Beitimmungen über Erb: 
ichaftsangelegenbeiten, über Pflegſchaften, ſowohl für Minderjährige, als 
für die kirchlichen Fonds, Beitrafung von Gottesläfterern, Verbot der 
Spiele, Beitrafung von fleifglichen Vergeben, wie Ehebruch, Beftrafung von 
Geiftlihen bei etwaigen Vergeben, Verkauf ıc. von berrichaftlicgen Lehen: 
oder Zinsgütern, Inſtandhaltung öffentlicher Gebäude, baupelizeiliche 
Beftimmungen, Bewahung der Stadtmauern und Stadtthore und Ber: 
fahren bei Oeffnung der letztern zu ungewöhnlicher Zeit, Strafen für 
Berderbung von Yandgräben, Wehrhägen ꝛc., Verpflichtung zum Nach— 
eilen und Retten bei Ueberfällen und Angriffen, Inſtandhaltung ber 
Straßen, Verbot von Bündniffen und Gefelichaften gegen die Regierung, 
Berbot von allzugroßem Aufwand und Gejchenfen bei Hochzeiten, Rind: 
taufen ꝛc., Verbot des Stationirensg (mit Ausnahmen), 1) Verbot des 
Anbringens einer Klage anders, denn beim zuftändigen Gericht, Verbot 
des Wuchers, der Weinverfälfhung, der Vermiſchung verjchiedenartiger 
Weine, Strafen für Umgebung des Zolles und Ungeldes, Strafen für 
verjchiedene Frevel, (Verlegungen, VBerwundungen) ohne Zulafjung einer 
Appellation, Strafen für Wilddiebftahl ꝛc. — Den „fürftlihen Amtleu: 
ten“ wird in diefer Landesordnung vielfach eingefchärft, fich fireng dar: 
nach zu richten und die geſetzlichen Beſtimmungen derjelben überall, wo 
es erforderlich ei, zur Geltung zu bringen. 

Was num die übrigen „Ordnungen“ ‚betrifft, jo laſſen fich bie 
weientlichften Beftimmungen derjelben ſammt andern babin gehörigen 
Notizen, die fih da und dort zerſtreut vorfinden, ſowie endlich das, was 
fi) als Ergebnik von Vergleihungen berausftellt, des leichtern Verftänd- 
nifjes wegen am beiten unter gewiſſe allgemeine Geſichtspunkte zufam- 
menbringen, die eine geordnete Weberjicht gewähren. Es joll deshalb 
in den nachfolgenden ‘Paragraphen zuerft vom Ortsvorftand, fodann 
von den Gemeindedienjten, hernach von der Bürgerfchaft und 


) Auch im Hochſtift Speier wurde ben Pforzheimer Dominikanern 1541 
das Betteln verboten, (Archivakten.) 


- 


Elftes Kapitel, Stabtverfafjung von 1500. 231 


zulet von der allgemeinen und befondeın Polizei, foweit diefelbe in 
ber Stadtordnung nicht ſchon berührt tft, gehandelt werben. 


$ 2. Der Ortsvorftand. 


Derfelbe theilte fih in eine rihterliche und eine verwaltende 
Behörde, fo daß alſo Juſtiz und Adminiftration von einander getrennt 
waren. Erſtere wurde beforgt durch Schultheiß und Geridt, 
Iegtere dur Bürgermeifter und Rath. Tiefe uralte Einrichtung 
zweier ftäbtifhen Kollegien war in der proviſoriſchen Stadtordnung von 
1486 zu ändern verfucht worden. Yon Geriht wurde darin Umgang 
genommen und defien Befugnifje dem Rathe übertragen, von dem bei 
gerichtlichen Verhandlungen der Bürgermeifter nicht Mitglied war, fondern 
der alsdann vom Schultheißen präfidirt wurde. Der ganze Nath wurde 
nur bei wichtigen adminiftrativen Angelegenheiten zufammenberufen und 
auch manchmal noch, „wenn die Sad) dapffer und trefienlih” war, die 
„12 von der Gemeinde” als weiteres Kollegium dazu genommen, die 
indefien nur rathen, nicht beſchließen, aber bei der Bürgermeiſterwahl 
mitwirken durften, Die gemeinen täglichen Händel jollte der Bürger: 
meifter mit den 4 fog. Negenten ohne Zuziehen des Nathes erledigen. 
Bon lehtern wurden 2 aus dem Rathe und 2 aus den Zwölfen von 
der Gemeinde genommen, und zwar follten es aus beiden Kollegien 
die „vernänftigiten, tauglichſten und weifeften“ fein, Diefe Einrichtung 
ſcheint fi indefjen nicht erprobt zu haben; denn es wurde ſchon 1487 
die Zahl der Negenten auf 2 ermäßigt und fpäter wieder ganz auf bie 
frühere Einrichtung zurüdgegangen, als der Privilegienbrief von 1491 
definitive Geltung erhielt. Die Kompetenz beider Kollegien, aljo des 
Gerichts und Mathe, war indefjen nicht ſcharf abgegränzt, und vertraten 
fih audy die Mitglieder derjelben, wenn es nöthig war, gegenfeitig bie 
Stellen. Manche wichtige Berathungen und Beihlußfaffungen fanden 
in gemeinfchaftliher Sitzung ftatt. , . 


A. Schultbeif und Gericht. 


Den Schultheiken (päter „Untervogt” oder „Amtmann“) er: 
uannte der Landesherr ohne Zuthun der Gemeinde. eine Pflichten 


232 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500. 


und Defugniffe waren ihm im einer befondern Schultheigenordnung 
vorgezeichnet. Laut derielben war ihm mit Hinweifung auf der Stadt 
Freiheiten unterfagt, einen Bürger anders, als unter den dort angegebenen 
Borausfegungen gefänglich einziehen zu laſſen. Letzteres durfte aber unbe: 
dingt geicheben, wenn ein Bürger wegen Schulden oder Vergehungen 
flüchtig ging und ergriffen wurde, Blieb Einer wegen Schulden über ein 
Vierteljahr weg, fo mußte der Schultheiß durch gerichtlichen Zugriff auf 
das Vermögen des Flüchtigen defjen Schulönern zur Zahlung verhelfen. 
Per einer Vorladung des Schultheiken „aus Verachtung oder ohne 
redliche Urſache“ keine Folge leiftete, durfte vor ihm rechtlich belangt und 
wegen Ungehorfams zur Strafe gezogen werden. Gegen Strafen, melde 
von Schultheiß, VBürgermeifter, Gericht und Rath erkannt worden waren, 
fand, foren fie nicht Leib und Leben betrafen, Appellation an ben 
Schultheißen Statt; wurde jedod das erfte Urtbeil beftätigt, fo mußte 
der Beklagte eine weitere Strafe von 10 Schilling Pfennig „für feine 
Widerſetzlichkeit“ bezahlen, Weigerte er fich defien, fo wurde ihm aus: 
gepfändet; im Fall weiterer ARiderfetlichkeit durfte ihn der Schultheik 
in den Thurm werfen laſſen. Cingriffe in die Rechte und Freiheiten 
ber Stadt waren dem Schultheißen ftreng unterfagt. *) Dem Wegzug 
eines Bürgers oder Einwohners durfte er Feine Echwierigfeiten in den 
Meg legen, wenn derfelbe dabei die vorgefchriebenen geſetzlichen Formen 
beobaditete, Ber Pfändungen und Zugriffen auf Tiegende Güter durfte 
der Schultheiß ohne Wiſſen des Bürgermeifters, Gerichts und Raths 
gegen den Veflagten nicht vorfahren. Am Schluß der Schultheißenorb: 
nung folgen einige Beſtimmungen über gerichtliche Vorladungen, über 
die Bedingungen bei Bürgerannahmen, welche ebenfalls Sache des Schult: 
heißen waren (ftebe unten), über Schuldffagen ꝛc. — Ueber das Ver: 
fahren bei gerichtlichen Pfändungen waren dem Schultheißen, in deſſen 
Kompetenz fie hauptſächlich gebörten, ausführliche Vorſchriften ertheilt. 
Die betreffende „ Ordnung” enthält die Ueberſchrift: „Wie man nm 

Schulden nad der Stadt Recht pfänden, Hagen und angreifen mag,” 
mit den Unterrubrifen: Wie man pfänden fol; von fahrenden Pfän— 
bern; von lebenden Pfändern; wer des Schultheigen oder Bürgermeifters 


1) Daß dies nicht immer befolgt wurde, erhellt aus einer Klagichrift, welche 
um 1500 Bürgermeifter und Rath beim Marfarafen einreichten, und worin 
fie fih in 13 Klagpunften über das Benehmen des Schultheißen beſchwerten. 


Eiftes Kapitel, Stadtverfafiung von 1500. 233 


gemachte Ziel nicht Hält; jo Eimer nicht zu bezahlen bätte; auf wen 

und wie man Lagen joll; wie Lidlohn bezahlt werden foll; was Lidlohn 
ft; von Bezahlung des Hanszinjes; wie Kinder bezahlen ſollen; wie 
geſtorbener nd verdorbener Leute Schulden bezahlt werden \ollen; t) wie 
fiegende Güter umgefchlagen oder angegriffen werben jollen um verfallene 
Gült, ebenfo von Schulden wegen ꝛc.; am Schluß: Feſtſetzungen im 
Einzelnen darüber, was fahrende und liegende Güter feien ꝛc. Neben 
derartigen Funktionen hatte der Schultheiß die Schlüſſel ſämmtlicher 
Thore der Stadt zu verwahren (S. 222), die von der Stadt ange: 
ſtellten Thurmknechte, Wächter und Thorwarte im Namen des Fürften 
zu beeidigen (©. 222). — Die Zahl der Richter war zwölf, 
und wurben diefelben aus der Bürgerichaft genommen. Die Art und 
Weiſe der Wahl der Richter beitimmte eine befondere Wahlordnung. 
Diefelben wurden jedes Mal Für ein Jahr gewählt. Nach Umlauf 
diefer Zeit verfammelten fich ſämmtliche Richter, erhielten vom markgräf- 
lichen Landhofmeiſter und Räthen, oder an deren Stelle vom Vogt und 
Schultheiß ihren Abſchied und verliefen das Zimmer, in weldem nur 
Landhofmeifter und Näthe, oder Vogt und Schultheiß ſammt dem Bür— 
germeifter und Stadtfchreiber zurücblieben. Der Bürgermeifter fchlug 
nun einen bisherigen Richter zum Mitglied des neuen Gerichts vor, und 
wenn die anmwefenden Fürftlihen Beamten gegen denjelben nichts einzu— 
wenden wuhten, fo wurde er hereingerufen, vom Stadtichreiber alg Richter 
ins Protofoll eingetragen und nahm feinen Plab ein. Diefer erite 
Nichter ernannte den zweiten, der zweite den dritten zc., alle aus dem 
bisherigen Gericht, und immer mit Genehmigung der anweſenden fürſtlichen 
Beamten, bis zehm Richter ihre Plätze eingenommen hatten, Diefe 
wählten dann gemeinfchaftlich die zwei noch fehlenden Mitglieder des 
Kollegiums, durften dazu jedoch die zwei noch außen ftehenden Mitglieder 

des alten Gerichts nicht nehmen. Auf diefe Art mußte ſich das Bericht 

innerhalb 6 Jahren nad und nad) neu ergänzen, indem jedes Jahr 

2 Mitglieder austraten. Mehr durften es ohne merfliche Urfache nicht 

fein; doch follte, wenn ſolche vorhanden, die Zahl der überhaupt aus: 

tretenden Mitglieder 4 keinesfalls tberfteigen. — Die Kompetenz des 

Gerichts, ſowie das Gerihtsverfahren beftimmte theils die Ge: 

rihtsordnung, theils eine Menge einzelner, darauf bezüglicher 


E,') Angefangen auf Thomae Apostoli An. 1508, 





234 Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 


Artikel, welche folgende Ueberfehriften führen: Wie um liegende Güter 
erkannt werben fol, — wie Einer ben Andern feiner Ehre befagen 
mag, — wie das Gericht erkennen foll in Sadyen, bie Ehre betreffen, 
— von Belohnung des Gerichts, und zwar: von gewöhnlichen Gerichte: 
tagen, von Xeftamenten und Gemächten, von VBerunterpfandung, von 
vertagten fremden Parteien, von Verurtheilen won Fremden, von Ur: 
theilen, fo die Untergericht holen, von Kaufgerichten, von verjammelten 
Gerichten, außerhalb der gemeinen Gerichte, von Kundſchaften der 
Bürger; Poenen, jo dem Gericht zugehörig; Belohnung von Untergängen ; 
von verganteten Gütern; — von ben Ungehorfamen, fo die verichuldeten 
Poenen nicht geben wollen. Es geht daraus, fowie aus dem ziemlich 
ausführlichen Nichtereid bervor, daß das Ortögericht die Eivilgeriht® 
barkeit in erfter Inſtanz befaß, and verſchiedene polizeiliche 
Gefchäfte zu erledigen hatte, ferner die Aufficht über die Waifenpflege 
führte x. Davon, daß diefen ftädtifchen Untergericht auch die Rechts— 
pflege in Kriminalſachen zuftand, babe ich kaum Beweiſe auffinden 
tönnen. Diejelbe fcheint im Gegentheil den hiezu angeftellten fürftlichen 
Amtleuten faft in allen Theilen überwiefen geweſen zu fein. Den vor Ge 
richt ericheinenden Parteien durften Fürſprecher beratbend zur Geite 
ftehen und fie auf Verlangen wohl auch ganz vertreten. Näheres da- 
rüber enthielt die „Ordnung der Fürſprecher“, denen die nöthigen 
Beftimmungen über „Belohnung der Fürſprecher“ nachfolgten. 
Jeder Fürfprecher oder Fürſprech mußte, wenn er nicht rechtzeitig vor Gericht 
erfchien, ſechs Schillinge Strafe bezahlen, Wer einen fremden oder andern 
Fürſprech, als die gejetten, brauchte, mußte letztern nicht defto weniger 
ihren Lohn geben. In gewöhnlichen Streitfachen durfte fein Fürſprech 
vor Geriht ohne befondere Erlaubniß deöfelben mehr als zwei Mal 
reden und follte fih dabei möglichiter Kürze befleißigen „Ionder Spitz 
oder Reit oder Schmähwert der Parteien;“ in ſchweren und wichtigen 
Sachen jedoch durften die Fürfpreche reden, fo oft und „did“ fie woll- 
ten, damit „Leine Partei gefäumt werde," Keiner durfte dem Andern 
in feine Rede fallen mit fpiten Morten bei Strafe eines Schillings 
Pfennig; wer ungegründete Klage erhob oder in Schuldfahen eine 
größere Summe einklagte, als er zu fordern hatte, wurde um 10 Schil⸗ 
ling Pfennig geftraft. Wer mit feinem Fürſprech nicht zufrieden war, 
durfte einen andern nehmen, jedody nicht den des Gegners. Kein Für: 


Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 235 


fprech durfte nach Austrag der Sache weder auf der Parteien Koften 
in einem Wirthshaus zehren, noch fonft „Koften auf diefelben treiben,” 
auch kein Gefchent nehmen. Bon jeder gemeinen Sache durfte der Fürs 
ſprech nicht mehr als einen Schilling Pfennig Lohn nehmen; bei wich: 
tigern Rechtsſachen erhielt er das Gleiche von jebem Gerichtstage, auf 
welchem bdiefelben verhandelt wurden ; doch durfte er ohme ber Parteien 
Rath und Willen die Sache nicht hinausziehen, um etwa mehr Lohn 
zu befommen, Ein Fremder mußte den doppelten Lohn bezahlen. In 
ſchweren Sachen konnte der Fürſprech dem Schultheißen und Gericht bie 
Feſtſetzung einer entſprechenden höhern Taxe überlafien. Was ein Für: 
fprech außergerichtlich für eine Partei that, darüber hatte er ſich felbft 
mit derfelben zu verftändigen; wurden fie nicht einig, fo ſetzte das Gericht 
bie Tare feit xc, 


B. Bürgermeifter und Rath. 


Wie fhon erwähnt, bildeten diefelben den ad miniftrativen Theil 
der Ortöbehörde. Der Rath wurde auf gleiche Weije, wie das Gericht 
gewählt (fiehe oben), und beftand wie diefes ebenfalls aus zwölf Mit: 
gliedern, Geriht und Rath wählten gemeinfhaftlih den Bürger: 
meifter, auch immer nur auf ein Jahr. Auch bier fchrieb die mehr 
erwähnte Wahlordnung das Verfahren vor. Nachdem ſich alle Richter 
und Räthe verfammelt hatten, mußten fie ſammt dem bisherigen Bürger: 
meifter ab: und dann nach einander einzeln wieder eintreten, um vor dem 
Landhofmeifter und Räthen, oder Vogt und Schultheiß ihre Stimmen 
abzugeben, die der Stabtichreiber in das Protokoll eintrug. Zuerſt 
ftimmte der alte Bürgermeiſter, dann ein Rath, dann ein Richter, 
dann wieder ein Rath u. ſ. f., bis Alle ihre Stimmen abgegeben batten, 
Wer die meiften Stimmen erhielt, war für das nächſte Jahr Bürger— 
meifter. Den Dienftfreis und die Befugniffe desjelben enthielt einestheils 
die „Ordnung eines Bürgermeifters“, anderentheils der Eid, 
ben derſelbe bei Antritt feines Amts zu ſchwören hatte. Im erften 
Monat feines Amtsjahres mußte er Schultheiß, Gericht und Rath um 
fiih verfammeln und eben auf feinen Eid fragen, ob er „inmwendig ober 
auswendig ber Stadt etwas gehört ober für fich ſelbſt gedacht oder 


236 Elites Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500. 


wiſſend hätt, das unſerm gnädigen Herrn, oder der Stadt oder der 
Bürgerſchaft zu Nutz oder Schaden komme.“ "Das Alles mußte dann 
der Stadtjchreiber notiren, und es wurde gelegentlich durch Gericht und 
Rath darüber berathen und die möthigen Beſchlüſſe gefaßt. Der 
Bürgermeifter hatte überdies das Gemeindsvermögen zu verwalten, bie 
Einnahmen und Ausgaben zu bejorgen, am Echluffe feines Dienftjahres 
Rechnung abzulegen und durfte feinem Nachfolger keine Ausſtände hinter: 
laſſen. Er hatte die Beſchlüſſe des Gerichts und Raths zu vollziehen, 
und follte. „Für fich jelbit wider den Rath ganz nichts handeln, fondern 
er foll dem Gericht und Natb ihr Befehl aehorfamen und nicht wider: 
wärtig ſein;“ auch follte er auf der Stadt „Freiheiten, Recht und Ge: 
wohnbeiten, auch ihre Gerechtigkeit, Gefällt, Nutzung und, Gebau ein 
fleißig Auffeben haben.” Ihm lag ferner ob die Aufficht über alle Be: 
dienfteten der Stadt, die Handhabung der Polizei in Stadt, Feld und 
Wald, gemeinschaftlich mit dem Baumeifter die Aufficht über alle ſtäd— 
tischen Gebäude und Neubauten ꝛc. So oft er es für nothwendig fand, 
mußte er Gericht und Rath zufammen berufen. Die Beobachtung des 
Amtsgeheimmniffes war ihm zur ftrengen Pflicht gemacht. Wie weit be- 
züglich mancher Ausgaben feine Kompetenz ging, fieht man daraus, daß 
er 3. B. feinen „Bau der Sadt halb für fich ſelbſt ohne Beſcheid Ge: 
richts und Raths thun durfte über zwei Pfund Pfennig“ u. dgl. Sein 
jährlicher Gehalt betrug 16 Gnlden. — Cine Ordnung des Raths 
finde ich nirgends; wohl aber einen „NRatbs: Eid", der jedoch in ganz 
allgemeinen Ausdrüden abgefaßt it. Uebrigens ift aus dem Risherigen 
ber größte Theil der Amtsbefugnifie des Rathskollegiums fchen zu ent: 
nehmen. Durch Schultheiß, Vürgermeifter und Nath wurde z. B. 
auch die Brunnenordnung vom 13. Sept. 1526 erlafien, während 
bie Baupolizei von Schultheiß, Bürgermeifter und Gericht gehand: 
habt wurde. 

Nie Schon oben bemerkt, fahen in manchen Angelegenheiten Ge: 
richt und Rath gemeinschaftlich, und diefe gemeinfame Kompetenz 
fcheint eine ziemlich umfänglihe geweien zu fein. So wurden alle ftäd: 
tiſchen Dienfte durch Gericht und Rath beſetzt. Die „Beckhenord⸗ 
nung“ von 1511 wurde durch Schultheiß, Bürgermeiſter, Gericht und 
Rath gegeben, die Mühlenviſitationen wurden ebenfalls durch Abgeord— 
nete Gerichts und Raths vorgenommen ıc. 


Elftes Kapitel. Stabtverfaffung won 1500, 237 
$ 3. Die Gemeindedienfte. 


Die Zahl derfelben war ſehr groß. Jeder der Bedienfteten erhielt 
jeine einfache, klar abgefaßte Dienjtinftrultion ; auch war jedem derjelben 
ein bejonderer Eid vorgeſchrieben, den er bei Antritt jeines Dienftes zu 
ſchwören hatte. In diefen Eidformularen waren zum Theil die Dienſt⸗ 
verrichtungen wieder enthalten, die jedem Einzelnen zur Pflicht gemacht 
wurden, nur in etwas abgefürzter Form. Die Dienfteide fingen faft 
alle mit den Worten an: „Ihr werdet mit Treuen geloben und zu 
Gott dem Allmächtigen ſchwören, unjerm gnäbigjten Herin und der Stadt 
getreu und hold zu fein, ihren Nutzen zu fürdern und vor Schaden zu 
warnen“ ꝛc. Alle dieſe ſtädtiſchen Dienjte wurden bezahlt, aber in der 
Regel immer nur auf ein “Jahr verliehen. Da die Dienjtinftruftionen 
fi in der Hauptquelle, woraus diefe Mittheilungen geſchöpft wurden, 1) in 
feiner beftimmten Ordnung folgen, fondern darin zerjtreut enthalten find, 
jo will ih in Aufzählung der ſtädtiſchen Dienfte die Neihenfolge der 
vorgejchriebenen Eide, die Feine zufällige zu ſein fcheint, beobachten, und 
bloß noch bemerken, daß diefe Dienfte theils polizeilicher,. theils blono— 
miſcher, theils ſonſt anderer Natur waren. 

1. Der Stadtſchreiber.“) Gr hatte alle ſtädtiſchen Schrei— 
bereien zu beſorgen, und konnte ſich dabei von einem oder mehreren 
Gehilfen unterſtützen laſſen. Dieſen war ein beſonderer Eid, der „Sub— 
ſtituten-Eid“ vorgeſchrieben, wenn einer von ihnen die Stelle des Stadt— 
IHreibers in feinem „Abweſen oder jonjt” vertreten mußte. Weber bie 
Belohnung des Stadtſchreibers finde ich Aufihlug in der Anſtellungs— 
urfunde von Dioniſius Kejjl3) als Nachfolger Alexander Hugs 
(©. 180), dem die Stadtjchreiberei fein Lebtag verichrieben gewest und 
noch iſt.“ Diefer Kefjl erhielt jährlich auf Martini 20 Gulden Britt: 
bald Schilling Pfennig (1486 hatte die Stadtichreibersbejoldung nur 
12 Gulden betragen), dazu 10 Klafter Holz und verfchiedene Gefälle, 
mußte fich aber eine balbjährlihe Kündigung gefallen lajien, „wenn er 
fi) Erenhalb oder ſunſt jo liederlich vnnd onfängtlich bielte, das es 
nit möcht geduldet werden.“ Sonſt war die Anftellung eine lebenslängliche, 





') Dem mehrfad erwähnten Kopialbudh. 

°) Eine „Stadtihreiberserbnung * finde ich nirgends, wohl aber einen 
„Stadtfchreibers:Cio*, 

9) Sie befindet fih im ftädtifchen Archiv und ift vom 7. April 1529 batirt. 


238 Eiftes Kapitel, Stadtverfaffung von 1500. 


2. Der Baumeifter, Derfelbe fcheint neben dem Stadtfchreiber 
die wichtigfte Perfon unter den ftädtifchen Bedienſteten geweſen zu fein. 
Ich fchließe dies namentlich daraus, daß er nad ber Wahlordnung von 
4409 unmittelbar nady dem Bürgermeifter und auf gleiche Weiſe wie 
biefer gewählt wurde. Er konnte aus dem Rath oder aus ber Bürger: 
haft genommen werden, Im letztern Galle erfolgte feine Wahl auf 
unbeftimmte Seit. Der Baumeifter hatte die Oberauffiht über alle 
fädtifchen Gebäude, Thore, Mauern, Brunnen, Brüden, die Schoß: 
gitter ꝛc. zu führen, (die nächſte Aufficht über die Brüden, Brunnen und 
Schoßgitter hatten die anweſenden Nahbarn, bei den Schoßgittern 
namentlich die betr. Wafferwerksbefiger ,) gemeinſchaftlich mit dem Bür— 
. germeifter oder einem von bdiefem Beauftragten die Weggelöftöde aufzu: 
fchließen, an den Jahrmärkten mit einem Mitglied des Gerichts ober 
Raths das Stättgeld einzuziehen, die ftäbtifchen Taglöhner und Arbeiter 
auszubezahlen, Lebteres jedoch nicht, ohne einen „Gezeugen“ bei ſich zu 
haben. Einen Bau, deſſen Anfchlag über 1 Pfund Pfennig betrug, 
durfte er nur in Beifein des DBürgermeifters verdingen, ohne Erlaubniß 
Gerichts und Mathe durfte er der Stadt feines Jahres über 1 Pfund 
Pfennig abverdienen, auch ihr nichts zu kaufen geben oder abfaufen ꝛc., 
(1486 waren e8 fogar zwei „Buwhern“, von denen derjenige, ber das 
Geld „innympt vnd vßgipt“, jährlich 3 Gulden, der andere 2 Gulden 
bezog ). 

3. Die Ungelder, die laut $ 28 der Stabtordnung von ber 
Stadt und ber Herrihaft, und zwar abwechſelnd angeftellt wurden, hatten 
das Ungeld vom Wein zu erheben. Wegen der Einziehung des Wein: 
ungeldes bei Privaten mußten fie alljährlih um Martini in alle Keller 
geben. (Die Ohm Wein Foftete 6 Pfennig. Vergleiche $ 20 ber 
Stadtordmung.) 

4. Der Kornfhreiber mußte das Ungeld von der Mablfrucht 
erheben und zugleich die Bäder und Bürger kontroliren, ob fie fein 
fremdes Mehl verbadten, beziehungsweife verbaden Tießen. Zu dem 
Ende hatte er zwei Bücher zu führen ; in dem einen waren alle Müller 
mit ihren Kunden, in dem andern alle Bäder mit ihren Runden 
verzeichnet. Jeden Samftag Mittag nah 1 Uhr mußte er auf das 
Rathhaus kommen, um fein Ungeld, gleich den übrigen Erhebern des: 
jelben, abzuliefern. Dort mußten aud fümmtlide Müller und Bäcker 
der gegenjeitigen Kontrole wegen erſcheinen. Das eingenommene Ungeld 


Eiftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 239 


batte der Bürgermeifter alljährlich mit der Herrſchaft zu verrechnen. — 
Der Kornfhreiber bezog einen jährlichen Gehalt von 10 Pd. Pfennig, 

5. Der Salzmeffer hatte den Salzverfauf, weldher laut $ 22 
des Privilegienbriefs Regal der Herrichaft und der Stadt war, zu be 
forgen. Es war ihm zur firengen Pflicht gemacht, Reichen und Armen 
gleich zu meflen, (das Salz wurde nämlich damals nicht ausgemogen, 
ſondern ausgemeſſen, oder e8 fam in Scheibenform in den Handel,) 
gegen Fremde freundlich zu fein und Niemand zu lang warten zu laſſen. 
Bei Licht Salz herzugeben, war er nicht verpflichtet, ebenfomwenig am 
Sonn = und Feiertagen, ausgenommen am Fremde. Das erlöste Geld 
mußte er getreulich abliefern. Machte er ſich einer Verlegung ber ihm 
vorgefchriebenen Ordnung fehuldig, oder rechnete er „einen unmäßigen 
Abgang”, fo konnte ihm dur Schultheiß, VBürgermeifter, Gericht und 
Rath „über Nacht“ der Salzverkauf abgenommen werden. Sein jähr: 
licher Gehalt betrug 5 Pfund Pfennig. 

6. Die drei Fleifhwäger und der Fleiſchſchreiber mußten 
bei jebem Metzger alle Fleiihtage das vorhandene Fleiſch auf der Fleiſch⸗ 
wage wägen, ſammt der Zahl der Kälber, Hämmel und Schafe auf: 
zeichnen und von etwaigen Defrandationen die Anzeige machen. eben 
Samstag Nachmittag mußten ſodann alle Metzger aufs Rathhaus 
fommen und in Gegenwart des Fleiſchſchreibers nad den Notizen des: 
felben das Ungeld bezahlen. Fleiſchſchreiber und Fleiſchwäger bezogen 
einen jährlichen Gehalt von je 31/, Pfund Pfennig. 

7. Die Weinfiegler und Weinfhreiber hatten jedes Faß 
Wein, das in einen Keller gelegt wurde, auf dem einem Boden zu 
„verpitfhaften”, jedes Faß, das angeftochen wurde, zu verfiegeln und 
feine Größe und den Preis des Weines zu notiren. Jeder bezog dafür 
jährlich 34/5, Pfund Pfennig. 

8. Die zwei Faßeicher und der Eichſchreiber. Jene mußten 
beim Eichen „die Meffer ſtecken“ und nad) erfolgter Eichung die „Kerfen 
gegen einander abzählen,“ jede Woche wenigftens ein Mal in die Keller 
aller Wirthe und Weinjchenten gehen, um nad den Siegeln auf den 
Fäffern zu jehen, und alle Ieeren Fäſſer, die fie vorfanden, alsbald mit- 
nehmen und eichen. Bon einem Faß, das bis zu drei Ohm bielt, bes 
kamen fie 1 Pfennig, bis zu 6 Ohm 2, über 6 Ohm 3 Pfennig ıc. Der 
Eicherlohn in der Altitadt dagegen betrug von jedem „Vierling” auf oder ab 
5 Pfennig, von einem halben Fuder 7 Pfennig. Das Maaß der Fäffer 


240 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 


hatte der Eichſchreiber zu notiren. Lebterer hatte ein jährliches Ein: 
fommen von 6 Pfund Piennig. 

9, Die Brodihauer!) mußten jede Woche ein bis drei Mal 
bei Tag ober bei Macht bei jedem Bäder das Brod und zwar ſowohl 
zu Hans, als „unter den Hütten oder auf den Brodbänken“ befichtigen, 
und wenn es zu Klein, oder verwäflert oder nicht weiß genug war, fo 
hatten fie die Befugniß, es zu konfisziren und den Bäder jedes Mal 
um 10 Schilling Pfennig zu ftrafen. War dies drei Mal nad einander 
geichehen, jo konnte im fernen Wiederholungsfall eine noch höhere Strafe 
angefett, ja dem Bäder das Handwerk für eine Zeit lang niedergelegt 
werden. 

10. Die drei Fleiſchſchauer oder Fleiſchſchätzer, von denen 
der eime vom Gericht, der andere vom Rath und der dritte von ber 
Gemeinde ernannt wurde, mußten jeden Morgen mit zwei gefchworenen 
Metzgern in die Metzig neben und mit denfelben das Fleiſch befehen 
und ſchätzen, jegliches nah feinem Werth, Sie batten überhaupt die 
Auffiht über den leifchverkauf, und mußten nöthigenfalis den Bürger: 
meifter die Anzeige machen, wenn fie etwas nicht in Ordnung fanden. 
Fleiſch, das „pfennig (finnig), beinbrüchig oder fonft nicht Kaufmannsgut 
oder währichaft“ war, durften fie in der Metzig nicht feil bieten Iaffen, 
jondern mußten es aus derjelben auf die fog. „Pfinnbant“ (Finnigbank) 
verweifen. Wenn ein Schauer zu ſpät kam oder ausblieb, fo wurde 
er geftraft, 

41. Der Fiſchſchauer hatte die Aufficht über den Fiſchmarkt. 
Wenn er ivgend verbotene Garne, Hamen ꝛc. von fremden ober heimi— 
ſchen Fifchern auf dem Markt oder ſonſt auffand, jo mußte er es rügen 
und dem Bürgermeifter die Anzeige machen. Keinen Fiſch, der nicht 
Kaufmannsgut war, durfte er verkaufen und keinen Salmen oder Lade 
ungeſchätzt ausſchneiden laſſen. 

12. Der Häringſchauer mußte dem Aufbrechen einer jeden 
Tonne Häringe beitvohnen, und wenn die Häringe nicht in der Ordnung 
waren, fo durften fie nicht verkauft, fondern die Tonne mußte ſogleich 
wieder zugeichlagen werden. Von jeder Tonne zu bejeben erhielt ber 
Häringfchauer einen Häring oder einen Pfennig. Bei Strafe von 5 





!) Die Ordnung der Brobfhauer enthält einen Zuſatzartikel vom 16. Sep: 
tember 1555, 


Giftes Kapitel. Stabtverfafiung von 1500, 241 


Schilling Pfennig durfte keiner eine Tonne Häringe aufbreben ohne in 
Gegenwart eines Schauers. 

13. Die Eicher für Meß, Mask, Wag md Gemwidt 
durften ihren Dienft nicht anders, denn in Gemeinfchaft beforgen und 
mußten dazu das Mufter: Gewicht, Maaß und -Meß beim Bürger: 
meifter, der es in einem befondern Tröglein verwahrte, ablangen. Alle 
Jahre mußten fie in der Stadt das Gewicht und Maaß bejehen und 
probiren und nöthigenfalls umändern, was aber nicht mehr zu Ändern 
war, oder ſich zu Hein erfand, zerſchlagen. 

14. Die zwei Marktmeiſter mußten die Aufficht über die Märkte 
führen, den Verkauf von Allem, was nicht Kaufmannsgut war, verbieten, 
alle Vorkäufe vor Beginn des Marktes verhindern, und durften auch nicht 
zulafien, daß Einer dem Andern in den Handel fiel ıc. 

15. Die Korumeſſer durften feine Frucht, die nicht Kaufmanns— 
gut oder des Marktes nicht werib war, verkaufen belfen und fie auch 
nicht mefjen, ebenfo keine Frucht, die nicht vorher um eine bejtimmte 
Summe gelauft worden war. Sie durften von Niemanden ein Gejchent 
annehmen, mußten ehrlich und unparteiiſch meſſen, jeden Betrug anzeigen 
und den auf die Stadt kommenden Untheil am Meßgeld getreulih ab- 
liefern. Der Ungeldtontrole wegen durfte in feinen Sad mehr, als ein 
Malter gemefjen werden. 

16. Der Wagknecht mußte alle Frucht auf der jtädtiichen 
Wage wägen, bevor fie in die Mühle Fam, ebenjo das aus der Mühle 
zurüdtommende Mehl fammt der Kleie; auch mußte er beim Ab: umd 
Aufladen behitflich ſein. Dafür erbielt er für einen Sad von 6 Simri 
an 41 Pfennig, unter 6 Simri 1 Heller. 

17. Der Weinfticher hatte die Aufficht über den Wein zu führen, 
ber zu Markt gebracht wurde. Er durfte den Mein, den er nicht ale 
Kaufmannsgut erfand, vom Markt zurüchveifen und hatte, wenn er ihn 
für verfälfcht bielt, die Anzeige zu machen. Niemand als der Wein 
fticher oder die, denen er es erlaubte, durften Wein anftechen und ver: 
fuchen Iafien, aber an Markttagen nirgends anders, denn auf dem Markt, 
im Winter nicht vor 9, im Sommer nicht vor 8 Uhr. Ein Fremder, 
ber Wein zu Marfte brachte, durfte ihn ausſchenken, aber nur auf ber 
Achſe; er mußte fein Pferd, Schiff und Geſchirr dabei behalten, jeben 
Tag einen Heller an der Maaß abſchlagen und durfte feinen Wein 


mehr hinwegführen. 
Pflüger, Pforzheim. 16 


242 Eiftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500. 


18, Die Untergänger waren fowohl Neldmejjer als Mark— 
fteinfeger. Von einem Morgen zu mefjen erhielten fie 4 Pfennig, 
von einem Stein zu fegen von jeber Partei 3 Pfennig. 

19. Die Büttel oder Stadtinehte waren Gerichtsdiener, 
Gerichtsvollzieher, Gerichtsboten, Gefangenwärter, Polizeidiener, Aus: 
rufer ꝛc. Leder von ihnen erhielt außer feinem Dienfitleid und außer 
den Necidenzien jährlih 21 Gulden Lohn. Wer ihnen eine Garbe von 
dem Felde gab, der war ihnen für jenes Jahr fein „Fürbietgeld“ vor 
Gericht ſchuldig. | 

20. Die Biertlente oder Viertmeifter mußten in den 
VBorftädten ein fleiiges Auffehen haben auf alle „Spiel, Gezänt, 
Hader, Aufruhr und ander Unfuhr,“ ebenjo auf alle werbächtigen Leute 
„au Fuß und Roß“, um nöthigenfalls fogleich die erforderliche Anzeige 
machen zu können. 

M. Die Thorwarte und Thorzuſchließer in der Stadt 
und den Vorftädten hatten neben forgfältiger Wache den Zoll und das 
Weggeld zu erheben und in die betreffenden Stöde zu legen; ferner 
durften fie von jedem Karren Holz, das ein Fremder einführte, eim 
Scheit und von jedem Magen zwei Scheiter für fich nehmen. Cine 
befondere Inſtruktion hatte der „Obere-Mühl-Thürleins-Zuſchließer.“ 

22, Die Schar: und Nachtwächter in Stadt und Vorftädten 
mußten, wenn fie ihre ftündlicyen Rundgänge durch bie Stadt machten, 
die Schlöffer und Ketten an den Thoren rütteln, was fie fanden, aufheben 
und am Morgen abgeben, die Stunden rufen, nächtliche Mubeftörer zur 
Ordnung weifen oder auch verhaften ꝛc. Die Borftadt : Nachtwächter 
hatten denen ber Stadt, wenn fie von der Stadtmauer zu ihnen 
berüberriefen oder jchellten, zu antworten, alles Verdächtige ihren 
DViertmeiftern oder dem Bürgermeifter anzuzeigen ꝛc. Die Scharwädhter 
auf der Mauer wurden jede Nacht drei Mal abgelöst. Der Wächter, 
der über St. Michaels Kirchhof ging, mußte dem Wächter auf dem 
Schloßthurm jede Naht ein oder zwei Mal zurufen. 

23. Der Stadtzimmermann und Stadtmaurer mußten 
gemeinfhaftlih mit den Thorwärtern die Thore, Werren (MWehre) und 
Zugbrüden, mit den dazu beauftragten Nachbarn die Brüden, Brunnen 
und Schoßgitter, mit den Scharwächtern die Stadtmauern in Acht 
baben und wenn fie etwas mangelhaft fanden, dem Bürger: oder 
Baumeifter die Anzeige machen. Keiner durfte für ftädtifche Arbeiten 


Elftes Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500, 243 


mehr als zwei Gejellen verwenden; wenn er aber einen Alkord ge 
macht Hatte, fo viel er wollte. Gin Meifter erhielt 2 Schilling 9 Pfg., 
ein Geſelle 2 Schilling 4 Pig. Taglohn. Ueberdies durfte der 
Zimmermann alle Späne behalten, die unter dritthalb Schub lang 
waren. 

24. Der Tuch- oder Wollenſchauer mußte, ſo oft er es 
für nöthig hielt, das von den Tuchmachern verfertigte Tuch an den 
Rahmen oder auf der Tafel nah Farbe, Breite, Stoff ꝛe. unter: 
fuchen, ebenfo die Gewichte, Gefchirre und was font zu des Hand: 
werls Ordnung gehörte, und wenn er etwas nicht vecht erfand, 
jo war ex verpflichtet, Anzeige zu mahen. (Sole Schauer be— 
fanden bei allen Zünften und hatten über die ordnungsmäßige Be- 
ſchaffenheit der Waaren zu wachen. Der Tuchſchauer möge als Beifpiel 
für alle übrigen gelten.) 

25. Die Feldſchützen. Ihre Dienftverrichtungen wichen von 
den heute üblichen nicht ab. An Lohn befamen fie außer ihrem Anz 
theil an den Strafen von den Feldbeſitzern nad Umftänden 4, 2 oder 
1 Garben Frudt. ') 

26. Die Waldſchützen. 

27, Der Schäfer hatte eine ſehr umfaffende Dienftinftruftion, 
welche die damalige Wichtigkeit der Schäferei beweist, Eigene Schafe 
durfte er nicht über 125 halten, Kein Bürger durfte mehr als 16 
Schafe oder Hämmel halten; von Fremden durfte der Schäfer keine 
annehmen zc. An Belohnung erhielt er von jedem Schaf oder Hammel 
5 Pfennig und von jedem Lamm 1 Pfennig, Dem Schäfer zur Seite 
fanden 

28. Die Pferhmeifter, nämlich zwei für die Stadt und einer 
für die Aliſtadt. Cie Hatten alle auf dem Pferd; bezüglichen Anord- 
nungen zu treffen, nach denen ſich der Schäfer richten mußte. 

29. Die Hirten. Die Zahl derfelben muß groß geweſen fein, 
da das» Vieh ans der Stadt, der Altftadt und den Vorſtädten gefondert 
gewaibet werden mußte, und bie einzelnen Viehgattungen abermals ges 
trennt waren. Genau war vorgejchrieben, wohin die Pferde, die Kühe, 
die Schweine, die Schafe, die Ziegen und die Gänfe getrieben werben 


1) Die Feldſchützenordnung ift wie bie meiften andern Orbnungen ohne 
Datum, entbält aber einen Nachtrag vom Tonnerftag nad — 1551. 
* 


24 Elftes Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500. 


durften und welche Maiden zum Grafen benützt werben ſollten. Ebenſo 
finde ich genaue Bezeichnungen darüber, wie meit fih das Waidrecht 
der umliegenden Dörfer erftredte. Den Hirten war ein befonderer Eid 
vorgefchrieben. Einen eigenen Eid aber mußten wiederum bie Exderid 
hirten ſchwören, mweldye die Schweine in den Wald zu treiben hatten, 
wo diefen die Eicheln, Bucheln, wilden Aepfel und Birnen zur Nahrung 
dienten. Der Ederich galt nämlich als ein Maftmittel, auf das damals 
noch großer Werth gelegt wurde. (Es gebt dies auch aus $ D der 
Stabdtordnung hervor.) 

30. Der Meßner. Neben dem ürften und der Stadt mußte 
er auch den Geiftlihen Gehorſam ſchwören, auf Kirchen und Gloden 
fleißig Acht haben, die Kirchen rein und fauber halten, deren Gefäße 
und Zierden fleißig verwahren, die Uhren in gehörigem Stand halten 
und weder zu früh, noch zu fpät läuten. Sein Jahrlohn beftand in 
31/, Pfund Pfennig, die er vom St. Michaels Pfleger erhielt; dazu bie 
Aceidenzien. 

31. Der Tobtengräber. Er mußte zwei Maße haben für die 
Tiefe der Gräber, ein 5t/,ichühiges für Kinder, ein 61/, ſchühiges für 
Erwachſene. Gräber in der Kirche mußten aber noch einen Schub tiefer 
fein. Kamen mehrere Leihen in ein Grab zufammen, fo mußte für 
jebe noh ein Schub Tiefe zugegeben werden. Arme Leute aus dem 
„elenden Haus" mußte er umfonft begraben. Leichname von Hingerich: 
teten war er zu beerdigen nicht verbunden. Ihm lag die Verpflichtung 
ob, den Kirchhof fauber zu erhalten. 

32. Der Wafenmeifter. Auf beide MWochenmarkttage mußte 
er in das Schindhaus geben, um die Ausihindlinge hinweg zu tragen. 
Erfuhr er, daß in einem Ort zwei Rinder oder zwei Kühe gefallen 
feien, fo mußte er die Mebger darauf aufmerffam machen; ftarben aber 
in einem Drte ſchnell nacheinander drei Rinder oder Kühe, fo mußte 
er ben Mebgern bdenfelben verbieten, und dies Verbot blieb fo lange in 
Kraft, bis innerhalb ſechs Wochen und drei Tagen daſelbſt Fein Vieh 
mehr gefallen oder erfranft war. Für das Abziehen ıc. eines geftorbenen 
Stüdes Vieh erhielt er feinen vorgeichriebenen Lohn, mußte aber dem 
Befiger die Haut ins Haus liefern, Von diefem Lohn mußte er jedes 
Jahr auf Martini dem Nachrichter in Baden den Gulden bezahlen, den 
die Stadt demſelben zu entrichten ſchuldig war. 

33. Der Shulmeifter. Alle Schüler, die über 14 Jahr alt 


Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 245 


waren, mußte er dem Fürften und der Stadt Treue ſchwören laffen und 
bie Kinder jämmtlicher Bürger und Fremden nad; beftem Verſtändniß 
und zu ihrem Nusen und Künften, guten Sitten und Tugenden lehren 
und unterweiien. Er ſelbſt jollte jeinen Schülern mit gutem Beifpiel 
verangehen, ſich nicht mit weltlichen und ungebührlichen Händen unter 
die Laien mischen, zu keinem Tanz, auch ohne redliche Urfache des Nachts 
nicht auf die Straßen geben, daſelbſt nicht bofiren, (!) noch andere Un: 
gebühr treiben, aud Fein Spiel-thun ꝛc. Von den Schülern bezog er 
fein Schulgeld, nämlich auf Frohnfaften von jedem Kind 2 Schilling 
Pfennig, von armen Kindern aber nur 1 Schilling Pfennig und an 
Dftern 50 Eier oder dafür 10 Pfennig; fonft durfte er fie, mit Aus— 
nahme eines Scyeites Holz, das jedes Kind während des Winters all- 
täglich bringen mußte, (oder ftatt defien für die Dauer eines Winters 
1 Pfennig), mit andern Forderungen, als Oefen- Fenftergeld ꝛc. nicht 
bebelligen; ebenjo von feinen Helfern keine Beſchwerung der Schüler 
leiden, ausgenommen, wenn fie denjelben bejondere Unterrichtsftunden 
ertheilten ꝛc. Wie jeder andere ftädtifche Bedienſtete mußte auch der 
Schulmeiſter jedes Neujahr von Neuem „um die Schule bitten.“ Aug 
Orten, wo anftedende Krankheiten herrſchten, durfte er feinen Schüler 
aufnehmen. 

34. Die Windwächter mußten bei entjtehenden ftarfen Winden 
die ganze Nacht bindurd alle Straßen der Stadt durchgehen und auf 
etwaige Feuersgefahr Acht geben, Gegenjtände, welde der Wind von 
ben Häufern auf die Straßen geworfen hatte, aufheben und dem Eigen: 
thümer wieder zuitellen ꝛc. 

35. Der Stadtfäger. Er war zur Beforgung der der Stadt 
gehörigen Sägmühle geſetzt und erhielt für das Sägen von Borden, 
Latten ꝛc. die vorgefchriebene Belohnung. Der Lohn von Privaten, 
welche die ſtädtiſche Sägmühle benüßten, fiel zur Hälfte der Stadt zu. 

36. Der Biebjhauer 1) Hatte alles gefallene Vieh zu befichtigen 
und jogleic die Anzeige zu machen, wenn ſich etwas Verdächtiges vorge 


1) Diefe Stelle, jowie aud die Mehrzahl ber folgenden, ſcheint erft ſpäter 
freitt worden zu fein. Es jtammen überhaupt die Eide, welche den woch fol- 
genven und theilweiſe auch dem bisherigen Angaben zu Grunde Liegen, aus 
fpäterer Zeit. (Sie flehen nit im Kopialbuch, jonbern auf zeritreuten Blät- 
tern, die in demſelben liegen.) 


246 Elftes Kapitel. Stadtverfaffiung von 1500. 


funden. Er mußte überhaupt die „bei dem Nindvieh, Pferden, Schafen, 
Schweinen und anderm im gemeinen Leben vortommenden Vieh obwaltenden 
Krankheiten fleißig erforihen und die Merkmale, woraus die etwa vor: 
handenen Mängel ficher abzunehmen, aud; wohl befannt machen“, die 
Urkunden und Xtteftate gewilienhaft ausftellen und namentlich bei brohen- 
ben Seuchen alle Mafregeln treffen oder veranlafien, welche die Verbrei- 
tung berfelben verbindern konnten, 

37. Der Waghausinſpektor mußte auf die im Waghaus be 
findlihen Waaren Acht haben, Wag und Gewicht in Ordnung halten, 
jedem Fremden und Einheimischen auf Verlangen feine Waare getreulich 
wägen, von Zeit zu Zeit das Gewicht prüfen und das mangelhafte in 
gehörigen Stand bringen laſſen, das Waggeld erheben und auffchreiben, 
und der Stadt wie der Herrihaft den daran gebührenden Antheil all: 
jährlich abliefern, 

38. Der Hanfwäger hatte Ähnliche Funktionen. 

39. Die Stadtprofuratoren hatten die Verpflichtung, jedes 
Mal, wenn’ es nöthig war, vor dem Oberamt und Bürgermeifteramt 
pünktlich zu  erfcheinen, jeden Klienten nach beftem Wiſſen zu be: 
rathen, Alles gewifienhaft vor Gericht mündlich oder jchriftlich vorzutragen 
und Niemand über die gefegliche Belohnung zu fordern, die Ordnung 
bei Taufen, Hochzeiten und Leichen zu überwachen, bei Todesfällen bes 
bufs der Obfignation fogleich dem Stadtfchreiber die Anzeige zu machen, 
bei Anventuren und Theilungen als Taratoren zu fungiven, anvertrautes 
Geld getreulich zu verwalten ꝛc. 

40. Die Holzmeſſer. 

41, Der Heubinder. Jeder Bund Heu mußte 24 Pfund 
wiegen ac. 

42. Der Keuerfhauer. 

43. Die Wingertbüter. 

44, Der Armentrantenwärter hatte über das Seelhaus 
(S. 163), die Kreuzkirche und den anftopenden Gottesacker die Aufficht 
zu führen und diejelben in gutem Stand zu erhalten, die Uhr im der 
genannten Kirche aufzuziehen und zu richten, die ihm übergebenen Ge: 
räthe, Bettgewand ꝛc. zu reinigen und in gutem Stand zu erhalten, die 


im Seelhaus aufgenommenen Armen menfchenfreundlih zu behandeln, 
bie Kranken zu pflegen ıc. 


Eiftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 247 


$4 Die Bürgerfdaft, 


Bergleihen wir den Eid, den die Bürgerichaft Pforzbeims im 
Jahr 1348 ihren Fürften hatte ſchwören müſſen (©. 96), mit den 
Beitimmungen des Privilegienbriefes von 1491, worin volle Freizügigkeit 
geftattet, jede Art von Frohndienſt, Schatzung, Steuer ꝛc. aufgehoben 
und die Dürgerjhaft überhaupt auf alle Weife „gefreit“ war, fo 
fann uns nicht entgeben, wie fehr ſich die Verhältniſſe zum Bortheil der 
Bürger geändert hatten. Mußte doch nad der meuen Ordnung jeder 
Bürger jchwören, daß er keinen „nachfolgenden Leibesherrn“ (d. h. keinen, 
ber von früher Anſprüche auf ihm machen könne,) habe und namentlich 
aller Leibeigenſchaft ledig feil Nirgends finden wir auch eine 
Spur mehr von Verbindlichkeiten und Dienftleiftungen, wie diefelben mit 
dem Verhältniß der Leibeigenichaft zuſammenhiengen. 

Es ift oben des Bürgereides gedadyt worden. Derſelbe enthält 
außer dem erwähnten Eingang das Veriprechen, fih nad der Stadt 
Drdnung zu richten, ohne Erlaubnig des Schultheigen (Untervogts) nicht 
wegzuziehen, ohne den im Privilegienbrief vorgejchriebenen Verpflichtungen 
nachgekommen zu fein. Ferner mußte beſchworen werden, daß das vorgezeigte 
Gewehr Eigenthum und nicht entiehnt fei, und daß es der betreffende 
Bürger nicht verkaufen wolle. Der Schultbeiß, der die Bürgerannahmen 
zu beforgen hatte, durfte nämlich feinen annehmen, der nicht jein Mann: 
recht (d. h. Freiheit von Leibeigenichaft), ziemliche Habe, einen Harniſch 
und ein Gewehr, damit er für die Noth gerüftet jei, befaß. Daß biefe 
Bedingungen noch lange aufrecht erhalten wurden, erjehen wir aus den 
Rathsprotokollen des folgenden Jahrhunderts, worin ausdrüdlih gejagt 
ift, daß jeder aufzunehmende Bürger fein Mannrecht beweifen müſſe und 
keiner fein Bürgerrecht antreten dürfe, ev habe denn zuvor fein Gewehr 
präfentirt und feine Schuldigkeit (wegen Bürgerannahme) entrichtet. 
Ebenſo durfte auch keiner beirathen, der nicht vorher fich feine Waffen 
anfchaffte, und diefe konnten einem Bürger, der zahlungsunfähig wurde, 
fo wenig, als jein Handwerkszeug genommen werden, Bezüglich der 
Wehrhaftigkeit der Bürger hatten die fürftlichen Amtleute überhaupt 
fireng darauf zu jehen, daß, wie es in ber Landesordnung von 1495 
heißt, „die Unfern mit ihrem Harnifch, Gezelten, Neiswägen, Gewehren 
und Anderm zum Krieg, desgleichen mit Leitern, Haken, Eimern und 
anderer Bereitfchaft zu Feuersnöthen allweg und in fteter Nüftung be> 


248 Elftes Kapitel. Stabtverfailung von 1500. 


ftellt und geordnet ferien.” Aber aud in Friedenszeiten mußten die 
Bürger, wenn e8 die Noth erforderte, „nacheilen und retten” (S. 230), 
im Falle die Stadtknechte allein nicht fertig werden konnten. So lange 
die betreffenden Bürger auswärts und ihrer nicht über 15 waren, erhielt 
jeder „für einen Tag und eine Nacht, für Lieferung und alle Ding“ 
3 Schilling Sold; bei größerer Zahl war man ihnen zu verabreichen 
nichts fchuldig, wenn nicht Gericht und Math aus befonderer Urſache 
anders beichloffen. Zu Kriegszeiten durfte fein Bürger ohne Urlaub 
des Schultheißen auf einen Jahrmarkt ziehen; wenn es nothwendig er: 
fchien, Konnte der Schulthei die Bürger, die das thun wollten, „mit 
Drdnung eines Hauptmanns und mit ziemlichen Gewehren“ dahin ziehen 
laſſen. — Das Bürgereinfaufsgeld betrug laut Privilegienbriefs 
3 Schilling Pfennig; einen davon erbielt die Herrichaft, den zweiten bie 
Stadt und der dritte fiel den Bütteln zu (S. 222). Jeder Bürger war 
zu allen Nemtern wählbar, wenn auch das aftive Wahlrecht ein beſchränktes 
war. Doch wurden jedenfalls auch Gericht, Math und Bürgermeifter 
urfprünglid von der ganzen Gemeine gewählt. 

Daft die ganze Bürgerſchaft in Zünfte eingetheilt war und bdiefe 
auch einen militärifchen Zweck hatten, ift früher ſchon (S. 124) bemerkt 
worden Wie groß die Zahl derfelben im 15. und 16. Jahrhundert 
war, ift nirgends angegeben; wohl aber ift fpäter immer von 24 Zünf: 
ten die Rede. Daß dazu chen um 1500 die der Metger, Bäder, 
Wirthe (und Kaufleute), Flößer, Fiſcher, Schneider, Schuhmacher, Küfer, 
Goldſchmiede (und Glaſer) u. A. gehörten, gebt aus den unten folgen: 
den Gewerbeordnungen hervor. 


55. Polizeilihe Einrichtungen unb Anordnungen. 


Manche derfelben find chen im Bisherigen, namentlich auch in ber 
Stadtordmumg ſelber berührt worden, da die amtlichen Verrichtungen 
jehr vieler Bedienfteten polizeilicher Natıır waren. Indeſſen wurden 
dabei mehr die Perfonen als die Sache berücfichtigt; andere Verhältnifie, 
die im dem vielgegliederten ftädtiichen Gemeinweſen von großer Wichtig: 
feit waren, konnten dort weniger berührt werden, fo daß eine befondere, 
wenn auch gedrängte Darftellung derfelben notbwendig erfcheint, um das 
Stadtbild, defien Ausmalung der Zweck diefes Kapitels ift, zu ergänzen. 


Elftes Kapitel. Stabtverfaflung von 1500. 249 


Am beften laſſen fi jene polizeilichen Einrichtungen und Anorb: 
nungen in ſolche, welche mehr allgemeiner Natur, waren, und in 
ſolche, welche auf befondere Verhältniffe, wie 3. B. auf das Gewerbe: 
weien Bezug hatten, eintheilen. 


A. Ullgemeine Polizei. 


1. Feldordnung. 

Das, mas fich aus dem mehrerwähnten Kopialbuche unter dieier 
Ueberſchrift zufammenfaffen läßt, befteht aus ſechs verſchiedenen Artikeln, 
welde folgende Meberichriften führen: Vom Bau des Feldes und Zu: 
adergeben, von der Feldalmend, von Feldbäumen, vom Wegfchneiden in 
der Ernte, vom Wegmäben, von Feldrügungen. jeder diefer Artikel 
zerfällt wieder in einzelne „\tems oder Paragraphen, welche meiſtens 
Verbote enthalten und denfelben die auf die Lebertretung geſetzten Stra: 
fen beifügen. So mußte 3. B., wer chne Erlaubniß über einen einge 
füeten Ader fuhr, 10 Schilling Pfennig, wer von einer Almend jich 
etwas aneignete, 2 Prund Pfennig, wer ohne Erlaubniß des Bürger— 
meifters einen Baum auf feinem Feld umhieb, 10 Schilling Pfennig 
Strafe bezahlen ꝛc. 

2. Waldordnung. 

Un hierher gehörigen Beitimmungen finde idy nichts, als einen 
Artikel, überfhrieben: Von der Stadt Waldeingung. Er enthält u. A. 
die Beftimmung, daß, wenn ein „gemeiner Hau“ erfolgte, der Platz 
eine Zeitlang von dem Vieh gehegt werden follte, damit der Wald 
wieder wachie; ferner, wer ftehend Holz abbieb, fo groß als ein Geiſel— 
fteden oder größer, mußte Strafe oder MWaldeinigung im Betrag von 
171, Schilling Pfennig bezahlen ꝛc. Wer aber in der Nacht oder 
Morgens ohne Erlaubnik im Wald Holz bieb, wurde gerichtlich geitraft. 

3. Marftordnung. 

Jede Woche waren zwei Wohenmärfte, am Mittwoh und 
Samftag, beide mit urfprünglich gleichen Freiheiten. Das wurde aber 
fpäter 1) dahin abgeändert, daß nur der Mittwoch ganz frei fein, am 
Samstag dagegen ein fremder Krämer auf erhobene Klage nicht feil 








ı) Auf Montag nach Aubilate 1556 durch Beichluß des Schultheißen, 
Bürgermeifters, Gerichts und Raths. 


250 Elftes Kapitel. Stadtverfafjung von 1500. 


haben dürfe, damit „ben Bürgern nicht das Brod von dem Mund ab: 
gejchnitten werde.“ A Gegenftände, die zu Markt gebracht wurden, 
durften nur auf dem Markt ſelbſt verfauft werden, und fein Thorwart 
ober Zuhüter durfte ſich unterftehen, unter dem Thore etwas an Schmalz, 
Käfe, Eiern, Hühnern, Vögeln, Obft u. dgl. zu faufen oder zu beftellen, 
Ebenfo durfte auch fein Händler, und zwar Sommers (von Georgi bis 
Michaeli) vor 10 Uhr und Winters (von Michaeli bis Georgi) vor 
{1 Uhr bei Strafe von 5 Schilling Pfennig Etwas kaufen oder beftellen, 
und aud an andern Tagen mußten die Waaren zuerjt wenigftens zwei 
Stunden feil geboten worden fein. Jeder Bürger, der feil Gut über 
einen Gulden an Werth Faufte, mußte Andere auf Verlangen am Kauf 
Theil nehmen laſſen, damit „feine Theurung gemacht werde.” Mas 
ben Frucht markt betrifft, fo durfte Keiner, geiftlich, weltlich , fremd 
oder einheimifch bei Strafe von 1 Pfund Pfermig „Fruchtred haben 
oder feilfen”, fo lang das Marktfühnlein noch ausgeftet war. Alle 
Fruchtläufe durften nur im Kaufhaus geſchehen. Kein Bäder noch 
Anderer durfte mit unbeftimmten Worten, wie: was die Frucht gelten 
werde, jo viel wolle er auch zahlen u. dgl. kaufen, fondern er mußte 
immer mit beftinnmten Worten erklären, wie viel er geben wolle. Müller 
und Verkäufer durften ohne befondere Erlaubniß des Bürgermeifters 
vor 12 Uhr keine Frucht kaufen. Wer größere Quantitäten Frucht 
kaufte, mußte Andere auf ihr Berlangen daran Theil nehmen lafien. 
Roggen oder Dinkel jollte vor dem Hafer ausgemefjen werden. Wer 
einen Sad, voll oder leer, auf den Zahltiſch legte oder jtellte, mußte 
dafür 5 Pfennig Strafe zahlen ꝛc. Die Fruchtverkäufer durften ihr 
eigen Maaß mitbringen, doch mußte es vor dem Gebrauch in der Stabt 
geeicht werben. Wer Fein eigenes Maaß mitbrachte, durfte nur das ber 
Stadt benußen, mußte aber 1 Pfennig bezahlen; dafür befam er auf 
einen Tag „ein Simmerin, ein halb Simmerm und einen Vierling.“ 
Veber die Vieh: und Jahrmärkte finde ich wenig, von letztern nur 
ben Betrag des Standgeldes für Tuchkrämer und daß ihrer jährlich 4 
gehalten wurden. — Die Ordnung des Marktes bandhabten zwei 
Marktmeifter (S. 241). 
4, Brunnenordnung. ‘) 


ı) „Dur Schultheiß, Bürgermeifter und Rath fürgenommen und beichloj: 
fen auf den 13. Sept. Anno domini 1526.” 


Elftes Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500. 21 


Bon einem untergeſetzten Kübel durfte Niemand weglaufen, und 
ben vollen mußte man gleich binmwegtragen. In die Brunnenkäften durfte 
fein Fiſchkorb gelegt, darin kein Tuch genebt, fein Stockfiſch, Häring, 
Reif, Beſen, Schaub, Geſchirr u. dgl. geftoßen oder gewaichen, babei 
fein Kraut, Wendel, Fenfter, Kübel, Zuber, Schub u. dgl. gewaichen 
und zu den Brunnen kein Feget, Wuft, Mift u. dgl. getragen noch ge: 
fehlittet werden. Auf alles Zuwiderhandeln waren angemeifene Gelb: 
ftrafen geſetzt. Die zwei nächiten Nachbarn eines jeben Brunnens hatten 
barüber zu wachen, daß derſelbe ſich (S. 238) immer in gebörigem 
Stand befand, und im entgegengefeßten Fall bem Bürger: oder Bau: 
meifter die Anzeige zu machen. 

d. Bauordnung. (Bom Bau von Häufern und FE 

Ver einen Neubau aufführen wollte, durfte den alten nicht eher 

abreigen, bevor er von Schultheiß, Bürgermeiſter und Gericht oder ben 
bon ihnen dazu Geordneten bejehen worden war, damit "der neue Ban 
auf der Almend nicht weiter vorgefegt werde, als der alte, in Ueber: 
ſtoß an einem Haufe durfte ohne Erlaubniß nicht über 11/, Schub 
berausgehen, und war in engen Gafien beim unterften Stod gar nicht 
geftattet. Wer gegen einen Nachbar Traufrecht haben follte, mußte wie 
diefer 14/, Schuh Tiegen laſſen, wenn nicht Recht und Billigkeit es 
anders verlangten, Unterfagt war, ohne befondere Erlaubnik des Schult: 
beißen, Bürgermeifters und Gerichts Abtritte in Winkel zu richten, wo 
vorher Feiner geweien, Waſſerſteine in eine gangbare Straße zu richten 
ohne Kanal am Haus berunter, dem Nachbarn ohne deſſen Bewilligung 
„ein Geficht ins Haus zu machen”, das Licht zu verbauen, auf feinen 
Nachbar „zu fhütten oder zu werfen ohne befondere Gerechtigkeit oder 
redliche Urſache.“ Ein „Geſicht vom Himmel herab“ konnte jebech nicht 
verwehrt werden. Wer ohne Berechtigung auf einen Almendplat battte, 
mußte den Bau binnen Monatsfrift wieder abthun, — Die Landesord- 
nung von 1495 enthält überdies folgende baupolizeiliche Beftiimmungen : 
Jeder Neubau muß wenigftens Eniehoch von der Erde untermanert ſein, 
damit die Schwellen nicht fo bald faulen. Alle alten und neuen Ge 
bäude follen mit „Leimen, Schornfteinen und fonften Feuers halber ver: 
jehen fein.“ Zwei vom Gericht müflen jedes Jahr wenigſtens zwei 
Mal behufs der Feuerfchau ꝛc. umgeben. 


252 Elftes Kapitel. Stadtverfaiiung von 1500. 


6. Reinlihfeitspolizei. !) 

In den Straßen durfte von Niemand, der einen eigenen Hof oder 
Miftplap hatte, Mift gemacht werden, und überhaupt kein „Gefperr“ 
ftattfinden, (mit Ausnahme einiger Häuferbefiter); ebenfo mußte der Plat 
beim Schleifthor in: und auswendig der Stadt umbelegt und unverfperrt 
bleiben, mit Ausnahme von Holz oder Dielen, die man, drei Tage da: 
ſelbſt aufgefeßt Lafjen durfte „Kerich, Gemüll, Aſchen, zerbrochene 
Häfen“ ꝛc. durfte man nicht auf die Straßen und in Winkel werfen, 
ebenjo wenig „einig todt Thier, Schelm, Hund, Katzen, Schwein, Gäns, 
Hühner, Natten, Mäuß u. dgl.“; eritere Gegenjtände mußte man vor 
die Stadt hinaus (in die „Krüpfen bei der Bleichftaffel“) tragen, letztere 
entweder ins Maffer werfen oder dem Wafenmeifter abliefern. (Bon 
Waflerfteinen und Priveten fiehe Bauordnung.) Fließende Kloaken durf- 
ten nur bei großem Negen, und wenn das aladann nicht geſchah, jedenfalls 
nur bei Nacht gereinigt werden. Andere zu bejchütten, bei Tag oder 
Nacht, oder zu bewerfen, namentlich wenn die betr, Perfonen bei Nacht 
ein Licht trugen, war bei Strafe unterfagt. In jeder Gafje waren ein 
ober zwei Bürger aufgeftellt, „ein Auffehen zu haben“ und Ungehörig- 
keiten dem Bürger: oder Baumeifter anzuzeigen, 

T. Siderbeitspolizei. 

Ich finde bierüber nur zerftreute Beftimmungen, von denen bie 
meisten in den Dienftinftruftionen und den Eiden der Büttel, Schar: 
wächter zc. enthalten und ſchon zum Theil berührt worden find. Es 
gehört hierher noch: Man durfte Niemanden ohne Erlaubniß des 
Schultheißen oder Bürgermeifters länger als 8 Tage beherbergen. 

8. Maaß und Gewidt. 

Nah vereinzelten Angaben und darauf geſtützten Vergleichungen 
und Berechnungen betrug : 

Längenmaaß: eine Ruthe — 16 Schub oder 8 Pforzheimer 
Ellen; ein Schub — 12 Zoll, Dabei die Bemerkung: „Die Längen 
der Ruth findet man am Glockenthurm zu St. Michael gegen der Gruft 
bei der Ziegelformb.“ (Dies ift, fo viel mir bekannt, auch beim Ein- 


1) „Ordnung des Mifts, Keritt, der Wafferftein und Priveten“ 
(ohne Datum). Ferner: „Ordnung Miſts“, duch die Rathéverordneten 
in Beifein bes Kanzlerd Oswald Gutt, des Vogts Volder von Uetzlingen 
und des Dr. Marquard, allen fürſtlichen Räthen, verfaßt auf Dienſtag nach 
Pfingſten 1539. 


Eiftes Kapitel. Stavtverfaffung von 1500, 253 


gang im das Freiburger Münfter der Fall.) Bei wen man eine Elle 
fand, die um zwei Heller zu kurz war, wurde um 11/, Schilling ge: 
firaft; 3 oder 4 Heller zu kurz koſteten 5 Schilling; noch mehr zu 
furz zog gerichtlihe Strafe mad ſich. In der Stadt durften Ellen: 
waaren nur nad Ellen verkauft werden, welche der Stadt Zeichen trugen. 

Klaftermaak: Jedes Klafter mußte 61, Schub hoch und 
61/, Schuh weit oder breit, jedes Sceit Holz 41/, Schub lang fein. 
Ungemeffenes Holz durfte nicht — auch nicht verſchiedenes Holz 
vermiſcht werden. 

Getreidemaaß. Ein Walter hatte 8 Simmerin, 1 Sim: 
merin faßte 4 Imi oder 4 Vierling oder 3 Dreiling. Von rauber 
Frucht (Spelz, Haber) hatte das Malter 10 Simmerin. 

Flüſſigkeits maaß. Eine Ohm betrug 12 Biertel, ein Viertel 
6 Maaf. 

Gewicht Genaue Beitimmungen darüber finde ich nicht; es 
fheinen indeß bie verſchiedenen Gewichtsabitufungen dieſelben wie beut 
zu Tage (Zentner, Pfund, Loth, Quinichen, Gerftenkörner) geweſen zu 
fein, ebenfo ihr Verhältniß zu einander, Ob ber fpätere Unterſchied 
zwifchen Frohngewicht und Kramgewicht (meld letzteres etwas 
leichter als erfteres war,) ſchon beſtand, vermag ich nicht anzugeben. — 
Die Krämer durften an Wagen und Gewichten fein Blei, Eifen ober 
Stein zc. hängen bei Poen von 1 Pfund Pfennig, War ein Pfundge 
wicht um 1/, Loth zu leicht, fo zog das eine Strafe von 3 Pfund 
Pfennig nach fi); ein ganzes Roth koftete 5 Pfund Pfennig; noch mehr 
wurde gerichtlich beitraft, 


B. Beſonbere Polizei. 


Diefelbe umfahte, wie ſchon oben bemerkt, die verfchiebenen Ge: 
werbeordnungen. Diefe wurden natürlich nicht alle auf ein Mal 
gegeben, auch nicht auf längere Zeit unabänderlich feftgefegt, ſondern 
erhielten nach Bedürfniß und Umpftänden zeitgemäße Zuſätze und Um: 
wandlungen, weshalb fich beifpielweife in dem vielerwähnten Kopialbuche 
neben der von Schultheiß, VBürgermeifter, Gericht und Rath im Jahr 
4511 gegebenen „Beckhenordnung“ nod eine alte „Bedhenorb: 
nung von der Cantzley geben“ von 1506 findet. Bon allgemeinen 


254 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500. 


Beitimmungen über das Gewerbsweien ftoße ich auf wenige, jo auf das 
Verbot der Benübung auswärtiger Handwerksleute ohne Erlaubniß des 
Bürgermeifters bei Strafe von 10 Schilling ‘Pfennig u. ſ. w. Alle 
Gewerbeordnungen bier vollftändig mitzutheilen würde natürlich zu weit 
führen. Ich beſchränke mich deshalb auf die wichtigen und gebe 
das Mefentlichfte derielben im Auszug. Meine Quellen enthalten deren 
folgende: Müller:, Bäder:, Mebger:, Wirths:, Würzkrä— 
mer:, Fiſcher-, Flößer:, Ziegler, Dahdederordbnung. 
Nach einem noch eriftirenden Verzeichniß deſſen, was das ſtädtiſche Archiv 
vor 1689 enthielt, fanden fi in der Lade B. B.: Ordnungen aller 
Handwerke, davon fpeziell angeführt: Deß ſchnyderhandtwerkhs, ber 
ſchuhmacher, der Bader (gar Allt), des Eueffer handtwerkhs u, j. w. 

1. Müllerordnung. 

Nach verfchiedenen Beftimmungen über die Art und Beichaffenheit 
der Getreidemaafe der Müller, die Mühlfteine und fonftige Mübleins 
richtungen wird ihnen das Kaufen von Frucht im Haus oder auswendig 
der Stadt ohne beiondere Erlaubniß des Bürgermeifters, aber auch in 
dieſem Fall nur zu eigenem Gebraud, nicht um fie wieder zu verlaufen, 
bei hoher Strafe unterfagt, ebenfo die Annahme und das Mahlen von 
Frucht ohne erhaltene Wortzeihen (S. 223), und wenn damit die 
Fruchtmenge nicht übereinftimmte, jo mußten fie die Anzeige machen, 
Leder Müller durfte nur feinen Kunden mahlen. Er durfte feinen 
Mühlknecht nod Lehrling länger als acht Tage behalten, ohne daß der 
felbe dem Schultheißen gelobt hatte, die Ordnung des Ungeldes zu bes 
obadyten. Der den Mühlfnechten vorgeichriebene Eid war ein fehr and 
führliher. Sie mußten fich darin verbindlih machen, den Müller des 
Ungeldes wegen zu Fontroliren und nicht ohne Urlaub des Schultheißen 
hinweg zu wandern. Auch die Frauen, Kinder und Dienftboten der 
Müller mußten ſchwören, ohne die Meifter oder Knechte Feine Frucht 
anzunehmen (S. 2235). Die Müller mußten die Frucht aus den Kun 
benhäufern abholen und das Mehl wieder dahin verbringen Che aber 
die Frucht in die Mühle kam, mußte fie auf der ftädtifchen Wage durch 
den dazu beftellten Wagfnecht gewogen werben, ebenfo, wenn Mehl, 
Kleie ıc. aus der Mühle zurückkamen. Molzer und Abgang durften 
von einem Malter Kernen 16 Pfund, von gemiſchter Frucht 15 Pfunb 
und vom Roggen 14 Bund betragen. Ohne Willen und Willen bes 
Eigentümers durfte keine Frucht genegt werden, Geſchah es, jo mußte 


Elftes Kapitel. Stebtverfaflung von 1500. 255 


der Müller den Wagknecht in Kenntniß ſetzen, um ben Abgang darnach 
bemefjen zu Fönnen An Mülter oder Molger durften fie nehmen: 
Bon einem Malter Kaufternen einen gebäuften Vierling Kernen 
und einen geftrichenen Vierling Mehl; von einem Malter Gerbfernen, 
den man mahlt und gerbt, 4, Simri Kernen und einen geftrichenen 
Vierling Mehls; von einem Malter Roggen oder gemifchter Frucht 
1/, Simri geftrihen und kein Mehl; von einem Malter Haber, zu 
Mehl gemahlen, 1 geſtrich. Vierling Mehl. ferner von einem Malter 
Dinkel zu gerben 2 Pfennig; von einem Malter Kernen oder Roggen 
zu beuteln 1 Kreuzer. Sämmtliche Mühlen mußten jährlih 2 bis 4 
Mal durch Abgeordnete Gerichts und Raths vifitirt werden (S. 236). 

2. Bäderordnung. 1) 

Ein neuangehender Bädermeifter mufte das Mann: und Bürger: 
recht haben und als Einftand 4 Pfund Heller und eine „mäßige Kan: 
ten”, ſowie der Herrfchaft 10 Schilling Pfennig „Hüttenzins“ geben. 
Er mußte der Meifter Stubentnecht fein und ihnen Wein und Brod 
zutragen, bi® ein anderer neuer Meifter an feine Stelle kam. An ge: 
botenen Feiertagen durfte vor der Predigt nicht ausgetragen werden. 
Die verordneten Meifter und Stubenmeifter mußten jedes Jahr Rech— 
nung ablegen. Kein Meifter durfte von einem Lehrfnaben weniger 
Lehrgeld nehmen, als 3 Pfund Pfennig; außerdem hatte dieſer „ge: 
meinem Handwerk” zu geben eine mäßige Kanten und 1 Pfund Wade 
oder 21/, Schilling Pfennig, und den Knaben auch 1 Pfund Wade 
ober 21/, Schilling Pfennig. Kein Meifter durfte einem andern einen 
Knecht abdingen, auch keinen nehmen, der, wenn er vorher einem andern 
Meifter irgend Schaden angerichtet, diejen nicht zuvor erſetzt hatte. Die 
Beftimmungen über „Fruchtkauf von Bädern und Müllern“, von ber 
„Bäder Schwein und wohin fie die treiben follen“, von der „Bäder 
und Müller Metzeln“ — mögen hier Üübergangen werden. Alle Tage, 
mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen, mußten die Bäder frifches 
Brod haben, und dasjelbe unter „den Hütten“, d. 5. in einem gemein- 
ſchaftlichen Verkaufhaus gleich ben Metzgern feil bieten. Zu Haus durf- 
ten fie nur an Fremde und ausnahmsweiſe zur Nachtzeit verkaufen, 
Das gewöhnliche Brod bejtand in Zweipfenniglaiben und Hellerweden, 


') Bon 1511, mit Zufägen v. 12. Eept. 1558, 13. Nov. 1562 u. 14, Mai 
1582, und Hinweiſung auf eine ältere Bäderorbnnung von 1506. 


956 Elftes Kapitel, Stadtverfaſſung von 1500. 


im Falle eines Fruchtaufſchlags auch in Vierpfenniglaiben, doch nur mit 
Erlaubniß des DBürgermeifters, Die Preife änderten ſich alfo nicht, 
wohl aber das Gewicht, Herrichte Mangel an feilem Brod, fo wurden 
die Bäder geftraft. Keiner durfte an mehr als einem Laden feil haben. 
Schlecht gebadenes Brod durfte nur mit Erlaubniß der Brodſchauer und 
zwar um ermäßigten Preis und außerhalb der Hütte verkauft werben. 
Die Bäder durften Niemand Brod verweigern und mußten Dreinbrod 
geben. Eine befondere Abtheilung der Bäder bildeten die „Haus: 
bedben“, die den Yeuten ihr Brod aus dem ihnen überbradyten Mehl 
baden, erforderlichen Falls auch in den Häujern kneten mußten, alsdann 
aber für fih zum Verkauf nicht baden durften. Sie erhielten von einem 
Malter Mehl zu baden 1 Schilling 10 Pfennig, Frucht-, Mahl 
und Badproben wurden von Zeit zu Zeit von Bürgermeifter, Gericht 
und Math vorgenommen, Am Schluß der Bäderordnung wird ange 
geben, wie ſich die Bäder des Ungeldes wegen in den Mühlen halten 
follten. 

3. Meggerordnung. 

Leder neuangehende Meifter zahlte in die Zunft 10 Gulden; eines 
Metgers Sohn oder eines Bürgers Sohn, der eine Mebgerstochter bei: 
vathete, bezahlte nichts. in angebender Lehrling zahlte ins Handwerk 
5 Schilling Pfennig, eine mäßige Kanten und 2 Pfund Wade „an 
unferer lieben Frauen Kerz.“ Keiner durfte einen Knecht nehmen, der 
nicht gute Zeugniſſe aufweifen fonnte. Kein Metzger durfte einem andern 
in einen Kauf fallen, Ungefchättes Fleiſch durfte nicht verfauft werden. 
Alles Vieh mußte im Schlachthaus gefchlachtet werden. Stein Metzger 
durfte das leifch in feinem Haufe ausbauen, fendern nur „unter ben 
Hütten", d. b. in der gemeinichaftlichen Mebig, wo jeder feine Tleifch: 
bank hatte, die aber nicht länger ald 7 Schub fein durfte Am Som: 
mer durfte vor 5 und im Winter vor 7 Uhr kein Fleiſch in die Metzig 
gebraht und alle Fleiſchſorten mußten gefondert aufgehängt werben. 
Fanden die Fleiſchſchauer das Fleiſch übelriehend und überhaupt nicht 
in der Ordnung, jo durfte es nicht in dev Metzig, fondern mußte außer: 
balb derfelben um geringern Preis auf der ſog. „Pfinnbant* (S. 240) 
ausgehauen werden. Dahin gehörten aud) die Farren, die geringen Schafe, 
bag Eberfleiich, das Fleiſch von unverheilten Schweingmüttern u. ſ. w. 
Wurde aber das Fleiſch ganz verdorben erfunden, fo mußte es der Metzger 
bei Verlierung des Handwerks dem Wafenmeifter überliefen. Diefem 


Eljtes Kapitel. Stabtverfafjung von 1500, 257 


wurden auch finnige Schweine zuerkannt, Wer am Ofterabend fchlachtete, 
übernahm dadurch die Verpflichtung, die Metig das ganze Jahr hin: 
durch mit Fleiſch verforgen zu helfen; wer das Schlachten an jenem 
Abend unterlieh, hatte das Schlachtrecht für das ganze Jahr verwirkt, 
(Krankheitsfälle ausgenommen). Alles Fleiſch mußte mit dem Rücken 
gegen die Mebig aufgehängt werden. Niemand durfte einem Fleiſch— 
käufer entgegen laufen oder ihm zurufen. Mer Schweine oder Rind— 
fleifch feil hatte, durfte Fein anderes Fleisch daneben ausbauen, im lettern 
Fall nur Kalbfleiſch, Kiten: und Lämmerfleifh. Das Loos entichied, 
welhe zwei Metger eine Woche hindurch Hammel: oder Schaffleiſch 
(getrennt) und Fein anderes daneben feil haben mußten; doch durften 
Schafe und Himmel nad St. Andreastag (30. November) nicht ge: 
ftochen werden, Tettere höchſtens mit Erlaubnig des Bürgermeiſters. 
Zur Abgabe von Kalbfleifch waren die Metger nicht verpflichtet, wenn 
man nicht Nindfleifch dazu nahm; eine Ausnahme davon machten Kranke, 
Schwangere und SKindbetterinnen. Sonft mußte der Mebger Jeder— 
man, Reichen und Armen, das Fleiſch geben, wo man e8 verlangte; 
der Ausichlag durfte nicht mit einer andern Fleiſchſorte gemacht werden. 
Blut von verichiedenen Thieren durfte nicht vermiſcht, und die Würfte 
von jedem Schwein mußten gefondert verfauft werden. Bratwürfte durften 
nicht gemacht werden „denn von Quallen, damit fie das Gebein nicht 
zu genau fchinden”; anderes Fleiſch dazu zu nehmen, war unterfagt. 
Ein Kalb mußte wenigjtens vierthalb Wochen, eine Geiß 16 Tage alt 
fein, Vieh, das erft innerhalb 14 Tagen gerindert hatte, durfte nicht 
gefhlachtet werben bei Berluft des Handwerks; ebenſo war unterfagt, 
Vieh von St. Georgen (dem Leprojenhaus) zu kaufen u. f. w. 

4. Wirtbsordnung. 1) 

Zwiſchen Gaftgebern und Weinſchenken wurde ein Unterſchied ge 
macht. Gaftgeber konnte nur fein, wer Stallung für 10 Pferde beſaß 
und mit Futter ꝛc. dafür verfehen war, ebenfo auch 10 Perſonen über: 
nachten Konnte. Bloße Weinfchenten durften Niemand beherbergen, auch 
feine andern Speifen hergeben, als Käs und Brod; bloß die Jahrmärkte 





) Am Dienftag nad Pauli Belehrung 1541 entworfen vom Vogt Bolfer 
von Ueglingen, Dr. Marguart, dem Schultbeißen Ulrich Sayler, dem Bürger: 
meifter Peter Goiflin und etlichen des Naths, beftätigt von Markgraf Ernft, 
mit Berufung auf einen Abſchied von 1531 und mit einem Zujag vom Sonn: 
tag nah Medardus 1548, 

Pflüger, Pforzheim. 17 


258 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500. 


geftatteten eine Ausnahme. Feder Gajtgeber mußte fernen Schild Haben, 
jeden fremden Gaft beherbergen und nad feinem Wunſch bewirthen; 
wer einen Fremden ohne genügende Urſache ausſchlug, mußte 1 Pfund 
Pfennig Strafe bezahlen. Jeder Wirth und Weinfchent war verbunden, 
alle „Frevel und Unfuhr“, die fih in der MWirtbfchaft erhoben, den 
Schultheißen, Bürgermeifter oder den Stadtknechten anzuzeigen; feiner 
durfte bei Strafe von 1 Gulden einen Bürger im Sommer nad 10, 
im Winter nad 9 Uhr in feinem Haufe dulden, ausgenommen, wenn 
er einem Fremden Gefellichaft leiftete, oder jonft ein ehrhaftes Gefchäft 
hatte. Keim Bürger durfte am Sonntag unter der Predigt im MWirthe- 
haus fißen, auch nicht im der Stadt herumftehen oder fpazieren, bei 
Strafe eines Guldens, die im erften Kalle auch den Wirth traf. — 
Ein jeder Wirth oder Weinfchent, der ein oder mehrere Faß Wein aus: 
fhenten wollte, mußte den Wein bei Strafe dur den Büttel ausrufen 
faffen, der dafür eine Maaß Wein oder 2 Pfennig erhielt. = 

5. Flößerordnung. 9) 

Kein Schiffer oder Flößer durfte angenommen werden, wenn er 
nicht in Pforzheim oder der Markgraifchaft anfäßig war und fein Mann: 
recht hatte. Kein Holzhauer durfte zugleich Flößer fein und umgekehrt. 
Jeder, der im Lauf eines Jahres fein Handwerk auszuüben dachte, 
mußte auf einen beftimmten Tag einen halben Gulden erlegen; die da: 
durch erzielte Summe jollte auf Erhaltung der Floßwege, unbeſchadet 
der Wehre und der Mühlkanäle, verwendet werben. Eines Flößers 
Sohn, der an die Stelle feines veritorbenen Vaters trat, mußte 2 fl. 
Einftand bezahlen; ein Anderer, der das Flößerhandwerk ergriff und 
nicht eines Meifters Sohn war, 1 Gulden, wer lettern nicht auf den 
beftimmten Tag pünktlich entrichtete, verlor für jenes Jahr das Recht, 
für ſich felber zu flößen. Die kinderlofe Wittwe eines Flößers durfte 
noch ein Jahr lang mit Hilfe eines tauglichen Knechtes das Handwerk 
fortfegen; hatte fie Kinder, von denen eines über 10 Jahre alt war, 
fo übte fie das Gewerbe ihres verftorbenen Mannes unbeſchränkt aus, 
wenn fie ſich nicht wieder verheivathete. Werzichtete fie auf ihr echt, 
wollten aber das die Kinder nicht, jo follte jedes bderjelben zur „Hand: 
babung ihrer Erbgerechtigkeit” jährlich einen Schilling Pfennig in bie 


) Am 19. April 1501 „von weinen und bevelbe“ des Markgrafen Ehriftopb 
„der Schifferſchaft zu Pforgheym geben“. 


Elftes Kapitel. Stadwerfaſſung von 1500. 259 


Zunftkaſſe bezahlen. Weber die Kaufs- und Verkaufspläte des Holzes 
am Rhein, Nedar und ben Nebenbächen follten jedes Jahr feite Beſtim— 
mungen getroffen werden. Wer, wie oben erwähnt, feinen halben Gul- 
ben bezahlt und fi damit das Recht des Flößens für ein Jahr er: 
worben hatte, follte bei Etrafe von 6 Gulden feinen Knechtslohn zu 
verdienen ſuchen; nur im Falle von großem Maffer, wenn nicht gemig 
Knete aufzutreiben waren und die Notb fchnelle Hilfe gebot, durfte 
foldye von Meiftern in Anfprucd genommen werben. Bei Verzollung, 
Ausbindung und Ablieferung des Holzes durfte im Verbinderungsfall 
Stellvertretung jtattfinden. in Flößer, der mit einem Floße in Pforz- 
heim gerade abzufabren im Begriff war, durfte Knechte, die eben von 
einer Floßfahrt zurüctehrten, in Anfpruc nehmen, auch wenn ihr bis— 
beriger Meifter fie bereits mit dem Auftrag zu weiterer Arbeit nad 
Haufe geſchickt hatte; einem Meifter jedoch, der nicht in diefer Ordnung 
begriffen war, durften Knechte, bei denen dies der Fall, nicht helfen bei 
Strafe von 1 Gulden, Gleiches galt von den Meiftern bezüglich der anzu: 
ftellenden Knechte. Jeder, der ein Jahr hindurch Knecht fein wollte, 
mußte fi auf einen beftimmten Tag vor dem Amtmann und den vier 
verordneten Meiftern, die jedes Jahr durch das Loos gezogen wurden, 
ftellen und ſich einfchreiben laffen, mußte aber desjelbigen Jahres ein 
Knecht und durfte fein Schiffer fein bei Strafe von 3 Gulden. Dingte 
ein Meifter einen Knecht und kam der eine oder der andere feinen Ver: 
pflihtungen, der Knecht im Arbeiten, der Meifter im Arbeitgeben, nicht 
nad, fo hatte das für den Schuldigen die Folge einer Strafe von einem 
Ort (S. 129) für jeden Tag, wovon die eine Hälfte der Obrigfeit, die andere 
ben Betbeiligten zufiel. Welcher Flößer Holz verkaufte im Werth von 
60 bis 100 Gulden, der mußte einen andern Meifter am Handel Theil 
nehmen laſſen; betrug der Werth 130 Gulden und darüber, fo mußte fich 
der Betreffende 2, bei 160 Gulden und darüber 3 Theifnehmer gefallen 
laſſen, die durchs Roos beſtimmt wurden. Wenn ein Fremder behufs 
Holzkaufs nad Pforzhäm kam, dem durfte Feiner nachlaufen, fondern er 
mußte vor den Amtmann und die Verordneten gewieſen werben, welche 
dann einen billigen Preis machten und immer zwei von den Schiffern 
ber Reihe nach beftimmten, die den Handel übernehmen follten. Kein 
Schiffer durfte jährlich mehr denn 5000 Stüd Holz oder Bord vom 
Walde beftellen und verführen; was darüber war, verfiel der Herrichaft 
und der Schifferihaft. Die Floßzeit follte an al, und am 


260 Elftes Kapitel. Stadtverfafjung von 1500. 


Gallustag (16. Oft.) aufhören, damit die Schiffer „die heylig zyt ber 
vaften und oftern, auch zu wyhennachten deßbas mögen anbeym blyben 
und inen uff dem wafler Feltin und wynters halb nit ſchade erwachſe;“ 
auf die Uebertretung dieſer Beftimmung war eine Strafe von 10 Gul— 
den geſetzt. Knechte, welche im Walde arbeiteten, erhielten täglich nebit 
der Koft 2 Plappart (nad) unjerm Gelde 18— 20 kr.), auf dem Waſſer 
ohne Koft 4 Mappart, Auf einen Sanıftag oder Vorabend eines Feier⸗ 
tages in Pforzheim mit einem Floß anzufahren, war bei Strafe von 
2 Pfund Pfennig unterfagt. Unterhalb Pforzheim durfte fein Holz am 
Sägmühlen verfauft werden bei Strafe von 5 Pfund Pfennig; dafür 
mußten aber die Pforzheimer Beamten den Flößern behilflich fein, daß 
ihre Sägklötze zu Pforzheim von den Sägern rechtzeitig beforgt wurden. 
Welcher Pforzheimer Flößer mit einem Waldſchiffer, (dev das Holz auf 
Enz; Würm und Nagold nad Pforzheim brachte,) einen Holzkauf zu 
feftem Preis auf ein Jahr abgeſchloſſen hatte, der war bei einer Strafe 
von 10 Schilling Pfennig daran gebumden, wenn nicht beide Theile ſich 
gütlich verglichen. Wenn ein Zimmermann das Holz zu einem Bau 
auf dem Waſſer transportiven wollte, fo mußte er das Geſchäft durch 
die Floßknechte um den Taglohn beſorgen lafjen, oder ex mußte es dem 
Meiftern im Accord übertragen. Alles Holz mußte nach einer bejtimme 
ten Größe gehauen werden, doch mur was als „Kaufmannsgut“ gelten 
konnte. Alle Jahr fand vor dem Amtmann und den verorbneten 4 
Meiftern Rügung ftatt, wobei Meifter und Knechte bei ihrem Eide Alles 
angeben mußten, was irgend gegen die Flößerordnung geſchehen fei, um 
jedes Zuwiderhandeln mit der vorgefchriebenen Strafe zu belegen. Wer 
nicht erfchien, durfte für jenes Jahr das Gewerbe nidt ausüben und 
wurde, wenn das Ausbleiben ein „frevenliches”“ war, noch obendrein um 
10 Gulden geftraft. Am Montag nad Dreikönig jeden Jahrs mußte 
Bruberfchaftstag gehalten werden bei Strafe von 1 Pfund Wade 
„unferer lieben Frauen“; demfelben folgte eine Seelenmefje für die ab: 
geftorbenen Zunftgenofjen; zum Nügungstag wurde immer der darauf fol 
gende Montag angefeßt; an einem weiter anberaumten Tag jedes Jahr 
mußte die Flößerordnung verlefen werden. Welcher Flößer einen andern 
Flößer an einem Kauf oder Verkauf hinderte, verfiel in eine Strafe 
von 5 Pfund Pfennig. Von allen Strafen fiel der Herrichaft und ber 
Stadt die eine Hälfte, der Scifferfchaft die amdere zu; erftere Hälfte 


Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 261 


wurde zwiſchen Herrſchaft und Stadt wie das Ungeld getheilt (zu 3%, 
und 1/,). — 

Die Flößerordnung wurde 1555 bedeutend abgeändert und auf 
die kurzen Beftimmungen von 17 Paragraphen rebucirt, die im Mefent: 
lichen folgende Beitimmungen enthalten: 1) Wer noch nie geflößt bat, 
muß vorerft 5 Sch. Pig. erlegen. — Wer keinen Flößer zum Vater 
hat und Feines Meiſters Tochter zur Ehe nimmt, muß vor der Meifter: 
ſchaft erft Bürger werden und LO Gulden bezahlen, heiratet er aber eines 
Meifters Tochter, nur fl. — Wird eines Meifters Sohn Meifter ohne 
ſolche Heirat, jo zahlt er 2 fl., nimmt er aber eines Meifters Tochter, 
fo gibt er nichts. — Das Flößen fängt an auf Mitfaften und hört an 
Martini auf. — enn ein Meifter oder fein Knecht zu Pforzheim 
angefahren ift, jo foll ihm fein anderer das Land hinab vorlaufen oder 
ſchicken und feine Maare anbieten, damit dem erjten der Nerfauf nicht 
verdorben werde. — Schmähen ſich die Flößer über ihr Gefährt, fo 
verliert der Knecht mie der Meifter die Arbeit, bis fie fich rechtlich ver: 
tragen haben. — Kein Flöker darf von dem Andern Holz leihen, auch 
ohne beiondern Befehl Fein zurück gebliebenes Holz nachführen. — Ein 
Schiffherr darf mır mit einem Flößer einen Jahrkauf abſchließen und 
feinem andern Holz geben, bis der erfte Käufer fein bedungenes Quan— 
tum empfangen hat. — Jeder Meifter darf nur 3 Flöhe auf einmal 
abführen, nur beim Hochwaſſer fann er daraus 3 machen. — Wenn 
ein Knecht zur Minterszeit aus Noth von einen Meijter Geld auf 
Arbeit Teiht, fo darf er feinem andern Meiſter arbeiten, bis er den Vor— 
ſchuß abverdient hat, — Keiner darf dem Andern fein Holzzeichen ab: 
bauen oder fich zueignen, fonft wird ihm die MWafferftraße verboten. — 
Wenn ein Holzhauer falfche oder gar Feine Zeichen anf das Holz macht, 
fo verliert er feinen Lohn und wird geitraft, — Ein Knecht, der mit 
bem Meifter dns Land hinabfährt, muß bei demfelben bleiben, fo Tang 
er ihn braucht. — Kein Knecht darf ohne Miffen und Willen feines 
Meifters etwas auf den Floß laden; wenn aber ein Knecht dem Meifter 
vom Walde hilft (alfo von oben herab), jo joll es mit der Ladung wie 
bisher gehalten werden, — Wer diefer Ordnung nicht nachkommmt, und 
ihre Strafen nicht erlegt, wird aus der Geſellſchaft ausgeſhloſen und 
um 5 fl. geftraft. — Bon allen Einnahmen der Schifſerſchaft gehört 


1) Vergl. Mone, Zeitihrift, AL, 274. 


262 Eiftes Kapitel. Stadiverfaffung von 1500, 


die Hälfte der Herrichaft, eim Viertel der Gejellichaft und ein Viertel 
dem Almofen zu Pforzheim — Es werden 2 Flößer anfgeftellt, um 
diefe Ordnung zu handhaben. — Im Jahr 1588 wurde dieſer Flößer: 
ordnung noch beigefügt, daß derjenige, der flößen wolle und ſchon ein 
Gewerbe treibe, 20 Gulden zu bezahlen habe. — 

Die übrigen Ordnungen übergehend, füge ich nur noch den weient: 
lichen Anhalt einer andern an, weil diefelbe fich auf die jetzige Haupt: 
induftrie Pforzheims bezieht und vielleicht Stoff zu Vergleihungen bietet. 
Ich meine die 

6. Goldſchmiedsordnung. 

Sie umfahte auch zugleich alle Silberarbeiten, und waren letztere 
viel häufiger, als goldene. Gegoſſene filberne Waaren mußten 14, ge 
fchmiebete 141/, Töthig fen. Wurden fie von den Schauern, bie alle 
richtigen Waaren zu zeichnen hatten, geringer an Gehalt gefunden, fo 
hatten dieſe das Recht, fie zufammenzuichlagen, und der Goldſchmied 
wurde nody obendrein für jede Mark um einen Gulden geftraft. Legirt 
durfte das Silber nur mit Kupfer oder Meffing werden. Uebertretungs: 
fälle wurden mit Konfisfation der Waaren beitraft. Silberne Waaren 
wurden häufig vergoldet oder goldplatirt; fonnten fie aber die Kratzbürſte 
nicht aushalten, jo waren fie bei Strafe verboten. Vergoldete Waaren 
durften nicht von Neuem, meifingene gar nicht vergoldet werben, mit 
Ausnahme von Monftranzen. Keiner durfte eine Münze jo vergolden, daß 
fie dem Gold oder Gulden gleih war, ohne ein Loch hindurchzuſchlagen. 
Kelche, Kruzifire und andere Kirchengeräthe durfte man von verdächtigen 
Leuten nicht Faufen. Glasflüſſe und falfche Edelfteine in Gold zu fafien, 
galt für Betrug, und war Soldes nur für einen Fürften erlaubt. Das 
Gold wurde für den gewöhnlichen Verkehr bezüglich feines Gehalts nicht 
nad; Karaten berechnet, fondern im Allgemeinen nur vheinifch, ungarifch, 
und Dukaten- Gold unterfhieden. Bei Strafe war verboten ungarifch 
oder Dukatengold für fein Gold, rheinifches Gold für Dukatengold und 
überhaupt „böferes für befjeres" auszugeben. 


Schlußbemerfung. 


Werfen wir nod einmal einen prüfenden Rückblick auf die Beftim: 
mungen diefer „Ztadtordnung“ und alle die verfchiedenen fonftigen Ein- 
richtungen, welche damit im Zufammenbang ftanden, fo Können wir ihnen 


‘ 


Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 263 


unfern Beifall, ja unfere Bewunderung nicht verfagen. Nirgends ver: 
[äugnet fi, wenn auch manche Beftimmungen etwas Meinlich erfceinen, 
ber Geift der Humanität und der Billigkeit, dem fie entiprungen, und 
diefer Umftand mag namentlich diejenigen eines Beſſern belehren, welche 
mit Geringihäßung, ja Verachtung auf die Gebräuche und Einrichtungen 
älterer Zeit zurüczubliden pflegen und mit Bezug auf diefelben ſich fo 
gern der Ausdrüde „Roheit“ und „Barbarei” bedienen. Zugleich ver: 
ratben aber auch alle diefe Vorfchriften eine Erfahrung, eine fo tiefe 
Kenntniß der Lebensverbältnifie bis in die fcheinbar geringfügigften Ein: 
zelheiten, daß fie gegen manche auf dem Bureau und hinter dem Schreib: 
pult gemachten Verfügungen und Verordnungen fpäterer Zeit nicht wenig 
abftehen und feinen Augenbli zweifelhaft fein fann, wohin fich beim 
Vergleich die Schale größerer Jwedmäßigfeit neigen muß. Es ift daher 
auch nicht zu verwundern, wenn bie Bürger von Pforzheim auf ihre 
Privilegien und ihre ganze Stadtverfaffung ftolz waren und mit Eifer: 
ſucht darüber wachten, daß auch nicht der kleinſte Buchſtabe bavon ver: 
legt wurde. Es wird fpäter Gelegenheit geben, zu zeigen, wie biefer 
Geift, der dem im ben Meichsftädten zur Leit ihrer Blüte herrſchenden 
wenig nachgab, Großes und Schönes bewirkte, aber auch auf der andern 
Seite die Stadt mehr als ein Mal in unangenehme und fchrwierige 
Händel verwidelte, 


Swölftes Kapitel, 





Pforzheim unter den Markgrafen Philipp, Ernft und Karl IE. !) 
(1515 — 1577.) 


$ 1. Allgemeines. 


Es iſt ſchon S. 176 bemerkt worden, in welcher Weife die durch 
Markgraf Chriftoph vorgenommene Theilung ftattgefunden und daf fein 
zweiter Sohn Philipp dabei die Markgrafichaft Baden fammt den 
eberfteinifchen und geroldsedifchen Beſitzungen erhalten habe. Diefer Fürft 
hatte Kriegsluft und Kriegskunſt ſchon als Jüngling unter franzöftfchen 
Fahnen im Kampf gegen die Türken bewährt und war aud ein Freunb 
ber Wiſſenſchaft. Don feiner Stellung zur Reformation und feinen 
Sympathien für die evangeliſche Lehre wird in einem befondern Ab: 
fchnitt die Rede fein. Wie fein Vater auf die Vermehrung feiner Land: 
haften bedacht, mußte er verfchiedene neue Ermwerbungen zu machen. 
So erkaufte er u. A. 1529 den vierten Theil des Dorfes Niefern 
fammt dem Burgftadel, auch den halben Antheil an der Kelter bafelbft 
von Konrad von Mallftein, der all dies Befistbum von den Herren 
von Enzberg erftanden und von den Markgrafen von Baden zu Leben 
getragen hatte, um 1500 Gulden.) Damit war nunmehr (vergl. 
©. 174) das ganze Dorf Niefern badifch geworden, (Das PBatronat: 
recht der dortigen Kirche hatte ſchon 1323 Markgraf Rudolf vom Klofter 
Einsheim erworben und Markgraf Bernhard um 1417 diefelbe an bie 
Präfenz der St. Michaelskirche in Pforzheim gegeben, jedody der Kirche 
zu Niefern daraus jährlih 45 Malter Korn, Dinkel und Heu, 1 Ruder 
Mein, den Meinen Zehnten zc. zugefchieden.) Ebenſo faufte Markgraf 


) Die gelhichtlihen Hauptquellen find die nämlichen wie früher; bie be- 
fondern find überall angegeben. 
*) Sad, IL, 184. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 265 


Philipp im Jahr 1531 vom Klofter Herrenalb das Darf Göbrichen 
fammt allen Nubungen, Gerechtigfeiten und Zubehörden, und löste 
gleichzeitig den Zehnten von Göbrichen und Stein von den Stiftsherren 
von Baden um 3000 fl. ein. (Bon genanntem Dorf hatte Herrenalb 
die Hälfte 1290 von den Herrn von Enzberg, bie andere Hälfte 1390 
von Heinrich von Hovingen erworben.) ') Von Mürttemberg fam um 
1528 das Dorf Dietlingen durch Taufh an das marfgräfliche Haus, 
und wurde dafür die Hälfte des Dorfes Schwann, ein Viertel des 
Dorfes Dobel, ein Viertel von Dennach und die Burg Straubenhart 
(S. 67) hingegeben.?) (Dietlingen hatte, che es württembergiſch wurde, 
ben Herrn von Straubenhart und von Remchingen gehört, und war 1335 
und 1346 an Württemberg übergeyangen,) 

Mährend der Negierungszeit des Markgrafen brad der Banern: 
frieg aus, bei dem wir um jo mehr verweilen müfjen, als er aud) 
in ber Marfgraffchafi Baden und in der Nähe von Pforzheim fpielte, 

Der Zuftand der Bauern am Ende des 15. Jahrhunderts war 
ein trauriger. Sie biegen „arme Leute”, und waren das in der That. 
Die Laft der Keibeigenihaft, der Steuern und Abgaben verfchiebenfter 
Art lag ſchwer auf ihnen, und rüdfichtslofe Behandlung der Bauern, 
nargentlih von Seiten des Adels, war an der Tagesordnung. Recht 
konnten die Unterdrückten in ber Negel nicht finden, und auch die Land: 
tage verfchafften Feine Abhilfe, da der Banernftand auf denselben nicht 
vertreten war. Zu all diefer Noth kam vielfache Bedrängniß, herbei: 
geführt durch die Landsknechte, die ſich, da fie oft fich felber überlaffen 
waren, auf Plünderung des Landmannes verlegten. Auf der einen Seite, 
nämlid, bei Fürften, Adel und Geiftlichfeit herrichte Lurus und Schwel- 
gerei, auf der andern bie bitterfte Noth. Unter foldyen Umständen ift 
es nicht zu verwundern, wenn unter den Bauern nach und nach- eine 
Gährung entftand und bald vereinzelte Erhebungen derfelben von der 
übeln Stimmung Zeugniß gaben, die unter ihnen Platz gegriffen hatte. 
Solches geſchah ſchon 1476 im Taubergrund und 1493 im Elſaß, we 
die Bauern ihr Bündniß „Bundſchuh“ nannten. (So hieß die all 
gemeine Fußbefleidung der Bauern, und da fie diefelbe auch auf Stangen 
voraustrugen oder auf ihre Fahnen malen ließen, fo galt bald der Aus: 


1) Sachs, III. 185, 
2) Sads, IV, 17. 


266 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


druck „Bundfchuh” als gleichbedeutend mit Bauernaufruhr.) Im Jahr 1502 
trat in dem biſchöflich-ſpeieriſchen Dorfe Untergrombach die Unzu: 
friedenheit mit den beftebenden Verhältniſſen, insbefondere der Haß gegen 
die überreiche Geiftlichkeit, ebenfalls in einem Bundfhuh zu Tage. Der: 
felbe fand bald auch in andern Ortichaften Theilnehmer, fo in Bruchſal, 
Kislau, Föhlingen, Weingarten, bis nah Erjingen, wo der Bürger: 
meifter ermordet wurde, und Pforzheim berüber, („von Pforgen 
viel und von andern Orten und Gnben”,)1) jo daß ihre Zahl auf 
etwa 7000 angewachsen fein fol. Die Bauern legten ihre Wünſche 
und forderungen in 14 Artikeln nieder und hatten nichts Anderes im 
Einn, als die biſchöflichen und fürftlichen Amtsfite und die Klöfter zu 
überfallen und Fürften, Adel und Geiftlichkeit zur Bewilligung deſſen, 
was fie verlangten, zu zwingen. An ber Spite des Bundſchuhes ftand 
ein Grombacher Bauer, Joß Fritz. Die Lofung und das Erkennungs— 
zeichen der Verſchworenen war der Sprud: 


Mas iſt das für ein Weſen? 
Vor den Pfaffen fann man nicht genefen. 


Aber die Sache wurde durd einen Mann aus der Markgrafichaft 
Baden, Namens Laur Rapp, an die Bifchöfe von Speier und Straf- 
burg und an den Markgrafen von Baden verratben.2) Raſch mwurbe 
nun eine große Anzahl von Bundſchuhern feftgenommen, 10 derfelben 
enthauptet und geviertbeilt und an den Straßen als MWarnungszeichen 
aufgehängt; Andern wurden die Finger abgehauen, drei des Landes ver: 
wiefen , noch Andere am Vermögen geftraft. Fritz von Grombach, der 
„des Bundſchuchs haubtmann und anfenger geweßt”, wußte zu enttommen. 
Laur Rapp aber erhielt als Belohnung nicht nur reiche Geldgeichente, 
fondern auch eine Stuhlbrüderpfründe zu Epeier. — Bon Theilnehmern 
diefes Bundſchuhs aus Pforzheim und Umgegend fommen vor: Kon 
rad Beiperleuter von Pforzheim, Ambrofius und Kafpar Eberle von 
Brößingen und Martin Kreußler von Erfingen. 

Aehnliche vereinzelte Vereinigungen und zum Theil Aufftände fan: 
ben 1512 unter dem Mamen „der arme Konrad” in Württemberg, 
1513 zu Lehen bei Freiburg, 1514 zu Bühl und Umgegend ftatt, bie 
endlih 1525 die Flamme des Bauernkrieges allenthalben, im jetigen 


') Bericht bes Landfchreibers Brenz in Mones Archiv, IL, 165. 
3) Bergl, Mone, bad. Archiv IE, 165 ff. 


Zmwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 967 


Baden namentlich im Seekreis und im Taubergrund, blutig emporlobderte 
und die fchredlichiten Gräuel im Gefolge hatte. Eine ausführliche 
Schilderung diefes Krieges kann nicht unfere Aufgabe ſein. Es genüge 
die Mittbeilung, daß nicht mur im manchen Gegenden Württembergs, 
ven wo fi) nad der Schladht von Böblingen der dortige Vogt Leon: 
hard DBreitichwert ſchutzſuchend nad Pforzheim flüchtete, ') fondern 
auch im Brurhein wieder Aufftände losbrachen und die Bauern der untern 
Markgrafſchaft fih demſelben anichlofien. Sie zogen in der Palmwoche 
1525 vor Durlah, wo die Bürger 2500 der Aufrührer aufnahmen 
und ihren Vogt ins Gefängnig warfen, Ein anderer Haufe fand zu 
Berghaufen günjtige Aufnahme. Die Bauern fielen namentlih über 
die Klöfter ber und Gottesaue, Herrenalb, Frauenalb und Schwarzach 
wurden auggeplündert und verbrannt. Markgraf Philipp ſuchte zuerft 
ben Aufftand mit Gewalt zu unterdrüden und ließ z. B. in Berghaufen 
durch feine Reiſigen mehrere Häufer niederbrennen. Bald aber gewann 
er bie Ueberzeugung, daß er auf diefem Weg nicht zum Ziele gelangen 
tönne, Er trat deshalb im friedliche Unterhandlung mit ben Bauern 
und hatte die (freude, zu ſehen, daß fie freimillig wieder zum Gehorfan 


zurückkehrten. Aehnliches geichahb im Oberland, wo Markgraf Exnit der 


Empörung ebenfalls ein baldiges Ende machte. Anderwärts aber wurde 
die Flamme des Aufruhrs mit Strömen von Blut gelöfht, mehr als 
100,000 Bauern ſollen in diefem Kriege das Leben verloren haben und 
das Loos ber Befiegten wurde noch härter, als es vorher geweſen. 
Markgraf Philipp ftarb 1533 zu Baden, wo er auch beigeſetzt 
wurde. Seine Gemahlin hatte ihm 6 Kinder geboren, von denen aber nur 
eine Tochter den Vater überlebte, Es fam deshalb zu einer Theilung feiner 
Lande unter feine zwei Brüder Bernhard und Ernft, nachdem fie zuerft 
verfucht Hatten, diefelben gemeinichaftlich zu regieren. Dabei erhielt Ernft 
zu feinen oberländifchen Beſitzungen auch den untern Theil der Mart: 
graffhaft mit der Hauptftadt Pforzheim, Bernhard aber den obern 
Theil mit der Stadt Baden Diefe Markgrafen find die Gründer 
der zwei Linien Baden-Baden, welche aud die bernhardiniſche, 
und Baden: Pforzheim, ſpäter Baden-Durlach, welche aud) die 
erneftinifche gemannt wurde. Beide Linien wurden erft nad dem 


ı) Zimmermann, Geichichte des Bauernkriegs, IL, 147 fi. 


268 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


Ausfterben der Markgrafen von Baden : Baden im Jahr 1771 wieder 
dauernd vereinigt. 

Markgraf Ernft war ein gerechter und friedliebender Fürſt, aus 
deifen Handlungen überall! Mäfigung und Klugheit bervorleuchteten. 
Sein Verbältniß zur MNeformation und zur evangelifchen Lehre wird 
weiter unten gefchildert werden. Am Jahr 1537 machte er einen Ent: 
wurf zur Theilung feines Landes unter feine drei Söhne Albrecht, 
Rernbard und Karl. Indeſſen ftarb Mibreht noch vor feinem Water 
4552, und auch defien Bruder Bernhard, der dem Vater durd fein 
zügellofes Leben viel Kummer bereitet batte, folgte ihm zu Anfang des 
Jahres 1553 nad. Er wurde in der fürftlichen Gruft umter der 
Schloßkirche zu Pforzheim, die Markgraf Ernft als Familienbegräbniß 
hatte erbanen laſſen, beigeſetzt. Sein Standbild befindet fi an ber 
rechten Seitenwand des Chores (von der Kirche ansgefehen), und trägt 
das Fußgeſtell eine entſprechende Anschrift. Auch auf dem Boden des 
Chores ijt eine Grabichrift des Prinzen. — Markgraf Ernſt ſelbſt ftarb 
am 6. Februar 1553 und wurde ebenfalls in der Schloßkirche zu Pforz- 
heim begraben. Mitten im Chor derfelben ift das prachtvolle Denkmal 
diefes Fürften mit Umfchrift zu Sehen. Es zeigt die Tiegende neharniichte 
Seftalt des Markgrafen, neben ihm die feiner zweiten Gemahlin Urfula 
von Rofenfeld. Zu deren Füßen liegt ein in Stein ausgehauener Hund, 
ber die eheliche Treue, und zu denen des Markgrafen ein Löwe, ber 
bie Stärfe oder Tapferkeit voritellen ſoll. (Die erfte Gemahlin von 
Markgraf Ernit, Eliſabeth von Brandenburg ift in Stuttgart, die dritte, 
Anna Bombaftin von Hohenheim, in Sulzburg begraben.) ") 

Der Erbe aller Befitungen des Marfarafen Ernft war fein jüngfter 
Sohn, Markgraf Kart Il. der von 1553—1577 regierte. Vorzügliche 
Anlagen des Gemüthes und treffliche, auf reliniöfe Grundſätze geftütte 
Erziehung ließen ihn des Vaters würdigſter Nachfolger werden. Seine 
wichtigfte Megierungsbandhng war die Ginführung der Neformation in 
feinen: Lande, von der unten ausführlicher die Mede fein wird, Geachtet 
von dem Kaifer und den Fürſten des Meiches und geliebt von feinen 








1) In ber Schloßfirche befindet fih der Grabftein einer 1546 geftorbenen 
Anna von Hohenheim, genannt Bomkaftin, geb, Schilling von Kannſtadt. Sie 
war wahrfgeinlih die Mutter der Obengenannten und vermutblih die Ge: 
mablin von Ulrich Bombaft von Hohenheim, der den Markgrafen Emft 1530 
auf einer Reife nach Augsburg begleitete. Vergl. Sachs, IV., 21. 


Awölfies Kapitel, Piorzheim im 16. Jahrhundert. 269 


Unterthanen nimmt Karl II, eine der erſten Stellen unter den badifchen 
Fürften ein, Wie alle guten Negenten wußte auch er trefflihe Diener 
zu wählen, und unter ihnen batte namentlich fein Kanzler Martin Ach t: 
ſynit oder Amelius, aus Freiburg i. B. gebürtig, den der Markgraf 
ichon im deſſen W. Jahre zu diefer Würde und der Kaifer Ferdinand 1. 
in den Adelftand erhob, großen Antheil an der Wirkfamfeit des Meart: 
grafen. Es mag bier bemerkt werden, daß derjelbe 1556 dns Schloß 
Niefernburg erbaute, das ein Denkmal der vom Fürſten erhaltenen 
Gnabdenbezeugungen fein und ihm zum ruhigen Aufenthalt im Alter 
dienen follte. Zu diefem Zwecke Hatte ihm der Wiarfgraf den „frei 
adelichen alten Burgftadgl zu Niefern jammt Zubehör“, darunter 46 Mor: 
gen Maldungen, von denen ein Dijtrift heute noch das „Freiherrn⸗ 
wäldchen” heißt ') 1555 übergeben. Er ſchrieb fi) deshalb auch: Herr 
zu Niefernburg. Einige noch vorhandene Anjchriften am Schloſſe, das 
nad) dem Tod Achtiynits in die Hände feines Tochtermanns, des Amt: 
manns Johann Wolf von Mundelsheim kam, und 1711 fammt den 
dazu gehörigen Waldungen wieder an die Herrſchaft zurüdfiel, 2) nad 
einander verjchiedenen Zwecken gedient und ſich vor etlichen Jahren in 
eine Kinderrettungsanftalt verwandelt hat, beziehen ſich auf die Erbauung 
desjelben. Das Grabmal Achtſynits it in der Schloßkirche zu Porz 
beim, und zwar gleidy links vom nördlichen Eingang. Man erblidt auf 
demſelben die in Etein ausgehauenen Geftalten des Kanzlers felber und 
rechts und linfs von ibm zweier Franen, alle drei aber fehr beichädigt. 
Ueber benjelben fteht auf einer Tafel von ſchwarzem Marmor eine 
größere lateiniſche Inſchrift. Nicht weit von dieſem Denkmal findet ſich 
an ber Wand audy der Grabftein der Gemahlin Achtſynits, Eliſabeth, 
einer gebornen von Peftetten, geftorben 1579. Achtſynit jelber ftarb 
1592. Ich werde auf ihn bei der Geſchichte der Reformation in Pforz: 
beim zurückkommen. 

Markgraf Karl II. ftarb 1577 in Durlach, wo er an ber Stelle 
eines Jagdſchloſſes ein geräumiges Schloß nach eigenem Plane und unter 
eigener Aufficht Hatte aufführen Iaffen, das nach feinem Gründer bie 
Karlsburg genannt wurde, Der Fürft, welcher feine Arbeiter eigen: 


1) Beihreibung des Forftreviers Seehaus von Arnsperger in ber Regiftratur 
des Forſtamte Pforzheim. 
2) Nieferner Lagerbuch, 


270 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert. 


händig ausbezahlte, erhielt davon den Beinamen: Karl mit der Taſche. 
Die Stadt Durlach, die er verichönerte und mit neuen Thoren verſah, 
ſprach ihre Dankbarkeit durch Aufftellung feines Standbildes auf dem 
Marktbrunnen aus, wo es heute noch zu fehen if. — Der Leichnam 
des Fürften wurde in der Gruft zu Pforzheim beigeſetzt Im der Mitte 
der bintern Ehorwand befindet fi fein prachtvolles Monument, und 
zeigt das Standbild des Markgrafen, rechts und links davon die Stand: 
bilder feiner beiden Gemahlinnen Kunigunde von Brandenburg und Anna 
von Velden. Außerdem ftehben im Chor noch die Statuen eines 
Sohnes von Karl II., des Prinzen Albrecht, der in Folge feiner Aus: 
ſchweifungen ſchon 1574 im 20. Lebensjahre ftarb, und der beiden in 
jugendlihem Alter verblichenen Prinzeffinen Maria (+ 1561) und Anna 
Maria (+ 1573). 


$ 2. Befonderes. 
Pforzheim feinen Fürften gegenüber. 


Mit der Markgrafibaft war bei der Yandestheilung von 1515 
auh Pforzheim an ben Markgrafen Philipp gekommen. Es mag 
bier bemerkt werden, daß im Theilungsvertrag unter Andern auch Bür— 
germeifter, Gericht und Rath der Stadt Pforzheim als Zeuge aufgeführt 
find. *) Die Bürgerfchaft dajelbft hatte dem Kürften indeſſen ſchon 1510 
gehuldigt, weil damals (ja ſchon 15U5) eine Dispofition zur Theilung 
getroffen worden war, wogegen der Markgraf ihr folgenden Revers aus: 
ftellte: 2) „Wir Philips von gottes gnaden Marggraue zuo Baden ac. 
Bekennen mit diefem brieffe: Nachdem der Hochgeborn furjt und herr 
herr Chriſtoph Marggraue zuo Baden vnnd Hochberg, Grafe zu Spanheim, 
herr zu Roteln mund Sufemberg, vufer aller Liebfter herr vnnd vatter 
in feiner väterlichen gnaden fatung, ordnung, zufheibung, vertheilung 
vnnd letitem willen zwiſchen vnnſern gebrüdern vnnd vnns jüngjtes zu 
Mulinberg vffgericht, vnns vnnd vnnſer eelich libserben mennlichs ge: 
ſlechts, nach ſiner Vätterlihen gnaden abgang todes, den gott lanng vff: 
zuhalten hatt, zu rechten regierenden fürſten vnnd erben des löblichen 


1) Sachs, III., 105. 
2) Er befindet ſich im ſtädtiſchen Archiv. 


Zwölftes Kapitel. Piorzbeim im 16, Jahrhundert, 271 


fürftenthumbs der Marggrauefchaft Baden fampt andern geordnet vnnd 
zugefcheiden hatt, vnnd die erfamen vnnſern lieben getruwen Burgermeifter, 
gericht, rate vnnd gemeinde der Statt Pfortzheim vnns vff defjelben 
onnjers lieben herrn vnnd vatters schriftlichen befigelten beuelhe huldung 
vnnd vorpfliht getun, Nah abgangk ſiner Vätterlichen gnaden vnns, 
vnnd ob wir alsdann nit im leben weren, das gott gnediglich verhüten 
wölle, vnnſere eeliche Inbserben, Mannesperfonen, So wir bie hinter 
vnns verlaſſen betten, zu iren waren vnnd rechten regierenden fürften, 
bern vnnd erben anzunemen, gewonlih huldung zu thund vnns oder 
benjelben vnnſern erben, Mannsperfonen, als irer rechten berrichafft zu 
gehorjamen vnnd gewertig zu find, inn aller mafle fie benannten vnnſerm 
lieben bern vnnd vatter by irem leben vnnd bisher geweit vnnd noch 
find, — So haben wir inen die fruheit, Polizei unnd Ordnung, die 
gemelter vnnſer lieber herr vatter inen vor jaren thunm geben am Datum: 
„Beben vff der Cansly zu Baden vff Mentag nad dem heiligen jars— 
tage, zu latein Gircumcifionis domini genant, als man zalt nad Erifti 
onfers lieben bern geburt Tuſend Vierhundert Nuntzig vnnd ein jare” 
— gnediglidy confirmiert vnnd beftetigt, Confirmieren vnnd beftetigen 
inen die hiemit inn kraft dies brieffs. Gereden vnnd verfprechen auch 
by vnnſerer furftlichen wirden vnnd eren, fie dabei gnediglich bliben zu 
laſſen, zu fhüßen, ſchirmen vnnd handhaben, damibder nit zu find oder 
zu tund, nod Schaffen getun werden im Eheiner wege alles one geuerde. 
— Unnd des zu urdhunde han wir vnnſer inſigel tun benden an diefen 
brieffe, der Geben ift zu Pforzbeim vff Mittwoch nach der heiligen Eilf 
tujend jungffraumwen tag anno domini Millefime Quingentefimo Decimo 
(1510).“ — Tie Beftätigung der Freiheiten der Stadt wurde nad dem 
Tod des Markgrafen Ehriftoph unterm 29, Auguft 1527 erneuert. 1) 
Menn nun auch obige Urkunde von Pforzheim datirt ift, fo hatte 
doch Markgraf Philipp feine Reſidenz nicht in diefer Stadt, fondern in 
Baden. Er fcheint jedody dann und wann herüber gefommen zu fein, 
vielleicht um des edeln Waidwerks zu pflegen; es fpricht wenigitens da— 
für der Umstand, daß in einem Verzeichniffe von Urkunden des alten, 
im orleans’shen Kriege größtentheils verbrannten und verlorenen Stadt: 
archives fich folgende Notiz findet: „In der Laden B ift die Eopie einer 


1) Urkunde im Stabtardiv. 


2972 Zwölftes Kapitel. Pforgbeim im 16, Jahrhundert. 


Dankfagung derer von Pforzheim gegen meinen gnädigen Herrn, ben 
Markgrafen, von wegen eines geſchenkten Hirſches anno 1522. 

Zwifchen dem Markgrafen von Baden und dem Herzog von Würt— 
temberg wurde 1916 ein Vertrag weges des Geleits (S. 158) in ber 
Gegend von Pforzheim abgefchloffen. 1) Der Markgraf folle, fo wurde 
beftimmt, das Geleit von Pforzheim bis an das Thor von Neuenbürg, 
der Herzog von da bis an die Vorftadt von Pforzheim haben. In 
ähnlicher Weiſe jollte es zwiſchen Neuenbürg einerfeits und Ettlingen, 
Sernsbah und Ellmendingen andererjeits gehalten werden Diejenigen 
Perſonen, weldye von Pforzheim nad) Gernsbach, ohne nah Neuenbürg 
zu geben, fi) Gegeben wollten, jellte der Markgraf bis nah Schwann, 
ber Herzog von da bis Gernsbach begleiten; bei umgekehrter Reife aber 
jollte erfterer das Geleit von Gernsbady nad) Schwann, letzterer von da 
nad Pforzheim haben. Bejondere Beitimmungen über das Geleit erließ 
Markgraf Philipp unterm 11. April 1530 von Baden aus an feinen 
Bogt zu Pforzheim ,2) worin gefagt ift, daß man in Betrachtung ber 
jesigen geſchwinden (d. h. gefährlichen) Zeiten allerlei „Nothdurft des 
Geleites” vornehmen müſſe. Es wurde darum fortgefegt: Das Geleite 
ſolle befehligen der Vogt jelber, oder ein Wirth, oder ein ehrbarer Ge: 
jelle, und zwar fo, „daß derſelbe denjenigen, fo zu Zyten ber Frankfurter 
Mefien oder fonit kommen und Glaits begehren, es ſeyen Kauffleute 
oder andere, von unfertiwegen by dem Wyer oder See jenfeits Dieffen- 
brunn gelegen, da unfer Glait anfahet, daffelb unfer Glait empfahe 
und annehme.“ Hierauf follten die Geleitleute den Reifenden mit ihren 
Geleitbüchſen durch Ziefenbronn und den Hagenſchieß nah Pforzheim 
begleiten, jedody nicht weiter, und von jedem Geleiteten nicht mehr als 
12 Piennig fordern und annehmen. Wenn Einer etwas Vedächtiges 
erbliden würde, folle er es fogleich anzeigen, ebenfo der Geleitſuchende, 
wenn er etwas tiber den Geleitsmann zu Hagen babe, 

Eines Vertrages, den Baden mit Württemberg wegen des Flößens 
auf der Enz, Nagold und Würm 1517 abſchloß und der eine Er: 
neuerung des Floßvertrages von 1342 (S. 125) war, mag bier auch 
gedacht werden. 

Im Jahr 1532 konnten die Bewohner Pforzheims Zeugen eines 


1) Steinhofer, württemb, Ehronif, J., 265. 
2) Alten des Landesarchivs. 


Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16, Jahrhundert, 273 


militärifhen Schauſpiels fein. Die beiden Markgrafen Philipp und 
Ernft hatten nämlih beichloffen, den Kaiſer Karl V. in dem damals 
ausgebrocyenen Türkenkrieg mit Truppen zu unterjtüßen. Weber diejelben 
wurde im Juli genannten Jahres bei Pforzhein eine große Mufterung 
gehalten, der die beiden Kürften beimohnten, *) 

Nach dem Tode des Markgrafen Philipp Huldigte Pforzheim feinen 
beiden Brüdern Bernhard und Ernſt gemeinjhaftlih, und wurde aud 
der Stadt von denfelben unterm 1. Dezember 1533 der üblihe Nevers 
wegen ihrer Freiheiten ausgeftellt. 2) Als jedoch die oben bereits er: 
wähnte Theilung vorgenommen war, verlegte Markgraf Ernit 
1535 feine Refidenz von Sulzburg nah Pforzheim, das 
nun nach längerer Unterbrechung wieder ein ftändiger Fürſtenſitz wurde. 
Aus welchen Theilen damals das Schloß in Pforzheim beftand, erfahren 
wir aus der Lagerbudyerneuerung von 1527, aus der unten Mit: 
theilungen folgen. Ueber die Hofhaltung des Markgrafen in Pforzheim 
find noch einige intereffante Einzelheiten anf unjere Zeit gelommen, die 
von Bartholomäus Saftrow, einem geborenen Pommer, herrühren, 
welcher eine Zeitlang Schreiber auf der markgräflihen Kanzlei zu Pforz⸗ 
heim war und feine wechjelvollen Lebensſchickſale felber beichrieben hat. 3) 
Zu Hofe, fagt er, wurde fparfam bausgehalten, daß es gleihwohl fürft- 
lid) und löblich herging. Die Lebensweife war von der pommerſchen 
Art fehr verfchieden, an Fleiſch und Fiihen, allerlei Zugemüß, gefottenen 
Feigen, Haferbrei und mancherlei Kraut. Dazu gab es ziemlich Brod, 
und ein Jeder befam in einem zinnernen Becher bei anderthalb Stüd 
Tiihwein, womit man, namentlid) des Sommers, lange nicht veichen 
konnte. Auf der Räthe Tiſche wurde zwei Mal eingefchenkt, während 
die Schreiber fih mit einem geringern Maaß begnügen mußten. Den 
Kanzler Oswald Gutt fehildert Saſtrow als einen alten, grämlichen 
Mann, der den Screibern fehr auf 'die Finger gefehen habe. (Diefen 
Eindrud macht aud fein Bild auf feinem Grabftein in der Schloßkirche.) 
Von dem Markgrafen Ernft wird gefagt, daß er ein frommer Herr und 

ı) Sachs, IV., %. 

?) Urkunde im Stadtarchiv, 

2) Vergl. Bartbolemäi Saftrowen Herlommen, Geburt und Lauff feines : 
ganzen Lebens, herausgegeben v. ©. Eh. F. Mohnike, (Greifswald, 1823) 
Thl. H., S. 2366 ff., und Bartholomäus Saftrow, ein merkwürdiger 


Lebenslauf des 16. Jahrhunderts, von Ludw. Grote. (Halle, 3. Zride 1860.) 
Pflüger, Pforzheim. 18 


274 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 


fparfamer Haushalter gemefen fe, der feinen Lande wohl vorgeftanden 
babe. Sein Gemad hatte der Fürft unmittelbar über dem Haupteingang 
des Schloffes, um Alles überfehen zu können, was vorging. Bei feiner 
fleigigen Aufficht konnte nicht Teicht ein Verſehen oder eine Untreue feiner 
Diener unentdedt bleiben, Dabei trugen ſich dann zumeilen ſehr poffir- 
rihe Scenen zu, worüber der Markgraf fein Gelächter und feine Kurz— 
weil hatte. Einsmals, fo erzählt Saftrow, wollte der Küchenmteifter 
einen jchönen großen Karpfen ftehlen und verftedte ihn unter den Mantel, 
um ihn fo mit hinunter zu nehmen. Allein der Fiſch war fo groß, daß 
fein Schwanz unter dem Mantel hervorgudte, Als der Markgraf es 
bemerkte, rief er den Küchenmeifter zurüd und fagte: „Hörft du, 
wenn du wieder einen Karpfen ftehlen wilft, fo nimm entweder einen 
Heinern Fiſch oder einen längern Mantel!“ — Ein ander Mal kamen 
zwei Köche aus der Küche, um Binunter zu gehen. Der eine hatte 
zwei rein gemachte Kapaunen Binten in die Riemen gehängt. Nun 
brachte man gerade etliche Fäffer Wein in den Keller, Als ber Mart: 
graf die beiden Köche vorüber geben ſah, rief er ihnen zu, fie follten 
Hand mit anlegen. Sogleich fprangen fie zu und warfen ihre Mäntel 
ab; aber der, welcher die Kapaunen genommen hatte, vergaß derfelben, 
Als er nun mit am Geile arbeitete, wippten ihm die Kapaunen auf 
den Lenden. Der Markgraf mußte herzlich lachen; feine Gemahlin mußte 
audy kommen, um die Kurzweil mit anzufehen, und fo wurde der Dieb 
vor dem ganzen Hofgefinde beſchämt. — Wenn Markgraf Ernft einen 
Gefangenen fiten hatte, den man abthun follte, jo hatte er folgenden 
Gebrauch: Er ließ den Miffethäter, wenn er zum Richtplage hinaus: 
geführt werden follte, vor fi) kommen und verbat ſich mit ihm, daß ers 
ihm verzeihen follte, was er ihm thun Taffen müßte. Dann redete er 
ihm zu, er follte nicht verzagen; denn der Sohn Gottes hätte nicht um 
ber Gerechten, jondern um der Sünder, alfo auch um feinettwillen fein 
Blut mildiglich vergoffen, daran follte er nicht zweifeln, Damit gab er 
ihm die Hand und Tieß ihn abführen, 1) — 


1) Wie fih Saſtrow felber einmal in einer großen Berlegenbeit zu helfen 
wußte, erzählt er in erwähntem Buch ın fehr Tauniger Weife. Er hatte ein 
“ wichtiges Dokument zu kopiren. Es war, fagt er, fo viel, daß man die größte 
Kälberbaut dazu nehmen und noch wohl enge fehreiben mußte. Bartholomäus 
war zwar nicht wenig darob bekümmert, weil er e8 dem arämlichen Kanzler, der 
mit Scheltworten und Strafen gleich bei der Hand war, nicht recht zu machen 


Zwölfies Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 275 


Bei den wohlwollenden Gefinnungen des Markgrafen ift es natür: 
lich, dak ihm auch die Pforzheimer fehr zugethan waren, Zum Zeichen 
ihres Dankes für erwieſene fürftliche Huld ließen fie 1538 ein fteinernes 
Standbild des Fürſten anfertigen, das fie auf den Marktbrunnen ftellten, 
wo es heute noch zu fehen iſt. Es zeigt die geharniſchte Geftalt des 
Markgrafen, jedoch mit entblößtem Haupte; die rechte Hand ſtützt fich 
auf feinen Schild, die linke umfaßt das Schwert. Unten am Brummen 
war früber die Inſchrift: AN. MDXXXVIN PRINZIPE HERNESTO 
MARCHIONE BADENSI CIVITAS PHORCENSIS F. FECIT, 
db. h. „Im Jahr 1538 Hat die Stadt Pforzheim dem Markgrafen 
Ernſt von Baden (diefes Denkmal) errrichten laſſen.“ 1) 

Da der zweite Sohn Ernſts, Markgraf Bernhard, dem die Stadt 
Pforzheim bereits 1550 gebuldigt hatte, 2) gleich dem erften noch vor 
dem Vater ftarb, jo kam die ganze Markgraffchaft mit Pforzheim an 
Karl II. Den üblichen Revers bezüglich der Stadt Freiheiten ftellte er 


fürchtete; doch ging er fleißig an die Arbeit. Nun hatte er bereits zwei Tage 
an dieſem Briefe gefhrieben, da entdedte er, daß er gleih zu Anfange mehr 
als eine ganze Zeile im Goncepte überfchlaaen hatte. Bartholomäus wußte 
erfi feinem Leibe feinen Rath; doch beſann er fih und fiel auf folgende Kriege: 
liſt. Das Haus Pforzheim lag auf einem bohen Berge, die Kanzlei unten in 
der Stadt. Als man nun Mittags zu Tiſche blies, blieb er bis zuleßt in ber 
Kanzlei, ergriff eine Kage, tunfte der den Ehwanz ins Tintenfaß und jagte 
fie dann über den Brief. Da wurde der ganze Brief mit Tinte bejudelt, und 
die Epuren der Kakenfüße waren nicht zu verfennen, Nach diefem Kunfiftüce 
ſchloß Saſtrow die Kanzlei zu und ging auch zu Tiſch. Nah dem Eſſen lieh 
er die andern Kanzleiverwandten vor fich hinunter gehen. Als die die Kanzlei 
aufſchloſſen, ſprang ihnen die Kate unter die Augen. Zugleich jahen fie, wie 
auf dem Tiſche hausgchalten war. Hernach fam auch Saftrew, Nun zeigten 
ihm die Andern den Brief und erzählten, wie die Kate gegen ihnen aus ber 
Kanzlei geiprungen wäre, Sie fünnten nicht wiffen, fagter fie, wer bie Katze 
verfchlofien hätte. Saſtrow fiellte ſich ſehr verdrießlih und war übel zufrieden, 
daß er’ben Fleiß und die Arbeit umfonft gethan hätte, Die Andern mußten 
ihr noch zufrieden ſprechen. Alſo ift er mit allen Ehren beſtanden. Hätte er 
feine Zuflucht nicht zu diefer Lift genommen, jo würde es nicht ausgeblieben 
fein, er hätte etliche Tage im Thurme panem doloris (Schmerzensbrod) eſſen 
müſſen. 


1) Ein Stein mit dem badiſchen Wappen, deſſen Umſchrift mit der Jahr: 
zahl 1537 auf Markgraf Ernft lautet, ſteht in der Schloßkirche. 
2) Revers im Stadtarchiv. 
15* 


276 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 


unterm 10, Februar 1553 aus.) Der bald nad feinem Regierungs: 
antritt zu Pforzheim verfammelte Landtag bewilligte dem Markgrafen 
„zur Erzeigung unterthänigen Gehorfams, auch Ringerung und Erleich— 
terung feiner merflihen hohen und gar unerträglidhen Schulden und 
Landesbeſchwerden“ eine fünfzehnjährige Hilfe, die in einer Abgabe von 
1 Ort (1/, Pfennig) von 100 fl. Steuerkapital und dem Maaßpfennig 
beftand. Dabei hatte ſich auch die Stadt Pforzheim dazu verſtan— 
den, dem Markgrafen auf 15 Jahre Tang jährlih 1000 Gulden zu 
bezahlen, „doch ihrer Freiheit (wornach fie von Entrichtung jeder direkten 
Steuer befreit war) in alle Wege unnadhtheilig und unfhädlih.” Da: 
gegen erlaubte der Markgraf, daß die Stadt Pforzheim während diefer 
15 Jahre von jeder Maaß Wein, die in Pforzheim in Wirthshäufern 
oder fonft ausgeſchenkt würde, 1 Heller erheben dürfe. 2) Nod vor 
Umlauf diefer Zeit jedoch hatte fih der Markgraf mit der Landſchaft 
dahin verftändigt, daß die bewilligte Steuer wieder wegfallen, der Maaß— 
pfennig dagegen nicht nur 15 Jahre lang, fondern für immer bezahlt 
werden folle. ine ähnliche Zumuthung, die auf 15 Jahre bemilligten 
1000 Gulden „erwiglich” zu entrichten, wies die Stadt Pforzheim zurüd, 
da fie „eine ſolche ewigliche Beſchwerde nicht auf fid laden wolle,“ 
Doc verftand fie fich dazu, jene Summe zu bezahlen, „jo lang Sr. fürft: 
lichen Gnaden männliche Xeibserben und Erbers:Erben in abfteigender 
Linie vorhanden“, erbat fit) aber, da megen vielfältigen Mißwachſes und 
daraus entftandener Theurung (fiehe unten) der bisher erhobene Maaß— 
beller zur Entrihtung der 1000 Gulden nicht bingereicht hätte, die Er— 
laubniß , künftig ftatt defien einen Maafpfennig, ähnlich wie im ganzen 
Land, erheben zu dürfen. Dies wurde ihr am Dienstag nad Indica 
41573 vom Markgrafen Karl auch geitattet. 3) Wir werden auf diefe 
gegenfeitigen Bewilligungen weiter unten zurückkommen. 

Das wichtigſte Ereigniß für Pforzheim, das fih unter der Regie— 
rung des Markgrafen Karl II. zutrug, war die 1565 erfolgte Ber: 
legung der Refidenz von Pforzheim nah Durlach. Als Urſache 
derjelben wird gewöhnlich angegeben, daß die Pforzheimer deshalb den 


1) Er ift im Stabtardiv und trägt die eigenhändige Unterfchrift des 
Markgrafen, während ben frühern Reverſen nur das Siegel der betreffenden 
Fürſten angehängt if. 

?) Urkunde im Stabtarhiv v, 11. Nov. 1554. 

2) Urkunde im Stadtarchiv. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 277 


Unwillen des Markgrafen erregt hätten, weil fie ſich zu einer Jagdfrohnd 
nicht verfteben wollten, die er ihnen — allerdings ihren Privilegien ent: 
gegen — zugemutbet babe. Der Grund der Verlegung ift aber wohl 
eber darin zu fuchen, daß der Markgraf mehr in der Mitte feiner eigent- 
lich badischen Landestheile wohnen wollte und darum Durlach zu feiner 
Refidenz wählte. Bon der Klugheit Karls II. ift nur ein wohlüber: 
Iegter Beweggrund für folden Entſchluß zu vermuten, In Durlach 
war jhon 1532 ein fürftliches Schloß; t) feit 1563 wurde es aber 
erweitert und vom Markgrafen Karl II. Karleburg genannt. Es war 
alſo die 1565 gefchehene Verlegung nicht die Folge eines plötzlich ge 
faßten Entſchluſſes. Nah der Sage foll längere Zeit eine Tafel am 
Schloſſe in Pforzheim befeftigt gewefen fein, worauf die Urfache folder 
Beränderung angegeben geweſen wäre: 2) Intereſſant bleibt immerhin 
no das, daß ber Markgraf 1558, alfo nur wenige Jahre vor der 
Berlegung,. innerhalb des Echlofjes zu Pforzbeim eine neue Kanzlei er: 
bauen ließ. Bon derſelben ift noch ein Denfftein vorhanden, der fid) der: 
malen hinter der Domänenverwaltung befindet. Unter der Jahrzahl iſt 
das badiſche Wappen mit dem Bildniß des Markgrafen Karls IL, und 
darunter ftehen folgende lateiniſche Diftichen : 3) 


Carolus has princeps Badensis construit aedes, 
Ut sint consiliis Curia sancta bonis. 

Hic populo par est aequas praescribere leges, 
Omnibus ex merito reddere jura suo; 
Ambiguas justo decidere tramite causas 

Et celeri miseras fine juvare preces, 

Hine procul affectus animi seponere pravos 

Et rem judicio noscere quamque bono, 


Auf deutſch: „Der badiihe Fürſt Karl führte diefes Gebäude 
auf, daß es fei ein geheiligter Gerichtshof für gute Urtheilsſprüche. Hier 
geziemt es fich, dem Volke gleiche Geſetze vorzufchreiben und Jedem nad) 
Berdienft Gerechtigkeit widerfahren zu laffen, auf gerechtem Weg zweifel- 
bafte Fälle zu entfcheiden und durch ſchnellen Entſcheid die Bitten des 


) Durlacher Lagerbuch von 1532 (vergl, Bierordt, Geſchichte ber Karle: 
ruher Mittelfchule, ©. 9). 

2) Sachs IV., 140. 

) Die auch Sachs IV., 140 und nah ihm Gehres, S. 22, aber mit 
Auslafjung zweier Zeilen mittheifen. 


278 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16, Jahrhundert. 


Elenden zu erledigen, weit von hier die verkehrten Leidenſchaften zu 
verbannen und jede Sache durch gerechtes Urtheil zum Austrag zu 
bringen!“ — Ein anderer Stein mit Wappen aus der Regierungszeit 
Karls II., nämlich von 1575, befindet ſich über dem Schloßthor. 

Bon dem 1577 erfolgten Tode des Markgrafen und feiner Bei: 
fetung in Pforzheim ift oben (S. 270) ſchon die Rede geweſen. 

Es ift ſchon im neunten Kapitel (S. 156 ff.) eine Ueberſicht der 
Einkünfte gegeben worden, welche die Markgrafen von Baden (be. die 
Herrſchaft) in Pforzheim bezogen. Bei Anlegung eines neuen Lager⸗ 
buchs im Jahr 1527, 1) alſo unter Markgraf Philipp, wurden diejelben 
abermals verzeichnet und zufammengeftellt, und zwar in größerer Boll: 
ftändigfeit ala früher, weshalb es um jo weniger überflüffig fein dürfte, 
das Verzeichniß ebenfalls hier mitzutbeilen, als dasſelbe manche belehrende 
Einzelheiten enthält. | 

Die Lagerbucherneuerung geihab durch „Leonhard Weibel, 
Kellner, und Leonhard Maler von Calw, weiland des Stadtſchreibers 
Diener zu Pforzheim, von kaiſerlicher Macht offenen (öffentlichen) No— 
tarius.“ Zeugen waren: Philipp Bollandt, Schultheiß, Auguftin Leon⸗ 
hardt, Bürgermeiſter, Peter Wynzieher, alter Bürgermeiſter und Hans 
Braun des Raths, alle zu Pforzheim. — Es wurden in Pforzheim an 
Strafen bezahlt: Für einen Blutrinsfrevel, d. h. wenn Einer 
einen Andern blutrünftig ſchlug, 4 Gulden 4 Schilling Pfennig; 2) für 
einen Klein- oder Trodenfrevel, d. b, für eine thätliche Beleidigung, 
die nicht mit einer Vervundung verbunden war, 1 fl. 4 Sch. Pfg.; 
für ein groß Unrecht, d. b. eine grobe, abfichtliche Verlegung oder 
Nichtachtung der Polizeiordnung 1 fl. 1 Sch. Pig; für ein Flein 
Unrecht, alio eine minder bedeutende Vernachläſſigung derjelben 
5 Sch. Pf.; für eine Lügainung, d. h. eine abfichtlihe Täuſchung 
richterlicher Perfonen 3 Sch. Pf.; für eine Spielainung, wem 
Säfte in einem Wirthshauſe verbotene Spiele fpielten, 5 Sch. Pie. 
Alte diefe Strafen gehörten dem Markgrafen allein. Dagegen gehörten 
von einem Friebbruch, d. b. wenn Einer, nachdem ihm Friede ge 


1) Dasjelbe befindet fih im Landesarchiv zu Karlsrube. 

2) Rırgl. S. 129 und die zweite Note ©. 213. Zu vergeſſen iſt nicht, - 
daß ber Rechnungsgulden zu Anfang des 16. Jahrhunderts 2 fl. 524/, Er. 
des heutigen Geldes betrug und daß 14 Sch. Pig. auf I Gulden gingen, 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 279 


boten war, mit Schimpfreden ac. fortfuhr, fowie von fonftigen Strafen 
und dem Ungeld 3/, dem Fürften und 1/, der Stadt, wie es $ 28 
des Treibeitenbriefes von 1491 vorſchrieb. — Diejenigen Bewohner 
Pforzheims, welche leibeigene Ausleute waren, auf die alfo die Freiheiten 
der Stadt feine Anwendung fanden, wurden behbauptredtet, d. 5. 
nad ihrem Tode hatte der Markgraf das Recht, ben beiten Theil ihrer 
Habe, namentlich das ſchönſte Stüd Vieh, für fih in Anſpruch zu 
nehmen, 

Die Berleidung und Präfentation der Pfründen gebt, fo heißt 
es weiter, an die Kanzlei nad) Baden. — Der große Zehnten in Porz 
beim gehört den Klöftern Lichtenthal und Hirſchau zu gleichen Theilen 
zu. Davon geben fie jährlih an den Marftall zu Pforzheim gut 
Roggenſtroh 200 Bürden. Auch müfjen die Lichtenthaler Nonnen die 
Sügerpferde und Hunde des Markgrafen, fo oft diefe zu Pforzheim liegen, 
beftreuen (S. 158). 

Des Markgrafen eigene Güter find: 1. Das Schloß 
mit dem Zwingelgarten gegen die Stadt herab, aud mit Marftall, 
Scheuer, Hof und Hofraithe, dazu „dem nähern Zwingel ufjerhalben 
zwijchen den beiden Stadtmauern vom Schloß hinab bis an ben Leit: 
gaftthurm, aud der Kirchhof (ſelbſwerſtändlich auch vie Schloßkirche) 
— ohne alle Beſchwerung der Stadt." Zum Schloß gebört ferner 
der Schloßgarten am Eifinger Weg (der fpätere Waifenhausgarten). 
Der Klofterfrauen zu Pforzheim arme Leute (Leibeigene) in ihren 
Dörfern zu Brößingen, Eutingen und Iſpringen müfjen das gemeldte 
Schloß in Frohnd beholzen. — 2. Die Bleihwiefe am Mebelgraben. 
Diefelbe zinst auf Martini an Sankt Thomas und Andreas Altar zu 
St Michael in Pforzheim 1 fl. 6 Sch. Pig. md 3 Faſtnachtshennen 
oder dafür 2 Sch. Pig., geftiftet durch weyland Wernher Göldlin laut 
der Gonfirmation von 1412 (©. 86). Die Büchenbronner und Suchen: 
felder müffen diefe Wiefe in der Frohnd beforgen, und die Brößginger 
müfjen das Heu heimführen in den Marftall. — Die Kelter in ber 
Altftadt (vor dem jetzigen Gafthaus zum Ochſen) gehört dem Mart- 
grafen; dahin find die Pforzheimer Weinberge gebannt; das Fuder gibt 
4 Viertel Kelterwein. — Der Rande, Weg: und Waſſerzoll ge 
hört dem Markgrafen allein. — Vom Stättgeld am freien Markt 
gehört 1/,, an Jahrmärkten das Ganze der Stadt. — Die Metger geben 
Zunftgeld I Sch. Pig. Jede Metzelbank, deren 26 find, zinst 


280 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


10 St. Pfg, macht alfo 18 fl. 8 Sch. Fig. — Die Büderzunft gibt 
von ihren 2 Mebelbänten, um ihre Schweine dort auszubauen, bes 
Jahres 1 fl. 6 Sch. Pfg. — Jeder Metzger, der feine eigene Bank 
bat und doch metzelt, zahlt dem Markgrafen 5 Sch. Pig, — Die 
Bäderzunft zahlt 1 fl. 1 Sch. Pfg. Ein Bäder, jo allein gebeu- 
teltes oder Moggenmehl badt und in feinem Haus feil hat, zahlt dem 
Markgrafen 5 Sch. Pig.; trägt er es aber in die Hütten, 10 Sch. Pig. 
Mer Jahr vor Martini anfängt oder aufhört zu baden, zahlt für 
diefes halbe Jahr 5 Sch. Pig. — Jeder Fiicher zu Pforzheim oder 
nächite Nachbar, der auf der Fiſchbank in Pforzheim feil hat, zahlt dem 
Markgrafen jährlid 3 Sch. Pig; ein Fremder aber- zahlt 6 Sch. Pfg. 
Der Fiſchbankzins erträgt ungefähr 10 Sch. Pig. — Das Wein: 
ungeld !) beträgt für Wirthe je die zehnte Maas, Jeder Bürger, wenn 
er nicht deswegen gefreit ift, gibt von jeder Ohm Legweins 6 Pfg. Hans: 
ungeld, und welcher Bürger oder Inwohner Malvafier, Neinfaldt, Ber: 
neticher 2) ober dergl. fühen Wein von Zapfen jchenft, gibt davon ent: 
weder die zehnte Maaß von der Ohm, oder die alte große Maas. — 
4 Malter Kernen gibt Fruchtungeld 1 Sch. Pig, 1 Mitr. Kom 
9 Big, 1 Mitr. Dinkel 6 Pig. — Bon jedem gemebelten Zentner 
Fleiſch beträgt das Ungeld 18 Pfg., und von 5 ungeraden Pfd. je 
1 Pig; von 1 Kalb 5 Pig; von 1 Hammel, Schaf, Geiß, Bock 
4 Pfg.; wenn ein ſolches Thier noch fehr jung ift, fo wird nichts bezahlt. 
Bon allem diefem Ungeld gehört der Stadt 1/,. — In den Salzkauf 
legt der Markgraf 3/,, die Stadt 1/,, und der Geminnft wird auch fo 
getheilt. — Mühlenzins (vergl. S. 157): Claus Müller von 
Mühlhauſen hat erblich die Wagmühle, zinst alle 14 Tage 12 Simri 
Kernen und 12 Simri Korn (Pforzh. Maas); Georg Herichner hatte 
erblicdy die Spitalmühle, zinst alle 14 Tage 10 Sr. Kernen und 
10 Sr. Roggen; Henfin Leonhardts Erben (1527 Michael Geiger) 
haben erblich die Kloftermühle an der Ichbrücke (Eichmühle), zinfen 
alle 14 Tage 9 Er. Kernen und 9 Sr. Roggen; Klaus Göppinger 
(1527 Hans Geiger) hat erblich die Nonnen: oder Bfriemenmühle 


i) Man vergl. zum Folgenden die Befimmungen des Privilegienbriefes 
von 1491, ©. 224. 

») Malvafier — cin griehifcher Wein aus Napoli di Malvafia in Morca ; 
Reinfaldt war Wein aus Rivoglio in Italien. Woher der Vernetſcher ſtammte, 
weiß ih nicht. 


Bi Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 281 


am Frauenkloſter und der Stadtmauer, zinst alle 14 Tage 8 Sr. Ker: 
nen und 8 Sr. Roggen; Peter Müller bat erblih die Zwingel: 
mühle (Obermühle) bei dem obern Bad, zinst alle 14 Tage 5 Sr. 
Kernen und 8 Sr. Roggen. — Der Nonnenmaher (Kaftrater) 
zahlt für die Erlanbniß, das „Amt Pforzheim zu beſchnyden“, 1 fl. — 
Stefan Engelfried der Plattner (Harniſchmacher) zinst von feiner Balier: 
mühle, genannt Keſſelmühle, an der Enz bei der Walkmühle herab, 
gegen Melchior Waffenichmieds Mühle über, 1 Pfund 6 Sch. Pf.; 
Mel. Waffenſchmied zinst von feiner Schleifmühle 1 fl.; Us 
Melchior Lederlin, Pulvermacher und Alt und Jung Hubenfchmied zinjen 
von der Baliermühle, oberhalb der Walfmühle an Stoffel Waffen: 
ſchmied gelegen, 1 Pfd. Pfg.; Valtin und Stoffel Waffenſchmied zinjen 
von ihrer Schleifmühle unten an beiden Hubenſchmieden 10 Sch. 
Pfg.; die Meifter Gerber Handwerks zinien von ihrer neuen Ninden: 
mühle, fo vorber eine Balier- und Schyleifmühle und Conrad Huben: 
ſchmieds gewefen ift, gegen ihrer andern Mühle über an dem ven Nip⸗ 
penburg'ſchen Garten gelegen, 11 fl. 11 Sch. Pfg.; Hs. Kepler zinst 
von feiner Kupfermühle im Krebenweiler an der Enz vorm Alt: 
ftädter Thor unter der Lohmühle 1 fl. 6 Sch. Pig; Hs. Lutz der 
Säger hat erblid die Sägmühle ober der äußern Ziegelhütte gelegen, 
zinst jährlich 4 fl. 4 Sch. Pfg.; Bürgermeifter und Rath zu Pforzheim 
zinfen jährlih aus der unten Sägmühle, unter dem großen Weg 
auf dem Mörth arlegen, dem Markgrafen 1 fl. — Jährlicher Waffer: 
zins in die Stellerei: Hs. Beil ſammt feinen 3 Gebrüdern, ferner He. 
Lungel im Spital, Erhard Vetter mit feinen Brüdern, Leonhard Vetter, 
Georg Bauer fammt feines Bruders Sohn, Claus Billing, Wendel 
Reinhard und H8. Reinhard haben das Fiſchwaſſer von der St. Mar: 
tinsfirche und der Altftadt Bis zur Meuracher Kling, geben für jede 
Frohnfaften 33 Sch. Pfg., thut jährlich 9 fl. 6 Sch. Pfg.; wenn Einer 
von ihnen ohne männliche Erben mit Tod abgeht, Fällt fein Antheil dem 
Markgrafen wieder zu. So viel Lächſe darin gefangen werden , jollen 
fie in die Kellerei geliefert werden, und befommen die Fiſcher für jeden 
Lachs 3 Sch. Pfg. Bon genannten Mannlehen find vergangenen Jahres 
4 Stüd, genannt Hillerwed, unferm Herrn Markgrafen zugeſtorben. 
Das Fiſchwaſſer an der Enz von der Spitalmühle über Birkenfeld bis an 
die Tennenfurt hat Ib. Geiger, zinst 12 fl. ; Claus Göppinger zinst jährl. 
vom Waſſerabfall oder Kager bei feiner Mühle 7 Sch. Pig; 98. 


232 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


Rüfflin vom Wafferabfall bei der Wagmühle 11.4 Sch Pia; — 
Up Ritters Wittwe zinst von einer Haus: und Hofraithe in der Klofter: 
gaffe, zwifchen der gemeinen Straße und Math, Meerwein gelegen, 1 fl.; 
Ambrofius Start, genannt Holzſchuhmacher, zinst von jenem Haus 
bei der obern Badftube zwifchen Wendel Eattlers und Matern Weilers 
Scheuer hinter Junker Hans Kechlers von Schwandorf Gürtlein 2 fl. ; 
die Herrſchaft zinst auf Michaelis 15 Sch. Pig. von neunten Theil 
des Zehntens in Dietlingen an die Pfründe zu St. Georg zu Pforz- 
beim; — item zinst auch die Herrſchaft 2 Sch. 3 Pfg., ferner 200 
Eier, 1 Halb Huhn, 1 Malter Korn, 41 Malter Dinkel, T Matter Haber 
an St. Cath. Altar zu St. Michael vom halben Laienzehnten zu 
Nöttingen, der auch dafür Unterpfand ift laut eines Briefes v. 1494. 


$ 3. Inneres, 


Wir ftoßen in diefem Zeitabfchnitt mehrfadh auf Streitigkeiten, 
welche ſich zwifchen Pforzheim und etlichen Nachbarn der Stadt erho: 
ben haben. Ging aud die Maidberechtigung im Hagenſchieß, welche 
den Herrn von Leutrum zuftand, im Jahr 1524 im Wege friedlichen 
Vertrags don Wurmberg auf Pforzheim über, das fi dafür zur 
Ablieferung von jührlihen 18 Malter Hafer an die Herren Ludwig 
Chriſtoph, Georg und Philipp von Leutrum verpflichtete, ) fo entbrannte 
dafür ein heißer Streit zwiſchen Pforzheim und Würm wegen Holzbe— 
rechtigung. Derfelbe fam bis vor das Reichskammergericht in Speier und 
wurde nad jahrelanger Daner des Prozefies 10660 zu Gunften Würms 
entfchieden. 2) Die Sache ift nicht wichtig genug, um ausführlich darauf 
einzugehen. Wegen des Maidgangs auf dem Node, der zu mehrfachen 
Irrungen Beranlafjung gegeben, kam es 1543 zu einem Vergleich zwiſchen 
Pforzheim und dem Junker Reinhard von Neuhaufen zu Weißenſtein, 
und abermals wegen Dlarfungsitreitigteiten und Wiehtrieb im Kallert 
zwifchen den beiden gleichen ZTheilen 1547 zu einer gütlichen Ueber: 
einkunft. 3) — 





1) Kopialbuch im ſtädtiſchen Archiv, 

9) Urtheilsbrief im ftädtifchen Archiv. Außen darauf ſteht: Tara zwölf 
Gulden. 

2) Urkunden im Stabtardiv. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 283 


Im Jahr 1569 übergab Markgraf Karl der Stadt Pforzheim 
ben Eckerich im Hagenſchieß auf Pforzheimer Gemarkung gegen einen 
jährlichen Dehmen (hier Ederichzins) von QOO Gulden, die unablöslich 
fein ſollten; doch blieb mehreren Perſonen das Recht vorbehalten, ihre 
Schweine dehmenfrei Laufen zu Inffen, fo dem Vogt zu Pforzheim 2, 
dem Amtskeller 2, dem Waldförfter 2, dem Herrn von Leutrum 20, 
bem Kanzler Achtſynit oder dem Inhaber von Niefernburg 12 Schweine, !) 
Man mag daraus wiederholt (vergl. ©. 244) entnehmen, welcher. Werth 
damals auf die Eichelmaft gelegt wurde. Der Dehmen von 200 fl. 
wurde indeffen, wie wir jpäter fehen werben, felten oder nie bezahlt, fo 
daß er zuleßt zu einer ungebenern Summe anwuchs und zu Streitige 
keiten zwiſchen Stadt und Herrſchaft Veranlaſſung wurde. — Des Kaufe 
von einem Stück Mald an der Strutt, zwiſchen der Stadt und St. Geor: 
gen Wald gelegen, den die Etadt Mforzheim 1531 von dem Bürger 
Hans Dütlinger und feiner Frau Anna Rüflerin um 50 fl. erftand, 
mag bier ebenfalls Erwähnung geichehen. 2) 

Bon größerm Intereſſe dürfte es fein, zu erfahren, daß die Stadt 
Pforzheim im Jahre 1538 die Ehre Hatte, beim Vehmgericht ber: 
Hagt zu werden. Dies geihah durch einen gewiffen Jerg Fünfftetter — 
ang welcher Urjache, weiß ich nicht — und zwar bei dem Freiſtuhl zu 
Medenbach in Weftphalen. Aus dem fpäter in diefer Sache erfolgten 
Urtheil des Reichskammergerichts zu Speier 3) läßt ſich entnehmen, daß 
einer der „angemaßten“ Stuhlherrn, ein gewiffer Heinrich Beckmann, 
der ſich nannte „einen Freigrafen und Richter des Freiſtuhls in Weſt⸗ 
phalen zu Medenbach“, einen „nichtigen, muthwilligen, freventlichen 
Spruch“ hatte ausgehen und auch durch einen heimlichen Boten an das 
Rathhaus in Bretten anſchlagen laſſen. Ebenſo hatten die Stuhlrichter 
Philipp Schenk von Schweinsberg und Johann Farmund oder Vor— 
mund nebſt dem genannten Beckmann gemeinſchaftlich eine Ladung an 
bie von Pforzheim ergehen lafjen, die man an ber „Stadtporten" ein— 
geſteckt fand, und als derfelben Feine Folge geleiftet wurde, jo hatten fie 
bie von Pforzheim für ungehorſame, unehrlihe, verfäumte, werachtetete, 


) Urkunde im Landesarchiv. 

2) Urkunde im Stadtarchiv. An derſelben bängt das Siegel des Vogtes 
Eberhard von Reifhad. 

2) Es befand ſich früher auf dem Pforzheimer Stabtardiv, ift aber jebt 
nicht mehr vorhanden, 


984 Zwöoölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


verurtbeilte, treulofe und meineidige Leute erklärt, die alles Rechts ent: 
feßt, vom Frieden in den Unfrieden ꝛc. gejeht jeien. Da man in Pforz- 
beim aber allen diefen Urtheilsiprüchen Feine Gültigkeit beilegte, jo wurde 
ihrer Etliche, die auf die Frankfurter Meſſe gereist waren, nämlich ber 
Bürgermeifter Peter Gößlin, Klaus Engelhard, Jakob Ryſyſin (Reiß— 
eifen), Klaus Baihinger und Stoffel Hochſt, am 14. Zeptember 15.58 
von einem, der von genannten Stuhlrichtern als Anwalt geſendet worben 
war, nämlich Peter Scheyd von Medenbach, „angefallen und angeregt, 
vermeinter nichtiger beimlicher Acht halben und zu ihrem großen Schaden, 
Berluft und Nachtbeil dafelbft in der Meſſe, da fie ihrer Handierung - 
und Kaufmannfchaft warten und einfaufen jollten, aufgehalten.“ Leber 
alle dieſe Unziemlichkeiten führte Markgraf Ernft Klage bei dem Reihe: 
fammergericht, weiches alle Urtheile der erwähnten Freiſchöppen für nichtig 
erklärte, den Beckmaun in die Gerichtsfojten verurtheilte, die verflagten 
Stuhlherrn aber, ſowie den erg Fünfftetter freiſprach. 

Nühmend muß hier einiger im Lauf des 16 Jahrhunderts ge 
madyten Stiftungen zu wohltbätigen Zwecken gedacht werden, die ſich 
zum Theil bis auf unſere Tage erhalten haben. Es gehört dazu in 
erfter Meihe die des ftäbtiihen Almofens. Um das Jahr 1533 
wurden ſämmtliche Brubderihaftsfonds von Pforzheim (vergl. ©. 160) 
fammt dem des GSeelhanies (S. 163) mit dem Haus jelber zu einem 
gemeinſchaftlichen Almoſenfond verihmolzen, 1) woher fid) auch deſſen 
Urfprung datirt. Da bderjelbe von der Bürgerjchaft und den Zünften 
berrührte, jo erhielten Bürgermeifter, Gericht und Math die Aufficht nnd 
das Berfügungsreht darüber, hatten die Aimofenpfleger ein: und abzu— 
fegen und die jährliche Abhör der Rechnung in Gegenwart der Beamten 
und des eriten Stabdtgeiftlihen vornehmen zu laſſen. Das Almofen er- 
hielt in der Folge mandye zum Theil veiche Bermächtnifie, fo 1548 von 
oh. Lutz, Bilar des Domftifts zu Speier 300 fl., 1552 von Peter 
Göplin 100 fl., 1554 von Thomas Heppler 100 fl., 1557 von Lukas 
Piftorius 100 fl., 1568 und 1575 von Marzelf Wolff und Frau 
200 fl., 1570 und 1572 von Peter Gößlins Witte 120 fl. u. f. w. 
Bon frühern Stiftungen hatte das Almofen auch die Verpflichtung über: 


1) Ragerbuch des Almoſens von Pforzheim (im Stadtarhiv). Es ift darin 
auch von der Älteften Almoienrehnung von 1533 die Rede; dieſelbe ift aber 
nicht mehr vorhanden. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16 Jahrhundert. 285 


nommen, arme Kindbetterinmen zu unterftügen, an die lateiniſche Schule 
für Pflege des Kicchengefangs jährlich 12 Gulden zu bezahlen u. dgl. m. 
— Einer Stiftung von 300 fl., welche Chriftoph Wertwein, ein 
geborner Pforzheimer, ſpäter Biſchof in Wien und Beichtvater von Kaifer 
Ferdinand I. (vergl. S. 197), 1555 in das Almofen aus Dankbarkeit 
dafür, daß er felber als Unterftügung beim Studiren etliche Gefälle 
einer Pfründe von St. Michael bezogen, zum Beten armer Etubirender 
machte, muß deshalb noch befendere Erwähnung geſchehen, weil dieſe 
Summe fpäter (1763) aus dem Stadtalmofen wieder ausgefchieden wurde 
und feither bejondere Rechnung darüber geführt wird, 

Eine Ähnliche Stiftung von 600 Gulden, wozu 1564 weitere 200 
Gulden famen, machte 1559 ein anderer Pforzheimer, nämlih Peter 
Geiger, „Kanonitus des Stiftes zu Baden. Die Zinfen follten nad 
dem Tode des Stifters für 6 junge Knaben, darunter für einen, der 
Theologie ftudiren würde, beftimmt fein. Diejelden mußten aber dem 
Geiger'ſchen Geſchlechte angehören, und nur im Fall davon nicht genug 
vorhanden wären, durften auch andere fromme und unvermögende Dür- 
gersfinder, insbefondere von Pforzheim, genommen werden. Jeder auf— 
zunehmende Knabe folle 7 Sabre alt fein und 7 Jahr lang das Schul: 
geld für ihm bezahlt werben. Bei einem alsdann in Gegenwart Bür- 
germeifters, Gerichts und Raths, ſowie der zwei Aelteften des Geiger’ichen 
Geſchlechts vorzunehmenden Prüfung Tolle der fähigfte und geſchickteſte 
der Knaben zum Studium der Theologie beftinmt, die andern aber zu 
Handwerkern in die Lehre gethan werden, Der Ausgewählte hatte num 
Grammatik, Dialektik und Rhetorik zu ſtudiren und fodann auf diejenige 
Univerfität zu geben, wo die MWifjenfchaft der Theologie am reinften ges 
lehrt würde. Dem Stipendiaten, der 6 Jahre lang jährlih 25 Gulden 
erhielt, wurde zur Pflicht gemacht, fleißig und anftändig, letzteres bejons 
ders auch in der Kleidung zu fein. Nach vollendeten Studium follte 
er verpflichtet fein, feinem Waterland , namentlich der Stadt Tforzheim 
mit chriſtlicher Lehre, Predigen, Austheilen der Sakramente ꝛc. zu dienen, 
und wenn er in Pforzheim feine Anftellung erhalten könne, fo folle er 
ein Fahr die Bürgerskinder in Pforzheim im Katechismus unterrichten, 
und wenn er dies zur Zufriedenheit gethan, fo jolle er das Stipendium 
mit 25 Gulden erhalten, Wer fit) aber von den Stipendiaten nicht 
gut aufführe, der folle 2/5 des Stipendiums wieder erftatten Wer 
ben erwähnten Katehismusunterricht verweigere, der ſolle , zurück⸗ 


286 Zwolftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


erftatten. Wenn derjenige, ber ein Stipendium genoſſen, im Inland 
feine Anftellung finde, fo dürfe er auch ins Ausland gehen. Mer 
während des Studiums die Theologie aufgebe, folle das Stipendium 
nicht mehr bekommen. Wer durch Krankheit unfähig werde, das geiftliche 
Amt zu führen, dem folle ber oben vermerkte Erſatz erfaffen fein. 1) — 
Peter Geiger ftarb 1569 zu Baden und befleidete, wie auf feinem im 
der Marienkapelle der dortigen Stiftskirche befindlichen Grabftein erficht: 
lich, zufeßt das Amt eines Vicedekans des Stiftes. 2) 

Eine Stiftung anderer Art darf bier nicht vergeflen werden. Der 
Kanzler Achtſynit vermachte um 1560 ein Kapital von 100 Gulden mit 
der Beftimmung, daß die Zinſen davon mit jährlichen 5 Gulden jedes 
Jahr oder alle 3. Fahre bei Abhör der Bürgermeifterrechnung vertrunfen 
werden follten, und zwar in Niefernburger Gutebelmein. 3) Diejer Auf- 
lage kamen die betreffenden Väter der Stadt viele Jahre bindurd ges 
treulich nach, verfchmähten indefjen auch einen befjern Trunk nicht, wenn 
fie die Luft dazu anwandelte. Im Jahren, wo wegen unterbliebener 
Abhör der Rechnung auch kein Stiftungswein vertrunfen wurde, ift dies 
in fpätern ftädtifchen Nechnungen als etwas ſehr Wichtiges immer ges 
treulich bemerkt. 

Um diefelbe Zeit, als mehrere diefer Stiftungen gemacht wurden, 
tritt auch ein Heute noch in Pforzheim beftehender Verein aus dem 
Dumkel hervor, das über feiner Entftehung ſchwebt. Es ift dies bie 
Schüpengejellfhaft. Sie muß ſchon jehr früh gegründet werden 
fein, vielleicht gleichzeitig mit den Schübengejellichaften anderer Städte, 
wie folche beiſpielweiſe Schon 1451 zu Offenburg und 1459 zu Billingen 
beitanden, ) Gewöhnlich erwählten fie ben heiligen Sebaſtian, welcher 
der Sage nach mit Pfeilen erfchofjen worden fein joll, zu ihrem Schu: 
patron und gaben fich deshalb den Namen „St, Sebaftiansbruderichaf- 
ten," Die Mitglieder derjelben gebrauchten bei ihren Webungen ur 


2) Diefe Beflimmungen find dem Rathsprotofoll von 1711 entnommen. 
Der Stiftungskrief ift bier nicht mehr vorhanden. 

2) Auf dem Kirchhof zu Pforzheim, und zwar an ber jüdlichen Wand ber 
Kapelle, befindet fih ber Srabflein einer „Urjula Geigerin“, Wittwe bes 
Torftverwalters Ib. Meerwein, welche 1718 ftarb und auf dem Grabflein als 
die Letzte des Geſchlechtes des Geiger'ſchen Stipendienftifters bezeichnet ift. 

2) Sads, IV, 179. 

) Mone, Zeitſchrift V., 486 und VIN., 76, 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 287 


fprünglich die Armbruft, fpäter, nachdem das Schießpulver erfunden und 
andere Schießwaffen in Gebraud; gekommen waren, bie Büchſe. Arms 
bruft= und Büchſenſchützen kommen in Pforzheim ſchon im Jahr 1487 
vor. Damals wurde nämlich denfelben „zu Handhabung der Stadt zu 
Schimpf und zu Emft etwas Freiung zugelafien, alſo daß ein Seber 
jein Geſchütz frei tragen und damit kurzweilen und ſchießen mag, es ſei 
Vogel, Enten u. dgl. Ob aber einer Haſen oder Gewild ſchießen würbe, 
fo ſoll er von jedem eine geſetzte Poenn geben, wie das im Land zu 
Württemberg und anderswo wird gehalten.“ ) Bon Markgraf Philipp 
erging 1529 die Weifung an die Stadt Pforzheim, Armbruſtſchützen 
nah Speier zu ſchiden.?) Intereſſant ift das Schützenfeſt, das die 
Scüßengefellihaft zu Pforzheim im Jahr 1561 veranftaltete, und ver: 
dient dasfelbe eine eingehendere Bejchreibung. Als 1561 die Schüben: 
gefellichaft zu Pforzheim den Markgrafen Karl IL um die Erlaubniß 
bat, ein Schießen halten zu dürfen, geftattete es diefer nicht nur, fondern 
ſchenkte auch der Gefellfchaft als Hauptgewinn für das Schüßenfeft einen 
fetten Ochfen, und beauftragte einen feiner Eden, Hans Sebolb von 
Siglingen, 3) die nöthigen Anordnungen für diefes Feſt zu treffen. Dem: 
felben wurden zu diefem Zweck von Seiten des Raths und der Schüben: 
gejellichaft einige Mitglieder beigegeben. Zunächſt wurden nun durch 
Öffentliche Ausſchreiben die auswärtigen Schützen zu diefem Schießen 
feierlichft eingeladen und dabei befannt gemacht, daß derjenige, welcher 
unter 15 Schüſſen nah der Scheibe biefelbe am öfterften treffen würde, 
beim Hauptichießen den erwähnten Maftochfen ober ftatt deſſen in Geld 
30 Gulden, beim Nachſchießen aber 12 Gulden erhalten follte. Neben 
dem wohl gebauten Schützenhauſe, das vor dem brößinger Thor ftand 
und außer den Schiefftänden einen weiten Saal fammt einer freunds 
lichen Sommerlaube enthielt, wurden noch zwei Hütten errichtet, in denen 
man die Büchfen wifhen und laden konnte; überdies hatte man für bie 





) Alten des Landesarchivs, mit der Ueberichrift: Allerhand Ordnung und 
Polizeifahen 1487, 

2) Schreiben bes Marfarafen, im Stadtarchiv. 

) Der Grabftein desielben findet fi in der Kirche zu Stein. Er zeigt 
folgende Inſchrift: Anno domini 1570 d. 29. Nov. ift in Gott veriieden bet 
ebel und firenge Herr Hans Gebold von Siglingen, des durchl. und hochgeb. 
Herrn Ludwig von Bourbon, Prinzen zu Gonde, Herzogen zu Angien, gewester 
Obrifter Über ein Regiment Landsfnecht, dem Gott genad, Amen. 


ass Zwölftes Kapitel. Piorzbeim im 16. Jahrhundert. 


hohe Herrſchaft ſechs Zelte dabei aufgefchlagen. Scheiben waren im 
Menge da und daneben Hütten, hinter denen die Zeiger ficher ftehen 
konnten. Am 3. October begannen die Teftlichkeiten. Man zog mit 
Pfeifen und Trommeln unter dem VBoraustritt eines Fahnenträgers auf 
den Schübenplan hinaus, wofelbft der Etadtfchreiber Jehann Groß bie 
Eröffnungsrede hielt. Alsdann erwählte man die jogenannten Neuner, 
denen das Gefchäft oblag, Alles, was das Schießen felbft betraf, zu 
ordnen. Hiezu wurde Namens des Markgrafen, des weiſen Raths der 
Stadt, der Schüßengefellichaft, ferner von Kurpfalz, Württemberg, der 
Stadt Straßburg, der Ritterfchaft, der Markgrafihaft Baden und der 
geiftlichen Fürftenftädte je ein Mitglied ernannt. Dieſe Neuner erwähl: 
ten die Zeiger und andere zuverläffige Männer, die auf die Schüffe 
Acht geben ſollten; hierauf wurden die Schiehregeln verlefen, die Büchſen 
unterfucht und die betrügeriich zugerichteten verworfen. Nun machten 
die Neuner ſechs Looſe, um die Reihenfolge der Schützen zu bejtimmen, 
nämlih: für den Marfgrafen, feine Nitter und Dienerjhaft, für 
Kurpfalz, für das römifhe Reich, für Württemberg, für bie 
untere Markgrafſchaft, und endlich für die Nitterfhaft und den 
Adel. Ein jeder Schüße mußte jodann einen Gulden einlegen, um 
daraus Gewinnfte machen zu können. Sonntage den 5. Dftober 
fing das Sceibenichießen an, Wenn ein Schüße die Scheibe getroffen 
batte, gab man ihm eine Fahne im die Hand und führte ihn zum 
Schreiber bin, der den Schuß einfchrieb. Den Schützen hatte der Mark— 
graf ein Fuder Wein gejchenkt; alle Pritfcyer hatte er neu gekleidet und 
ihnen filberne Schilde gegeben; aud lud der freigebige Fürft die Neuner 
oft zu Gaſte. Auf dem Schießplane waren zur Beluftigung des Volkes 
and Spielbuden errichtet, in denen man um mäßigen Einſatz Silber: 
und Zinngefchirr gewinnen konnte, Die Pritſcher hatten allenthalben 
vollauf zu thun; denn fo oft Jemand einen ungeſchickten Streih machte, 
befam er die Pritſche. Am Freitag den 10. Oftober fing man an, zu 
ftehen; am folgenden Tage wurde der Preisochſe aufgeführt. "Zwei 
Jünglinge in weißem Anzug, mit Fähnlein in der Hand, gingen voraus, 
und zwei fchöne Jungfrauen, ebenfalls weiß gelleidet, führten den Ochſen, 
den man mit einer feidenen Dede geziert hatte, auf welche des Mark: 
grafen und feiner Gemahlin Wappen geftidt waren. Eine große Anzahl 
Bürger, mit Harniſchen angethan, folgte Mit Trommeln und Pfeifen. 
Den Zug beſchloß der Stadtrath. Als derfelbe an Ort und Stelle 


Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert. 289 


angefommen war, ftellten fih die Herren in einen Kreis und nahmen 

die Jungfrauen mit dem Ochfen hinein. Cine bderfelben trug einen 

goldenen Kranz in der Hand, den fie dem Sieger im Wettfchießen, 

Hans Schatz aus Straßburg (der den beiten Schuß gethan hatte), feier: 

lichft überreichte. Den Preisohjen aber gewann Jakob Laftner von 

Kuppenheim. Nun ging es an die Austbeilung ber Geldpreife, die fich 

in ledernen Sädeln befanden, welche man an lange, oben mit Fahnen 

gezierte Stangen aufgehangen hatte. Es waren deren im Ganzen 38, 

Einem Schügen wurde jein Preis jammt Fahne wieder abgenommen, 

weil fich feine Büchfe nachträglich als unrichtig erwies. Dem Schützen Hans 

Balthas Mutſchaß aus Zürich wurde ein Schwein zu Theil, damit er 

den weiten Weg nicht umfenft gemacht haben möchte. Mean hatte auch 

nach einem hölzernen Mann geſchoſſen, und für die drei beiten Schüffe 

barauf waren ebenfalls Preife ausgejegt. Der Stadtichreiber Groß 

erklärte Hierauf das Schießen für beendigt und ftattete ſowohl den 

Neunern, als allen auswärtigen Schüßen im Namen der Stadt und 

der Schüßengefellichaft feinen Dant ab, worauf Hans Schatz aus 
Straßburg einige pafjende Worte erwiderte. Sonntags darauf begann 
das Nachſchießen, welches zwei Tage dauerte. Den erften Preis dabei 
gewann Jakob Bachofen aus Züri, Damit ſchloß das Schützenfeſt. 
Unter den auswärtigen Beſuchern desfelben war auch der Leineweber 
und Meifterfänger Heinrih Gehring aus Zürich. Derfelbe befchrieb 
nachgehends das Feſt mit allen jeinen Einzelheiten im einem langen Ges 
dichte, das er dem Markgrafen Karl II. widmete. 1) Er jchildert darin 
unter Anderm auch verichiedene Arten von Voltsbeluftigungen, weldye 
außer den ſchon angeführten mit dem Schützenfeſt verbunden waren, 
Es mögen zwei darauf bezügliche Stellen ang jeinem Meiftergefang, je: 
doch zu befjerem Berftändnig in jegt üblicher Schreibweife, hier ange: 
führt werden: 


) Dasfelbe ift diefer Beihreibung zu Grund gelegt. Es befindet fih Heute 
noch auf Großh. Hofbibliothet in Karlsruhe, hat 33 Blätter Tert und auf 12 
weitern Blättern die Abbildung des Preisochſen mit feiner Dede (jogar von 2 
Seiten) und jämmtliher Schügenfahnen, von denen aber eine ausſieht, wie bie 
andere, nur baf fie bald links, bald rechts flattern. Poſſelt Hat biefe inter 
reffante Handfchrift zuerft benügt zu einer Schilderung des Pforzheimer Schü: 
genfeftes in feinem wiffenfchaftlihen Magazin HE, 642, (1788). 


Pflüger, Pforzheim. 19 


290 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


Ein’ Pritſchenbrück' war auch gemacht, 

Der hat gar Mander g'nug gelacht, 

Denn fie war g’bauen auf der Enz. 

Ich wünſch' den Narr'n bie Peftilenz, 

Sie haben mich geworfen d'rein. 

Ich acht’, fie find mir feind gefein, 

Sie hätten mich fonft nicht gebabet; 

Doch hat es mir nicht viel geichadet x. 
Ferner: 

Potz Lung, Eins hätt' ich ſchier vergeſſen: 

Man thät auch da die Mäuler meſſen, 

Und welcher die größte Goſchen hätt', 

Der gewann ein'n Käs gleich an der Stätt'. 

Des Meſſens Mancher g'nug thät lachen, 

Man map, daß Manchem die Lefzen krachen. 

Es kam ein Bau'r, derſelb' war voll, 

Ohn' Zweifel war's ein grober Droll, 

Hieß Stoffel Ruf von Weißenſtein. 

Er hatt ein Mündlein, als ich mein', 

Was mehr denn fieben Zollen weit; 

Der g’wann ben Ks zu jelber Zeit. 

Von dem ich Abenteuer muß jagen: 

Den Käs bat er nit heimgetragen, 

Eondern ift mit unter die Bauern g'ſeſſen, 

Und haben ihn gleich von dannen g'freſſen. 


Sp weit die Älteften Nachrichten über die Pforzheimer Schützenge— 
ſellſchaft. Wir werden auf diefelbe fpäter zurückkommen. 

Es mag hier noch einiger fonftigen Ereigniffe gedacht werden, die 
gewöhnlich in Chroniken eine große Rolle jpielen, immerbin aber für 
diejenigen Bewohner Pforzbeims, die damals lebten, von Wichtigkeit waren. 
Wir meinen damit Feuersbrünfte, große Waffer, Theurung, 
wohlfeile Zeit ꝛe. — Daß Pforzheim früher von Bränden heimgeſucht 
wurde, erfehen wir aus einer Abjchrift des Privilegienbriefes, die im 
Jahr 1517 angefertigt wurde, 1) und worin es beißt, daß „viele der 
Stadt nützliche Briefe verbronnen“ ſeien. — Ein Eisgang riß 1522 die 
„Steynin Bruden“ (S. 122), nämlich die Auer Brücke, mit ſich fort, 2) 
und abermals geihah dies 1573. Unter Markgraf Karl wurde bierauf 


N Stadtardiv. 
2) Stabtardiv. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 994 


diejenige Brüde erbaut, deren Pfeiler der großen Ueberſchwemmung bes 
Jahres 1824 zum Dfer fielen. Ein beute noch erhaltener Stein gibt 
von jenem Brüdenbau von 1573 Zeugniß. Seine Inſchrift Tautet : 


Anno MDLXXII. 
Das Eys vnd gros Wassergüssen 
Die Bruck mit Gwalt zv Stvckn rissen 
Darvmb ein Rat zv nuz der gmaind 
Den Pfeiler sezt von starken Stein 
Der Landsfürst Marggrav Carolvs 
Den ersten Stein legt on Verdruss, : 


Der Theurung von 1548, die fogar eine Verordnung des 
Markgrafen Ernſt hervorrief, durch melde das Fleiſcheſſen beſchraͤnkt 
wurde (S. 210), gingen- 1539 und 1540 zwei MWeinjahre voraus, wie 
folge nicht oft vorkommen. Schon 1539 gab es fo außerordentlich viel 
Wein, daß nad) dem Chronikreim 

Tauiend fünfbundert dreißig und neun 
Galten die Fäfler mehr als ber Wein. 


Der Wein von 1540 übertraf aber an Menge und Güte feinen 
Borgänger noch. Im Elſaß gab e8 Orte, wo man die Schweine mit 
Trauben fütterte, und im Breisgau gebrauchte. man Wein ftatt Waffer 
zum Eichen der Fäſſer.) Viele Leute foffen fi, wie ein alter Bericht 
fagt, zu tobt. Ein Edelmann ließ feine Bauern feinen Wein in der 
Frohnd austrinten, und wöchentlich zweimal gingen fie, mit Brod und 
Käſe verfehen, an diefes Tuftige Gefchäft. Händel und blutige Köpfe 
gab es dann genug, und der Edelmann ftand fi als Gerichtsherr dabei 
befjer, als wenn er den Mein verfauft hätte, 2) — Der großen Theu: 
rung von 1563 gedenten folgende Zeilen, die man heute noch an der 
in jenem Jahr gebauten Scheuer der Niefernburg leſen kann: 

Als ich thet bauen diefe Scheuer, 

Da war bie Frucht fehr clemm und theuer; 
Fünf Gulden galt ein Malter Kern, 

Der Roden fünfzig Batzen gern; 

Mit zwanzig Bapen warb bezahlt 

Der Hafer und zu Mehl gemahlt. 





1 Vergl. Bader, Badenia (die neue), I, 40. 


2 äuſſer, Geichichte der Pfalz, 1., 586. 
) 9 eichichte de — 


292 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 


Und ſtund die Frucht im Feld jo reich, 
Daß man nit dendet der geleich; 

Auch als die Ernt' ward g'chnitten cin, 
Gleich ward geftillt des Hungers Rein. 
Die neue Frucht um halbes Geld 

Dian näher faujt, denn obgemelt. 

Dem lieben Gott ſey Danf und Preiß 
Um Leibes und der Seelen Speiß. 


$4 Die Stadt ſelbſt. 


„Pfortzheym ift nicht groß, bat mur eine Kirche (2), liegt gar im 
Grunde an einer fchönen Iuftigen Wifen, dadurch laufft ein clares, ge: 
fundes Waſſer, gibt allerlei wohlichmedende Fifche, daran man bes 
Sommers gar gute Kurzweile haben Fan, zwuſchen vberaus hohen Ber: 
gen, jo mit Holgungen, einer Wiltnuffen nicht vngleich, bewachſen, fo 
guth Wildbreth gibt. Das fürftlihe Schloß ligt woll niderich, aber 
respeetu oppidi (im Bergleih zur Stadt) zimblich hoch; jenft bat die 
Statt viel gelerter, beicheidener, freuntlicher, wollerzogener Leute, vnnd 
Alles, was man zur Leibes Notturft, auch Erhaltunge zeitliches Lebens 
in Geſuntheit vnnd Kranchheit von Nöten, an elerten, Ungelerten, 
Apotheken, Balbiern, Wirthshenfern, allerlei Handtwerfern, nichts aus: 
genommen, im Predigen vnnd Geſängen Guangeliiche Religion.” So 
ſchildert der ihen ©. 273 fi. erwähnte Saftrew die Eindrücke, weldye 
Pforzheim auf ihn während eines Aufenthaltes in diefer Stadt machte, 
der vom 24. Juni 1544 bis 16. April 1545 dauerte. 1) — Der 
Meifterfinger Heinrih Sebring, der 1561 das Schützenfeſt zu Pforz— 
beim bejchrigb, weiß für das Lob der Stadt nicht genug Worte zu 
finden; er rühmt ihren weitverbreiteten Handel, ihre Gewerbe, den da— 
hinftrömenden Ueberfluß, namentlich aber auch die vielen und guten Ser: 
bergen. — In einem 1543 erftmals erichienenen, berühmten geographifchen 
Werke 2) wird von Pforzheim, nachdem von Gründung der Stadt und 
ihren frühern Herrn die Nede geweien, Folgendes gejagt: „Es ift faft 


1) B. Saftromw, Herfommen sc, berausgeg. ton Mohnike (Greifswald, 
18531 1, 266, — nen bearbeitet von Grote (Halle, 1560) ©. 142, 

*; Gosmograpbed, oder Beſchreibung aller Länder x. durch Sebaſtia— 
num Winnjterum. Gedruckt zu Ball 1543, 


Zwötftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 293 


die fürnemſte ftatt jo die Marggrauen in jrer herrichafft haben, wiewol 
Baden des heiffen waſſers halbs eines groffen anfehens und namens. 
Es ligt Pfortzheim in einer gegend genannt am Hagenſchieß.“ Ja, 
Münfter ftellt uns fogar ein Bild des damaligen Pforzheim vor Augen; 
da imdeflen derfelbe Holzichnitt noch verfchiedene Male in der „Cosmo: 
graphey“ vorfommt und auch als Abbildung anderer Städte dient, fo 
dag man nicht weiß, welche Stadt er eigentlih bedeuten fell, fo unter: 
laffen wir die Mittbeilung diefer Abbildung, und zwar um fo mehr, 
weil fie mit dem wirklichen Pforzheim jener und jeßiger Zeit gar feine 
Aehnlichkeit hat. 

Mas Saſtrow über die Einrichtungen der Stadt für Geſundheits 
pflege Sagt, läßt fi aus andern Quellen allerdings belegen. in Bub: 
wig Germann oder Germey der Arzt, ach kurzweg Meifter Ludwig ge: 
nannt, fommt 1502, 1514 und 1520 vor. Zweier weitern Aerzte aus 
jener Zeit, nämlich Johann Widmanns und Alexander Seitz's ift be 
reits (©. 180 ımd 203) Erwähnung aeiheben. Gin fräterer Kollege 
von ihnen war Philipp Schopff, wahrſcheinlich aus Pforzheim felbft 
gebürtig, der 1565 Magifter zu Tübingen, 1575 Arzt im Kreuznach 
und fpäter Arzt in Pforzheim war und 1587 die Stelle eines Pro: 
feffors der Natunwifienichaft an dem neugegründeten Gymnaſium zu 
Durlach befleidete. Schon während feiner Amtsthätigkeit in Pforzbeim 
machte er fich als medizinischer Schriftfteller bekannt, 1) . Als Apotheker 
zu Pforzheim wird 1562 bereits Michael Gröninger genannt. Zweier 
öffentlichen Badftuben ift oben (©. 163) ſchon erwähnt. Auch an 
Privatbadeinrichtungen muß es nicht gefehlt haben; denn 1536 verkaufte 
„Margarethe von Velberg, Wittwe Sebaftians von Gültlingen, an 
Dietrich von Gemmingen Haus, Hofraitbe, Brunnen, Badſtube, Stal: 
lung und Zubehörde im WPredigergäklein.“ 2) Minder gefund waren 
damals die Wohnungen, in denen man durchfchnittlich ſehr beichränft 
wohnte. Man traf deshalb in faft allen Häufern behufs der Raumge— 
winnung jene Einrichtung, nad) welcher die Betten auf einer Art Empor: 
bühne, zu der man auf einer Treppe hinaufſtieg, fich befanden, und 


s) Vierordt, Geſchichte ver Karlsruger Mittelihufe, ©. 15. — Der 
Grabjtein eines Peter Echopff, der 1574 farb und vielleicht ein Bruder des 
Obigen war, befindet fich auf dem Kirchhofe, wahricheinlih vom Kreuzlirchhofe 
dahin gebradit. 

2) Repertorium im Landesarchiv. 


294 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Nahrhundert. 


zwar oft fo nahe an der Dede des Zimmers, dag man faum ind Bett 
gelangen konnte und leicht den Kopf an der Dede anftieß, wenn man 
benfelben, im Bett Tiegend, etwa erhob. Auch die Mintel zwifchen den 
Häufern, die man heute noch jo häufig trifft, die aber damals nirgends 
fehlten, trugen vermöge ber Ausdünftungen der dorthin einmündenden 
Abtritte, Waflerfteine sc. zur Pflege der Gejundheit eben nicht ſonderlich 
bei. Wie es mit der Straßenreinlichkeit beftellt war, mag bie bereits 
(S. 252) angeführte „Miftordnung” von 1533 beweifen. 

Mas Saftrow und Gehring über die große Gewerbthätigkeit 
Pforzheims jagen, hatte allerdings feine Richtigkeit, und find dafür im 
Frühern ſchon mehrfach Nachweiſe geliefert worden, namentlich in den 
vielen Gewerbordnungen und in ber Angabe der Namen der einzelnen 
Handwerksmeifter, in Zufammenftellung der vielen Mühlen, als Mablz, 
Schleif⸗, Balier-, Säg⸗, Oele, Ninden:, Kupfer, Waltmühlen ꝛc. Wird 
ja auch in der Stadtordnung von 4491 ausdrüdlich gejagt, daß Pforz- 
beim unter den Städten der Markgraffhaft für „Handel und Mandel 
am beiten gelegen fei.” Sehr ftark waren fortwährend bie Gewerbe 
ber Tuer und Seidenweber („Engeljeitweber“), jowie ber Ger 
ber vertreten, und wurden mit den Erzeugniſſen bderjelben viele auswär⸗ 
tige Märkte, au die Mefje zu Frankfurt bezogen. Pforzheim beſaß 
1527 auch einen Bildhauer, H8. Zimmermann von Xiefenbronn, ?) 
1533 einen „Urlinmader“ (Uhrmacher),2) 1566 einen Orgel: 
macher Gg. Schweizer, ?) und waren nod andere, zum Theil feltene 
Gewerbe dafelbft vertreten, War ſchon früher eines Armbruftmachers 
(S, 159) und eines Pickelhaubenſchmieds (S. 180) erwähnt, jo kom— 
men nun auh Waffenſchmie de überhaupt (S, 2831), darunter ein 
PBlattner oder Harnifhmacher vor, fo genannt, weil damals für die 
Banzerhemden die Harnifche mit Eifenplatten in Gebraud kamen, Auch 
das Gewerbe der Sporer war in Pforzheim vertreten und hatte ſchon 
Karl I. einem Angehörigen desfelben verichiedene Freiheiten verliehen. 
Eines Pulvermachers Leberlin gefchieht 1527 Erwähnung (S. 281). 
Daß es auch an Juden nicht fehlte, zeigt der früher ſchon vorgekommene 


1) Lagerbucherneuerung von 1527. 

) Ariikul und Beichwerniß der Stadt ꝛe., früher in ber Lade BR im Stabt- 
archiv, und 1539 in der Beichreibung der Gefälle des Frauenkloſters. 

3) Beichr, der zehntfreien Aeder von 1566. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 295 
’ 


Name einer Judengaſſe, jowie verfchtedene Stellen in alten Urkun— 
den, wo vom ihmen die Rede if. Dbiger Name dürfte fogar der Ber: 
muthung Raum geben, daß die Juden mit ihren Wohnungen auf einen 
beftimmten Theil der Stadt bejchräuft waren, wie es auch in andern 
Städten vielfach der Fall war. 

Daß Pforzheim auch, wie Saftrow jagt, viel gelehrte Leute be 
fefien habe, dafür folgen in den nächſten Abſchnitten diefes Kapitels 
einige Belege. Das fechszehnte Jahrhundert mit feinen gewaltigen Er: 
eigniffen, namentlich der Neformation, wedte überhaupt manche geiftige 
Kraft, und in Pforzheim trugen die dortige Gelehrtenſchule, die Buch— 
druderei zc. das Ihre dazu bei. Auch die edle Dichtkunft muß in 
Pforzheim forgiam gepflegt worden jein; denn in einem Ötraßburger 
Meiftergefang von 1597, der aljo eimer faum fpätern Zeit angehört, 
als diejenige ift, welche in diefem Kapitel behandelt wird, heißt es: 

Noch leben heut 
Zu Leipzig und zu Dresven, 

Zu Eplingen, Nördlingen, Wien, Breslau, 

Zu Danzig, Bafel, Steyer, 

Zu Kolmar, Frankfurt, Hagenau, 

Am römiſchen Reich zu Speier, 

Meißenburg gleich, 

Pforzheim iſt reid 

An Dichtern, wie wir Iefen, *) 

Wenn Saftrow nur von einer Kirche in Pforzheim fpricht, fo meinte 
er damit wohl die Stiftgficche zu St. Michael. Die Kirche der Altftadt be: 
trachtete er als nicht zur eigentlichen Stadt gehörig; die übrigen Kirchen 
hatten als Kfofterfirchen ihre befondern Beftimmungen, waren alfo eigent- 
lich feine Stadtfirhen. Erft nach Aufhebung der Klöfter, von der im 
nächften Abschnitt bei der Gefchichte der Neformation in Pforzheim die 
Rede fein wird, trat darin ein anderes Verhältniß ein. Es möge hier 
bemerft werden, daß die Kollatur der Stiftskirche, die 1344 an Lid: 
tenthal übergegangen war, unterm 15. Mai 1555 vom Klofter dem 
Markgrafen Karl wieder abgetreten wurde. Es mußte aber zur Kom: 
petenz aus feinem Zehnten zu Pforzheim 15 Malter Korn, 40 Malter 
Dinkel, 10 Malter Haber und 15 Ohm Mein abgeben, wogegen ber 
Markgraf veriprach, das Klofter am Einzug feiner dortigen Gefälle nicht 


) Lobſtein, Geſchichte der Mufil im Elſaß (1840) ©. 2. 


296 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


hindern zu wollen. Gegen Erlegung einer Summe ton 250 Gulden 
wurde Lichtenthal auch von der Verpflichtung der Fütterung der fürft- 
Tichen Jagdhunde in Pforzheim (S. 158) in feinem dortigen Zehnthaufe 
und der Scheuer, ſowie von andern Koften entbunden, mußte ſich aber 
dazu verftehen, jährlih 100 Bund Zehntſtroh in das Schloß und 150 
weitere Bund zur Streuung der Hunde abzugeben, wogegen dev Mift 
der letztern den Zehntbeftändern überlaffen wurde. Ein ähnliches Ueber: 
einfommen wurde mit Lichtentbal 1573 megen des Novalzehntens zu 
Pforzheim, d. 5. des Zehntens von neuangelegten Feldern getroffen, 
und mußte fih das Klofter u. N, dazu verftehen, den Markgrafen für 
die Vergangenheit eine Entfhädigungsfumme von 1000 fl. zu bezahlen. 
Noch jei hier erwähnt, daß 1577 die Regierung ein Haus im ber Pre: 
diger: oder Pfarrgaffe, das bis 1536 einer Fran von Gültlingen, dann 
den Gemmingen im Hagenſchieß gehört hatte (S. 293), 1543 an 
Ehrifteph von Landenberg und fpäter in noch andere Hände übergegangen 
war, anfaufte und dasfelbe zur Diakonatswohnung beftinmte. 

Sm den frühern Kapiteln find immer bie Theile der Stadt, bie 
zum erften Mal genannt werben, als Straken, Thore, Brücken ıc. mit 
den in den betreffenden Zeitabfchnitten vorkommenden Bürgergefchlechtern 
überfichtlih zufammengeftellt worden Es mag dies auch bier wieder 
geichehen, jedoch bezüglicy der letztern nur mit denjenigen, die heute noch 
eriftiren, da die Angabe aller Bürger, welche in den für die Daritellung 
der Verbältniffe des 16. Jahrhunderts benübten Quellen vorkommen, zu 
weit führen würde. 1) 

E8 werden genannt: A. Stadttbore (außer den frühen): 
1500 das Steinbrüdertbor (an der Auer Brüde), 1500 das 
Erkerthor (in der Altjtadt), 1500 das Auer Brunnenthor (am 
Ende der Krenzitraße in der Au; aud dies wird mand Mal Erkerthor 
genannt), um 1500 das obere Mühltbörlein (bei ber obern 
Mühle), 1502 das obere Grabenthor oder obere Brößinger: 
thor (am Ende der obern Borftadt), 1502 das Hillerthor (am 
Ende der obern Augaſſe), 1502 das Schelmen- oder Gauchthor 
(am Ende der untern Augaſſe; erfterer Name deutet darauf hin, daß 


*) Eine vollftändige und zufammenhängende Beſchreibung bes aften Pforz: 
heim folgt im 15. Kapitel; bdiefelbe paßt aber in dem meiften Theifen ſchon auf 
bas Pforzheim des 16. Jahrhunderts. 


Zwölfies Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert. 297 


vor bdemfelben eine Begräbnißftätte oder ein Schindanger war, denn 
„Schelm“ heißt altbeutih ein Kadaver; der andere Name datirt ſich 
von Erhard Gauch, der dort wohnte und auch einen Garten, den Gauch— 
garten, befaß;) 1502 das obere Brunnenthor (wahrſcheinlich das 
Schäferthor bei der Schäferbrüde); 1527 das Heiligfreuztbor (am 
Ende der Vorſtadt bei der jetigen Beckh'ſchen Bierbranerei); 1530 das 
Thörlein unterhalb des Schleifthors, wo die Jahrzahl der Erbauung 
noch vorhanden, Des Brötzinger- und Altjtädtertbors it fchen 
früher Erwähnung geicheben. 

B. Straßen: Die Brötzingergaſſe, die obere Yamımgaffe, 
die Brüder: ober Brüderbronnengaſſe, das Barfüßergäßle, 
die Scheuerngaffe, der Kirch: oder Schloßberg, das Höllgäfte, 
die Tränkgaſſe (jebt Deimlingsitrake), die Kloſter gaſſe (beim Schwert), 
ber Kloſterhof (Maifenhausplag), das Mühl gäßlein (beim Kloſter— 
bof), der Hiller (obere Augafie), die Schelmen gafie untere Augaffe), 
die beiden La ner gaſſen (Gerbergafien), die Vieh gaſſe (Spitalitraße), 
die Kutzen bach (Kauzenbach, jetzt Theaterſtraße), das Roß gäßle 
(Roſenſtraße), die Kirch gaſſe (Schloßkirchenweg), die Predigergaſſe 
(Pfarrgaſſe), die Altſtädter-, Altdorfer- oder Altheimer- (Alte 
mer) gaffe, die St. Niklauſengaſſe (in der Altftadt an der Kapelle 
gleiches Namens vorbei). 

C. Namen von Gaſſen oder Plätzen ıc. in der nähern 
ober entferntern Umgebung der Stadt: Der Viehmarkt 
(vor dem Altftädter Thor unten am Waffer), das Prläfter (Sophien— 
ftraße), der Budenberg, das Mennfeld, das Nagoldfeld, die 
Bleihwiefe, der Metelgraben, die Wart, außerhalb der 3 Anne, 
das Mod, der Meiherberg, das Meihergäßile, der Kreben: 
weiler, das Bronnengäßle (vor dem Altftädter Thor), das Zigeu: 
nergäßlein (1565), der Egeliee (1565, der jett verſchwundene fog. 
Nägeliee), der Tilgraben (1565), die Wifflinger Steige, ber 
Shlofgarten im Krebenmeiler u. ſ. w. Es geht aus dieiem Allem 
bervor, daß Umfang, Eintheilung ıc. der Stadt ſchon vor 300 Aahren 
faft dieielben tie heute waren, wenn diefe nun freifich damals nech ihre 
Befeftigungswerfe vollftändig beſaß. Daß fie auch mit Geſchütz verſehen 
war, ergibt fih daraus, daß 1523 „zwei Feldichlangen und etliche Stein“ 
(Steinkugeln zum Schießen) nah Piorzbeim geſchickt wurden, und 1584 


298 Zmwölftes Kapitel. Piorzbeim im 16. Jahrhundert. 


die Markgrafen Bernhard und Ernſt einen Büchſenmeiſter dahin entfand- 
ten, um das Geſchütz zu befichtigen. 1) 

Fragen wir nad einzelnen wichtigern, namentlich auch öffentlichen 
Gebäuden, die ſich damals in Pforzheim befanden, und deren Bau zum 
Theil in das 16. Jahrhundert fällt, jo mögen folgende genannt werden: 
Das Rathhaus, unter Markgraf Karl IE 1557 gebaut, und zwar 
an der Stelle des bisherigen Kaufbaufes am Markt, das dann damit 
verbunden wurde; (das frühere Rathhaus lag in der Bröginger Gaffe, 
wie eine Urkunde von 1502 beweist; das jetzige Rathhaus iſt aber auch 
nicht mehr das von 1557, ſondern erit nad dem orleans'ſchen Krieg 
gebaut); — die Stadtſchreiberei (das jegige Rupp'ſche Haus am 
Markt), unter Markgraf Ernft 1552 gebaut, wie aus dem daran befind- 
lichen Wappen mit Jahrzahl noch heute erfichtlih; — das freiherrlich von 
Schauenburg’ihe Haus am Schloßkirchenweg (jest Veltmann und 
Mater) mit der Inſchrift: Melcher von Schauwenburg, Hofmeifter von 
Pfortzen, 1556; — das freiherrlih von Flehing en' ſche Haus (jetzt Die: 
terlin’fche Bierbranerei) mit dem Flehingen'ſchen und Göler'ſchen Wappen 
und der Anfchrift: „Anno dmni 1567 hat Ludwig Wolf von und zu 
Flehingen und Anna von Flehingen, geborne Gollerin (d. h. Gölerin 
von Navensburg) diefe Behaufung erbaut;“ 2) — das Schlachthaus 
1568 erbaut. — Im Jahr 1585 wurde auch unterhalb der Altſtadt ein 
neuer Kirchhof angelegt?) der jet noch bemütt wird, Das erfte Ein- 
gangsthor auf der Nordſeite des Kirchhofs wurde, wie die darüber be 
findliche Jahrzahl zeigt, 1687 gebaut. Der Erfte, der auf diefem neuen 
Kirchhof feine Nuheftätte fand, war 1588 Klaus Engelhard des Ge 
richts. Mit der Anlegung diefes Friedhofes ging der Kirchhof um die 
Schloßkirche ein, und reihen auch die Jahrzahlen der Denkmäler dafelbft 
nur bis 1579; bloß der Kanzler Achtfinit + 1592 fcheint noch dort 
begraben worden zu fein. Es mögen die übrigen in Pforzheim noch 
vorhandenen Jahrzahlen und Snjchriften aus dem 16. Jahrhundert, 
joweit fie nicht ſchon vorgekommen, der Neihenfolge nach zufammengeftellt 
werden: 1527 Stein im Garten von G. 2. Kliehnle, in einer Ceiten- 
wand eingemanert, (über der Jahrzahl jteht noch die von 1698); 1531: 


) Notizen aus dem Stabtardiv, 

2) Der Nämliche hat auch 1556 das Schloß zu Flebingen erbaut, wie bie 
daran befindliche Inſchrift beweist, 

2) Notiz im Kirhenbud von 1717. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 299 


Jahrzahl über einer zugemauerten Gartenthüre unterhalb der Schloßkirche; 
1542: Jahrzahl über einer zugemauerten Gartenthür in der Pfarrgafie; 
1554: Stein mit zwei Wappen, (bei einer im Juli 1858 im Thal abge: 
brochenen Brücke aufgefunden); 1554: Stein mit Pforzheimer Stadt: 
wappen am Fuchs'ſchen Haus in der Brößinger Vorſtadt; 1555: Haus 
von Schreinermeifter Veihl unterhalb der Schloßkirche (es ſoll früher 
den Herrn don Sachſenheim gehört haben); 1558: Gartenpfoften am 
Holzgartenweg, (am andern Pfoſten fteht: ren. 1784); 1560: Jahrzahl 
auf einem Gartenpfoften in der verlängerten untern Augaſſe (jet nicht 
mehr vorhanden), 1560: Pfoſten in der Iheaterftraße von Baltas 
Jelin (jetst nicht mehr vorhanden); 1561: Gartenpfoften in der Altftadt; 
1564: Stein mit einem Iateinifchen Diftihon (Chronoftihon), früher 
am letzten Haus der Calwer Straße, jetzt im Befite des Herrn Fabri— 
kanten Neubäufer ; die Inſchrift lautet: 


TeMpora qVe ponant rogltas sepes operosas 
Litera Verba refert ponDere nota tlbl. 


db. 5. „bu fragft, welche Zeit dieſe mühfamen Umzäunungen fette? Der 
durch feine Bedeutung bekannte Buchſtabe gibt dir darüber Auskunft.” 
(Unter ſolchen Buchſtaben find in obigen Verſen diejenigen zu verftehen, 
welche zugleich Zahlen bedeuten und des befiern Auffindens wegen 
groß gedrudt find; aljo M = 1000, D = 500, L= 50, VYYIV = 
10, I+I+I-+I = 4, zufammen 1564.) Diefer Stein rührt wahrſchein— 
ih von einer Umfriedigungsmaner der frühern St. George: Pflege, die 
in ber Nähe ftand, oder von der ehemaligen Stadtmauer, vielleicht auch 
von einem Garten her; — 1565: Gartenpfoften am Holzgartenmweg ; 
1566: Gartenpfoften in der Altftadt ; 1566 (und 1570): Jahrzahlen mit 
Wappen am Gartenhaus von W. Neuhäuſer an der St. Georgsiteige ; 
1568: Haus von Gärtner Frank in der großen Gerbergafie; es ftand 
dafelbft, wie auch das darauf befindliche Mühlrad zeigt, früher die Wag— 
mühle (S. 160); 1574: ältefter Grabftein auf dem Kirchhof (Peter 
Schopf und Frau); 1584: älteſter Grabftein auf dem Friedhofe bei der 
Altftädter Kirche (Joachim Giftheil, Pfarrer zu Nöttingen) ; 1584: Gars 
tenpfoften in der Altſtadt; 1584: Stein in einer Mauer an der Dill- 
fteiner Straße; 1587: Jahrzahl mit zwei Wappen über dem öſtlichen 
Eingang ins Amtshaus; 1594: Thörchen in der Stadtmaner bei der 


300 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 


Gruner’fchen Lohſtampfe; 1595: Gaftbaus zum Karpfen in der Au; 
1596 : Jahrzahl mit Wappen am Rohreck'ſchen Haufe, 1596: Grabftein, 
im Hof von Peter Dittler eingemanert (Hans Veit Breitfchwert); 1599: 
Grabftein von Schiffer Abrecht, mit hübſcher bildficher Darftellung, auf 
dem Aitftädter Kirchhof. 

Auf die Lage einzelner Privathäufer der Stadt einzugehen, würde 
zu weit führen, obgleich dazu Anhaltspunkte genug geboten wären; es 
möge deshalb nur noch wie früher der adelichen Häufer gedacht werben, 
deren Zahl aud im 16. Jahrhundert fehr bedeutend war, da Pforzheim 
als größte Stadt der ganzen Markgrafſchaft und Reſidenz bderfelben auf 
den ummwohnenden Adel keine geringe Anziehungskraft übte. Es waren 
folgende : 1500 von Hertingshanfen (am Viehmarft); 1501 Bern: 
hard von Bach; 1501 Ludwig von Eifingen; 1502 Hans von 
Weiſſach (Gerbergafie); 1502 Sans von Lomersheim (große Ger: 
bergaffe); 1502 Anton von Sertringen (hinter dem Predigerkloſter); 
1502 Jörg von Münchingen (Bröginger Vorftadt); 1502 Philjpp 
Leutrum ven Ertingen (beim Predigerflofter); 1536 Sebaftian von 
Gültlingen (Predigergäßlein, ging an Vietrih von Gemmingen ac, 
fiebe oben); 1537 Ludwig von Neipperg (Kirch- oder Schloßberg) 
1539 Konrad von Wallftein; 1544 von Riepur (beim Schloß); 
1548 Chriſtoph von Landenberg (beim Prediger: Kirdhof); 1555 
Ehriftoph von Mündingen (beim Prediger Kloſter); 1556 Melchior 
von Schauenburg?) (unterhalb des Schloffes), ging 1560 über an 
Mäntel von Steinfels, (dev noch zwei Käufer in Pforzheim befaß); 
1558 Peter von Menzingen; 1560 Sebold von Siglingen; 1560 
von Kaltentbal (am Schloßberg); 1560 Gred von Kochendorf; 
1567 Ludwig Wolff von Flebingen (in der Lammſtraße); 1569 
Kechler von Schwandorf (beim obern Bad), 2?) 1570 Daniel von 
Remchingen (am PViehmarft);3) 1572 Ludwig von Neubaufen 


1) Der Grabftein einer 1555 geftorbenen 11 Monat alten Kunigunde von 
Schauenburg, wahrfcheinlich eines Töchterhens des Obigen, ift in der Schloß: 
kirche. 

» 9) Der Grabſtein eines Hans Kechler von Schwandorf und feiner Frau 
Margaretha von Windel vom Jahr 1507 ift in ber Echloßfirche. 

s) An der Schloßfirche ift ber Grabſtein einer 1562 geftorbenen Katharina 

von Remchingen, geb. Schenfin von Winterftetten. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 301 


(im Predigergäßlein); 1577 Hans Dietrih von Nothafft (am Brö— 
ginger Thor); 1579 Gremp von Freudenſtein (am Viehmarft), 

Bon jebt noch vorhandenen Bürgergefchhlechtern kommen fchon im 
16. Jahrhundert vor: 1) Aab (Ab, Ap, Ch, Obb,) Baftian, Simon 
Hans, Bartle 1519, — Abrecht (Abricht, Obrecht, Obriht, Obrid,), 
Hans, 1502, — Baumann, Hans, 1565, — Beder, Wilhelm, 
1502, — Bub, Hans 1519, — Bud, Aban, 1539, — Deim: 
ling, Bechtold und Valentin 1565, — Dittler, Mathias, 1519, — 
Enderle, Beter, 1519, — Erhard, Peter, 1519, — Effig, Hans, 
1539, — Eunchele (Eihlin, Aichelin, Nicyelem ,) Simon und Hans, 
1519, — Fauler, Erhard, 1502, — Felner oder Feldner, Michel, 
1583, — Heinzelmann, Georg, 1565, — Jaifer (Jaißle, Seisle, 
Jaißlin), Jakob, Hafner, 1583, — Keller, Hans, 1519, — Ker— 
her, Matth. (502, — Lenz, (Lenß, Link, Linz, Lynße, Leins), Jörg, 
1502, — Leyerle, Jakob, 1539, — Lotthammer, Jerg, 1502, — 
Meerwein, Mattb., 1502, — Meier, Klaus, 1519, — Ringer, 
Adam, Leineweber, 1565, — Rotbader, Merander, 1509, — Saif, 
Jakob, 1519, — Schäfer, Endris, 1565, — Schanz, Joh., 1533, 
— Ehmibdt, Stoffel, Steffen, Jakob, Wendel, Simon, Bartlin, 1519, 
— Stieß, Jakob, 1519, — Türk, erg, 1519. — 

XSchließlich mögen hier noch, wie immer, die Namen der erſten Be— 
amten der Stadt überſichtlich zuſammengeſtellt werden. (Vergl. S. 188.) 
Obervögte waren: 1518 Blicker Landſchad von Steinach, 1526 
Stephan von Gültlingen, 1531 Eberhard von Reiſchach, 1541 Volker 
von Uzlingen, 1565 Chriſt. Mever, Bogtamtsverweier, 1565 Chriſtoph 
Kechler von Schwandorf, 1580 Chriſtoph Schöner von Straubenhart, 
1588 und 1589 Valentin Kurz, Ober: und Unternogtamtsverweier, 
1589 Hans erg Stein von Neichenftein, 1590 bis 1596 Piſtor von 
Senslitz. — As Schultheißen werden genannt: 1521 Joh. With. 
Heß, 1527 Philipp Vollandt, 1541 Ulrich Sayler, 1567 oh. Hörger. 
— Bürgermeifter waren: 1527 Auguftin Lennhardt, 1533 bis 
1538 Peter Gößlin, 1566 Jakob Simmerer, 1580 Veit Breitfchwert, 
1582 Hans Krumm, 1585 Peter Gößlin. 


) Man vergleiche dazu die Zufammenftelungen S. 133 und 164. 


302 Zwölftes Kapitel, Pforzbeim im 16, Jahrhundert. 


8 5. Kirchliche Werhältniffe Pforzheims im Weforationszeitalter, 1) 


A. Vor der Einführung der Reformation in 
Baden-Durlach. 
(1517 - 1666) 


Die geſetzliche Einführung der Reformation in Baden-Durlach, alſo 
auch in Pforzheim, erfolgte zwar erſt im Jahr 1556; aber die erſten 
Verſuche, der Lehre Luthers in diefer Stadt Eingang zu verichaffen, 
fallen im eine weit frühere Zeit, und es ift jedenfalls eine eigenthümliche 
Erſcheinung, daß diejenigen Männer, am denen der Faden der Refor: 
mationsgeſchichte in unſerm Vaterlande fortläuft, meiſt geborene Pfor—⸗ 
heimer oder Zöglinge der Pforzheimer Schule waren. Ebenſo darf 
nicht unbemerkt gelaſſen werden, daß die Pforzheimer, in deren früherer 
Geſchichte als eigener Charakterzug das Beſtreben, Alles, was fie unter: 
nahmen, ganz, Nichts Halb zu thun, mehr als einmal zu Tage tritt, 
ſich der neuen Lehre eben fo entichieden zumwandten, als fie bisher eifrig 
fatholifch geweien waren. Sie beiwiefen fih in der Folge auch als 
ſolche, welche nie wankten, fondern der evangelifchen Lehre, wie fie von 
Wittenberg ausgegangen, unter allen Umftänden treu blieben. Die Vors 
fälle der Sahre 1601, 1604, 1622, 1635 und 1643, die weiter unten 
erzählt werden follen, mögen dafür den Beweis liefern. 

Es kann als befannt vorausgejeßt werden, weldes große Verderben 
nach und nad in der Kirche eingerifen und wie der Ruf nad einer 
Reformation derfelben an Haupt und Gliedern immer lauter und drin- 
gender geworden war. Sehr viel zur Verbreitung foldyer Ideen trug 
die um das Jahr 1440 von Guttenberg aus Mainz erfundene Buch— 
druderfunft bei. Die Schriften, welche die Zuftände der Kirche beleuch— 
teten und durch die Prefie mit fo leichter Mühe vervielfältigt werben 
konnten, wurden allenthalben begierig gelefen und bereiteten die Gemüther 
auf die wichtige Veränderuug vor, welde nun bald erfolgen jollte, 

Auch in Pforzheim wirkten verfchiedene Umftände zufammen, der 


— — — — — — 


1) Hauptquellen: Vierordt, Geſchichte der evangeliſchen Kirche in Ba: 
den; — Vierordt, de Johanne Ungero, Pforzhemiensi (Beilage zum Karle: 
ruber Lyzeumsprogramm für 1844), Alten und Manufcripte des Landesarchivs, 
verichiebene Schriftftüide des Stadtarhivs, Wo aus noch andern Quellen ges 
ſchöpft wurde, ift dies unter dem Tert bemerkt, 


Zwoͤlftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 303 


nenen Lehre einen günftigen Boden zu bereiten, Daß früher ſchon 
die huffitiiche Lehre in Pforzheim Eingang gefunden, ift bereits (S. 154) 
erwähnt worden, und mochte diefer Umſtand nicht wenig dazu beigetragen 
haben, mande Bewohner der Stadt auf das, was noth that, aufmerkjam 
zu machen. Die damals jo blühende Pforzheimer Schule, in welder 
die klaſſiſchen Studien mit Eifer gepflegt wurden und aus der fo viele 
für die Reformation begeifterte Männer bervorgingen, mochte auch dazu 
mitwirken, die Köpfe ihrer fonjtigen Pforzheimer Schüler zu erhellen und 
für Neformationsideen empfänglich zu machen. Aus der Druderei von 
Anshelm in Pforzheim (Seite 189 ff.) gingen verfchiedene Schriften 
hervor, welche kirchliche Gegenftände betrafen und chne Zweifel aud in 
der Stadt, in welder fie and Licht traten, mit Begierde gelefen wurden. 
Außer den Schriften Reuchling ift hierher namentlicdy ein Buh Wimpfe: 
lings 9 zu rechnen, welches im Jahr 1506 in Pforzheim erfchien und 
in dem er unter Anderm über die pofjenhaften Auftritte Hagt, welde in 
ber Kirche vorkämen, z. B. wenn Mönche einen Laien unter ihren Zu: 
börern dazu beftellten, daß er ihnen mitten in der Predigt allerlei kurz— 
weilige Einwürfe made. So babe er unlängft mit angehört, wie ein 
Prediger mit den Worten unterbrochen worden fei: „Du lügft, du feiſter 
Mönch!“ Gewöhnlich erhebe dann das Volk ein ſchallendes Gelächter, 
und fo werde die evangelifche Wahrheit in elende Pofjenreißerei verkehrt. 
— Wie durch folhe Schriften, fo wurden auch durch ſatyriſche Bilder, 
die man da und dort fogar an und in den Kirchen antraf, manche Miß⸗ 
bräuche und Mißſtände gegeißelt. So befand ſich in der Stiftskirche 
zu Pforzheim bis zum Jahr 1556 ein ſehr altes, kunſtreich geſticktes 
Kifien an der Rückwand desjenigen Lehnftuhls, auf welchem der Probit 
des Stiftes zu ſitzen pflegte. Es ftellte einen Wolf vor mit einer 
Mönhskapuze, aus der eine geraubte Gans auf feinem Rücken herab: 
hing. Der Wolf ftand auf einer Kanzel, unter welcher ein Fuchs lauerte, 
[a8 aus einem Buche vor und hatte als Zuhörer eine Menge Gänfe, 


1) Vergl. S. 190: Jacobi Wimphelingii Apologia pro republica christiana. 
Jakob Wimpfeling aus Schlettſtadt war einer der eifrigften Borfämpfer für 
die Reformation. Er griff in zahlreichen Scriften die kirchlichen Mißbräuche 
an und wirkte and; im Geiſte der religiöien Aufflärung euf feine Schüler ein, 
während ev als Lehrer in Heibelbern, Freiburg, Straßburg und Schlettſtadt 
thätig war. 


304 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


die im aufgefperrten Schnabel Paternofter trugen. Nings um den Wolf 
jtand der Reim: 


Ich will euch guitte Fablen sagen, 
bis ich füll den meinen Kragen, 


Mit weldem Eifer ſelbſt Kloftergeiftlihe den Lehren, welche durch 
die Neformation zur Geltung kamen, jhen im Voraus zugethan waren, 
und mit welcher Entſchiedenheit fie fi) dazu befannten, davon gibt ein 
Beifpiel der Guardian des Franzisfanerflofters zu Pforzheim, Konrad 
Kürsner, auch Pelikan genannt. Derſelbe war ein Schüler Reuch— 
fing, wurde 1501 in Pforzheim ordinirt und hatte ſchon 1506 in Bafel, 
wo er nod vor feinem Lehrer Neuchlin (1503) eine Anleitung zum 
Studium der hebräiſchen Spracde herausgegeben batte — der frübelte 
gedrudte Verſuch dieier Art — feine Zweifel bezüglich verfchiedener Lehren 
der Kirche nicht geheim gehalten. Während er die erwähnte Stelle im 
ranziskanerflofter zu Pforzheim (1511 — 151%) beffeidete, 1) ftand er 
in den freumdfchaftlichiten Beziehungen zu Oetolampad (Hausſchein) 
in Heidelberg 2) und dem Prediger Wolfgang Capito (S. 195) in 
Bruchſal. Die Freunde kamen oft zufammen, und bei einer der Unter: 
redungen, welche fie bei jolchen Gelegenheiten pflegen, theilte Kürsner 
dem Prediger von Bruchfal auf deffen Bitte feine Anficht vom heiligen 
Abendmahl mit und fügte hinzu, es fei Pflicht des geiftigen Menſchen, 
nicht alle Lehren der beftehenden Kirche ohne Weiteres binzunchmen, 
fondern fie nad) den Haren Ausdrud der biblifhen Offenbarung, als 
der höchſten Einficht, einer Prüfung zu unterwerfen. Als Kürsner noch 
Manches in ähnlichem Sinn über die fegenannten Firdylichen Autoritäten 
binzufügte, verficherte Capito, der Meifter habe ihm aus der Seele ge: 
redet, und auf die Zeit Habe man ſich zu freuen, wo die erkannte 
Wahrheit nimmer in der Bruft verjchleffen werden müffe Es läßt fi . 





1) Gleichzeitig mit Kürsner war auch Sebaftian Münfter in dieſes Klo: 
fter getreten. Er verließ dasielbe aber bald wieder, um 1515 in Tübingen ge 
meinfhafılih mit Melanchthon feine Studien fortzufeßen, und wurde ipäter 
Profefior der hebräiſchen Sprache und Hofprediger zu Heidelberg. Unter feinen 
zahlreihen Schriften ift befonders die dent he Kosmographie zu bemerken, die 
er zuerſt 1543 herausgab. (Vergl. S 292.) 

2) Damals Lehrer der griechiichen Sprache daſelbſt, ipäter Profeffor an ber 
Univerfität in Baſel. Bekanntlich nimmt er unter den ſchweizeriſchen Nefor: 
matoren eine ehrenvolle Stelie ein. Er ſtarb zu Bafel im Jahr 1531. 


Zwölfies Kapitel, Pforzheim im 16 Jahrhundert. 305 


wohl annehmen, daß Kürsner auch bei andern ähnlichen Veranlafjungen 
aus feinen Anfichten über manche Kirchenlehren kein Hehl machte. Daß 
ev es beiſpielweiſe feinem jüngern Freunde Schwebel 1) gegenüber gelhan, 
it gewiß. 2) 

As Luther in Wittenberg fi) gegen den Abloß erboben mb jeme 
Anfichten über den Mißbrauch, den die Kirchengewalt damit trieb, am 
3. Oktober 1517, dem Geburtstag der Neformation, durch jeine ID 
Site ausgeſprochen hatte, waren letztere im wenigen Wochen mit Hilfe 
der Preſſe in ganz Deutſchland verbreitet, und fanden gleich andern 
Schriften Luthers, die jenen Theſen bald nadfolgten, mie z. B. über 
„den ehelichen Stand,” über das „Papſtthum“, an den „chriftlichen Adel 
deutſcher Nation“ ꝛc. allenthaiben die lebhafteſte Zuftimmung. Aus 
verſchiedenen Theilen unferes Landes erhielt Luther Zufchriiten, worin die 
Freude über fein Auftreten ausgeiprochen war und der Fühne Neformator 
ermuntert wurde, auf der betvetenen Bahn fortzufchreiten, — jo ven 
einem Geiftlihen in Ettlingen, ferner von dem Domherrn Johann von 
Botzheim aus Konftanz, von Kafpar Hedio, damals in Bafel, von Se: 
baftian Hofmeifter, Profeffor im Franzistanerklofter zu Konftarz u. A. m. 
Kürsner hörte die 95 Sätze in der Gegend von Bafel an der Tafel 
eines Kommenthurs öffentlich vorlefen, und befannte ſich im Gegenwart 
aller Gäfte mit freudiger Entihiedenheit zu den darin ausgefprochenen 
Anfichten. Wie der alte Reuchlin die Nachricht von dem Auftreten 
Luthers aufnahm, ift oben ſchon (S. 171) erwähnt worden, 

Auch in Pforzheim jelbft jollte es an einem Meanne nicht fehlen, 
der den Muth hatte, öffentlich die Sache Luthers zu der ſeinigen zu 
machen. Johann Schwebel, ein geborener Pforzheimer und damals als 
junger Mönch im Heiliggeiſtkloſter ſeiner Vaterſtadt ſich aufhaltend, durch 
Kürsner und ſeinen Jugendfreund Melanchthon längſt für die Ideen 
der Reformation gewonnen, fing im Jahr 1519 mit großer Entſchie— 
benheit im Sinne Luthers zu predigen an. Allein fein Auftreten batte 
für ihn die Folge, dah er vom Markgrafen Philipp den Befehl erhielt, 
Pforzheim zu verlafien. Daß jedoch der ausgeftreute Same nicht vers 





!) Man vergleiche hier wie überall, wo von Schwebel die Rede ift, deſſen 
Lebensbeichreibung. 

2) Es fei Über Kürsner bier noch in Kürze bemerkt, daß er im erften Jahr 
ber Reformation fein Ordenskleid ablegte, ſich verehelichte und in hohem Alter, 
als Profeffor der griechiſchen und hebräiſchen Sprache in Zürich farb, 

Pflüger, Pforzheim. 20 


306 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert. 


loren war, zeigt die Geſchichte dev folgenden Jahre, und mag das Auf: 
treten Schwebels mit Urfache geweſen fein, daß ſchon 1520 und in den 
folgenden Jahren viele Konventualen des Predigerflofters zu Pforzheim 
basfelbe verließen und in den weltlichen Stand zurüdtraten. Zu den: 
jenigen, weldye in Pforzheim alsbald für die Sache der Meformation 
gewonnen worden waren, gehörte auch Georg. von Leutrum, und wenn 
‚Schwebel ihn und die andern Pforzheimer Freunde der evangelifchen 
Wahrheit von feinem Eril aus zur Standhaftigfeit ermahnt, jo geht da— 
rang bervor, daß die Lehre Yuthers in Pforzheim auch fonftige Anhänger 
zählte. Diefe mochten nicht wenig darüber erfreut fein, daß Schwebel 
vom Markgrafen noch int nämlihen Jahr die Erlaubnig erhielt, in feine 
Baterftadt zurüczufehren. Sicher war aud) ein vorübergebender Aufent- 
halt Huttens !) in Pforzheim im Sommer 1521 nit ohne Einfluß 
auf die Entwidlung der Verhältniſſe geblieben. Was den Markgrafen 
Philipp betrifft, dem damals, wie bereits erzählt, die untere Markgraf: 
ihaft und jomit auch Pforzheim gehörte, jo darf aus der Vertreibung 
Schwebels keineswegs gefchloffen werden, daß jener Fürft der Sache der 
Reformation abhold geweſen wäre Er zeigte ſich im Gegentheil in den 
folgenden Jahren als Gönner gemäßigter Neformationsmaßregeln, und 
zwar nicht bloß in Bezug auf fein eigenes Land, fondern bald nachher 
als kaiſerlicher Neicheftattbalter oder Vorſitzender des Neichsregimentg, 
wozu er 1524 durch das Vertrauen in feine amerfannten Einfichten be— 
rufen wurde. Freilich mochte gerade diefes wichtige Amt auch mit Ur: 
ſache fein, daß Philipp ſich ſpäter nicht entichieden in die Reihe der 
evangeliichen Neichsitände ſtellte. Schon jeit 1520 hielt er die Kollas 
toren badifcher Pfarreien mit Strenge an, für gewiffenhafte Beſetzung 





„' Bei Gelegenheit eines Befuches, den er Franz von Sidingen machte, 
weldher fih damals in Wildbad aufhielt. Vergl. „Ulrih von Hutten,“ von 
Dr, D. F. Etrauf. 1857 Thl. IV., ©. 196, wo von bieiem „Ritt nad Pforze 
heim“ in wenigen Morten bie Rebe ift. „Ulrich von Hutten, der geiftvolle, 
mutbige Kämpfer für Licht, Freiheit und Recht, ber Luther feinen Schuß ans 
geboten hatte, dev Mitbefimpfer ber Mönche in den Briefen ber Dunfelmänner, 
ber trefjlihde Dichter, dev deutihe Mann, ber 400 Kronen Jahresgehalt ver: 
ſchmähte, weil Frankreich, nicht Deutichland fie ihm bot, der in freiwilliger 
Armuth lebte und nur feine Feder binterließ, vom Papft verfolgt und von den 
Fürſten aufgegeben war, ftarb 1523 einſam und verbannt auf der Infel Ufnau 
im Züricher Eee, fon im 36. Jahre feines Lebens, aber unvergefien von ber 
Nachwelt.” (Böttiger, deutſche Gefhichte, S. 398.) 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 307 


ber letztern zu forgen. Ebenſo befahl er in einem Ausichreiben an bie 
Pfarrer vom 6. Septeniber 1522, den Frieden der Kirche zu erhalten, 
ohne Zankſucht das Volk aus der heiligen Schrift als der Quelle des 
göttlichen Wortes zu belchren, aber feine Aenderung in der Meſſe oder 
im übrigen Gottesdienſt vorzunehmen, ehe eine folhe Aenderung durch 
eine allgemeine Kirhenverfammlung angeordnet werde. Da: 
rauf bauten Philipp und die folgenden badiihen Markgrafen ihre Hoff- 
nung bezüglich einer Kirchenverbeflerung, und die Hoffnung auf eine 
geſetzliche Löſung der kirchlichen Fragen auf jolhem Wege war der Haupt: 
grund, daß die Reformation in Baden erft fpäter als in manchen andern 
deutfchen Ländern eingeführt wurde. Ebenſo wird es daraus erflärlich, 
warum auch Markgraf Philipp bei feiner Achtung vor der Faiferlichen 
Autorität und den Beſchlüſſen der Neichsverfammfungen, je nachdem die: 
jelben den Neformationsbeitrebungen günftiger lauteten oder ihnen ent: 
gegentraten, auch fein Benehmen in feinem Lande diefen Beftrebungen 
gegenüber einrichtete, fo jehr er im Allgemeinen von der Nothwendigkeit 
einer Kirchenverbefjerung überzeugt war. 

As die Prejien Pforzheims im Sinne der Reformation thätig 
zu werben begannen, legte ihnen ber Markgraf keine Schwierigkeiten in 
den Weg. Datirt vom 1. Dezember 1522 erihhien in Pforzheim eine 
Druckſchrift Schwebelg unter dem Titel: „Ermahnung zu den Queftio 
nirern, überflüffige Koften abzuftellen.“ (Vergl. ©. 192.) Eine Pre: 
digt: „Ueber den guten Hirten Chriftus“, weldye Schwebel bei einem 
neuen Beſuche in feiner Vaterſtadt 1524 in der Spitalfirche dafelbit ge: 
halten hatte, erfchien ebenfalls im Drud, und erlebte in kurzer Zeit 
drei Auflagen, deren eine von einem Brief Gerbels 1) begleitet war, 
worin er feine Landsleute zu Pforzheim ermabnt, der einmal erfannten 
evangeliichen Wahrheit treu zu bleiben. Sogar ein Laie trat damals 
zu Pforzheim für die Sache der Neformation als Schriftiteller auf: 
Johannes Grenffenberger, Buchdruder und Maler zugleich (S. 192). 
Eine feiner Schriften richtete fi gegen „die falfchen Propheten, vor 
denen uns Chriftus gewarnt bat,“ und fordert die Welt auf, die Augen 
zu öffnen bei den „Gräueln der Möndye, Biſchöfe und Doktoren ber 
boden Schulen, melde nicht Chriftum predigen.” Im einer andern 


1) Dan vergleiche die Lebensbefchreibung biefes jo ausgezeichneten Zöglings 
und jpätern Lehrers der Pforzheimer Schule. 90° 


308 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


Schrift, melde unter dem Titel erſchien: „Dieß Biechlin zaygt an, 
was ung lernen und gelernt haben unſer Maiſter der Geſchrift“ — 
vertheidigt er Luthers Lehre vom rechten Glauben gegen die Werkheilig— 
keit. Eine dritte, welche die Aufſchrift führt: „Die Welt ſagt, ſy 
ſehe kain Beſſerung von denen, die ſy lutheriſch nennt“, erlebte gleich 
nach ihrem Erſcheinen 1524 eine zweite Auflage. Eine vierte, gleichfalls 
vom Jahr 1524, enthält „eine chriſtenliche Antwordt denen, die da ſprechen, 
das Evangelium hab' fein Kraft von der Kirchen.“ In einer fünften, 
mit dem Wahlſpruche: „Den Arınen würdt das Evangelium geprebdigt”, 
veripricht Grenffenberger „ein trojtlihe ermanung den angefochtenen im 
Gewiſſen,“ und ſo läßt er fih noch in drei andern gleichzeitigen Meinen 
Schriften über Ähnliche Gegenftände aus. 1) 

Sobald die Neichstagbeichlüffe zu Nürnberg nimmer fo ungünftig 
gegen die Nefermation lauteten, beförderte auch Markgraf Philipp ent: 
fchiedene Neformationsfreunde zu wichtigen  geiftlichen Stellen. Als 
Stadtpfarrer zu Ettlingen erſcheint z. B. der gelehrte Irenicus 
(S. 196), und befand fich derjelbe fogar im Gefolge des Markgrafen, 
als diefer fich 1526 zu dem Reichstag nad) Spever begab. Hier pre: 
digte Irenikus offen in evangeliihem Sinne. Die Predigeritelle an ber 
Stiftsfirche zu Pforzheim übertrug der Markgraf 1524 dem aus diefer 
Stadt gebürtigen Augendlebrer Melanchthons, Johann Unger oder 
Ungerer,?) nachdem derjelbe von 1511—1524 die Stelle eines Rek— 
tors an der dortigen lateiniſchen Schule befleidet hatte, und erlaubte ihm 
fogar 1527 die Ehe, ohne ihm feine Pfründe zu entziehen. Im Ge: 
gentheil erhielt Ungerer mehrfach Beweiſe der Gewogenbeit feines Fürſten. 

Hatte Markgraf Philipp in ſolcher Weiſe weſentlich im Sinne 
tirchlicher Verbeſſerungen gewirkt, jo nahm er ſeit dem Jahr 1925 noch 
andere wichtige Neformen vor, namentlich als der Neichstag zu Speyer 
1526 den Beſchluß gefaßt batte, daß bis zum Zuſtandekommen einer 
allgemeinen Kirchenverfammlung jeder Neihsftand es in feinem Gebiete 
in Religionsfachen fo balten könne, wie er es vor Gott und dem Kaifer 
zu verantworten ſich getraue. So ftellte er in feinem Lande feine 
Geiftlichen mehr an ohne ftrenge Prüfung ihrer Tauglichkeit, drang auch 
nicht auf Eheloſigkeit derfelben, weil diefe auf Volt und Priefter gleich 





ı) Banzers Annalen, IH., 96, 180, 285, 331. 
*) Näheres Über ihn in feiner Lobenebefhreibung. 


Zwötftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jabrbundert. 309 


ſchädlich wirke. Solche Klerifer, die, ftatt ihren Dienftpflichten nachzu— 
fonımen, die Pfründen anderswo verzehrten, erklärte er berfelben für 
verluftig und z0g die Pfründen zum Wortheil der Kirche ein. Dies 
geſchah unter Anderm dem Frühmeßner Jakob Sehemann in der Alt: 
ſtadt zu Pforzheim Ihm wurde, weil er nicht Präfenz leiftete, feine 
Pfründe, deren Kollatur das Jahr vorber dem Markgrafen durch das 
Kloſter Hirihau übergeben worden war, laut fürftlihen, an den Vogt 
Etefan von Gültlingen zu Pforzheim gerichteten Schreibens vom 26. Juli 
1526 genommen und beftimmt, daß die Cinfünfte derjelben, die in 
Geld, Hühnern, Früchten und Zehnten beftanden, durch zwei ehrbare 
Männer verwaltet und zur Wiederherftellung des Langhaufes der Alt: 
ftädter Kirche verwendet werden fellten. (Ueberbaupt wurde auch bie 
Altftadt damals wieder zu einer eigenen Pfarrei erhoben, nachdem fie 
lange Zeit bindurd von der Schloßkirche aus durch Helfer verfehen 
“ worden war. Als Filiale gehörten dazu: Würm, Huchenfeld, Dillftein 
und ein Theil von Weißenſtein (wo die jetige Kirche ihen 1521 ftand), 
fowie das Sonderfiehenhaus zu St. Georg.) Auf der andern Seite 
fuchte aber auch der Markgraf die geiunfenen Pfarrkompetenzen wieder 
zu erhöhen, wie ein Schreiben vom Jahr 15% (Samftag nad Dionys) 
an Vogt, Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht und Nath der Stadt Pforz— 
beim beweist. Wie früher ſchon, jo ertheilte er auch im diefem Jahr 
einigen Pforzheimer Dominikanern die Erlaubniß zum Austritt aus 
ihrem Kloſter. 1) Ihre Namen find: Balthaſar Sarhirt aus Lieben: 
zell, Andreas Biel aus Gartadı, Balthafar Wurm aus Liebenzell, Bat 
thafar Haen aus Pforzheim, Alerander Frei aus Mertesheim und 
Peter Walter aus Enſisheim. Außerdem ſuchte der Markgraf die 
Prozeffionen allmälig abzufhaffen, die Feier der Meſſe auf die Some 
und Fefttage zu beichränfen, die Belehrung durch Predigten zu verviel: 
fältigen, weshalb er ſolche auch am den Werktagen zu halten gebot. Als 
Glaubensnorm empfahl er den Geiftlichen die heilige Schrift, die er 
1529 in deufcher Sprache zu Durlach druden lief. Beim Gottesdienft 
führte er deutſche Gefänge ein und erlaubte den Geiftlichen, Kranken, die 
es verlangten, das Abendmahl unter beiderlei Geftalt zu reihen. Sonfs 
geftattete jedody der Markgraf am äußern Gottesdienft feine Nenderung, 
und ließ namentlid die Abſchaffung dev Mefie nicht zu, obgleich ihm 


) Züngler Notare: Religion, Kirhengut, Spitäler ꝛc. 1629. 


310 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert. 


ihen i. 3. 1526 Männer, wie der erwähnte Irenikus, wiederholt zu: 
ſprachen. Ja, er beftrafte fogar ſolche Geiſtliche, welche ſich in äußern 
Kultformen Willkürlichkeiten erlaubten, und ließ z. B. den Pfarrer von 
Dürrn bei Pforzheim, welcher an manchen Sonntagen keine Meſſe oder 
doch nur eine deutſche las, auch Salz und Waſſer nimmer ſegnete, durch 
den Vogt Stefan von Gültlingen zu Pforzheim, indem er in die an 
Anſehen ſehr geſunkene Strafgewalt der Biſchöfe eingriff, geradezu ein- 
ſperren. Sonſt nahm ſich der Markgraf evangeliſch geſinnter Geiſtlichen, 
welche in andern deutſchen Gebieten ihres Glaubens wegen bedrängt 
wurden, gerne an, und übertrug unter Anderm dem Subprior des 
Kloſters Herrenalb, welcher der lutheriſchen Lehre zugethan und aus dem 
Kloſter in feine Vaterſtadt Pforzheim geflohen war, 1530 die Pfarrei Weiler. 
Es ift oben ſchon bemerkt worden, daß Markgraf Philipp ſich in 
Religionsſachen immer gern an die Neichstagsbefchlüffe hielt. Wenn dieſe 
den Neformationsbeftrebungen günftiger lauteten, fo war er auch nicht 
abgeneigt, manche zeitgemäße Aenderungen zu gejtatten; doch Konnte er 
fih mit rajchen Neformen nie befreunden und drang befenders feit 1928 
auf Beibehaltung der hergebrachten Kultformen und Miedereinführung 
vieler Geremonien, die durch mande Geiftliche eingeftellt worden waren. 
As der Markgraf jedoeh auf dem Neichstag von Speier 1529, auf 
dem bekanntlich die evangeliichen Reichsſtände wegen ihrer Proteſtation 
gegen den Reichstagsabjchied den Namen Proteftanten erhielten, um: 
fonft bemüht geweien war, der neuen Kirche einen gefeglichen Beftand 
zu verichaffen, als vollends von dem Neihstag in Augsburg 1530 auf 
weldhem die Proteftanten dem Kaiſer ihr von Melanchthon verfaßtes 
Glaubensbekenntniß, die fogenannte Augsburger Konfeſſion, über: 
reichten, nur feindfelige Beſchlüſſe gegen die ewangeliiche Lehre erfolgten: 
da fügte fich auch Philipp in den meiften Stüden dem Sinn der Reiche: 
abſchiede und fiel, wie fich ein damaliger Chroniſt ausdrüdt, „fein ge 
mad) wieder zum Papſtthum abe.“ Möglih, daß aud das Zureden 
zweier Eaiferlihen Räthe, die den Markgrafen 1528 in feiner Refidenz 
Baden befucht Hatten, nicht ohne Erfolg geblieben war, und daß bie 
Furcht ver der Ungnade des wieder nach Deutſchland zurüdgefehrten 
Kaijers 1) ihn mit bewog, in feinen Begünftigungen der Reformation 
ı) Karl V, hatte vorher in Italien einen biutigen Krieg mit Franz I, 


von Frankreich geführt, unb war überhaupt mehr im Ausland, als in Deutfch- 
land jelbft beicäftigt. 





Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 311 


manche Beſchränkungen eintreten zu laſſen. Viele der Reformation 
ftreng zugethane Geiftliche, die anderswo ein Unterfommen finden konn: 
ten, fuchten deshalb die badiſchen Dienfte zu verlafien, fo 3. B. ber 
mehrermähnte Irenikus in Ettlingen, der 1530 einem Ruf nach Gem: 
mingen folgte; andere legten geradezu ihre Stellen nieder. Diefe Ber: 
änderung in den Gefinnungen und dem Benehmen des Markgrafen war 
auch nicht ohne Einfluß auf die Geftaltung der Firchlichen Verhältniſſe 
zu Pforzheim. 
Die Bewohner diejer Stadt waren bereits der Lehre Luthers eifri 

zugethan und hielten jehr darauf, daß ihnen das Wort Gottes nicht nur 
recht fleißig, fondern auch im Sinne der heiligen Schrift verkündet 
würde. So fehr man nun auch mit dem Stiftsprediger Unger zufries 
den war, dem deshalb manche Beweiſe der Liebe und Verehrung, jo: 
wohl von Seiten des Markgrafen, als der Bürger, zu Theil wurden, 
fo wenig ſchien leßtern ihr Pfarrer zu genügen, woran mun freilich 
fein körperlicher Zuſtand hauptſächlich die Schuld trug. Es wendete fich 
deshalb Schultheig und Gericht am Mittwoch nah St; Thomas 1529 
mit folgender Bitte an den Markgrafen: „Wiewol wir ein gut Zytt 
nit wenig gebredhen und mangel an unferem Pfar befunden, derohalb 
wir gut fug gehapt, folicdy gebrechen an Ewre fürftliche Gnaden langen 
ze lafien; haben wir ung doch gelitten, der hoffnung, es folle ſich mit 
ime gebefjert haben. Diewyl aber fich jun Krankheit täglich mert, alfo 
daß er ganz felten ußgon, und, wann er gleidy webern (d. h. predigen) 
mag, iſt er doch jo heißerer Ned, daß man ine nit merden noch verjton 
fann, und zu dem allem er fein geſchickten oder touglihen Miethern 
(Vikar oder Diakon), mit dem ein Gemeind verfehen (wäre, bat): haben 
wir nit jollen unterlafjen, Ewrer Fürftlichen Gnaden de anzuzeigen, und 
bitten underteniglih, Ewrer Fürftl. Gnaden welle bierzu gnedigs Inſehen 
tbon, unferen jetigen Pfarh mit einer andern pfrund in ander weg, 
dbargegen ung mit einem gefchieten Pfarhern, fo der gemeind mit ver: 
fündung des Wortes Gottes und fonft vorſton konde, gnediglich ver: 
ſehen.“ — Diejer Bitte war noch eine andere beigefügt, woraus einer: 
ſeits hervorgeht, wie fehr der ftädtifchen Behörde daran gelegen war, die 
Predigten möglichit allen Bewohnern der Stadt zugänglich zu machen, 
andererjeit8 entnommen werden kann, daß ähnliche Klagen, wie man fie 
beut zu Tage noch oft vernimmt, ſchon wor mehr als 300 Jahren laut 
wurden. „Am Andern,“ fo beißt es weiter in der erwähnten Bittfchrift, 


12 Zwölftee Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 


„nachdem, daß der Kirchgang zu St. Micheln in die Pfarrkirch etwas 
mühſam und kindenden wybern, alten kranken Lüten, ouch ſonderlich den 
armen, ſo mit Kindern beladen und der Kirchen wytt geſeſſen (d. h. 
weit von der Kirche entfernt wohnen), beſchwerlich, alſo daß viel Volkes 
das Gottes wort nit hören, (darzu es, wo zu den Parfußern oder Pre⸗ 
digern dasſelb verkund wurde, mit gutem Fug kommen mecht): were 
unſer meinung und undertenig bitten an Ew. Fürſtl. Gn., zu bewilligen, 
daß die Predigt Freytags und Werktage beſchehe in einem der clöfter 
durch den Pfarrer und Predifanten. Die Brüder (Mönde) könten in 
derfelben zutt mit irem gefang abfton und dem Worte Gottes 
vum (Raum) geben“ — Welcher Beſcheid auf bie letztere Bitte 
erfolgte, weiß ich nicht; was das erftere Anfuchen betrifft, fo fcheint der 
Markgraf den Pforzheimern den Rath gegeben zu haben, einen Theil 
der pfarramtlicen Geſchäfte durch Angerer beforgen zu laffen; wenn 
dies aber nicht ginge und der Diakon feiner Stelle nicht gewachfen fei, 
jo möchten fie ſich jelber nach einem andern tauglichen Pfarrer umfehen 
und von ihrer Wahl der fürftl, Kanzlei in Baden bie erforderliche 
Anzeige machen. Darauf erfolgte eine zweite Eingabe, batirt vom 
Sonntag nad Sirtus 1530, worin Schultheiß und Gericht die Noth— 
wendigfeit eines andern Pfarrers wiederholt darlegten, da der bisherige 
mit dem beiten Willen wegen fortdauernder Krankheit feinen Verpflich⸗ 
tungen nicht nachkommen könne, der Miethling aber ein junger Geſell 
und der Bürde nicht gewachſen ſei, und der Präbdikant (Unger) mit 
Predigen genug zu thun habe, I) — Am gleichen Tage (7, Auguft) 
wandten ſich Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht und Rath mit folgendem 
Schreiben an den Pfarrer Melchior Hellwerf zu Löchgau (bei Befig: 
beim im heutigen Württemberg): „An den wolgelerten erfamen 
Meifter Melchior, Pfarhern zu Yodheim, unfern fenders guten Freund. 
— Nachdem unfer Pfarher Lyps halb zur Berfehung der Pfar untaug: 
lid, haben wir von unſers gnädinen Hern Näth bevelb, umb ein an: 
dern umbgeſehen und inen anzuzeigen, Dewyl wir dann bericht (find), 
daß der almechtig üch mitt ler und fynen gaben gnediglic begabt, fo 
ift am üch unfer frundlich bitt, iv wellet üch ſolich pfarr (darzu wir üch 


*) In diefem Echreiben ift von „fterbenden Läufen“ in Piorzbeim 
die Rede; auch in Freiburg berrfchte damals bie Peſt, d. b. eine anſteckende 
Krankheit. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 313 


beruffen) unterziehen und zu uns verfügen. Wellen wir uns gern ber: 
maß halten, daß ir darob mwolgefallens tragen, und zwyfflen nitt, ber 
allmechtig Gott werd biezu fun gnad ouch geben, alfo daß es zu funem 
Lob und unnfer aller Befferung dienen werde, und fo üch gelegen wer, „ 
unnfer Bitt zu hören, wellet üch mit zeiger diß zu uns verfügen, um 
von Sachen zu reden; wo nitt, bitten wir body Euer Antwort. Datum 
fonntags nah Sirti anno XXX. Schnltheiß, Bürgermeifter, Gericht 
und Kath der Stadt Pforzheim.“ — Schon unterm 10. Auguft erfolgte 
eine Antwort „Meifter Melchiors an ſyne günftigen Lusherrn in Pfortz— 
beim”, worin er jagt, daß er mehr „erichredt als erfreut” fei, in eine 
„ſolch fürftlihe Stadt zu geben“, und ſich Bedenkzeit ausbittet. Er 
nahm auch wirklich den Ruf nach Pforzheim nicht an, weshalb der bie- 
berige alte Pfarrer, der fein Umvermögen, den pfarramtlichen Pflichten 
nachzukommen, felbjt einfahb, dem Markgrafen den Kanonikus Marr an 
ber Stiftsfirche zu Pforzheim zu feinem Nachfolger vorfchlug. Auf eine 
vom Markgrafen an die Vorgeſetzten zu Pforzheim unterm 1. März 
1532 gerichtete Anfrage, ob der Empfohlene zu fraglicher Stelle auch 
geeignet jei, erfolgte unterm 12. März der Beicheid, daß fie nicht wüß— 
ten, und auch nicht zu beurtheilen im Stande wären, wie er predigen 
könne; was aber jeine Perſon angebe, jo hätten fie Bericht, daß er 
„von den franzofen ichaden, dazu das pobagra habe, allio das er die 
Zytt Hin nit vil inn der kirchen gewest, we er dann lips bledigkeit halb 
nit mocht webern ꝛc.“ — Endlich im Juni jenes Jahres erhielten bie 
N forzheimer einen Pfarrer in der Perfon des Johann Wieland, eines 
gebornen Keimsheimers und bisherigen Dechanten des Ruralkapitele 
Dberrieringen im Herzogthum Württemberg, welches ſich damals noch 
in öſterreichiſcher Gewalt unter ſtreug-katholiſchen Kirhenformen befand, 
Schon am 6. Juli trat derjelbe in den Stand ber Ehe, wobei ber 
Prediger Unger die Trauung vollzog und drei andere Pforzheimer 
Geiftliche, nämlich Dr. Rot, genannt Vaihinger, Johann Wild und 30: 
bann Schwarz Zeugen waren. So hatte Unger einen Kollegen gefun— 
den, der ihn im feinen veformatorifchen Beſtrebungen aufs Kräftigfte 
unterftüßte, 

Diefelben ſtießen jedoch bald auf große Schwierigkeiten, da ſich 
mittlerweile die Verbältniffe in der oben angegebenen Weife zu Unguniten 
firchlicher Reformen geändert hatten. Markgraf Philipp batte unterm 
13. Juni 1531 ein Ausfchreiden an alle feine Amtleute, jo auch am 


314 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


den Kurz vorher nad Pforzheim gelommenen Vogt Eberhard von Rei: 
ſchach, erlaffen, welcher dasjelbe auch ſogleich publicirte, und worin den 
Beamten befohlen war, genau darüber Bericht zu erftatten, wie es bie 
einzelnen Geiftlichen ihres Bezirkes mit der Taufe, der Beichte, dem 
Abendmahl, der Mefje, den Geremonien ꝛc. hielten. Zugleich ertheilte 
ber Markgraf dem Benannten die Inftruftion, ftreng darüber zu wachen, 
daß die heilige Schrift nur im Sinne der kath. Kirche ausgelegt, alle 
Tefttage gefeiert, an jedem derfelben Predigt und Meſſe gehalten, alle 
Fafttage und Geremonien genau beobachtet, das Volk jedoch hinreichend be— 
lehrt werden jolle, damit e8 nicht auf dieje Auferlichen Uebungen, fon- 
dern auf Ehriftum allein fein Vertrauen ſetze. Jeder Beamte follte 
überdies eine jchriftliche Erklärung der einzelnen Pfarrer, ob fie diefen 
firhlihen Anordnungen nachzukommen geſonnen feien, ber Regierung 
überfenden, die das Meitere jodann anordnen werde, 

Da diefe Regierungsbefehle und ebenſo ein anderer gegen bie 
deutfche Sprache bei Taufen den frühern Erlaß, nad welchem den 
Kranken der Kelch beim Abendmahl bewilligt worden war, nicht 
aufboben, fo blieb der Kelch auch im Uebung; ebenfo war die Priefterehe 
durch jene Verordnung nicht verboten, wie aucd aus der Verheirathung 
Wielands hervorgebt. Als jedoch bald darauf der Shelfer desfelben, den 
Chorrock am Arm, mit Hoftie und Kelch, beides bededt, zu einem 
Kranken gehen wollte, fo traten ihm auf Befehl des Vogtes Eberhard 
von Reiſchach die Stadtknechte in den Weg, mit dem Bebeuten, „er 
folle ſolches fürder abftellen.“ Darauf wandte fid) Wieland zwei Mal 
mit Beichwerden an den Stadtratb und ftellte demſelben vor, daß ſchon 
manche Sterbende, feit der Kelch nicht mehr gereicht werden dürfe, er: 
- Märt hätten, lieber „unverfehen und uff Gottes Barmberzigkeit ſcheiden 
zu wöllen.” Auch über die Wiedereinführung der lateiniſchen Sprade 
bei Zaufen als einer Sprache, die ja doch Niemand verftehe, befchwere 
fi die Gemeinde, und Viele drohten, die Neugeborenen in andere Orte 
zu tragen. Er bitte aljo, dahin zu wirken, daß die frühern Verwil— 
ligungen aufrecht erhalten würden; geſchehe dies nicht, jo müſſe er bitten, 
ihn der Pfarrei, auf welche er ohne fein Zuthun berufen worden ſei, 
wieder zu entheben. Beide Vorſtellungen Wielands überfandte der 
Stadtrath mit einem Beiberiht an den Markgrafen. Geht aus jenen 
bervor, welche Gelinnungen in der Gemeinde über Taufe und Abend: 
mahl herrſchten, jo erfahren wir aus diefem die Anfichten des Stadt: 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 315 


raths darüber, und können aus Beiden erfehen, wie ſehr ſchon manche 
Lehren der Reformation in Pforzheim Wurzel gefaßt hatten und mit 
welcher Entſchiedenheit diejelben auch von der weltlichen Behörde der 
Stadt geltend gemacht wurden. Der Bericht des Stadtraths lautet 
wörtlich (mit Hinweglaſſung des Eingangs und Schluſſes): „1. Er ſt— 
lich dewil in reichung des touffs by uns nie nichts geendert, ſondern 
alle weſentliche Stuck und Ceremonien bisher gehalten worden ſind, ußer 
daß mit Wiſſen Ew. Fürſtl. Gnaden die latiniſch ſprach in die tütſch 
verdolmetſcht oder verteuſcht, damit ein jeder wiſſen mag, wozu der touff 
nutz, was gehandelt, welche inſatzung und wie der touff beſchehe, und 
damit der verderplichen Seet des Wiedertouffs merklicher widerſtand be 
ſchehe, wie ſich dann dieſelb Sect allhie offtmals inſlichen wollen: 1) 
ſo bitten wir Ew. Fürſtl. Gn. underteniglich und lut, umb Gottes Ehr 
und der armen Gewiſſen und der Selen Seligkeit willen, die wolle gne— 
diglich zulaſſen, die Kinder teutſch zu touffen. — 2. Am An: 
dern, dewil Ew. Fürſtl. Gn. ußſchreiben, jo in Ew. Fürſtl. Gn. Land 
allenthalb offentlich verkündt, ußtrucklich, vermag, daß den Kranken in 
Todesnöten das heilig Nachtmal Chriſti (d. h. unter beiderlei 
Geſtalt) gehalten werden möge, und dewil vil erlich und fromme Lüt 
bisher mit Nießung des heiligen Nachtmals uß dieſer Zyt ungezwyvelt 
Gott gefelliglich geſcheiden ſind: ſo bitten wir Ew. Fürſtl. Gn. abermals 
underteniglichſt, die wolle daßelb hinfüro uns und andern gnediglichſt 
nitt verhalten, ſondern, unſres Herrn Chriſti Inſatzung nach, ſyn heiligſt 
Lip und Blut im heiligen Sacrament in Nöten gedyhen, und den ellen- 
den Swermern und Zwingliften (1) nitt Naum geben, den armen Grey: 
gen in legten Nöten ir Heil und Troft nitt entziehen, noch dahin kom: 
men laſſen, daß fie ohne dieß göttlich und höchſt Sacrament mit größter 
geverd irer Selen hinfaren.“ 

Diefe Bitten des Pfarrers nd der Gemeinde batten den gewünſch⸗ 





ı) Zu den Wiedertäufern aus unferer Gegend, welche namentlich in dem 
unter Öfterreichiicher Herrichaft ſtehenden Miürttemberg aufs Graufamfte verfolgt 
wurben, gehörte au Georg Baumann, ein Bürger aus Bauſchlott, der zwar 
anfangs duch ſchreckliches Foltern zim Widerrufe gebracht wurde, gleich darauf 
aber feine Reue barüber zu erfennen gab und von Neuem der furchtbar ftrafen- 
ben Gewalt unter das Antlig trat. Zwei andere Wiedertäufer aus Bilfingen, 
Eberlin Scott und Konrad Schütz ergriffen 1543 bie Flucht, als man fie als 
folge erkannte. Ihre Güter wurden hierauf Fonfiscirt. 


316 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


ten Erfolg nicht. Im Gegentheil mehrten ſich fogar die Verfolgungen 
und Entlafjungen proteftantiih gefinnter Geiftlihen, und namentlich 
mußte auch aus Pforzheim Melanchthons gelehrter und frommer Freund, 
der Schulreftor Michael Hilsbach (S. 194) fortzieben; er fuchte und 
fand mit feiner zahleihen Familie eine Unterkunft im Zweibrückiſchen. 
Zulegt wurden jogar Unger und Wieland gefänglih von Pforzheim 
nach Baden geführt, um dort durch die Räthe des Marfgrafen verhört 
zu werden. Sie erhielten zwar nach geböriger Wertheidigung in Bälde 
ihre Freiheit wieder und wurden ihres Amtes auch nicht enthoben; doch 
benütte Wieland die erfte Gelegenheit, welche fih ihm darbot, die 
Markgrafſchaft zu verlaflen, und, vom Herzog Ulrih von Württemberg 
als Superintendent nach Vaihingen berufen, in fein Vaterland zurüczu: 
fehren, das 1554 den Defterreichern wieder entriffen worden war, 

Markgraf Thilipp ftarb am 17. September 1533, nachdem er 
wenige Monate vor jeinem Tode das Verbot Firdlicher Veränderungen 
in Gebeten, Gefängen und Geremonien wiederholt hatte. 

An feinen Nachfolger Markgraf Ernſt fand die Neformatien zwar 
feinen ftrengen Gegner, aber auch feinen Beförderer. Mild von Charakter 
und allen gewaltſamen Mafregeln abgeneigt, ließ er in Pforzheim den 
Religionszuftand fo, wie er ihn angetroffen. Dem Prediger Unger gab 
er vielfältige Beweife feines Wohlwollens und feiner Hochachtung, erflärte 
die Ehe desjelben für rechtmäßig und nahm ibn, jeine rau und feine 
Kinder in feinen beſondern Schutz. Inter ſolchen Umständen darf es 
nicht auffallen, wenn der oben ſchon (S. 213) erwähnte Saftrew ſich 
bei feiner Defchreibung der Stadt Piorzbeim des Ausdrucks bedient : 
„Pforzheim hat in Predigten und Gefängen evangelifche Neligion.” — 
Mie fein verftorbener Bruder Philipp hielt Markgraf Ernſt jedoch die 
Hoffnung feit, daß die Erledigung der Firchlichen Streitigkeiten durd ein 
allgemeines Konzil erfolgen und auf diejem gejetlichen Wege auch eine 
Kirchenverbefierung zu Stande gebracht werden würde. An diefem Sinne 
war auch die Inſtruktion abgefaßt, die er dem Dr, Altmann, Propſt 
des St. Micaelftiftes zu Pforzheim, nad Hagenau zu einem Reli: 
gionsgeſpräch mitgab, das daſelbſt zwiſchen katholiſchen und evangelischen 
Theologen ftattfinden follte. Aſtmann wurde beauftragt, dahin zu wir: 
ten, daß die DBefeitigung der Lehrftreitigkeiten einem allgemeinen oder 
nationalsdeutichen Gonzil iibermwiefen, die Geiſtlichen aber zu einem gott: 
jeligen Leben mit aller Strenge angehalten werden follten. Wie er jelber 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 317 


darauf drang, zeigte 1538 fein Verfahren gegen den Pforzheimer Kane: 
nifer Michael Hahn, den er, weil er mit einer gejchiedenen Ehefrau in 
verbotenem Umgang lebte und mit ihr Kinder erzeugte, gefänglich nad 
Spever führen und deffen Beihälterin er des Landes verweilen ließ. 1) 
Auch in feinem Teftamente, welches der Markgraf ſchon 1537 verfakte, 
verordnete er, daß ohne Conzil- und Reichtagsbeſchluß nichts an der 
alten Religion geändert werden folltee Er mußte fpäter freilich die 
Veberzeugung gewinnen, daß auf diefem Wege eine Reformation nicht 
zu Stande kommen konnte. Unter den Geiftlichen unierer Gegend, welche 
um jene Zeit (1536) ſich offen zur evangelifchen Lehre bekannten und 
nicht nur zur Ehe fchritten, fondern auch das Abendmahl unter beiberlei 
Geſtalt zu reichen anfingen, befand fi der Pfarrer Düſſing von Er: 
fingen, 2) das dem Klofter Herrenalb gebörte, aber, wie das ganze Ges 
biet dieſes Klofters, der Landeshobeit des Markgrafen von Baden-Baden 
unterworfen war. Der damalige Markgraf Bernhard III. befannte 
fih ebenfalls zur augsburgifhen Konfeflion. 

Der evangelifchen Lehre, die fich feit 30 Jahren gegen alle Erwar: 
tung fait im allen Theilen Deutichlands verbreitet hatte und bereits 
Millionen von Anhängern zählte, drohte indeflen neh ein Mal eine 
große Gefahr, die ihren ferneren Beitand eine Zeitlang fehr in Frage 
ftellte. Immer ſchroffer hatte ſich nad) und nad) das gegenfeitige Ver: 
hältniß zwiſchen Katholiten und Proteftanten geftaltet, und der Kaijer, 
der nach Beendigung feiner auswärtigen Kriege wieder in Deutichland 
erfchienen war und aufs Neue Kriegsrüftungen betrieb, gab den evan- 
geliſchen Reichsftinden auf ihre Frage nah dem Grund derfelben bie 
Antwort: Er beabfichtige, mit einigen Ungehorfamen dem Rechte gemäß 
zu verfahren Schnell rüſteten fie fih zur Gegemwehr und erneuerten 
im Winter 1545 auf 46 zu Frankfurt den Bund, der bereits 1531 
zu Schmalkalden von ihnen abgeichfofien war. Noch im Jahr 1546 
brach der Krieg aus, der in der Geſchichte unter dem Namen des 
ſchmalkaldiſchen bekannt iſt. Da unter den Proteftanten Feine rechte 
Einigfeit herrſchte und ihr Heer troß feiner Meberlegenheit durch unfchlüf- 
figes Zaudern die günftigfte Zeit. verftreichen ließ, jo unterwarf fich ber 
Kaijer fchnell nicht nur die evangelisch gefinnten ſchwäbiſchen Neicheftädte, 

1) Alten des Landesardivs, 

2) Er beiratbete jogar eine „VBegine oder graue Waldſchweſter.“ (Convents⸗ 

bericht weg. Pir. Düſſing v. 1549.) 


318 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


fondern auch den Kurfürften von der Pfalz, rücdte nah Sachſen, wo er 
1547 den Sieg von Mühlberg erfoht und den Kurfürften Johann 
Friedrih von Sachſen und bald darauf auch den Landarafen Philipp 
von Hefien, alſo die beiden Häupter des fhmalfaldifchen Bundes, ge: 
fangen nahm. Das Schickſal des Proteftantismus in Deutfchland wäre 
entichieden geweſen, wenn nicht politifche Gründe und das gefpannte 
Verbältniß, in welchem der Kaifer damals zu dem Papfte ſtand, fowie 
die Ueberzeugung, welche jener auf feinem Zuge durch Deutichland von 
ber großen Verbreitung der evangelifchen Lehre gewonnen hatte, in Karl V. 
eine Veränderung feiner Anfichten und Pläne hervorgebracht hätte. Er 
war zu der Einficht gefommen, daß auf dem Wege ftrenger Gemalt 
nicht durchgegriffen werden fonnte, und ertbeilte deßhalb, um die getrenn- 
ten Religionsparteien der Vereinigung näher zu führen, drei deutichen 
Theologen, darunter einem evangeliichen, den Auftrag, einen Entwurf 
auszuarbeiten, nad welchem ſich die beiden Religionstbeile einftweilen 
(interim) zu richten hätten, Es wurden in demfelben faſt alle katholiſchen 
Einrichtungen beibehalten und den Proteftanten feine weitere Zugeftänd: 
niffe gemacht, als daß fie den Kelch im Abendmahl beibehalten durften 
und ihrem Geiftlihen die Ehe geftattet war. Diefes Interim wurde 
auf dem Reichstag zu Augsburg 1548 als Reichsgeſetz verkündet, troß 
der Einſprache ber Proteftanten und der allgemeinen Unzufriedenheit 
welche dasſelbe hervorrief. Denn auch Nom war damit nicht einver: 
ftanden, nannte e8 eine Ketzerei und zwang durch förmliche Entzweiung 
ben Kaifer, auf die proteftantifchen Reichsſtände, wenigftens auf die 
mächtigern, mehr Nüdficht zu nehmen, als dies ſonſt gefchehen wäre. 
In Folge des Interims war der Zuftand der ewangelifchen Kirche 
in Deutfchland ein fehr gedrüdter und wurde ihre weitere Entwidlung 
und Verbreitung dadurch wejentlic gehemmt. Weberall mußte die Mefie 
wieder eingeführt werden, die Faftengebote wurden verfchärft ıc. Lebteres 
geichah beifpielweife auch durh Markgraf Ernſt, der am 8. Juni 1548 
in allen badifchen Orten, fo auch in Pforzheim, „mit beleuteter Glockhen“ 
öffentlich verkünden Tieß, daß an den verbotenen (d. h. Faſt-) Tagen bei 
Strafe von 10 Pfund Pfennig, Kranke ausgenommen, in keiner Her: 
berg oder offenenen Gejellihaft, bei Hochzeiten ꝛc., Fleiſch gegeſſen wer: 
den dürfe, Doch nahm der Fürft dabei nicht das Interim, fondern die 
berrichende Theurung zum Vorwand, und verordnete zugleich, daß auch 
an Fleiſchtagen aus diefem Grunde nicht zugleich Fiſche in einem Wirths: 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 319 


baufe verabreicht werden dürfen, außer an Sole von der Herrfchaft, 
an Grafen, Herren vom Abel ıc. 1) 

Unerwartet fchnell änderten ſich aber nach einigen Jahren ſchon die 
Berhältniffe wieder zu Gunſten der Proteftanten. Der Herzog Morik 
von Sachſen, der, obgleich) Proteftant, ſich dem fchmalfaldiihen Bund 
nicht angeichloffen, ſondern auf die Seite bes Kaifers geftellt hatte, mochte 
über fein Benehmen feinen Glaubensgenofien gegenüber Neue empfinden 
und jest erjt die Gefahr erkennen, in melde die evangelifche Kirche durch 
fein Mitverfchulden gerathen war. Auch war er nicht wenig darüber 
entrüftet, daß der Kaiſer die beiden gefangenen Häupter des ſchmalkal—⸗ 
diſchen Bundes bis jegt nicht freigegeben hatte, Genug, — Meorik 
überfiel den Kaijer plötzlich mit anſehnlicher Heeresmacht in Insbrud 
und zwang ihn 1552 zu dem Dertrage von Paſſau, worin der Kaifer den 
Proteftanten verjchiedene Zugeſtändniſſe machen und das Berfprechen ber 
möglichſt baldigen Abſchließung eines fihern und dauernden Religion: 
friedens geben mußte. Diefer kam nach langen Verhandlungen im 
Jahr 1555 in Augsburg zu Stande. Durch ihn erhielt die evangelifche 
Kirche gefeglihe Geltung und rechtlichen Beſtand. 


B. Einführung der Reformation, 
(1556 ff.) 


Schon nad) der Abichliefung des Bertrages von Paſſau 1552 
ging der greife Markgraf Ernft mit dem Gedanken um, der evangelifchen 
Lehre öffentlich beizutreten, Er hatte ſich überzeugt, daß feine Hoffnung 
auf Entfernung der kirchlichen Mißbräuche durch ein Conzil eine vergeb: 
liche ſei, und glaubte fi jetzt zu jenem Schritte geſetzlich berechtigt. 
In diefer Anficht wurde er namentlich durch feinen Hofprediger Truden- 
brot beftärft, mit welchem ſich der Markgraf über die Einführung der 
Kirchenwerbefierung bereits bejprochen hatte. Uber der Tod kam der 
Ausführung feines Vorhabens 1553 zuvor, 

Sein Sohn und Nachfolger Karl II. war der evangelifchen Lehre 
jehr geneigt und hatte fih auf den Wunſch feines Vaters auch mit einer 


1) Der Erlaß findet fih S. 67 des mehrerwähnten Kopienbuches im Pforz⸗ 
beimer Archiv als Anhang zu der Wirthsordnung von 1541 und if ſchon 
©. 210 geführt worden, 


320 Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert 


evangelifchen Prinzeffin vermählt. Doch trug er noch Bedenken, in feinen 
Lande den geſetzlichen Eintritt der Reformation zu begründen, bevor ber 
verbeißene Religionsfriede förmlich abgeſchloſſen war. Dieſe Bedenklich— 
keiten nährte namentlich der alte Kanzler Dr. Oswald Gut. Doch 
dieſer ſtarb nach einer dreißigiährigen Verwaltung feines Amtes am 
28. März 1554 in Pforzheim, 1) und an feine Stelle trat Dr. Martin 
Achtſynit (Amelius), ein auf der Hochſchule feiner Vaterſtadt Frei: 
burg gebildeter Juriä, und kurz vorher vom Kaiſer Ferdinand in den 
Adelftand erhoben. Kaum war der Neligionsfriede am 25. September 
1555 in Augsburg verkündet, jo trat jeßt Karl II. unter dem Schuß 
der Meichsgefeße offen an die Seite der proteftantifchen Fürften, und 
ber lebhafte Antheil, womit er die evangeliſche Kirche feines Landes 
gründen und bis am feinen Tod befeftigen half, erwarb ihm im Munde 
feines Volfes den Beinamen des Frommen. 

Noch im Jahr 1555 begann er das Werk der Reformation damit, 
daß er die Zahl der Klöfter im feiner Reſidenz Pforzheim allmählig 
zu vermindern fuchte. Die Neihe der Aufhebung traf zuerft die Klöſter 
der Franziskaner und Dominikaner. 2) Bei dem Michaelſtift begann er. 
mit Cinziehung einzelner Kanonien, namentlich) aber der Dechantei, nad: 
dem der bisherige Dechant refignirt und feine Haushälterin geehelicht 
hatte. Vergebens rief der Kanonikus Johann Freyermund dagegen, 
ſowie gegen die Neformationsverfuche des Markgrafen überhaupt, die 
Hilfe des Biſchofs von Speier an. 3) (Der damalige Probft des Stiftes 
hieß Georg Bo.) Dann fah ſich der Markgraf nad) tüchtigen Geift: 
lichen um, denen er das Werk der Kirchenverbeflerung übertragen konnte. 
In feinem eigenen Lande fand er ſolche nicht; denn Unger, der dazu 
am beften zu gebrauchen yewejen wäre, war 1553 in hohem Alter ge: 
ftorben, und andere hervorragende Kräfte ſcheinen nicht vorhanden geweien 
zu fein. Deshalb bat fich der Markgraf aus mehreren andern Gebieten 
tüichtige Gottesgelehrte aus, damit diejelben namentlich eine neue Kir— 
henordnung für Baden-Durlady entwerfen follten. Es kamen alſo 
nad Pforzheim Dr. Andrei von Göppingen, Dr. Mar Mörlin, 
Hofprediger von Koburg, Dr. Johann Stöſſel von Heldburg und ber 


1) Sein Grabftein, worauf fein Bild ausgehauen ift, befindet fih in ber 
Schloßfirche lints vom Eingang in die Safriftei. (Berl. S. 273.) 

2) Vergl. Kolb I, 61, und Sache IV., 80, 

2) Alten des Generallandesardivns. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 321 


Hofprediger Michael Diller von Heidelberg. An die Stelle Andreä's 
trat jpäter Dr. Jakob Heerbrand von Giengen. Diefen vier geift: 
lichen Herren wurden noch zwei weltliche Räthe beigegeben, und der 
Vorſitz in diefer Reformationskommiſſion dem Kanzler Achtſynit über: 
tragen. Nachdem der forgfältig berathene Neformationgentwurf die 
Genehmigung des Markgrafen erhalten hatte, wurde berfelbe gebrudt 
unter dem Namen: Kirhenordnung der Markgrafſchaft 
Baden, Pforzheimer Theile, am 1. Juni 1556 dem Land ver- 
kündet, und bei ber bald darauf folgenden allgemeinen Kirchenvifitation 
jeber Gemeinde zur freien Annahme vorgelegt. Ueberall wurde fie mit 
großer Freude begrüßt; nur von einer Gemeinde wird gefagt, daß fie 
der Neuerung wibderftrebt habe, nämlich von Neulingen oder Neidlingen 
bei Pforzheim. (Vergl. ©. 64.) 1) 

Den Inhalt der neuen Kirchenordnung vollftändig anzugeben, 
würde bier zu weit führen, ch theile deshalb nur die Hauptpunfte 
derfelben in Kürze mit. Sie handelt zuerft von der Lehre und 
Predigt des Wortes Gottes. As Duelle des Glaubens wird 
die heilige Schrift zu fleihigem Gebraudy empfohlen; auf fie fol 
die Predigt gegründet und die deutfhe Mutteriprade, ſowie 
der deutſche Gemeindegejang bei allen Theilen des Gottesdienftes einge: 
führt werden. Hierauf wird vorgeſchrieben, wie e8 mit der Spendung 
der Saframente, nämfih der heiligen Taufe und des heiligen 
Abenbmahls, jowie überhaupt beim Gottesdienste gehalten werden 
folle; endlich wird darin über die Fefttage, das, was bei Trau— 
ungen, Kranftenfommunionen, Reihenbegängniffen ze. zu be 
obachten ſei, das Nöthige feftgefet und fchließlid verordnet, daß die 
GSeiftlichen ſich bei allen kirchlichen Verrichtungen des gewöhnlichen Chor: 
rocks bedienen follten. 

Welche Veränderungen mit der Einführung der neuen Kirchenord— 
nung in Pforzheim verbunden waren, wann daſelbſt der erfte evan- 
gelifche Gottesdienft gehalten wurde -— darüber ſchweigen die Quellen, 
Die Alten im Stadtarchiv, welche nähere Auskunft geben könnten, find 
wie noch mande andere bei dem Brande von 1689 zu Grunde ge 
gangen. Nur das erfahren wir, daß allen katholiſchen Geiftlihen der 





3) Diele Angabe dürfte aber nicht richtig fein, ba ber Drt Neidlingen ſehr 


wahrſcheinlich im 16. Jahrhundert nicht mehr exiſtirte. 
Pflüger, Pforzheim. 21 


329 Zwoͤlftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


Stadt, welche nicht zur neuen Lehre fich befennen wollten, unterm 
20. Auguft 1556 der Schuß und Schirm aufgefündet wurde. 1) Der 
erfte evangeliſche Stadtgeiftliche, Spezial und Superintendent in Pforze 
beim nad) Einführung der Reformation war ber erwähnte Dr. Heer: 
brand jelber; ihm folgten 1558 Iſrael Achatius, um 1560-1580 
Ruprecht Dürr, 1600 Benedift Ungerer, 1607 Konrad Jenni— 
chius, 1618 Stephan Rohrfelder, 1630 Georg Wibel, 1648 ob, 
Burkhard Erad, 1673 Lob. Phil. Weiniger, 1681 Matthäus 
Kummer ꝛc.?) — Pfarrer der Altftadt war 1561 Erasmus Fes: 
tus, 1565 Johann Grave, 1574 Nil. Mollinger, 1579 Kilian 
Werner, 1582 Math. Konr. Berblinger, 1601 Ruprecht Grave, 
1614 David Langenberger, 1635 Job. David Sauter, 1645 
Petrus Kercher, 1651 Lob. Seuterlin, 1655 Elias Nietham— 
mer, 1673 ob. Jak. Bürenftein, 1691 Berthold Deimling, 
1736 Ernſt Ludwig Deimling ꝛc. — Ws Hofprediger erfcheint um 
1556 Jakob Rat, nah ihm 1563 Reißenzahn, als Spitalpfarrer 
Rorenz Fuchs, als Diakon ein Kak ꝛec. — Auch von einigen Yandorten 
find noch die Geiftlihen bekannt, welche daſelbſt ſchon zur Zeit ber 
Einführung der Reformation oder kurz nachher thätig waren, fo in 
Brötzingen 1558 Leonhard Kiftler, im Ellmendingen um 1560 Peter 
Rotenburg (+ 1583), Eutingen 1561 ob. Kleifhmann, Niefern 
1561 Kilian Werner, Baufchlott 1581 Daniel Schrötlin, Eiſin— 
gen 1580 Job. Raiter, Göbrichen 1561 Wolfgang Pfennig, Sttere- 
bad 1569 Thomas Werner. 

Sm Jahr 1557 hatte der eben genannte erfte evamgelifche Stabt⸗ 
geiftliche Pforzheims, Dr. Heerbrandt, noch die Pflicht der Seelforge bei 
einem Sterbenden zu üben, der auf eine eigene Art nad Pforzheim 
verjchlagen worden war, nämlich beim Markgrafen Albreht von 
Brandenburg, wegen feines unruhigen Geiftes, feines Heldenmuthes 
und feiner Schickſale auch der bdeutiche Alcibiades genannt. In die 
Kämpfe jener Zeit vielfach verflochten und dieſelben zum Theil felbft 
bervorrufend, war er, vom Kaifer geächtet, nach Frankreich geflohen und 
kam eben, um Gnade bittend, nach Deutichland zurüd, als er bei einem 


— 


) Alten des Landesarchivs. 
2) Diozeß Pforzbeim, Kirchen: und Schulenbeſchreibung von 1735 (Lan: 
desarchiv) u. a. Quellen. 


Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 323 


Beſuch, den er feinem Schwager Karl II. in Pforzheim machte, in der 
Blüte feiner Jahre am 8. Januar 1557 einen fchnellen Tod fand. 
Er wurde in der fürftlichen Gruft dafelbft beigeſetzt. ) Wie fehr das 
Unglüd feinen Stolz gebeugt hatte, davon zeugt das von ihm verfaßte 
ſchöne Lied: „Was mein Gott will, geſcheh' allzeit.“ 

Nachdem die evangelifhen Fürften im Frühjahr 1558 auf einem 
Konvent zu Frankfurt ihre unverbrüchlihe Anhänglichkeit an die auge: 
burgiſche Konfeffion verfichert hatten, fo verfammelten fie fih auf Ein- 
ladung Karls II. nochmals im Auguft deselben Jahres zu Pforzheim, 
um das Band ihrer rühmlichen Eintracht aufs Neue zu befeftigen. Um 
die gleiche Zeit fuchte ein Edelmann am Hofe des Markgrafen in einer 
lateiniſch gefchriebenen Schrift den Beweis zu liefern, daß bie evan- 
geliiche Lehre unrichtig als neue Neligion bezeichnet werbe, ſondern weit 
älter, als die dermalige katholiſche ſei. Diefe Schrift wurde von Pfarrer 
Iſrael Achatius zu Pforzheim ins Deutfche überjegt und unter dem 
Titel: „Wahrhaftiger Bericht alter und neuer, das, iſt evangelifcher und 
papiftifcher Lehre” bei Georg Nabe in Pforzheim gedrudt (S. 192). 

Die Aufhebung der Pforzheimer Klöſter nahm indefjen ihren Fort- 
gang. Diejenige des Auguftinerflofters, das ben Kanonifern und Ere- 
mitern gemeinfchaftlicd gehörte, mag -um 1560,2) und die der andern, 
foweit diefelben nicht ſchon bei oder vor der Einführung der Refor- 
mation aufgehoben worden waren, um die nämliche Zeit erfolgt fein. 
Der größte Theil der Möndye war indeffen ausgewandert; doch hielten 
fih bis 1561 noch Dominikaner in Pforzheim auf. Am meiften Wider: 
fireben fand der Markgraf bei den Nohnen, in Pforzheim namentlich 
bei den Dominifanerinnen Er hatte ihre Einkünfte unter bie 
Auffiht eines Schaffners geftellt und einigen Geiftlihen das eben jo 





1) Sein fleinernes Standbild findet fi auf ber reiten Seite bes Chores 
der Schloßkirche. Am Fuße besfelben ftcht die Inſchrift: "Anno 1557 den 
8. Januarii ist Seligklich abgestorben der Durchleuchtig Hochgeborn Fürst, 
Herr Albrecht der jünger, Marggraf zu Brandenburg, in Preussen, zu Stettin, 
Pomern, der Cassuben und Wenden, auch in Schlesien, zu Oppeln und Ra- 
üborn Herzog, Burggraf zu Nürenberg und Fürst zu Rügen, der Deutsch, streit- 
bar und manlich Heldt, welcher vmb des Vatterlandts Deutscher nation frey- 
heit, Landt und Leut, gut, ehr und blutt treulich zugesetztt und gewagt hot, 
Seine alters im 35. vnd regimentzs im 16, jahr, der lieben selen verlihe gott 
ein frolich urstendt, A. 

2) Kolb, Lerifon II., 61, 

21? 


3 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


ſchwierige, als nutzloſe Gefhäft übertragen, ben twibderftrebenden Kloſter⸗ 
frauen Religionsunterricht zu ertheilen. Sie beſchwerten fih durch ihren 
Provinzialen, Wilhelm Brand, bei Kaifer Ferdinand I. darüber, 1) daß 
der Markgraf fie mit der neuen Religion fo fehr ängftige, fo daß fie 
genöthigt ſeien, den Kaifer um Hilfe anzufleben und ihn zu bitten, fie 
in das Klofter Kirchberg in Defterreih aufzumehmen. Zu diefem Be— 
bufe möchte der Kaifer dahin wirken, daß ihnen mit Hab und Gut 
freier Abzug geftattet oder do vom Markgrafen ein Jahrgeld zu ihrem 
Unterhalt ausgeſetzt, oder endlich ein für alle Mal eine Abfindungsfumme 
ausbezahlt werde, wobei fie ſich aber, falls die katholiſche Religion in 
Pforzheim wieder eingeführt werden follte, ihre früheren Rechte vorbehiel- 
ten. Der Kaijer verwies dem Markgrafen fein Vorgehen gegen bie 
Klofterfrauen und fehiete zwei feiner Näthe nad Pforzheim, um das 
Geſuch der Klofterfrauen zu unterftügen. Der Markgraf antwortete 
bem Kaifer in einem bejondern Schreiben, daß er bereit fei, Sr. Maje 
ftät zu willfahren, obgleih er durch die Reichsgeſetze dazu nicht ge 
zungen werde, gegen die er ſich auch bisher in feinem Benehmen den 
Dominikanerinnen gegenüber nicht verfehlt habe. Wenn er mit den 
Klofterfrauen eine Reformation verfucht habe und fie zum fleißigen Anhören 
ber Predigt göttlichen Wortes, fowie zum Leſen riftlicher Bücher anzu- 
balten bemüht gewefen wäre, jo habe er nur gethan, wozu er als ihr 
Landesherr berechtigt fei. Man märe jedoch dabei aufs Schonendfte zu 
Merle gegangen. hr Vermögen könne er ihnen eben fo wenig ohne 
Abzug ausfolgen, als es der Kaifer felbft in einem ähnlichen Fall thun 
würde. Er erbiete ſich jedoch, "die Klofterfrauen, wenn fie nicht anders 
wollten, entweder mit einer Abfindungsfumme oder einer lebenslänglichen 
jährlihen Penfion ziehen zu lafien. Am 20. Juni 1564 wurde nun⸗— 
mehr ein Vertrag entworfen und am 24. Auguft ausgefertigt, worin 
fi) der Markgraf verpflichtete, ſämmtliche Klofterfranen nah Kirchberg 
ziehen zu laſſen und ihnen ein für allemal in kürzefter Frift die Summe 
von 410,000 fl. (itatt der von den Faiferlihen Näthen geforderten 
12,000 fl.) auszubezahlen, überdies fie für das, was fie an Wein 
Frucht, Vieh ꝛc. zurüdließen, mit weitern 1000 fl. entſchädigen zu 
wollen. Dagegen mußten die Klofterfrauen auf all ihr bisheriges Be— 
ſizthum und ihre Mechte für immer und ohne Vorbehalt verzichten. 


1) Man vergl. hiezn Sachs, IV., 107 fi. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 325 


Diefer Vergleich 1) wurde in gehöriger Form ausgefertigt, geflegelt und 
von ber Subpriorin Anna Juliana Kirferin, (die Priorin Barbara 
Shüsin war 1562 geftorben), der Schaffnerin Barbara Lychtin, ſowie 
von ben Konventualinnen Dttilia Heffin, Apollonia Linhardtin, Apollonia 
MWertweinin, Anna Mulmeifterin und Barbara SHeinin unterzeichnet, 
ebenfo von dem Provinzial. Da der Kaifer Ferdinand I inzwiſchen 
geftorben war und die Klofterfrauen befürcteten, die Laiferliche Beſtä— 
tigung des erwähnten Vergleihs möchte allzulang auf ſich warten laffen, 
fo Tieß der Markgraf die vorhandenen 39 Schweftern, (1556 waren es 
ihrer einſchließlich der Laienfchweitern noch 46 gewefen), auf ihr Bitten 
noch vorher abziehen und zahlte ihnen die für die Reife beftimmten 1000 
Gulden fogleih aus. Am 1. Dezember 1564 erfolgte die Beftätigung 
von Seiten Kaifer Marimilians II., worauf diefe Angelegenheit voll: 
ftändig bereinigt wurde und der Markgraf in den Beſitz des Klofters 
und deſſen was dazu gehörte (darunter auch der Waldungen bdesfelben, 
von denen der fog. „Frauenwald“ heute noch an feine früheren Beſitze⸗ 
rinnen erinnert), gelangte, 

Ausführlihes über die Vorkommniſſe in diefem Kloſter und 
namentlich über das Widerftreben der Nonnen gegen eine Reformation 
enthalten die Aufzeichnungen einer Kloſterfrau felber aus den Jahren 
1556 —1564.2) Der Anfang davon lautet: „In dem MDL und 
VI Jahr (1556) acht Täg vor Georgi: dazumal regiert in allem tüet: 
hen Landt und allermeift die aller groß Ketzery bes Lutterers, und 
uß Yngebung etlicher falfcher Rattgeber und prebicantten, die vil daruff 
geprebiget und geleret haben wider die heiligen Sacramentten und ben 
göttlichen Dienft, wider die geiftlichen in den clöftern, dadurch uffrierifch 
gemacht fend worden die Fürften und Hern in etlichen landen und fteten, 
alfo daß Teider, got erbarms, in der ftatt Pfortzheim, in der marggrof: 
haft Baden und Hocberg gelegen, in welcher ftatt gelegen ift unßer 
elofter umd gotzhuß, dazumal zu dißer Zyt predicant ift geweßen mit 
namen Jacob rat, auch ander böß rattgeber, die haben unfern 
fürften und bern marfgraff Karle dahin gebracht, unß gemalt zu thun 
und uff den nümwen glauben zu bringen, und unß bes ein gewaltgbrieff 


1) Er fleht vollftändig bei Sachs, IV,, 109-111. 
2) Sie find abgedvrudt in: Katholiſche Tröfteinjamfeit, XIL, 
S. 203-254 (Mainz bei Franz Kirchheim, 1858). 


326 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16, Jahrhundert. 


in unferm clofter vor dem ganzen Convent lafjen leſen, in dem Erſte 
ung abgefünnt und abgefchlagen, fein meß me zu fingen, noch zu lefen, 
weder heimlich noch offenlih, und haben uns uffgehept unßern goßbienft, 
daß wir den mit me jollen vollbringen, weber heimlich noch offenlich, 
jondern wir daran ergriffen würden, es ſy by Tag oder by nacht, fo werben 
wir fallen in des fürften ungnaden. Auch fjollen wir in bie lutteriſch 
predig gen und düetſch pfalmen fingen. Auch haben fie uns verbotten 
al münd und pfaffen, die da fend uff unfer Religion, daß die nit me 
zu ung follen gen weder heimlich noch offenlih by hoher großer ftraff, 
aber wann man ein by un ergruff, fol man ihn von ftund an in dem 
Durn werfien” ꝛc. — Es wird dann weiter erzählt, wie der genannte 
Pfarrer Ra ihnen zwei Mal in der Woche gepredigt habe, wie nad) 
ihm der Spitalpfarrer Lorenz Fuchs, ein „ußgeloffener münch“, ſodann 
ein Präbdicant Kat aus Zwiefalten, der Pfarrer Iſrael (Uchatius), 
Dr. Heerbrand, Dr. Ruprecht (Dürr), der Pfarrer Reißenzahn, kurz in 
ſechs Jahren überhaupt 18 verfchiedene Geiftliche ſich die fruchtlofe 
Mühe gegeben hätten, die Nonnen zu belehren; ja wie fogar einmal 
die ganze badiſche Reformationskommiſſion (S. 320) mit dem Kanzler, 
Doktor Jerg, Doktor Hänsle Schnydergeisle und Doktor Hans Schmid 
zu gleichem vergeblihen Zwed ins Kloſter gefommen fei. Bitter wird 
über einzelne diefer Geiftlihen geklagt, jo über Rab, daß er Gott und 
bie lieben Heiligen ſchändlich ausgerichtet und geihmäht und zu deu 
Klofterfrauen gefagt habe, man folle fie ausbrennen wie die fhädlichen 
Naupennefter, weil fie mit ihrem ärgerlichen Leben das ganze Land ver: 
wüſteten und verunreinigten; über Katz, der aud das Gift der Ketzerei 
in die unfdhuldigen Herzen haben ausgießen wollen; fiber Adhatius, der 
die Beichtväter der Nonnen Blatthengfte, Stabtfarren, Meßſäu, Seelen 
mörder ꝛc. geheißen und das erfte Nachtmahl nad lutheriſchem Gebrauch 
in der Kloſterkirche ausgetheilt habe; über Dr. Ruprecht, daß er fo 
ſchändlich und abjheulih vom heiligen Sacrament und gegen den Papft 
gepredigt und bdiefen den Antichrift genannt habe u. j.w. Dem Pfarrer 
Heerbrandt, der den Nonnen freigeftellt hatte, zu beftimmen, warn es 
ihnen eben und gelegen fei, daß er ihmen predige, wurde der Beſcheid, 
daß er zu feinem Male ihnen gefchict fei. Am Jahre 1561, fo wird 
weiter erzählt, Tieß der Kanzler durch drei Zimmerleute den Hochaltar 
und das Gitter abbrechen, das fich zwiichen der Kirche und dem Chor 
befand, damit „man künd jehen, ob wir an die predbig gen.” Balb 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 327 


auch. wurde dem Klofter an die Stelle des langjährigen Amtmanns 
Peter Wertwein ein neuer Schaffner, Konrad Bifchler von Hall, geſetzt, 
den dag Klofter mit Weib und Kind und einer Magd abholen mußte, 
Ueber deſſen gewaltthätiges Benehmen wird in den heftigften Ausdrüden. 
geflagt, ebenſo über die ftrenge Eontrole, die er in Verwaltung des 
Klofterguts ausübte und wober er den Nonnen fcharf auf die Finger 
ſah. Im Jahr 1562 ließ er nad dem Tode der Priorin Barbara 
Schütz alle Schlöffer inwendig an den Thüren des Klofters abbrechen 
und an die Außenfeite derjelben anjchlagen, damit Niemand ohne fein 
Wiſſen und Willen mehr ins Klofter gehen konnte; aud mußten ihm 
alle Gültbriefe desjelden verabfolgt werden, Auf Kreuzerböhung wurden 
alle Heiligenbilder aus der Kloſterkirche entfernt, ſämmtliche Altäre ab: 
gebrochen und „ein abgöttijcher althar mitte in die kirchen gemacht, das 
rauf fie ihre nachtmal geben.“ In der Adventszeit 1563 Fam der 
Kanzler mit dem dermaligen Prediger des Klofters und den fürſtlichen 
Räthen, fowie dem nach Pforzheim bejchiedenen Vogt Sebajtian Hor— 
nold von Bietigheim, um die Nonnen in die „nümwe und feßerifche reli- 
gion des Lutterers zu incorporyren.“ —" Er entband fie von allen 
Kloftergelübden und den Höfterlihen Gebräuchen, und verkündete ihnen, 
daß überhaupt eine neue Ordnung im Klofter werbe eingeführt werden; 
hierauf Bielt ihnen Dr. Ruprecht eine ‘Predigt in gleichem Betreff und 
wurde ihmen jodann aufgegeben, immer nur deutſch zu beten, was fie 
aber nicht thaten. Auch auf fonftiges Zureden, das bei jeder einzeln 
verfucht wurde, namentlid in Betreff ihrer Verheirathung, gaben alle 
entſchieden abweifenden Beſcheid. Von den Büchern, welde die Nonnen 
erhielten, um ſich daraus zu belehren, wurde fein einziges gelefen. Weil 
die Nonnen nicht in deutſcher Sprache zu Tiſch beten wollten, jo aß 
der Amtmann fammt jeinem Gefind mit ihnen und verrichtete mit diefem 
abwechjelnd das Gebet; aber den Nonnen ift dabei „did weh vor lachen 
geichehen; denn er (dev Amtmann) hat eine folliche wieſte ſtimm gehept, 
als welt er un zerryßen und zerzerren.” Dem Dr. Dürr, der fie 
fragte, wie ihnen feine neuefte Predigt gefallen habe, worin er fie in bie 
Hölle verjegt, wurde von den Klofterfrauen wißig erwidert: „Mit wel: 
chem Maße er ihnen mefje, folle ihm wieder gemefjen werden.“ iner 
Predigt, die ihnen Dürr über den Eheftand hielt, folgte der einftimmige 
Beicheid der Nonnen, daß feine von ihnen einen Mann wolle. Wieder: 
holt wurde von ihnen darüber geflagt, daß immer jo viele weltliche Leute 


328 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


im Klofter geweſen feien; „bet ift der Kantzler mit ben reihen kumen, 
ve fein die predicanten zu ung kumen, yetz ift die Fürftin mit dem 
frawen kumen, fo bat die kantzlerin mit ihren Findern binen geffen und 
iſt den hinen bliben biß finfter nacht.” — Die Ankunft der kaiſer⸗ 
fihen Kommiffarien erregte im Kloſter große Freude, noch größere die 
Hoffnung auf baldigen Auszug aus demfelben. Die Bemühungen Acht: 
ſynits, die Nonnen zurüdzubalten, waren natürlich jetzt um fo weniger 
von Erfolg. Auf ihn ift die Aufzeichnerin aller dieſer Vorkommniſſe 
überhaupt nicht gut zu ſprechen; er fei, fagt fie, oft „in die Zellen ge: 
loffen von einer zur andern, als wer er unfinnig und hat fo ein unzüch— 
tig weßen und gebert gebept mit Füßen und lecken, fonderlich der jungen, 
und ift fein Zell geweien, er bat gewißt, wo ein jegliche Int, und bat 
ihn gar übel verdrofien, warn wir einander verhütt haben; — — er 
bat auch etwa die in dem convent gehen, und bat fich zu den aller: 
füngften geſetzt, und bat den ein follich Inchtfertig weßen geführt mit 
reden und guffern, und bat gefagt, fie follen zu pforken belyben, fo well 
er ihnen einen man geben und der gelychen.“ — Ueber die markgräf: 
liche Kommiffion, welche die Aufnahme des beweglichen Eigentums bes 
Klofters zu beforgen hatte, um darnach die den Nonnen zu Teiftende 
Entihädigung bemeffen zu können, wird weiblich gefcholten, weil fie ben 
Klofterfrauen gar nichts gelaffen habe; nicht einmal mehr ala 3 Kiffen () 
feien einer jeden geftattet worden, „Te haben unß das bunig genomen 
und den gebrenten wein, den eßig, keß, düre öpffel- und birenſchnitz, das 
unfchlit, das öl, birengefafft, und haben uns geftolen (!) böfen mit Tatt: 
wergen, auch loben mit lattwergen, das wir alles mit großer arbeit und 
mit großen Foften gemadyt haben, auch ſayffen; fie haben ung genoms 
men die düren fifch, als ſtockfiſch, blattyslin, den fped und den ſchmer; 
— — fie haben alle ding verbitfchirt, alle Feften, Famer, alle trög, all 
felter, fie ſyen Hein oder groß geweßen“ ꝛc. — „Da wir nun“, fo heißt 
es am Schluß diefer Aufzeichnungen, „uß dem clofter ſend kumen, da 
ift eine folliche menge volks zugeloffen jung und alt, daß ich all myn 
tag nit me volks gefehen hab. Da haben fie geweint; doch ift die Flag 
der armen über fie all gangen, und fend unf weit uß gefolgt. — Dies 
Alles und nody me, das zu vil zu ſchryben wer, ift unß begegnet in 
dißen acht jaren, doch aber diß letzt jar bat unß me und fchredlicher 
angriffen, und glaub ohne zwyffel, weren wir noch zu pforken, fo weren 
wir zerfterrt worden und weren nüme bey einander. Got dem allmäch: 


Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert, 329 


tigen ſy lob und ehr on end amen!“ — Go weit die Aufzeichnungen 
unferer Klofterfrau, die uns troß ihrer Befangenheit manche interefjante 
Blicke in die Klofterverhältniffe zur Zeit der Reformation thun läßt 

Durh die Gebäulichkeiten des nun aufgehobenen Kloſters wurde 
fpäter (1579) das anftoßende, von der Markgräfin Quitgarde 1322 er: 
richtete Spital (S. 118) erweitert. 1) Dabei wurde feftgefegt, daß 
darin 16 Herrenpfründen für männliche und weibliche Perfonen beftehen 
follten, zur Hälfte für Hof: und andere Bebiente, zur andern Hälfte 
für betagte fromme Leute aus der Markgrafihaft. (In dieſes Spital 
vermadte die Markgräfin Anna, die Mittwe Karls IL, 1586 bie 
Summe von 1000 fl.) Da eine bejondere Spitalfirche jetzt nicht mehr 
nöthig war, weil dazu bie bisherige Klofterfirche verwendet werden konnte, fo. 
wurde die Spitalfirche abgebrochen und an ihre Stelle bie Stadtmetzig er: 
baut. 2) Auch die übrigen Klöfter hatten ſchon andere Beitimmungen erhalten. 
Das Heiliggeiftfpital in der Bröginger Vorftadt verwandelte fich ebenfalls 
in eine Metzig, die fpäter abgebrochen wurde; die Dominikanerkirche 
wurde zur Stadtfirhe verwandelt ꝛc. — Gleich nad) Aufhebung bes 
Klofters der Dominifanerinnen 1565 ließ der Markgraf eine Erneue— 
rung der Gefälle desjelben vornehmen. 

Sind im Bisherigen viele geborene Pforzheimer oder Zöglinge der 


1) Akten Großh. Heil: und Pflegeanftalt. 

2) Vielleicht erhielt damals die Kloſter- nunmehr Spitalfirche ein neues 
Thürmchen, nämlich das noch vorhandene hübfche gothifche auf der Heil und 
Pflegeanftalt, an bie Stelle des alten Thurmes, wenn ein folcher überhaupt 
vorhanden gewejen war; denn das jegige Thürmchen ift jedenfalls nicht das 
urjprüngliche des ihon um 1250 (S. 74) in Pforzheim erbauten Frauenffofters, 
dba es ben fpätern gothiſchen Bauftil bes 15. oder 16. Jahrhunderts zeigt. Eine 
Weberlieferung will wiſſen, daß das Thürmchen der Heil- und Pflegeanftalt von 
einer andern Stelle, wo es früher geftanden, dahin verjegt worden fei. Es 
iſt Died möglih, und könnte fi die Sache jo verhalten, daß fi das Thlrm- 
hen früher auf der nahen Spitalfirche (unterhalb ber Kanne) befand und eine 
Berfetung besielben erfolgte, als diefe Kirche, wie oben erwähnt, abgebrochen 
wurbe. Bielleiht ift fragliches Thürmchen aud das bes frühern Heiliggeift: 
fpitals in ber Bröginger Borftadbt. Immerhin muß, wenn eine Verſetzung 
Kattfand, die Aufführung ber diden Grundmauer, welche das Thürmchen jett 
trägt, gleichzeitig erfolgt fein, ba Beides wie aus einem Cup ericheint. Auch 
pas ift möglih, da bei der Vereinigung der Gebäulicfeiten bes Klofters mit 
dem Spital gewiß auch verihiebene bauliche Beränberungen darin vorgenommen 


werben mußten. 


330 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


Pforzheimer Schule genannt worden, welche entjchiedene Anhänger und 
Beförderer der Reformation waren, fo mag auch eines eifrigen Gegners 
derfelben gedacht werben, als befien Geburtsftadt ebenfalls Pforzheim 
bezeichnet wird. Es ift dies der Dominikaner Dr. Wendelin Kabri, 
Derjelbe war um das Jahr 1520 Prediger im Nonnenklofter Zofingen _ 
bei Konftanz und wurde fpäter Generalvifar des Bisthums Konftanz. 
As folher follte er 1527 einem Neligionsgefpräh in Konftanz, das 
aber nicht zu Stande kam, anwohnen. Zwei Tage nachher, nämlih am 
10. Mai 1527, treffen wir ihn als Mitglied des geiftlihen Gerichte, 
welches den Frühmeßner Johannes Heuglin von Sernatingen in Meers: 
burg zum Scheiterhaufen verurtheilte, weil ſelbſt die Folter dem Un- 
‚glücklichen das Geftändnig nicht erprefien konnte, daß in Luthers Schrifs 
ten lauter verdammenswürdige Ketzerei enthalten jei. Won der Gefühl: 
loſigkeit Fabris zeugt fein Benehmen beim Verhör Heuglins. 1) — Nach 
einer St. Galler Handfchrift 2) hat er folgende Schriften herausgegeben: 
1. „Das ewig bail allen leſenden difen traftat wunſch ich Wendelinus 
von Pforczen prediger ordens lesmiifter der göttlichen geſchrift.“ Es 
ift ein Zraktat von dem Sakrament des Altars, und der Verfaſſer jagt 
davon in der Vorrede: „Diffe materi hab ich zu tail geprediget zuo 
Ravensperg in coena domini, und daz mertail zuo Gonftang in ſ. 
Catherinã Hofter genant  Zoffingen.“ Angehängt find diefer Schrift 
2. eine Predigt; 3. ein Traktat über die Meſſe und jo nod) verſchiedene 
andere Schriften und Predigten, 


$ 6. Berühmte Pforzheimer aus dem Weformationszeitalter. 


A. Johannes Unger. 3) 
(1482— 1553.) 


Zu denjenigen Pforzheimern, die fich nicht nur durch ihre Gelehrfam: 
keit, ſondern auch, wie wir bereits oben gejehen, durch die wichtige Rolle 


1) Bierordt, I, 283. 

2) Vergl. Schriften des badiihen Altertyumsvereins, L, 256. 

3) Hauptquellen: De Johanne Ungero, Pforzhemiensi, von Vierordt; 
Geſchichte der evangelifhen Kirche, v. Vierordt; Manuferipte des Landes: 
archivs u, j. w. 


Zmwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 331 


ausgezeichnet haben, welche fie zur Zeit der Meformation in der Ge: 
jchichte ihres Vaterlandes und zum Theil aud ihrer Vaterſtadt fpielten, 
gehört Unger. Diefer Grund, fowie der weitere Umftand, daß er der 
Jugendlehrer Melanchthons war, find hinreichend, ihm eine ehrenvolle 
Stelle umter den bedeutenden Männern zu fichern, welche feine Vater— 
ftadt hervorgebracht hat. 

Johannes Unger oder Ungerer wurde um dag Jahr 1482 zu 
Pforzheim geboren. Er ſtammte aus einem Geſchlecht, das zu den 
älteften der Stadt gehört und vielleicht fchon im 14. Jahrhundert fich 
in berfelben eingebürgert haben mag. (Im Jahr 1411 kommt vor: 
„Henslin Unger, der gerwer, Burger zu pforgheym“, 1480 Hans Unger, 
der wysgerwer; fpäter, nämlich 1519, finden wir einen Chriſtmann Ungerer, 
. einen Konrad Ungerer und noch viele andere diefes Namens), Nachdem 
er bie Schule feiner Vaterſtadt abjolvirt hatte, widmete er ſich dem 
Studium der Theologie und zugleich, wie dies die der Gottesgelehrtheit 
Beflifienen damals nicht felten thaten, auch der na Auf welder 
Univerfität dies geſchah, ijt nicht — 

Nah Vollendung feiner Studien wurbe — im Jahr 1504 
nach Bretten berufen. Dort war damals für den Unterricht der Jugend 
ziemlich fchlecht geforgt; denn die Stadt befaß mur einen einzigen Schul: 
meifter, der aber fo jehr an einer edelerregenden Krankheit litt (S. 202), 
dag mande Eltern Anftand nahmen, ihm ihre Kinder zum Unterricht 
amzuvertrauen. Aus diefem Grunde fah fih der Kaufmann und da— 
malige pfälziihe Schultheiß in Bretten, Johann Reuter, nad) einem ges 
fehicten Lehrer um, der feinem Enkel Philipp Schwarzerd oder Me— 
Tandthon und einigen andern Knaben die nöthige Unterweifung ertheilen 
follte. (Diefer Reuter, ein fehr unterrichteter Mann, war der Großvater 
Melanhthons von mütterliher Seite; denn feine Tochter Barbara hatte 
ben Bater Melanchthons, Georg Schwarzerd, welcher dag Amt eines 
pfälzifhen Geſchũtzmeiſters in Bretten beffeidete, zum Manne.) Einen 
zum Hauslehrer geeigneten Mann fand Reuter in Johannes Unger, 

Diefer verweilte zum Zwecke folchen Unterrichts drei Jahre lang 
(von 1504—1507) in Bretten und fand an dem beim Beginn desfel- 
ben erft fiebenjährigen Melanchthon wohl feinen ausgezeichnetften Schüler. 
Hören wir, wie diefer fpäter felbft über die Kenntniffe und die Lehrge— 
ſchicklichkeit feines Lehrers urtheilt. „Ich babe,” jagte er, „die Tateinifche 
Grammatik bei Johannes Unger, einem Pforzheimer, gelernt, einem ge: 


332 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


Iehrten und befcheidenen Mann, der mich mehr zum Reden und Unts 
worten getrieben hat, als mir damals lieb geweſen iſt; jet erfenne ich 
es dankbar, daß Unger gar nicht aufhörte, zu fragen.” Und an einem 
andern Ort fagt Melandhtbon: „Ih habe einen Lehrer gehabt, ber 
ein ausgezeichneter Grammatiker war, und mic ebenfalls mit Macht in 
die Grammatik hineintrieb. Fir jeden Fehler gab er mir Schläge, 
doch mit Mäßigung. Auf ſolche Meife machte er mid) ebenfalls zum 
Grammatiker. Er war ein vortreffliher Mann und liebte mich wie 
einen Sohn, ich ihn wie einen Water, obgleih er foldhe Strenge zeigte." 
In einem kurzen Bericht, welcher 1560 in Wittenberg als Melanchthons 
Nekrolog erfchien, ift Ungers ebenfalls gedacht und zugleicd auch, der 
raſchen Fortſchritte, welche Melanchthon unter feiner Leitung gemacht 
habe, Es heißt dort: „Da hielt ihnen Hang Reuter, ein feiner, vers 
ftändiger Mann, der ſelbſt ftudirt Hatte, einen befondern Pädagogum, 
Johann Hungerer, von Pfahlheim 1) genannt, der Iehret die Knaben in 
das Großvaters Haus mit allem Fleiß. Und lernete Philippus für 
Andere feine Grammatitam wohl, daß er fein fertig darinnen war. Da 
nun der Großvater den Fleiß fpüret, kauft er ihnen ein Miffal, damit 
ben Knaben neben anderer Lehr auch die Kirchengefänge eingebildet wür⸗ 
den; denn fie mußten ihm alle Feiertage mit zu Chor treten. Yu ber 
Zeit zogen die großen Bachanten?) im Lande hin und wieder. So 
denn Einer gen Bretta fam, fo betete der Großvater Philippum mit 
Disputation an ihn. Es war aber felten Einer, der ihn beftehen mocht. 
Das gefiel dem alten Mann faft wohl und hatte feine jonderliche Freud 
daran, Auch gewann der Knab große Luſt zum Studiren. So ließ 
es aud der Großvater an Büchern und andern Dingen nicht fehlen, 
damit der Knab ja nicht gehindert würde,“ 

Im Dftober 1507 ftarb der Großvater Melanchthons, und wenige 
Tage darauf folgte ihm der Vater des Knaben nah. Die Wittwe des 
Erfteren, die Schweiter Johann Reuchlins, verließ nun Bretten, kehrte 
in ihre Vaterſtadt Pforzheim zurüd und nahm ihre Enkel mit fih, um 
ihnen Gelegenheit zu geben, die dortige Iateinifhe Schule befuchen 
zu können. 


1) Irrthümlich, ftatt Pforzheim. 
2) Reifende Handwerksburſche des Lehrerftandes, die bald Ichrend, bald 
lernend, immer aber bettelmd oder fechtend die Welt durchzogen, 


Zwöolftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 333 


Im Jahr 1511 Lehrte auch Unger in feine Baterftabt zurüd, nachdem 
er, wie es fcheint, ben in Bretten angefangenen Unterricht mit andern 
Knaben bis zu diefer Zeit fortgefebt hatte. Der feitherige Rektor 
Georg Simmler in Pforzheim hatte nämlich einen Ruf als Lehrer der 
echte nad) Tübingen erhalten. An feine Stelle trat nunmehr Unger 
und befleidete diejelbe von 1511 bis 1524, alfo 13 Jahre lang, mit 
dem fchöniten Erfolg. Wie ihn ein inniges Band aud ferner mit 
feinem frühen Schüler Melanchthon verknüpfte, jo entitand auch bald 
das freundſchaftliche Verhältniß zwiſchen Unger und ſolchen Männern, 
deren Namen wir bei der Gefchichte der Meformation in unferm Water: 
lande fo oft begegnen. Zum Schulfollegen hatte Unger in den erften 
Fahren feines Rektorats den Johann Knoderer von Rottenburg 
welcher fpäter einen Ruf nach Württemberg erhielt und dort zur Würde, 
eines Kanzlers emporitieg (S. 194). 

Im Jahr 1524 übertrug Markgraf Philipp an Unger, der wohl 
des Sculftaubes fatt geworden war, wahrfcheinlih auf Verwendung 
Melanchthons, der um diefe Zeit feine Vaterftadt und auch Pforzheim 
befuchte , die Predigerftelle am Stifte dafelbft („die Predifanten-Pfründ 
am St. Mihaelsftift”). Sicherlich trug auch das Berlangen, im Sinne 
ber Meformation eine umfafjendere Thätigkeit zu entfalten, als dieſe 
zwifchen den vier engen Wänden der Schulftube möglih war, nicht 
wenig dazu bei, daß Unger ſich um erwähnte Stelle bewarb. Diefe 
Thätigkeit konnte eine um jo freiere fein, als Markgraf Philipp, wie 
das bereits oben ausführlicher auseinander geſetzt worden ift, damals 
manche reformatorifchen Beitrebungen begünftigte und unter Anderm auch 
ben Geiftlichen feines Landes Teine Schwierigkeiten in den Weg legte, 
wenn fie in den Stand der Che zu treten fich entichloffen. Diefen 
Schritt that au Unger im Jahr 1527 mit Genehmigung des Mark: 
grafen. Wie fehr ihm derſelbe gewogen war, erjehen wir daraus, daß 
Ungerer bald nachher (1529), als der Kanonitus Trutwein Mager zu 
Pforzheim geftorben war,» aus ber eimgezogenen Pfründe desfelben (zu 
Maria Magdalenen Altar) eine Gehaltszulage von 15 Gulden erhielt, 1) 
um auch ferner „Gottes Chr zu fördern und damit die Bürger zu 


N) Jenes Kanonikat ertrug 42 Gulden, bavon erhielt Ungerer 15, ber 
Stabtpfarrer zu Pforzheim 7 Gulden; bie Übrigen 20 Gulden follten nad ber 
Beſtimmung des Markgrafen zur Erhaltung des baufälligen Haufes verwendet 
werben, das zu biejem Kanonifate gehörte. 


334 Zwölftes Kapitel Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


Pforzheim an Verkündigung des heiligen Gottesworts nit Abgang haben.” 
Auch ſonſt gab ihm der Markgraf manche Beweife feines Wohlwollens. 
Daß Unger auch in Pforzheim fehr beliebt war, erhellt aus dem ehren: 
vollen Zeugniß, das ihm der Magiftrat dafelbft ausftellte: „Er ver: 
fiht ſyne Predigen mit höchſtem Fleiß, erpietet fi) ouch, alle tag abends 
zu Salve⸗Zyt ein freimil Stund ungeverlih ermanung und richtig zu 
thun, wie man ſich in diefen fterbenden Leuffen (S. 312) und fonft 
gegen Got den Herrn halten und mit getroftem Herzen wider den Tod 
fechten und fempfen fol.” 

Daß bei Markgraf Philipp in den Ietten Jahren feines Lebens 
eine mächtige Sinnesänderung vorging und er fait alle von ihm einge 
führte Neformen felbft wieder rüdgängig machte, ift oben fchon erzählt 
worden, ebenfo, wie mande der Lehre Luthers zugethane Geiftliche ver: 
folgt, ja ihrer Stellen entjeßt wurden, wenn fie es nicht vorzogen, die— 
felben freiwillig niederlegen. Auch Unger follte erfahren, daß man, wie 
Melanchthon fih darüber ausbrüdte, „um des Evangeliums willen auch) 
leiden müſſe.“ Mit feinem freunde und gleichgefinnten Collegen, dem 
kurz vorher nad) Pforzheim berufenen Pfarrer Wieland, wurde Unger 
gefangen nad) Baden, der gewöhnlichen Nefidenz des Markgrafen, ge: 
führt, um fich dort vor den Näthen besfelben feiner religiöfen Richtung 
wegen zu verantworten. Dies gefhah mit folhem Freimuth und ſolcher 
Unerfchrodenbeit und zugleich in jo bündig fchlagender Weiſe, daß Beide 
fogleich wieder freigelaffen und ihrer Aemter nicht entſetzt wurden. 

Eine rubige Zeit begann für Unger, als Markgraf Ernft feinem 
Bruder Philipp in der Megierung des babiſchen Unterlandes 1535 
nachgefolgt war und im Pforzheim feinen Sitz genommen hatte. Er 
trug auf Unger, nachdem er defjen perfönlihe Bekanntſchaft gemacht, 
die Achtung und das Wohlwollen über, das ihm bereits fein Vorgänger 
gezollt hatte. Den deutlichften Beweis bievon gab er Ungern 1542, 
Diefer hatte nämlich, weil zu befürchten ftand, daß feine Ehe von Sei: 
ten des erzbiſchöflich-ſpeieriſchen Orbdinariats angefochten werden möchte, 
ſich mit der Bitte an den Markgrafen gewandt, ihn, feine Frau und 
feine Kinder in feinen befondern Schub zu nehmen. In dem darauf 
erfolgten Erlaß des Markgrafen vom Chriftabend 1542 erflärte derfelbe, 
„daß wir dem Allem nad gnediglich und mildiglih betracht und erwo— 
gen Haben den getreuen Fleiß, Mühe und Arbeit und riften 
liche Wolmeinung, fo obgemeldter Hanns Unger mit Verfehung bes 


Zwolftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 335 


Predigambts in unſer Statt Pforkbeim fo lange Jahr erzeigt, und be 
wiefen hat, auch füro mit Gnaden und Hilff Gottes erzeigen und be- 
weiſen mag, wie er denn, fo lang ihm Gott Vermöglichkeit verleihen 
würdt, zu thon geneigt und erbüttig ift; und iſt auch genugſam kundt 
und wiſſen gemacht, daß es mit feiner Eh, mie oben gemelt ergangen, 
und dem Allem nach ganz unpilli were, daß gegen feiner Wohlthat 
getreuen Dienft und emfigen Vleiß, den er in Lermung bes 
hriftenlihen Volcks mit dem Worth Gottes erzeigt, feine Kinder, er oder 
fein Hausfram an ihrer zeitlichen Habe, jo Ihm Gott verliehen, follten 
durch einig Weg vernachtheiligt werben, und haben demnach, als ber 
Landsfürft und in Crafft unſer Tandefürftlihen Oberfeit, mit gutem zeit— 
lichem Rath wohlbebechtlih und us vielen redlihen gegründeten Urſachen 
ben obgemeldten Hannfen Unger, fein ehelich Hausfraw und Kinder 
in Unfer und Unfer Erben befondern Schub, Schirm und Vorſpruch 
empfangen und uffgenommen” ꝛc. — Am gleichen Tage erhielt Unger 
noch einen zweiten Erlaß des Fürften, werin ihm als Erſatz für bie 
Einkünfte des Kanonifats des Altars Petri und Pauli, die er bisher 
bezogen aber abgetreten hatte, „feiner Underhaltung, Leipfrund und 
Befoldung halben, auch Befferung und Merung derfelben, im Anjehen 
der merflihen Müe, Arbeit und Vleiß, fo er mit Verfündung 
des heiligen Wort Gottes 18 Jar lang in unfer Statt Pforkheim ges 
hapt,“ aus den Gefällen der Wallfahrtskirche der heiligen Jungfrau 
zur Eich in der Nähe von Wilferdingen (it 1560 eingegangen) jährliche 
100 Gulden zugewiefen wurden. Auch geftattete ihm der Markgraf, 
in dem Haus, das zum erwähnten Kanonikate gehörte und das Unger 
bisher bewohnt hatte, auch ferner bis an feinen Tod bleiben zu dürfen. 
Ueber die letzten Lebensjahre Ungers ift nichts Näheres bekannt. 
Im Jahr 1545 machte er in das Pforzheimer Almofen eine Stiftung 
von 50 fl., deren Zinfen zu feinem Gedächtniß jedes Jahr auf Martini 
an Arme ausgetheilt werden follten. Sicherlich hatte ſich Unger, als 
Melanchthon im den Jahren 1536 und 1541 von Wittenberg aus wie: 
derum Reifen in fein Vaterland machte, auch des Beſuches desjelben zu 
erfreuen, und es mochte dem Lehrer nicht wenig ſchmeicheln, daß fein 
früherer Schüler durch die Rolle, welche er bei der Neformation fpielte, 
zu folher Berühmtheit gelangt war. Daß Unger fortfuhr, das Wort 
Gottes rein und Tauter zu werfünden, erfahren wir von einem Ohren: 
zeugen, der 1541 durch Pforzheim Lam und über Unger Folgendes 


336 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


ſchreibt: „Ih babe in Pforzheim den alten Unger gejehen, diefen ” 
beiten und reblichſten Mann, und: habe ihn die reine enangelifche Lehre 
vom Sohn Gottes, unferm Herrn Jeſu Ehrifto, den Fürften und dem 
Bolt auslegen hören.” 

Die geſetzliche Einführung der Neformation in feinem Vaterland 
follte Unger nicht mehr erleben. Er ftarb im April 1553 in feiner 
Vaterftadt, nahdem ihm fein fürftliher Herr im Februar des nämlichen 
Sahres vorausgegangen war. Doch hatte er noch vor feinem Tod durch 
ben 1552 in Paflau abgefchloffenen Vertrag die freudige Gewißheit er- 
langt, daß der neuen Kirche ficheres Fundament gegeben fei. 

Bon den nähften Nachkommen Ungers ift mir nichts Näheres be— 
kannt. Ob der Superintendent in Pforzheim, Benedikt Unger, dem 
wir weiter unten beim Jahr 1601 begegnen werben, ein Sohn oder 
ein Enkel von ihm war, vermag ich nicht anzugeben. Das Geſchlecht 


der Unger oder Ungerer aber ift in Pforzheim bekauntlich no in as 
reichen Gliedern vertreten. 


B. Johannes Schwebel. !) 
(1490 — 1540.) 


Johannes Schweblin, gemöhnlid Schwebel genannt, wurde 
1490 in Pforzheim von vermögliden Eltern geboren. Diefelben ſtamm— 
ten aus Wafjerburg in Baiern.?) Von ihnen zum eifrigen Beſuch der 
lateiniſchen Schule feiner Vaterftadt angehalten, machte Schwebel ſchon 
in feiner Jugend die Bekanntſchaft Melanchthons, und es entfpann ſich 
zwifchen Beiden ein inniges Verhältniß, das auch fpäter noch fortdauerte, 
Im Jahr 1514 erhielt Schwebel in Straßburg die Prieftermeihe, mo: 
rauf er in das Klofter oder Spital des heiligen Geiftes zu Pforzheim 


) Quellen: Johannis Schwebelii vita auctore HenricoSchwebelio; 
Seckendorf, historia Lutheri, I.; Entwurf einer Kirchen- und NReformations: 
zefchichte von Zweibrüden, (Frankfurt 1784); Maji, vita Reuchlini; Lam pa⸗ 
dius, Beiträge, ©. 200 ff; deutſche Schriften von Schwebel, herausgegeben von 
ieinem Sohn (Zweibrüden, 1597); Iſelin, Lexikon; Vierordt, Geſchichte 
der’ evang. Kirche in Baben, J. x. 

2) Das Pforzh. Lagerbud von 1527 führt einen Hans Shweblin in ber 
Altſtadt auf; ein Schweble fommt in einem Müllerginsbudh v. 1519 vor. 


Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert, 337 


eintrat. Hier wurde er bald mit dem Guardian des Franziskanerkloſters, 
Konrad Kürsmer oder Pelikan, bekannt, und Schwebel ſcheint fich die 
aufgeflärten religiöfen Anſichten desſelben raſch angeeignet zu haben. 1) 
Auch zu Gerbel jtand Schwebel ſchon während feines Klofteraufenthaltes 
in den freundfchaftlichiten Beziehungen. 

Als Luther am 31. Oft. 1517 feine 95 Thefen gegen den Ablaß 
veröffentlicht hatte und ihnen bald auch noch andere Schriften folgen Tief, 
fing Schwebel, der längft für die dee einer Neformation begeiftert war, 
in Pforzheim 1519 im Sinne Luthers zu predigen an. Die nädjfte 
Beranlaffung zu diefem offenen Auftreten mag der väterliche Freund 
Schwebels, Pelican, geweſen fein, der ſich aber damals nicht mehr in 
Pforzheim befand, fondern in Bafel aufhielt. Ebenſo mag der Brief: 
wechſel, den er mit Melanchthon, damals Tängft in Wittenberg, führte, 
nicht wenig zu diefem Entſchluß beigetragen oder ihn doch darin beftärkt 
haben. Don diefen Briefen find manche noch vorhanden. 2) So richtete 
Melanchthon an Schwebel am 11. Dez. 1519 ein Schreiben, 3) worin 
er unter Anderm fagt: „m Juni ift mein Bote bei Euch gewefen. 
Du fragft nach unferm Studium? Im Sommer habe idy den Matthäus 
erflärt; ich würde Dir meinen Commentar darüber geſchickt haben, wenn 
ber Bote nicht fo fehr geeilt hätte. Die des Nömerbriefs bin ich 
Dir zu ſchicken bereit, Wenn ich doch mündlich mit Dir reden Könnte | 
Grüße Reuchlin und Caſpar (Gfafer) und alle Freunde! 11. Dez. 
1519." Mehrere andere diefer Briefe geben Zeugniß von dem engen 
freundfchaftlihen Verhältniß, das zwifchen beiden geiſtesverwandten 
Männern beftand. So theilte Melanchthon Schwebel im Vertrauen 
feine von Luther abweichende Anſicht über das heilige Abendmahl mit 
(1520), 4) und Melandython, defjen ängftliches und verfchloffenes Weien - 
befannt ift, würde ficherlich nichts Derartiges Luthern gegenüber, ben er 
fo unausfprechlich verehrte, geäußert haben, wenn der Empfänger bes 


1) Vergl. hier wie überall: „Geſchichte der Reformation in Pforzheim,“ 
S. 304 ff. 

2) Eie ftehen in Centuria epistolarum ad Schwebelium, 1597 herausgege: 
ben vom Sohn Schwebels, dem Kanzler Heinrih Schwebel. 

2) Dasſelbe ift überſchrieben: Philippus Mel. Johanni Schwebelio sacerdoti 
sancti spiritus, fratri suo carissimo, d. h. Philipp Melanchthon an Joh. 
Schwebel, Priefter des heiligen Geiftes, feinem geliebteften Bruder, 

) Der Brief ſteht Seckendorf, hist, Luth,, l. 303. 

Pflüger, Pforzheim, 22 


338 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


Briefes nicht in fo innigem freundſchaftlichem Verhältnig zu ihm geftan- 
den wäre. Bon leterm gibt aber auch noch ein weiterer Brief Melanch— 
thons vom nämlichen Jahr Zeugniß. Er fchreibt darin unter Anderm: 
„Du irrft, wern Du glaubft, mein lieber Schwebel, daß ich von irgend 
Jemand angenehmere Briefe erhalte, als von Dir, bdeffen Herz mir ſchon 
fo lange erprobt ift. Meine heimathlichen Freunde haben mich faft alle 
vergefien, aus den Augen, aus dem Sinn. Faſt bift Du nod ber 
Einzige, der am mich denkt. Die Studien find mein Troſt. Luther ift 
größer, als ih mit Worten ausdrüden kann; ich bemundere ihn mehr, 
als Alcibiades feinen Sokrates. Ich ſchicke Dir einen Brief von Hutten, 
Grüße Gerbel und Caſpar Glaſer.“ — 

Das erfte Auftreten Schwebels in Pforzheim zu Gunſten der 
Neformation fcheint indeffen nicht ganz den erwarteten Erfolg gehabt 
zu haben. Sei es, daß bie Gemüther dazu noch nicht gehörig vorbereitet 
“waren, oder daß Schwebel nicht mit der nöthigen Vorſicht und Klug: 
beit verfuhr, oder daß Markgraf Philipp feine Ueberzeugung nicht theilte 
ober doch Gründe hatte, ihr nicht zu folgen: genug, Schwebel mußte 1521 
auf markgräflichen Befehl Pforzheim verlafien und ſah ſich genöthigt, 
jenfeit3 des Rheins bei dem Ritter Franz von Sidingen auf ber Ebern: 
burg Schuß zu fuchen. In dieſer „Herberge der Gerechtigkeit”, wie 
die Reformationsfreunde Sickingens Burgen zu nennen pflegten, fanden 
auch Dekolampad und andere ähnliche Männer bereitwillige Aufnahme. ?) 
Dort fanden zwifchen ihnen und Sidingen, fowie den Rittern Ulrich 
von Hutten, Dieter von Dalberg und Hartmuth von Eronberg 
vielfache Befprehungen über Gegenftände politifher und religiöfer Natur 
ftatt, am benen Schwebel den eifrigften Antheil nahm. Einer der 
wichtigften Gegenftände ihrer Verhandlungen bildete die Meſſe. Sie waren 
zuerft uneins, ob diefelbe abgefchafft oder im deutſcher Sprache beibehalten 
werben ſolle. Zu letzterer, als einer vermittelnden Anficht, neigten ſich 
zufeßt die meiften der Anweſenden, was zur Folge hatte, daß Sickingen 
die deutſche Meffe auf allen feinen Gütern einführt. Die weitern 
Punkte, über welche namentlich die beiden Ritter Hutten und Sickingen 


2) Bekanntlich wurde auch Luther, als er zum Neichstag nah Worms 
reiste, von Sidingen eingeladen, auf der Ebernburg Sicherheit zu fuchen, 
wenn er es für nöthig fände; aber Luther machte von biefem Anerbieten feinen 
Gebrauch. 


Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16, Jahrhundert. 339 


Äh einigten, waren: 1. Einführung des Abendmahls unter beiden Ge 
Kalten; 2. Abſchaffung des SHeiligenkultus; 3. Abſchaffung der öfter: 
lihen Gelübde; 4. Abſchaffung des Cölibats. Daß Schwebel auch 
diefer Anſicht huldigte, geht aus einer Stelle eines Briefes hervor, wo 
er ſchreibt: „Daß ich die Meſſe deutfch leſe, halte ich für fein Ver— 
gehen, jhäme mich auch deſſen nicht und brauche das Licht nicht zu 
ſcheuen. Ich thue diefen Schritt öffentlich mit dem Wunfche, daß mir 
alle darin nachfolgen möchten, Unrecht war es either, daß diefe heilige 
Handlung in einer dem Laien umverftändlichen Sprache vorgetragen wurde. 
Warum foll denn der Inhalt der heiligen Schrift, den fie mit Andacht 
anhören, ein Geheimniß bleiben? Irre ich, fo bitte ich, daß die heilige 
Schrift mich auf den Pfad der Wahrheit zurücführe “ 

Während feines Aufenthaltes auf der Ebernburg machte Schwebel 
im Jahr 1522 in zwei Ausgaben ein Schreiben befannt, das Franz 
von Sickingen an den Vater feiner Schwiegertechter, den Ritter Diet: 
rich von Handſchuchsheim, gerichtet hatte und worin diefem feine Bedenk— 
lichkeiten gegen die Einführung dev Meformation genommen werden 
jollten. Schwebel begleitete diefe Schrift mit einem Vorwort an Georg 
von Leutrum zu Pforzheim. In demfelben (datirt won der Ebern: 
burg, 29. Juni 1522) lobt Schwebel jeines „lieben günftigen Junkers 
Georg Luthrumer” chriſtliches Gemüth, bittet ihn, die Pforzheimer Freunde 
der evangeliihen Wahrheit zur Standhaftigfeit zu ermahnen, und bes 
dauert, daß er (Leutrum) nicht Zeuge fei, wie eifrig Franz von Sickingen 
am Schickſal des Evangeliums Theil nehme. Die Sachen hätten ſich 
heutigen Tages feltfam verkehrt; ehemals feien die Laien über das Geſetz 
Gottes durch die Priefter unterrichtet worden; jegt müßten umgekehrt die 
Priefter durch fromme Ritter, wie Sickingen und Cronberg, an Gottes 
Gefe erinnert werben, 

Markgraf Philipp hatte ſich mit Schwebel ſchon 1522 wieder 
verföhnt, und es jcheint Tetterer im nämlichen Jahre entweder von der 
Ebernburg oder von Landftuhl aus, wo ihm Franz von Sickingen nad 
bereit8 erfolgter Ablegung feines Drdenskleides die Pfarrei übertragen 
hatte, einen Beſuch in Pforzheim gemacht zu haben. Wenigftens ift 
eine Schrift, die er herausgab und die von Hans Greiffenberg dafelbft 
gebruct wurde, datirt: „Pforzheim den 1. Chriſtmonat 1522, Dies 
ſelbe führt den Titel: „Ermanung zu den Uneftionirern (d. 5. Bettel- 
mönden), überflüjfige Koften abzuftellen.“ Auf dem —— des 


340 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


Titelblattes ift der Papft mit der dreifachen Krone abgebildet, und zwar 
binter einem vollen Sad ftehend , der die Auffchrift trägt: „Umb gelt 
ein Ablaß, zu vwerfundigen gegen gelt.“ Nicht weit davon ſchwingt ein 
Knabe in jeder Hand eine Schelle; zur Seite fteht eine gefüllte Geld: 
fifte und niet ein Bauer, der Ablaß verlangt und dafür einen Hahn 
und, wie es fcheint, ein neben ihm Tiegendes Schwein bietet. Diefe 
Schrift, eine der intereffanteften und befannteften Schwebels, beginnt mit 
den Worten: „Den würdigen, andechtigen Herren, fo wegen der armen 
und fpitalen gunft balten (d. h. kollektiven) und Almuefen fammeln, 
wünjchet Joannes Schweblin, Diener der armen, gnad und frieben 
Gottes.” Der Schrift jelbft entnehmen wir folgende Stelle: „Für 
die Armen zu forgen und zu fammeln ift Pflicht, befonders aber derer, 
weldhe dazu geſetzt find. Letztere haben ſchon die Apoftel verordnet, die, 
mit dem Worte Gottes befchäftigt, der Tiſche nicht warten konnten. 
Noch jett gibt das Volk willig für die Armen; aber es kommen oft 
Unmwürdige, welche recht gut arbeiten könnten. Die römifche Gewalt 
läßt zu, daß Almoſen gefammelt werden, und wir reiten mit ſchwerer 
Zehrung gen Rom, zahlen dort die Kopiften, Notarien, Sefretäre und 
viele hundert Dufaten in des Papftes Kammer für ein Pergament mit 
angehängten Blei, darin wir als päpftlihe Bevollmächtigte auf einige 
Sabre beftellt werden zur Einziehung des Ablaſſes. Aber wozu bie 
großen Koften, aus fremdem Land Erlaubnig zu holen? Jeder darf 
in Nöthen Almojen ſammeln, und wozu römifchen Ablaß?  Chriftus, 
unfer lieber Herr und Seligmacher, hat uns genugfam angezeigt ben 
höchſten Ablaß: Ihr habt mic, gefpeist, gefleidet, geträntt. Was wird 
Chriſtus zu denen fagen, die ſich zueigen, was den Armen gegeben 
wird? Das gefammelte Ablafgeld gebört den Letztern. — Wer den 
Bann des Papftes fürchtet, der vernehme, was Chriftus zu einigen 
Jüngern fagte, die gegen eine famaritifhe Stadt Feuer vom Himmel 
verlangten: Des Menſchen Sohn ift nicht gekommen, zu verderben, 
fondern felig zu machen, was verloren it. Die Summe für päpftliche 
Bullen fteigt je mehr und mehr; bei jedem neuen Papft muß die Eon- 
firmation der vergebenen Freiheiten friſch bezahlt werben mit vielem 
Gelbe, und doch fagt Ehriftus: Meine Worte werden nicht vergehen! 
Wollte man einmwenden, folche Botichaften und Gunften find nothwendig, 
damit nicht Einer aus eigener Gewalt fich deffen anmaße, fo entgegne 
ih: Aber nicht ſoll e8 mit fo großen Koften gefchehen, Die Gelder, 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 341 


welche die Biſchöfe und Prälaten einfteden, follen den Armen zukommen. 
Für ein Mandat muß man dem Biſchof 40 Gulden bezahlen oder auch 
mehr; dann fommen aber erft noch Pfarrer, Frühmeßner, Kaplan, Schul: 
meifter, Meiner, Eolleftores u. dal., welche alle ihre Jura haben und 
von dem Bettel reich werden wollen. Wenn ein Tyrann die Armen 
beraubte, würde Jedermann Mord über ihn fchreien. Dazu kommen 
nod) mancherlei Stationiver, die das unverftändige Volk verführen, aus: 
gelaufene Mönche, die für einen alten Bilbſtock ſammeln, der gut fein 
fol gegen Peftilenz ıc., der ein Mittel fein foll gegen wüthende Hunde ꝛc. 
Kurz, von 1000 Gulden, die gefammelt werden, kommen vielleicht nicht 
10 an die Armen. Bedenket das wohl, auf daß es anders werde.” 
Man fieht ſowohl aus einzelnen Stellen diefer Schrift, als aus der ge: 
nauen Kenntniß, welche Echmebel über das ganze Weſen hat und an 
ben Tag legt, daß er jelbft Meifter vom Fady und wohl eine Zeitlang 
Dueftionirer geweſen war. 

Im Jahr 1523 erbielt Schwebel einen Auf nad Zweibrücken, 
wo Pfalzgraf Ludwig IT. ihn zum Supertntendenten ernannte und ihm 
das Geſchäft der Neformation in Luthers Sinn und Geift auftrug. Um 
fiher zu fein, nichts Voreiliges oder Unbefonnenes zu thun, berieth er 
ſich vorher forgfältig mit Johann Sturm aus Straßburg, diefem 
gelehrten Mann und eifrigen Meformationsfreunde, nub eine foldye 
Mäßigung war um fo nothwendiger, als nad) dem Tode Ludwigs II. 
von Zweibrüden defien Bruder Ruprecht die Vormundſchaft für den 
minderjährigen Sohn Ludwigs, Wolfgang, übernahm und fih mit Ein 
führung der Reformation nicht übereilte. 

Schwebel befuchte auch im darauffolgenden Jahr 1524 feine geliebte 
Vaterſtadt wieder, und hielt daſelbſt in der Spitalfirhe am Sonntage 
Misericordias eine Predigt, die in mehreren Auflagen unter dem Titel: 
„Vom guten Hirten“ gedruckt wurde, ine bderfelben ift von einem 
Briefe des Schwebel innig befreundeten Nikolaus Gerbel in Straßburg 
begleitet, worin berjelve feine ewangelifch gefinnten Landsleute in Pforze 
beim auffordert, der einmal erkannten Wahrheit treu zu bleiben. Die 
Bredigt (über Joh., 10) fpricht won der Pflicht des Predigers, bie 
Sünde feines Standes zu verfhonen, vom Unterſchied zwiſchen dem 
Hirten und dem Miethling, der ſich feldft, nicht die Schafe weide, ihnen 
aber ſchwere, ja unerträgliche Laften auflege. „Der gute Hirte Jeſus 
Chriſtus aber läßt frei die Speije, welche Gott gefhaffen hat, bindet 


342 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 


ung an feinen Tag und feine Zeit. Wehret auch nicht, ehelich zu werben 
den Geiſtlichen, ſuchet nicht zeitlihe Ehre und Herrſchaft; denn Chriſtus 
bat fein Leben gelafien für die Schafe, hat genug gethan für die Sün- 
den der Welt, wovon ich nächſt Freitags geredet habe, 1) warne vor 
ben Blinden, die Andere leiten wollen und mit ihnen in die Grube 
fallen, Die „Miethling“ aber werfen auf, etliche den Bernharbum, 
etliche den Franzisfum, die dritten den Dominifum u. dgl., daven fie 
fidy nennen, obgleich nicht diefe für uns geftorben find.” Am Schluſſe 
der Predigt heit es: „Ich acht, liche Freund und Brüder, daß Gott 
gewollt hat, daß ich noch eins bei euch predigen jollt, wie jegund ge: 
ſchehen ift, und eben das Evangelium, damit ich euch ermahnt, bei dem 
Hirten zu bleiben, weil ev euch wiederum heimgeſucht und fein Wort 
euch mittheilt, Iſt meine Bitte um Gottes willen, ihr mwollet bei dem 
Evangelium bleiben und Niemand Tafjen abwenden; ob mir ſchon Gott 
die Gnade nicht mehr thut, daß ich bei euch Fönnte predigen, will ich 
jet ermahnt und gebeten haben, bei göttlicher Wahrheit zu bleiben und 
Gott für mich zu bitten, daß idy im rechten Glauben bleibe, will ich 
auch thun für euch. Hiemit Gott befohlen, Amen.” 

Daß Schwebel mit dem Markgrafen Philipp jet auf beftem Fuße 
ftand, gebt daraus hervor, daß er auf Verwendung besfelben, ala er 
fid) no im Jahr 1524 verehelicyte, einen großen Theil des Vermögens 
zurüd erhielt, weldhes er einft als junger Möndy feinem Klofter in Pforz: 
beim zugewendet hatte. Schwebel hatte indeſſen den Markgrafen, mit 
dem ihn das Schickſal mehrfach zufammenführte, durch und durch erkannt, 
und ihm in einem Briefe, indem er ibm zu feinen Neformen Glüd 
wünfchte, zugleich auch die Warnung zugerufen : „Ne respiceres Aegyp- 
tum“, d. h. daß er fich nicht nach den Fleiſchtöpfen Aegyptens umſehen 
jolle. Der weitere Verlauf der Reformation in Pforzheim beweist, wie 
gegründet diefe Warnung war. 

Sein wichtiges Amt als Superintendent in Zmeibrüden beffeidete 
Schmwebel mit treuen Fleiße bis zu feinem Tode, welcher am 19. Mai 
1540 erfolgte, nachdem er namentlic eine Reihe von Jahren hindurch 
in freundfchaftlichitem Umgang mit Johann Bader, dem Stabdtpfarrer 
zu Landau , gelebt hatte. Von feiner ſchriftſtelleriſchen Thätigkeit und 


1) Beweis, daß Schwebel während biefes Aufenthaltes in Pforzheim nicht 
nur ein Mal daſelbſt geprebigt hat. 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 343 


ber ausgebreiteten Korrefpondenz, weldye er. führte, zeugt eine größere 
Anzahl von Schriften, die er theils felbft herausgab, theils fein ältefter 
Sohn Heinrich zum Drude beförderte, 

Der Nachfolger Schwebels in Zweibrüden wurde aud wieder ein 
Pforzheimer, Kaſpar Glajer (S. 195), den er 1532 als Lehrer 
und Erzieher des noch minderjährigen Herzogs Wolfgang dahin berufen 
hatte, 

Was den Charakter Schwebels betrifft, fo zeigte fich derſelbe ftets als 
ein milder und verföhnlicher, und um des lieben Friedens willen war Schw, 
oft mehr zur Nachgiebigkeit geneigt, als feine Freunde billigen wollten. 
So wurde er von Gerbel, ald er 1521 eine Schrift herausgeben wollte, 
deren Drud diefer bejorgen follte, wegen ber darin enthaltenen Stelle: 
„Damit will ich dem Papſt feinen Ablaß nicht verworfen haben“, ges 
tadelt und von Gerbel aufgefordert, diefelbe zu ftreihen. Daß er auf 
ber Ebernburg nicht für Abſchaffung der Meffe ftimmte, ift bereits er: 
zählt worden. 

Unter den Theologen feiner Zeit nahm Schmwebel eine bedeutende 
Etelle ein. Sein Lieblingsftudium war das Hebräifche, weshalb er oft 
mit Juden verkehrte, was ihm die Katholiken nicht wenig zum Vorwurf 
machten, indem fie fagten, er fite des Sabbaths unter den Juden und 
lehre das Volk das Judenthum. Seine freiern Anfichten über manche 
theologiſchen Streitpuntte brachten ihn fpäter bei den Lutheranern in 
ben für die damalige Zeit entietlichen Verdacht, daß er ein Zwinglianer 
fei. Daß er fi) namentlih in Bezug auf die Lehre vom heiligen 
Abendmahl mehr der Auffaflung der reformirten Kirche zumeigte, gebt 
aus mehreren Stellen feiner Schriften und fodann auch daraus hervor, 
dag er die damit” ziemlich übereinftinnmende Confessio tetrapolitana, 
d. h. das von den oberdeutichen Neihsftädten Straßburg, Konftanz, 
Memmingen und Lindau dem Kaifer auf dem Reichstag in Augsburg 
1530 neben der Augsburger Eonfeffion noch befonders überreichte Glau— 
bensbefenntnig förmlih annahm. Don allem Warteieifer und Partei: 
haß war er aber weit entfernt, und wollte auch weder lutheriſch noch 
paulinifch heißen; nur ein Chriſt wollte er bleiben; „denn“, fagte er, 
„wicht Luther ift für mic) geftorben, fondern Chriſtus.“ 

Mas die Familie und Nachkommen Schwebels betrifft, jo ift feines 
älteften Sohnes Heinrich, der zweibrüdifher Nath, fpäter Kanzler 
wurde und nicht nur feines Vaters Briefwechfel herausgab, fondern auch 


344 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhunbert. 


beffen Leben befchrieb, mehrfah erwähnt worden. 1601 Tebte Joh, 
Ludw. Schwebel, zweibrüdifcher Beamter; 1) 1777 ftarb Nilol. 
Schwebel, ein Gelehrter aus Nürnberg, Rektor an der Schule bafelbfi 
und zu Ansbach, welcher mehrere Werke herausgab; — 1778 bis 1782 
war Friedrich Schwebel Pfarrer zu Bijchweiler. 2) Der franzö— 
ſiſche Generalkonſul in Tripolis 1833 hieß Schwebel.3) In Pfory 
beim jelbft ift das Geſchlecht der Schwebel längit erlofchen, 


C. Nikolaus Gerbel.?) 
(1490— 1560.) 


Nikolaus Gerbel war um 1490 in Pforzheim geboren und ber 
Sohn eines Malers daſelbſt. Er befuchte in feiner Jugend bie fo be- 
rühmte Schule feiner Waterftadt und begab fich fpäter zur Fortfegung 
feiner Studien nad Köln. Schon damals (1507) knüpfte er einen 
lebhaften Briefwechjel an mit Tritheim, dem berühmten Chroniften von 
Hirſchau, 5) wie er denn auch fpäter in beftändigem fchriftlichen Verkehr 
mit faft allen ausgezeichneten Männern jeiner Zeit ftand. — Bon Köln 
ging Gerbel nah Tübingen, wo er 1508 Magifter wurde, 6) und kehrte 
dann auf eine Zeit lang nach Pforzheim zurüd, wo er an der nämlichen 
Schule, der er früher als Schüler angehört, und an welcher damals 
Simmler und Lift wirkten, nunmehr auch als Lehrer thätig war. Um 
feinen Kenntniffen einen noch weitern Umfang zu geben, begab er fich, 
mit Empfehlungen feines väterlihen Freundes Reuchlin, namentlih ar 
den ausgezeichneten Juriften Erifpinian verfehen, 1512 auf die Univer: 
fität nah Wien, Er fcheint zuerft unfchlüffig geweien zu fein, welchen 
Studien er fi) vorzugsweife hingeben ſollte; denn er ſchreibt an Pfing- 
ften 1512 von Wien aus an Reudlin: 7) „Sch erwarte, was Du aus 


ı) Rulmann, Geſchichte von Bijchweiler, ©. 33, 136, 

2) Ebenpdafelbft, S. 116 und 139. 

3) Greuzer, zur Gefchichte altrömifcher Kultur, ©. 105, 

#) Quellen: überall angegeben. 

5) Siehe die zwei Briefe in Trithemii Abbati Spanhemiensis epistolarum 
familiarium libri duo, Hagenau, 1536, ©. 273; Jung, Beiträge, IL, 19. 

s) Erufius, ſchwäb. Chronik, II., 368. 

7) Der Brief fteht in: virorum illustrium epistolae ad Joh. Reuchlin, 
lib I., Tub, 1514. (Jung, Beitr, IL, 195.) 


Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 345 


mir machen willft. Soll ich die Griechen ftudiren? Sol ich Platoniker 
werden? Soll id den Livius leſen?“ — Sein Hauptftudium jcheint 
aber nunmehr die Nechtswilfenfchaft geworden zu fein, in welcher er fo 
glänzende Fortſchritte machte, daß er in Wien felber, wenn auch nur 
vorübergehend, den Lehrſtuhl befteigen konnte. 1) Auch trat Gerbel icon 
damals als Schriftfteller auf 2) und begann damit eine Laufbahn, auf 
welcher er in der Folge eine ungemeine Fruchtbarkeit entfaltete. Nach 
zweijährigem Aufenthalte in Baſel (151% und 1515) ließ fi Gerber 
in Straßburg als Rechtskonſulent nieder. Schon früher war er außer 
mit dem fchon erwähnten Tritheim auch mit Ulrich von Hutten in 
literariſche Verbindung getreten, welcher ihn zu den hauptjächlichiten Bes 
förderern der klaſſiſchen Studien zählte, 3) ferner mit dem Freiburger 
Juriſten Zafius, welder ebenfalls höchſt ehrenvoll über ihn urtheilt, #) 
ebenfo mit feinem Augendfreunde Melanchthon und mit Erasmus 
von Rotterdam, der ſich in einem Briefe 3) alfo über Gerbel ausſpricht: 
„Seit manchem Jahr habe ich an feinem Umgang mehr Freude gehabt, 
als an feinem, und von keinem Menjchen verjpreche ich mir Größeres, 
als von „Beatus Rhenanus und von Gerbel.“ 

In Straßburg entwidelte er neben den Geſchäften, welche fein 
Beruf mit fi bringen mußte, und zu denen auch die Löſung der 
Rechtsftreitigkeiten des dortigen Domitiftes gehörte, eine erftaunliche 
wiſſenſchaftliche Thätigkeit, namentlich auf den Gebieten ber alten Hlaf: 
ſiſchen Literatur und der Geſchichte, und gehörte fhen 1518 zu den 
berühmteften Männern feiner Zeit. So gab er in den Jahren 1515 
und 1516 unter Anderm Ovids Metamorphofen, (Straßburg bei 
Shurer) und den Terenz heraus. Als Luther das Werk der Refor: 
mation begann, gehörte Gerbel zu denjenigen Männern, welche fich als— 
bald mit großer Entſchiedenheit auf die Seite des fühnen Mönches in 
Wittenberg ftellten und überhaupt an den Neligionsangelegenbeiten jener 
Zeit den eifrigften Antheil nahmen, Aus diefem Grunde lag er mit 
Ausdauer dem Studium de3 neuen Teftamentes, der Kirchenväter und 


2) Bergl. Denis, Gefchichte der Wiener Buchbruderei, 1782, 

?) Denis, Gefhichte ber Wiener Buchdruckerei, S. 85 und 192, 

3) In der Vorrede zur erften Ausgabe des Livius (Mainz, 1518), welche 
in Deutſchland erſchien. 

4) Riegger, Udal, Zasii epist. S. 279 und 284. (Jung, H., 194.) 

e) Röhrich, Reformationsgefchichte des Elfahes, J., 126, 


dr 


346 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 


der neuern theologischen Schriften ob, vielleicht auch mit zu dem Zweck, 
um feinen Freund und Lehrer Reuchlin in den Verfolgungen, welche 
diefer damals auszuftehen hatte, nicht nur mit feiner Jurisprudenz und 
feinen bumaniftiihen, ſondern auch feinen theologiihen Kenntnifien um 
fo Fräftiger unterjtügen zu "Können. Noch mehr als alle Straßburger 
Theologen ſetzte er fi mit den Wittenberger Neformatoren in engfte 
Verbindung, und er war es hauptfächlihh, der burdy Verbreitung der 
Schriften Luthers gemeinshaftlid mit Math. Zell in Straßburg am 
meiften dazu beitrug, am Oberrhein die Gemüther für die Kehren 
Luthers zu gewinnen, Dies gefhah vorzüglich dadurch, daß alle Schrifr 
ten Luthers, um die große Nachfrage zu befriedigen, nachgebruckt wurden, 
und zwar oft wenige Wochen nad dem Erſcheinen des Originale. Mit 
ben Straßburger Geiftlichen, mit Ausnahme des erwähnten Matth. Zell, 
war übrigens Gerbel nicht zufrieden; er fchreibt darüber an Schwebel: 
„Hier in Straßburg find wir in zwei fich haſſende Parteien getheilt. 
Straßburg ift mein Tod; nur Wenige haben EChriftum lieb; nur ein 
Prediger (Zell) predigt das Evangelium; die anderen find Falt.“ 1) 
Sein freundichaftliches Verhältniß zu Schwebel zeigt ein ſchon früher 
(Juli 1519) am denfelben gefchriebener Brief. Gerbel fagt darin 
u. 9: „Wenn Du aud über mein Nichtichreiben Llagft, jo bin ich 
doch Dein alter Freund, befonders da Du von Kindheit an zu meinen 
Freunden gehörft. Schreibe mir von Deinen Studien nnd grüße den 
Meifter (nämlic des Heiliggeiftfpitals, in welchem fih Schwebel damals 
noch befand, wahrfcheinlih Hütlin, S. 187) und Deine Brüder dafelbft }“ 

An Luther fchreibt Gerbel (18. Mai 1521), als jener auf dem 
Reichstag in Worms war, einen Brief voller Liebe und Theilnahme; 
aber berjelbe fcheint Luthern erft auf der Wartburg zu Handen gefoms 
men zu fein. 2) Mit deffen übrigen Freunden mar Gerbel übrigens in 
größter Angft über Luthers plötliches Verſchwinden bei der Nüdreije von 
Worms, wurde jedoch von Luther in einem Brief, ben er unterm 
1. Nov. von der Wartburg aus an Gerbel fchrieb, beruhigt. Er ver 
ſprach, ihm feine neueften Schriften durch Spalatin zu fchiden und 
wünſchte ihm Glück zu feiner neulich vollzogenen Heirath. Luther wurde 


1) Kung, Beiträge, IL, 61. 
2) Seckendorf, hist. Luth., V,, 361. 


Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16, Jahrhundert 347 


fpüter auch Pathe feines erftgebornen Sohnes. 1) Noch im Jahr 1521 
beforgte Gerbel eine Ausgabe des neuen Teſtamentes im Urterte (Has 
genan in 40), da die Nachfragen nach diefem Buche kaum zu befriedigen 
waren. Mit Eifer befämpfte er im ber Vorrebe den Grundſatz, daß 
es-in ber hriftlichen Lehre Geheimmifie gäbe, welche der Menge nicht 
mitgetheilt werden könnten, weil fie nicht empfänglid, dafür fei, und führt 
bagegen an, daß Ehriftus ja much feine befeligende Lehre vor Fiſchern 
u. dgl. gepredigt habe. 

Ein abermaliges Schreiben Luthers an Gerbel ift vom 29, März 
1522 batirt, „Ohne Zweifel“, beißt es darin, „ift mein Brief aus 
der Wüfte (Martburg) Dir durch Phil. Melanchthon zugeſchickt worden.” 
Luther erzählt in biefem Briefe unter Anderm, daß er in Wittenberg 
babe Ruhe ftiften müflen. Im nämlichen Jahre Tieß Gerbel als Frucht 
feiner theologiſchen Studien der Kirchenväter die Schriften des Hermas 
in Straßburg druden 2) und fuhr auch fonft fort, die Schriften Luthers 
in Straßburg, Hagenau und: zum Theil auch in Baſel ſo ſchnell als 
möglich burch die Preſſe vervielfältigen zu Iafien. Wie er dadurch der 
Sache ber Reformation vortreffliche Dienfte leiftete, fo nahm er fi 
auch willig der Anhänger der Reformation an, wie unter Anderm ein 
Empfehlungsbrief beweist, den er einem Geiftlihen an Zwingli mitgab. 
„Der Mann“, fehreibt Gerbel, „ift lange im Gefängniffe gewefen und 
wohl im Stande, fih, Frau und Kinder mit Hülfe einer Lehrftelle 
burchzubringen.“ 3) Wie umfaffend die Studien Gerbel® waren, zeigt 
eine Stelle aus einem Briefe von 1523, worin er felber fagt, daß er 
ſich jetzt am liebften mit dem Hebräifchen befchäftige im Verein mit 
feinem liebſten Straßburger Freunde Hebio. *) 

Mit Luther fand Gerbel auch in den folgenden Fahren in un— 
unterbrochener Korrefpondenz. Betrafen ihre Briefe meift theologifche 
Gegenftände, jo einige derjelben bie Verirrungen Karlftadts, den Luther 
des Chrgeizes beſchulbigt 9) und den Gerbel den Verläumder Luthers 
nenmt: fo blieben auch ihre gegenfeitigen bäuslichen Verhältniſſe darin 


ı) Röhrich, I., 309. 

2) Jung, Beitr. 

2) Säuler, I, 12. 

*) Centuria epist, theol. ad Schweb., p. 38. 

5) Luthers Werke, herausgegeben von Wald, XV., S. 2445, und 2452. 


348 Awölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert. 


nicht unberührt, Ms Gerbel fi im Jahr 1525 zum zweiten Male 
mit einer gewifien Dorothea (es ift nichts Weiteres über fie bekannt) 
verbeirathete, erhielt Luther fogleih Nachricht davon, und fchrieb deshalb 
an Gerbel: 1) „Grüßet Eure Frau und bittet fie mir auf Pfingften 
zur Gevatterin, wo es ein Töchterlein iſt; ift es aber ein Söhnlein, ſo 
müßt Ihr Gevatter fein, wo Ahr mich deſſen würdig achtet.” (Der 
Sohn hieß Johannes und murde des Vaters Liebling.) Und 1527 
fchrieb wiederum Gerkel an Luther: „Sch bin wohl und erwarte näch— 
fer Tage Segnung vom Herrn; denn meine Gattin ift in Hoffnung, 
und ich weiß nicht, welche nahen Freuden, welde Süßigfeit fie mir ver 
fpricht. Wenn das Ereigniß mit göttliher Gnade gut vorüber gebt, 
was gibts, fage mir, Glücklicheres und Erhabeneres, als Gerbel?“ 
Als Probe des derben Briefſtyls Gerbels , defien er ſich manch Mal 
bediente, wenn er an Bekannte fchrieb, mag folgende Stelle aus einem 
Schreiben an Luther vom 23. März 1525 dienen: „Zu ganz ger 
legener Zeit haft Dur mich, mein Luther, gemahnt, mich nicht darüber zu 
wundern, daß, wenn wir unfere Mannſchaft aus dem Lager führen, ber 
närriſche Satan fogleih auch Alles in Bereitichgft jet, um das Volt 
Gottes zu bekämpfen. Wie wenn er (der Satan) nicht wüßte, daß die 
Evangelifhen durch den heiligen Geift aufs Befte gepangert feien, und 
daß derjenige, der recht hinterliftig zu fein meint, gerade zu allererft in 
die Grube fällt! Als Du vor einigen Jahren die römifchen Priefter 
und den ganzen römiſchen Sklaventroß derb durchbechelteft, wie fie es 
verdient hatten, da war ihnen das body etwas zu hart” ꝛc. — In einem 
andern Brief vom 21. Oft. 1530 mit der Aufichrift: „Dem durch 
Frömmigkeit und Ausdauer ehrwürdigen Mann Martin Luther, dem 
Beichüger, feinem Gevatter, feinen freundlichiten Grup Nikol. Gerbel,“ 
ermahnt er am Schluffe Luthern zur Standhaftigkeit mit den Worten : 
„Bleibe Dir glei, wie Du Dir bisher beharrlich gleich geblieben bift, 
und laß Dich durch Feine Menfchengunft von Gottes Gnade abwenden,“ 
Einer der legten Briefe Gerbels, vom 1. Auguſt 1544, ift an Meland: 
thon gerichtet. Er empfiehlt deinfelben darin einen jungen Mann, Na- 
mens Hieron. Bopp, der im Begriff war, die Univerfität Wittenberg zu 
beziehen. 


ı) Wald, XXL, 1004. 
2) Schadaei, epist. de re sacramentaria, 1, 


—ñN 
E20 


3 


Zwölftee Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert. 349 


Das Amt, das Gerbel in Straßburg zuletzt bekleidete, war das 
eines Profeſſors der Geichichte, worin er, wie in manchen andern Wiſſen⸗ 
ſchaften, gründlich bewandert war. Auch die Muſe ſeines Vaters war 
ihm hold, und wenn er ſich von den Sorgen eines ſo vielfach thätigen 
Lebens zurückziehen konnte, fo füllte nicht ſelten die ſtille Beihäftigung 
mit Malerei feine Stunden aus, wie aus manchen feiner Briefe an 
Luther und aus einer gemalten Anſicht von Genua hervorgeht, mit der 
er, als dem Werke feiner Hand, 1540 auf dem Tage zu Hagenau 
einen feiner Gönner (ben franz. Geſandten Baif) befchenkte. 1) Gerbel 
ftarb in hohem Alter zu Straßburg den 20. Januar 1560, 

Auf den Charakter und die Gefinnung Gerbels laſſen fich ſchon 
aus dem Bisherigen, namentlich aus den mitgetheilten Bruchſtücken 
feiner Briefe, mande Schlüffe ziehen. Unter allen Straßburger Ge: 
lehrten, die zur Zeit der Neformation lebten, zeichnete fich Feiner jo fehr 
durch Eifer und Thätigkeit aus, als Gerbel, ber neben feinem Nechte- 
ftudium aud die tbeologiihen Wiffenihaften in dem Umfang, den bie 
Reformation ihnen gab, emfig verfolgte. 2) Er war einer ber eifrigiten 
Beförderer der Reformation und bing mit glühender Verehrung nament: 
ih an Luther. Von feiner Entſchiedenheit in Abſchaffung der kirchlichen 
Mißbräuche zeugt fein Brief an Schwebel, worin er diefem über bie 
Heußerung: damit will ich dem Papſte feinen Ablaß nicht verworfen 
haben — gegründete Vorwürfe macht. Wegen feiner Gelehrfamteit und 
feinen unermüdlichen wifjenichaftlichen Beftrebungen ſowohl, als wegen feiner 
Zuverläffigkeit und Nechtichaffenheit ftand er bei feinen Zeitgenoſſen, 
namentlich denjenigen, welche der Neformation zugethan waren, in höchſter 
Achtung. Einen Beleg dazu liefert die allgemeine Entrüſtung, welche 
darüber entitand, daß ein Ungenannter in einem Buche Über die Rhe— 
torit Gerbel als Beiſpiel eines Kirchenräubers Hingeftellt hatte. Gerbels 
Freunde, aufs Tieffte erbittert über eine ſolche Schmach, wandten fi 
an Melanchthon, der den Verläumder Tante und dahin zu bringen 
wußte, daß er öffentlich Abbitte that. Schließen wir die Worte bes 
Lobes über unfern Landsmann mit denen eines damaligen Schriftftellers,?) 
dann wird ung, indem wir auch auf das oben angeführte Urtheil bes 
rühmter Zeitgenoffen über Gerbel nochmals verweifen, nichts mehr hin— 

') Rohrich I, 311, 


2) Xung, I, 61. 
s) Thuanus, lib, 26, 


350 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 


zuzufegen übrig bleiben. „Nikolaus Gerbel von Pforzheim”, jo heißt 
es bafelbit, „ein vortreffliher Mann, ausgezeichnet ebenſowohl durch 
Gelehrſamkeit, als durch Feinheit feiner Sitten und feines Benehmens.“ 

Bon den Nachkommen Gerbels find nur wenige befannt, Sein Enfel, 
Teodor Gerbel, war Rothichreiber in Straßburg.) Ein Nikolaus 
Gerbel ftand 1573 im württembergifchen Dieuften. 2) Ein Georg 
Gerbel kommt 1540 in Straßburg vor.3) Ein anderer Gerbel (ohne 
bet. Vornamen) ebendafelbft 1590. 4) Eine Enkelin desfelben war die 
Ehefrau des Lob. Pappus (um 1600). In Pforzheim felbft ift das 
Geſchlecht der Gerbel, gleih dem der Schmwebel, Tängft nicht mehr 
vorhanden. 


N) Röhrid, I, 170, 

2) Sattler, 5, 168. 

®) Kolb, 3, 163. 

*) Fecht, epist., ©. 877. 


Dreischntes Aapitel 





Pforzheim unter der vormundfchaftlihden Negierung und den 
Markgrafen Ernft Friedrich und Georg Friedrich. ') 
(1577 — 1622.) 


$ 1. Allgemeines. 


Karl II. hinterließ drei Söhne, Ernft Friedrih, Jakob und Georg 
Friedrich, über welche aber, da fie beim Tode ihres Vaters noch min- 
derjährig waren, eine Vormundfchaft niebergefegt wurde, Diefe Vor: 
münder fetten wiederum eine Landesregierung unter dem Statthalter 
Hans Landihad von Steinady ein, dem der Kanzler Achtſynit zur Geite 
ftand. Von Beiden ift auch der wegen ber Freiheiten der Stadt Pforz⸗ 
beim übliche Mevers unterzeichnet, der unterm 1. Juni 1580 ausgeſtellt 
wurde. ?2) Die vormundfhaftliche Negierung nahm jedoch ſchon 1585 
ein Ende, nachdem dieſelbe nad) dem Wunſche der drei Brüder eine 
abermalige Theilung der baben-durlachiſchen Lande beſchloſſen hatte, 
Ernft Friedrich erhielt die untere Markgrafichaft, 3) nebſt Beſigheim, 
Mundelsheim und Altenfteig; Jakob bekam die hochbergiſchen Beſitzungen 
nebft Sulzburg; Georg Friedric) wurde Saufenberg, Röteln und Bas 
denweiler zugeteilt. Jakob farb jedoch ſchon 1590, nachdem er vorher 
noch zur katholiſchen Kirche. übergetreten war und bereits Anftalt ge: 
troffen hatte, auch feine Untertanen wieder katholiſch zu machen; *) 


1) Die allgemeinen geſchichtlichen Quellen find die frühern; die bejondern 
find überall angegeben. 

) Städtiiches Archiv. 

) Der im flädtifchen Archiv befindliche BVeftätigungsbrief ber Freiheiten 
ber Stabt ift vom 3. Februar 1585 datirt. 

4) Markgraf Jakob Tiegt in der Gruft zu Pforzheim begraben. Erin 
Standbild, welches bie ſchöne Leibesgeſtalt diefes Fürften zeigt, befindet fih im 
Chor der Schloßlirche, und zwar, von ber Kirche aus gefehen, auf ber linfen 
Seite besfelben. 


352 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 


und da ihm 1591 fein einziger männlicher Leibeserbe im Tode nad: 
folgte, jo theilten fich feine Brüder im feine Befißungen. Wurde dadurch 
dag Gebiet Ernſt Friedrichs vergrößert, fo dehnte er bald nachher feine 
Herrſchaft auch in noch anderer Weife aus. Markgraf Eduard Fortunat 
von Baden-Baden hatte fi) und fein Land durch feine Verfchwendu nid 
in tiefe Schulden geftürzt und ging zufeßt mit dem Gedanken um, die 
Markgrafſchaft ſammt dem Erbredht zu verkaufen. Nun waren beide 
Marfgraffchaften wegen älterer Schulden ungetrennt verpfändet worden. 
Mährend aber der durlachiiche Antheil daran längſt bezahlt war, hatten 
die badiihen Schulden ſich immer mehr gefteigert, und zuletzt fuchten 
die ältern Pfandgläubiger bei Baden: Durlach Befriedigung. Um fi 
ficher zu stellen, ließ Ernft Friedrich 1594 Baden-Baden befeßen und 
fih als Adminiſtrator huldigen. Alle Bemühungen Eduard Fortunats, 
fein Land wieder zu erhalten, waren vergebens, ob er gleich feinem 
Better Ernft Friedrih mit Gift, Zauberei and gedungenen Mördern 
nach dem Leben trachtete, Nachdem er noch Falſchmünzerei und Stra: 
Benraub getrieben, ftarb er 1600 in Folge eines Sturzes von eimer 
fteinernen Treppe. Don den Anfprücden, die fein Sohn Wilhelm auf 
Baden: Baden geltend zu machen fuchte, wird unten bei der Gefchichte 
des dreifiigjährigen Krieges die Rede fein. Ebenfo energiſch, wie gegen 
Eduard Fortunat, bewies ſich Ernſt Friedrich gegen das Klofter Frauen⸗ 
alb. Weil die dortigen Nonnen durd ihre unfittliche Lebensart viel 
Aergerniß erregten, jo vertrieb er fie aus dem Klofter, worauf einige 
nad; Lichtenthal gingen, andere ſich vermäßlten. Die Priorin Paula 
von Weitershauſen begab ſich nach Pforzheim, wo fie 1609 ftarb. 1) 
Wegen Baden-Baden war Ernſt Friedrich genöthigt, immer eine größere 
Truppenmacht zu unterhalten, als es ſich mit den Kräften feines Landes 
vertrug. In feiner Geldverlegenheit nahme nun der Markgraf zwei 
Handlungen vor, die fpäter bitter beveut wurden, aber nicht mehr unge 
fchehen gemacht werden konnten, Im Jahr 1595 verkaufte er an den 
Herzog von Württemberg die Aemter Befigheim und Mundelsheim um 
die Summe von 334,486 fl., — und 1603 ging er mit dem nämlichen 
Fürſten einen Tauſch ein, der für diefen eben fo vortheilhaft, wie für 
Ernft Friedrich und feine Nachfolger nachtheilig war. 2) Der Markgraf 
1) Kolb, Lerifon, I., 295. 


2) Der Taufchvertrag ift abgebrudt bei Kausler, Befchreibung bes Ober» 
amts Neuenbürg, ©. 162. 


Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17, Jahrhundert, 353 


gab an Württemberg Stadt, Schloß und Amt Altenfteig mit allen 
Dörfern; ferner Stadt und Burg Liebenzell nebit den Dörfern Weiler 
Haugjtett, Beinberg, Biefelsberg, Ober: und Unterlengenhardt, Maifen: 
bach, Ernſtmühle, Dennjächt, Schwarzenberg, Kollbach, Igelsloch, Schöm— 
‚Ag Monakam und Reihenbah mit allen Waldungen, Berechtigungen 
xc., — dafür erhielt er von Württemberg die Orte Malſch, Langenftein: 
bay, Auerbah, Dietenbaufen, Itters bach, Spielberg, die Mar: 
kung von Obermutſchelbach zc. nebſt einer Ausgleihungsfumme von 
481,700 Gulden. Diefes Geld ging fort, und die herrlichen Wal: 
dungen, wie fie die obere Nagoldgegend aufweist, blieben für Baden 
verloren! 

Die religiöfen Wirrfale, welche der Hinneigung Ernſt Friedrichs 
zur reformirten Lehre entiprangen, wird ein befonderer Abſchnitt behan- 
deln. Der Markgraf ftarb 1604 und wurde in Pforzheim beigefeßt. 
Sein Standbild im Chor der Schloßfiche (das erfte links, von der 
Kirche aus geſehen,) zeigt die ftattliche Leibesgeſtalt dieſes Fürften. 1) ° 
Im Geſichte drückt ſich jene ftarre Unbeugfamfeit aus, die ein Haupt: 
charakterzug Ernſt Friedrichs war. Da derielbe feine Nachkommen 
binterließ, jo kam die ganze Markgrafſchaft, wie fie Ernſt Friedrich theils 
ererbt, theils am fich gerifjen hatte, an feinen Bruder Georg Fried: 
rich. 2) 

Im Jahr 1573 geboren und ſehr forgfältig erzogen, hatte dieſer ſchon 
frühe eine wiffenichaftlihe Richtung erhalten, die indeſſen fo wenig, als 
der urfprüngli ſchwächliche Körper den Eriegeriihen Sinn des Fürſten 
zu unterdrüden vermochte. Schen 1600 machte er einen Heerzug gegen 
die Türken mit, 1610 befehligte er mit dem Kurfürften von Branden: 
burg im Elfaß, 1618 jcleifte er Udenheim CPhilippsburg) ꝛc. Bon 
feiner Theilnahme am breigigjährigen Krieg wird im folgenden Kapitel 
gehandelt werden, Er war ein Meifter in der Kriegskunft und fchrieb 


) Nah Sache, IV. 273 fol Ernft Friedrich, der im ſchönſten Mannes— 
alter farb, (er war erft 44 Jahre alt,) in ben legten 10 Jahren feines Lebens 
an den untern Ertremitäten gelähmt gewelen fein, fo daß er fih im einem 
Seſſel oder einer Sänfte tragen laſſen mußte, 

2) Der im Stadtarchiv befindlihe uno von Georg Friedrich eigenhändig 
unterjhriebene Revers wegen der Privilegien ift vom 2. Mai 1604 batirt. 


Pflüger, Pforzheim. 23 


354 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert. 


felber ein Werk darüber; 1) — doch wurde er bei feinen friegerifchen 
Unternehmungen im Allgemeinen vom Glück wenig begünftigt. 

Wegen der Behauptung von Baden-Baden mußte aud er fort: 
während eine ſtarke Truppenmacht auf den Beinen erhalten, namentlich 
da die Söhne Eduard Fortunats ihre Anfprüde zu erneuern nicht 
unterliegen. Bon neuen Erwerbungen ift bier des Schlofies und des 
halben Fleckens Baufchlott zu erwähnen, welche beiden Befißungen 
Georg Friedrih ven Hans Chriſtoph von Landenberg 1604 um 
16000 ft. erkaufte, 

Mit der Miffenfchaft des Krieges verband Georg Friedrich aber 
auch eine genaue Kenntmiß der Angelegenheiten und Bebdürfniffe feines 
Landes, und er fuchte darauf alle feine Sorge zu verwenden. Die 
Kirchenzucht überwachte er ftrenge, und der fromme Fürſt foll felber die 
heilige Schrift mindeſtens fünfzig Mal ganz durdhgelefen haben. Beſon— 
ders war er auch auf eine pünktliche Nechtspflege bedacht und Tieß zu 
dem Ende ein eigenes Geſetzbuch bearbeiten. 

Auf Georg Friedrich folgte nach MNiederlegung der Regierung 
(fiehe unten) 1622 fein äftefter Sohn Friedrich V. (bis 1669). Er 
wird in der Geichichte des dreikigjährigen Krieges vorkommen. 


$ 2. Befonderes. 
Pforzheim feinen Fürften gegenüber. 


Hatte fi) die Stadt Pforzheim troß ihrer Privilegien ſchon unter 
Karl II. dazu verftehen müſſen, ausnahmsweiſe direkte Abgaben, felbit: 
verftändlich im der Hoffnung zu leiften, davon baldmöglichft wieder be= 
freit zu werden, jo wurden ſolche Anmuthungen in der Folge wiederholt. 
Dies geſchah 3. B. ſchon unter der Vormundſchaft 1582 in Betreff der 
Longueville'ſchen Hilfsgelder. Damit hatte es folgende Be 
wandtniß. Im Jahr 1503 war Philipp, der letzte Markgraf von 
Hahberg-Saufenberg-Röteln geftorben und feine Länder waren laut Erb: 
vertrags von 1490 in Ermangelung männlicher Nachkommen auf den 
Markgrafen Chriſtoph von Baden übergegangen (S. 173). We fih 


1) Die drei Foltobände besjelben, von des Markgrafen eigener Hand, be: 
finden fih in der Manufcriptenfammflung ber Großberzoglichen Hofbibliotbef 
zu Karlsruhe. 


Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert, 355 


jedoch die einzige Tochter des vwerftorbenen Markgrafen Philipp, Johanna, 
1504 mit dem Herzog Yudwig von Longueville vermäßlte, erhob diefer 
Anſprüche auf die Känder feines Schwiegervaters, und es entitand da: 
rang ein Prozeß, der beinahe 80 Jahre dauerte, bis er endlih am 
28. Anguft 1581 durch Vergleich feine Erledigung fand. Die Familie 
der Longueville entſagte allen Anfprücen auf bemerkte Linder, wofür 
fie eine Entſchädigungsſumme ven 225,000 Gulden erhielt. Dieſe 
wurde munmehr auf das Land zu einer „Fünfzehnjährigen Hilfe* in der 
Meife umgelegt, daß von 100 Gulden Werthgut jährlih 8 Batzen be 
zahft werden follten. Auch von der Stadt Pforzheim wurde troß ihrer 
Brivilegten die gleiche Beiftener verlangt. Gin befonders erwählter Aus: 
ſchuß begab fidy mit Bürgermeijter, Gericht und Rath am 3. Februar 
1582 zur Verhandlung über diefen Gegenftand in das Schloß zu Pforz— 
beim, wo eine fürftlihe Commiſſion ihrer harrte, die aus Hand 
Philipp Landſchad von Steinach, Furfürftlic pfälziſchem Fauth (Wogt ) 
zu Bretten, dem Statthalter Hans Landſchad von Steinach, dem Kanzler 
Achtſynit, dem Doktor - Chr. F. Kircher und dem Kammerrath 
Mrd. Feurer beſtand. Wie früher ſchon, fo beriefen ſich die Pforzheimer 
auch jet wieder auf ihre „Ordnung und Polizei von 1491”, Tant 
welcher fie von allen direkten Steuern ꝛc. befreit ſeien; fie klagten, daß 
die 1554 bemilligte jährliche Hilfe von 1000 Gulden (S. 276) fie 
im bedeutende Schulden geftürzt babe, da der Maafpfennig zur VBeftrei: 
tung diefer Summe nie binreihe; fie brachten auch fonft verfchiedene 
Beſchwerden vor, namentlich daß die Stadt Pforzheim fi) „nit vmb 
ein gering hauptgutb, als Bürgen vnd mitſchuldner, inn viel weg bikbär, 
neben der Landichafit, vmb große Summa verſchrieben:“ — fie mußten 
eben in den ſauern Apfel beiten, und fich zur Bezahlung der 8 Baten 
vom Hundert, Freilich „ihrer Freiheit unbefchadet“, verftehen. Doc erlang: 
ten fie wenigftens fo viel, daß ihnen für die Dauer der Bezahlung diefer 
Longueville'ſchen Hilfsgelder die früher abverlangten jährlichen 1000 Gul: 
den erlaſſen und fie auch eben fo lang jeder Reiche: und Kriegshilfe 
enthoben fein follten Wit der Entbindung von den 1000 Gulden 
durfte natürlich aud die Stadt den Maafpfennig nicht mehr einziehen, 
fondern es nahm ihn die Herrichaft wie im ganzen Land fir fh in 
Anſpruch; doch wurde der Stadt davon als einem neuen- „ofjaß” der 
vierte Theil bewilligt, dem fie laut ihrer Privilegien von allem Umgeld 
anzufprechen hatte. Die über ſolche Beſtimmungen —— Ur⸗ 


356 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 


Funde 1) trägt die Unterfchriften der oben genannten fürftlihen Kommif- 
fion, und es hängen an ihr die Siegel des Markgrafen, des Vogts 
Schöner von Straubenhardt und das Siegel der Stadt, das aber nicht 
mebr das frühere einfache, fondern bereits in zwei Hauptfelder getbeilte 
ift.2) Da in der Urkunde die Namen der damaligen Mitglieder des 
Gerichts und Raths, ſowie der Deputirten der Bürgerfchaft genannt 
find, fo mögen diefelben auch bier eine Stelle finden, Gericht: Hang 
Krumm, Bürgermeifter, 3) Veit Breitfhwert, Hans Nuef, Baumeifter, 
Kaſpar Rohr, Klaus Engelhart, Hans Forcheimer, Dietrih Weiler, 
Konrad Gupp, Konrad Pfuderer, Beat Viſcher, Jakob Simmerer, Peter 
Göglin. Rath: Peter Genger, Mathis Meerwein, Fabian Stieß, 
Mich. Ib, Grieninger, Hans Lienhart, Hs. 6. Klein, Hans Defchler, 
36. Kercher, Matern Dolmetih, Mathis Klotz, Marzolf Schoch, Ege— 
nolf Genger. Von der Gemeinde: at. Jößlin, Georg Schlund, 
Hans Haan, Hans Silbereifen, Wendel Genger, Klaus Spitz, Heinrich 
Mayer, Schreiner, Mart. Mang, Mich. Muolin, Georg Hofmann, Mel: 
chior Kieß, Hans Widmann, Theus Schoch, 36. Meerwein, Georg 
lacht, 36. Pfifterer, Hans Enderlin, Paulin Schefi, Hans Heufchlof, 
Michel Beh, Peter Hügelin, 3b. Eafboier und Peter Plochinger. 

Zu diefer nicht unbedeutenden Steuer kam nad) dem Megierungs- 
antritt Ernſt Friedrichs noch eine andere. Theils zur Tilgung ber 
ſchweren Schulden, die auf dem Lande lagen, theils zur Beftreitung der 





1) Sie befindet fih im ftäbtifchen Arhiv und iſt vom 3, Februar 1582 
datirt. Eine andere darauf ebenfalls bezügliche Urfunde trägt bas Datum bes 
10, Mai 1582, 

*) Während an der Etadtorönung von 1491 noch das alte Siegel von 
1256 ff. (S. 79) hängt, findet ſich im ftäbtifchen Archiv bereits von 1521 an 
ein neues Siegel, und zwar ift ber Stod desſelben noch vorhanden und trägt 
auf der Rüdfeite die Jahrzahl 1521. Dies ſcheint das kleine Siegel der Stadt 
Pforzheim geweien au fein; denn neben bemfelben findet fich auch ein bedeutend 
größeres, Beide zeigen den Wappenſchild in zwei Hauptfelder getheilt; bas 
linke enthält den badiſchen Wappen mit dem Querbalfen; bas rechte ift im 
4 Fleinere Querfelder getheilt mit der Bezeihnung für rothe, weiße (Silber-), 
blaue und gelbe (Gold:) Farbe — alſo wie das Wappen heute noch iſt. Die 
Umigrift jenes Siegels von 1521 Tautet: S,SECRETVM,CIVIVM,IN,PHORZ- 
HEIN,. Wann, dur wen und bei was für einer Veranlaffung Pforzheim 
bas neue Wappen erbielt, ift unbefannt. 

?) Hier war alfo der Bürgermeifter Mitglied des Gerichts, wenn auch 
nicht Vorfigender desſelben. 


Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert. 357 


Koften der fürftlichen Hofhaltung legte der Markgraf jeinen Unterthanen 
neben den Longueville'schen Hilfsgeldern nody eine weitere Steuer von 
4 Baten von 100 Gulden Werthgut auf, die fo lang als jene bezahlt 
werden follte, und ftellte aud eine Erhöhung des Maafpfennigs in 
Ausfiht. 1) Und die gefreite Stadt Pforzheim? Sie mußte ſich aber: 
mals troß ihrer Privilegien gleih dem ganzen Lande zur Bezahlung 
diefer Abgabe verjtehen, natürlicy nicht ohne Verwahrung , daß fie dies 
ihrer Freiheiten unbeichadet thue; und der Markgraf ftellte ihr auch 
einen dahin Tautenden Nevers aus. ?) Alle diefe papievenen Verwah— 
rungen und Verfiherungen hatten aber feinen großen Werth; denn bie 
Stadt kam aus der Bezahlung folder Abgaben gar nicht mehr heraus, 
fondern fie wurden fpäter zur regelmäßigen und ordentlihen „Schatzung“, 
wie wir weiter unten fehen werden. Damit war aber der $ 1 des 
Privilegienbriefs thatſächlich außer Kraft geſetzt. 

Es find im vorigen Kapitel (S. 278 ff.) aus der Yagerbud: 
erneuerung von 1527 allerlei Mittheilungen gemacht worden. Eine 
felhe wurde aud 1615 wieder vorgenommen. Es möge bier dasjenige, 
worin ihre Ergebniffe von den frühern abweichen, überfichtlich zufammen: 
geftellt werden. Zeugen bei der Lagerbucherneuerung waren die „ehren 
baften, ehrfamen und beicheidenen Valentin und Berthold Deim: 
ling, Mathes Efjig, Georg Art und Paulin Lotthammer.“ Zuerſt 
folgen die nöthigen Beftimmungen über das Geleit. Diefelben ent: 
fprachen noch immer den Verabredungen von 1516 (©. 272) und 
1581, find aber durd folgende Beftimmungen ergänzt: Baden bat 
das Geleitredht Tiefendbronn zu bis an das Mäfferlein, beim See 
genannt; Wurmberg zu bis Mönsheim an dem Bad; Naihingen 
zu bis Mühlacker; Speier zu wird von Pforzheim aus geleitet bis 
Stein und von da nah Grombach zum hölzernen Bildſtock; Durlad 
zu bis Durlach und von da nad Mühlburg oder Graben. — Die 
Kaufleute, die zur Frankfurter Meſſe ziehen und durd) den Hagenſchieß 
kommen, zahlen 13 Kreuzer (früher 12 Pf.); die, fo den Beutel (zwi: 
ſchen Hucyenfeld und Reichenbach) herabziehen, zahlen 9 Kreuzer 
Geleitgeld. 





1) Urkunde im Stadtarchiv vom 15. Juli 1585. — 
?) Er befindet ſich im Stadtarchiv und iſt vom Markgrafen eigenhändig 
unterſchrieben. 


358 Dreizehntes Kapitel, Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert, 


Frevel und Unrecht: GVergl. ©. 275 fi) Ein Blut: 
runsfrevel, d. 5. mit Mefier, Kolben, Stod, Waffen verwundet 
oder biutrünftig gemacht, zahlt 3 Pfd. Pig. an den Fürſten; ein Heiner 
oder trodfener Frevel mit trodenen Streichen, ohne daß ein Glied ge: 
lähmt wird, zahlt 1 Pfd. Pig, mit der Fauft ein Stoß, daß Nafe 
oder Mund bfutet, zahlt 1 Pfd. Pfg.; wer nad dem Andern zudt oder 
fticht oder fchlägt, zablt 1 Pfd. Pfg.; wer nach dem Andern wirft und 
ihn trifft, dag er blutrünftig wird, zahlt 3 Pfd. Pfg.; wer nach dem 
Andern wirft und ihn trifft, aber nicht blutrünſtig macht, zahlt 3 Pfd. 
Pig. Ein groß Unredt zahlt 15 Sch. Fig; ein Elein Unrecht 
5 Cd. Pig; eine Lügainung 83Sch. Pig. ; eine Spielainung 5 Sch. 
Pfg.; alle diefe Strafen gehören dem Markgrafen allem. Ein Frie— 
dbensbrud zahlt 5 Ed. Pf.; davon gehören 3/, dem Fürften und 1/, 
der Stadt. — Abzug. Die Bürger find frei laut Privilegienbriefs 
von 1491. Fremde zahlen von 100 fl. 10 fl, 1/, dem Markgrafen, 
ig der Stadt gehörig. — Bon den Gütern außerhalb Pforzheimer 
Markung gebört der Abzug dem Fürften allein. — Hauptrecht und 
Abzug von zugefefjenen Leuten. Jeder Manns: und Frauensperſon, 
fo fonft leibeigen it, ‚nach ‘Pforzheim zieht und der dortigen Polizei 
einverleibt ift, wird die Leibhennen- oder Leibjteuer ꝛc. erlaffen, nicht aber, 
wenn die Leute wieder wegzieben. — Fruchtzehnten. Der große 
Fruchtzehnten auf Pforzheimer Gemarkung gehört zur Hälfte dem Mark: 
grafen, zur andern Hälfte dem Kloſter Lichtenthal, ausgenommen einige 
Aecker ıc. 1) Dom großen Zchnten bat Lichtenthat jährlich zu liefern 
dem Markgrafen AO Büſchel Roggenſtroh; nad) neuerm Vertrag mit 
der Aebtijfin zu Lichtenthal von 1595 (S. 277) bloß noch 250 Büſchel. 
— Der Hleinzehnten auf Pforzheimer Gemarkung von Sommergerfte 
Hirſen, Erbien, Linjen, Hanf ꝛc. gehört der Pfarrei in der Altſtadt. — 
Dem Markgrafen gehören eigen (vergl. ©. 279): a. Das Schloß 
mit dem Swingelgarten daran gegen die Stadt zu, nebſt der Kanzlei, 
dem Speicher, Marftall, Wagenpferditall, der Hofſchmiede, auch dem 
Nebenzwingel außerhalb zwijchen beiden Stadtmanern vom Schloß hinab 
bis an den Leitgaſtthurm, und der neue Garten außerhalb der Stadt 
und dem Schloß an der Straße (15 Morgen groß, auf 3 Seiten neben 








1) Diejenige Hälfte dis großen Schniens, wilde früber (©. 279) dem 
Kloſter Hirſchau gehört hatte, war alfo an den Markgrafen übergegangen. 


Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 359 


der Almendſtraße gelegen und oben an die Bremenbofäder jtoßend). b. Wie: 
fen: Die Dleihwieje am Megelgraben; (die Büchenbronner und Huchen⸗ 
felder müfjen fie beforgen und mähen, aber der Markgraf muß das Heu 
fahren laſſen); 1) die Scheuerwiefe zwifchen dem Scheuerberg und ber 
Nagold; die Seewieſe, die Landſchaftwieſe, die Frauen-Langewiefe, die 
Meiherwiefe. c. Die Sägmühle d. Die Kelter in der Altftadt. 
e. Der Zoll. 

Das Weggeld gehört der Stadt. Bezüglih des Standgel: 
des, Umgeldes und Salzverkaufes fiehe 1527. In Betreff 
des letztern enthält das Lagerbuch, von jpäterer Hand gefchrieben, die 
Bemerkung: Der Markgraf hat den Salzbandel allein admodirt und 
ber Stadt dafür als ihr Viertel 97 fl. durch die Obereinnehmerei Karle- 
burg reichen laſſen. — 

Jährliche Bet. Alle Bürger und Inwohner, jo der Stadt 
Pforzheim Polizei, Begnadigung und Freiheiten unterworfen find und 
bürgerlich dafelbjt wohnen, find frei von der Be. — Jährlicher 
Vogtgulden. Bürgermeifter und Nath von wegen gemeiner Stadt 
Pforzheim geben dem Markgrafen zum rechten, jährlichen, ewigen, unab— 
läffigen Vogtgeld oder Gült auf Martini 10 fl. — Jährl. beftän: 
diges Zunftgeld und Metzelbankzins (wie früher). — Jährl. 
Brodbankzins. Die Brodbant neben der Megelbütte vorn am Markt 
ift abgefhafft und “Jeder hat in feinem Haus feil; alſo fällt fein Zins 
mehr. — Jährl. Fiſchbankzins. Die Fiſchbank ift auch vom 
Markt abgeſchafft; alſo fällt auch fein Zins mehr. — Nunnenmader 
(Viehverſchneider). Der Markgraf bat das Recht, Nunnenmacher anzu: 
nehmen und ihnen die MWaide zu verleihen, trägt bisher 11/, Pfund. — 
Wafenmeifter Die Waſenwaide zu Pforzheim, der Altftadt und 
dem ganzen Pforzheimer Amt verleiht der Markgraf. Jedoch ift der 
Mafenmeifter bisher von der Stadt beitellt und vom Schultheißen ver: 
pflihtet worden und bezahlt jührlih dem Markgrafen 5 Pfund, — 
Jährl. beftändiger Zins von Walt:, Schleif-, Balier-, 
Säg: und Kupfermüblen (wie früher). — Ziegelbütte Georg 
Haas als Inhaber der Ziegelhütte vor dem Bröbinger Thor zinst jähr: 

® 

) Früher hatten es die Brötzinger als Hörige des Frauenkofterd thun 


müjjen (S. 279); letzteres war aber bei der Neformation eingezogen worden, 
wodurch die Berpflichtung des Heuführens anf den Markgrafen felber überging. 


360 Dreizehntes Kapitel. Pforzbeim vom 15, zum 17. Jahrhundert. 


lich dem Markgrafen 10 Sch. Pig. (der fpätere Inhaber war Joachim 
Leibbrand). -— Jährl. Waſſerzins, Gnadenlehen (wie früher). 
— Wafferzing von Abfällen oder Kagen (mie jrüber). — 
Jährl. beftändige Fruchtgülten, von den Mahlmühlen zu 
Pforzheim gefallen, und follen ſolche Früchte auf den Speicher 
geliefert werden, (wie früher, es waren immer noch 5 Mühlen: die 
Wagmühle, die Spital- oder Efelsmühle, jest Kloſtermühle —, die 
Eihmühle, die Nonnenmühle und die Zwingelmühle, jonft Obermühle 
genannt), — 


$ 3. Inneres, 


Den Stiftungen zu mwohlthätigen Zwecken, deren im letzten Ka: 
pitel gedacht wurde, müſſen bier einige weitere angereiht werden. 

Im Jahr 1580 ftiftete der aus Pforzheim gebürtige Mathias 
Merthwein, ein jüngerer Bruder des oben genannten Chriſtoph Werth: 
wein, — früher Domberr in Augsburg, zulett Domberr und erzbiichöf: 
licher Kanzler zu Briren in Torol, ein Kapital von 6000 Gulden 
(S. 197), deffen Zinfen an jehs Jünglinge aus feinem oder feiner 

dutter (einer geb. Münzinger aus Bauſchlott) Geſchlecht, die in reis 
burg ftudiren würden, alljährli ausbezahlt werden follten. Im alle 
feine väterlichen oder mütterlichen Verwandten von ihm vorhanden wären, 
jollten drei junge Pforzheimer und drei Jünglinge aus Briren bie 
Stiftung zu genießen haben. Ein bei den Freiburger Univerfitätsakten 
niebergelegtes Verzeichnig weist nach, daß wirklich Studirende aus Pforz: 
beim in den folgenden Jahren im Genuß des Stipendiums waren, fo 
1588 ein Martin Mangold, 1606 Chriſtoph Gerwig, 1615 Johann 
Serwig In den Striegen des 17. und 18. Jahrhunderts jcheint aber 
das Stiftungsfapital verloren gegangen zu fein, wie das bei noch vielen 
andern Freiburger Studienftiftungen der Jal war. Unterfuhungen ba: 
rüber, welche im vorigen Jahrhundert angeftellt wurden, 1) haben zu 
feinem befriedigenden Ergebniß geführt, 

Am 29. Auguft 1602 machte der Fiorzbeimer Bürger und Han: 
delsmann Kafpar Chriſtoph Rohr vor einer Neife, die er nach Stalien 
„zu Erlernung der Sprachen und mehrerer Erfahrung” zu unternehmen 


—— — — — — 


) Bon Gehres. Bergl. deſſen Meine Pforzheimer Chronik, ©. 133 fi. 


Dreizebntes Kapitel. Piorzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 361 


gedachte, fein Teftament und beftinmte darin ein Kapital von 2000 fi. 
„zur Unterhaltung zweier Studenten, welde der rechten augsburgifchen 
Konfeffion zugetban, oder (mie fie genannt werden) Iutberifch feien; und 
ſoll jährlich ein jeglicher von den ertragenen Zinſen JO Gulden acht 
Jahre lang erhalten, die übrigen zwanzig Gulden aber follen zur Beffe: 
rung bes Stipendii gereichen.“ — „Es fell aber,“ jo beißt es im 
Teftament weiter, „die Kollatur bei einem ehrſamen Nath zu Pforzheim 
ſtehen, doch dergeftalt, daß derielbe zuwörderft bedenke meine Befreundte 
von Vater oder Mutter; wo aber feine Beireundte vorhanden wären, die, 
fo aus der Stadt Pforzheim gebürtig, Andern preferiren; fo auch deren 
Keiner mit Ernſt ftudiren oder feine Studia continuiren wollte, die 
Markgräfifhen vor andern Ausländifchen damit begabe und immer 
vaciren laſſe. Auch foll Keinem befagtes Beneficium conferirt werden, 
er feie denn allerft bei einer Academie oder Univerfität. Letztlichem 
follen ſolche beede Beneficiary alle 2 Jahre durch qualificirte Perfonen 
entrveber bei der Akademie, da fie ftudiren, oder zu Pforzheim erami: 
nirt werden, Beides in der ‚Religion und ihren Studiis, und fo fie in 
der Religion irrig oder in Studiis nachläſſig befunden werden und fic) 
nicht auf den rechten Weg wollten weifen laſſen, fell ein ehrſamer Nath 
ihnen gemelt Beneficium entziehen und Andere, die es befier werth, 
conferiren.” Auch dem Almofen vermachte Rohr 200 fl., von deren 
Zinfen alle Jahre 8 Gulden vor der Pfarrfirhe an Hausarme, der 
Neft an fonftige Arme ausgetheilt werden follten. Eine Anzahl fonftiger 
Legate möge bier unberührt ‚bleiben. Zu Xeftamentsvollftredern er: 
nannte Rohr den markgräflichen Rath Martin Sigwardt und den Ge: 
richts- und Rathsherrn und nachmaligen Bürgermeifter Peter Maler. 1) 
Seinen ſämmtlichen Erben hatte Rohr die Verpflichtung auferlegt, feiner 
Mutter einen Grabftein jegen und für fie wie für ihn felbft nach feinem 
Tode je ein auf einer Tafel gemaltes Epitaphium in der Pfarrkirche 
anbringen zu laſſen; Feines diefev Denkmäler dürfe aber unter 50 fl. 
koften. (Nach der Stipendienrehnung von 1604 wurden dafür 182 fl. 
ausgegeben.) Nach den noch vorhandenen älteften Stipendienrecdinungen 2), 
die bis 1636 reichen, betrug der Grundftod 1607 evit 2044 fl., 1614 


I) Vergl. hiezu: Lagerbuch des Rohr'ſchen Stipendiums im Stadtardiv, 
angelegt im Auguft 1710. 
2) Im Stabtardiv, 


362 Dreizebntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 


bereits 2144 fl, 1623 war er auf 2533 fl. und 1632 auf 2788 ft. 
geitiegen. Bon dem urfprünglichen Kapital waren 500 an die Stadt, 
150 an die Gemeinde Niefern, das Webrige an Pforzheimer ausgeliehen. 
Merrechner des Fonds war von 1604 bis 1613, alfe bis zu feinem Tod, 
Beter Maler, von 1615 bis 1628 Jeremias Defchler, 1628 bis 1636 
Joachim Bub. (1636 hören, wie jchon erwähnt, die Rechnungen auf.) 1) 

Am Jahr 1616 machte auch der Bürger und Handelsmann Niko: 
lans Fontelin eine Stiftung von 1000 Gulden, deren Zinſen eben: 
falls als Beneficien an ftudirende Jünglinge verabreicht werden jollten. 
(Die Ältefte noch vorbandene Echuldverfchreibung vom 29. Sept. 1625, 
ausgeftellt von Jeſajas Hlindlin von Iſpringen über 56 fl., 2) nennt ale 
Verrechner Joh. Grat, Baumeifter und Hans Ritter.) 3) 

Nicht umerwähnt mag bier aud eine Stiftung des Pforzheimer 
Bürgers Otto Beckh bleiben. Aus den Zinfen eines Kapitals von 
1200 fl., das er für verichiedene wohlthätige Zwede ftiftete, ſollten 
jährlich 8 fl. für die Geiftlichkeit und 5 für die Mufifgefellichaft der 
Stadt Pforzheim zu einem gemeinfhaftliden Schmaufe verwendet wer: 
den, der fpäter gewöhnlich am Feſt des heil. Yaurentius ftattfand und 
erſt in neuerer Zeit nicht mehr gehalten wird, ?) 

Es ift oben bereits von der Schützengeſellſchaft und ihrem 
frühen Beitehen die Rede gewejen. Wir finden, daß Markgraf Georg 
Friedrich ein befonderer Freund derjelben war und ihr zu einem beftän: 
digen Gedächtniß ein Gnadengeld von jährlichen 15 fl. beftimmte, woran 


1) Nah dem Schober’ichen Familienbuche ftebt dieſes Geſchlecht in weiblicher 
Linie zu Rohr jowohl, als dem Stifter eines andern Stipendiums, nämlich 
Peter Geiger, in verwandtichaftliher Beziehung. 

2) Im Stadturdiv. 

*) Auf dem Kirchhoſe, und zwar an der vordern Wand der dortigen Ka— 
pelle befeftigt, fteht der von ber Kreuzkirche dabin gebrachte Grabftein, ben 
Ritolaus Fontelin feiner 1606 geftorbenen Frau Barbara geb, Grieninger hat 
jeßen lafjen, Die Ueberſchrift lautet: 

Ihr Tiebe Brüder und Schweſtern mein, 
Die hier im Herrn entichlafen jein, 
Gott helf mir auch zu eich hinein! 
Dies Nifolans Fundtelin bitt 

Bon Gott, der wirds abichlagen nitt. 

) Das Grabmal Dito Beh, der am 1. Januar 1625 ftarb, iſt im Chor 
der Altftädter Kirche, 


Dreizchutes Kapitel, Pforzbeim vom 16. zum 17, Jahrhundert, 368 


die Stadt mit der Hälfte Antheil nahm. ') Georg Friedrich war über: 
haupt der Stadt Pforzheim ſehr zugethan, auf den dieſe ſchon 
große Hoffnungen ſetzte, als er noch nicht ihr Herr war, Die unten 
folgende Geſchichte der Refigionsbedrüdungen von 1601 und 1604 gibt 
davon Zeugniß. In den Taufbüchern aus der Zeit von 160 an it 
er oft als Pathe von Bürgerfindern genannt. Im Jahr 1618 Hatten 
ſich die Bürger von Pforzheim beſchwerend an den Markgrafen gewandt, 
weil ihnen von Ceiten der marfgräflichen Kanzlei bezüglich der Abholung 
eines neuen Spezials verjchiedbene Jumuthungen gemacht worden waren, 
die fie mit ihren Privilegien nicht vereinbar fanden. In einem unterm 
6. Sept. erlafienen Beſcheid erklärte dev Markgraf, daß die Pforzheimer 
die „ohne jein Miffen an fie begehrte Abholung zu thun nicht fchuldig, 
und von ihnen, daß fie fich derem verweigert, ganz vecht geichehen, wie 
er fie denn weder dies Orts, no fonften wider ihre Privilegien im 
Geringſten zu befchweren nicht gemeint, fondern dabei der Gebühr hand: 
zuhaben und vielmehr diejelben nach Gelegenheit zu vermehren, als zu 
ſchwächen gedenke.“ — Der Markgraf befahl jenem Ober: und Unter: 
vogt zu Pforzheim, Johann Heinrich Mosbach von Lindenfels und 
Stephan Heinrich Haffner, diefen feinen Befehl dem Bürgermeifter, Ge: 
richt und Rath der Stadt in deren Verfammlung vorzulefen und ihnen 
zugleich zu erkennen zu geben, daß fie, wenn ihnen künftig wieder der: 
gleichen zugemuthet oder font wider ihre Privilegien etwas zugefügt 
würde, fie fi bei ihm „um Hülf, deren fie fich unfehlbar zu getröften, 
anmelden follten,“ 2) Dies Alles mag es erklären helfen, warum bie 
Pforzheimer dem Markgrafen Georg Friedrich jo fehr zugethan waren. 

Den Schluß dieſes Abſchnittes möge die Zufammenftellung der 
Namen der Angestellten machen, die ſich zu Anfang des 17. Jahr: 
hunderts in Pforzheim befanden. 3) 


1) Statuten der Schügengeiellihaft,. — Am Jahr 1824 follte die herrſchaftl. 
Gabe von 7 fl. 30 Er. aufhören, auf erfolgte Verwendung jedoch gab Groß— 
berzog Ludwig die Weiſung, daß die ganze Summe von 15 fl. fünftig vom 
Domänenärar übernommen werden jolle. Die Schügengefellihaft fliftete aus 
biejer Beranlajjung einen jilbernen Pokal mit den Bildnifjen Georg Friedrichs 
und Ludwigs. 

2) Kopialbuch im ftädtiihen Ardiv. 

- 3) Eie fommen im älteften Taufbuch (1607 — 1646), in Kopialbüchern, 
Urkunden ꝛc. vor, 


364 Dreizebntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 


Dberpogt: Johann von Münjter 1601, Martin von Zandt 
1607, Hans Reinhard Mosbah von Lindenfels 1611—18, Johann 
Georg Bertram von Herſchbach 1621--34. — Forftmeifter: Emft 
Jak. von Remdingen 1608 — 141, Phil. Joach. Gremp von Freuden: 
ftein 1618 ---21, Heinrich Truſchſeß von Hoffingen 1624— 27. — Forft: 
verwalter: Hans Jak Deimling 1623. — Untervogt: Hieron 
Bechler 1607, Stepb. Heinr. Hafner 1609-23, Joh. Ib. Dienft 
1629—34, Georg Faber 1642. — Syndikus: Georg Zobel 
1608—W. — Amtsteller: Thomas Drach 1609—18. — Land— 
fhaftseinnebmer: Joh. Pfiſterer 1613—16, Wendel Lang 1617, 
ob. af. Geiger 1636. — Münzmeiſter: ob. Jakob 1609 und 
40 (Münzgejell: Klemens Feuchter 1610, — Geiftliher: und 
Stifts-VBerwalter: Nik. Kaufmann 1607-9, Meldior May 
1610— 20, Job. Mart. Schmidt 1626—31. — Gegenfhreiber: 
Hans Aychele 1612. — Aerzte: Dr. Mathäus Müller, Phyſikus 
4608 —11, Dr. Zach. Herler 1609, Dr. Job. Gemp 1611 — 34, 
Dr. ob. Pet. Auchter 1615—21, Dr. Dav, Gamerarius 1516-18. 
Apotheker: ob. Joach. Grieninger 1608 — 34, ob. Barthold 
1615--42. — Geistliche, und zwar erfter Stadtgeiſtlicher- und 
Superintendent: Benedikt Ungerer 1601, ob. Conr. Jenichius 
1607 — 17, M. Stephan NRohrfelder 1622 — 29, Joh, Org. Wibel 
1630-46. — Altjtädter Pfarrer: M. Ruprecht Graf 1607 —14, 
M. Dav. Langenburg 1617—38, Job. Dav. Sauter 1641 — 45. — 
Spitalpfarrer: Girtus Sartor 1608, Leonh. Kiftier 1612 —14, 
M. ob, Berlodyer 1617, M. Ehrift. Heinz 1619, Nik. Emmi 1633, 
M. Wolfgang Schaupp 1634—42. — Witprediger: Dr. Thom. 
Wegelein 1613 und 14. — Diafonen: Joh. Konrad Roßnagel 
1607, M. Rupr. Hammer 1608—10, M. Joh. Berlocher 1609 und 
— 10, M. Job. Jak. Rülich 1612, Ad, Seiffnev 1616 und 17, ob, 
Agrikola 1618—23, Job. Mel. Büchelein 1623 — 33, Peter Walz 
1625 — 30, (1632 Pfarrer in Niefern), Eberh. Lutz 1633, (erſter 
Diakonus), M. Conr. Stalp 1633 (zweiter Diak.), Joh. Säuterlein 
1636. — Lehrer an der lateinifhen Schule, und zwar Rektor: 
M. Joh. Oder 1607—10, M. Dav. Langenberg 1613, Chr. Welſch 
1629, Albert Herold 1640—42. — Praeceptor primarius: M. Dar. 
Langenburg 1612 und 13, Tob. Gartelius 1615 —17. — Praeceptor 
secundae classis und Cantor: Alb, Herold 1626. — Deuter, 


Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert. 365 


Schulmeifter: Konrad Henderlein 1607, Eudarius Demutb 1612, 
Andr. Tarer oder Dachſer 1618— 34, Joh. Fenn 1646. — Organiſt: 
36. Ib. Schertlein 1615 — 17 (in letzterem Jahr wird er „Organift 
und Zoller“ genannt), — Das Amt eines Bürgermeitters be 
Heidete 1607 — 1609 Peter Maler 1), 1611 6. Simmerer, 1614 — 
1621 Jeremias Deſchler, 1622 — 1627 Wolf Karle, 1629 _ 1639 
abwechſelnd Joachim Bub und Hans Felder, 1642—1665 abwechſelnd 
Georg Meeber, Hans Beh und Hans Friedrich Kern ꝛc. 


$ 4, Veligionsunruhen in Pforzheim, 
(1601 — 1604.) 2) 


Markgraf Ernft Friedrich hatte Freude am Umgang mit gelehrten 
Männern, der indeß auf feine Glaubensanfichten einen gewaltigen Einfluß 
ausübte. Lebterer ging, da diefe Männer alle der Falvinifchen Lehre 
zugethan waren, zuletst fo weit, daß der Markgraf fi 1599 felber 
öffentlich zu diefer Lehre befannte und jeine Glaubensanfichten in einem 
Religionsbuch, dem jog. Stafforter Buch, nieberlegte. Ernſt Friedrich 
verlangte num, daß das ganze Yand ebenfalls die reformirte Lehre an- 
nehmen ſollte. Der Stadt Durlach) wurden Prediger diefes Bekennt— 
niffes aufgedrungen, und das Gleiche follte auch in Pforzheim gefcheben, 
Hier aber traf der Markgraf auf einen Widerſtand, den er in folder 
Stärke ficher nicht erwartet hatte. Es verdient das, mas ſich damals 
in Pforzheim ereignete, eine ausführliche Darftellung. 

Um 2. Auguſt 1601 predigte der Superintendent Benedikt Ungerer 
über das Evangelium von den fafchen Propheten und wandte ſolches 


— 


) Sein Bildniß, wie das feiner Frau Barbara, geb, Kercher, befindet ſich 
auf dem Rathhaus. 

2) Quell.n: Beftendiger und warhaffter Bericht, Erflärung und Defen: 
fonicrift Herrn Peter Ebergen, der Rechte Doktorn, nnd deß ꝛc. Kammer⸗ 
gerichts zu Speyr Abvocaten, wider bie newe Staffortiihe Kalvinifter und 
Zwinglianer, betreffend die fürgefallene Religionehandlungen mit ber Stadt 
Pforzheym u. ſ. w. Dept aufs New überjeben, marginirt und mit Bewilligung 
bei Auctoris nahgedrudt im Jahr 1603 (49%); — BVierordt, Gedichte der 
evangeliichen Kirche in Baden, IT, ©. 33-36; — Manuftripte bes Landes: 
archlvo Die weitere Literatur Über diefe Vorfälle ſiehe Sachs, IV., 269. 


366 Dreizehntes Kapitel, Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 


anf die veformirten Geiſtlichen an. Darüber fing ber Obervogt 
Johann von Münfter, der dem Gottesdienft amwohnte, in der Kirche 
ſelbſt einen ärgerlichen Lärm an und ftieß die Drohung aus, „daß er 
die lutheriſchen Geiftlihen in ihrer Religion zu Schanden machen ober 
ein Schelm fein wolle.” Der Superintendent beſchwerte ſich darüber 
bei dem Fürften, erhielt aber ftatt einer Antwort nad) einigen Tagen 
ſammt dem Diakon, dem Spitalpfarrer und dem Pfarrer der Altftadt 
feine Entlaffung. Die Bürger baten um Wiedereinfegung ihrer Geift- 
lichen oder doch um andere augsburgiicher Konfeffion aus dem Oberland 
oder dem benadhbarten Württemberg, fanden aber bei Hofe fein Gehör, 
jo daß die Stadt einige Zeit ohne Seelforger war. 

Am 29. Auguft fam eine Kutſche („mit vier weißen Pferden be: 
ſpannt“) in Pforzheim an, welche den Statthalter Wilhelm Peblis 
fammt drei veformirten Geiftlihen brachte. Auf die Nachricht davon 
liefen die Bürger auf ihre Zunftituben zufammen und verpflichteten ſich 
durch Handtreue, daß fie die kalviniſchen Prediger nicht annehmen woll- 
ten. Am folgenden Tag (30, Auguft) ließ der Statthalter die Bürger: 
ichaft auf das Nathhaus zufammenberufen („in ein Zimmer, welches 
fonft ein Tanzboden war,“) hielt in Gegemvart des Obervogts, des 
Sekretärs Grell und ber reformirten Geiftlihen eine Anrede wegen der 
„Abſchaffung“ ihrer bisherigen Prediger und ftellte den Bürgern ihre neuen 
Seeljorger vor. Er fonnte aber feine Rede nicht vollenden, weil die 
Bürger zu räujpern, zu jchreien und mit den Füßen zu ftampfen ans 
fingen, viele auch fih aus der Werfammlung entfernten. Es blieb dem 
Statthalter zulett nichts Anderes übrig, als das Gleiche zu thun und 
fi auf das Schloß zu begeben, er wurde aber auf der Straße von 
der lieben Jugend und dem Pöbel verböhnt. 1) Nachmittags verſam— 
melte fid die Bürgerfchaft abermals und befchloß, an den Markgrafen 
die dringende Bitte zu richten, der Stadt die kalviniſchen Prediger ab: 
zunehmen und ihr dafür Tutherifche zu geben. Zugleich wurde das Un: 
weſen entfhuldigt, das die Jugend und das Gefinde angefangen, Auch 
darauf erfolgte Feine Antwort; es fehlte jedoch nicht an Anzeichen von 
gewaltſamen Manfregeln, welche man geyen die Stadt im Sinne hatte. 
Darauf deutete man wenigftens auch die Anweſenheit eines pfälziſchen 
Hauptmannd aus Bretten, der mehrmals über den Markt ging, was 


——e 


*) „Sie bohrten ihm den Ejel mach und ſchabten Rübchen.“ 


Dreizehntes Kapitel, Pforzheim wom 16. zum 17. Jahrhundert. 367 


aud nicht ohne Verſpottung des Pöbels ablief. Auch ein Talvinifcher 
Geiftliher, welder aus dem Wirthshauſe herausfehen wollte, wurde 
ausgelacht, bis er endlich die Stadt wieder verließ. 1) Da die Pforze- 
beimer von Hofe feinen Beſcheid erhichen, waren fie auf ihrer Hut, 
nahmen den Neichsfammergerichtsadvofaten Ebert?) zu ihrem Sad: 
walter an und jchwuren am 11. Sept, auf öffentlichen Markt unter 
freiem Himmel, daß fie bei der reinen Lehre der augsburgifchen Kon: 
feſſion leben und fterben wollten. 3) Hierauf liegen fie fich ein beſon— 
deres filbernes Siegel mahen, auf weldem um das Bild des aufer: 
ftehenden Grlöfers die Worte eingegraben ftanden: „Siegel der Ein 
tracht zu Pforzheim“ (Sigillum Concordiae Phorcensis), verfiegelten 
damit eine jchriftliche Erklärung, welche fie dem Markgrafen nad Dur: 
lady jandten, und wählten einen Ausihuß von 13 angejehenen Männern, 
welche die Neligionsgeichäfte beforgen und fich durch einen feierlichen Eid 
verpflichten mußten, die augsburgiihe Konfejfion unverändert den Nach- 
kommen zu überliefern. Der Ausihuß ſchickte auch auf Verlangen des 
Magiftrats und der Bürgerfchaft den Stadtjchreiber nebft einigen andern 
Bürgern an Markgraf Georg Friedrich, als ihren Fünftigen Erb: 
herrn, auf die Hochburg ab, um feinen Beiftand in ihren Religionsbe— 
drüdungen zu erbitten. Er gab ihnen die Erklärung, daß er an ihrer 
Beftändigfeit, mit welcher fie in der einmal erfannten Wahrheit verharren 
wollten, ein gnädiges Wohlgefallen habe; fie möchten ſich aber in Allem 


1) „Uber jo voll, daß man hätte die Thür mit ihm aufrennen können,“ 
fagt Ebertz a. a. O. ©. 218, 

2) Er war aus Jony geblrtig und mit einer Pforgheimerin verheirathet. 
(Bierorbt, IE, 55.) 

2) Derjelbe Eid lautet (in heutigem Deutih): „Sch gelote und ſchwöre 
freiwillig, ungezwungen und ungebrungen einen leiblichen Eid zu Gott dem 
Allmächtigen, daß ich zur Ehre Gottes, zur Erhaltung der wohlhergebrachten 
augsburgiſchen Konfeffion und zur Verhütung alles Verweiſes bei ben Tieben 
Nahlommen einer ganzen Gemeine Pforziihen Bürger: und geihworenen 
Brübderfchaft zur Behauptung der väterlichen Religion mit Leib, Gut und Blut 
treuen Briftand leiften und was dem Einen Widriges Tegegnet, jo anjeben 
wolle, als jei cs mir felbft widerfahren; dem Gegner, wer der auch fein möge, 
nichts Geheimes offenbaren, auch auf des von der Bürgerſchaft erwählten Ge: 
ihrwornen-Ausichuffes begcehren aud da, wohin ich beichieden werde, einftellen 
wolle; jedoch unferm gnädigen Fürften und Herrn in weltlihen Sachen unter: 
thänigen gebührenden Gehorjam zu Teiflen unbenommen, Sp wahr mir Gott 
belfe unb das heilige Evangelium!“ 


363 Dreizehntis Kapitel. Pforzbeim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 


einer chriftlichen Beſcheidenheit befleißen, Für den Notbfall jagte er 
ihnen feinen Beiftand vor dem Meichsgerichte zu. 

In Durlady ſchienen die kalviniſtiſchen Räthe des Fürſten mittler: 
weile eingejeben zu haben, daß man im Pforzheim etwas zu plump 
vorangegangen wäre Sie fuchten deshalb alle Schuld der Unruhen, 
die darob entitanden, auf den dortigen Obervogt zu wälzen, und theilten 
dem Rathe der Stadt in einem fürftlihen Schreiben mit, man wolle 
den Obervogt, weil man bemerfe, daß er in Pforzheim gehaßt wäre 
und daß wohl feinetiwegen die dortigen Unruhen entjtanden jeien, von 
dort verfegen. Er bekam auch wirklich die Weifung, fih nad Rem— 
hingen zu begeben, verließ aber Pforzheim nicht, ohne den Bürgern noch 
eine Meine Abichiedsrede zu halten. Es war nämlich am Tage feines 
Abganges (17. Sept) Morgens 2 Uhr ein beftiges Erdbeben entitan: 
ben; darauf hin hatte Münfter die Schwachheit, zu fagen, das fei ge: 
ichehen, weil die Pforzheimer nicht Falvinifch werden wollten. („Für 
einen proteftantifchen Edelmann ift dies faft zu läppiſch“, fest Ebertz 
hinzu.) 

Am nämlichen Tag entſtand aber in Pforzheim noch die größte 
Verwirrung. Es hatte ſich nämlich das Gerücht verbreitet, daß die 
Stadt in der kommenden Naht durch einige Hundert Mann Kriegs—⸗ 
knechte vom Schloßthor aus Überrumpelt werden ſolle. Es fand dies 
Gerüht um fo mehr Glauben, da der Obervogt in Begleitung eines 
marfgräflihen Hauptmanns an diefem Tage fehr fchnell abgereist war, 
verfchiedene verdächtige Bürger ihre Effekten geflüchtet hatten und mehrere 
Kaufleute, welche von der Frankfurter Mefje kamen, in Pforzheim nicht 
übernachten wollten, fondern nad Tiefenbronn weiterritten. Ueberdies 
vermuthete man einige Kompagnien pfälzifher Truppen in dem nahen 
Heidelsheim, welche ſich dafelbft im Einverftändnig mit dem Markgrafen 
zufammengezogen hätten. Alles in der Stadt gerieth nunmehr in De: 
wegung. Die Bürger rüfteten ſich zu emergiicher Gegenwehr und ver: 
ſammelten fih auf ihren Zünften; man verftärkte die Wachen und ftellte 
au außerhalb der Stadt an mehreren Orten Spähwachen aus, fo auch 
eine am Klaffnert (dem Wald gegen Durlach). Gegen Morgen er: 
blicte diefe von ferne mehrere Fackeln, welde ſich gegen die Stadt zu 
bewegten. Aufs ſchnellſte eilten nun die Spähmwächter mit der Kunde 
in die Stadt, daß der Feind im Anzug begriffen je. Der Wächter 
am Brößinger Thor meldete es fogleid) dem Dr. Ebertz; noch fchneller 


Dreischntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 369 


aber verbreitete fi in der Stadt die Kunde, daR bereits 400 Mann 
in das Schloß gingelafien worden feien und die Gefahr den höchſten 
Grad erreicht Habe. Ebertz nahm fih kaum Zeit zum Ankleiden, hing 
ſich jelbft die Lärmtrommel um und ſchlug durch einige Straßen tüchtig 
drauf los, bis der Stadttrommler fam und ihn ablöste Ebenfo wurde 
die Sturmglode geläutet. Schnell hatte fich die Bürgerfchaft, der fich 
die in Pforzheim Wohnenden vom Adel anichloffen, auf dem Marktplage 
verfammelt, und Ebert rückte mit einem Theil derfelben vor das Schloß 
mit der Aufforderung, ihm das Thor augenblicklich zu öffnen. Dem 
Berlangen wurde durch des Amtskellers Schreiber fogleich entſprochen; 
man fand aber im Schloß feine Spur von Truppen, beſetzte es jedoch 
mit entjprechender Mannſchaft und lieh es mit einer Wagenburg umgeben, 
Enbdlid) brach der Tag an; allein es war von Kriegsvölkern weit und 
breit nichts zu fehen; wohl aber erfuhr man, daß wegen des Todes des 
Ritters Wolfgang Dietrih von Gemmingen, welcher Tags zuvor in 
Durlach geftorben, zwei Boten abgejchidt worden feien, welche ſich ber 
Dunkelheit halber mit Fadeln verjehen hätten. Dieje hatten nım ben 
Alarm in der Stadt veranlaft, Es mag an diefem Tag in Pforzheim 
an langen Gefichtern nicht gefehlt haben. 

Die Bürger mochten wohl denken, daß der Markgraf die Nachricht 
von diefen Vorgängen nidyt gleichgiltig aufnehmen werde, und fchickten 
deshalb am nämlichen Tag noch (18. Sept.) ein Entihuldigungsichreiben 
nah Mühlburg ab, wo der Fürſt damals ſich anfhielt. Diefer, aufs 
Heftigfte erbittert, verjammelte fogleic feine Näthe um ſich; aber fie 
fanden die Anwendung von Waffengewalt unförderlih. Zwar der per: 
ſönlich beleidigte Statthalter Peblis fchrieb drohend an die ftädtiiche 
Obrigkeit zu Pforzheim, er werde fie alle mit Weib, Kind und Gefind 
peinlich belangen; aber doch rieth er dem Markgrafen, man folle dem 
reformirten Kult vorerft nur eine der Pforzheimer Kirchen zu öffnen 
ſuchen. Auch der Dbervogt Münfter rieth von gewaltſamem Vorgehen 
gegen eine Bürgerfchaft ab, mit der er nicht fertig hätte werden können, 
obgleich er als Amtmann zu Wied am Niederrhein eine ganze Graffchaft 
zur rechten Lehre belehrt habe. Es ſei namentlich zu befürchten, daß 
viele von der Bürgerfchaft am Ende auswandeın und dem Markgraf 
bedeutende Einnahmen an Zoll, Stener und Schakung verloren gehen 

Pflüger, Pforzheim, 24 


370 Dreigehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert, 


möchten, Ebenſo war ein anderer rechtögelehrter Rath, Juſtus Neuber, 
der Anficht, daf man die Sache etwas jubtiler hätte angreifen und nicht 
drein fahren jollen, wie „der Hagel in die Häfen.“ Hätte man vorerft 
gefucht, einige Pforzheimer für die reformirte Lehre zu gewinnen und 
dahin zu bringen, ſelbſt um eimen Falvinifchen Geiftlichen anzubalten, fo 
wäre es ficherlich beffer gegangen und die neue Lehre würde den Bür- 
gern ſelbſt nicht mißfällig gewefen fein. In gleihem Sinn ftimmten die 
übrigen Näthe (Joh. Rupr. Tiſchelin, Jakob Commali und Karl Paul); 
fie wiefen auf die Gefahr eines allgemeinen Aufftandes bin, da auch 
das Landvolk gut lutheriſch gefinnt fei und die Stadt Pforzheim auf 
den Beiltand des Markgrafen Georg Friedrich zähle. 

Darauf bin beſchloß der Markgraf, der Sache einen mehr politifchen 
Charakter zu geben, die Religion weniger ins Spiel zu bringen, aber 
gegen die unrubigiten Köpfe unter den Bürgern, namentlich gegen ihren 
Rechtsbeiſtand Dr. Ebert, einen peinlihen Prozeß einzuleiten. Er 
jandte darum am 25. September zwei Offiziere, den Hauptmann Karl 
von Schernftetten und den Lieutenant MWeinfchent, nach Pforzheim und 
gab ihnen ein Schreiben mit, worin er der Bürgerichaft ihr Benehmen 
gegen den Statthalter Peblis, den Obervogt v. Münfter, ihren Troß, 
ihre Halsftarrigkeit und ihr aufrühreriſches Weſen vorbielt und ihnen 
gebot, ihr Bündniß aufzugeben; denen, die davon abgingen, follte ver: 
ziehen, die übrigen aber mit peinlihen Strafen belegt werden, Am 
26. September Vormittags 9 Uhr verfammelten diefe Abgeordneten 
die Bürgerfchaft und lafen nach vorausgegangenem Trompetenfhall den 
fürftlichen Befehl vor. Die Bürger verlangten eine Abichrift und Be: 
denfzeit; erjtere wurde verweigert, leßtere bis Mittags 1 Uhr geftattet, 
Während der Zwifchenzeit verfaßten die Bürger eine Erklärung und 
Iafen fie öffentlich ab. Sie fagten darin, daß es nie ihr Wille geweſen, 
noch wirklich fei, ihrem Fürften ungeborfam zu fein; fie verlangten mur: 
1. bei ihrer bisherigen Iutberifchen Neligion gelaffen zu werden; mur 
diefe hätten fie beichüten wollen, was fie bei ihrem ide bezeugen 
könnten; 2. verlangten fie, bei ihrem Neligionseide zu bleiben, weil folder 
gegen Niemanden gehe; 3. bäten fie aud um einen Iutherifchen Super: 
intendenten und um Bejorgung von Kirche und Schule durch lutheriſche 
Geiftlihe, und 4, um Mittheilung des fürftlichen Befehls, um fich ver 


Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert. 371 


antworten zu können. Die fürftlihen Abgeordneten gingen auf biefe 
Begehren nicht ein, bemühten fich aber, die Bürger zum Abfall von 
ihrem Religionseid zu beivegen und betbenerten dabei mit derben Flüchen 
(„der Teufel jolle fie mit Leib und Seel! holen“), daß der Religion 
der Pforzheimer fein Eintrag mehr geichehen und daß Ebertz ſicher 
Geleit Haben ſolle. a, der Hauptmann von Schornitetten erbot fi 
fogar, ihnen die Kapitalbriefe über viele taufend Gulden, die er bei der 
Landſchaft Liegen babe, als Unterpfand für die Aufrichtigfeit feiner Be: 
theurungen zu hinterlegen. Die Bürger fchienen nicht ganz abgeneigt, 
denfelben Glauben zu schenken, wurden aber von Eberk bald wieder 
„berumgebracht,* Mittlerweile war vom Markgrafen der Befehl einge: 
laufen, Ebert zu verbaften und gefangen nah Durlach abzuführen. 
Als deshalb am andern Tage die beiden Abgejandten ſich abermals auf 
dem Rathhaus eingefunden hatten, um diejenigen Bürger aufzunehmen, 
welche bei dem bürgerlichen Huldigunggeid verharren wollten, (dazu 
waren wohl alle geneigt ,) wurde jedem Einzelnen bei ſchwerer Xeibes: 
ftrafe geboten, ſich des Dr. Ebertz in feiner Weile anzumehmen und 
ruhig nad Haufe zu gehen. Um 4 Uhr Nachmittags wurde nun auch) 
Ebert vorgerufen. Er ſäumte nicht, zu erfcheinen, da er fich zu jeder 
Berantwortung bereit finden lafjen wollte, war aber nicht wenig erjtaunt, 
als man ihm Arreft ankündigte und ihm befahl, alle Akten, die Huldi— 
gung betreffend, ſowie auch das Geld, das die Bürger zufammengefchofien, 
auszuliefern. Ebertz erklärte fih zu Allem bereit, jogar zum Arreſt, 
wenn man ihm die Verficherung gebe, daß ihm keine Gewalt angethan 
werde. Das wurde von den Abgeordneten zugefagt, jedoch am folgenden 
Tage bei Fortiegung der Verhandlungen dazu bemerkt, daß Ebertz laut 
eingetroffenen fürftlichen Befehls nach Durlach verbracht werden müſſe. 
Dagegen proteftirte Ebertz, weil ihm natürlidy bei der Sache nicht wohl 
zu Muthe war, und da ihm ohnehin Verfchiedenes, was in feiner Gegen: 
wart vorging, jehr verdächtig erfchien, jo paßte er einen günftigen Augen: 
blit ab und fprang unverfehens zur Thüre hinaus, Unter dem lauten 
Zurufe, dag man ihn halten folle, folgte ihm Schernftetten nad, faßte 
Eber& beim Aermel, als diefer eben das Treppengeländer ergriff, konnte 
ihn aber nicht zurüdziehen, und jo purzelten Beide miteinander die halbe 
Treppe hinunter. Mittlerweile war aud der Lieutenant Weinjchenf 
j 24 * 


372 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert, 


nachgefprungen, brachte den Kopf Ebertz's unter feinen Arm, verftopfte 
ihm, da er fortwährend laut nach den Bürgern fchrie , den Mund und 
griff ihm nach der Gurgel, Durch das Rufen und Schreien aufmerkfam 
gemacht, ſprang jegt ein Bürger, ein Wollenweber, mit einer Urt herbei, 
ſchwang dieſelbe drohend gegen Weinſchenk umd rief aus: „Daß euch 
potz Saferment ſchänd! Heißt das Fried und Geleit zugejagt ?“ Es wäre 
jeboch um Ebert geſchehen geweien, da jetzt auch einige Kriegsfnechte 
die Treppe herab nad) ihm ftießen, wenn ihm nicht der Schreiner Fo: 
Hann Eichelin mit einer Hellebarde zu Hilfe gefommen wäre, Wein— 
ſchenk mußte num von Eberg ablafjen, der mit einem Sa die Treppe 
hinunter fprang und auf den Marktplatz eilte, wo ſich bereits die Bür— 
gerichaft in Waffen aufzuftellen begann. Alles war aufgebracht über 
das Benehmen der Offiziere, die nun im Rathhaus in fiherm Gewahr: 
ſam gehalten wurden, („fie hatten fi) im Adler eine Mittagsmahlzeit 
beftellt, daraus wurde aber eine Abendmahlzeit, weil fie bie 6 Uhr 
Abends eingefperrt waren; nach mancherlei Veriprechungen wurden fie 
endlich fortgelaffen und im Wirthshaus bewacht,“) bis Eberg ins Nürts 
tembergifche in Sicherheit gebracht war. Von dort ging er über Bruch: 
fal nach Speier, wo er zwar auf Begehren des Markgrafen durch ben 
Magiftrat gefänglich eingezogen, aber durch das Reichskammergericht 
bald wieder befreit und auch gegen ‚die ferneren Verfolgungen Ernft 
Friedrichs in Schub genommen wurde, 

Man follte nun glauben, die Erbitterung des Markgrafen müßte 
einen noch höheren Grad erreicht und ihn zu noch fchärferen Maaßregeln 
gegen die Pforzheimer bewogen haben. Von Beidem fand aber das 
Gegentheil ftatt. Es fcheint, daß es den Bemühungen einiger Bürger, 
darunter namentlic des Apothefers und Rathsherrn Mich. Joh. Grie- 
ninger, gelang, den Markgrafen zu befänftigen und ihm über die ' 
Berhältnifie zu Pforzheim eine andere Anficht beizubringen. Auch war 
ja jet derjenige, ben der Fürft für den Hauptanftifter und Rädels— 
führer bei den Pforzheimer Unruben hielt, nämlich Ebertz, aus der 
Stadt entfernt. Genug, es lief am 29, September ein Schreiben an 
jene beiden Offiziere ein, worin der Markgraf ſich anheiſchig machte, 
zur „Erklärung feines fanftmütbigen Gemüths“ den Bürgern ihre be: 
gangenen bochiträflichen Frevel zu „condoniren und nachzuſehen“, wenn 


Dreizchntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert. 373 


fie die Bewachung der beiden fürftlichen Gefandten aufgeben nnd ver- 
iprehen wollten, fidy des Dr. Eberb, dieſes ehr: und eidvergeffenen Ge: 
jellen, welcher uns an unferer fürftlichen Ehr und Vepntation und in 
anderm eg ehrendiebifcher, freventlicher Weile angegriffen,“ nicht mehr 
anzunehmen. In einem Boftjeriptum zu dieſem Echreiben heißt es fer: 
ner: „Uns jammert der armen unverjtändigen und verblendeten Leute 
zu Pforzheim, daß fie um des ehr: und eidvergefienen Mannes, Peter 
Ebertz willen, neuen Tumult angefangen und unter fo viel Hunderten 
nicht Einer geweſen, ber da bedacht hätte, daß ſolches Ehrendiebes Ver— 
baftung ihnen mehr zur Gnade, denn zur Ungnade angejeben, ja mehr 
zur Ehre, denn zur Unehre, wie auch ihren Weibern und Kindern zum 
Beiten gereicht ꝛc.“ Genug, die Pforzheimer fcheinen bezüglich der bei— 
den Vefangenen dem Markgrafen zu Willen gemejen zu fein und auch 
bald darauf ihre Iutberiichen Prediger, mit Ausnahme des Superinten: 
benten,, wieder erhalten zu haben. Damit war ja auch der Grund zu 
weiterer Widerſetzlichkeit für jetzt befeitigt. 

Allein nah fast drei Jahren brady der Sturm, und zwar ernftlidher 
als je, von Neuem los. Es follte ein wiederholter Verfuh gemacht 
werden, die Stadt Pforzheim zur reformirten Lehre zu bringen, und 
zwar, da andere Mittel fruchtlos erichienen, durch Gewalt. Am 
14. April 1604 zog der Markgraf an der Spite einer Anzahl Solba— 
ten, die er durch bewaffnete Bauern verſtärkt hatte, von Durlach aus gegen 
die unfügfame Stadt, Als die Nachricht davon in Pforzheim eintraf, 
verrammelten die Bürger ihre Thore mit Laftwagen und ähnlichen 
Mitteln, wie fie die Eile des Augenblides ihnen darbot und griffen zu 
den Waffen, um bie drohende Gefahr mit ftandhaftem Muthe zu em: 
pfangen. Doc die weitere Kunde, die bei ihnen eintraf, lautete auf 
eine ganz andere und unerwartete Weije. In Remchingen, dem ſchon 
mehrerwähnten Flecken, der fich zwifchen Durlach und Pforzheim befand 1), 


) Im Jahr 1735 war von demſelben noch die Kirche vorhanden und 
wohnten bei derſelben aber nur noch 6 Haushaltungen. Die Orte Wilferdingen, 
Singen und Kleinfteinbad waren bamals dahin eingepfarrt. (Pforzheimer 
Diozes:, Kirchen: und Schulbeihreibung von 1735 im Landesarchiv.) 


374 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 


wurde der Markgraf an jenem 14. April vom Schlagfluß getroffen, der 
feinem Leben nody am gleichen Tage ein Ende machte. Die Tradition 
gibt als Grund davon den Aerger an, welchen der ſehr ftarf beleibte 
Ernft Friedrich in Remchingen bei der eben eintreffenden Nachricht em: 
pfunden babe, daß Pforzheim fich zur entichlofjenften Gegenwehr rüfte, 
In ftillem Zuge kam feine Leiche in diefer Stadt an, um im fürftlichen 
Erbbegräbniß dafelbft beigefeßt zu werden. Mit feinem Tode und 
dem Negierungsantritt Georg Friedrichs hörten alle Religiongbedrüdun: 
gen auf. 


VBiersehntes Bapitel 


Pforzheim während des dreißigiährigen Krieges. ') 
(1618 — 1648.) 


$ 1. Einleitung. 


Der im Jahr 1555 zu Augsburg abgeicloffene Neligionsfriede 
(S. 320) war leider nur ein Äußerlicher geweien. Unter dem evange— 
liſfchen und katholiſchen Ständen Deutjchlands und den verichiedenen 
Neligionsparteien überhaupt herrſchte feine Eintracht, fondern der Riß 
wurde von Jahr zu Jahr größer, der Hader immer bitterer, bis endlic, 
ein Krieg ausbrach, blutiger und anhaltender, als felbft die ſchwärzeſte 
Ahnung ihn hätte vorausfagen können, 

Da das gegenfeitige Mißtrauen zwiſchen Katholiten und Proteftan: 
ten allmälig einen hohen Grad erreicht hatte und durch jeden ausgebo- 
benen Soldaten, jeden reifenden Gejandten, jeden Kourierwechſel genährt 
wurde, jo traten die meiften evangelifchen Fürften Deutichlands 1608 
zu einem Bündniß zufammen, dag fie Union nannten. Zu den eif: 
rigften Mitgliedern derfelben gehörte Markgraf Georg Friedrich von 
Baden-Durlach. Ihm wurde das Kommando über einen Theil ber 
aufzuftellenden Unionstruppen, nämlich die Neiterei, übertragen, während 
der Kurfürft von der Pfalz das Direktorium des Bundes erhielt. Die 
Gründung der Union rief bei den katholiſchen Nürften eine ähnliche Ver: 
einigung, bie Liga, hervor, an deren Spike der Kurfürft Marimilian 
von Baiern fich ftellte. Auf beiden Seiten wurden die umfaffenditen 
Kriegsrüftungen betrieben, und auch in Baden-Durlach wußte der Mark: 
graf die Zahl feiner Truppen nad und nad jo zu vermehren, daß er 
im Jahr 1617 über eine Heeresmaht von 15,000 Mann, darunter 


1) Quellen verfchieden, meift betr. Drts angegeben. J 


376 Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißinjährigen Krieg. 


viele geworbene Truppen, Mujterung halten konnte. Es gehörten dazu 
auch die 4 Landwehrregimenter, die er gleich den übrigen Fürſten der 
Union errichtet hatte, nämlich Unterbaden, Oberbaden, Hochberg und 
Rötteln. Das erftgenannte hieß auch das weiße Negiment und beftand 
aus Angehörigen aller zwiſchen Pforzheim und dem Rhein gelegenen 
Drte. Eine der 9 Kompagnien des Megimentes hatte die Stadt 
Pforzheim geſtellt. — Sole Kriegsrüftungen legten dem Lande 
- fhwere Raften auf, „Man ift in diefem Jahre“, fo klagt 1614 die 
Chronik des badiſchen Dorfes Britingen, 1) „mit Muſtern und Ererziven 
der Untertbanen heftig umgegangen und bat, mit Weränderung ber 
Mehren zu Fuß und zu Roß, auch mit Röcken und Kleidungen ber 
ausgewählten Truppen große Koften gemacht.“ Nicht Tange nachher 
erging aud ein Befehl des Markgrafen an feinen Vogt und Oberft- 
lieutenant Bertram v. Herſchbach zu Pforzheim, nach welchem- er bezüg- 
lich der Befeftigungswerke der badifhen Städte und Schlöffer genaue 
Inſpektion halten und, wo nöthig, zu SHerftellung derielben das Erfor: 
derliche vorkehren follte, 2) Vielleicht zu theilmeiier Dedung ſolcher Koften 
oder ähnlicher Ausgaben war der Markgraf genöthigt, am St. Thomas: 
tag (21. Dez.) 1617 bei den Pforzheimer Antsfleden ein Anlehen 
von 1720 Gulden zu machen, das 4 Jahre lang nicht, nah Umfluß 
berjelben aber, wenn noch nicht beimbezahlt, mit 5 vom Hundert verzinst 
werben follte. 3) 

Zur Erhöhung feiner Truppenmacht hatte nun freilich Georg Fried: 
rich noch einen bejondern Grund Wie ſchon (S. 354) erzählt, befand 
fi die Markgrafichaft Baden-Baden fortwährend in feinem Beſitz, weil 
er den Kindern des Markgrafen Eduard Fortunat, der 1600 geitorben 
war, die Erbfähigfeit nicht zugeftehen wollte. Sowohl die Mittwe 
desjelben, als ihr äÄltefter Sohn Wilhelm fuchten die Anfprüche des 
Lestern auf Baden» Baden zur Geltung zu bringen, Erſtere veiste 
überall umber, und bei den Fatholifchen Fürſten und dem Kaifer felbft 
fand fie ein um fo bereitwilligeres Ohr, als ihr Sohn eben diefer Kirche 


—. 


ı) Bierobt, I., 152, 
2) Aften des Generallandesargivs, 


3) Dbligatio von Herrn Markgraf Georg Friedrich Durqhlauqht geg. die 
Pforzheimer Amtoflecken; im Stadtarchiv. 


Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 377 


angehörte, während Georg Friedrich ein eifriger Lutheraner war. Bei 
Ausbruch eines Krieges fand, fo fürdstete der Markgraf, der Befit von 
Baben-Baden auf dem Spiel, und um ſich denfelben zu fichern und 
nöthigenfalls felbft durch Maffengewalt zu vertheidigen, hatte er fo aus: 
gebdehnte Rüftungen veranftaltet. Es Sollte fich ſpäter zeigen, daß feine 
Befürchtungen nicht ungegründet waren. 

Im Jahr 1618 brach in Böhmen der Krieg endlih aus, der 
Deutichland dreißig Jahre lang verbeeren und fo unfäglihes Elend auch 
über unfer engeres Vaterland und über Pforzheim bringen follte. Aus 
den Trümmern zweier böhmischen Kirchen, welche die proteftantifchen 
Untertbanen katholiſcher Gutsherrn gebaut hatten, die aber auf Befehl 
der letztern wieder niedergeriffen wurden, fchlug die verberbliche Flamme 
des Krieges empor. 


82. Die erften Jahre des Krieges. 
(1618— 1622,) 


Die Böhmen hatten dem Kaifer Mathias den Gehorſam aufge: 
fündigt und wollten nach defien Tode, durch glüdlihe Waffenthaten er: 
mutbigt, audy feinen Nachfolger, den bigotten Kaifer Nerdinand IL, 
nicht als ihren König anerkennen, fondern beriefen den Kurfürſten Fried: 
rih V. von der Pfalz auf den böhmischen Thron, zu welchem er aber 
weder Kopf, noch Herz, noch eine zum Kampfe geeignete Fauft mit: 
brachte. In kurzer Zeit hatte fich deshalb das Waffenglück gewendet, 
und mit Blipesichnelle ftürzte das vereinigte Heer der Liga ımd des 
Kaifers, unter der Anführung Marimilians von Baiern, über das un: 
glüktihe Böhmen, Am weißen Berg bei Prag wurde das Heer Trieb: 
richs 29. Dit. (8. Nov.) 1) geſchlagen, und der König begab ſich auf 





1) Die Lejer werben in der Geſchichte des 30jährigen Krieges ſowohl, als 
während bes ganzen 17. Jahrhunderts, immer doppelten Daten begegnen. 
Dies rührt von ber Kalenderverbefferung ber, die 1582 durch Papft Gregor XIII. 
deöwegen vorgenommen wurde, weil ſich herausgeſtellt hatte, daß ber bisherige 
julianifhe Kalender unrichtig und man damals in der Zeitrehnung um 10 
Tage zurüd war. Es wurden deshalb im gemannten Jahr 10 Tage ausge: 


X 


378 BVierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 


die ſchleunigſte Flucht. Da während feiner Abmwefenbeit aus der Pfalz 
die Spanier unter Spinola in diefe eingedrungen waren, fo ſuchte er, 
vom Kaifer geächtet und feiner Würde und feines Yandes für verluftig 
erklärt, feine Zuflucht in Holland. Seine Sache jchien vettungslos ver: 
foren, erhob fi aber von Neuem gegen die furchtbare Uebermacht 
Deftreihs , Spaniens und der Liga durch die Tapferkeit einiger Män— 
ner, welche für den Kurfürften und zugleich für die gefährdete proteſtan— 
tische Kirche das Schwert ergriffen. Es waren dies der Graf Ernſt 
von Mansfeld, der Herzog Chriftian von Braunfchweig und bald darauf 
au der Markgraf Georg Friedrih von Baden. 

Mar der Schauplag des Krieges in den eriten Jahren feiner 
Dauer auf Böhmen und Deftreic bejchränft geweien, jo breitete er 
fih bald über ganz Deutjchland aus und wurde ſchon im ‚Jahr 1621 
in unfere Gegenden verlegt. Mansfeld, aus Böhmen verdrängt, hatte 
ſich bis in die Mheinpfalz durchgeſchlagen und kämpfte bier nicht ohne 
Erfolg gegen die eingedrungenen Spanier. Im Spätjahr 1621 brands 
haste er Bruchfal und die übrigen bifchöflichen fpeieriichen Orte, und 
bei diefem Anlaffe erhielt Pforzbeim jeine erften Kriegsgäfte, welde 
duch ihre Ankunft nur zu deutlich verriethen, daß ihnen bald ſchlim— 
mere nachfolgen würden. Es waren dies Einwohner von Bruchſal, ſowie 
der umliegenden Orte, namentlicy von Grumbad und SHeidelsheim, welche 
in Pforzheim vor den Mansfeld'ſchen eine Zuflucht fuchten. (13., 30. 
Nov, 12.— 21., 26. Dez. 1621, 9. Jan. 1622)1). Der Graf von 
Mansteld begab fich indefjen bald auf die linke Mheinfeite zurüd, wo er 
dem biſchöflich ſtraßburgiſchen Gebiet ein gleiches Schickſal wie dem 
fpeierifchen bereitete. Mittlerweile war auch der liguiſtiſche General 
Tilly vom Main ber dur den Odenwald und das Nedarthal in die 
Pfalz vorgedrungen, um den rechtsrheiniſchen Theil derfelben für den 
Herzog Mar von Baiern zu beſetzen, während der Spanier Spinola 


laffen und die erforberlihen Einrichtungen getroffen, um ber Wiederkehr äbn: 
licher Jrrungen vorzubeugen. Den neuen verbeflerten oder gregorianiichen Ka: 
lender nahmen aber bamals nur die Katholifen an; die Proteftanten entichloffen 
fi viel jpäter erft dazu. Man hatte deshalb nod lange zwei Kalender neben 
einander, nämlih den „alten“ und den „neuen Stils“, baher die doppelten 
Daten. Das Datum neuen Stils ift oben immer in Klammer beigejegt. 

*) Städtiſches Kirhenbud von 1607—1646, ©, 140, 141 und 142. 


Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreigigiährigen Krieg. 379 


in der überrheinifchen Pfalz ftand. Zu diejen zwei feindlichen Heeren 
fam noch ein drittes, welches der Bifchof von Straßburg, Erzherzog 
Leopold, im Elſaß zufanınsengtaogen batte, — Grund genug für Mark: 
graf Georg Friedrich, auf feiner Hut zu fein, um fich von dem drohen— 
den Gewitter, das ſich über ihm zuſammenzog, nicht umvorbereitet 
überfallen zu laſſen. Er fuchte deshalb feine ſchon ſehr beträchtliche 
Truppenmacht noch mehr zu vergrößern, nahm den Herzog Wilhelm 
von Weimar und deſſen ſpäter jo berühmt gewordenen Bruder Bern: 
hard, ſowie den Herzog Magnus von Württemberg in feine Dienfte 
und ließ in der Schweiz, den jüddeutichen Reichsſtädten und Weſtpha— 
len erneuerte Werbungen anftellen. Es ſcheint, daß die Söldlinge, 
welche Herzog Magnus dem Markgrafen zuführte, ſammt ihm einige 
Zeit in Pforzheim in Garniſon lagen. Wenigſtens wird der Küchen— 
meiſter des Herzogs als in der Stadt anweſend aufgeführt. Ein Ka— 
pitin diefer Truppen hieß Georg Wolf von Landsberg, der ung am 26. 
Dez. 1621 und 9. Jan. 1622 begegnet. Das Korps, weldes im 
März als in der Stadt legend erwähnt 1) und von weldem ein Ka— 
pitän Gültlinger, ein altwürttembergifcher adefiger Name, genannt wird, 
ift wohl dasfelbe geweien. 

Noch hatte indeffen der Markgraf am Kriege feinen thatfächlichen 
Antheil genommen, und Oeſtreich gab fih alle Mühe, ihn nicht nur 
davon abzuhalten, fondern ihn auch zur Entlaffung jener Truppen zu 
bewegen. Der Erzherzog Leopold fuchte ihm namentlich darzuthun, 
daß feine Befürchtungen wegen der Herausgabe von Baden-Baden ohne 
allen Grund ſeien. Allein der Marggraf traute ſolchen Verſicherun— 
gen nicht, und als vollends der vertriebene König Friedrich von Böhmen 
aus feinem Eril unerwartet in Landau antam, mit Mansfeld in Ger: 
mersheim zufammentraf und einen Eilboten um den andern an Georg 
Friedrich mit der Bitte um Hilfe fandte, da brachte die ritterlihe Ges 
finnung des Markgrafen für den verlafjenen Pfälzer den Entſchluß zur 
Reife, fi offen am Kampfe zu betheiligen. Am 15. (25.) April 
brad) er mit einem Heere von 15,000 Mann von Durlad auf und 
zog über Stafforth in den Kraichgau. Dabin fette fih auch Mansfeld 
in Bewegung, und bei Wiesloch Fam es zwilhen ihm und Tilly am 


) Stãdtiſches Kirchenbuch 


380 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigjäbrigen Krieg. 


17. (27. April) zu einem Treffen, welches letzterer verlor. Tilly zog 
fi) nunmehr über Einsheim nah Wimpfen zurüd, während Mansfeld 
die Belagerung von Ladenburg unternabm, 


$ 3. Die Schlacht bei Wimpfen 
am 26. April (6. Mai) 1622. 1) 


* 


Wi — 
9 — * 





Das Schlachtfeld von Wimpfen. 


H = Heilbronn, NG = Nedargartah, BH — Bellinger Hof, 
OE =. Obereifisheim, TUE — Untereifisheim, Wi = Wimpfen, Bo 
= Bonfeld, F = Fürfeld, Sch —= Schwaigen, Bi — Biberach; 
— N = Neckar, BB = Bellinger Bah, Br = Brücke darüber, 
Wa = Wartberg bei Biberach, DW — Dornet Wald; — I. — 
erfte Aufftellung Markgraf Georg Friedrichs, I. — zweite Aufftellung 
Georg Friedrichs, IT. — Tilly, IV. — Gordova. 


) Quellen für diefen Abſchnitt ber Pforzheimer Geihichte, der von jeber 
für einen Glanzpunft derfelben galt, find: Aften und Manufcripte Großb- 


Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 381 


Nah dem Abzug Tilly's nahm der Markgraf Sinsheim, Hilsbach 
und noch andere Orte ein, und folgte alsdann auf der Straße von 
Schwaigern und Biberach den liguiftifhen Truppen nad), Bei letzterm 
Drte nahm der Markgraf feine Stellung, während Tilly näher bei 
MWimpfen ftand, Georg Friedrich war feinem Gegner an Macht über: 
legen, weshalb Tilly in aller Eile den nicht weit entfernten General 
Gonzalo de Cordova zu feiner Unterſtützung berbeirief: ein Umftand, 


Generallandesardivs, darunter namentlih ein Schreiben, welches Georg Fried— 
rih über die Wimpfener Schlacht acht Tage nad berfelben, nämlihd am 3, 
(13.) Mai, von Durlah aus an den Markgrafen Joachim Ernft von Brandene 
burg richtete, — ferner ein Schreiben des Sekretärs Abel an ben Nürnbergis 
hen Stadtoberjten v. Leubelfingen, „wie es in der Wimpfener Schlacht berges 
gangen,* — Alten aus ben Archiven der Städte Heilbronn und Wimpfen, — 
Bericht eines ungenanntn Augenzeugen, (vaterländiihe Blätter von 
Schreiber, 1812). — Deimling, & 8, bie vierhundert Pforzheimer (1788). 
— Der durchlauchtigſten Fürſten und Markgrafen von Baben Leben ꝛc., 
(Frankfurt und Leipzig, 1693). — Heyd, Geihichte der Stadt Wimpfen 
(Darmftadt, 1836) mit der gleichzeitigen „Relation eines Wimpfener Dominis 
fanırd.” — Jäger, Gedichte der Stadt Heilbronn nach handſchriftlichen 
Qucllen. — Khbevenmüller, Annales Ferdinandei, Band IX., (Leipzig, 
1724). — Kontraktenbücher auf Großh. Amtsrevilorat zu Pforzheim. — 
Laroche, die Schlacht bei Wimpfen, (Abhandlung in ber Beitfchrift für Kunſt 
und Wiſſenſchaft des Krieges, Jahrgang 1846, Heft 7 und 8, Berlin). — La» 
roche, der dreifigjäbrige Krieg vom militäriihen Standpunkt. (Schaffpaufen, 
1848). — Leihtlen, Badens Kriegsverfafjung, beionders Landwehr und Lands 
fturm im 17, Jahrhundert, (Karlsrube, 1815). — Mallinger, Th. Tag: 
bücher 1613—1660, m Mone's Quellenſammlung I,, (Karlsruhe, 1854). — 
Münd, E. Erinnerung an die Schlacht bei Wimpfen, (freiburg, 1824). — 
Nicolai Helvieci Chronicon (1641). — Poſſelt, Dr. bem Baterlandstob, 
der 400 Pforzheimer, (Karlörube, 1788). — Stiftungsregnungen im 
Stadtarchiv zu Piorzheim (1604 —1633). — Taufbud, älteftes, ber Stadt: 
pfarrei Pforzheim (1607-1646). — Theatrum Europaeum, I. (5. 626). — 
Befanntlih ift auch der Heldentob der 400 Pforzheimer bei Wimpfen vielfach 
dichterifch gefeiert worden, fo von Ferrand, Brauer, Bogel, Babo, Hofmann, 
Dieter, Kempte u. A. Auch Tromlig bat bdenfelben zum Gegenitand einer 
Noville gemacht. — Die nachfolgende Schilderung der Schlacht ift nach ihrer 
militäriichen Seite meift nad) Laroche, als einem Mann vom Fach gegeben, 
ber dazu hauptſächlich die betreffenden Alten aus den Archiven der Städte 
Heilbronn und Wimpfen zu Grund gelegt bat. Selbftverftändlih find aber 
auch die andern Duellen dabei mitbenüßt worben, 


382 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 


ber im Verlauf der Schlacht fehr zum Nachtheil des Markgrafen in 
die Wagſchale fallen jollte, 

Das ganze ftreitbare Heer Georg Friedrichs beftand, wie oben 
bereits bemerkt, aus etwa 15,000 Mann, melde fih auf 6—8 Regi- 
menter Fußvolt, 24 — 28 Weiterfähnlein und die Geſchützmannſchaft 
vertbeilten. Zur Infanterie gehörten die vier ichon erwähnten Land: 
wehrregimenter Oberbaden, Hochberg, NRötteln und Unterbaben oder 
das weiße Negiment. Letzteres zählte 9 KRompagnien, wovon 2 
auf Stadt und Amt Durlah, 1 auf das Amt Graben, 1 auf das 
Amt Mühlburg, 1 auf die Stadt und 2 auf das Amt Pforzheim, 
41 auf das Amt Staffortb (und nody einen Theil von Durlah) und 1 
auf die Aemter Stein und Langenjteinbah kamen. jede Kompagnie 
war 300 Wann, das ganze Regiment alſo 2700 Mann ſtark. Das: 
jelbe wurde vom Oberſten v. Helmftädt befehligt. Stadt und Amt 
Pforzheim jtellten aber gemeinjchaftlich mit Stein und Langenſteinbach auch 
ein Neiterfähnlein, das 100 Mann zählte und, weil Pforzheim den 
größten Theil davon ausrüjtete, das „Pforzheimer“ genannt wurde. 
Ben den „400 Pforzheimern“, die in der Schlacht von Wimpfen 
mitfämpften, war alſo weitaus der größte Theil von der Stadt Pforz: 
heim geftellt. Außer den 4 Landwehrregimentern zählte das Heer Georg 
Friedrihs 1 Pfälzer und 1 Weimarer Regiment. Diefe beiden hatten 
dem Markgrafen die Herzoge Wilhelm und Bernhard von Weimar 
zugeführt, Andere Theile des Fußvolfes waren ſolche Truppen, bie 
der Markgraf felber in der Schweiz ıc. geworben. Ein ganzes Re: 
giment Schwabenreiterei, 1500 Mann jtark, hatte Herzog Magnus von 
Württemberg dem Markgrafen zugeführt. Die Kavallerie zählte über: 
dies auch einige Abtheilungen Franzojen. In der nächſten Umgebung 
des Markgrafen war feine Leibwache, eine 154 Mann ftarfe Abtbeilung 
Reiterei und ein Fähnlein Fußvolk. Die Mannſchaft des leßteren trug 
glänzende NRüftungen, und war Jeder mit zwei Rohren und außerdem 
mit Schwert und Lanze ausgerüftet, Das jchwere Geſchütz zählte 40 
Feldſtücke und außerdem 70 fogenannte Spit: oder Spiefwagen. Die: 
jelben waren eine Erfindung des Markgrafen. ine Haubite, die leicht 
gedreht werben konnte, rubte auf zwei Balken, welche wieder auf zwei 
bis drei Achſen mit vier oder fehs Rädern auflagen, dody jo weit von 
den Rädern entfernt, daß bdiefe mit dem Wagen leicht gewendet werden 


Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breikigjährigen Krieg 383 


konnten. Die Ballen waren mit nad außen gerichteten eifernen Spiten 
beichlagen, daher der Name Spitwagen. Diefelben leifteten vortreffliche 
Dienfte gegen die Reiterei und wurden gewöhnlich in die vorderfte Reihe 
der MWagenburg geftedt. Theils zur Errichtung einer ſolchen, theils zur 
Fortſchaffung von Proviant, Munition, Sturm: und Echanzzeug, auch 
von Schiffen zu einer Sciffbrüde, verfügte der Markgraf über 1800 
Wagen. Geſchütz, Wagen ıc. ftanden unter dem Befehl des Feldzeug— 
meifters Oberften Klaus von Böcklin. Als Unterfeldberr fommanbdirte 
ber Wild: und Rheingraf Otto, Graf zu Salm; einzelne größere Ab: 
theilungen der Truppen wurden, außer von ben ſchon gemeldeten Ser: 
zogen von Weimar, dem Herzog Magnus von Württemberg und dem 
Dberften von Helmftädst — von zwei Söhnen des Markgrafen, den 
Prinzen Karl und Chriftoph, von dem Wild: und Rheingrafen Johann 
Kafimir und den Herren v. Waldmannshaufen, Bertram v. Herſchbach, 
Obervogt in Pforzheim und Sturzel von Buchheim geführt. 

Kehren wir nad diefen Angaben zur Schilderung der Schlacht 
jelber zurück. Der Markgraf ftellte fein Heer am Morgen des 26. 
April (6. Mai) links und rechts der Straße auf, die von Biberach, 
ben Bellinger Hof rechts laſſend, nach Obereifisheim führt. Er benüßte 
dazu bauptjächlic die Anhöhen. Am Mücken des Heeres befand ſich 
der Bellingerbach, der in damaliger Zeit, wo derlei Gewäſſer noch nicht 
jo wie beut zu Tage regulivt waren, eine nicht unbedeutende Breite 
und viele verfumpfte Stellen gehabt haben muß; Lebteres namentlich 
war wenigſtens nach Karten der damaligen Zeit auch bei andern ähn— 
lichen Bächen auf der benachbarten Gemarkung Heilbronn der Fall. 
Diefe Umftände müſſen den Uebergang über biefen Bad nur mit 
Hilfe von Stegen und Brücken geftattet haben, namentlich wenn 
derjelbe, wie es am Schlahttag in Folge von vorausgegangenen 
Regengüffen der Fall geweſen fein fol, auch noch angeſchwollen 
war. Eine ſolche Brüde befand ſich jedenfalls beim Bellinger Hof; eine 
andere, von ber ımten weiter die Rede fein wird und die von 
größerer Bedeutung war, führte und führt noch auf der Landſtraße von 
Wimpfen nad Heilbronn über den Bach, der ſich bald unterhalb der: 
jelben in den Nedar ergießt. — Tilly ftand verdeckt im Obereifisheimer 
Walde, der fi) längs eines Theils der Front der Badener hinzog. 
Bald aber rüdte er aus demjelben bervor und begann ein lebhaftes 


384 Bierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 


Feuer auf die badiſche Reiterei, womit er die Schladht eröffnete. In 
kurzer Zeit nahm das Gefecht eine größere Ausdehnung an, und Tilly 
ftürzte ſich mit Heftigkeit auf den Markgrafen. Aber unerihütterlich 
fümpften die Badener; Tillys Truppen mußten weichen, ein Theil feiner 
MNeiterei ergriff fogav die Flucht, und die größte Unordnung drohte in 
jeinem Heer einzureißen. Da jandte er — es war mittlerweile nahezu 
Mittag geworden — zum Markgrafen und ließ um einen Waffenjtill: 
ftand nachſuchen, den diefer allzu großmüthig bewilligte, jtatt feinen 
Gegner zu vernichten. 1) Während der Dauer desjelben veränderte 
Georg Friedrich feine Stellung, indem ev Truppen, Geſchütz, Wagen ꝛc. 
von den Höhen herab auf das flache Feld gegen Obereijisheim führte, das 
er bejeßte. Hinter ſich hatte der Markgraf fein Lager und feine Bagage, 
zur Rechten den Nedar, zur Linken und im Rücken den Bellingerbad) 
mit feinem Brüdenübergang. Dieje Veränderung der Aufjtellung, (die 
in alten Chronifen jehr getadelt wird,) befhäftigte die Babener während 
der brennenden Mittagshite, indeß die Liguiſten im Schatten des Wal: 
des ausruhen und ſich erquiden konnten. Das badijche Heer überliek 
fich jedoch fpäter aud der Ruhe. 

Nach 1 Uhr fah der Markgraf im Rüden des liguiftiihen Heeres 
Staubwolken auffteigen; und da er nicht anders glaubte, als dap 
Mansfeld herbeiziehe, jo gab er raſch Befehl, die Schlacht zu erneuern 
und, um für diefelbe mehr Raum zu gewinnen, ſämmtliche Zransport- 
wagen über den Bad) zu führen. Nicht Mansfeld aber war e8, ber 
berbeieilte, jondern Cordova, der Tilly mit anſehnlichen Streitkräften zu 
Hilfe fam und ihm dadurdy die Uebermacht verſchaffte. Als die beiden 
liguiftiichen Feldherrn die Abfahrt der Bagagewagen bemerften, glaubten 
fie, der Markgraf habe ihre Vereinigung erfahren und beeile fih, den 
Nücdzug anzutreten. Deshalb beſchloſſen fie, ungejäumt vorzugehen und 
den Gegner anzugreifen, Bald entbrannte die Schlaht von Neuem, 
und die Geſchütze feuerten jo heftig, daß die Chronik erzählt, es babe 
gedonnert und geprafjelt, ald wenn Himmel und Erde zufammenbreden 
wollten. Bald nad) dem Wiederbeginn der Schlaht hauchte Herzog 
Magnus von Württemberg fein Heldenleben aus, Er wurde, da er 


ı) So die Heilbronner Alten, Andere Quellen fpreben nur im Allgemei- 
nen von einer zweiſtündigen Waffenrube. 


Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breigigjährigen Krieg. 385 


mit allzu großer Kühnheit ſich umter die Feinde wagte, von feinen 
Leuten getrennt und durch mehrere Schüffe und Hiebe zu Boden geftredt. 
Von den badijchen Truppentheilen, welche Obereifisheim bejetst hatten, 
wurde nach Erſtürmung des Ortes durd die Baiern eine Kompagnie 
gefangen und fpäter ımter das liguiſtiſche Heer eingetbeilt, 

MWährend diefer Vorgänge hatte ſich der Markgraf mit dem Haupt: 
theil feines Heeres rubig im Hintertveffen bei der Wagenburg gehalten 
und nur nad) Bedürfnig VBerftärfungen dahin entjandt, wo es noth: 
wendig erſchien. Jetzt aber, da die Feinde immer mehr drängen, ftürmt 
der tapfere badifche Fürſt mit voller Macht auf feinen Gegner ein und 
jeine Truppen verrichten ſolche Wunder der Tapferkeit, daß die Liguiſten 
auf allen Seiten meiden und ein Theil ihrer Meiterei nach der bei 
impfen über den Neckar geichlagenen Schiffbrüde hin fich flüchtet. 
Der Markgraf rückt mit feinen kampfbegeifterten Badenern nad) und der 
Sieg ſcheint nicht mehr zweifelhaft. N 

Plöglid) aber bricht Cordova aus einer big jegt nicht gejehenen 
Verihanzung hervor und ſtürzt fich unvermuthet den raſch Wordringen: 
den entgegen. 1) Zwar ridyten die badiſchen Truppen große Verheerun— 
gen unter den Spaniern an, jo daß fürmliche Gaſſen in deren Reiben 
entitehen. Aber die Weichenden hatten indefjen Zeit gewonnen, ſich wieder 
zu jammeln und von allen Seiten auf die Badener zu werfen, die fi) 
zum Rückzug entichließen mußten, Allein fchon aud hatten ſich die 
Liguiften in ſtürmiſchem Andrang auf die Nücdzugslinie des Markgrafen 
geworfen, und es entſpann ſich jeßt ein blutiger Kampf, in welchem 
wegen des aufgeworfenen Ztaubes Freund und Feind kaum von einan— 
der unterjchieden werden konnten. Noch aber hielten die Badener wader 
Stand; noch hatte der Markgraf Hoffnung, dem Feinde alle Vortheile 
zu entreigen: da zimdete ein Schuß den Pulvervorrath auf einem oder 
mehreren der rückwärts ftehenden badifhen Wagen an, die nun mit 
ungebenrem Getöje in die Luft flogen und mehrere hundert Menſchen 
und Thiere verwundeten, was bei den Vordern die Meinung erzeugte, 
der Feind jet ihnen ſchon im Nüden. 2) Das vermehrte die Unordnung, 





1) Nach den Annal. Ferdinand, Bd. IX,, S. 1706 batte er Tilly 4000 
Mann Fußvolf und 22 NReiterfähnlein zugeführt. 

2) In der „Relation eines Mimpfener Dominifaners* wird erzählt, ein 
Soldat von dem ſpaniſchen Reniment des Cordova habe während der Schlacht 


in der Luft die Jungfrau Maria in glängendem Gewande geieben, welde die 
Pflüger, Pforzhrim. 25 


386 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg, 


den Screen und die Verwirrung, welche Rauch, Staub und Schlacht— 
lärm bereits veranlakt hatten, und ſchon fingen einzelne Heerestbeile des 
Markgrafen zu weichen an. Zuerſt flohen die franzöfiichen Reiter, 
welche die Spießwagen und das Geſchütz deden ſollten, und eilten Neckar— 
gartach zu. Noch immer aber hält der Markgraf mit dem größten 
Theil feines Fußvolkes und jeines Geſchützes Stand, und fucht nament: 
lich jeine Wagenburg zu verteidigen, die von Tilly mit großer Heftig— 
feit angegriffen wird. Hier, jo wie an der nahen Brüde über den 
Bellinger Bad, verrichtet nun das badiihe weiße Regiment 
Wunder der Tapferkeit und kämpft mit ſolchem Muthe und folder 
Zobesverachtung, daß in kurzer Seit zwei baierifche Negimenter völlig 
aufgerieben wurden. Tilly rief jofort die Spanier berbei, und nad 
blutigem Kampfe gelang es ihm, neun badische Gefüge zu erobern, 
die ſofort gegen die Truppen des Markgrafen gerichtet wurden. Aber 
audy jest noch leiftete das weiße Negiment verzweiflungsvolle Gegen: 
wehr, 1) und es war dabei — fo jet die Tradition hinzu — nament: 
lih den Bforzbeimern die Aufgabe zugefallen, den Zugang oder den 
Uebergang über die Brüde des Bellinger Baches zu vertbeidigen und 
damit den Rückzug des Fürſten zu decken, der jeßt — es war Nach— 
mittags gegen 4 Uhr — angetreten wurde, weil an eine Wiederher: 
ftellung der Schlacht nicht mehr zu denken war. „As nun,” fo erzählt 
die ins Einzelne gebende und poetiſch ausgeſchmückte Weberlieferung weis 
ter, „in faufendem Galopp und unter donnerudem Viktoriarufen die 


Katholifhen mit Zuwinken zum Sireite ermuntert und ihmen den Sieg ver: 
fprocen Habe. Darauf ſei der Soldat ein wenig vorgegangen und babe zu: 
fällig mit dem Zunder jeines Gewehres ein Geſchütz Tosgebrannt. Auf einmal 
feien die Kugeln mit ungeheuerer Gewalt berausgefabren und hätten die Puls 
verwagen des Feindes entzündet, 

1) „Der Oberit Helmftädt hat fich meit bem weißen Regiment bis auf den 
legten Mann gewehrt, hätte auch bie Viktorie erbalten, wenn nur bie Reiterei 
Stand gehalten hätte, weldhe ſich aber jogleich davon gemacht, weil fie gar feine 
Retirade hinter fih gehabt.” Eo berichtet der oben genannte „Augenzeuge“, 
und mit ihm übereinflimmeno das Theat, Europ. 1., 627, ferner das auch 
ſchon erwähnte Büchlein: „Der Fürften und Marggrafen zu Baaden Leben x.” 
(Frankfurt, 1695), Seite 352. Auch in Nicolai Helvici Chronicon (1641) 


S. 351 wird die Tapferkeit des weißen Regiments mit begeifterten Worten 
gerühmt. 


Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg 387 


feindliche Meiterei beranjagte, prallte ihr wilder Anlauf ab an der cher: 
nen Bruft der Pforzheimer, welche die Brücke über den reißenden Bel— 
linger Bach geiperrt hielten, während ihre Musketire, am Ufer hinter 
Weiden aufgeftellt, manchen Gebarniichten ven feinem Moffe nieder: 
ſchoſſen. Drei Mal griff die Kavallerie anz drei Mal ward fie zurück— 
geichlagen. Nicht beſſer ging es einem Anfanterie-Megiment. Zwar 
ftrecten jeine Kugeln dem vierten Theil der Pforzheimer in den Sand; 
durch einen heftigen Ausfall ward es zerriffen und zurück gedrängt, und 
im ſchönſter Ordnung zog ſich die Heldenſchaar in ihre alte Stellung 
über die Brüde zurüd. Tilly, erftaunt, erfchüttert, begeiftert ob folder 
Kühnbeit, ließ das Häuflein durch einen Trompeter auffordern, die 
Brüde augen freien, ebrenvollen Abzug zu räumen. Der Antrag 
ward verworfen, und der letzte Kampf, der heißefte, nahte heran, 
Mährend nun aber die Liguniſten in zabllofer Menge ſich aufftellten, 
jogar eine Teldichlange auffuhren, um alſo die Tapfern zu vernich: 
ten; während fie unter Trommehvirbel und Trompetenklang beran- 
rücten zur blutigen Entſcheidung: Iniete die dem Tod geweihte Schaar 
nieder, umd über den Leichen ihrer Brüder und über den Leichen ihrer 
Feinde jtieg der Gejang zum Himmel empor: „Ein fefte Burg ift 
unfer Gott! — Der Feind felber war aufs tiefite ergriffen und 
wagte nicht, fie im ihrer Andacht zu ſtören. Der letzte Kampf 
beginnt. Gleich einem Cherub tritt Berthold Deimling, der Anführer 
der Heldenichaar, die flatternde Fahne in der Hand, auf die Brücke vor 
das zufammengeichmolzene Häuflein und ruft: „Gedenkt eures Schu: 
res und ſteht!“ Gin Mustetenichuß zerichmettert ibm das rechte Bein; 
er kniet auf das linke und ſchwingt die Fahne hoch empor, ine Trau— 
benfügel zerreißt ihm den rechten Arm; er nimmt die Fahne in die linke 
Hand, Noch einmal hebt er fie empor und finft alsdann, von feind: 
licher Kugel durchbohrt, zu Boden. Gin Jüngling (dev Waffenichmied 
Rofer) ergreift die Fahne, und gleich Löwen ſtürzen die Üübriggebliebenen 
Achtzig dem Feinde entgegen über die Brüde. Furchtbar wüthet der 
Tod; denn er mäht mit feiner ſchärfſten Senfe, mit der Verzweiflung. 
Leichen tbürmen ſich auf Leichen; immer tiefer dringen die Pforzheimer 
ein in den Feind. Gin Regiment desfelben öffnet ſich, es ſchließt ſich; 
verſchwunden ift die Heldenſchaar, wie von einem Waſſerwirbel ver: 
ſchlungen. Siehe, nod einmal flattert die weiße Fahne; noch einmal 
biist ihre goldene Anschrift: „Ein' feite Burg ift ander mn über das 


2D ® 


388 Vierzebntes Kapitel. Pforzbeim tim breifigjährigen Krieg. 


Feld des Todes: da jaust ein Schwert dur die Luft; die Fahne 
finft; der letzte der Pforzheimer ift nicht mehr.” 

Der Markgraf aber befand fich bereits in Sicherheit. Er traf 
gegen Abend allen am Landthurm ein, der an der weitlihen Gränze 
der Markung der Stadt Heilbronn am Wafjergraben jtand. Bon 
Staub bededt und von Durft gequält, ruft er dem Zoller hinauf: 
„Sebt mir einen Trunk, ich bin der alte Markgraf von Baden.” Der 
Zoller aber hatte feinen Wein und reichte ihm unter vielen Entſchul— 
digungen einen Trunk Waffere. Er leerte den Becher und ritt mweiter.1) 

Tilly verfolgte den Markgrafen nicht, einestheild wohl, weil es zu 
fpät dazu war, anderntbeils, weil er fich zu ſchwach dazu fühlte, 
Nur die Spanier kamen bis Nedargartahd. Am Abend jedoch war die 
ganze liguiftifhe Armee wieder in ihrem alten Lager verfammelt. 

Die Schlacht hatte blutige Opfer gefordert, Won beiden Seiten 
-bededten je 5000 Todte die Wablftatt, 2) Unter den badiicherfeits Ge: 
fallenen waren außer dem Herzog Magnus von Württemberg auch ber 
Pfalzgraf Chriftopb ven Birkenfeld und fonft viel edle Herren. Außer 
dev gebliebenen Mannſchaft verlor aber Georg Friedrich aud fein 
fümmtlihes Geihüß, eine bedeutende Zahl von Wagen, viele Muni— 
tion und endlich feine ganze Kriegskaſſe, die an Geld über 225,000 
Reichsthaler enthalten haben foll. 3) 


Anbang. 


Dies die Schilderung einer Schlacht, wobei ſowohl zuverläffige 
geihichtliche Quellen zu Grund gelegt wurden, als auch, mo diefe nicht 
ausreichten und namentlich über manche Einzelheiten des Kampfes bei 


1) Tilly (in feinem ſehr einfeitig gehaltenen Schlachtberiht) und nad ihm 
die Ann, Ferd. erzählen, der Markgraf bat auf feiner Flucht jogar die Leib— 
rüflung weggeworfen, die hernach als Siegeszeihen dem Erzberzog Leopold 
übermadht worben ſei. 

°) Die Angaben barüber lauten indeß ſehr verichieden. Der Eefretär 
Abel (S, 381) fagt, es feien von badiiher Scite nur 600 Mann auf ber 
Wahlftatt geblieben, während man vom Feind 2500 Mann erlegt gefunden 
babe. 

2) Mallinger (fiehbe oben) gibt den Verluf des Markgrafen außer 


Bierzehnntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 389 


Mimpfen ſich nicht verbreiteten, der Tradition ihr Mecht wibderfuhr. 
Jedenfalls darf dieje nicht ignorirt werden, wenn auch davon alles bas 
wegfallen muß, was mit umwiderlegbarem geichichtlichem Nachweis im 
Widerſpruch ſteht, oder fih auch nur damit nicht vereinigen läßt. Es 
find hiezu noch einige Bemerkungen notbwendig. 

Daß fih das weiße Megiment bei Wimpfen vor allen andern 
durch Tapferkeit auszeichnete, iſt gefchichtlich bewiefen. Keine der oben 
angeführten Quellen aber erwähnt etwas davon, daß fich irgend ein 
Theil des Megimtentes noch beſonders bervorgetban hätte. Daraus 
fließt aber nicht die Berechtigung, die Behauptung aufzuftellen, daß bie 
Geſchichte von der Heldenthat der Biorzheimer bei Wimpfen eine Mythe 
fei, wie dies von verfdiedenen Seiten geichehen if. Wollte man über: 
baupt mit dem silentio inter aequales (dem Stillſchweigen unter den 
Zeitgenofien) bei der Gefchichtichreibung einen Maaßitab anlegen und 
darnach seine biftoriiche Kritif einrichten, fo müßten auch die Thaten 
eines Leonidas, eines Tell, eines Winfelried zc. aus dem Buch der Ge: 
fhichte geftrichen werden. Die Verfaſſer der erwähnten Schlachtberichte 
fagen vielleicht deswegen nichts von der That der Pforzheimer, weil fie von ber 
wadern Haltung des weißen Negiments nur überhaupt, und nicht aud 
einzelner Fähnlein bdesielben vernahmen, oder weil fie die Beitandtbeile 
des Megimentes nicht Fannten, alfo auch kein bejtimmtes Fähnlein des: 
felben bezeichnen konnten, oder endlich, weil fie dies für unnöthig bielten, 
da mit Nennung des weißen Negimentes im Allgemeinen der Pflicht 
eines Berichterftatters Genüge gethan ſchien. Das kommt aud fonit 
vor. Mie oft mag es fhon der Fall geweſen fein, daß beiſpielweiſe 
ein ganzes Armeekorps nad erfochtenem Siege als dasjenige bezeichnet 
wurde, das am meiften zum glnftigen Erfolg beigetragen babe, während 
vielleicht nur ein einzelnes Negiment am rechten Ort und zu vechter Zeit 
den Ausichlag gegeben hatte, Aber der Markgraf felber erwähnt nichts 
davon, fo höre ich weiter einmwerfen. Ich frage dagegen: Sind denn 
alle feine Briefe oder fonftige Schriftftücde, worin er Notizen über bie 
Schlacht von Wimpfen niederlegte, no vorhanden? Ferner, — müßte 
konſequenter Meife die tapfere Haltung des weißen Regimentes über: 
haupt nicht ebenfalls in Zweifel gezogen werden, weil der Markgraf, 
weil die Berichte Anderer ihrer auch nicht erwähnen? Und doch nimmt 


fämmtlihem Gefhüß auf 50 Spitzwagen, 450 Munitionss und Bagagewanen 
und am Geld auf 195000 Thaler, ferner auf 1100 Gefangene an, welde 
Tilly machte. Vergl. Mone's Quellenfammlung, U., 530. Der Markgraf 
ſelber ſchlug indeſſen ſeinen Verluſt nicht hoch an. In ſeinem ſchon erwähnten 
Schreiben an den Markgrafen von Brandenburg ſagt er, die Schlacht ſei „ohne 
beſonders großen Verluſt abgegangen, außer daß bie Artillerie und etlich Geld, 
welches doch noch wohl zu verichmerzen und hoffentlich ins Fünftige wiederum 
anderwärts einzubringen, babinten verblieb.” 





390 Vierzebntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 


man dieielbe als richtig und bewiefen an. Daß der Uebergang ‚über 
den Bellinger Bach wichtig genug war, um zur Sicherung des Rückzugs 
des Markgrafen mit Aufbietung aller Kräfte vertbeidigt zu werben, 
leuchtet ein, ebenio, daß zur Beſetzuug der Brücke felber kein ganzes 
Regiment erforderlich war, weil ein ſolches darauf oder zunächſt dahin: 
ter und eine Strede längs des Bades kaum Platz gefunden hätte. 
Zwar wird bezüglich dev Vertheidigung der genannten Brüde entgegen 
gehalten t) daß eine folche ganz überflüffig gewefen fei, indem die Brücke 
bei der Seichtigleit und der geringen Breite des Bellinger Baches auf 
beiden Seiten von Fußvolk und Neiterei mit Leichtigkeit hätte umgangen 
werden können. Diejer Annahme aber halten wir diejenige entgegen, 
von der bereits oben (S. 383), auf gute Gründe gejtübt, ausgegangen 
wurde, Es wird num freilich auch nody geltend gemacht, daß für die Wagen, 
die der Markgraf bei Wiederaufnahme der Schlabt am Nadmittag 
über den Bad zurüdbeordnete, bei ihrer großen Zahl eine Brücke 
unmöglich hätte genügen können, folglih manche Wagen den Bad felber 
hätten paifiren müffen, Um über die eine Brücde zu kommen, brauch— 
ten die zahlreichen Wagen allerdings viel Zeit; gerade daraus aber, daR 
nachher eine ſo große Anzahl derielben in die Hände des Feindes ge: 
rieth, muß wohl mit Recht gefolgert werden, daß man wirklich nicht 
Zeit genug gefunden batte, fie alle über den Bach und damit eher in 
Sicerbeit zu bringen. Beweist nicht gerade diefer Umftand, daß in 
der Nähe des Schlachtfeldes nur ein Uebergang verbanden war? — 
Uber der Markgraf hätte doch ohne Zweifel, wenn der Bach jelber 
wirklich nicht paifirt werden Fonnte, ſchon um feiner Sicherheit willen, 
noch mehr Brüden jchlagen laſſen, fo böre ich ferner einwerfen. Viel— 
leicht geihab dies auch und die Brüden (wohl einichlicklich derjenigen, 
welche ſich beim Bellinger Hof befand,) wurden beim Andrängen des 
Feindes raſch wieder abgebrochen, um ibm die Möglichkeit des Leber: 
gangs zu benehmen. Wielleicht geichab es auch nicht, weil der Mark: 
graf in jeiner Siegesgewißheit derlei Vorſichtsmaßregeln für überflüfjig 
hielt. „Sie müſſen unfer fein, die Baiern, und das heute noch; mein 
Leben je’ ich dran und werd’s nicht fchonen Was will der Haufe 
gegen uns? Und an Succurs ift für ihn gar nicht zu denken. Laßt 
fie nur ein paar Mal anprallen und fih verbluten, fie weichen gewiß 
sc. 26”, diefe Worte des Markgrafen, die er beim Beginn der Schlacht 
an feine Generäle richtete, drüden gewiß einen heben Grad folder Gie- 
gewißheit aus. 

ft im Bisherigen dargetban, daß der Annahme, daß fih ein 
Theil des weißen Negimentes neben der tapfern Haltuny des letztern 
im Ullgemeinen noch beſonders ausgezeichnet babe, durchaus feine ftich- 
baltigen Gründe entgegen fteben, fo erhebt die Tradition diefen Umſtand, 


1) Von Laroche, a. a. O. 


Bierzebntes Kapitel. Pforzheim im breikigjährigen Krica. 391 


ſowie, daß das Lob einer befonders beldenmütbigen Vertheidigung dem 
Pforzbeimer Kähnlein gebühre, zur Gewißheit, wenn man 
nämlich nur den Kern derielben feithält und fie aller fonftigen Zu: 
taten, die mit der neichichtlichen Wahrheit nicht beſtehen können, ent: 
Fleidet. Um dieſer Doppelpflicht eines Geichichtichreibers zu genügen, 
müffen wir ſolche Tradition näber ins Auge faſſen. 

Am Jahr 1788 aab der Pforzheimer Bürger und Kaufmann, 
Ernſt Ludwig Deimling, durd das Leſen des franzöſiſchen Dra: 
mas: „Tie Belagerung von Calais“ dazu veranlakt, unter dem Titel: 
„die vierbundert Pforzheimer“ ein Buch heraus, worin eine 
Erzählung , die fich in feiner Familie durch Ueberlieferung Tebendig er: 
balten hatte, dramatisch bearbeitet war. Am Nachwort zu feinem Schau— 
ipiel jagt er, daß er die Erzählung von der Heldentbat der 400 Pforz: 
beimer nicht nur von feinem Water, Bechthold Deimling, der felber ein 
Geſchichtskundiger geweſen, fondern ſchon als Knabe auch von alten Yeu- 
ten, die das Grab Tängft dede, häufig vernommen. einem Vater babe 
deſſen Bater, der geweſene Bürgermeiſter Chriſtoph Deimling, dieſe 
Geſchichte auch oft erzählt, und dieſer habe ſie wieder aus dem Munde 
ſeiner Großmutter, der Frau des Bürgermeiſters Berthold Deimling, 
die ihren Mann zur Schlacht von Wimpfen begleitet habe, vernommen. 
Dieſelbe ſei eine Tochter des Pfarrers Faber von Markgröningen und 
eine Frau von beſter Erziehung und heroiſchem Charakter geweſen und 
habe ein Alter von 78 Jahren erreicht, alſo lange genug gelebt, um 
ihren Kindern und Enkeln die Begebenheit mit allen Umſtänden wieder— 
holt mittheilen zu können. Die ganze Erzählung lief alſo während 
eines Zeitraumes von etwa 150 Jahren durch den vierten Mund, bis 
fie niedergefchrieben wurde und zur Deftentlichkeit nelangte. Es war 
diefe Zeit einerſeits nicht zu Tange, um nicht, wie bereits bemerkt, einen 
geichichtlihen Kern treu feitzubalten, andererfeits aber lange genug, den: 
jelben mit folhen Zuthaten auszuſchmücken, die, weil als erdichtet 
leicht nachzuweiſen, vielfach Zweifel an der Michtigfeit der ganzen Er: 
zäblung, wiewohl mit Unrecht, erwect haben. Verſuchen wir ſchließlich 
noch ſolchen Nachweis. 

Beim letzten Kampfe an der Brücke des Bellinger Bachs hat ſich 
wahrſcheinlich nur noch das 300 Mann ſtarke Fähnlein Fußvolk, das 
Pforzheim ſtellte, betheiligt, da die Reiterei am Schluſſe der Schlacht 
keine Rolle mehr ſpielte. Wenn daher auch 400 Pforzheimer bei 
Wimpfen kämpften, ſo gebührt der Ruhm beſonderer Tap'erkeit neben 
dem weißen Regiment im Allgemeimen insbeſondere den Dreihunder— 
ten von Pforzheim. 

Dieſe 300 können aber bei Wimpfen unmöglich alle 
gefallen ſein. Es läßt ſich dies zwar nicht aus den Todtenbüchern 
der damaligen Zeit beweiſen, da ſolche nicht mehr eriſtiren; wohl aber 
ann man es auf Grund des älteſten der noch vorhandenen Taufbücher, 


392 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breikigjährigen Krieg. 


das von 1607 bis 1646 reicht. Nach demielben wurden in Pforzheim 
(ausschließlich der Altitadt, für welche aus jener Zeit Feine Kirchenbücher 
mehr vorhanden find,) geboren: 160%: 146 Kinder, 1613: 126 K., 
1618: 124 8. 1619: 116 8. 16%: 137 K. 1621: 127 8., 
1622: 114 K., 1623: 121 8., 1624: 143 8. 1625: 144 K., 
1626: 129 8., 1627: 105 K., 1628: 140 8., 1629: 122 K., 
41630: 138 K. uf. mw Man fieht aus diefer AJufammenftellung, 
daß eine Abnahme der Geburten nach dem Jahr 1622 nicht jtattfand, 
was doch durchaus hätte der Fall fein müſſen, wenn 300 oder gar 400 
Bürger und Bürgerſöhne einer Stadt bei Wimpfen geblieben wären, 
deren Bür gerichaft, wie im nächiten Kapitel nachgewieſen werden wird, 
im eriten Drittel des 17. Jahrhunderts höchſtens 600 Köpfe zählte, 
Eine größere Anzahl von Gefallenen des N forzbeimer Fähnleins ift nur 
unter der Vorausſetzung anzunehmen, daß die Mehrzahl der Mann: 
ichaft desielben nicht aus geborenen Pforzheimern, fondern aus gewors 
benen Yeuten beftand. 1) 

Wenden wir uns nunmehr zur Perſon des Bertbold Deim: 
ling, welder nad der erwähnten Weberlieferung Bürgermeifter von 
Pforzheim und Anfübrer des weißen Negimentes geweien ſein fol. 
Daß er letzteres nit war, fondern daß ein Herr von Helmftäbt 
das Negiment befebligte, it oben ſchon bemerkt worden. Wohl aber 
fann Deimling Hauptmann des Pforzheimer Fähnleins geweien fein. 
Ein Berthold Deimling war aber 1622 nicht Bürgermeifter bon 
Pforzbeim. (Man vergleiche die, Namen der Bürgermeiſter, wie ſie S. 365 
für das erſte Drittel des 17. Jahrhunderts bereits angegeben find.) 
Menn ein Bertbold Deimling bei impfen mitlämpfte und dort den 
Heldentod jtarb, fo muß die Frage aufgeworfen werden: Welcher 
Berthold oder Bechthold Deimling es eigentlich war? 
Denn das Taufbuch jener Zeit führt zwei diefes Namens auf, Der 
eine, dejien Frau Katbarina bie, wird in den Jahren 1609—1624, 
der andere, der eine Ejther zur rau hatte, von 1618—1635 darin 
genannt, beide aber ohne die Bezeichnung „Bürgermeifter”, (mie aus 
dem Vorbergehenden ſich ergibt). Der letztere dagegen wird mehrfach 
„Beck“ oder „Weißbeck“ genannt. Nun beißt es auf dem 1823 ver: 


—— — — — 


) Auf dem in der Schloßkirche befindlichen Denkmal der 400 Pforzheimer 
ſtehen nur folgende (dem Lagerbuch von 1615 entnommene) 61 Namen; Berthold 
Deimling, Aab, Abrecht, Bauer, Baumann, Beckb, Breidt, Brenner, Bub, Bud, 
Eichelin, Erhardt, Eſſig, Fauler, Fint, Geiger, Gerwig, Hafner, Heinzelmann, 
Holzbauer, Zaifer, Kercher, Keller, Kiefer, Kienle, Koch, Korn, Kornmann, Leib: 
brand, Lenz, Lottbammer, Lug, Maler, Mäule, May, Maver, Meermwein, 
Merkle, Merz, Mürrle, Neudörfer, Rofer, Sattler, Echäfer, Schanz, Scheerle, 
Schmidt, Schneider, Ehober, Siegele, Sold, Stich, Traug, Türk, Uebelhör, 
Ungerer, Wagner, Wecber, Weiß, Wilderfinn, Wolf, 





Vierzebntes Kapitel. Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 393 


faßten Stammbaum der Deimling'ſchen Familie, von dem ein Exemplar 
ſich im obern Rethohaus aal zu Pforzheim befindet: „Berthold 
Deimling, Bürgermeiſter und W eißbäg $, geboren 1556, vermählt 
mit Eſther, Tochter des nn von Marfgröningen, Sr 
war Chef und Commandeur jener 400 Bye sheimer , welche das weiße 
Negiment genannt und, als Garde des Markgrafen Georg Friedrich, 
am 6. Mai 1622 in der Schlacht ber Wimpfen den Heldentod für 
Religion, Fürſt und Vaterland geftorben find.“ Dieſer Bädermeifter 
Deimling, der eine Eſther zur Frau hatte, kann aber unmöglich bei 
Wimpfen geblieben jein, wenn es auch denkbar ift, daß er da: 
ſelbſt mitkämpfte; denn er kommt nach dem Jahr 1622 noch mehrfach 
vor. So wird er am 8. Februar 1625 (Taufbuch Seite 171) ale 
Dater eines Knaben Baltbafır, am A. Nov. 1627 (T.B. ©. 199) 
als Vater eines Knaben Bechthold aufgeführt, am 6. Des. 1628 jtellt 
er über eine Summe von gelicehenen 100 fl. eine Schuldurkunde aus: 
die mit den Morten beginnt: „Ich Berthold Deimling, Bürger und 
Meißbe zu Pforzheim und mit Ihme Ich Eſther, feine eheliche Haus: 
frau ꝛc.“ (Kontraktenbuch auf Großh. Amtsreriſorat am 1. April 
1629 (Taufb. S. 215) wird ihm wieder ein Töchterlein Efther gebo: 
ren; am 12, Aprif 1631 (TB. ©. 241) ftebt er zu Gevatter; am 
26. Auguft 1631 (T.-B. ©. 246) wird er als Water eines Sohnes 
Hang Maltber und am 20. Februar 1635 (T.-B. S. 302) einer 
Tochter Maria Barbara genannt. Diefe wird aber in dem betreffenden 
Taufbucheintrag als „posthuma“, d. 5. als nach dem Tod ihres Va— 
ters auf die Melt gekommen bezeichnet und fteht überdies noch dabei: 
Bater: Berthold Deimling, gewejener Bürger und Bed. Er muß 
demnach 1634 oder 1635 gefterben fein.) — Wenn alfo ein Ber: 
thold Deimling bei Wimpfen das Pforzheimer Fähnlein befehligte und 
dort feinen Tod fand, fo kann es mur der erfte von den beiden Oben: 
genannten gewefen fein. Es ſprechen dafür auch vwerichiedene Umftände, 
Einmal kommt er im Taufbuch zum letzten Mal am 10, Mai 1621 
(T.:B. ©. 135) und nachher nicht wieder vor. (Als Vater von Kin— 
dern wird er darin vorher in den Jahren 1609, 1640, 1613 und 1614 
aufgeführt). Sodann beweifen die Namen der Pathen, die bei den 
Kindern der beiden Deimlinge im Taufbuch eingetragen find, daß 
diefer Berthold Deimling der VBornehmere geweſen fein muß und darum 
eher ein Fähnlein Fußvolk befehligt haben kann; denn als ſolche Patben 
werden 3. ®. 1614 aufgeführt: der Untervogt Heinrich Haffner, der 
fürftliche Nath und Syndicus Georg Zobel und der Bürgermeiiter Je— 
remias Deſchler; 1621 diefelben, mit Ausnahme Zobels. Wenn daher 
ein Berthold Deimling 1611 und 1615 „Spitalpfleger” genannt wird, 


1) Seine Wittwe Gflßer wird noch am 1. April 1657 in einem Kontraf: 
tenbuch Großh. Amtsrevijorats als Tebend aufgeführt, 


— 


uw. . 


394 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreiß ajährigen Krien. 


jo werden wir nicht feblgeben, wenn wir darunter den Cbengenannten 
um fo mehr wieder verftehen, als die Vermögensverbältniffe des Andern 
nicht der Art geweſen zu fein fcheinen 1), daß ihm die Verwaltung ber 
reihen Einkünfte des Pforzheimer Spitals ohne Bedenken hätte über: 
tragen werden können. — Wenn nun bei Aufjtellung des Deimling': 
ihen Stammbaumes eine Verwechslung zwiſchen den beiden Deimling 
geihab, und der Mann der Eſther als der Held von Wimpfen bezeich— 
net wurde, jo it dies um jo erflärlicher, als auch Ernit Yudwig Deim: 
ling bei Abfafjung feines Dramas den Wornamen feiner Ur-Urgroßmutter 
nicht gefannt zu haben jcheint, da er fie Sophie heißt, 


So die Darftellung der mit der Wimpfener Schlacht in Per: 
bindung ftehenden Umſtände, wie fie dev Geſchichtsſchreiber geben Fan, 
der fi die Wahrheit zum oberiten Geſetz gemacht und alle dabei zu 
Gebote geftandenen Tiuellen gewiſſenhaft und mit größter Unparteilichkeit 
benütt bat. Wurden bei dieiem Geſchäft aud manche Einzelbeiten, mit 
denen man ſonſt die Erzäblung von dem Heldentod der 400 Pforz— 
heimer bei impfen ausihmüdte, vor dem Auge genauerer Unter: 
juhung nicht probehaltig gefunden, fo bleibt doch als wahr ſtehen, 
daß fih das badifhe weiße Regiment bei Wimpfen unverwelf: 
liche Lorbeeren errungen bat, und wir dürfen aud der Tradition lau: 
ben, daß fich dabei in erfter Reihe die beim Regiment befindlichen 
Pforzheimer ausgezeichnet und darum wohl verdient haben, daß die 
Nachwelt die Helden von Wimpfen in beftändigen ebrendem An— 
denken bebält, 


$ 4 Von der Schlaht von Wimpfen bis zur Schladht von 
Wördlingen. 
(1622 — 1634.) 


Der geichlagene Markgraf war über Heilbrom und Yaufen nad 
Stuttgart geflohen, wo der wahrſcheinlich fchen vor der Schlacht gefaßte 
Entſchluß, die Regierung von Baden an feinen Schn zu übertragen, 
zur Ausführung kam. Letzterer, nunmehr Markgraf Friedrih V. 


1) Nah den mehrerwähnten Kontraftenbücern. 


Bierzehntes Kapitel, Pforzheim im breifigjährigen Krieg. 395 


notifizirte die Abdanfung dem Kaifer am 2. (12.) Mai und am 13. 
(23.) Mai kam fie zur Ausführung. Am 21. (31.) Mai huldigte 
die Bürgerſchaft von Pforzheim bereits ihrem meuen Fürften, der am 
gleihen Tage die Privilegien der Stadt beftätigte. ) Da Tilly den 
Markgrafen Georg Friedrich nady der Schlacht von Wimpfen nicht hatte 
verfolgen können, weil er noch zwei andere Feinde, nämlich den in der 
Pfalz ftehenden Grafen von Mansfeld und den vom Niedermatn ſich 
ebenfalls nähernden Herzog Ghriftian von Braunfchweig aufzuſuchen 
batte, fo gewann der Markgraf Zeit, feine zerfprengten Truppen bei 
Durlach wieder zu fammeln, Troß der Vorftellungen feines Sohnes, 
der dem fiegreichen Tilly bereits das Verſprechen gegeben batte, daß 
bie badischen Truppen entlafjen werden follten, vereinigte fid) doch Georg 
Friedrich mit Mansfeld und beide eilten zunächſt in das untere Elſaß, 
wo fie das biſchöflich ftrakburgifte Heer zurüchwarfen. Nun braden 
fie ins Darmftädtiiche ein, um fi mit Chriftian von Braunfchweig zu 
vereinigen, Che dies aber geſchehen konnte, wurde Letzterer am 10, 
(20.) Juni 1622 von Tilly bei Höchſt gejchlagen, worauf Georg 
Friedrich den dringenden VBorftellungen feines Schnes endlih nadıgab 
und feine Truppen am 12. (22.) Juni entlieh.?) Gleiches that Mans: 
feld jammt dem geächteten Böhmenfönig einige Tage nachher, worauf 
legterer wieder im Ausland, Georg Friedrich aber zuerft auf feiner Feſte 
Hochberg, jpäter in Genf perfönlihe Sicherheit fuchte. Allein der Ver: 
gleich mit dem Kaifer, auf den fie Beide gehofft hatten, jchlug leider fehl. 

Kehren wir nad) diefer kurzen Auseinanderfegung, die zum Ver— 
ftändnig des Ganzen nothwendig tft, zur eigentlichen Geſchichte Pforz: 
heims zurüd, Es gebt aus dem Obigen hervor, daß unmittelbar nad) 
der Schlacht ven Wimpfen wohl Feine liguiftiihen Truppen nah Pforz: 
beim gefommen fein können, wie dies von den frühern Chroniften be: 





1) Meuers Herrn Friedrichen Marggrauens zue Baden vnd Hochberg ꝛc., 
off Ihrer frftl. Gnaden vunderthänige geleifte Erbhuldigung, Burgermeifter, Ge: 
riht, Rath vnnd Gemeindt der Stadt Pjorzheim gegeben Dienstags den 21. 
May Anno 1622. (Städtifhes Archiv.) — Schon aus diefen Nevers gebt 
hervor, daß die Mitiheilung mancher Geſchichtſchreiber, Georg Friedrich habe 
vor ber Schlacht abgedankt, unrichtig ift. 

2) Man vergleiche hiezu das Schreiben, das er an feinen General Pleikard 
von Helmflätt richtete. Sachs IV., 440 und Al. 


v 


396 Pierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 


hauptet wird. 1) Doc blieb die Stadt von den Schredten des Krieges 
nicht Tange mehr verschont. Bald nachdem Georg Friedrich feine Trups 
pen entlafjen hatte, nämlich im Juli, wurde das badische Unterland von 
baieriſchen, polnifchen, ungarischen und andern Völkern, welche in kaiſer— 
lichen Dienften unter dem Erzherzog Yeopold ftanden und über den 
Nhein herüber famen, überfchwenmt und durch Sengen und Brennen, 
Plündern und Morden ſchrecklich verwüſtet.) Markgraf Friedrich hatte 
ſich ſchon vorher mit ſeiner Familie nach Stuttgart geflüchtet. Damals 
ſcheint jedoch Pforzheim wenigſtens von Brand verſchont geblieben zu 
fein, Noch im nämlichen Monat wandten ſich die kaiſerlichen Truppen 
ins Württembergiſche, wo ſie ebenfalls aufs ſchändlichſte hausten, unter 
Anderm das benachbarte Oelbronn verbrannten und daſelbſt 450 Ein— 
wohner erſchlugen. Der Schaden, den allein das Maulbronner Amt 
erlitten, wurde auf 64,000 Gulden berechnet. 3) Die Opfer, welche Pforz— 
beim und Umgegend bringen mußten, waren ficherlich noch bedeutender, da 
Baden als Feindesland behandelt wurde Mit dem Einfall diefer Faifer: 
lichen Truppen hängt ficherlich auch die Flucht vieler Bürger aus Pforz: 
beim und die Nettung der Rohr'ſchen Stipendienaften zufammen, wofür 
die Pfleger 6 fl. verrecdhneten. %) Aber nicht allein von den Truppen 
Zeopolds, fondern auch von denen Tillys wurde das Land beimgefucht, 
nachdem Yebterer fiegreih vom Main zuricdgefehrt war und die Belage: 
rung Heibdelbergs und Mannbeims eröffnet hatte. Einzelne Schaaren 
derfelben drangen vom Juli an auch in die untere Markgrafſchaft ein, 
und nicht fie allein übten ſchwere Nache für Georg Friedrichs Theil— 
nahme an dem Kampf der Iebten drei Mohate; denn hinter den Tilln- 
fhen Truppen zogen ganze Schaaren von Bauern aus dem biichöflich 
fpenerifchen Gebiet herüber und halfen rauben, um Andern die ſchwere 


1) So von Deimling und Gehres. Wie Beide erzäblen, fol ber 
Diehl: oder Thilaraben in der Brötzinger Vorftadt feinen Namen von 
Tilly haben. Allein jener Graben fommt unter dem Namen Diblaraben ſchon 
1565 im Lagerbuch des Pforzheimer Frauenkloſters (S. 329) und 1580 im 
Pforzheimer Lagerbuch vor. Wenn Tilly 1622 nit in Pforsbeim war, fo 
fönnen auch die Shanzäder nit von ſolchen Schanzen ihren Namen baben, 
welche Tilly gegen Mansfeld aufwerfen lich. 

2) Sads IV, 441. 

) Steinbofer, L. 488. 

) Roh r'ſche Stipenbienrehnung von 1623. 


Vierzehntes Kapitel. Pforzbeim im dreifigjährigen Krieg. 397 


Mißhandlung heimzugeben, welche ihnen durch Mansfeld zugefügt wor— 
den war. 1) „im unjerer Gegend“, fo jchreibt ein Gymnaſiallehrer 
aus Durlah am 6. (16) Auguft, „baben die Kaiferlichen und Baie— 
riſchen entfetzlich gehaust und thun es noch; fie haben geplündert, haben 
Dörfer verbrannt und eine Menge Unſchuldiger niedergemetelt. Lie— 
dolsheim, König s bach, Neureuth, das feite Mühlburg fammt feinem 
Schloffe, ferner die Orte Muggenfturm, Wörth, Bühl liegen fast ganz 
in Aiche." 2) Der Pfarrer von Stein Job. Chriſtoph Keller, wurde 
von den plündernden Kroaten drei Mal in der Pfarricheune aufgehängt, 
doch am Leben erhalten. 3) 

Zu den Gräueln ded Kriegs gejellten fih noch Hungersnoth, 
Seuchen und unerhörter Geldmangel, welcher eine Folge der 
fhon lange dauernden Kriegsrüftungen und der heillofen Verwirrung 
war, die damals im deutichen Münzweſen herrſchte. Im Jahr 1619 
ftand der Reichsthaler, der jonft 1 fl. 30 Er. galt, Bereits auf 1 fl. 
48 fr, im Januar 1621 auf 2 fl. 20 kr., im Januar auf 2 fl. 24 fr. 
und im Dezember besfelben Jahres bereits auf 6 fl. 30 fr. Der 
Dukaten, dejien Werth im Februar 1621 3 fl. 30 kr. betrug, flieg 
während diejes Jahres auf 12 Gulden, der Goldgulden in der gleichen 
Zeit von 2 fl. 30 fr. auf 8 Eulden. Ja der Dufaten kam jpäter 
noch auf 16, der Goldgulden auf 12 fl.) Unter ſolchen Umjtänden 
und in Folge von Mikernten und Wucher erreichten die Preife der Le 
bensmittel eine fait unerfchwingliche Höhe. Im angränzenden Württem: 
berg Eoftete im Epätjahr 1623 der Laib Brod zu 6 Pd. l Gulden, 
die Maas ordinären Weins 2 fl, 1 Pfund Schmalz oder Lichter 1 fl. 





1) Bierorbdt, II, 175, 

2) Vierordt, a. a. O. 

s) Kirchenbuch von Stein, Beral. Vierordt a. a. O. 

) Steinhofer, 1, 484 ff. Am Jahr 1623 machte die „von den Sol: 
baten zimblih lang ketrengt geweßene und in großen Nöthen geftedte* Ger 
meinde Langenalb bei den Pforzheimer Gerichtöverwandten Hans Trauz ein 
Anlehen von 2000 Gulden, welde Summe im Jahr 1630 durch gegenfeitiges 
Uebereinfommen wegen der veränderten Geldverhältniſſe auf 800 Gulden herab: 
gelegt wurde. (Vergl. Eontraftenbud von 1653, ©. 5.) Diefelbe „mit Ein: 
quartirung baierischer Reiter jehr gravirte Gemeinde” nahm auf Pfingften 1623 
bei Math. Krauß in Mali 1200 fl. auf, wobei der Reihsthaler zu 6 fl. 15 
fr. berechnet wurde. Es erfolgte deshalb fpäter eine Reduktion diefer Summe 
auf 288 fl. (Contr. Buch von 1657). 


398 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 


20 fr.) Am März und April 1623, fo verfichern gleichzeitige Briefe 
aus Durlach, war das Malter Korn nur fhwer um 30 fl. zu befom- 
men, das Pfund Fleiſch nicht unter einem Gulden, die Ohm Wein faum 
um 60 Gulden; das Land fei bereits verarmt durch ungeheure Lieferungen 
an das feindliche Heer, das nad längſt erfochtenem Siege an kein Fort: 
gehen denke. 2) Im Breisgau galt 1 Viertel Waizen 30, Korn und 
Gerſte 24, Haber 12, 1 Sefter Salz 7 Gulden, 1 Bund Schmalz 
12 Basen, 1 Pfund Rindfleiih 5 Basen und Kafbfleiih 6 Basen, 1 
Saum weißer Wein 50, votber 60 fl.; eine doppelte ſpaniſche Piftolette 
galt 22, ein Dufaten 12, ein Neichsthaler 7 und ein filberner Königs: 
tbafer 8 Gulden. 3) — Die tiefe Noth entvölkerte das Land jo fehr, 
daß in wenigen Jahren viele Dörfer in Baden und Württemberg leer 
ftanden. In den Straßen wuchs Gras; ganze Schaaren bettelnder 
Familien überfhwenmten diejenigen benachbarten Gegenden, welche noch 
weniger von der Noth des Krieges empfunden hatten, ?) 

Am 16. (26.) Auguft 1622, alſo gerade 4 Monate nad) der 
Schlaht von Wimpfen, ſprach der Kaifer das Urtbeil, daß der Mark— 
graf Baden : Durlady die jeit 1594 widerrechtlich beſetzte Markgraf: 
ichaft Baden » Baden dem reditmäßigen Fatholifchen Erben zurüdgeben 
und ihn Für die Zeit, da diefelbe im Befit der durlachiſchen Fürſten 
gewefen, entfchädigen müfle. Dem mehrerwähnten Erzberzog Leopold, 
der mit feinen Truppen bereits das Land beſetzt hatte, wurde die Exe— 
cution Übertragen. Derjelbe fette den jungen Markgrafen Wilhelm in 
die Megierung ein. Das erite Gefchäft des neuen Fürften war, die 
fatholifche Lehre mit Gewalt wieder in feinem Lande einzuführen. Vers 
gebens waren alle Proteftationen Markgraf Friedrichs V,, namentlic) 
gegen die Entihädigung für den bisherigen Beſitz von Baden-Baden. 
Dit Mühe brachte er es beim Kaifer dahin, daß die Erefutionstruppen, 
welche ganz Baden-Durlach und ſomit auch Pforzheim beſetzt hielten, 
am 20, (30.) Mai 1623 abzogen,5) und fo fein Land von diefen un: 
gebetenen Gäſten, die ſich überall die roheſten Gewaltthätigkeiten erlaub— 
ten, befreit wurde, 

) Steinhofer, 4, 487, 

2) Bierorbdt, II, 186, 

2) Hiftoriichegenealogifhe Nachrichten von der Familie Maler ©, 14. 
9 Bierorbdt, IE, 187. 
», Sachs, IV, 517. 





Pierzehntes Kapitel, Pforzheim im bdreißiajährigen Krieg. 399 


Die Ruhe, die nun folgte, war indejfen von kurzer Dauer. Weil 
Friedrich V. gegen die ihm zugemutbeten Entihädigungen an den nun— 
mebrigen Markgrafen von Baden-Baden fortwährend proteftirte und 
wabhrfcheinlih auch bei der Höhe derfelben gar nicht im Stande war, 
fie zu leiten, fo rücten im folgenden Jahr 1624 aufs Neue Ereku: 
tionstruppen, diesmal Tiguiftiiche unter Tilly, in das Land ein, und 
Pforzheim ſah wieder feindliche Völker vor jenen Mauern. Erft 
nach zwölfſtündiger tapferer Gegenwehr öffnete die Stadt dem Generaf 
Tip ihre Thore. Näheres über diefe Belagerung und Einnahme von 
Pforzheim ift nicht bekannt. 1) Eines der erften Geſchäfte Tillys nach der 
Eroberung der Stadt war die Wiedereinführung der Franziskaner und 
Dominikaner, deren Klöfter, wie oben (S. 320) erzählt ift, 1555 auf: 
gehoben worden waren. Dieje Mönche jcheinen indeß aus Pforzheim 
bald wieder verjagt worden zu fein; auf welche Weife und durch wen, 
läͤßt fich nicht angeben, 2) 

Vergebens bemühte ih Markgraf Friedrich V., das Loos jeiner 
ſchwer beimgefuchten Unterthanen durch dringende Bitten beim Kaifer 
zu lindern, Im Mat 1627 reiste er ſelbſt nady Wien, theils um die 
Entfernung der Truppen zu veranlaflen, die fein Land ausfaugten, teils 
um eine Herabiegung der Eumme zu bewirken, welche er an Markgraf 
Wilhelm auszahlen ſollte. Da er aber der Zumuthung, katholiſch zu 
werden, fich ftandhaft widerfeßte, jo wurde jene Summe auf eine in 
folcher Nothzeit unerichwingliche Höhe feftgefett und dem Markgrafen 
Wilhelm ein Theil des baden-durlachiſchen Gebietes, nämlich die Aemter 
Remchingen und Stein, als Verſatz zugelagt. 3) Ja, als es zur Kunde 
de8 Kaifers Fam, daß der alte, im Eril lebende Markgraf Georg 
riedrih aufs Neue die Waffen gegen den Kaiſer trage, wurde ver: 
ftärkte Erefution ins Yand gelegt, damit dieſes noch ſchwerer für bie 


1) Eine kurze Notiz darüber findet fich in Theatr, Europ,, I, 820, bei 
Steinhofer, I, 493, Sads, IV., 446 und 517. 

2) Die eben angefilbrten Quellen ſprechen die Wiedereinführung der Frans 
zisfaner und Dominikaner im Jahr 1624 zu beftimmt aus, als daß daran ge: 
zweifelt werben könnte. Andere Quellen, wie 3. B. das über folde Vorkomm— 
nifje genau berichtende Petri Suev, eceles. Kennen biefelbe nicht, Sondern nur 
die von 1631, von welcher weiter unten die Rede fein wird, Auch in den 
Protofollen des weſtphäliſchen Friedensſchluſſes ift das Jahr 1624 mit biejer 
Wiedereinführung in Berbindung gebracht. 

2) Bierordt, U, 187, 


400 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 


Handlungen feines ehemaligen, feit fünf Jahren von der Regierung 
zurüdgetretenen Negenten büße. Es war nämlid Georg Friedrich der 
Antrag gemadyt worden, ſich als däniſcher Generallieutenant an bie 
Spite von 5000 Söldnern zu ftellen, die er aufKoſten Englands und 
Dänemarks werben und gegen die Faiferlichen nad Nordbeutichland 
führen ſolle. Der noch immer friegsluftige Dann ging bereitwillig 
auf diefen Vorfchlag ein, die Truppen waren bald geworben und an 
den Ort ihrer Bejtimmung gebracht. Allein der Markgraf wurde vom 
kaiſerlichen General Schlick in Holftein im September 1627 geicdhlagen, 
und zog fi über Holland nad) Straßburg zurüd. Theils bier, theils 
in Genf brachte er die letzten Jahre feines Yebens zu, ohne an den 
folgenden Kämpfen weitern Antheil zu nehmen. Nur von Zeit zu 
Zeit, wenn befreundete Waffen fiegten, fah ber greife Fürſt fein Vater: 
land, vielleicht auch die Stadt Piorzheim wieder. Gr ftarb am 
14. September 1658, wahrjheinlih in Straßburg. Wo er begraben 
liegt, it nicht bekannt. In der fürftlihen Gruft zu Pforzheim befindet 
ſich jein Leichnam nicht. 

Die Zuftände in Pforzheim und der Markgrafihaft überhaupt 
ſcheinen in der Zeit von 1627 bis 1629 wieder etwas erträglicdher 
geworden zu fein. Näheres darüber kann indeß nicht mitgetheilt wer: 
den, weil alle Nachrichten aus diejen Jahren fehlen. Mehr läßt fi 
aus der darauffolgenden Zeit jagen. 

Der Kaijer Ferdinand II. hatte am 6. März 1629 das joge- 
nannte Neftitutiongedift erlaffen, nach welchem alle jeit dem 
Paſſauer Vertrag 1552 eingezogenen Kirchen: nnd Kloftergüter zurüd: 
gegeben und den Neformirten die weitere Uebung ihrer Religion unter: 
jagt werden ſollte. Es war dies ein Donnerjchlag für die protejtantifchen 
Fürſten, die in Gefahr ftanden, durch eine derartige Herausgabe einen 
großen, ja den größten Theil ihrer Macht einzubüßen. Vergebens 
waren alle Proteftationen gegen einen ſolchen Machtſpruch, zu welchem 
den Kaifer hauptſächlich die Jeſuiten getrieben hatten. Der Markgraf 
erhielt von den zur Erefution des Reftitutionsediktes im ſchwäbiſchen 
Kreis ernannten Kommiffarien die Mittheilung, daß man im Januar 
1631 durch jubdelegirte Räthe in feinem Lande zu erequiren anfangen 
werde. Auf diefe Nachricht Tick der Markgraf allen feinen Untertanen, 
vornehmlich den Bürgern zu Pforzheim, deren offener MWiderftand 
gegen den Vollzug am meiften befürchtet wurde, durch Beamte und 


Vierzebntes Kapitel, Pforzheim im breißigjäbrigen Krieg. 401 


Prediger ein rubiges Verhalten empfehlen und ertheilte Letztern bie 
Weifung, nur der Gewalt zu weichen. 1) Am 3. (13.) Januar 1631 
erſchienen die Kommifjarien und verlangten vor allen Dingen die Her: 
ftellung des Michelftiftes in Pforzheim und der früher bedeutendften 
der dortigen Klöfter, nämlich der beiden Dominikaner: und des Fran: 
ziskanerklloſters, ebenjo des Haufes zum heiligen Geiſte und des Hir- 
ſchauer Hofes nebit den dazu gehörigen Gütern. Am 29. Jan. (8. Febr.) 
wurden die Dominifaner und Franziskaner durch die faiferlichen Kom: 
miffarien, welche eine Truppenabtheilung bei ſich hatten, ſelbſt in Pforz— 
beim eingeführt und im den Befib der Kloſtergebäude eingewiefen. 2) 
Bon der ehemaligen Dominikanerfirdhe, die feit der Aufhebung des 
Kloſters als Stadtfirde gedient batte, wurde den Dominikanern jebt 
das Chor zur Benützung zugefchieden. Der Markgraf lieh es an Em: 
ſprachen gegen das Verfahren der Kommiffion nicht fehlen und gab dem 
württembergiſchen Kanzler Löffler, der auch für Baden Durlach zu dem 
vom Kaifer berufenenen fogenannten Kompofitionstage nad Frankfurt 
reiste, folgende Erläuterungen: 3) Das St. Michelsftift Tiege 
innerhalb der Mauern des Schloffes, enthalte die fürftliche Hoftapelle 
und die Stiftsperjonen jeien die Kapline des Markgrafen (©. 149). 
Das Stift jei, ehe es zum Stift erhöht wurde, die Pfarrkirche geweien 
und ſchon vor dem Paſſauer Vertrag ſei das Exereitium Augustanae 
Confessionis introducirt worden. Die Markgrafen hätten das 
Stift fundirt, feien Erbfaftennögte und Patrone desjelben und hätten 
dort ihr Erbbegräbnif. Das Dominikanerkloſter fei gleichfalls 
von dem Marfgrafen fundirt und detirt und 1561 die Mönde fort: 
gefchafft worden x. Das Dominifaner:Weiberflofter fei jebt 
Spital, feitbem es 1564 von den Nonnen mit Failerliher Bewilligung 
verlaffen worden. Das Franziskanerkloſter betreffend finde man 
gar feine Nachricht, wann dieſes ſchlechte Bettelflofter zur Neformation 
gezogen worden fei. Das alte Spital, das Haus des heiligen 
Geiſtes, ſei nicht mehr vorhanden, fondern „abgebrochen und uff ſolchem 
platz die jezige Mezig“, und wegen der langen Zeit könne man feine 
2) Fascikel: Nefitutionserefution 1630-1631 im Karlsruher Archiv, 
?) Petri Suev, eccles. 665, 


2) Schreiben, betr. den zu Frankfurt angefiellten Kompofitionstag, oder 


gür. Handlung wegen Reftitution der geiftl, Gitter (Landesardiv). 
Pflüger, Pforzheim. Zu 


402 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 


Nachricht geben. Wegen des Hirihauer Hofes jeien nad) dem Reli» 
gionsfrieden zwiſchen Württemberg und Baden, audy durch Privatperſonen 
unterfchiedliche Kontrakte geſchloſſen worden. Die Beſitzer hätten oft 
gewechielt und ihr Recht jei verjährt. 1) — Die Kommiffarien ſcheinen 
fi) vor der Hand mit Herftellung der genannten zwei Klöjter begnügt 
zu haben. Die der übrigen, jowie des St. Michelftiftes ſtieß allerdings 
auf größere Schwierigkeiten, welche zu heben die in kurzer Zeit wieder 
veränderten Zeitverhältniſſe nicht geftatteten; denn bald darauf erjchienen 
die Schweden auf dem Kriegsſchauplatze.?) 

Mit einem nicht fehr großen, aber tapfern Heldenheere von nur 
15000 Mann war der hochherzige König Guftav Adolph von 
Schweden am 25. Juni 1630 in Pommern gelandet, um feinen Glan: 
bensgenofjen in Deutjchland zu Hilfe zu kommen Wie im Xriumpbe 
durchzog er das nördliche Deutfchland, und zwang in ihrem eigenen In— 
terefie mehrere proteſtantiſche Fürſten, gemeinfchaftlihe Sade mit ihm 
zu machen. Zu denjenigen , welde warme Sympathien für den König 
von Schweden empfanden, gehörte Markgraf Friedrich von Baden-Dur— 
(ah, und im Geheimen verabredete er mit andern evangelifchen Ständen 
‚Süddeutfchlands die Sammlung von Truppen. Allein diefe Abficht 
wurde durch den Erzherzog Leopold, der nach Abtretung jeiner beiden 
Bisthümer Straßburg und Paſſau an feinen zwölfjährigen Neffen 
Regent von Vorderöfterreich geworden war, durch eine neue militärifche 
Beſetzung des Landes, welche im Juni 1631 erfolgte, vereitelt. 3) Bald 
aber Fam die Nachricht von dem großen Siege, den Guſtav Adolph am 
7. September 1631 über Tilly bei Breitenfeld unweit Leipzig erfoch— 
ten. In vafchen Triumpheszug drang der Schwedenkönig in Franken 
ein, war Ende November fchen im Frankfurt, wo fidy zu jeiner Be— 
grüßung Markgraf Friedrich von Baden, fowie auch der aus dem bol- 
ländifhen Eril ſchnell herbeigeeilte pfälziſche Kurfürſt Friedrich V. ein— 
fand, und nach der Einnahme von Mainz, Speier und Mannheim und 
nachdem der größte Theil der untern Pfalz am Ende des Jahres 1631 





1) Dieſen Hirſchauer Hof (S. 41) beſaß 1631 Greck von Kochendorf; vor: 
ber gehörte er durch Kauf vom Kloſter Hirſchau dem Kanzler Achtſynit. 

2) Doch hatte der Markgraf auch das fo theuer erworbene Amt Langen: 
ſteinbach (S. 353) dem Klofter Herrenalb zurückgeben müffen. 

) Theatrum Furopaeum, IM., 397, Vierordt, IL, 198, 


Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 4053 


von den Schweden erobert war, wieder in fein Land eingejeßt wurde. 
Im Frühjahr 1632 begleitete er Guſtav Adolph nad Baiern. Aus 
der Pfalz waren einzelne Abtbeilungen des jchwedifchen Heeres auch 
in die Markgrafichaft eingedrungen, um diefelbe von den fatferlichen 
Truppen zu ſäubern, und eine derjelben fam über Bruchſal und Bret: 
ten am 23. Jan. (2. Febr.) nah Pforzbeim. Hier fanden fie die 
Klöſter, welche erit das Jahr vorber wieder bergeitellt worden waren, 
von den Mönchen verlafien. ur der Guardian des Franziskaner: 
tlojters, Petronius Widmann, hatte es gewagt, nicht zu entfliehen, und 
fiel der voben Gemwalttbätigfeit dev Schweden, die ihn, man fagt am 
Altar der Kirche, erdrofjelten, zum Opfer. Es ſcheint, daß noch mehr: 
mals jchwediiche Truppenkorps entweder durch Pforzheim zogen und 
vorübergehend Quartier in der Stadt nahmen, oder diefelbe eine Eleine 
ſchwediſche Bejagung bebielt. Wir finden nämlich in der Folge mehr: 
fach ſchwediſche Truppenabtbeilungen als bier anweſend aufgeführt, 1) 
jo im Dezember 1632 unter Oberjt Emich von Leyen, 1653 ſchwe— 
difche Neiter unter Oberſt Eberhard Beckermann, im Auguſt des näm— 
lichen Jahres das gräflid von Solms’jche Regiment und 1634 vom 
April bis September den jchwediichen Nittmeifter Philipp Georg 
Glockengießer von Braunfels mit Soldaten, ebene im April 1634 den 
ſchwediſchen Rittmeiſter Nikolaus Dimpfel. Kurz ver dem gänzlichen . 
Abzug der Schweden aus Pforzbeim kam von Baihingen her am 
12. Auguft 1634 auch der ſchwediſche General Nheingraf Dtto Lud— 
wig mit einer Abtheilung jchwediicher Truppen, welche in den Elſaß 
eilten, durch Pforzheim. Wir finden von diefer Zeit an auch häufig 
Pforzbeimer in fremden Kriegsdienften, bejonders in ſchwediſchen. Sie 
mögen bier, fo weit fie befannt, auch für die folgenden Jahre zuſam— 
mengeftellt werden, ?2) Bernbard Gremp, ein Flößer, war fchwebdifcher 
Soldat im Mai 1693, Andreas Erbach, Wagner, fommt ebenfalls 
als joldher vor im April 1636 und im März 1644; Beide hatten 
Weib und Kinder; Hans Eſſig, ſtand 1636 (März) in Liguiftiichen 
Dienften; Johann Niethammer war Reiter unter Herzog Bernhard 


1) Am ftäbtifchen Kirchenbud. 
2) Nach dem ftädtifcdhen Kirchenbuch. Es waren ibrer ficherlich weit mehr, 
als oben aufgeführt find, Das Kirchenbuch nahm cben von ihnen nur bei be 
udern Anläffen Notiz. 
26 * 


404 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 


von Weimar 1638 (Aug.); Albrecht Weeber, Schuhmacher, war 
Fahnenſattler unter dem baieriſchen Hauptmann von Erlisheim 1644 
(13. Dez.), und Kaſpar Schoch ſtieg zum Rang eines ſchwediſchen 
Oberſten empor und wird als ſolcher am 17. November 1645 und 
29. Mai 1646 genannt. 

Die beſtändige Anweſenheit ſchwediſcher Truppen in dem vor feind— 
licher Ueberrumpelung geſicherten Pforzheim mochte wohl den Mark— 
grafen Friedrich veranlaffen, mit feiner Familie bier feine Sicherheit 
zu ſuchen, als die Faiferlihen Generäle Offa und Montecnculi vom 
Elſaß aus verheerende Streifzüge auf das rechte Rheinufer in die ba— 
denzdurlachiiche Markgrafichaft, mit welcher feit Ankunft der Schweben 
auch Baden-Baden wieder vereinigt worden war, unternahmen. Am 
Abend vor Oſtern brandichatten fie Durlach, eroberten im Auguft 
unter den ſchrecklichſten Verwüſtungen Bretten, und legten Knittlingen 
in Aſche, wurden aber dur den ſchwediſchen Feldmarſchall Guftav 
Horn bei Wiesloch gefchlagen und in den Elſaß zurücgeworfen. 
Ueberall waren die ſchwediſchen Waffen jett fiegreih und unter ihrem 
Schutze blieben unfere Gegenden für einige Zeit von den Gräueln bes 
Krieges gefihert. Zwar hauchte dev große König von Schweden fein 
Heldenleben am 6. (16.) November 1632 bei Lützen aus; allein 
-tapfere Feldherrn, unter ihnen namentlich der Herzog Bernhard von 
Weimar, traten im feine Fußtapfen und wußten noch längere Zeit den 
Sieg an die ſchwediſchen Fahnen zu felleln. 


85. Die Schlacht von Wördlingen und ihre Folgen. 
(1634 — 1636.) 


Allein im Jahr 1634 follte fid) das Kriegsglück auf ſchreckliche Weile 
wenden. Bei Nördlingen erlitten die Schweden am 27. Auguſt (6. 
Sept.) unter ihren Feldherrn Guſtav Horn und Bernhard von Weimar, 
welche auch badischen Kandfturm zu diefem Kampfe mitgenommen hat— 
ten, durch die Kaiferlihen eine furcdhtbare Niederlage. Die Trünmer 
des gejchlagenen Heeres eilten, grimmig baufend und vom Sieger ver— 
folgt, auf verfchiedenen Wegen, jo zum Theil aud über Pforzheim 
auf das linke Rheinufer, und dahin, nämlich nad) Straßburg, flohen 
fhnell der Herzog von Württemberg und der Markgraf Friedrih von 


Bierzehntes Kapitel. Piorzbeim im breißigjährigen Krieg 405 


Baden. Wie ein reigender Strom ergoßen fich die kaiſerlichen Schaa— 
ven, verheerend und mordend, zunächſt über Schwaben und näherten 
fich rafch auch der Markgrafſchaft. Angſtvoll ftrömten die Randleute 
aus der Umgegend von Pforzheim, fo aus Brößingen, Dietlingen, 
Defchelbrenn, Birkenfeld, Eiſingen, Nöttingen, Huchenfeld, Kiefelbronn, 
Bauſchlott ꝛc. in die Stadt, um dort Schuß zu ſuchen. 1) Allein bie 
Bewohner der Letztern bielten ſich jelbft fo wenig binter den Mauern 
berjelben ficher, und fo groß war der Echreden vor den Gräueln, welche 
das fiegreihe Heer ſchon im Württembergiſchen verübte, daß Jeder, 
der nur irgend Konnte, ſich auf die ſchleunigſte Flucht begab und in 
Pforzheim bald weder ein Pferd, neh ein Fuhrwerk mehr zu haben 
war. In diefer Noth wußte der Pforzheimer Amtskeller, Kafpar 
Maler, zur Rettung feiner betagten Mutter Barbara, geb. Kercher, 
feinen andern Rath, als fie auf einen Karren zu ſetzen und denfelben mit 
Hilfe feiner beiden Söhne in das zwölf Stunden entfernte Yandau zu 
ziehen — ein erhebendes Beifpiel findlicher Liebe. ?) Auch die übrigen 
Beamten, fo der Obervogt Hans Georg Bertram von Herſchbach, ber 
Untervogt Dienft, der Einnehmer Rfifterer, ergriffen die Flucht, gleicher: 
weiſe die Lehrer des Pädagogiums. Die Geiftlichen der Stadt dagegen, 
nämlich der Spezial Georg Wibel, der Spitalpfarrer Schaupp, der 
Diakonus Lutz, der aber bald ftarb und defjen Nachfolger ‘Peter Ker: 
her war, ſowie der Altftädter Pfarrer Job. David Langenberger hielten 
muthig aus, ebenjo der wadere deutſche Schulmeifter Andreas Zarer. 
Auch der Stadtphyſikus Dr. Ludwig Mögling konnte ſich nicht entfchlie: 
en, feinen Poften zu verlaſſen. 

Traurig genug war aber aucd das Yoos derer, die in der Heimath 
zurüdgeblieben. Viele wurden von den Soldaten in der erjten Wuth 
niedergehbauen, Alle geplündert ; felbjt diejenigen, welche in den Wäl- 
dern Schub ſuchten und dert noch den folgenden Winter zubrachten, 


— nn — — 


1) Kirhenbuch von 1634. 

2) Kalpar Maler Fehrte fpäter wieder nad Pforzheim zurüd und ſtarb 
daſelbſt am 13. (23.) Januar 1648. Er befaß in Pforzheim cin eigenes Hane 
im Höll- (obern Apotheker-) Gäßle. Seine Söhne waren Johann Joſeph, 
ber 1671 als KRammerratb und Untervogt zu Karlsburg, und Heinrih Wil: 
beim, der 1709 im 91, Lebensjahre als Rechnungsrath und Stadtſchreiber zu 
Emmendingen ftarb. Vergl. die hiſt. geneal. Nachrichten der Familie Maler, 
&, 12, 16 und 17. 


406 Vierzchntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krica. 


wurden mit Hunden aufgeipürt, zurüdgeichleppt und jo lange gequält, 
bis fie die etwa verborgene Habe den Maubgierigen preisgaben. Am 
Dberland. wurde vielen Uuglüdlihen ein Holz in den Mund geitedt 
und jo lange Waſſer eingegoffen, bis fie 2O--30 Reichsthaler Ranzien 
veriprachen,; Schaaren junger rauen und Mädchen wurden zufammen: 
geiperrt, entkfeidet und unter Hobngelächter preisgegeben. 

Hatten schen in den vorhergehenden Jahren anſteckende Seuchen 
viele Menichen binweggerafft, jo traten fie jet um fo verheerender auf, 
als ſich zu ihnen und den Gräueln des Krieges au noch eine andere 
Plage gefellte. Die Entvölkerung der Dörfer, in deren Folge viele 
Felder unangebaut blieben, während die notbdürftig angebauten nicht 
felten von durchziehenden Truppen abfonragirt oder zertreten wurben, 
erzeugte eine fürchterfiche Hungersnotb. Im benachbarten Durlach ftieg 
das Malter Korn, weldes das Jahr vorber noch ganz wohlfeil geweſen 
war, auf 24 Gulden, ein Pfund Schmalz koſtete 3 Batzen, ein Meß— 
lein Salz eben fo viel, der PVierling Schwarzbrod 6 Kreuzer, 1 Ei 
einen Baten, ein Huhn 2 Gulden. 1) In Württemberg galt ber 
Sceffel Kernen, der bei der Ernte 1634 noch 4 Gulden gefoftet hatte, 
zwei Jahre fpäter das Sehe: bis Zehnfache, ja in manchen Gegenden 
fo viel, ald man damals für 50 — 60 Morgen Feldes bot.?) Tau— 
jende von Menichen ftarben Hungers, obgleich das Fleiſch von Fröſchen 
Kaben, Hunden und gefallenen Pferden mit Gier verfchlungen wurde ; 
ja es kam fogar vor, daß man Leichname aus den Gräbern auf: 
wühlte, um fie zu verzehren, und daß Mütter ihre eigenen Kinder ſchlach— 
teten, um den quälenden Hunger zu jtillen. 3) Am benachbarten Wei: 
Verftadt rafften Hunger und Peſt von Pfingften bis Weihnachten 1635 
nicht weniger als 624 Perſonen hinweg. ) Im nämlichen Jahr wur: 
ben in Dietlingen nicht weniger als 143 Perfonen begraben. 5) Nicht 
geringer waren die Verwüftungen, welche die Seifen des Krieges, 
der Seuchen, der entjeglihen Theurung und der KHungersnoth in 
Pforzheim anrichteten. Hatte ſchon in den Jahren 1633 und 34 

1) Sachs, VI., 549. 

2) Steinhofer, I., 474-581. 
2) Ochs, Geſchichte von Balel, VI., 636, 641 ff. 
) Gehres, Chronik von Weilerftadt, ©. 129. 


>) Diözes Pforzbeim, Kirchen: und Schulbeichreibung von 1735 (im Pan 
debarchiv). 


BVierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißinjährigen Krien. 407 


eine große Sterblichteit im der Stadt geherrſcht, je rafften die erwähn— 
ten Plagen in der Folge noch mehr Menſchen hinweg. Nur allein 
durch die Meteleien der Kaiſerlichen fcheinen vom Spätjahr 1634 bis 
zum Jahr 1635 folgende biefige Bürger ihr Leben verloren zu hahen: 1) 
Chriſtoph Jakob Maier, Georg Mitichdorfer, Hans Georg O ſter— 
tag, Martin Nüb, Martin Straub, Martin Deßmann, Rudolf 
Eichelin, Hans Martin Hartmann, Michael Kienle, Georg 
Weit, Hans Peter Merwein, David Vichmann, Michael Unge 
rer, Hans Baumbauer, Martin Breidt, Georg Karlin, Mi: 
chael Drever, Hans Jakob Hertenftein, Michael Kiefer, Va— 
Ientin Koch, Zaharias Vogeler, Hans Eiſinger, Chriſtoph Wil: 
derfinn, Chriſtoph Abrecht, Hans Abrecht, Chriſtoph Deimling, 
Hans Jakob Geiger, Chriſtoph Geiger. Der Peſt und dem Hun— 
ner fielen in den Jahren 1635 und 1636 folgende Bürger zum 
Opfer: Marr Mangold, Hans Natob Mann, Hans Jakob 
M vaer, Peter Schoch, Hans Simmerer, Peter Abrecht, Hans 
Jakob Beh, Paul Berblinger, Jobſt Dages, Michael Deng: 
fer, Hans Jakob Eihelin, Wendel Link, Konrad Link, Philipp 
Hartmann, Hans Jakob Jung, Hans Joachim Kiefer, Hans 
Chriſtoph Kienlin, Hans Georg Wolf, Konrad Randzwinger, 
Leonhard Mever, Ehriftopb Diterried, Math. Schroth, Lorenz 
Kienlin, Peter Bauer, Georg Bauer, Berchthold Deimling, 
Chriſtehh Doll, Martin Fiſcher, Joh. Joachim Grieninger, 
Hans Jakob Hertenſtein, Michael Jelin, Konrad Kaſtner, Peter 
Kienlin, Lorenz Kienlin, Math. Rückenbrod, Ludwig Meyer, 
Jakob Ringer, Gall Ungerer, Hans Jakob Bürger, Peter Geſi— 
ger, Chriſtoph Geiger, Chriftopb Lienbard, Hans Georg Reh: 
ling, Hans Joachim Schneider, Hans Burkard, Niklas Fink, 
Valentin Heink, Hans Knaut. Bedenkt man, daß die Zahl der 
bier Angegebenen eher unter als über der Wahrheit ftebt, was ſchon 
baraus hervorgeht, baf im Jahre 1643 die Menge der durch Hunger 
und andern jammervollen Tod feit der Nördlinger Schlacht umgelom- 
menen Bürger auf 1350 angegeben wurde; daß von den Altftädtern, 
die namentlih vom Kriege am meiften erdulden mußten, aus Mangel 





N) Die Duelle diefer, ſowie mancher fonftigen Angaben find bie biefigen 
Kirchenbücher, 


408 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 


an Nachrichten keiner genannt iſt; daß ferner eben ſo wohl Greiſe, als 
Weiber und Kinder unter den Streichen des Schwertes und den Qualen 
der Peſt und des Hungers fielen: jo wird die Bebauptung, daß 1634 
— 1636 und zum Theil nod in den folgenden Jabren mindeftens ein 
Drittel der Bevölkerung Prorzbeims zu Grunde gegangen fein muß, 
nicht als eine übertriebene bezeichnet werben können, 

Die ftarfe Abnahme der Bevölkerung, die bis zum Schluß bes 
Krieges 1648 noch mehr ſank, iſt auch aus der Liſte der in jenen und 
den darauf folgenden Jahren Gebornen erfichtlih. Ich ſetze die Zahl 
derfelben ber, und zwar der Vergleichung wegen ſchon von 1630 an 
bis zu 1646. (Die Altjtädter find darunter nicht begriffen.) 

Im Jahr 1630 wurden geboren 137 Kinder, 
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u, AB 5 50 -; 
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Wie manche Soldatentinber mögen ſich aber unter den von jedem 
Jahr angegebenen Geborenen befunden haben! 

Shen 17 Jahre hatte bis zu dem Zeitpunkt, an welchem wir 
mit unferer Erzählung jest angelangt find (1635), der unfelige Krieg 
aedanert und überall in Deutichland unfäglichen Sammer verbreitet. 
Fügen wir bier die Schilderung des damaligen Zuftandes unferes deut— 
ihen Vaterlandes ein, wie fie Schiller in jeiner Geſchichte des dreißig: 
jährigen Krieges aibt:1) „Das Elend in Deutichland war zu einem 


) Band IX, feiner ſämmtlichen Werte, S. 434 fi, (Gotta, 1838). 


Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 409 


jo ausfhmeifenden Grabe geitiegen, daß das Gebet um Frieden von 
taujendmaltaufend Zeugen ertönte, und auch der nachtbeiligfte noch 
immer für eine Wohlthat des Himmels galt. Wüſten lagen da, wo 
ſonſt taufend frohe und fleikige Menichen wimmelten, wo die Natur 
ihren berrlichiten Segen ergoffen und Wohlleben und Ueberfluß geberrfcht 
batte. Die Felder, von der fleikigen Hand des Pflügers verlaſſen, 
lagen unangebaut und verwildert, und wo eine junge Saat aufſchoß 
oder eine lachende Ernte winfte, da zerftörte ein einziger Durchmarſch 
den Fleiß eines ganzen Jahres, die letzte Hoffnung des verſchmachtenden 
Volkes. Verbrannte Schlöſſer, verwüftete Felder, eingeäfcherte Dörfer 
lagen meilenweit berum im grauenvoller Jerftörung, während ihre 
verarmten Bewohner bingingen, die Zahl jener Mlordbrennerheere zu 
vermehren, und, was fie jelbft erlitten hatten, ihren verfchonten Mitbür— 
gern fchredlich zu erjtatten. Kein Schuß gegen Unterdrüdung, als jelbit 
unterbrüden zu belfen, Die Städte feufzten unter der Geifel zügellofer 
und räuberifcher Befabungen, die das Eigenthum des Bürgers verfäylangen 
und die Freiheiten des Kriegs, die Licenz ihres Standes und die Bor: 
rechte der Noth mit dem graufamjten Muthwillen geltend machten. 
Wenn fon unter dem kurzen Durchzug einer Armee ganze Länder: 
ſtrecken zur Einöde wurden, wenn andere durch Winterquartiere ver: 
armten oder durch Brandihabungen ausgefogen wurden, jo Fitten fie 
doch nur vorübergehende Plagen, und der Fleiß eines Jahres konnte 
die Drangjale einiger Monate vergeffen machen. Aber feine Erholung 
wurde denjenigen zu Theil, die eine Beſatzung in ihren Mauern oder 
in ihrer Nahbarfchaft hatten, und ihr unglüdliches Schickſal konnte 
ſelbſt der Wechſel des Glüdes nicht verbefjern, da der Sieger an den 
Pak und in die Zußtapfen des Befiegten trat, und Freund und Feind 
gleich wenig Schenung bewiefen. Die Vernachläſſigung der Felder, die 
Zeritörung der Saaten und die Vervielfältigung der Armeen, die über 
die ausgefogenen Felder daherftrömten, hatten Hunger und Theuerung 
zur unansbleiblihen Folge, und in den letzten Jahren vollendete noch 
Mißwachs das Elend. Die Anhäufung der Menichen in Lagern und 
Quartieren auf der einen Seite und Völlerei auf der andern brachten 
peitartige Seuchen bervor, die mehr ale Schwert und jener die Länder 
verödeten. Alle Bande der Ordnung lösten in diefer langen Serrüttung 
fi auf, die Achtung für Menſchenrechte, die Furcht vor Gefegen, die 


410 Bierschntes Kapitel. Piorzheim im dreikiajährigen Krieg. 


Reinheit der Sitten verlor fih, Treue und Glaube verfiel, indem die 
Stärke allein mit eifernem Scepter herrichte; üppig ſchoſſen unter dem 
Schirme der Anarchie und der Straflofigkeit alle Yafter auf, und bie 
Menfchen verwilderten mit den Ländern. Kein Stand war dem Muth: 
willen zu ehrwürdig, fein fremdes Eigentbum der Noth und der Naubs 
fucht heilig. Der Soldat, (um das Elend jener Zeit in ein einziges 
Wort zu preffen,) der Soldat herrſchte, und diefer brutalite der 
Despoten lieh feine eigenen Führer nicht felten feine Obermacht fühlen. 
Der Befehlshaber einer Armee war eine wichtigere Perfon im Lande, 
worin er fich ſehen ließ, als der rechtmäßige Megent, der oft dahin ge- 
bracht war, fih vor ibm in feinen Schlöffern zu verkriechen. Ganz 
Deutſchland wimmelte von ſolchen Kleinen Tyrannen, und die Länder 
ſitten gleich hart von dem Feinde und von ihren Vertheidigern.“ 

Zu den oben erwähnten Folgen der Schlacht von Nördlingen ta: 
men für Pforzheim auch noch andere. Ueber die Markgrafſchaft 
Baden-Durladh wurde vom Kaifer wie über ein erobertes Land verfügt. 
Der obere Theil derfelben erhielt einen befondern Statthalter und 
mußte im Auguft 1635 der Wittwe des 1632 verftorbenen Erzberzogs 
Leopold von Defterreih, Claudia von Mebdicis, buldigen; ben untern 
Theil aber mit Pforzheim fchenfte der Kaifer am 5, Mai 1635 
feinem General, dem katholiſchen Markarafen Wilhelm von Baden:Baben, 
der in dieſer Stabt alsbald die Klöfter der Franziskaner und Domint- 
kaner ſowie das St. Michaels-Stift wieder herftellte, jene mit Mönchen 
bevölferte und zum Propft von diefem feinen neunjährigen Sohn, Leo— 
pold Wilhelm, inveitiven ließ, Allein der neue Beſitz blieb in feinem 
ganzen Umfange nicht lange in den Händen des Markfarafen Wilhelm, 
Der Kurfürft Marimiltan von Baiern batte fich auch der Pfalz wieder 
bemächtigt.. Da nun das Lehensverhältniß, in welchem fich die Nemter 
Pforzheim und Graben zu der Pfalz befanden, noch immer fortbauerte, 
der Markgraf von Baden: Durlah aber feiner Länder für verluftig er: 
Märt und auch von der den übrigen evangeliichen Reichsſtänden ange: 
botenen Ammeftie (fammt dem Herzog von Württemberg) ausdrücklich 
ausgeihloffen war, jo hielt der Kurfürft diefe Zeit für geeignet, fein 
Recht auf diefe beiden Aemter geltend zu machen, und ri im Dezember 
1635 diefelben an fih. Am 13. (23.) Dezember erfchienen die beiden 
baierifchen Kommiffarien von Ungelter und von Peldhofer in Pforz— 


— 


Vierzebntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 411 


beim und nahmen im Schloffe daſelbſt, nachdem Pelckhofer, um den 
MWiderwillen der Bürger zu mildern, die fernere Uebung des proteftan- 
tiihen Gottesdienftes mehrfach mündlich zugefagt hatte, für den Kur: 
fürften die Huldigung ver. 1) Zu noch mehrerer Verfiherung, daß «8 
ihm mit dem Zugeſtändniß der Meligionsfreiheit ernjt fet, Hatte Reid: 
hofer ben Pater Chryſoſtomus Speth, Vikar des Dominifanerflofters, 
und den Spezial Wibel auf das Rathhaus fommen laffen, we er in 
Beifein Gerichts und Raths im Namen des Kurfürften die Kirche im 
Predigerflofter mit beiberfeitiger Zuftimmung fo feparirte, daß die Domini— 
kaner das Chor erhielten, das Peldhofer fogleih mit einem neuverfertigten, 
beſchlüſſigen hölzernen Gitter unterfchlagen ließ, der Stadt aber wie zuvor 
das Langhaus zum Gottesdienft überlafen bliebe, Mit bitterer Beſchwerde 
über die Gewaltthat des Kurfürften wandte ih Markgraf Wilhelm an 
den Kaiſer; er könne nicht dulden, daß die beiden Memter Pforzheim 
und Graben vom uralten Haus Baden wegen eines Pfandſchillings 
an die Pfalz kämen. Allein die Bemühungen des Kaijers, diefe Sache 
wieder rüdgängig zu machen, waren vergebens; denn als er den Grafen 
von Sulz nad) Pforzheim fandte, wo biefer am 9. (19.) Mai 1636 
in Beifein der von Baden-Baden gleichfalls dahin geſchickten Räthe „mit 
läutender Andtgloden“ (d. i. Sturmglode) die Bürger verfammelte und 
ihnen unter allerlei Verfprechungen zuredete, dem Markgrafen Wilhelm 
zu buldigen, fo weigerten fi) die Pforzheimer ganz entichieben, dies zu 
thun, obgleich ihnen von Seiten der baden = badifhen Näthe ebenfalls 
vollftändifche Freibeit in Ausübung der evangelifchen Religion und ftrenge 
Beobachtung der ftädtiichen Rechte zugefichert wurde. Sie mochten eben 
fo wenig einem einmal geichworenen Eide untreu werden, als unter der 
Herrſchaft eines Fürften ftehen, der im ganzen Krieg eben nicht die 
rühmlichite Rolle fpielte und namentlich dem angeftammten Fürſten der 
Pforzheimer gegenüber weber — noch überhaupt eble 
Geſinnungen gezeigt hatte. 

Alſoſſtand jetzt Pforzheimunter pfälziſch-baieriſchem 
Scepter! 


no ——* 


1) In einem Schreiben, das die Pforzheimer jpäter an den Herzog von 
Württemberg richteten, nannten fie bdiefelbe eine „Pfandſchillingshul— 
dbigung.“ 


412 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjäbrigen Krieg. 


86. Meligionsbedrükung in Pforzheim. 
(1635 --1643.) 


Pforzheim behielt auch in den folgenden Jahren eine ftändige baie- 
riſche Garnifon, die, weil bei den verarmten Bürgern einquartirt und zu 
Ausichreitungen bei jedem Anlaß geneigt, Feine geringe Plage für bie 
hen ſchwer genug heimgeſuchte Stadt war. Inter den Offizieren diefer 
Garnifon begegnen wir 1) 1636 (Sert.) und 1637 (16. Jan.) dem 
baierifhen Generaltriegstommiffir Junter Wolfgang Peldbofer, alfe 
demfelben, der ſchon das Jahr vorher als Huldigungstommiflär (S. 410) 
in Pforzheim geweſen war, ebenjo einem Offizier Rudolf Bed 1637 
(Mai und Juni), Im Juni finden wir Theile des alten Piccolomini’ 
fhen Neiterregiments und des Metternidyichen Regiments, wahrſcheinlich 
in ein Korps vereinigt, in Pforzheim. Nom Januar bis November 
1638 werden Soldaten und Negimentsquartiermeifter aus dem Regi— 
mente des Oberſten Heinrich Chriſtohh Sailing von Altheim genannt, 
Ein walifches (italienisches) Negiment war theilmeife, vielleicht auch ganz 
bier im März (29.) 1639, jcheint aber mit dem Gailing'ſchen Korps, 
welches nur eine Kompagnie zählte, beifammen gewefen zu fein; denn 
Dberft Sailing war nebit Oberft Kolb, der als Kommandeur eines 
bejondern nad ibm benannten Negiments bezeichnet wird, einem Haupt: 
mann Hans Georg Lauermeier aus dem Edelſtettiſchen Negimente 
und einem Oberjtlieutenant Herrv. Ganua (viell. Gannois) am 30. No: 
vember bier beifammen. Lauermeier wird am 16. Dezember als Rome 
mandant der Stadt bezeichnet. m Januar 1640 war ein General- 
fommifjär Schäffer und 23. April ein Hauptmann Negvdius bier. 
Bon 1641 (26. April) an erſcheinen das Gill de Hafffche und das 
Horſt'ſche Regiment, oder Theile desfelben in Pforzheim. Ein Lieute: 
nant des Lebtern, Dans Völkel it 1641 (23. Juni) und 1642 
(24. März) als Kommandant der ftädtifhen Garnifon genannt. Daß 
Theile diefer Truppen längere Zeit ununterbrochen in Pforzheim Tagen, 
geht daraus hervor, daß 1643 (1. Nov.) Überit von Gatling, das 
Lapier'ſche Negiment (hen 10. Eept.) und Oberſt Wolfe Neiterregi: 
ment als anweſend genannt werden. 1643 finden wir acht lothringiſche 
Kompagnien nebſt Meiterei unter dem Befehl des Oberſten Juver: 


) In den ftäbtifchen Kirchenbüchern. 








Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im bdreißigiährigen Krieg. 413 


court in Pforzbeim, und gleichzeitig werden als anweſend dafelbft ges 
nannt ein General Graf von der Wahl, der fchon erwähnte General- 
fommiflär Schäffer und ein Gieneralquartiermeifter Holt, Welche 
ſchwere Last diefe Truppen für die Stadt waren, erfehen wir aus einem 
Schreiben Bürgermeifters und Raths vom 22. März (1. April) 1643 
an den ebengenannten Schäffer, der fich damals bereits wieder in Tü— 
bingen befand, worin es unter Anderm heißt: „Seit 35 Tagen liegen 
8 Kompagnien zu Roß und zu Fuß in Pforzheim, welche die Stadt 
bisher 11,800 Gulden gefoftet haben und noch täalih 300 Gulden 
koften. Viele Leute, die großen Laften auszuhalten ferner aufer Stand, 
find bereits von Haus und Hof entflohen.” 

Zu diefer drüdenden Einguartirungslaft famen aber noch Bedräng— 
niffe anderer Art, die bier eine um fo ansführlichere Darftellung ver: 
langen, als die Pforzheimer dabei neue Proben jenes Glaubensmutbes 
ablegten, von welchem ſchon früher die Jahre 1565, 1601, 1604, 
1622 und 1629 Zeugniß gegeben hatten. Die Gefhichte der zu Pforz: 
beim „durch Menfchen zwar vorgenommenen , von Gott aber hintertrie: 
benen Religionsänderimg” 1) bildet einen der Glanzpunfte in der Dar: 
ftellung der wechſelvollen Schieiale der Stadt. 

Maren, wie oben ſchon erzählt, durch Markgraf Wilhelm von 
Baden-Baden bei der Beſitznahme Pforzheims im Mai 1635 bie 
Mönde und mit ihnen der katholiſche Gottesdienſt in der Stadt wieder 
eingeführt worden, fo wurde, als der Kurfürft von Baiern ſich Prorz: 
heims bemädhtigt hatte, auch der Kapuzinerpater Friedrich von Kichten: 
ftein am 18. März 1636 nebit einer Anzahl Mönde von Weilerftadt 
nad Pforzbeim berufen, und ifnen dafelbft das St. Georgsftift als 
Hofpiz angewieſen. Zwar zwang die Eiferfucht der Franziskaner umd 
Dominikaner die Kapırziner bald, ihre in Pforzheim eröffnete Mifften 





1) So heißt die Aufichrift eines duch Brand ziemlich beſchädigten Akten⸗ 
aszikels, welcher fih im Generallandesarhiv zu Karlsruhe befindet. Biers 
oodt bat denſelben Kereits für feine „Gefchichte der evangeliſchen Kirche in 
Baden“ benügt und in dieiem Werke von S. 218—231 eine ziemlich umſtänd— 
liche Darftellung der Ereigniſſe des Jahres 1643 gegeben. Indem id dem 
Gang feiner Erzählung folge, gebe ich mit Zugrundlegung ber erwähnten 
Quelle, fowie der biefigen Kirchenkücher, bei dem großen Antereffe, bas bieje 
Ereigniſſe erwecken müſſen, Manches ausführlicher, ale dies Vierordt bei 
einem nicht bloß für Pforzheim beftimmten Geſchichtswerk bat thun können. 


414 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjäbrigen Krieg. 


wieder zu verlafien; Letztere brachten es jedoch zu Anfang des Jahres 
1643 zu einer zweiten Berufung nah Pforzbeim. Im November 
1636 wurden den wenigen noch vorbandenen evangelifhen Geift: 
lichen in Stadt und Yand durch die baierifche Regierung die Gehalte 
entzogen. Sie durften zwar jegt noch in Funktion bleiben und gottes: 
bienftliche. Handlungen wie bisher vornehmen, waren jebody bezüglich 
ihres Unterhaltes auf die freiwilligen Beiträge der verarmten Gemeinden 
angemwiefen, die von ihren Seeliorgern nicht laſſen wollten, und darum 
auch ihren Wegzug durd alle Mittel zu verhindern fuchten. Als der 
artige Maaßregeln ſowohl, als aud die eifrigften Bekehrungsverſuche der 
Mönche an der Zähigkeit jcheiterten, mit welcher die Pforzheimer ihrem 
evangeliichen Glauben anbingen, jo wurde nach einem Anlaß gejucht, um 
den Kurfürften zu einem gänzlichen Verbot des evangeliichen Gottesdienftes 
zu bewegen. Solcher Anläffe fanden fih endlid fogar zwei. Im 
Verein mit dem Kapuzinerpater Fulgentius, der kurz vorher die evan— 
gelifche Lehre öffentlih dem Teufel übergeben hatte, berichtete nämlich 
der baierifhe Untervogt Georg Faber nah Münden:!) Eritens, 
bei der Nachricht von dem Siege, weldyen der Schwede Torjtenfon im 
Herbft (23. Okt.) 1642 unweit Leipzig über den kaiſerlichen Feldherrn 
Leopold Wilhelm, Biſchof von Straßburg, erfochten hatte, fei in der 
Pforzheimer Stadtlirde am Martinsfeft ein jubilirender proteftantifcher 
Dettag gehalten worden; dabei babe die Bürgerſchaft mit Begleitung 
der Orgel (die zu „ſchlagen“ an ſolchen Tagen fonjt nicht Sitte war) 
ein Te Deum laudamus und das ſeit Jahren bier nimmer gehörte 
Lied: Erhalt’ ung Herr bei deinem Wort — gefungen; zweitens, 
als das ſchwediſch-franzöſiſche Heer von Breiſach aus neulich auf einem 
Streifzuge bis in den Kraichgau vordrang, habe ſich der Stadtrath in 
Unterhandlungen mit den Vorpoften eingelafjen. 

Wie es fih in Wirklichkeit mit diefen beiden Anklagen verbielt, 
zeigt eine „Supplifation aller Kirchen» und Schuldiener der Stadt und 
Amts Pforzheim an den Kurfürften” vom 5, (15.) April 1643, ebenfo 
eine andere Supplifation von demfelben Datum, welche VBürgermeifter, 





*) Auch der Amtskeler Johann Wolf Geiger (vielleicht ſelbſt ein Pforz⸗ 
heimer) ſcheint mit im Bunde geweſen zu fein, Wenigftens werfen ihm bie 
Geiftlihen vor, daß er „duch falſche Anklagen am meiften Dolz zu bdiefem 
Feuer getragen habe.“ 


Vierzehntes Kapitel, Pforzbeim im breißigjährigen Krieg. 415 


Gericht und Rath durch zwei bejondere Abgeordnete (fiehe unten) nad 
München fandten. Bezüglich des jubilirenden Gottesdienftes erklären 
die Geiftlihen: „Dieje Erzählung ift uns bochbetrübt und zugleich, 
da wir durch Beweiſe des Gegentbeils leicht unſere Unſchuld darthun 
können, erfveulih. Wahr ift, dak wir 1642 am Meartinitag: Erhalt! 
ung Herr bei deinem Wort ꝛc. gefungen, aber nicht wahr, daß die Orgel 
dabei geichlagen worden, woraus unſere Anfläger ein Tedeum und us 
belgejang erzwingen wollen. Bloß die drei erften Geſetze (Berfe) find 
gefungen worden. Der Gefang paßte für die Jahrespredigt, womit 
Luthers p. m. (piae memoriae d. h. jeligen Angedentens) „Chr und 
Lehr modeste defendirt“ wurde, ift alt und bei allen Lutheriſchen im 
Gebrauch, jteht in gedrudten Gefangbüchern und wurde ſelbſt in der 
ewangeliichen Kirche in Negensburg bei dem Reichstag gefungen; in 
Pforzheim war er niemals verboten worden. Wir würden ihn aud 
beftändig gejungen haben, hätten ihn unfere Mißgünſtigen nicht nebft 
andern Geſängen aus den Gefangbüchern herausgeriffen. Wäre er ein 
Tedeum laudamus, jo würde der Kurfürft von Sachſen ihn abgeichafft 
haben; er läßt ihm aber unſeres Wiſſens noch immer fingen, obwohl er 
an jener Niederlage Feine Freude haben konnte,” 1) u. ſ. w. — Ueber 
die Beichuldigung der Unterhandlung mit feindlichen Truppen gibt der 
Stadtrath am angeführten Orte folgenden Aufſchluß: „Daß es unwahr 
ſei, daß der Magijtrat jammt Bürgers und Bauerſchaft ſich bald auf 
diefe bald auf jene Seite gewendet und ohne Befehl ſich mit den franz 
zöfifchen in Kontributionsakkord eingelafien habe, das bezeugen wir bei 
dem allmächtigen Gott und durch die Verficherung der Heidelberger 
Regierung, ſowie der kurfürſtl. Generalität, ohne deren Verwilligung wir 
nichts unterhandelt haben. Als nämlich der Feind die ganze mittlere 
Markgrofihaft und die benachbarten öſterreichiſchen Orte, ſowie die abe: 
liche Nitterihaft am Nedar und Schwarzwald zur Kontribution ges 
zwungen und uns bis auf Ettlingen in die Nähe kam, und und zum 
dritten Mal drobend aufforderte zur Kontribution, bei deren Verweige— 
rung er au das Kind im Mutterleib nicht verfchonen wolle, jo haben 


+) Der Kurfürft Johann Georg von Sachſen batte fi ſchon 1635 von 
den Echweden fosgefagt und mit dem Kaifer Friede geichloffen, wofür ihm 
Schweden den Krieg anfündigte, der in den folgenden Jahren zur fürchterlich: 
ten Berwüſtung der jüchfiihen Länder Veranlaffung gab. 





41 4 


416 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im pvreißigjährigen Krieg. 


wir durch Abgeordnete unferer Stadt unfere große Noth der Generalität 
gefhildert, worauf der Generalkommiſſär Schäffer dem General Grafen 
von der Wahl in Beifein des Generalquartiermeifters Holt Relation 
getban und die Refolution erwirft bat, daß, da uns die Reichsarmee zu 
ferne ſtehe und nicht helfen könne, wir uns emftweilen zur Rettung von 
Haus, Hof, Weib und Kind mit dem Feind in eine leibliche Kontri— 
bution einlaffen durften. Der Feind rückte unterdejien unter General 
Erlach mit 1200 Pferden heran, und nachdem wir die Sadye bis auf 
den Nothknopf verzogen battın, ſchickten wir zum Kommiffariat Tachftein, 
wo wir mit Bitten und Beten das erlangten, daß das Volk gegen Ver— 
iprechung monatlicher SO Reichsthaler fontramandirt und für geiftliche 
und weltliche Diener beider Neligionen in der Etadt und im Amt Pforz- 
beim eine fhriftliche Salva Guardi (Sauvegarde, d. b. hier ein Sicher: 
beitsbrief) ansgewirkt wurde. Die Völker rüdten endlich gegen Weiler: 
ftadt und Kannftatt (Jan. 1643) und haben uns Gottlob überhüpft, 
und an der veriprochenen Kontribution ift ihnen weder Heller noch 
Pfennig erlegt worden. Unterdefien z0g die ganze weimar’ihe Armee 
fi gegen Heilbronn, nahm bei Lanfen die Brüde weg, plünberte würts 
tembergifche Orte, und auf das Gerücht, fie ziebe gegen Pforzheim, Tieß 
der Untervogt und der Stadtjchreiber Nachts zwifchen 9 und 10 Uhr 
den Stadtrath aufs Nathhaus rufen, es folle ihr Jemand wegen einer 
Salva Guardi für uns entgegengejdidt werden, Der Nath, weil bie 
Stadt von allen Seiten mit feindlichen Partien bedroht und nicht fo 
beſchaffen jei, daß fie fich vertheidigen könne, ſchickte alfo nah Laufen 
und erwirkte beim Kommandanten eine fchriftliche Salva Guardi, Außer: 
dem fchickte die Weimar'ſche Generalitit ohne unfer Begehren auch zwei 
lebende Salva Guardi, nämlich einen Kornet und einen Korporal, nad) 
Pforzheim mit dem fchriftlichen Auftrag, wir follten diefe in die Stadt 
aufnehmen. Aber wir hielten fie von Mittag bis in die Nacht in der 
Borftadt auf und verfiherten, daß wir fie nicht verlangt hätten. Ende 
lich zogen fie in der Macht wieder zurück“ u. ſ. w. 

Ohne daß jedoch der Untervogt Faber die Beichuldigten über die 
erhobenen Anflagen zur Verantwortung aufforderte, ließ er durch die 
beiden Stadtrechte, „allem Herkommen zuwider,“ die evangelifchen 
Geiftlihen der Stadt, nämlih den Spezial Johann Georg Wibel, 1) 

1) Er war aus Augsburg gebürtig, wurde als Diakon in Ettlingen ange: 
ſtellt, aber nah der Schlacht von Wimpfen durch den fatholifhen Markgrafen 


Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 417 


die beiden Diakone Säuterlin und Kercher, den SZjährigen Spitalpfarrer 
M Wolfgang Schaupp und den Pfarrer der Altftadt Johann David 
Eauter, ferner den Rektor der lateiniſchen Schule, (vermuthlich Albert 
Herold) und den „Teutſchenſchuelmeiſter,“ (entweder den früher fchon 
genannten Andreas Tarer oder feinen Nachfolger Johann Kenn), endlich 
auch diejenigen drei Yandgeiftlichen, die in den 14 Dörfern de Amtes 
Pforzheim allein noch übrig waren, nämlich die Pfarrer von Brötzingen, 
Eifingen und Niefern, auf Dienftag vor Oftern 21. (31.) März ohne 
MWiffen und Willen Bürgermeifters und Raths in das Amthaus vor: 
laden. Nachdem fie Alle an diefem Tage Morgens 8 Uhr nad der 
Frühpredigt (die Diakonus Säuterlin über die Geißelung Chriſti ge— 
halten,) daſelbſt erſchienen waren und der in der Amtoſtube zuerſt an— 
weſende Oberkeller Geiger und der Amtsverweſer Brunner von Stein ſich 
entfernt hatten, eröffnete der Untervogt den Vorgeladenen mit trotzigen 
Worten, daß er durch die Regierung zu Heidelberg vom Kurfürſten den 
Befehl erhalten habe, die evangeliſchen Geiſtlichen in Stadt und Amt 
alsbald abzuſchaffen und das unkatholiſche Exercitium lutheriſcher Reli— 
gion unverzüglich einzuſtellen. Zugleich fügte er hinzu, daß er die 
Geiſtlichen nur noch zwei Tage dulden werde. Als Wibel ſeine Be— 
fremdung über einen ſolchen Befehl, (von welchem Faber jede Abſchrift 
veriveigerte,) zu erkennen gab und an das bei ber Huldigung, ſowie 
von der Regierung zu Heidelberg mehrfach gegebene Verſprechen freier 
Religionsübung erinnerte, erwiderte Faber: Der Kurfürft könne in 
jeinem nunmehr eigenthümlichen Lande disponiren, wie er wolle; doch 
habe man in Pforzheim ſelbſt dadurch Anlaß zu der Aenderung gege— 
ben, daß man gegen die Katholiken gepredigt 1) und das Web: Erhalt 
ung Herr bei deinem Wort — gefungen hätte. Sogar mehrere 
Rathsverwandte der Stadt hätten fich über diefen Gefang, an welchem 


von dort vertrieben, worauf er als Hofprediger nad Durlach und 1638 als 
erfter Stadtgeiftlicher, Spezial und Superintendent nah Pforzheim fan, Er 
zog 1646 von da nach Schwäbiſch-Hall, wo er 1651 ftarb. 

) Was das den Geiftlichen hier vorgeworfene Predigen gegen bie Katho: 
lifen betrifft, fo fagen fie darüber in der fhen erwähnten Supplication vont 
5. (15.) April: „Wir müflen uns gegen die Orbenslent vertheidigen, bie uns 
zuerft angegriffen haben, jonderlih Pater Fulgentius, ein Kapuziner, ber gegen 
unfere Lehre hitzig fulminirt, fie dem Teufel übergeben hat. Uns ſelbſt müßten 
wir für liederliche Leute halten, wenn wir uns nicht vertheidigten.“ 

Pflüger, Pforzheim, 27 


418 Vierzehutes Kapitel. Pforzheim im dreigigjährigen Krieg, 


nicht viel Gutes fei, (Wibel hatte das Lied dem Untervogt Zeile für 
Zeile vorgelefen und erffärt) und den man feit 8 Jahren in Pforzheim 
nicht mehr gehört, fehr geärgert. Auf den Wunſch Wibels, die Namen 
diefer Rathsverwandten zu erfahren, entgegnete Faber umwillig: In 
Pforzheim hätte Einer viel zu thun, wenn er alle Anklagen jelber an- 
hören wolle, denn bier jei e8 Brauch, weder Geiftliche noch Weltliche 
zu schonen, Als Wibel um Aufſchub der Erekution bat, bis nad) 
Heidelberg und München berichtet fei, erklärte der Untervogt, daß er 
noch fo lange warten wolle, bis Antwort von Heidelberg eingelaufen 
ſei; er fer bereit, den von Pforzheim abziehenden Geiftlichen eine Ab: 
theilung der in der Stadt liegenden lothringiſchen Truppen zur Ber 
dedung mitzugeben. An den Kurfürften felbit könnten fie fih nachher 
wenden, — leichzeitig mit diefer Eröffnung an die Geiftlihen erließ 
der Untervogt an alle Amtſchultheißen den Befehl, bei Strafe Feine 
evangeliichen Kirchen außer Landes mehr zu bejuchen, aller Palmen 
und evangelifchen Geſänge, fowie ihrer Pfarrer fich zu enthalten, alle 
Todesfälle, Ehefegnungen und Kindstaufen bei ihm anzuzeigen, damit 
er die Anordnung treffen könne, daß das Alles durch katholiſche Geift- 
liche beforgt werde, Tags darauf 22. März (1. April) wurde der 
ganzen Bürgerichaft in Pforzheim nad dreimaligem Läuten mit der 
„Aydtglocken“ ein vom Untervogt felbjt aufgefeßtes und unterfchriebenes 
Mandat vorgelefen, nady welchem er mit der ausgeſprochenen Auswei- 
fung der Geiftlihen auch die bisherige unkatholiſche Neligionsübung für 
abgeichafft erflärte und im Namen des Kurfürften befahl, daß Jung 
und Alt Morgens und Abends dem katholiſchen Gottesdienft beimohne 
und nicht etwa amdere Kirchen befuche, den neuen Kalender wohl obſer— 
vire, die Feſttage dev katholischen Kirche feire und während bevorfteben- 
der beiliger Zeit, alfo auf Gründennerftag, Charfreitag und Oftern, da— 
mit den Anfang mache. Während Alles dies geſchah, waren auf 
Weifung Fabers durd den Oberſten Juvercourt 50 Mann Mustetiere 
auf dem Marktplatz aufgeftellt worden, und Neiter zogen durch alle 
Strafen, damit fie, wo irgend zwei oder mehr Menjchen beieinander 
ftanden, folde Zufammenrottungen auseinander trieben. 

Gegen diefen unerwarteten Befehl wandte fich die jtädtifche Obrig— 
feit noch am gleichen Tag, zuerft an den feit 1638 aus dem Exil heim 
gefehrten Herzog von Württemberg, er wolle von der Stadt und dem 
Amt Pforzheim, wo nicht weniger als 1350 Bürger durch den Hunger 


Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 419 


und andern jammervollen Tod umgekommen feien, mittelft feiner Für— 
ſprache das neue „noch ſchwerere“ Kreuz abzuwenden ſuchen. Hierauf 
fhicte die Stadt felbjt zmei Abgeordnete, nämlich den Bürger Ernſt 
Friedrich Hennenberger und den Apotheker Johann Barthold, an die 
baierifche Negierung nad Heidelberg. Hier vernahmen fie, wie entjtellt 
mit unwahren Zufägen der Anhalt des fraglichen Liedes hinterbracht 
worden war, Man Hatte dem Kurfürſten beiipielweife berichtet, die 
zweite Zeile. des erften Verſes (— „und fteuer’ des Papſtes und Türken 
Mord“ —) laute: „Und ſteuer' des Papites, des Katjers, des Teufels 
und des Türken Word.“ Diefen Theil der Beſchuldigung widerlegten 
die Deputirten ohne Mühe und betheuerten zugleich, am jenem verhäng: 
nigvollen Bettage ei weder an ein Tedeum gedacht, noch ſonſt cine 
Freude über die Leipziger Niederlage geäußert worden; die Dominikaner, 
die jeden Schritt jühen, jedes Wort hörten, das im evangelifchen Theil 
der Kirche vorkomme, jolle man jelbjt darliber vernehmen. Endlich be 
riefen fie fih auch auf die Zeugnifje der baierifchen Generalität und 
lieferten dieſe Zeugniſſe wirklih nah, daß Pforzheim nur in der 
ſchrecklichſten Noth und nur nach eingeholter Grlaubniß jener Generali: 
tät dem jo nahe und grimmig drohenden Feinde eine Gontribution zus 
gefagt, aber ſelbſt diefe nicht abgeliefert habe, da dev General Gerlach, 
ohne einen Verſuch zur Eroberung dev Stadt zu machen, aus der Ge 
gend bald wieder abgezogen fei, 

Der Befcheid, den die Abgeordneten in Heidelberg erhielten, war 
offenbar nur auf einftweilige Beruhigung und vielleicht auch all: 
mählige Bearbeitung der Gemüther abgejehen. Dem Untervogt, hieß 
es, jeien dergleichen Gewaltsübungen durchaus nicht befehlen, der Sur: 
fürft jei nicht im Geringftien Willens, eine Reformation der Religion 
in Pforzbeim vorzunehmen oder gar die Unterthanen zur Fatholifchen 
Meligion zu zwingen, fondern fie follten durch ihre Pfarrer in den 
Häufern taufen und Ehen einfegnen, auch die Kranken befuchen lafjen; 
ebenjo jei ihnen das Predigen und Pſalliren in den Häufern nit uns 
terfagt; nur in der Kirche bleibe ihr „vermeinter Gottesdienft“ durch— 
aus verboten. Die Geiftlichen müßten nicht fort, und ebenfowenig fei 
ber Untervogt angewiefen geweſen, die deutſchen und lateiniſchen Schul: 
meifter in Pforzbeim abzufchaffen. Die armen Kinder Hätten nichts 
zu entgelten, und man follte die Schulen wieder wie zuvor halten lafs 
fen. Auf die von den Abgeordneten nun auch N Vorſtellun⸗ 


420 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im, dreißigjährigen Krieg. 


gen gegen das Verbot des öffentlihen Gottesdienftes wurde ihnen 
erwidert, die besfallfige Nefolution rühre vom Kurfürften jelber ber, 
und an ibn jollten fie fich in diefer Sache unmittelbar wenden. 

Auf den hierüber erfsatteten Bericht der beiden Abgeordneten bes 
ſchloß der Magiftrat, jogleich eine Deputation nah Münden zu ſchicken, 
um beim Kurfürften die Wiedergeftattung des öffentlichen Gottes: 
dienſtes auszuwirken, zugleih aber aud, um ihn um Verminderung der 
unerträglichen Laften zu bitten, welche ihnen der Krieg auferlegte. Die— 
felbe beftand aus dem ſchon genannten Apotheker Barthold und dem 
Raths- (oder Gerichts:) Verwandten Johann Kafpar Aberlin. Diefe 
Deputation wurde nit nur mit einer Vollmacht von den Gemeinden 
der Amtsbezirte Pforzheim und Graben, 1) fondern aud mit Empfeb: 
Iungsichreiben verfchiedener vornehmer Herren verfehen. Auch wurden 
ihnen die beiden oben (S. 414) ſchon erwähnten Supplifationen des 
Magiftrats und der Pforzheimer Geiftlichen und Sculdiener mitgege- 
ben. Noch am nämlichen Tage, an weldem diefe Schriftitüde verfaßt 
wurden [5. (15.) April], reisten die beiden Deputirten von Pforzheim 
ab.2) Sie nahmen ihren Weg über Weilerftadt und Tübingen nad 
Um, und fuhren von dort auf der Donau zunächſt nah Höchftadt, um 
den daſelbſt wohnenden Umgelter, der mit Pelkhofer im Jahr 1635 in 
Pforzheim als kurfürftliher Kommiffär die Huldigung vorgenommen 
hatte, (©. 410) aufjufuchen und ihn um Einſichtsnahme der noch im 
feinen Händen befindlichen Huldigungsalten zu bitten. Diefe wurde 
ihnen bereitwilligft geftattet; allein jie enthielten fein Wort daven, daß 
ben Pforzheimern bei der Huldigung irgend Verfprechungen wegen ber 
freien Ausübung ihrer Religion gemacht worden feien. (Jene Zufage 
war, wie oben (S. 411) erzäblt, auch nur mündlich gegeben worden 
und wurde in der Folge von beiden Kommiſſarien wieder in Abrebde 
geftellt.) Sie muften deshalb ihre Supplifation in Augsburg um: 
ſchreiben laſſen. Dort wurde ihnen gerathen, dem Kurfürften nur biefe 


1) Der Pfarrer Johann Kraßer von Graben fchrieb darüber an Wibel, das 
Amt Graben babe die von der Etadbt Pforzheim begehrten 50 Gulden Reife 
foften verwilligt und vorgeſchoſſen. Da man aber gegenwärtig nit jeber 
Stunde trauen bürfe, fo feien die beiden Ueberbringer dieſes Briefes angewieſen, 
das Geld in Pforzheim aufzunehmen, 

2) Ihren ausführlien Reifebericht Habe ih in den Nummern 4 und 5 
bes Piorzheimer Beobachters von 1858 mitgetheilt. 


Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigiägrigen Krieg. 421 


zu überreichen, dagegen die Supplifation der Pforzheimer Geiftlichen, 
bie den Kurfürften nur noch ungelegener jtimmer würde, zuriczubehal- 
ten, auch von den Empfehlungsfchreiben nur im Notbfall Gebrauch zu 
machen. In Münden, wo die Abgeordneten am 13. (23.) April 
ankamen, fuchten fie zuerft den Kanzler des Kurfürften auf, um ibn 
um Einftelung der vom Untervogt in Pforzheim angerröneten Refor— 
mations- Prozedur und um Audienz beim Kurfürften zu bitten. Sie 
wurden aber jehr ungnädig empfangen und mußten wegen bes „Jubel— 
feftes, der Mahlzeiten und des Bettags“, fo die Pforzheimer wegen 
ber Leipziger Niederlage angeftellt und weil fie gefungen: Erhalt uns 
Herr bei deinem Wort und fteur’ des Papftes, des Kaifers, des Teu— 
feld und Türken Mord — die bitterften Vorwürfe hören; das hätten 
fie, meinte der Kanzler, bleiben laſſen und ihre Mäuler halten Können. 
Am Sonntag Abend erhielten die beiden Pforzheimer Audienz beim 
Kurfürften, als diefer gerade im Begriff war, in die Vesper zu gehen. 
Sie übergaben ihm ihre Supplik und trugen ihm mündlich vor, wie 
Stadt und Amt Pforzheim bereits 4 Tonnen Gold (400,000 fl.) an 
Kriegskontributionen habe bezahlen müfjen und wie über 1900 Bürger 
um Leib und Leben gekommen und die übrigen in höchſte Armuth ges 
rathen ſeien; der Kurfürft möge ihnen doch gnädigft Erleichterung ver: 
ſchaffen. Der Kurfürft antwortete darauf, daß ihnen darüber Beſcheid 
werden follte; wäre fein Krieg, fo brauchten fie auch nicht zu Tontris 
buiren. Weiter ftellten ihm die Abgeordneten vor, wie ihr übelaffek— 
tionirter Beamter durch ungleiche und ungegründete Berichte die fehnelle 
Abſchaffung ihrer Prediger und Seeljorger verurfacht habe, und fügten 
bie Bitte hinzu, ihnen ihre Geiftlichen wieder zufommen zu laffen und 
die öffentliche Ausübung ihrer Neligion zu geftatten, für welde fie 
ſchon feit 8°/, Jahren den rübmenden Schub des Kurfürjten genoſſen. 
Lebterer bemerkte darauf, daß die Deputirten ihren Beſcheid ſchriftlich 
erhalten würden, und ging in die Hofkapelle. 

Am Dienftag darauf wurde ihnen ein verfchlofiener Befehl an die 
Regierung zu Heidelberg eingehändigt, und alle ihre Bemühungen, eine 
Abſchrift zu erhalten oder auch nur feinen Inhalt zu erfahren, waren, 
vergebens. (Sogar ein Beftechungsverfuh, den fie deshalb beim ge: 
beimen Sekretär mit 6 Reichsthalern machten, war umſonſt.) Sie 
reisten alfo von München wieder wen, um dag erhaltene Schreiben in 
Heidelberg perfönlich abzugeben, Dort erhielten fie mündlich die un: 


422 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 


erwartete MWeifung, daß es bei Abſchaffung des katholiſchen Gottes: 
dienftes fein Verbleiben babe und den Geiftlichen der 17. (27.) Mai 
zur Auswanderung anberaumt fei. 

Nicht abgefchredt dur den übeln Erfolg diefer Deputation fandte 
ber Magiftrat in den erjten Tagen des Mai durch den Seidenmweber 
Hans Ulrich Roth eine zweite fchriftliche Bitte, begleitet von den In— 
terceffionsihreiben des Herzogs von Württemberg und des Landgrafen 
von Hefien, nah Münden. Er wurde gar feiner Antwort gewürdigt. 
Hierauf wandten fi DBürgermeifter und Rath anfs Neue an den Her: 
z0g don Württemberg (Ueberbringer der fchriftlichen Bitte an bdenfelben 
war der ſchon erwähnte Hans Kaſpar Aberlin), damit diefer Fürft zu 
einer Fürbitte von Eeiten des Kurfürften von Sachſen verbelfe und 
erlaube, daß die zum Eril verurtheilte Geiftlichkeit, welche in den trüb: 
feligften Zeiten getreulich im Pforzheim ausgehalten und dort Yängft 
ohne Beſoldung ihres Amtes unansgefett gewartet habe, in Miürttem: 
berg fih aufhalten dürfe. Beides wurde bereitwilligſt gewährt, und 
auf den Math des Herzogs richtete der Maniftrat zu Pforzheim feine 
Pitten aud an den evangeliichen Theil der Meichsftände, beren Ge: 
fandte damals zu Tranffurt am Main verfanmelt waren, 1) desgleichen 
unmittelbar an den Rurfürften von Sachſen. Er, „bie Säule ber 
evangeliichen Kirche umveränderter augsburgiicher Ronfeffion” — fo 
nannten fie ihn, — follte nicht Still aufehen, wie man, allen Reichs— 
verträgen zuwider, abermals in 20 Kirchen diefe Konfeffton nimmer zu 
bulden drohe. 

Mittlerweile war auch der Kan berangerüdt, an welchem bie 
evangelifchen Geiftlichen und Lehrer mit ihren Familien Stadt und 
Amt Pforzheim verlaffen mußten. Wergebens hatte ſich der jährige 
Spitalpfarrer, Wolfgang Schaupp, auf feine Armutb berufen, da er 
fhon feit 9 Jahren ohne Befoldung feiz vergebens hatte er darauf 
hingewieſen, daß von einem de8 Gehörvermögens beraubten reife ja 
nichts zu befürdhten wäre; umfonft war feine Bitte, daß man in gnädi— 
ger Müdficht auf fein und feiner Gattin hohes und gebrechliches Alter 
Beiden vergönnen möchte, den geringen Meft ihrer Tage in ihrer Ge: 





1) Ueberbringer dieſes Schreibens war ber mit einer Pforzbeimerin ver: 
mäblte Job. 3b. Kaufchelmann, chemals Hof- und Ebenerihtsprofurator zu 
Durlach, aber durch den Fatholifhen Markaraien entlafien, jett im Begriff, in 
barmftädtifche Dienfte zu treten, 


Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreifigiährigen Kricg. 423 


burtsftadt Pforzheim zuzubringen. Am Mittwoch nah Pfingften 17. 
(27.) Mai 1643 zogen die Verbannten binaus, von ihren trauernden 
Gemeinden unter vielen Thränen nad der württembergiichen Grenze 
gegen Neuenbürg begleitet, und erhielten von ihnen, fo weit deren eigene 
Armuth es geftattete, einen „Zehrpfennig”, den man für ihr Exil ge: 
fammelt batte. Bon Geiten der Stadt wurden den Geiftlichen zu 
ihrem Wegzuge die Fuhren unentgeldlich geftellt und außerdem auf ein 
Bierteljahr monatliche Unterftübungsgelder verſprochen. 

Unterdeffen hatte der Untervogt durd die Heidelberger Megierung 
bereit8 die Ermächtigung erhalten, diejenigen Bürger, welche den katho— 
Tischen Gottesdienſt nicht befuchen oder ihre Kinder nicht bei den katho— 
liſchen Geiftlichen taufen laſſen würden, um Geld zu trafen. Obgleich 
jedoch diefe Reſolution Shen vom 11. (21.) Meat datirt war, fo fcheint 
er doch Urſache gefunden zu haben, in Pforzheim noch eine Zeitlang 
zuzumarten und wie er fich auszudrüden pflegte, „einen Reif um den 
andern fpringen zu laſſen.“ Er rückte deshalb erjt ſpäter mit ber 
Strafandrohung heraus, wobei er am 4. Mai (3. Jumi) der ftädtifchen 
Dbrigkeit fchriftlich bemerkte, hoffentlich werden Bürgermeifter und Math 
den Bürgern mit dem guten Exempel des unterthänigiten Gehorfams 
gegen Ihro Kurfürftlihe Durchlaucht vorangehen, und um der biemit 
angebrohten Geldftrafe auszuweichen, fid gleich morgen am Frohn— 
Veichnamsfefte bei dem heiligen Gottesdienfte einfinden; zur Prozeſſion 
wollte er fie dermalen noch nicht gezwungen haben. Mit den Bewoh— 
nern der 14 Amtöfleden glaubte er letztere Nüdficht nicht nehmen zu 
bürfen; er berief ihre Vorgeſetzten, nachdem er auch ihnen mit Geld: 
ftrafen gedroht, zu dem Fefte in die Stadt. Doch ſie erſchienen nicht, 
fondern fandten eine Erklärung ein, daß fie ſich demgemäß halten wür— 
den, was die Stadt befchliegen werde. 


F 7. Fortſehung. Glaubenstreue der Pforzheimer. 


Sn der Stadt aber verfammelten ſich am Froßnleichnamstage 
25. Mat (4. Juni) 1643 Bürgermeifter, Gericht und Rath ſammt 
ben 24 Zünften, um über das drohende Anmuthen der Regierung abzuſtim—⸗ 
men. Der Bürgermeiſter Georg Weeber eröffnete die Sitzung mit 
den Worten: Gr babe dag Dekret erſt geſtern Nachmittag erhalten, 


424 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjäbrigen Krieg. 


daher erft heute ihnen bekannt gemacht, damit in diefer Gewiflend: und 
Seelenfache jede Gerichts: und Rathsperſon ihre Stimme befonders an 
den Tag geben könne. Seine Meinung jei: Nachdem die Stadt, 
feit fie vom Kurfürften in Eid genommen, in allem Erdeuflichen dem 
Kurfürften gehorſam gewejen und es auch in Zufunft fein werde, fei 
doch diefe Sach, welche die Gewifien und Seelen betreffe, von der Art, 
daß er wenigftens fih von der Religion nimmermehr trennen laſſen könne, 
die er fein Leben lang bekannt habe, follte ev auch alles Zeitliche da— 
rüber einbüßen. Gott der Herr wolle ihm dazu feinen guten und 
heiligen Geift verleihen! -— Nach einander gaben nun ſämmtliche Mit- 
glieder des Rathes und Gerichtes in folgender Weife ihre Meinung 
zu Protofoll: Joachim Bub: Aud er wolle im politifchen Wefen 
der gnädigften Herrſchaft thun, wie einem getreuen Unterthanen gebübre, 
und babe er es bisher gethan; was aber die Religionsſach berühre, fo 
werde fein Menſch ihn zu einer andern Neligien abtreiben in feinem 
71. Lebensjahre. In Gottes Wort babe er fo viel gelefen und ges 
Yernt, daß er bis an feinen Tod dabei zu verharren und feiner Seelen 
Seligteit darbei gewiß zu erlangen gedenfe. Gr laſſe fich alfe rund 
in die kath. Kirch nicht zwingen, und follte er auch fein Leben darüber 
einbüßen. — Mlbürgermeiiter Hans Friedrich Kern: Was er 
anno 35 dem Kurfürften geſchworen, werde er halten. Aber weil Gott 
ber Allmächtige ihn durch die heilige Taufe in feinen Gnadenbund ein- 
geichlofjen und feine lieben Eltern ihn im dhriftlichen Glauben wohl 
informirt hätten, er fich auch getraue, im feiner Religion mit Gottes 
Hilfe das ewige Leben zu erwerben, fo werde er dabei verbleiben bie 
an fein Ende. Er bebalte ſich vor, die evangeliſche Kirche zu befuchen, 
worin er feinen freien Willen haben wolle. — Hans Bedh (ift 
wegen Unpäßlichkeit nicht zugegen und feine Meinung durch Martin 
Faßnacht abgeholt worden. Diefem antwortete Beckh, er werde 
diefelbe in einer Supplifation an die Regierung zu Heidelberg fchriftlich 
abgeben.) 1) — Joh. Barthold, Npothefer: Auch er werde der 
Huldigung in allen Stücken beftindig bleiben, hoffe aber auch, daß der 





) Am Taufbuch von 1643 heißt Bechh Bürgermeiſter, und gehört zu denen, 
bie ihre Kinder „ohne Noth“ in der Dominifanerfirhe taufen ließen (fiche 
unten). Er ſcheint dev Einzige geweſen zu fein, ber dic Entſchiedenheit feiner 
Kollegen nicht theilte, fondern fih den Anmuthungen bes Untervogts und ber 
baierifchen Regierung gefügig zeigte, 


Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 45 


Kurfürft das PVeriprechen, bei der Huldigung gethan, manuteniven und 
das Erercitium lutheriſcher Religion ſchützen werde, Er habe dieſe Ne 
ligion bis in fein hohes Alter befannt und gedenke auch in ihr zu fter: 
ben mit Verhoffen, daß man ihm zu Keiner andern Neligion oder in bie 
Katholische Neligion zwingen werde. — Wendel Fiſch: Er babe von 
feinem Seelforger aus Gottes Wort fo viel erlernt, daß er dabei leben 
und fterben und in die Fatholifche Kirche ſich nit zwingen laſſen wolle, 
ba felbiges gleich dem Eingang zu einer andern Religion wäre, — Be: 
ter Schoch: As 74jähriger Mann begehre er keinen andern Glau— 
ben ‚anzunehmen, laſſe ſich auch nicht in die katholiſche Kirche zwingen, 
obwohl er, wie die Uebrigen, in weltlichen Sachen ber Turfürftlichen 
Durchlaucht immmer getreu und gehorfam bleiben wolle. — & ebaftian 
Scherb, Baumeifter desgleihen. — Jacob Herm (?): ?) Er werde, 
falls man ihm zur fatholifchen Kirche oder Religion zwingen wolle, eher 
fein Bürgerrecht aufgeben ꝛc — Hans Bernhard Erat (oder Er: 
hard): Er fei faft um Alles gekommen in bejtändigem Gehorſam gegen 
die Befehle des Kurfürften; aber in dem ewangelifchen Glauben werde 
er leben und fterben, und in die katholiſche Kirche gehe er durchaus nicht, 
— Hans Michel Feldner: Audy er nicht und noch viel weniger 
mit der Prozeſſion. Wolle man ihn dazu zwingen, fo ziehe er mit 
Meib und Kind zur Stadt hinaus. — Hans Caspar Aberlin: 
Zur augsburgifh unveränderten, wahren, allein ſeligmachenden Religion, 
worin er mit Weib, Kind und Gefind geboren und erzogen und von 
Jugend auf durch feine Eltern, Schulmeifter, Lehrer und Prediger aus 
Gottes Wort genugfam gegründet worden fei, werde er und die Sei— 
nigen fich die Tag Lebens befennen, fei auch gewiß, unter Beiftand 
Gottes und des heiligen Geiftes darin die Krone der ewigen Seligfeit zu 
erwerben, Daher könne er fi rund nur dahin erklären, daß er ein 
offenbarer Heuchler fein und Gottes Strafe erwarten müßte, wenn er 
fi gezwungen zum Beſuch der katholiſchen Kirche verftünde. Chriftus 
fage: Wer mich befennt vor den Menfchen, den will ich auch bekennen 
vor meinem himmliſchen Vater, und deswegen babe man Gott mehr zu 
gehorchen, als den Menſchen. Aber in politiihen Sachen werde er 
Ihrer Kurfürftlichen Durchlaucht als getrener Unterthan wie immer fo 


1) Manche biefer Namen find in dem Protofoll etwas unleferlich ge: 
ſchrieben. 





496 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breikigjährigen Krien. 


auch ferner redlich Gehorſam Leiften. — Hans Stiß (Stieß, Schwarz: 
färber): Auch er fo; wolle man ihn aber zur katholiſchen Kirche zu 
gehen zwingen, fo wäre es nit Fatholifh, fondern zwingiſch. (Un: 
pafiender Wit in einer fo erniten Sahe!) — Michel Simmerer: 
Dafür wolle Gott ihn behüten, in feinem hohen Alter die Neligion au 
verändern oder in die Fatholifche Kirche fih zu begeben. — Chriſtoph 
Ganß (oder Gauß): Auch feine Nefolution fei gefaßt und er nicht 
Willens, einem Menſchen in der Stadt Nergernuß zu geben. So lange 
Gott ihm Leben und Gnad und feinen heiligen Geift verleibe, begehre 
er bei dem zu verbleiben, worin er von feinen Eltern und Vorgeſetzten 
unterrichtet worden. Im Notbfall werde er nach andern Mitteln trach— 
ten, wohin er ſich mit feinen Kindern begeben könne. — Philipp 
Frauenpreis will bei derjenigen Religion beftändig fein, auf die er 
netauft und erzogen worden ſei. Alles habe er bei diefem Elend und 
Kriegsmefen eingebüßt; um den Seelenſchatz ſich bringen zu laſſen, das 
thue er nun einmal nit. — Chriſtian Fleifhmann: Er fei Ihrer 
Kurfürftlihen Durchlaucht mit Pflicht und Eid zugethan, begebre auch, 
davon nit abtrünnig zu werden, fo viel die politifche, leibliche Sach be- 
treffe. Was aber die Religion als cine Gewiſſensſach betreffe, habe er 
fo viel von feinem Lieben Water jelig, welder ein evangeliicher Lehrer 
gewest, 1) auch won feinen Seelforgern erlernt, daß er von feiner Reli: 
ligion mit Weib und Kind nit abzumeichen gedenke. Alſo laſſe er ſich 
weder zur katholiſchen Kirche, noch zu ihren Geremonien zwingen; er 
wolle aber auch feinem Menichen einige Aergernuß damit geben, von 
einer oder der andern Religion los zu werden, — Klaus Aicheli 
(Aichelin, Euchele): Als feine Eltern ihn in diefes elende Jammerthal 
der Welt geboren, haben fie ihn frühzeitig durch die Herrn Präzeptores 
in dem heiligen und alleinſeligmachenden Wort Gottes und in der evan- 
gelifchen Lehre unterrichtet, darin er fich bis auf dieſe Zeit geübet, und 
er getraue fi auch, dabei felig zu werden und fein Leben dabei zu 
enden. Dazu wolle Gott durch feinen Sohn Chriftus feinen guten bei: 
ligen Geift verleihen! Zur katholiſchen Kirche und Religion laſſe er fich 
nicht zwingen. — Martin Faßnacht: In diefer Seelen: und Ge- 
wiffensfach, die wir uns bei der Huldigung erprefie neben unfern Frei: 
beiten vorbehalten und ung haben verfprechen laſſen, befenne er ſich zu 





) Johann Fleiihmann, 1628 als Spitalpfarrer in Pforzheim geftorben, 


Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breifigjährigen Krieg. 427 


feiner andern Meligion, als zur evangelifchen unveränderten augsburgiſcher 
Konfeffion. Man folle wiederum fuppliciven um einen evangeliichen 
Prediger im Natbhaus, falls ung die Kirch nit verftattet werde, oder 
um die Erlaubnig, im Württembergiſchen benadhbarte Kirchen zu bes 
fuchen, wie das vor diefem auch in andern Städten, wie Donaumertb, 
MWeilerftadt und vielen andern gefcheben. — Jacob Wanner: Auch 
er befenme fich nicht zum begehrten katholiſchen Kirchengeben, babe aud) 
feine Luft darzu, Er fei bier oder dorten auch vielmalen in der katho— 
liſchen Kirche geweſen, habe aber feinen Troſt darin finden können und 
Yafie fich von feiner Religion nicht abwendig machen. Werde man ihn 
aber durch Gewalt dazu zwingen wollen, fo werde er auch willen, ſich 
anders zu verantworten. — Balthaſar Schill: Bei der wahren, 
alfeinfeligmachenden evangelischen Meligion bleibe auch er, fo gehorſam 
er auch im weltlichen Begehren Ihrer Kurfürftlichen Durchlaucht als 
ehrlicher Unterthan fei. Aber im diefer Gewiſſensſach befinde er ſich 
gar zu hoch beſchwert und werde niemals nit darauf eingehen. — Ru: 
dolf Sold (Lammwirth): Diefes traurigen Begehrens der katholiſchen 
Meligion Halber könne er fidy nicht zum Kirchgeben bekennen, Man 
folle ihm und andern ein Vierteljahr Bedenkzeit geben, zwar ohneracht 
der katholiſchen Meligion (d. h. nicht ob er die katholiſche Religion an: 
nehmen wolle oder nicht, ſondern Frift zur Auswanderung.) 1) — 

Nach diefen Abſtimmungen von Bürgermeiſter, Rath und Geriät 
gaben die 4 Zünfte in folgender Weiſe ihre Erklärungen, ab: 

1. Die Mebgerzunft erflärt durch die 2 Zunftmeifter Phi: 
lipp Frauenpreiß und Chriftion Trauz, daß fie einhellig und ein⸗ 
ſtimmig der Meinung ſeien, bei ihrer evangeliſchen Religion zu leben 
und zu ſterben; zur katholiſchen Kirche zu gehen, wollen ſie ſich im 
Geringſten nit verſtehen. — 2. Die Bäcker erklären durch Hs. Jak. 
Blauß, Zunftmeiſter, daß fie ftandbaft bei der Religion, in der ſie 
geboren und erzogen, verbleiben und nicht in die katholiſche Religion 
fi) zwingen laſſen wollen. Che fie ſich aber zwingen laſſen wollten, 
wollten fie cher die Stadt meiden. Im Uebrigen würden fie dem 
Kurfürften wie bisher gehorfam fein. — 3. Die Rothgerber. 


') Da die Zahl der Raths- und Gerichtsheren, welche bier abgeftimmt 
baben, nur 22 flatt 24 betränt, To Icheinen damals die Kollegien in Folge von 
Todesfällen oder freiwilligen Rüdtritts nicht vollftändig geweſen zu fein. 


428 Dierzebntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjäbrigen Krieg. 


Zunftmeifter Hans Ulrich Kercher: Geftern Abends hätten die Meifter 
über des H. Untervogts Begehren einhellig erklärt, von ibrer wahren, 
alleinſeligmachenden evangeliichen Neligion werden fie ich nicht abwen— 
ben, noch im die Fatholifche Kirche fich zwingen laffen; in allen welt: 
lichen Sachen aber wollen fie Ihrer Kurfürſtlichen Durchlaucht treu 
und hold fein, wie bis dato. — 4, Die Schuhmacher. Zunftmei: 
fter Albrecht Weeber: Die ganze Zunft babe fich refolvirt auf gleiche 
Weiſe. her wollten fie mit Weib und Kind die Stadt quittiren, — 
5. Krämer und Wirthe. Daniel Weeber, Zunftmeifter: Gr 
habe die ganze Zunft in der Krone beifammen gehabt und ihre em: 
heilige Meinung vernommen, daß fie bei ihrer Neligien leben und fter: 
ben wollten, nicht in die katholiſche Kirche fich zwingen laſſen, eher fich 
an andere Orte begeben und lieber DVerkuft an Hab und Gütern, 
als an der Seele leiden. — 6. Seidenweber. Hans Ulrich Roth, 
Zunftmeifter: Er habe der ganzen Zunft H. Untervogts Begehren vor: 
gehalten und fie erklärten fi einhellig, unſeem gnädigften Kurfürften 
in allen leiblichen Sachen getreu und gehorfam zu fein, wie es Unter— 
thanen wohl anftehe; aber in diefer Gewiſſensſach erklären fie ſich rund, 
eher als fie ſich in die katholiſche Kirche zwingen laſſen, lieber Alles 
zu leiden, was Gott um feiner Chr und Lehr willen ihnen zu leiden 
zufchidten werde. — 7. Tuer. Joſeph Sold, der Zunftmeifter er: 
Märt, daß er die Zunft nit beifammen haben könne, weil 4 Meifter 
nit hier; der Gegenwärtigen Meinung aber fei, ſich zur Beſuchung des 
katholiſchen Gottesdienftes nit zwingen zu laſſen; fie leben der Hoffnung, 
Ihre Kurfürftliche Durchlaucht werde fie bei ihrer Religion erhalten, 
wie man ihmen bei der Huldigung veriprochen. — 8. MWeißgerber. 
Hans Michel Feldner gibt der Zunft einbellige Meinung damit, daß 
fie eher mit Weib und Kind die Stadt meiden, als von der evange- 
liſchen Religion fich abwenden würden. In weltlichen Dingen dagegen 
wollten fie dem Kurfürften getreu fein. (Diefen Zufak machen über: 
haupt die Zünfte faſt alle.) 9. Schloſſer. Andreas Fur (Fuchs) 
Zunftmeifter: Die Zunft habe fi rund reſolvirt, bei ihrer evangelis 
hen Religion ftandhaft zu verbleiben, eher die Stadt mit Meib und 
Kind zu verlaffen, als ſich zur katholiſchen Religion und Kirche zwin— 
gen zu laſſen. — 10. Schmiede und Wagner. Jakob Bartholdt, 
Zunftmeifter: Sie wollen fi) nicht im Geringſten zum katholiſchen 
Kirchengehen verſtehen, ſondern bei ihrer Religion beſtändig verbleiben. — 


Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 429 


11. Seiler. Sind anfangs nit erfchienen, haben fich aber hernach durch 
Ehrifteph Hertenftein erklärt, bei der ewangelifchen wahren Religion 
zu leben und zu fterben und werden fich niemals in die katholiſche Kirche 
zwingen laſſen. — 12. Hafner. Hans Jakob Hauß, der ZJunftmeis 
fter, hat von der Zunft Befehl befommen, zu antworten, daß fie ein— 
helliger Meinung feien, bei ihrer angeborenen evangelifchen Religion 
ftandhaft zu verbleiben und ſich nicht im Geringften zur katholiſchen 
Kirche noch Religion zwingen zu laſſen gedenken. — 13. Küfer. 
Georg Erbach, Zunftmeifter: Sie verftehen ſich nicht im Geringften 
zur katholiſchen Religion noch Beſuchung dergleichen Kirche. — 14. 
Hutmaher und Dreher. Hans Joachim Kiefer, Zunftmeifter: 
desgleihen. — 15. Schneider, Beter Gerner, Zunftmeifter: Lies 
ber die Stadt meiden ꝛc. — 15. Reineweber Oswald Knopp, 
Zunftmeifter: Die ganze Zunft babe ſich rund erklärt, fi) eher thür— 
men und blöden zu laffen, als die katholiſche Kirche zu befuchen, oder 
derſelben Religion ſich theilhaftig zu machen. Sie wollten ftandhaft bei 
ihrer evangelifchen Religion, in der fie geboren und erzogen, verbleiben. 
— 17. Sattler. Georg Reif, Zunftmeifter: Wollen eher bie 
Stadt quittiren. — 18. Goldfhmiede und Glaſer. Jakob Sa— 
lomon, Zumftmeifter: Wollen mit der katholiſchen Religion oder Be— 
fuchung derjelben Kirche nichts zu thun haben, fendern bei ihrer evans 
gelifchen Religion verbleiben ꝛc. — 19, Flözer. Hans Michel Ger: 
wig, Zunftmeifter: Die ganze Zunft jei „geftert obeds uf der Zunfte 
ftub beifamme gwest,“ und babe fich erklärt, Ihro Rurfürftlicher Durch— 
laucht in leiblichen Sachen getren und geberfam zu fein; aber in dieſer 
Gewiſſensſach erflären fie ſich rund, bei ihrer evangeliſchen Religion 
ftandhaft zu verbleiben und wollen ſich zur katholiſchen Kirchenbefuhung 
im Geringjten nit verftehen, viehveniger ſich derfelbigen Religion theil- 
haftig machen. — %. Zimmerlente und Maurer. Hand 
Georg Rehling, AJunftmeifter: Sie wollten bei ihrer evangeliſchen 
Religion leben und fterben, 1) — Die Altftädter erflären fih durd 
den DBiertmeifter, welcher die ganze Bürgerfchaft in der Altenftadt bei- 


1) Es fehlen bier die bei andern Gelegenheiten noch mitangeführten Zünfte 
ber Schreiner und ber Kürſchner. Da indeß immer von 24 Zünften bie 
Rebe ift, jo find wohl zu diefen 22 noch die auch oft als zünftig genannten 
Waffenſchmiede zu zählen. Wickeiht wurden auch die Altftäbter noch da⸗ 
zu gerehnet, um die Zahl 24 voll zu machen. 


430 VBierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg, 


fammen gehabt, rund dahin, daß fie lieber die Stadt und Alles ver- 
laſſen, als begehrtermaßen die katholiſche Kirche befuchen, viel weniger 
jelbige Religion annehmen, 

Da ſich alfo Feine einzige Zunft, jo wenig als Gericht und Rath 
durch Drohung des neuen Religionsmandats einſchüchtern ließ, fo ergoß 
fi) der Zorn des Beamten unverweilt in einer verichärften Publikation. 
Hundert Reichsthaler Strafe Fündigte er gleich am folgenden Tag ben 
troß ihrer Verwarnung nody jo unbeugfamen Bürgern an, wenn Einer 
am nmächften Sonntag in ber Tatholifchen Predigt und Meſſe fi nicht 
einfinde; ja er werde diefe Strafe gegen Widerfpenftige nicht nur „dup⸗ 
liven und alfo fortan felbige vermehren”, fondern auch noch mehr Kriegs: 
völker in die Stadt zu bringen willen. 

Wiederholt wandte fi nunmehr der Stadtrath an die Negierung 
zu Heidelberg, um diejelbe zu mildern Maßregeln zu bewegen. Am 
27. Mai (6. Juni) ftellte er ihr vor: Von der Pforzheimer Bürger: 
ſchaft, welche 1635 bei der Huldigung aus 800 (?) Köpfen beitanden babe, 
feien in diefen achthalb Jahren unter baierifcher Yandeshoheit mehr als 
die Hälfte durch Hunger und fonft elendiglich ums Leben gefommen, die 
Amtsorte an Hab und Gut fait zu Grund gegangen. Noch neulich 
babe an lothringifchen Völkern ein ganzes Negiment zu Pferd und ein 
gleiches zu Fuß, nachgehends Herr Obrift Juvercourt mit 8 Kompag- 
nien 14 ganze Wochen lang der Stadt auf dem Hals gelegen und 
über 44,000 Gulden gekoftet. Sogar unter den fait vermöglichiten 
Bürgern habe Mandyer bis zur nächſten Ernte kein Stüd Brod mehr 
zu genießen, Selbſt die hochlöbliche baierifche Generalität trage jeßt 
mit Pforzheim theils wegen der erjchredlichen Einquartirungslaſt, theils 
wegen der geſchwinden Religionsprogedur ein großes Mitleid, und finde 
jo wenig, als andere hohe und niedere Offiziere, einen Gefallen daran, 
fondern halte dafür, daß derjenige, jo dem Kurfürſten in jeiger Zeit 
zu folchen Neligionsichritten rathe, groß Unrecht thue. Nirgends ſei 
wohl bei diefem allgemeinen Jammer dergleichen gegen Ehriften jo ſchnell 
vorgenommen worden, Möge alfo die hohe Negierung auf Bitten hören, 
dem Untervogt bis auf zu boffende kurfürftliche Nefolution jein Strafen 
und Drohen einftellen, den unlautern Berichten diefes Mannes nimmer 
fo leicht Glauben fehenken, jedes Mal auch die Verantwortung der be 
drängten Bürger vernehmen, einftweilen aber den lehtern die entzogene 


Bierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 431 


Uebung ihrer Neligion, gemäß dem bei der Huldigung gethanen Ber- 
iprechen, wieder geitatten. 

Die zwei Abgeordneten, weldye diefes Schreiben nad) Heidelberg 
überbrachten, nämlich der Bürgermeifter Weeber und der Apotheker 
Barthold, erhielten dafelbjt wenigftens die VBertröftung, daß man über 
das voreilige und indiskrete Strafverfahren des Untervogts fehr unge— 
halten fei und auf nachdrüdliche Weiſe dafür forgen werde, daß er es 
einftelle. Natürlich machten die beiden Abgeordneten bei ihrer Rückkehr 
feinen Hehl aus diefem Beſcheid, und man erzählte ſich fogar in Pforz— 
heim mit Freuden, daß der Untervogt einen ſcharfen Verweis bekom— 
men habe und mit Entfernung von feinem Amte bedroht worden jei. 
Diefer fuhr jedocdy fort, den ihm wohlbefannten Abfichten der Re— 
gierung durch ftrenge Maßregeln jeder Art mit Eifer nachzukommen. 
So wurde unter Anderem auch der Pfarrer von Göbrichen, einer da= 
mals zum badiſchen Amt Stein gehörigen Ortſchaft, deſſen Familie in der 
Stadt Pforzheim Sicherheit gefucht hatte, auf Befehl des Untervogts durd) 
den Amtsknecht aus der Stadt gewieſen, als er einft die Seinigen wie: 
ber beiuchen wollte. Sein gnädigſter Hurfürft, jo ließ ihm der Unter: 
vogt bedeuten, dulde feinen lutheriſchen Prädikanten mehr auf feinem 
Boden. 

Am meiften Aerger aber bereitete dem Vogt das Benehmen der 
Pforzheimer. Nicht nur befuchten fie den katholiſchen Gottesdienft im 
der Stadt nicht, ſondern fie zogen im Gegentheil in Wlenge zum Got: 
tesdienit in die benachbarten evangeliſchen Ortichaften, namentlich in die 
württembergiichen hinaus, Auch die Neugeborenen wurden zur Taufe 
dahin getragen, und die Zradition erzählt, daß die Noth dazu allerlei 
Mittel erfunden habe. Um die aufgeftellten Wachen zu täufchen, 309 
oft der Vater fein fchmußigftes Werktagstleid an, padte den Täufling 
in einen Rückkorb, füllte den oberen Theil desjelben mit einer Lage 
Stroh oder felbjt Dung aus und trug fo das Kind hinaus zur luthe— 
riſchen Taufe. Die Namen der Väter mancher auf diefe Art getauften 
Kinder find noch befannt.t) Es waren folgende: 


1) Als nämlich der Spezial Wibel aus dem Erif zurüdfehrte, trug er bie 
während feiner Abweienheit vorgenommenen Taufen in das Kirchenbud, nad): 
träglih mit der Bemerkung ein: „Folgende Kinder jeindt innwehrendem ohn— 
verjhuldten Fxilio Ministerii Phorcensis in vicinis Pagis Würtemb. getauft 
worden.“ Vergl. Kirchenbuh von 1607—1646, ©, 369, 


439 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 


7. Juni ein Kind des Glaſers Otto Beh, getauft in Birkenfeld. 

7.  » nn  » Tlögers Job. Georg Kienlin, getauft dafelbit. 

8. nn Färbers Joh. Ulrich Roth, getauft in Neuen 
bürg (wo der vertriebene Diakonus Säuterlin 
Pathe war.) 

11. %» » # n# Aunfers Heinrich Storfhedel: und feiner 
Frau Anna, geb, Leutrum, getauft in aedi- 
bus Phorcensibus (d. 5. in ihrem Haus zu 
Pforzheim.) 

23. , Ernſt Friedrih Riepurg, (auf Haustaufe), 
wobei der baterifche Generalquartirmeifter Holz 
und eine adelige Dame aus Baden Pathen 
waren. 

A. nn Flözgers Behthold Geiger, getauft in Würm, 
2. » Leinewebers Sch. Georg Gintersdorfer, 
getauft in Birkenfeld. 

1. Juli 4 m m Xeinewebers Joh. Soldich, get. in Würm. 
(Unter den Pathen ift der Amtskeller Kafpar 

Taler.) 

1. » an #9» Schneiders Joſeph Eihlin (Euchele), getauft 
in Würm. (Unter den Pathen ift aud der 
unter Georg von Steinfels mit Gemahlin.) 

2% u nn m Mebgers erg Brenner, getauft zu Würm. 

10. # #8» Kappen Hans Georg Knobloch, getauft zu 
Würm. (Unter den Pathen ift wieder Georg 
von Öteinfels.) 1) 

12. 4 nn m Sottlers Mart. Simmerer, getauft zu Bir: 
tenfeld. (Unter den Pathen ift Bürgermeifter 
Georg Weeber.) 

14. u» u nn Olafers Mathig Meerwein, get. zu Delcel- 
bronn, 


1) Die Familie Männlin von Steinfels ſchloß fih mit ächtadelichem 
Einne an die Bürger, unter welchen fie Schub und Wohnung gefunden, in 
Freud und Leid an und machte mehrere bdiefer gefahrvollen Taufgänge mit. 
Gleiches thaten, außer den oben ſchon Angejührten, die Bürger Bud, Herter, 
Trauz, Kiefer, Dejchler, Faßnacht, Fiſch, Kern, Aberlin, Scherle, Abrecht, Bedh 
u. U, Ehre ihren Namen ! 


Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 435 


16. Juli ein Kind des Kuhhirten Thomas Werner, get. zu Würm, 
(Pathe ift Joh. Kaſp. Aberlin.) 

Dieſen Kirchenbuchseinträgen folgt die kurze Bemerkung: Folgende 
Perſonen haben ihre Kinder in der Dominikanerkirche (aljo nad 
katholiſchem Ritus) taufen laſſen nulla urgente necessitate, d. h. aus 
feiner zwingenden Nothwendigkeit: Hans Beckh, der Bürgermeifter, — 
Peter Gintersdorffer, ein Hausmetzger, — Sufanna Kercherin, 
welche zu früh niedergefommen, — Ruprecht Lottham mer aus ber 
Altenftadt, 1) 

Um den Beſuch des evangelifchen Gottesdienftes in den umliegen: 
den Iutherifchen Orten umd zugleich auch die Taufgänge, die er bis jeßt 
troß feiner Gewaltmaßregeln nicht hatte verhindern können, auf andere 
Weiſe zu bintertreiben, jchrieb der Untervogt am 10. (20.) Juni an 
die württembergiihe Yandvogtei Neuenbürg: Da feine Amtsuntergebenen, 
zu nicht geringem Deſpekt gegen des Kurfürften Durchlaucht, im den 
württembergijchen Orten Birkenfeld und Gräfenhaufen, ſowie zu Neuen— 
bürg jelbft, ihren Gottesdienft fuchten und ihre Rinder taufen ließen, fo 
jolle der Landvogt dergleichen Neuerungen nicht dulden, vielmehr den 
Geiſtlichen befehlen, daß die „zu ihnen auslaufenden Gefellen“ an deren 
ordentliche Pfarrer zurückgewieſen würden. Die Antwort des Land: 
vogts lautete: Für ſolche Fälle müßte das Pforzheimer Amt ſich nicht 
an ihn, der den Pfarrern nichts zu verbieten babe, fondern an das 
Spezialat Wildbad oder an das Gonfifterium zu Stuttgart wenden. 
Das verſuchte aber der Untervogt entweder gar nicht, oder doch ohne 
Erfolg. Dagegen erwirkte er fich in Heidelberg anfs Neue die Ermäch— 
tigung, in Neligionsfachen allerdings um Geld zu frafen, und ſchrieb 
unterm 7. (17.) Juli an Bürgermeifter und Nath zu Pforzheim: Die 
Heidelberger Megierung trage großes Mißfallen ob dem öffentlichen und 
freventlihen Hinausreiten und Nadzlaufen des Etadtraths und der gar: 
zen Bürgerfchaft auf die württembergiſchen und edelmänniſchen Flecken 
zum Tutherifchen Neligiongerercitium, und habe daher den in Abfchrift 
beiliegenden Befehl anher gefendet. Er hoffe, die Herren werben ſich 
künftig beffer beobachten und nicht verurfachen, daß er die wirklichen 
Beftrafungen an die Hand nehme, vielmehr nebft der Bürgerſchaft beim 
latholiſchen Gottesdienſt ſich einftellen. Geſchehe das nicht, fo fei er 


1) Die Namen der Kinder und ihrer Patben fliehen nicht im Kirchenbuche, 
Pflüger, Pforzheim, 28 


434 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 


von der hochlöblichen Negierung angewiefen, über halsjtarrige Vebertreter 
je nach ihrem Vermögen unnachfichtliche Geldftrafen zu verhängen. Dem 
fügte der Untervogt weiter bei, es ſei ihm zu Obren gekommen, daß 
der Bürgermeifter Werber und der Apotheker nach ihrer Heidelberger 
Reife ausgejagt hätten, e8 wäre dem Unterbogt ein fo großer Filz 
(Berweis) zugefommen und gefagt worden, wenn er mehr alfo proce: 
dire, jo werde man ihn vom Dienfte „geheyen“ (werfen). Er lege 
deshalb eime Abſchrift des Befehls der Heidelberger Megierung bei, da— 
mit fie diefen nad ihrer Meinung erfolgten gräulichen Verweis felber 
nadhlefen könnten ıc. 

Mittlerweile war der Stadt von dem oben ſchon erwähnten Rechte: 
gelehrten Kaufchelmann, der ihre Angelegenbeiten in Frankfurt betrieb, 
berichtet worden, daß dort ihr treues Feithalten an dem evangelifchen 
Glauben große Theilnahme finde; fie ſolle kein erlaubtes Mittel zu 
ihrem Zwecke verfäumen. Auch der kurſächſiſche Gefandte nehme fid 
der bedrängten Pforzheimer lebhaft an, und ſchon habe deſſen Kurfürft 
ein dringendes Anterceffionsichreiben nad München abgeben laſſen. Ein 
ähnliches Schreiben der gefammten in Frankfurt verfammelten evangeli- 
ſchen Abgeordneten wurde, ſobald die Straßen zwijchen Frankfurt und 
Pforzheim wieder etwas ficherer vor den umberftreifenden Lothringern 
waren, dem Stadtrath felber überliefert, welcher num am 8. (18.) Juli 
befchloß, fih zum dritten Mal perjönlih an den Kurfürften Maximilian 
von Baiern zu wenden. | 

Zu den Unkoften der neuen Deputation ſchoſſen die Dorfgemeinden 
der beiden Aemter Pforzheim und Graben abermals ihren Antheil bei. 
Der vorbin erwähnte Mechtsgelehrte wurde beauftragt, die neue Bitt- 
ſchrift der Pforzheimer zu überreihen. In derjelben flebten fie den 
Kurfürften, zu deſſen Armada fie ihr ganzes Vermögen beigefteuert 
hätten, aufs beweglicfte an, er wolle ihren ſchwer geängitigten Ger 
wiffen den evangelifhen Gottesdienft, der nun ſchon jeit 16 Wochen ge 
jperrt fei, „um Gottes Barmherzigkeit willen” gnädigft wieder geftatten. 
Tür den gedeihlichen Erfolg diefer dritten Münchener Reiſe wurden 
au in allen denjenigen Kirchen des badifchen Unterlandes, wo pro 
teftantischer Kultus ftattfinden durfte, öffentliche Kirchengebete angeord- 
net, — Do die Hilfe fam nicht direft aus München, fondern aus 
dem Elfaß, und zwar durd einen Württemberger, welder die unfreis 


Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 435 


willige Bermittlung der Jeſuiten und Kapuziner zu erwirken 
verftand. 

Dberhalb Straßburg liegt das Städtchen Bennfelden, vom Bifchof 
von Straßburg ſtark befeftigt, damals aber im Befit der Schweden 
und ein Hauptwaffenplab ihres Heeres. Hier war Kommandant der 
Freiherr Frievrih Mofer von Filfed, bei Göppingen in MWürttem: 
berg gebürtig. Diefer durch feine Tapferkeit berühmte ſchwediſche Oberft 
drohte, daß er, wenn Baiern die Bitte dev Pforzheimer nicht erfülle, 
Reprefjalien gebrauchen und alle Kapuziner und Jeſuiten verjagen 
werde, jo weit feine Gewalt reihe. Dieſe veichte aber unter Anderem 
auch nach Molsheim, wo die Väter der Gejellichaft Jeſu ein großes und 
prachtvolles Kolleginm befaßen. Was alle Bitten und Verwendungen 
nicht erwirkt hatten, das brachte diefe Drohung, und zwar fehr rafch, 
zu Stande. Schon unterm 2. (12.) Auguft 1643 eröffnete die Re: 
gierung zu Heidelberg den Beamten zu Pforzheim und Graben einen 
I Tage zuvor vom Kurfürften unterzeichneten Befehl, worin derjelbe 
rejoloirt hatte: Obwohl den Bewohnern der Stadt und des Amts Porz: 
heim und Graben, wie aus neuerdings eingeholten Berichten der Herren 
von Ungelter und Peldhofer bervorgebe, bei der Huldigung durchaus 
kein freies Religionserercitium zugefagt worden ſei, und er darum alle 
Urfache hätte, es bei vorgenommener Abſchaffung der Prädikanten und 
Einftelung des unkatholiſchen Erereitii bewenden zu laſſen, namentlich 
da ihnen als feinen verpflichteten Unterthanen keineswegs gebührt hätte, 
über der Neichsfeinde wider die kaiferlihen Waffen erhaltene „Victori“ 
“ein ſolches Frohlocken anzuftimmen: fo wollen er ihnen doch auf ihr in: 
ftändiges Bitten auf künftiges Mohlverhalten bin „die wohlverbiente 
Straf hiemit wieder indulgiren“, weile jedoch die Beamten an, „auf 
die Actiones (Handlungen) ihrer Untergebenen ein fonderbares (befon- 
deres) Aufmerken zu bejtellen und, fo fie fich fürder ungebührlich ver: 
balten, ſogleich Bericht zu erſtatten.“ 

Am 4. (14.) Auguſt ſchon kehrten die vertriebenen Geiſtlichen nach 
Pforzheim zurüd. Die Freude, mit welcher fie von Seiten der Bürger, 
der Verdruß, womit fie vom Untervogt empfangen wurden, läßt ſich 
aus dem bisher Gefagten Teicht ermefjen. Ueber diefer Freude 
vergaß aber auch der Stadtratb der Pflicht der Dankbarkeit gegen 
diejenigen Fürften nicht, welche ſich ihrer Sache fo eifrig angenommen 
batten, und richtete deshalb unterm 10. (20,) Auguft ae Dank⸗ 


#36 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 


fagungsfchreiben an die evangelifchen Reichsſtände in Frankfurt, an den 
Kurfürften in Sachſen, den Landgrafen von Hefjen und den Herzog von 
Württemberg. „Wir können,” fo beißt es im erfigenannten Schreiben, 
„mit dem königlichen Propheten ausrufen: Der Herr hat Großes an 
ung getban!“ — Mit befonderer Wärme dankten Bürgermeifter, Gericht 
und Rath den Herzog von Württemberg nit nur für feine Verwen— 
dung, fondern auch dafür, daß „Ihre Durchlaucht unfern Seelforgern, 
nebit deren Weibern und Kindern im Herzogthum Schuß gewährt, und 
ung, ſowie der gefammten Bürgerichaft, das liche Wort Gottes in dero 
nächitgelegenen Ortichaften anzuhören, besgleichen die heiligen Eaframente 
zu gebrauchen, geftattet haben.” — Davon aber, daß der mit Miofer 
von Filſeck jehr vertraute Herzog wahrſcheinlich die eigentlichhte Veran: 
lafjung zu der ihnen gewordenen Hilfe war, ift in dein Schreiben nicht 
die Nede: mag es nun geflifjentlich unberührt geblieben und der münd— 
lichen Dankfagung des Schriftüberbringers aufgetragen worden, oder 
auch den Stadtrath felbft nody unbekannt geweſen jein. 

Als jedoch der evangelifche Gottesdienft in der Stadffirche wieder 
beginnen jollte, fo erhoben die Dominifaner Schwierigkeit und wollten 
die Benütung der Kirche zu diefem Zweck nur unter der Bedingung 
zugeben, daß ihnen dafür ein jährlicher Zins bezahlt und darüber ein 
Revers ausgeftellt würde, daß die Stadt auf die Kirche feinen Anſpruch 
babe, Da vom Untervogt Feine Abhilfe zu erwarten war, fo wandte 
fih die Stadt am 7. (17.) Auguft mit einer Beſchwerde an die Regie— 
rung zu Heidelberg, worin fie fi) auf das ſchon 1629 wegen Bertbeis 
lung der Kirche getroffene Abtommen berief und die Megierung erjuchte, 
die Mönche zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Sollte das nicht geichehen 
oder nicht gelingen, fo bäte fie, weil die andern Kirchen für die große 
Gemeinde zu klein feien, für den evangeliichen Gottesdienft den Gebrauch 
ber Stiftskirche zu gneftatten, die jetzt nicht bemütt werde, Es ſcheint 
Lebteres gefchehen zu fein, da fi die Dominikaner bei ihrem Weg— 
zug von Pforzheim 1649 no im Beſitz der Schlüffel zur Stadtkirche 
befanden. 

Alfo war den Pforzbeimern, obgleich die Stadt noch bis zum 
Schluß des Krieges mit Mönchen bevöltert blieb , jetzt wieder geſtattet, 
„ihres Glaubens zu leben.“ Allein die folgenden Jahre follten neues 
und ſchweres Unbeil über Pforzheim bringen! 


Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigjährigen Krieg. 437 


$ 7. Sebte Jahre deo Krieges. 
(1643— 1648.) 


Auf allen Seiten war man des langen verwüftenden Krieges über: 
drüffig geworden und ſehnte ſich nad Frieden, Es wurden deshalb 
bereits im Jahr 1643 Unterhandlungen begonnen. Leider follten die— 
felben erft nach fünf traurigen Jahren, die über manche Theile Deutfch- 
lands, jo auch über die Stadt Pforzheim, neuen Sammer brachten, zum 
Abſchluß gelangen. 

Längft hatte der Krieg feinen Charakter als Religionstrieg verloren, 
namentlich feitbem auch Frankreich (1635) am demfelben theilnahm. Er 
war mehr ein politifcher Kampf um das Mein und Dein, das Mehr oder 
Weniger auf Deutfchlands Koften geworden. Der tapfere Bernhard 
von Weimar führte feine treffliche Armee umter der Hoheit Frankreichs, 
und als der Held 1639 geftorben war, wußte ſich diefe Macht jchnell 
in den Beſitz jenes Heeres zu ſetzen und mit Hilfe besjelben die Ueber: 
Vegenheit im Felde zu erlangen. Wir fehen deshalb auch diefes fran- 
zöfifchefchwediiche Heer in den lebten Jahren des Krieges meift mit 
Süd gegen die öfterreichifch-baierifhen Truppen kämpfen. 

Noch bis zum Auguſt 1644 finden wir eine baierifche Beſatzung 
in Pforzheim, und zwar Truppen vom Gailing'ſchen, Lapier’ichen, 
Kolb'ſchen und Spork'ſchen Negimente. Im Auguſt 1644 erſchien jedoch 
ein ſchwediſch-franzöſiſches Heer unter der Anführung des Herzogs von 
Enghien vor Pforzheim, nahm die Stadt durch Sturm ein und 
vertrieb die baierifhen Truppen fammt den Kapuzinern aus bderjelben. 1) 
Der Kommandant des jett im Pforzheim verbleibenden ſchwebiſchen 
Reiterregimentes war der Oberft Neinheld von Mofa. Um die Geift- 
lichen und Lehrer der Stadt für die früher erlittenen Bedrängniffe zu 
entfhädigen und ihnen einen Beweis feiner freundſchaftlichen Gefinnung 
zu geben, wies er ihnen ein Quantum Früchte und Wein als Geſchenk 
zu.2) Im November treffen wir diefen Roſa nicht mehr hier; an ſei— 


1) Theatr. Europ. I, p. 720 u. 21. 

2) Diefe Naturalien verlangte jedoch am 9. Nov. desſelben Jahres ber 
Amtsteller von ben Betreffenden wieder zurüd. Der Spezial Wibel jchrieb 
deshalb am Bürgermeifter und Rath, daß die wenigften Bürger bie Früchte und 
den Wein geliefert, das was die Geiftlichen und Lehrer jedoch erhalten hätten, 


438 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjäbrigen Krieg. 


ner Stelle wird ein Hauptmann von Erlisheim angeführt, nebit einem 
Nittmeifter Leylin und einem Major Hellfeld. Dasfelbe Negiment war 
jedoch nody bis April 1645 hier, und kommen in diefer Zeit noch ein Oberft 
Kafpar Schoch (S. 404) und ein Nittmeifter ob. Bull vor. Indeſſen 
hatten aber die Baierifchen Succurs erhalten durch den Erzherzog Leo: 
pold von Defterreich, und dadurd gelang es ihnen, den General Turenne, 
der ſich vorher mit dem Herzog von Enghien vereinigt hatte, wieder 
zurüczutreiben. Unter Johann von Werth nahmen hierauf die bate- 
rifchen Truppen alle von den Schweden und Franzoſen bisher beſetzten 
Städte wieder weg, jo aud im Dftober 1645 Pforzheim. Johann 
von Werth nahm felber in der Stadt Quartier (er logirte bei Kronen: 
wirth Schnellin), und die Gemeinde Dietlingen follte die Koften für 
denfelben beftreiten helfen, 1) obgleich fie felber nicht weniger als 300 
Werthifche Neiter ins Quartier bekam. Nicht nur fehrieb Werth ſtarke 
Kriegsfontributionen aus, fondern Pforzheim mußte auch noch in anderer 
Meife den Zorn des Siegers empfinden. Die Stadt wurde vor dem 
Abzuge der Baiern angezündet und ein großer Theil derjelben brannte 
ab, nämlich die Au, die Bröginger Vorſtadt (hier unter Anderm auch 
die Herberge zum Trappen), die Altftadt, die Altftäbter Straße, bie 
große Gerbergafie, das Kaltenthalihe Haus (am Schloßberg) die Bru— 
dergaffe zc.2) Iſt alſo noch Etwas von der Stadt ftehen geblieben, fo 
können dies nur die Bröbinger Gaffe, der Markt, einige Häufer unter: 
Halb des Schufplates und die Schlofgebäude geweſen fein. Im folgen: 
den Jahre (1646) wurde die Stadt wieder von den Schweden, und 
zwar dem Schoch'ſchen Regiment, befebt. 

Endlich im Jahr 16483) wurden die in den Städten Münfter 


ihnen an ihrem Guthaben bei der Stadt abgezogen werben könne. Der Ratb 
verlangte genaue Spezififation , was bie Geiftlichen befommen hätten und wie 
viel fie zu reftituiren im Stande wären, 

) Pforzheimer Rathsprotokoll vom 2. Dez. 1662. Nah bemielben 
klagt Profurator Dages namens der Schnellin’ihen Kinder auf Schadenerfat 
im Betrag von 106 fl. 36 fr. gegen bie Gemeinde Dietlingen, welche aber burch 
Profurator Zickwolf erflärt, daß fie felbft durch die Werthifchen einen Schaben 
von 3000 fl. gehabt. 

2) Nad) ben Ratbsprotofollen von 1662—1667. 

) In welchem auch württembergifche Unterthanen zu Pforzheim gefangen 
faßen. Klunzinger, Geſch. von Maulbronn, S. 81 der Regeften. 


Vierzehutes Kapitel, Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 439 


und Dnabrüd verfammelten riedensgefandten mit ihren langwierigen 
und mühſamen Unterhandlungen fertig, jo daß der Friedensihluß am 
24. Dftober erfolgen konnte. Es ift hier der Ort nicht, auf die Be- 
ftimmungen desſelben, jo weit fie Deutfchland überhaupt betrafen, aus— 
führlich einzugehen. Es genüge deshalb die Bemerkung, daß einige wich: 
tige Theile vom deutſchen Reichskörper Losgeriffen wurden und Deutfch: 
land überhaupt auf Koften der Franzofen und Schweden dabei am 
ſchlechteſten weglam. Der Markgraf Friedrich V. von Baden-Durlach, 
ber bisher theils in Straßburg, theils in Baſel in der Verbannung ge: 
lebt hatte, erhielt fein Land zurück und wurde von allen Verpflichtungen 
von Erfabgeldern an Baden-Baden (S. 398) entbunden. Hinſichtlich 
ber Tirchlichen Angelegenheiten wurde im weſtphäliſchen Frieden feſtgeſetzt, 
daß fie in den Stand gebracht werden follten, den fie am 1. Januar 
1624 gehabt; nur für die vorher ſchon überwältigten Länder, alfo auch 
für Babden- Durlach, wurde das Jahr 1618 als Normaljahr angenom: 
men. Nah Maaßgabe dieſes Befisftandes follten Katholiken und 
Proteftanten freie Neligionsübung genießen; Beiben, fowie den Refor— 
mirten, folle Gleichheit auch der bürgerlichen und politiſchen echte 
zufommen. 

Bei der unendlichen, mitunter ins Kleinlichfte gehenden Genauigkeit 
der Friedensartikel ift es nicht zu verwundern, wenn dieſelben — natür— 
lich unter Zugrundlegung der allgemeinen Normen — auch einige Be: 
fimmungen über Pforzheim enthielten. So wurde u. A. darin 
feftgefeßt, daß die Aemter Pforzheim und Graben von der Pfalz wieder 
an Baden zurücgegeben und die Dominikaner und "Franziskaner in 
Pforzheim abgeſchafft werden follten, meil fie 1618 dafelbft nicht be— 
fanden hätten, Waren die nad ihrer 1644 gefchehenen Vertreibung 
durch die Schweden wieder zurüdgefehrten Kapuziner ſchon 1647 von 
Pforzheim abgezogen, fo wurde nun auch den übrigen Mönden durch 
einen fürftfichen Befehl (d. d. Baſel, 9. Februar 1649) ) aufgegeben, 
ihre Mlöfter zu räumen und die Stadt zu verlaffen. Die Franziskaner 
baten noch um einige Tage Frift, um ihre Angelegenheiten zu ordnen, 
und zogen ſodann am 20. März von Pforzheim ab, nachdem fie die 
Schlüffel zur Kirche und zum Kloſter an das Dberamt überliefert, 


sy Schreiben des Oberamts an ben Fürſten (ohne Datum unb Unter: 
ſchrift). 


440 Bierzehntes Kapitel. Piorzheim im dreigigjährigen Krieg. 


(Obervogt war damals Engelhard Göler von Ravensburg.) Die De: 
minikaner machten indeß Schwierigkeiten, wollten noch bis nad den 
Ofterfeiertagen im Klofter bleiben, und als dies nicht geftattet wurde, 
fo zogen fie zwar aus dem Klofter weg, bielten ſich jedoch noch über 
die Dfterzeit im Haufe der Wittwe des Freiherrn von Ow, einer geb. 
Gerlah auf, und zogen alsdann nad Philippsburg, begleitet von ber 
Frau des gewejenen Kommandanten de la Noue, nachdem fie ihre 
Kloſterſchlüſſel nicht am dag Oberamt, fondern an den erften enangelifchen 
Stadtgeiftlichen, den Spezial Johann Burkard Erad, abgeliefert hatten. 
„Alſo iſt,“ fo heißt e8 in dem erwähnten Schreiben des Oberamts an 
den Markgrafen, „die Poſſeſſion der zwei Klöfter wie aud bes Stifte 
zu St. Michael Gottlob völlig eingenommen und bereits in allen drei 
veftitwirten Kirchen das Grereitium (d. b; der erfte evangelifche Gottes: 
dienft) öffentlich und -in großer Frequenz gehalten worden, * 

Aber welchen Anblid gewährte Deutfchland und befonders unfer 
Vaterland nah Beendigung des unheilvollen Krieges! Es ift oben 
ſchon angegeben worden, welch entjegliches Bild grauenvoller VBerwüftung 
fih dem Auge fhon nah Umfluß der erften Hälfte des Krieges bot. 
Es trug nad gänzlicher Beendigung desſelben noch fchwärzere 
Farben. Die Hälfte, ja in manden Städten und Ländern zwei Drittel 
der Bewohner hatte der Krieg hinweggerafft. Die fruchtbarſten Aecker 
waren mit Dorngeftrüppe überwachien, und Hunderte von Dörfern Tagen 
in Trümmern. Die von Krieg, Hunger und Belt Verfchonten hatten 
tbeilweife alle Arbeit verlernt; wer im Krieg gewejen, veradhtete das 
ehrliche Handwerkszeug und den Pflug; ganz Deutfchland wimmelte 
von Gaunern und Stroldyen, welche bettelten, plünderten oder das Haus 
über dem Kopfe des Beſitzers anſteckten. Die Sittlichfeit war tief ge: 
funfen, Handel und Verkehr lagen darnieder, Kirchen und Schulen waren 
verödet. Deutſchland, bis im feine verborgenften Winkel mit Blut ge: 
träntt und mit Trümmern erfüllt, war nahe daran, in völlige Barbarei 
zurückzuſinken oder eine große Wüſte zu werden! Noch jet find die 
Spuren des dreißigjährigen Krieges nicht überall verwiſcht. 

Auch in Pforzheim hat diefer Krieg bittere Nachwehen zurüd- 
gelafien. Ein großer Theil der Stadt war durch Brand zerftört, und 
die Bewohner waren viel zu arm, um ihre Wohnungen aus dem Schutt 
neu eritehen zu laſſen. Nod in den Jahren 1660 — 66 fanden fich 
allentHalben in der Stadt öde Pläße, fo daß fogar am 17. April 1667 


Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjägrigen Krieg. 441 


deshalb ein fürftlicher Befehl erſchien, weldyer dahin Tautete, daß bie 
baufälligen Häufer von den Eigenthümern reparirt und auf bie öden 
Pläge wieder gebaut, oder aber deren Verkauf angeordnet und der Er: 
1ö8 alsdann dem Eigenthümer zugeftellt werden follte. 1) Aller Wohl: 
ftand in der Stadt war vernichtet, die Bevöllerung anferordentlid ver: 
mindert, der Handel, der früher im nicht geringer Ausdehnung nad 
Frankfurt, Sachſen, Württemberg, Schweiz und Stalien betrieben 
worden war, hatte gänzlich aufgehört. Und als endlih die Wunden, 
die der Krieg geichlagen, wieder zu heilen begannen, als die Bürger fich 
wiederum zu erholen anfingen: da zerftörte nady kaum 40 Jahren der 
eben fo fchredlihe, ja zum Theil noch verbeerendere orleans'ſche Krieg 
Alles wieder ! 


Anbang. 





KAindestreue” 
Bon Eduard Brauer. 


Schwer lag des Krieges Eifenhand 

Auf Deutfchlands wundem Haupte ; 
Dur Trübfal, Pet md Hunger Ihwand, 
Was Feindesichwert nicht raubte. 


Die Fürften lebten berzentzweit 

An bint’ger Glaubensfehde, 

Und weidlich müßten ihren Streit 
Der Franzmann und der Schwebe, 


Gen Pforzheim aud wälzt unbeiljchwer 
Die Heerflut ihre Wogen, 

Wie Windebraut fommt des Kaiſers Heer 
Siegbraufendb hergezogen. 


Hilf Gott! Berlaffen und allein 
Steh'n Pforzheims ware Bürger, 


9) Ratheprototoll vom 9. Sept. 1667. 
2) Vergl. ©. 405, 


442 Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breifigjährigen Krieg. 


Ringe flieht das Volk bergauf, waldein, 
Enteilend feinem Würger. 


Berzweifle, wer nicht Taufen Tann, 

Der Lahme fammt dem Blinden! 

Kein Roß, Fein Fuhrmann, kein Geſpann 
Aft meilenmweit zu finden. 


Ein lichtes Vorbild wird erfchaut 

In diefen dunklen Tagen ; 

Ein Mann, in edlem Stand ergraut, 
Zieht einen Bauerwagen. 


Von Weib und Kindern, groß und Mein, 
Wird Hilfreich er begleitet, 

Hoch oben figt Großmütterlein, 

Auf Deden weich gefpreitet. 


So ziehen fie voll Freudigfeit 

Wohl mande ſchwere Meile, 

Der Weg ift ſchlimm, die Reif’ ift weit, 
Nah Landau geht's in Eile. 


Wie ſehr auch Drangfal, Hohn und Spott 
Sie plagt auf allen Pfaden, 

Fort geht's in immer luſt'gem Trott, 

Bis zu ber Queich Geftaden. 


Sie fpüren nicht der Sonne Glut 

Auf ſchattenloſer Haide, 

Des Regens Grimm, des Donners Wuth 
Thut ihnen nichts zu Leibe, 


Der Schwarm der Söldner ſchreckt fie nicht, 
Bor dem ber Landmann fchauert, 

Des Räubers Blick entdedt fie nicht, 

Der tief im Walde lauert, 


Ein Bote Gottes, hold und zart, 
Schwebt jhüßend über ihnen. 
Beglüdt, wen auf der Lebensfahrt 
Der Engel ift erſchienen! 


Ein Lamm an Güt’, an Muth ein Leu, 
Befiegt er die Gefahren, 

Das ift der Enkel Kindestrew, 

Er wird bie Scinen wahren, 


BVierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 443 


Ein Stündlein noch — jetzt ruh'n fie aus 
An Landau’s feſtem Walle, 

Dort in bes biedern Freundes Haus 
Sind fie geborgen Alle, 


Und freuen ſich der Pilgerfchaft, 
Und banken dem in Frieden, 
Der ihrer Liebe Muth und Kraft 
Und Rettung bat beſchieden. 


Biel Jahre ſchwanden, nicht verblich 
Des wadern Mannes Name; 
Amtsfeller Maler nannt’ er ſich, 
Nod blüht fein Stamm’ und Same, 


In prächt'ger Kutfche wohl ftolzirt 
Manch’ herzensarmer Prabler ; 

Den nenn’ ich reich, der fo kutſchirt, 
Wie einft die alte Maler. 


Sünfsehntes Kapitel. 





Pforzheim in der Zeit vom meftohälifchen Frieden bis zum 
orleans'ſchen Krieg, ') 
(1648 — 1688.) 


$1. Allgemeines. 


Markgraf Friedrich V. war nad der Rückkehr in fein Land 
ernftlich bemüht, die Wunden, welde der Krieg geichlagen hatte, wie 
der zu heilen. Auch dem Kirchen: und Schulwefen widmete er befon- 
dere Aufmerkſamkeit. Seine Frömmigkeit, deren Ausfluß eine große 
Abneigung gegen Pracht und Verſchwendung und Liebe zur Ginfachheit 
war, half ihm aud die Stürme einer fo unbeilvollen Periode, wie der 
dreikigjährige Krieg war, mit Standhaftigfeit ertragen. Er überlebte 
denfelben um 11 Jahre, indem er 1659 im der Karlsburg zu Durlach 
ftarb. Sein Leichnam wurde in der fürftlichen Gruft zu Pforzbeim 
beigeſetzt; dort ruhen auch zwei von feinen fünf Gemahlinnen, nämlich 
die 1627 geitorbene Barbara von Württemberg, auf welche eine Grab: 
fchrift auf dem Boden des Chores der Schloßkirche Tautet, und die 1633 
mit Tod abgegangene Eleonora von Solms, deren ebenfalls ein Grabftein 
gedenkt. Die drei andern Gemahlinnen des Markgrafen Liegen in Bafel 
und Sulzburg begraben. In Pforzheim dagegen wurde auch der zweite 
Sohn Friedrihs V., Karl Magnus, beigefegt, der im ſchwediſchen Heer 
unter Baner, Torftenfon und Wrangel mit Auszeichnung gedient hatte 
und 1658, alfo noch vor feinem Pater, ftarb, 

Auf Friedrih V.! folgte"von 1659 bis 1677 fein älteſter Sohn 
Friedrich VI Auch diefer Fürſt hatte im dreikigjährigen Krieg das 
Waffenhandwerk erlernt; duch fand er größere Freude an den Künften 
bes Friedens, Reich an Wiſſen, an tiefes Nachdenken gewöhnt und im 


1) Hauptquellen: Rathsprotofolle, Bürgermeifterrehnungen, Kontrat: 
tenbücher, Kirchenbücher, Zunftrehnungen ꝛc. 


Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648-1688. 445 


Beſitz der mandhfaltigften Erfahrungen, hochſinnig und milde, war 
Friedrich VI. ehrfurchtgebietend auch in der äußern Erſcheinung. Seine 
Regierung erwies ſich als eine wohlthätige nnd glückliche. Im Umgang 
mit Büchern und Gelehrten fand er Erholung und Genuß. Für feinen 
Baufinn war reicher Stoff vorhanden; denn Vieles, was der Krieg zer: 
ftört hatte, war noch nicht wieder aufgebaut, Namentlich aber ließ er feine 
Schlöſſer im Lande, darımter audy das zu Pforzheim, neu berjtellen 
zur Sicherheit der Bewohner von Stadt und Land in Kriegsgefahr. 
Im holländiſchen Krieg, von dem unten Weiteres erzählt werben wird, 
zum Oberfeldherrn des Reichs ernannt, nahm er 1676 Philippsburg 
ein, jtarb aber fhon im folgenden Jahr in Durlach und wurde in der 
fürjtlichen Gruft zu Pforzheim beigefeßt. An feiner Seite ruht auch 
feine 1662 geftorbene Gemahlin Ghriftine Magdalene v. Zweibrüden, 
Aufer jenem Thronnachfolger, Friedrih Magnus, Hinterließ riedri VI. 
noch einen jüngern Sohn, Karl Guſtav, der dem Kriegsdienſt fich wid— 
mete, zuerft unter dem ſchwediſchen Fahnen dann als Feldherr der 
ſchwäbiſchen Kreistrnppen in Ungarn und am Rhein mit Auszeichnung 
focht und nad) jeinem 1703 in Pforzheim erfolgten Tode ebenfalls 
in der dortigen Gruft feine lebte Mubeftätte fand. 1) Das Gleiche war 
der Fall mit einer Tochter Friedrichs VI., der 1703 im hohen Alter 
unvermählt geftorbenen Katharina Barbara, dieſer ſchönen, geiftreichen 
und fronmen Pflegerin der Kirche und der Armuth. Sie hatte Die 
Hand des Kaijers Leopold I. ausgefchlagen, weil fie in treuer Anhäng— 
lichkeit an das augsburgifche Bekenntniß ſich zu dem bedungenen Ueber: 
tritt zur katholiſchen Kirche nicht verftehen wollte. ine Tafel mit 
ihrem Bildniß, das ſich im Neuchlinszimmer der Schloßkirche zu Pforz— 
beim befindet, erhält ihr Andenken. 

Bon 1677 bis 1709 regierte Friedrih Magnus, diefer un: 
glüklichfte aller badiſchen Fürften, über defjen Länder während feiner 
Regierungszeit die blutigften Verheerungen ergingen. Mehr davon und 
über Friedrich Magnus folgt im 16. und 17. Kapitel. 


1) Er war von mehr als mittlerer Größe und auferorbentlich beleibt, 
Ihrumpfte aber nach feinem Tod zur vollftändigen Mumie ein, bie als. ſog. 
„lederner General“ bei ſpätern Eröffnungen ber Gruft immer als Säred- 
mittel für unberufene und zubringliche Beſucher derfelben dienen mußte, bis 
der Leichnam bei Gelegenheit der Beiſetzung der Großherzogin Stephanie 1860 
in einen neuen Sarg gelegt wurde, 


446 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688. 
$ 2. BDeſchreibung der Stadt. Bevölkerungsverhältnife. 


Es mag bier am Plate fein, auf eine ausführliche Beſchreibung 
des „alten Pforzheim”, wie e8 vor der gänzlichen Zerftörung der Stabt, 
alfo vor 200 Jahren war, näher einzugehen, Cine noch vorhandene 
Abbildung Pforzheims aus dem Jahr 1643 1), die indefjen nicht durch: 
weg richtig ift, fowie verfchiedene Erhebungen aus Ältern, zum Glüd 
nod vorhandenen Quellen aus der Mitte und der zweiten Hälfte des 
17. Zahrhunderts mögen dabei zu Grunde gelegt werben. 

Wie früher fhon und wie heute noch beſtand Pforzheim damals 
aus der eigentlichen Stadt, der Borftadt Au, der Brößinger Vor: 
ftadt und der Altftadt. Verweilen wir fürs Erfte bei der eigentlichen Stadt, 
um zunächſt ihre ehemaligen Befeitigungswerke kennen zu lernen. Es 
ift darin wieder zwiſchen „Stadt“ und „Schloß“ zu unterfcheiden. Un— 
ter letztern iſt nicht bloß das ehemalige Schloßgebäude, fondern der 
ganze, bejonders befeftigte Raum zu verftehen, den das Schloß mit der 
Schloßkirche und noch mehreren dort ſtehenden Gebäuden (ſiehe unten) 
einnahm. Vermöge dieſer beſondern Befeſtigung und der Lage des 
Schloſſes auf dem höchſten Punkt der Stadt diente es dieſer gleichſam 
als Citadelle. Schloß wie Stadt waren rings mit Wall, Graben 
und doppelter Ringmauer umgeben. Mauer und Graben laſſen 
fih nody heut zu Tage um einen großen Theil der Stadt herum ver: 
folgen, und auch der Zwinger, d. 5. der freie Raum zwiſchen ber 
vordern niedrigern und der hintern höhern Mauer ift noch an vielen 
Stellen erhalten, wenn auch in der Regel die Zwingermauer ent 
weder theilweis abgetragen, wie beim Garten des Taubftummeninftituts, 
oder ganz verſchwunden ift, wie 3. B. bei der Schäferbrüde. Die 
eigentliche Stadtmauer war um die ganze Stadt herum nad Außen 
mit einer Bruftwehr verfehen, fo daß man, von berfelben geſchützt, 
gegen Feinde, welde die Mauer zu brechen oder zu erfteigen fuchten, 
zu kämpfen vermochte, Auch diefe Bruftwehr ift da und dort noch er: 
halten, Die Stadtmauer hatte eine durchichnittliche Höhe von 34 Schub, 
und bis zur Hälfte dev Höhe eine Die von 4, nad) oben von 3 
Schub. 


1) Dieſelbe findet fih in Zeiler Topographie von Schwaben mit Merian’: 
hen Kupfern, 1643, Die vorliegendem Werk beigegebene Anfiht von Pforz: 
beim ift eine Kopie davon. 


Fünfzchntes Kapitel, Pforzheim von 1648 —1588, 447 


Verfolgen wir nad diefen Vorausſchickungen num den ganzen Kauf 
der Befeſtigungswerle und beginnen wir zu dem Ende beim obern 
(in neueſter Zeit abgebrochenen) Schloßthor. Won dort aus zogen fi 
Mauer, Graben zc. hinter dem jetigen Taubftummeninftitut und an der 
obern Vorftadt vorbei zum Gaſthaus zum Schiff hinunter, we auch 
noh ein gutes Stück des Zwingers erhalten if. Dort ftand das 
Brötzinger Thor mit feinem hoben und finftern Thurm, der mit 
einer Uhr verjehen war und auf welden ſich wieder em kleineres, 
ſpitziges Thürmchen erhob (wie beute noch auf dem Thurm der Schloß: 
liche.) Bor dem Thor führte Über den Stadtgraben eme Zugbrücke, 
wie das auch bei dem übrigen Thoren der Fall war, Bon bier aus 
zog ſich die Stadtmauer ꝛc. gegen die Schäferbrüde hinunter und als: 
dann dem Mühlkanal entlang, der den Stadtgraben erſetzte, bis zur 
obern Mühle. Diefe war zwiſchen die beiden Stadtmauern hineinge— 
baut, weshalb fie auch früher die Zwingermühle hieß, unterbrach aber, 
wie auch die Nonnenmühle, zum Theil die äußere Mauer, was bei 
Belagerungen mehrfach mißliche Folgen hatte. Bei der obern Mühle 
ermöglichte dag „Obermühltbörlein“, für welches von Seiten der 
Stndt ein eigener Beſchließer beftellt war, den Eingang in die Stadt. 
Unterhalb diefer Mühle, wie auch bei der Nonnenmühle gewährten je 
zwei Schoßgätter, die mit Fallgittern verfehen waren, dem Waſſer 
Durdlaß durch die Mauer, 

Auf der Südſeite der Stadt, alſo gegen das Wafler, fehlte der 
Stadtgraben; dafür waren die beiden Mauern um fo feſter. Die in 
nere Mauer war mit einer Anzahl Heiner wunder Thürme berieben, 
die aber jet alle verfchwunden find, wenn auch die Stadtmauer, nament- 
lich unterhalb der Auer Brüde, nod erhalten ift und nod) immer, wenn 
auch nicht gegen feindliche Ueberfälle, doch gegen Hochgewäſſer Schuß 
gewährt. Bloß hinter der Gruner'ſchen Gerberei, wo dem Wafler des 
Gerberbächleins ebenfalls ein „Schoßgatter“ den Durdigang durd die 
Stadtmauer geftattet, ift noch der maffive Unterbau eines folhen Mauer: 
thürmchens zu bemerken. Außer diefen runden Thürmchen erhob ſich 
on der obern, dem Waſſer zugefehrten Ede bes frühen Spitals oder 
der jeßigen Heil: und Pflegeanftalt ein Hoher vierediger Thurm, 
oben mit einer Galerie und einer Wohnung für den Thurmwächter 
verjehen. Aber auch die Zwingermauer zeigte bei der Nonnenmühle 
einen ziemlich hoben und runden Thurm, den fogenannten „weißen 


448 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648--1688. 


Thurm”, in deffen Nähe fich zwei Ausgänge durch die Zwingermauer 
auf das Waſſer befanden. Jenſeits des Waflers ftand auf dem Lin: 
denplat in der Nähe der Auerbrüde, und zwar am nördlichen Ende 
einer Mauer, melde den Pla von der Brüde ſchied, abermals ein 
maffiver runder Thurm, der aber auf dem erwähnten Bilde von 1643 
bereit8 die Spur ſtarken Zerfalls zeigt. Bei der Nuerbrüde gemährte 
das noch vorhandene „Schoßgätter“ dem Wafjer des unter dem Spital durch: 
laufenden Bäcyleins den Auslaß. Am Eingang eben erwähnter Brüde 
erhob fi) mit Thurm und Zugbrüde das Auer: oder Steinbrüden- 
tbor, über welchem fi außer eimem Gefängnig die Wohnung bes 
Thurmwächters befand. Gleich daneben führte das Schleifthor zur 
Enz hinunter, und außer demfelben ebenfalls nad dem Fluße mehrere 
„Zwingerthörlein.“ Ueber dem einen derſelben fteht die Jahrzahl 1530, 
über einem andern (bei der Gruner'ſchen Gerberei), das aber neuern 
Datums ift, "befindet fi ein eingemauerter Stein mit dem faft ganz 
verwitterten badischen Wappen und der Jahrzahl 1495. Ueber einem 
Thürden, das immerhalb der Stadtmauer zu dem bier befindlichen 
Schoßgatter hinunterführt, fteht die Jahrzahl 1594 Bon Hier an 
bis hinauf zum Gaſthaus zur Traube ift die Stadtmauer theilweis 
auch noch vorhanden. An Ießtere lehnen ſich mande Häufer an. Auch 
bier muß der eine oder andere Durchgang angebracht geweſen fein. Bei 
der Traube befand fi das Altftädtertbor, auch Altheimer-, Alt- 
dorfer: und utinger-Thor genamıt, ebenfalls mit Thurm (ſammt 
„Kefficht“), Zugbrüde und Zwinger verfehen. Dabei ftand ein Wacht: 
haus. Verfolgen wir von bier die Stadtmauer und den Stadtgraben 
weiter, fo gelangen wir in kurzer Zeit wieder zum oben Schloßthor, 
von weldem wir ausgegangen find. 

Den fefteften Theil der Stadt bildete, wie jhon gefagt, das Schloß. 
Weil ringsum, fo war dasfelbe auch gegen die Stadt durch eine ſtarke 
Mauer befhütt, durch weldhe am Schloßberg das untere Schloßtbor zur 
Stadt hinunter führte. Den nördlichen Ausgang des Schloffes bildete das 
obere Schloßthor mit gewölbtem doppeltem Thorbogen, über welchem 
fih eine Wohnung befand, die wiederum einen Meinen hölzernen Thurm 
mit Wendeltreppe trug. Bor diefem Thor führte eine Zugbrüde über 
den Stadtgraben. Innerhalb der Ringmauer befand fich eine größere 
Anzahl von Gebäuden, darunter namentlid) das alte und das nene 
Schloßgebäude. Letzteres ftand da, wo ſich jeht (im frühern Zehnt⸗ 


Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688, 449 


jpeiher) die Dbereiimehmerei und die Zollverwaltung befinden. Das: 
jelbe brannte im orleans’shen Kriege ab, während das „alte Gebäu“ 
ſtehen blieb. Bon anderen Gebäuden find zu erwähnen: die Amtöfel: 
lereiwohnung jammt anftoßendem, mit drei Gewölben verjehenem Thurm, 
die Schloßküferswohnung ſammt Bandhaus (1743 abgerifjen), ein 
Fruchtſpeicher, darunter Stallungen und ein großer Keller, ein Heuhaug, 
ebenfalls mit Keller. Das nöthige Wafler verfchaffte den Schloßbe— 
wohnern ein 77 Fuß tiefer Ziehbrunnen. Im Jahr 16851 kam noch 
ein laufender Brunnen dazu (fiehe unten). Den übrigen Kaum nah: 
men außer der Schloßkirche und einigen alten Thürmen Gartenanlagen 
ein. Diefe hohen und feften Thürme, von denen namentiich der eine 
weithin fichtbar war und auf weldhem der Hochwächter hauste, dienten 
zur Vertheidigung diefer „Burg“ Pforzheims, in welche ſich die käm— 
pfenden Bürger oft noch zurüczogen, wenn der Feind in die Stadt 
eingedrungen war. Der genannte hohe Thurm, der als Wahrzeichen 
ber Stadt galt, wurde im vorigen Jahrhundert (1763) abgebrodyen, 
um Steine zu dem erwähnten neuen Speichergebäude (1766-1768) 
zu gewinnen. (Diefer Thurm war 102 Schuh hoch, 52 Schuh lang, 
38 Schuh breit und hatte 12 Schub dide Mauern; auf denjelben be 
fand fih noh ein 7 Schub hoher Aufjag.) Gin anderer Thurm wurde 
erjt in diefem Jahrhundert niedergerifjen. So ift überhaupt bier ſchon 
manches ehrwürdige Altertfum dem Teidigen Nüßlichkeitsprinzip zum 
Opfer gefallen. Ein dritter Schlogthurm ift fheilweife noch vorhanden, 
und befindet ſich in demfelben die Werkftätte von Kupferſchmied Mach: 
let. Ein kleinerer runder Thurm erhob fih auf der von Markgraf 
Karl II. 1558 erbauten fürftlihen Kanzlei. 

Nie Schloß und Stadt, fo waren aud die WVorftädte im Befon- 
dern befeftig.. Die Brögingervorftadt hatte drei Thore. In 
der obern Vorjtadt ftand das obere Grabenthor mit Thorhäuschen ; 
von bier aus zog auf der Nordfeite der Vorftadt der Diehlgraben 
bis zum Heiligkreuzthor hin, welches ſich am weftlihen Ende der 
Vorſtadt (bei der jetigen Beckh'ſchen Bierbrauerei) befand und feinen 
Namen von der dabei ftehenden Heiligkreuzliche hatte. Das am Fuchs: 
ihen Haus eingemauerte Stadtwappen mit der Jahrzahl 1554 rührt 
wahrjcheinlih von diefem Thore ber. Am Ende der untern Vorftadt 
ftand bei der Schäferbrüde das Schäferthor, beſchützt durd den 


dicht dabei ftehenden, Feten und runden Waſſerthurm, fowie einen 
Pflüger, Pforzheim, 29 


450 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 


auf der andern Seite befindlichen vieredtigen Thurm, von welhem aus 
fih die Stadtmauer und vor derjelben abermals eine Zwingermauer 
am Mühltanal hinauf fortfegte. — Die Au war ebenfalls mit einer 
ftarten Mauer und einem Graben umgeben, die nur auf der Flußſeite 
fehlten, weil die eng zufammengebauten Häufer, in weldyen erft in ziem: 
licher Höhe über der Nagold die enter begannen, bier felber eine 
Mauer bildeten und die Nagold den Graben erfeßte. Auch in der 
Au find Mauer und Graben zum großen Theil noch zu fehen. Am 
Ende der dur die Au führenden Hauptfirake erhob fih, und zwar 
außerhalb der damals ſchon bier befindlichen Herberge zum Einhorn, 
das Auer Brunnentbor, auch Erkerthor genannt; dasfelbe zierte 
ein Thurm mit einer Uhr. Am Ende der obern Augaffe, die aud) 
der „Hiller" hieß, stand das Hillertbor, am Ende der untern 
Augafie das Gauch- oder Schelmentbor. (S. 297.) Außerdem 
führten mehrere Thörlein zur Nagold und Enz, fo ein Leyerthörlein, 
ein oberes und unteres Fiſcherthörlein mit Fiſchergäßchen u. ſ. w. 
Außer dem Thurm des Brunnenthors beſaß die Au noch mehrere 
Thürme. Zwifchen dem Hiller: und Brunnenthor erhob ſich da, wo, 
die Mauer eine Ede bildete, ein runder Thurm, Ein gleicher Thurm 
befand fih an der entgegengefetten Ede der Stadtmauer (unten am 
jetzigen Holzgartenweg), und ift ein Theil desfelben heute nody erhalten. 
Am Ende der Stadtmauer, wo diefe jenseits des Gauchthors wieder 
an die Enz ftieß, ftand abermals und fteht heute nody ein runder 
Thurm, der Schelmenthurm genannt. — Die Altftadt, die als 
ältefter Theil der Stadt früher ebenfalls ftark befeſtigt geweſen, aber 
im 3Ojährigen Kriege (S. 438) ganz abgebramnt, war, beſaß nad) 
demfelben Feine Thore mehr, und es wurden aud die Befeftigungs: 
werke nicht mehr hergeftellt, was im Jahr 1661 von Seiten der Alt: 
ftädter eine lebhafte Beſchwerde hervorrief. Des ehemaligen Stadt- 
grabeng, ſowie eines abermaligen Erker-Thors gejchieht aber in 
der Folge noch Häufig Erwähnung. 

Die Pflicht der Unterhaltung der Mauern, Thürme, Zwinger, 
Gräben ıc. Tag der Stadt ob, mit Ausnahme der Befeftigungen des 
Schloſſes, deren Inftandhaltung Sache der Herrichaft war. Zu diefem 
Zweck war der Stadt laut Privilegienbriefes der vierte Theil des Um: 
geldes von Brod, Wein, Salz, Frucht und Fleiſch, fowie der Ausbete 
zugewieſen (S. 227). Defienungeachtet Fam fie mehr als ein Mal im 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 451 


ben Fall, bei umfafjendern Meparaturen die Hilfe der Herrfchaft in 
Anſpruch zu nehmen, namentlich nach dem 30jährigen Krieg, wo die 
Finanzen der Stadt, wie unten gezeigt werden wird, ſich in einem ganz 
zerrütteten Zuftand befanden. Gin Beiipiel davon findet fih aus dem 
Jahr 1665. Am 5. April j. J. trug der Baumeifter Aichelin in der 
Rathsſitzung vor, dag in der Bröginger Vorftadt beim Waſſerthurm 
am Schäferthor ein großes Stück Stadtmauer eingefallen fei, was mit 
dem, was noch abgebrochen werden müſſe, etwa 160 Klafter betrage, 
Er habe bereits mit einigen Maurern behufs der Wiederherftellung um 
2 fl. 71/, Kreuzer das Klafter aflordirt. Die Stadt beſchloß fich wegen 
diejes allzu foftbaren Baumejens (zu 340 Gulden!) um Hilfe: 
leiftung an den Landesfürjten zu wenden. Am 29. Mai 1665 erfchien 
darauf bin ein fürftlicher Befehl, daß wegen diefed Bantwefens die 
Zünfte zufammengefordert und ihnen die Nothwendigkeit desjelben dar: 
gelegt werden follte. Allein die Zünfte zeigten ſich dazu nicht fehr ge: 
neigt. Die einen beklagten fi über den Pfundzoll; die andern er: 
Härten, fie feien jo arm, daß fie ihr Eigenes nicht bauen könnten u. f. w. 
Was nun geihab, weiß ih nicht. Es fcheint jedoh, dag die Negie- 
rung wenigſtens einen Theil der Koften übernahm, was aud) um fo nö— 
thiger war, als gerade damals die Stadtmauer noch an mehreren andern 
Drten, 3. B. in der Kauzenbach, neu hergeftellt werden mußte, wo fie, 
bis dieſes gefchehen, einftweilen mit Latten verſchlagen wurde. — Be: 
merkenswerth dürfte auch ſein, daß die Herrſchaft im Stadtgraben be— 
ſtändig Wild unterhielt und dafür der Stadt einen jährlichen Pachtzins 
von 15 Gulden bezahlte. 

Kehren wir nach dieſer kurzen Abſchweifung zur eigentlichen Be— 
ſchreibung der Stadt zurück. Schon aus dem Bisherigen wird hervor— 
gehen, daß Pforzheim eine ſehr thurmreiche Stadt, alſo gerade das 
Gegentheil von dem war, was fie jetzt iſt. Zu den vielen Thor: und 
Mauerthürmen kamen aber noch wmande andere. Wenn wir dem 
ſchon erwähnten Bilde von 1643 glauben dürfen, fo erbob fih aud 
auf der Schloßkirche ein bober, ſchlanker Thurm. Einen no höhern 
Thurm befaß das Barfüßerklofter, und foll derfelbe nad) gothifcher Art 
gebaut und eine befondere Zierde der Stadt gewefen fein. Was aber 
die Flammen des orleans'ſchen Krieges verfhonten, das fiel fpäter der 
Furcht zum Opfer, daß diefer Thurm einmal in die Brötzinger Gaffe 
berabfallen möchte. in bober und ſchlanker Thurm en fih aud) 


452 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688. 


auf dem Predigerflofter, ein kleinerer gotbifcher auf dem Spital ober 
der jeigen Heil: und Pflegeanftalt, wo er noch fteht. Won den übri— 
gen Kirhthürmen erwähnen wir den der Altjtädter Kirche, auf wel: 
chem fih, wie bei den Schloßthürmen und dem Bröginger Thorthurm, 
noch ein kleineres, fpitigeres Thürmchen erbob, und die kleinern Thürme 
der Heiligkreuzkirche in der Brötinger Vorſtadt und der Kapelle ber 
St. Georgäpflege. 

Haben wir im Bisherigen die Stadt bauptfählih fo ins Auge 
gefaht, wie fie ſich mit ihren Befeftigungen und Ihürmen von Außen 
darftellte, fo wollen wir und auch in das Innere derjelben begeben, 
um diefes näher kennen zu Ternen. Die Namen der Straßen und ein: 
zelnen Theile der Stadt waren ſchon vor 200 Jahren faſt durdgängig 
diefelben, wie wir fie noch heut zu Tage finden; denn wenn auch Pforz- 
beim in den Jahren 1689 und 1692 durch Brand gänzlich verbeert 
wurde, fo erlitt doch beim Wiederaufbau der Stadt ihre Straßenein- 
theilung wenig Veränderung, wenn letztere audy bei manden Häufern in 
ber Weiſe eintrat, daß oft mehrere frühere Hauspläße zu einem Ges 
bäude verwendet, oder umgekehrt mandyer größere Hausplatz getheilt 
wurde, Don der vom Brößinger Thor zum Marktplatz führenden en= 
gen und finſtern Brößinger Gaffe Tiefen rechts aus: die Yamm- 
gaffe, auch manchmal Brudergaffe genannt; (dev erfte Name rührte 
vom Gafthaus zum Lamm ber, das fich damals in diefer Straße da 
befand, wo fie in die Brötzinger Gaſſe einmündete, den andern Na— 
men hatte fie von dem fog. „Bruderhaus” (f. u.);) 2. Die Scheuern- 
gaffe; 3. die Blumengaffe, ebenfalls vom dort befindlichen Gaft- 
haus zur Blume fo genannt, wie denn früher auch in Pforzheim, wie 
anderwärts, der löbliche Gebrauch berichte, die Strafen nad den 
Wirtbshäufern zu benennen. Die von der Scheuer: zur Blumengaffe ꝛc. 
laufende Quergaſſe, die jetzige Brüderftraße, hieß ebenfalls die Scheuerne 
oder auch untere Höllgaffe. Links von der Brößingergafle finden 
wir als Fortjeßung der Scenerngaffe die Barfüßergaſſe, die fid 
an dem Barfüßerflofter vorbeizog und auf den Schloßberg ausmündete; 
3. das Kirchgäßlein, das (beim jetzigen Kürſchner Gengenbach'ſchen 
Haus) ebenfalls zur Barfüßerkirche führte und als Fortfegung der Blu— 
mengaffe diente. Umkreiſen wir, von der Brößinger Gaſſe berfom: 
mend und rechts binuntergehend, den Marktplatz, ber feit Jahrhunder— 
ten diefelbe Größe und Geftalt wie heute noch Hat, fo treffen wir zu: 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688. 453 


nähft das Höllgäßchen, das fpäter nad Errichtung der obern Apo— 
thefe im Jahr 1690 aud den Namen oberes Apothekergäßchen 
erhielt. Jenen frühern Namen hatte es von der Herberge „zur Höllen," 
die fich da befand, wo jetzt das Conditor Trommer'ſche Haus fteht 
und hinten an bemeldetes Gäßchen ſtieß. An der untern Apotheke wor: 
bei führte das Apothekergäßchen, an der Krone vorbei die Pro: 
nengaffe, die gegen die Eichmühle auch Eichgaſſe hieß und von 
welcher aus die Mebgergaffe zur oben Mühle Hinführte. In letz— 
tere miündeten, wie heute noch, die von der Brößingergaffe berführenden 
Lamm-, Scheuern: und Blumengaſſe ein, und erftere fette fich bis zum 
Mühlkanal fort. Links unten am Marktplabe öffnete fih die Tränk— 
aaffe (jet Deimlingsſtraße) und zug bis zum Auer-Thor Hin. Von ihr 
oder eigentlich noch vom Markt ging links aus: 1. die Ochſengaſſe 
(jetzt Reuchlinsſtraße), vom dort befindlihen Gaſthaus zum Ochſen fo 
benannt; 2. die Viehgaſſe, (iebt Hofpitalftrake), von welcher ſich 
rechts bei der Eſels- (jebt Klofter:) Mühle das Eſelsgäßchen (jet 
Kloftermühlgäßchen), und an ihrem Ende nahe an der Stadtmauer 
hinunter (beim jetigen Theater) die Kautzen bach abjweigte; 3. die 
große und 4. die Feine Gerbergaffe, (früber die beiden „Lauer: 
gaſſen“), die ihren Namen nicht mit Unrecht führten, da fie von faft 
Yauter Gerbern bewohnt waren, wie das die am fehr vielen Häufern 
vorhandenen Abzeichen der löblichen Gerberzunft (Schabeifen und Falz) 
heute noch beweiſen. Auf der rechten Seite ging von der untern Tränk— 
gaſſe aus: 1. das Pfinngäßchen zwiichen dem Gafthaus zum Schwert 
und der ehemaligen Stadtmebig, To genannt, weil fi) hinter letzterer 
die fog. Pfinmhütte und Pfinnbant befanden, wo das Fleiſch finniger 
Schweine ıc. ausgehauen wurde, (Berge. ©. 240 und 256.) Das 
ſelbe führte auf den Klofterhof, wie früher der jegige Waifenhaus: 
plaß genannt wurde; in noch Älterer Zeit hieß derſelbe die Badgaſſe, 
weil ſich daſelbſt (hinter der Kanne) das untere Dad (f. u.) befand; 
2. das Thäle, das zur Nonnenmühle hinführte, Kehren wir wieder 
zum Marktplat zurüd, um von dort zunächſt den Schlo ß- frühen 
Kirchberg zu befteigen und dann die Altftädter- oder Alt: 
dorfer-Strafe entlang zu gehen. Vom Schloßberg gingen Tinte 
das Saugäßhen (unterhalb der Blume) und die ſchon erwähnte 
Barfügergaffe, rechts die untere und obere Pfarrz, 
auch Pfaffen- oder Predigergajfe aus, die ihren Namen 


454 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 1688, 


urfprünglich von den Ghorberrnwohnungen hatten, die fih am Ende 
derfelben befunden und die fpäter mit andern dort ftehenden Käufern 
theilweife zu Pfarrherrnwohnungen benübt vourden. 1) Berfolgen wir 
die Attftädterftraße, fo ftoßen wir zuerft links (beim Anker) auf das 
Rathhausgäßchen, ſodann rechts und links (bei Kaufmann Hepp) 
auf das Schulgäßchen, das ſich jet nady unten in eine Schul: 
ftraße verbreitert. Dei der jetigen UnterEcker'ſchen Bierbrauerei lief 
links die Kirchgaſſſe, rechts die vordere Nofengaffe von 
der Hauptſtraße aus, Teßtere von dem dort ftehenden Gaſthaus zur Roſe 
benannt. (Statt Mofengaffe Tiest man auch manchmal Roßgaſſe, 
welcher Name mit Ochfen:, Vieh-, Tränk-, Eſels- und Saugaſſe ꝛc. 
im Einklang ftehen würde.) Gin Quadrat weiter führte beim jetigen 
Proreftoratögebäude die hintere Roſengaſſe, die mit der vordern 
durch eine Quergaſſe verbunden war und noch ift (der jebigen Stifte: 
ſtraße), zur Viehgaſſe, um fich jenfeits derfelben als ſchon erwähnte 
Kauzenbach fortzufesen. Vor dem Altftidter Thor begann das fog. 
Pfläfter, das damals noch nicht Üüberbaut war, (mur unmittelbar vor 
dem Thor ftanden einige Häufer), fondern aus faft lauter Gärten be: 
ftand, von denen in den Kaufkontrakten des 17. Jahrhunderts vielfach 
bie Rede ift. Die weiter entfernte Altftadt hatte während des dreißig— 
jährigen Krieges von ihrem frühen Umfang ziemlich verloren, fo daß 
fie nad) demfelben nur noch etliche 40 Bürger zählte. Außer der die 
Altftadt zur Kirche hinunter ziehenden Straße finde ich des „Effig: 
gäßchens“, fowie des oberhalb der Altjtadt vorbeiführenden und fchon 
1565 vorfommenden Zigeunergäßchens erwähnt. — Die Gaffen 
der Au find oben fhon angeführt, — in der Brötinger Vorftadt ift 
des uralten Schlappergäßchens (jet Baumſtraße) noch zu ge: 
benfen. 

An öffentlichen Plätzen beſaß die Stadt mur den Marttplak, 
deſſen jchen oben gedacht wurde, und den Lin denplatz. Letzteren 
zierten Gartenanlagen, in welchem wir die noch vorhandenen majeftäti- 
ſchen Linden bereits erbliden, aber mit Ausnahme einer einzigen noch 
in jugendlicher Kleinheit. Dieſe Yinden wurden in beforidere Pflege 
genommen und im Jahr 1684 unter Anderm wieder aufgebunden und 





1) Auch mehrere auswärtige Pfarrer befaßen 1665 eigene Häufer im dieſer 
Gaſſe, 3. B. Friefenegger in Stein und Frank in Bauſchlott 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 — 1688. 455 


ausgepußt. Eines befonderen „VBiehbmarfte 8“ ift aud mehrfach er- 
wähnt; derſelbe war vor dem Altjtädter Thor, und zwar unten am 
Waſſer. 

Der durch die Stadt fließenden Kanäle und Bäche, ſowie der 
Brücken iſt zum Theil ſchon gedacht werden. Die damalige Auer: 
brüde über die dort ſich vereinigenden Flüſſe Enz und Nagold, bie 
auch Steyninbruden, Steynbruden hieß (dahier der Na: 
men „Steinbrüder:Thor”) war 1575 von Markgraf Karl II. erbaut 
worden. (©. 291.) Sie mußte in der Zeit, in welcher wir mit un: 
unferer Schilderung ſtehen, mehrere Ueberſchwemmungen aushalten, fo 
1648 und 1687. Kurz vor diefer letzten Ueberſchwemmung, nämlich) 
1684, waren die 3 Fallbrücken derjelben veparirt worden. In ber 
Altftadt führte fhon zur Römerzeit (S. 12) eine Brüde über 
die Enz. Der Roßbrücke geſchieht vielfahb Erwähnung, ebenfo 
des Kantenbrüdleins und der Eichbrücke, wo früher, als 
die Stadtmauern noch enger gezogen waren und das Frauenkloſter 
außerhalb berjelben Tag, das „Frauenthor“ ftand. Ebenſo kommen die 
Namen des dort aus dem Mühlkanal abfliefenden Klaren: oder 
Shönbädleing, über weldhes mehrere Steghen und Brückchen 
führten, die indefjen feine befondern Namen hatten, häufig vor. Außer 
verichiedener Heiner Brücen in der Stadt wird aud en Brüdlein 
beim Nägelfee (oder wie er früher richtiger hieß, Egelfee,) 
genannt, 

An Brunnen war in der Stadt fein Mangel, obgleih die Zahl 
der laufenden Brunnen etwas bejchränkter war, als jetzt. Ich erwähne 
zunähft des Schloß: und des oben Marftbrunnens Sur 
Speifung derfelben wurde im Mai 1691 das Waffer des Stodbrunneng 
binter Brößingen in die Stadt geleitet und betrug der Koftenantheil der 
legtern 158 fl. 31 kr, die aber auf 100 fl. ermäßigt wurden. Schon 
1684 mußte indeffen die Stadt für diefe Wafferleitung neue Brunnen: 
kacheln und bleierne Deichel anfchaffen, weldye abermals 242 ft. 44 Er. koſteten. 
Im Jahr 1686 wird jedoch fehr darüber geflagt, daß die beiden Brun- 
nen faft niemals Waſſer gäben, während doch die neue Wafferleitung 
die Stadt fo viel gefoftet habe. Letztere fei, fo beißt es in einer Ein- 
gabe an die Megierung, darüber zum Gefpötte geworden und man bitte, 
die beiden Brunnen Fieber ganz eingehen zu laſſen. — Im Jahr 1687 
wurde der „Mann auf dem obern Marktbrunnen”, d. b. das Stand: 


456 Funfzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjägrigen Kricg. 


bild des Markgrafen Ernft, von Maler Wolf Walter erneuert und ge: 
malt, wieder aufgezogen und friſch geſetzt. Oberhalb des Marktbrun— 
nensg war noch ein befonderr Schöpfbrunnen Der untere 
Marttbrunnen hieß aud der Fifhbrunnen Bon fonftigen 
Brunnen werden erwähnt: Der Brunnen in der Vorftadt, ber 
Brüderbrunnen in der Örudergaffe, der Brunnen im Apo— 
thekergäßchen, der Ochſenbrunnen in der Ochfengaffe, der Za— 
bariasbrunnen ebendafelbft (vielleicht der nämliche), der Brunnen 
in der Biehgaffe, der Eſelsbrunnen bei der Eſelsmühle, der 
Aner Brunnen, der Altftädter Brunnen, ferner ein Vogts:, 
Rohr-, Krebs: nd Maienbrunnen x. 

Bon den öffentlichen Gebäuden des alten Pforzheim, die Eigen: 
thum theils der Herrihaft, theils der Stadt waren, find mandıe im 
Bisherigen chen genannt worden. Die frühern Klöfter der Stadt 
hatten andere Beitimmungen erhalten. Das Dominilanerflofter 
biente zur Tateinifhen Schule und zur Mohnung für die Lehrer, 
bie Klofterfirhe war zur Stadtkirdye geworden. ine zur Renovation 
berfelben im Jahr 1684 auf Beranlaffung des Speziald Math. Rum: 
mer erhobene Kollefte lieferte einen Ertrag von 410 fl. 16 ir. Da 
jedoch die Ausgabe nur 406 fl. 26 Er. betrug, alfo noch 3 fl. 50 kr. 
übrig waren, fo erhielt der Mefmer davon 1 fl. 30 kr., des Kunft: 
malers Geſell und Tochter jedes 45 fr., der Reſt wurde zu einem 
„Trunk“ bei der Nechnungsablage verwendet. — Die Räumlichkeiten 
bes früheren Maria-Magdalenenklofterse waren dem Spital zugewiefen 
worden (S. 329), das fie noch beſaß. Wozu damals das Barfüßer— 
Hofter verwendet wurde, weiß ich nicht; in ber Kirche desfelben wurde 
aber auch Gottesdienft gehalten. Dieß war in jener Zeit in der Schloß: 
kirche nicht der Fall; doch fcheint diefelbe von 1683 an wieder zu Got: 
tesdienften benütt worden zu fein; denn es iſt in diefem Jahre von 
einer „Einweihung derjelben die Nede. 1) Des Seelenbaufes in 


1) 1683, 15. April wurde getauft Hs. Kaſpar, H Bernhard Minderers 
Kind. Dabei ift bemerft: Dies ift extra ordinem bei Einweihung ber Schloß: 
firhen geſchehen. Patben waren: Markgräfin Augufta Maria, Prinzelfin 
Kath. Barbara, Herr de Macaire von Steinfels, ber Spez. Math. Kummer, 
H. Joh. Kaſp. Zocher (Amtsfeller), H. Ib. Deimling, Bürgermeifter, (Kir: 
chenbuch Fol. 113 a). — Es ift möglich, daß diefe neue Einweihung ber Kirche 
mit dem Brand zufammenbing, der im Sommer 1682, wahrſcheinlich in Folge 
eines Wetterſtrahls, im Schloß fattgefunden hatte, 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688, 457 


der Brötzinger Borftadt, das zur Nufnahme armer, kranker und ge: 
brechlicher Perfonen diente, ift früher ſchon Erwähnung gefchehen. Diefem 
gegenüper ftand die Kreuzkirche; dabei lag der Gottegader „zum 
heiligen Kreuz“, auf welchem nur Sole begraben werden durften, die 
dazu eine „Gerechtſame“ beſaßen. Wer die nicht hatte, mußte für die 
Erlaubnig der Beerdigung dafelbft einen Gulden bezahlen. Ein 
anderer, für die Altſtädter beftimmter Kirchhof Tag um die dortige 
Kirche. Der dritte Kirchhof war der 1558 ebenfalls in der Altftadt 
für die Stadtgemeinde angelegte (S. 298). Tem bereits genannten 
Spital und Geelenhaus find auch noeh die St. Georgspflege und 
das fog. Bruderhaus anzureiben. Jene jtand auf einer Anhöhe 
außerhalb der Au und war, von unten betrachtet, einem Kloſter oder 
großen Hofe ähnlich. Sie beftand aus einer ziemlid geräumigen Kapelle, 
einem Krankenhaus, den Wohnungen des Hausmeifters (1654 Hans 
Ulrich Mayer) und Unterförfters und einigen Oekonomiegebäuden. 
Tas Vermögen und die Einkünfte diefer wohlthätigen Anftalt waren 
vor dem orleans’shen Kriege fehr bedeutend, weshalb immer ein eigener 
Pfleger in der Stadt dafür beftellt war. Dieſes Amt verfah z. B. 
23 Jahre Lang der 1613 geftorbene Bürgermeifter Peter Maler; 1) 
nah ihm werden als Et. Georgs: Pfleger genannt: Konrad Gilg 1639, 
Wendel Lang und Jakob Hermann 1654, Chriſtoph Ganfer 1655, 
Jakob Zickwolf 1657, Johann Heinrich Bachmann 1683. — Welche 
Peftimmung das in der Brudergaffe liegende „Bruderhaus“ hatte, ob 
es ebenfalls eine MWohlthätinfeitsanftalt war oder einer der frühen 


') Er ließ 1607 die Kapelle renoviren, weshalb noch fange nachher daſelbſt 
folgende Reime zu leſen waren: 
Als man zählt und eben war 
Das taufend fehshundert und fichte Jahr, 
Diefe Capell ward renovirt, 
Und, wie vor Augen, ſchön geziert 
Durch diefes Stifters Pflegers Fleiß 
Peter Maler der älteft er heißt; 
Jeronimus mit zugleich, 
Beförderten Gottes Ehr' und Preis, 
Der belf, daß fein Wort lauter und Far 
Hier werd geprebigt immerdar. 
Amen, 
(Nachtichten der Familie Maler ©. 10.) 


458 Fünfzchntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688, 


geiftlihen Kongregationen oder einer Zunft, ober vielleiht den Beghar— 
den angehört Hatte, weiß ih nicht. Die herrſchaftliche Stifts- oder 
geiftliche Verwaltung (jett Diakonatshaus in der Nofenftrage) wurde 
wahrſcheinlich 1619 gebaut, da diefe Jahrzahl über der Kellerthür bieſes 
Haufes fteht. 

In der Bürgermeifterrehnung von 1687 und an andern Orten 
werden folgende Gebäude als ſtäd tiſche aufgeführt: 1. Die Stadt: 
fhreiberei. Sie ftand am Markte (wo jetzt das Rupp'ſche Haus) 
und war vermuthlic 1551 erbaut worden. Auf ihr erbob fi ein 
Thürmchen mit einer Uhr; 2, das Rath: und Kaufhaus, unter 
Markgraf Karl II. 1557 gebaut. Es ftand an der Stelle des jetzigen 
Rathhauſes und war ebenfalls mit Thürmchen und Uhr verſehen; 3. die 
dbeutihe Schule in der untern Pfarrgaffe; 4 das Schafhaus in 
der Brößinger Vorftadt beim Schäferther, wovon ſowohl diefes, als 
auch die Schäferbrüde den Namen hatte; 5. das Schafhaus in 
ber Altitadt, wo jest der Schafbof fteht; 6. die Kleemeifterei, 
ebenfalls in der Altjtadt; 7. das obere Bad unterhalb der Obermühle 
bei den Schoßgätten am Mühlkanal; 8. das untere Bad an dem 
nämlichen Kanal und zwar hinter der Kante; 9. die Eichbehauſung 
bei der Eichanftalt ; in derfelben wurden namentlich die Eichgeräthichaften 
aufbewahrt; nahe dabei war 10. das Werkhaus im Klofterbof (vor 
dem jetigen Waifenhaus), worin ſich allerlei ſtädtiſche Geräthſchaften 
befanden und auch verſchiedene Arbeiten für die Stadt beforgt wurden ; 
11. das Armbrufthaus oder Armbrufthüttlein auf dem Linden: 
plat bei der Auer Brüde; 12. das Schießhaus oder Schießhütt— 
fein außerhalb der Brößinger Vorftadt an der Enz. Es Batte 3 
Schießſtände, deren Neparatur im Jahr 1685 4 fl. 10 kr. koſtete; 
13. die Brodhütte, worin die Bäder morgens ihr Brod verkauften, 
infofern e8 von den Kunden nicht beftellt war, in welchem Fall es den— 
felben in das Haus getragen wurde; 14. die beiden Branntweinhüts 
ten, die eine vor dem Schleifthor, die andere in der Schlappergafie, 
mit Einrihtung zum Branntweinbrenmen; 15. der Stadt Badhaus 
in der Bruder: (Kamm-) gafje bei der Obermühle; dasjelbe hatte einen 
Ähnlichen gemeinnüßigen Zwed, wie die Branntweinhütten; 16. der Stadt 
Wafhhäufer beim Steinbrüderthor; 17. das Seelenhaus in ber 
Bröginger Vorftadt ; dasfelbe verwaltete ein eigener Armenkranfenpfleger, 
dev auch die Aufſicht Über das gegenüberftchende Kreuzkirchlein, den 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 459 


anftoßenden Kirchhof u. f. w. führte, auch die Thurmuhr dafelbft zu 
bejorgen hatte; 18. die verfchiedenen und oben ſchon erwähnten Thore, 
Thortbürme fammt Thorhäuschen und fonft dazu gehörigen Ge- 
bäuden. Zu den bdajelbit befindlichen „Kefitten“ kam ncd das Nar- 
renbänslein auf der Auer Brücke, als Strafort für leichtere polizei 
liche Vergeben, fpäter mit ähnlicher Beftimmung der Efelsftall an 
ber Stelle der jekigen Synagoge, und endlich das Blockhaus vor dem 
Bröginger Thor. Der Stadt hatte früher auch ein unterhalb des, 
Rathhaufes liegendes Haus gehört; aber es wurde 1658 an den Unter: 
vogt Ferber verfauft. Außer den ſchon aufgeführten herrſchaftlichen 
Gebäuden, ald Schloß, Klöftern, Kirchen, Epital, St. Georgspflege ıc. 
find nody zu erwähnen: Das an dem Markiplaß jtchende Amthaus, 
mit Thürmchen und Uhr; die 3 Pfarrhberrnwohnungen in der 
untern Pfarrgaffe, (befonders erwähnt find davon die „Obere-Diakonats— 
wohnung" und der „Diakonatsgarten”); das Landſchafts- oder 
Handlungshaus in der Brötzinger Gafje (zwifchen Schend und 
Trommer), der außerhalb der Bröginger Vorſtadt befindlihe Schmelz 
ofen fammt der Hammerfhmiede, die Zehntſcheuer bei der 
Nonnenmühle, die Ziegelhütte vor dem Brößinger Thor in ber 
Nähe des Schieghaufes, die Nindenmühle in der Altſtadt, bie 
Metzig nebft Pfinnhüttlein unterhalb der Kante, die Kelter in 
der Altjtadt (vor dem Ochfen) u. ſ. w. (Vergl. biezu das Lagerbuch 
von 1615, ©. 325). — Bon Gebäuden, welche auswärtigen Klöftern 
gehörten oder früher gehört hatten, finden wir erwähnt: den Lich— 
tenthal'ſchen Zehnthof Hinter dem redigerflofter (mo jett das 
Kübeleberle'ſche Haus fteht), den ſchon oft erwähnten, damals aber be- 
reitS dreigetheilten Hirſchauer-Hof in der Altjtadt mit feinen vielen 
Gütern, die heutigen Tages no den Namen „Hirihauer Güter“ tra: 
gen. Ein ähnlicher Hof ſcheint der oft vorkommende, in der Altjtadt 
liegende Bremerbof, zu welcdem ebenfalls viele Güter gehörten, ge: 
weſen zu fein. Auch der Name „Bremerhof-Aecker“ hat fih bis auf 
die heutige Zeit erhalten, und liegen diefelben oberhalb der Schloßkirche. 
Von Gebäuden, zum Theil mit Wafferkraft, die einzelnen Zünften 
gemeinschaftlich gehörten, werden erwähnt: Die Walfmühle der 
Weißgerber am Schießhüttenplatz, der Tucher Farbhaus bei der 
Nonnenmühle, die Rindenmühle (beim jetzigen Theater), endlich ned) 
anderer Rindenmühlen, ſodan Sägmühlen, Walkmühlen 


460 Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1648 - 1688. 


Oelſchlagen, darunter die 1617 gebaute jegige Kompagniefägmühle. 
Jede Zunft hatte bekanntlich auch ihre Zunftitube, wo die Verſamm— 
Iungen ftattfanden. Die Notbgerber verkauften dieſe ihre „Herberg“ 
1663 um 310 Gulden, die Färber ihren Hausplat (die Herberge war 
wahrſcheinlich im SOjährigen Krieg abgebrannt) in der Kautzenbach um 
30 Gulden ꝛc. — Endlich kann bier auch no der Mühlen gedacht 
werden. Bor dem IOjährigen Krieg waren es noch ihrer 5, nämlich 
die Ober:, Nonnen, Eich-, Efels: (Klofter:) und Wagmühle 
(S. 360). Der letztern gefhieht no 1661 Erwähnung; aber 1683 
und 1688 wird fie unter den Mühlen nicht mehr genannt. 

Bis zum Jahr 1690 beſaß Pforzbeim nur eine Apotheke, 
nämlich die untere (jet Pregizer'ſche, und fcheint diefelbe von jeher an 
derſelben Stelle wie jetzt geftanden zu haben. Sie mar von 1608 
bis 1634 in den Händen Michael Grieningers, von welchem fie an 
Johann Barthold überging, der bei der Erzählung der Neligionsbe: 
drüdung von 1643 mehrfah genannt worden ift. Nach dem Tode 
desielben kam die Apotheke um 1656 als Erblehen an deſſen Tochter, 
beziehungsweife an deren Ehemann, Chriſtoph Wüſtemann, und nad 
diefem 1689 an deſſen Schwiegerfohn Johann Michael Salzer Y, ein 
Geſchlecht, bei welchem die Apothefe mehrere Generationen hindurch 
blieb. 

Sehen wir und nunmehr aud ein wenig nad ben damaligen 
Gaftbäufern und Herbergen der quten Stadt Pforzheim um, fo: 
weit fie in den Quellen genannt werden, aus denen diefe Darftellung 
geſchöpft ift. Ihre Zahl war kaum geringer, als jebt. In der Brö— 
Kinger Vorjtadt treffen wir neben den drei heute noch an derfelben 
Stelle wie vor ? Kahrhunderten befindlichen Gafthäufern zum Trap: 
pen (Pot), zum geldnen Adler und zum Bären, der damaligen 
Poſt, aud die Herberge zur Sonne, welde beim obern Grabenthor 
ftand. Ahr Eigenthümer war Sebaftian Scherlin, während der Gaft: 
geber zum Xrappen Balthas Mentfchler, 2) der zum goldenen Adler 


) Der Grabflein biefes erfien Salıer, eines für jene Zeit ausgezeichneten 
Apotbefers und Chemikers (7 1709), befindet fich auf der Sübfeite ber Frieb: 
boffapelle. 

2) Ein „Trappenbans“ Fommt fchon 150? vor, cin Peweis, daß biefes 
Wirthohaus fehr alt ift. 


Fuͤnfzehntes Rapitel, Pforzheim von 1648—1688,. 461 


Hans Georg Ditertag und’ der zum Bären Mathis Kiefer, nad ihm 
Ambros Deichler hieß. In der Aue finden wir die Gafthäufer zum 
weißen Rößle von Dtto Beh, zum Einhorn von Ehriftian Bedh, 
beide an derjelben Stelle, wie heute noch, ferner den Hirſch von So: 
hann Hafner und den wilden Mann von Ambros Lötterlin. In der 
Altſtadt waren die Gafthäufer zum Engel von Ehriftoph Haffert, zum 
Sternen von Hans erg Lotthammer und zur Tanne bei der Alt 
ftädter Brüde. Die eigentlihe Stadt befaß folgende Gafthäufer : 
Zum Lamm, welches das Ed der Brötzinger- und Lammgaſſe bildete 
(aljo wo jest Kaufmann Schad) und Rudolf Sold gehörte; zum wei- 
Ben Laub (Chriſtian Sold) in der Yammgafje neben dem von le 
hingen'ſchen Haus; zur Höllen (Chriſtoph Ganfer, fpäter Otto Bedh) 
am Ed der Brötinger: und Blumengaffe (mo jest Konditor Trommter) ; 
zur Blume (Hans Jerg Schönherr und nach ihm Heinrich Bauer) in 
der Blumengaffe; zum goldenen Laub auf dem Markte neben dem 
Ihwarzen Adler, der auf der gleichen Stelle wie jetzt ftand und 
damals einem Geiger gehört zu haben fcheint; zur Krone unten am 
Markte, weldes Gaſthaus Martin Schnellin und nad ihm Bernhard 
Heuſchlof gehörte und das Recht hatte, jährlich 15 Ohm Wein frei auszu- 
fchenten; zum goldenen Kalb in der Mebgergafle,; zum Rappen 
in der unten Tränfgaffe, zuerft Ulrich Lutz, dann Philipp Sold und 
zulegt Georg Stich gehörig; zur Kante (1654 Hans Peter Bol, 
fpäter Chriftoph Abrecht), ebenfalls in der Tränkgaſſe an derfelben 
Stelle wie jest; zum Ochſen (Martin Zoller) in der Ochfengafle; 
zum Löwen (Hans Jakob Mitſchdörfer und nah ihm Balth. Hoppius) 
in der Altftädter Straße unterhalb des Rathhauſes; zur Mofe (Hans 
Bedh) in der Roſengaſſe. Außerdem gefchieht auch der Gafthänfer zum 
Schwert (Ghriftoph Yeonhardt) und zum goldenen Schwan (8. 
Sb. Schickh, nah ihm Hs. Ib. Scheidlen), ebenfo einer Herberge zum 
„Lainbalhier“ (2) von Johann Michael Deſchler Erwähnung. Da 
ferner auch ein „Judenhof“ in der Tränfgafje genannt wird, ber ver: 
muthlich die Herberge der Iſraeliten war; da aud im jener Zeit 
noch jeder Weinbergsbefiger das Necht hatte, feinen Wein felber aus— 
zufchenfen und die Zahl folder „Gaſſen-“ oder „Heckenwirthe“ nicht 
gering angeſchlagen werden darf; da es endlich auc an Bierfiedern nicht 
fehlte (1676 Jakob Betih, 1679 Koh. Beder aus Straßburg, wozu 
1695 noch Michael Peter Stieß kam), ja die Stadt felbft fogar einen 


469 Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1648 - 1688, 


Bierhandel betrieb, für welden ein eigener Verwalter (1664 Johann 
Schauber) gefeßt war: 1) — fo mag daraus entnommen werden, daß 
in Pforzheim vielleicht mehr als binlinglid Gelegenheit vorhanden war, 
den Durft zu ftillen, ja aud etwas darüber zn trinken. Wenn bie 
Zahl der Wirthe im Juni 1692, alfo während der traurigften Zeiten 
des orleans'ſchen Krieges und nach zwei borausgegangenen furdtbaren 
Bränden, denen der dritte im September desjelben Jahres nachfolgte, 
noch zu 30 angegeben wird, fo läßt fi daraus fchliefen, daß fie vor 
dem Krieg ungleich bedeutender war. Ob alle Wirtbe gute Geſchäfte 
machten, ift nun freilich eine andere Trage, die in Anbetracht des Um: 
ftandes, daß beijpielweife 1658 gegen drei Wirthe, nämlich den Löwem, 
Kronen: und Bärenwirth, faft gleichzeitig das Gantverfahren” eingeleitet 
wurde, vielleicht nicht ganz günftig beantwortet werden kann, 

Die Zahl der damaligen Privathäufer der Stadt genau anzugeben, 
ift nicht mehr möglich. Jedenfalls waren es ihrer bedeutend weniger, 
als es jetzt find, da either gar viele, früber leere Plätze überbaut wur: 
den und vor 200 Jahren manche öffentlichen Gebäude, wie die Klöſter, 
die Klofterhöfe, die Chorherrnwohnungen ꝛc. außerordentlich viel Raum 
einnahmen. Die meiften Häufer, mit Ausnahme berer der Adeligen 
und der vermöglichern Bürger, waren Hein, oft nur einftödtg, unbequem 
gebaut und mit dem Giebel gegen die Straße gerichtet. Jahrzahlen, die 
aus der Zeit vor dem orleans'ſchen Krieg ftammen, finden fi an Häu— 
fern ac. noch folgende: 1612 Ueberrefte eines Poftamentes an einem 
Haus im Kappelhof (Wittwe Schufter), 1612 Jahrzahl über einer 
Kellertbüre im Kloſtermühlgäßchen, 1617 Gartenpfoften oberhalb der 
obern Augafie, 1618 Haus in der untern Augaffe (jest übertündt) 
1620 Haus in der Kauzenbach, 1636 Scheuer im Schulgäßchen, 
1643 Grabftein in der Thorfahrt der Renz'ſchen Brauerei 
(Handelsmann Reh mit Frau und fünf Kindern, von dem 
frühern DBefiter des Haufes, dem Zimmermann und Bierbrauer 
K. L. Mutſchelknauß, defien Frau dem Gefchlechte des Reſch ent: 
ftammte, bei Abbruch des Kreuztirchleins dahin verbradht), 1664 Gar: 


1) Diefer Handel wurde nun freilih zum Theil mit fremden Geld betrie- 
ben, mie daraus entnommen werben kann, daß 1665 ber Spezial Grab von 
der Stadt die 100 Reichsthaler (fammt 3 verfallenen Zinfen) zurüdverlangte, 
bie er derjelben zum Bierhandel geliehen babe. Legterer wurbe erft zu Anfang 
des vorigen Jahrhunderts aufgegeben. 


Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688. 463 


tenpfoften in der Altftadt, 1667 Gartenpfoften im Holsgartenweg. — 
Der adeligen Häufer gab es vor 200 Jahren in Pforzheim immer noch 
fehr viele und es dürfte nicht unintereſſant erfcheinen, dieſelben unter 
Angabe ihrer Lage, fo weit dies möglich ift, bier abermals aufzuführen, 
Beim Bröginger Thor, wo jett das Erhardt'ſche Haus ſteht, befand 
fi) das freiberrlih von Hohenberg-Hochdorf'ſche Haus, und ein 
Beweis für feine Größe it der Umftand, daß es 1661 um die für die 
damalige Zeit bedeutende Summe von 2000 Gulden an den Amtsteller 
Joh. Bernh. Weiller verkauft wurde. Nahe dabei Tag das von Hall: 
wylſche Haus. In der Bruder: oder Lammgaſſe Tagen das 1567 
erbaute von Fle hingeu'ſche und das von Remchingen'ſche Haus, 
unten am Schlogberg das von Menzingen’fche und das von Kal: 
tentbaliche; weiter oben am Schloßberg das Göler von Ravens— 
burg'ſche; da, wo jetzt Ghriftopb Becker, ftanden vor 1648 das von 
Schornſtetten'ſche, 1649 das Schenk von Winterftettenfhe und 
das von Remchingen'ſche Haus, auf dem ehemaligen Kirchhof der 
Barfüßer das von Gemmingen-Steineckſche und in der obern 
Pfarrgaffe unterhalb des Echlofies das 1555 erbaute von Schauen: 
burg’iche fpäter Mäntel von Steinfels'ſche Haus (jetzt Maier und 
Veltman). Unten am Marktplatz (wo jeßt Auguft Kayſer) finden wir 
die freiberrlich von Rieppur'ſche Behaufung, die 1681 dem Hofmeifter 
des Markgrafen Karl Guftav, Eitel Friedrih von Nieppur zu Ober: 
möngheim, gehörte, der noch ein zweites Haus vor dem Altftädter Thor 
befaß. Nicht weit davon, nämlich bei der Eichmühle, lag das von 
Reyſchach'ſche Haus (wahrfcheinlih wo jett Schneider Krimmer), 
deſſen ſchon 1658 als dort Mbend erwähnt wird und das am 27. Juli 
1676 der Küfer Hans Balthas Saif von Jakob von Reiſchach, Forſt— 
meifter zu Leonberg und feinem Vetter, bez. Bruder Ludwig Eberhard 
und Georg von Reifhadh, um 400 Gulden käuflich erwarb. Abermals 
in der Nähe war ein anderes hochadeliches Haus, nämlich das Kech— 
ler von Schwandorfſche in der Mebgergaffe, eigentlih 2 Häufer, 
ein altes und ein neues, mit einem ummauerten Hof und Garten, zu: 
ſammen der „Kechlerhof“ genannt, weldes hinten auf den von 
Reiſchach'ſchen Garten ftieß, und am 15. Dezember 1679 an den Fubr: 
mann Hans Naufcher um 450 Gulden verkauft wurde. Die Kechler 
befagen aber noch ein Haus in der Ochſengaſſe (etwa wo jest Johann 
Kichnle), woſelbſt aud 1658 das Haus Bernhards von Baden 


464 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1683. 


ftand. In der Viehgafie war das Gred von Kochen dorf'ſche, in der 
Altſtädter Strape das von Storfhedelihe Haus, das 1687 Bier: 
fieder Beer in Pacht hatte. In letzterer Straße befaßen aud bie 
Herrn von Leutrum zwei Häufer (jebt Kaufmann Hepp bis hinunter 
zu Fabrifant Groß, und Unter&der’iche Bierbrauerei). Endlich ift 1681 
auch no von einem Gremp von Freubdenfteinfchen Hausplag vor 
dem Altenftädter Thor neben dem von Rieppur'ſchen Haus die Rede. 
Außer diefen Adelsfamilien werden auc noch andere als zu jener Zeit 
in Pforzheim wohnend angeführt, 3. B. die ven Ow, von Hartung: 
baufen, von Sternenfels. In das Mäntel von Stein: 
fels’ihe Haus beirathete damals ein Franzoſe, Herr de Macaire, defjen 
Nachkommen noch Tange ihren Sig in Pforzheim hatten. Unter den 
Adelihen, welche wenigften Güter bei, wenn aud vielleicht feine 
Häufer in Pforzheim befagen, war auch der Herr von St. Andre zu 
Königsbach. 

Zur Vervollſtändigung des Bildes, das bier vom „alten Pforz— 
beim“ entworfen ift, mögen noch einige Notizen über die Bevölkerungs— 
verhältnifje der Stadt im 17. Jahrhundert hier angeführt werden. Die 
Zahl der Einwohner ift in den Quellen, woraus diefe Darftellung 
gefhöpft und zufammengetragen wurde, nirgends angeführt ; doc, läßt 
fie fih nad der Anzahl der Geburten, über welche die alten Kirchen: 
bücher Auskunft geben, annähernd berechnen. Die Durchſchnittszahl der 
in den Jahren 1607—1634 in der Stadtgemeinde jährlih Geborenen 
ift 126. Zählen wir biezu die im der Altftadt Geborenen mit der 
doppelten Durchſchnittszahl der fpätern Zeit, nimlid mit 22 (ein Alt: 
ftädter Kirchenbuch aus jener Zeit ijt niigt mehr vorhanden,) und neh— 
men wir an, daß nad) den gewöhnlichen Verhältniß ein Nengeborener 
auf 26 Seelen fan, jo ergibt ſich für Pforzheim eine Bevölkerung von 
3848 oder in runder Summe von 3900 Seelen für das erfte Drittel 
bes 17. Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte des bdreifigjährigen 
Krieges nahm die Bevölkerung bedeutend ab, fo daß fie, wenn man die 
gleihe Nechnung, wie fo eben, wieder zu Grunde legt, um 1650 faum 
2400 Seelen betragen haben kann. Von diefer Zeit an aber zeigt ſich 
wieder eine allmälige Zunahme, fo daß die Zahl der Einwohner vor 
dem Ausbruch des orleans'ſchen Krieges wieder zwifhen 3 und 4000 
betrug und die Bürgerſchaft, die noch 1676 nicht viel über 370 Mann 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 465 


ftarf war, im Jahre 1688 deren wieder 543 zihlte, wovon auf die 
Altitadt zwiſchen 40 und 50 kamen. 

Ueber die Lage und nähern Umgebungen Pforzheims fteht in oben 
ſchon erwähntem Werke, das eine Abbildung Pforzheims enthält, 1) unter 
Anderm Folgendes: „Pforkheim Tiegt am Hagenſchieß vnnd den Grän- 
zen dep Craichgows, dadurd die Eng, ein mittelmäßig Wafjer fliefjet, 
jo gar fiſchreich, ſonderlich an Eichen ift, vnnd fället darbey die Nagelt, 
vnd in bdiefelbe vnfern die Wirm, dareyn. Es macen berielben Ge: 
ftad, die Wiefen herumb, vnnd die nabliegende Berg, da man zu dem 
Schwarzwald kommt, vnnd auff der andern Seiten die frudıtbare Aeder, 
onud ſchöne Gärten, allda eine gewaltige Luſt. Unnd kommt bejagter 
Fluß Entius nicht gar jonders weit ven dannen in den Nedarz da «8 
eine vber die maſſen luſtige Gelegenheit am Nedaritrom bat, daß man 
es wol einen Garten nennen kann, darvon die Charitini, jo bierumb 
gewohnt haben ſollen, vielleicht ihren Namen bekommen. — Das alte 
Schloß, wie auch die Kirch allda ſeyn wol zu ſehen, darinn etlicher 
Herrn Marggraffen von Baden Begräbnuß, wie auch Marggrafi Alb: 
rechts von Brandenburg” u. ſ. w. — An einem andern Ort?) heißt 
es: „Pfortzheim ift ein feine wolgebaute durlachiſche Stadt an der En, 
allda die Naab darein kommt, an denen Grenten des Greichtgavs, am 
Eingang des Schwarkwaldes, wenn man von Epever kommt, in einer 
wegen ber Wiefen und nabe anliegenden Bergen überaus Iuftigen Gegend 
gelegen.” — „Das alte Schloß, wie auch die Kirch iſt da wol zu jehen, 
darinn der Herm Marggraien eines Theils Begräbniß, unter welden 
dann aud Marggraf Albrecht von Brandenburg iſt“ ıc. 


$ 3. Blicke ins ſtädtiſche Gemeinleben. 


Die Zufammenjeßung der ftädtifhen Behörden war ned immer 
diefelbe, wie wir fie bereits früher (S. 231) kennen gelernt haben. An 
der Spite des ftädtifchen Gemeinweſens jtand der Bürgermeifter, 
der in dem aus 12 „Rathsverwandten“ zufammengefegten Rathe den 
Vorſitz führte. Das Gericht hatte diefelbe Zahl von „Gerichtöver: 





1) Zeilers Topographia Sueviae., 

2) Der durchleuchtigſten Fürflen und Marggrafen von Baaden Leben, Res 
gierung, Großthaten und Abfterben ꝛc. Frankfurt, 1695. 

Pflüger, Pforzheim, 30 


466 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688. 


wandten”, und wurde jebt vom Untervogt (früher Schultheiß) präſidirt. 
Die Stelle eines Bürgermeiſters bekleideten in der Zeit von 1650 bis 
1690 : Georg Weeber, Nikolaus Euchele, Hans Martin Faß— 
nacht, Hans Gall Kittel, Michael Peter Stieß, Johann Jakeb 
Deimling ımd Martin Zoller. Ws Mitglieder der beiden ftäd: 
tiſchen Kollegien, die aber häufig nicht vollftändig waren, werden ge 
nannt 1665: Sg. Weeber (Bürgermeifter), Wendel Fiſch, Scherle, 98. 
Stieß, Balth. Schill, Fleiſchmann, Frauenpreis, Michael Peter Stich, 
Chriſt. Ganſer, Warner, Rud. Zold, Hs. Gall Kittel, Abrecht, Schau: 
ber, Melter, Krentel, Kanzler, Flacht, Zoller, Langjahr; 1656: Mart. 
Zoller (amtstragender Bürgermeijter), Job. Ib. Deimling, Mic, Pet. 
Stieß, Hs. Ulrich Kiefer, Eberle, Holdmann, Scheidlin, Wilderfinn, 
Herbiter, Kercher, Ungerer, — Meerwein, Kauler, Mol, Burkhardt, 
Bub, Schnell, Maier, Kornmann, Abrecht, Lötterle, Oſtertag. — Ge 
meinſchaftliche Sigungen beider Kollegien follten eigentlid jede Woche 
ftattfinden, und nahm der Obervogt dann und wann, der Untervogt 
häufig daran Theil. Andeffen fielen auch manche Situngen aus, (1684 
waren 39 folder Sitzungen; der Obervogt allein nahm 3 Mal, ber 
Untervogt allein 16 Dial, beide Beamten zufammen 9 Mal daran 
Theil.) — Die Stelle eines Obervogts bekleidete um 1650 Engelhard 
Göler von Ravensburg, 1658 und die folgenden Jahre Hugo 
Ernjt von Landenberg, 1663 Tobias Spindler, fpäter in den 
1670er Fahren Phil. Jak. von Botzheimb. As Untervögte wer: 
den ans diefer Zeit genannt: 1657 Job. Sb. Ferber, 1675 ob. 
Burkhardt Keller, nah diefem Erhardt Kieffer. — Außer den 
ordentlihen Sitzungen Gerichts und Raths konnten in Partiefahen auf 
bejonderes Verlangen and außerordentliche ftattfinden; doc mußte jede 
der ftreitenden Partien dafür eine Taxe von 4 Gulden bezahlen, weldye 
der gewinnende Theil vom andern wieder verlangen durfte. Jedes Mit: 
glied des Raths und Gerichts durfte den Ehrentitel „Herr“ führen, der 
fonft nur den fürftlichen Beamten und Geiftlihen zufam. Die voll: 
ftändige Anrede an Bürgermeifter, Gericht und Rath, welche im Dienft: 
wege gebraucht werden mußte, Tautete: „Wohlehrenfefte, ehrenfefte, hoch: 
und wohlgeachtete, fürfichtige, ehrfame, hoch- und wohlweife Herren amts⸗ 
tragender Bürgermeifter, Gericht und Nath, gnädigſte, hochgeehrteſte, 
body und vielgechrte Herren!" — Ihre Amtswürde wußten die Herrn 
ftreng zu wahren, und jede Verlehung derfelben wurde ſcharf geahndet. 


Fünfzehntes Kapitel, Pforzbeim von 1648-1688. 467 


Eine Beleidigung des Bürgermeifters hatte für den Thäter troß feiner 
Bitte um Verzeihung 1678 eine Gefängnißitrafe von 24 Stunden und 
eine Geldftrafe von 2 Pfund Pfennig zur Folge. Als Einer 1683 
einen Rathsherrn einen Stadtfnecht gebeiken, mußte er, weil er ein 
„groß Unrecht“ begangen, 1 fl. 41/, Strafe bezahlen. Noch fchlimmer 
kam eine Fuhrmannsfrau weg, die 1664 einen Rathsherrn einen „Narren“ 
und Meinen „A— wiſch“ geheißen hatte. Schwer mußte auch der Bürger 
Hans Lug 1666 die Folgen einer Verläumdung empfinden. Von Sei— 
ten der ftädtiichen Behörde war nämlid an die Zünfte in jenem Jahr 
die Eröffnung gemacht worden, daß fie fi) aller geheimen Zuſammen— 
fünfte enthalten und nicht glei mit jeder Klage an die fürftliche 
Kanzlei wenden, fondern bdiefelbe zuerft bei Amt und Rath vorbringen 
jollten. Darauf hin machte befagter Lutz bei fürftlicher Kanzlei bie 
Anzeige, es feien die Zunftmeifter aufs Rathhaus befchieden und ihnen 
eröffnet worden, daß feiner mehr bei 10 Thaler Strafe bei Sr. fürftlichen 
Durchlaucht etwas Hagen folle, oder man werde Einen oder Etliche 
nehmen, nach Durlady führen, ihnen die Köpfe vor die Füße legen und 
ihre Weiber und Kinder zur Stadt hinaus jagen; dabei fei ihnen be- 
fohlen worden, zu der ganzen Sache ftill zu fein ꝛc. — Da fid) bei 
vorgenommener Unterfuhung dieſe Angaben als grobe Verläumdung 
berausitellten, fo murde Fuß zur Strafe ins Käficht des Brößinger 
Thors geſteckt, mußte ſich aller ehrlichen Zufammentünfte, Geſellſchaften 
und Zehen bei Strafe von 10 Pfund Pfennig enthalten und durfte 
bis auf Weiteres außerhalb der Pforzheimer Gemarkung bei gleiher 
Strafe feinen Fuß ſetzen. Sol ftrenges Verfahren mußte nun freilich 
einen heilſamen Schrecken einflößen und zur Wahrung der Autorität 
der Ortsobrigkeit kräftigſt beitragen. In ähnlicher Weife wurde aber 
auch das Anfehen fonftiger ftädtifcher Vebienfteten geſchützt. Der Met 
ger Rapp wurde 1689 um 10 Schilling Pfennig geftraft, weil er ge: 
fagt, man müffe den Fleiſchſchätzern Brillen auffeten, und Metzger Mic). 
Bud mußte gar 1 Pfund Pfennig Strafe bezahlen, weil er die Aeuße— 
rung getdan, man henke Keinen, man habe ihn denn zuvor. 

Die Mitglieder der frädtifhen Rollegien bezogen keine Befsldungen; 
nur der Vürgermeifter erhielt aus der Stadtkaſſe jährlih 10 fl. 40 fr. 
welche Summe jedod 1683 auf 32 fl. erhöht wurde, Auch Diäten 
wurben mır felten ausgeworfen; dafür wurde, wie früher jhen (©. 208) 
erwähnt, ein „Trunk“ gethan, auch eine Mahlzeit er Am 


468 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 


Tage der jährlichen Bürgermeifterwabl wurden von Geriht und Rath 
bie Zinfen der oben (S. 286) angeführten Stiftung des Kanzlers Acht: 
ſynit zu einem Trunk verwendet. Dafür wurden 1685 verzehrt 4 Maaß 
ipanifchen Weins a 1 fl. 4 Mr., für Maftir (!) wurden 4 kr., für 
Semmeln 15 kr. ausgegeben, Aehnliches jcheint damals jedes Jahr ge: 
ſchehen zu fein; wenigitens ift davon auch 1687 wieder die Nede, nur 
dag es dort zu 4 Maaß und 21, Schoppen des jpanifchen Weine 
reichte, den der Apotheker Wilhelmi zu liefern hatte, Ebenſo wurde bei 
der jährlichen Abhör der Bürgerme iſterrechuung immer eine Mabl- 
zeiten gehalten, an weldyer die fürftlichen Kommiffarien (1683 die geb. 
Hof: und Kammerräthe Johann von Eſſen und Job. Heinr. Abrecht), 
die Beamten, der Bürgermeifter und ſämmtliche Mitglieder des Gerichts 
und Raths Theil nahmen, und deren Koſten der Stadtjädel tragen 
mußte, Dieje beliefen fih 1683 auf 31 Gulden 18 Kreuzer, wozu 
nod 4 Gulden Fuhrlohn, die Diäten der fürftlihen Kommiſſarien und 
des Kanzliiten famen, Da ſolche und andere, wie es jcheint des Jah— 
res mehrfach ſich wiederholenden Mahlzeiten die Stadt viel Geld 
kofteten, jo kam dafür der Gebraud auf, allen Perjonen, die ſonſt da: 
ran Theil genommen batten, jilberne Xöffel auf Stadtkoften zu 
verehren. So wurden bei der Abbör der Bürgermeifterrehnung 
1688 30 folder filberner Löffel ausgetheilt, nämlich an die fürſtlichen 
Kommiffarien, geh. Math Johann von Eſſen und Kammerrath Kifling, 
die Pforzheimer Beamten, den Stadtjchreiber, die Protofolliiten und 
die 24 Gerichts: und Rathsherrn, und erhielt dafür der Goldſchmied 
Nikolaus Burkhardt 92 fl. 71/, kr. ausbezahlt. Trotz diefer Aende— 
rung wurden im Jahr 1684, wo ſolche ſchon ftattgefunden hatte, 244 fl. 
281/, tr. für „Zehrung“ ausgegeben. — Als am 7. November 1688 
der neue Wein auf dem Rathhaus verfucht wurde, um die Tare des: 
felben zu bejtimmen, ift ein Trunk gethan und dabei verzehrt worden 
2. 15 kr. 

Ale fonftigen ſtädtiſchen Bedienſteten bezogen Bejoldungen, denen 
nun freilich der Gelöwerth jener Zeit zu Grunde lag. Diefelben ſchei— 
nen im Jahr 1683 meu regulirt worden zu fein, wie ſchon aus dem 
oben angegebenen Einfommen des Bürgermeifters hervorgeht. Es dürfte 
für die Lefer von Intereſſe fein, diefe Bejoldungen hier angegeben zu 
finden. Folgende Jujammenftellung mag damit zugleidy als Ergänzung 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim won 1648-1688. 469 


der Lifte der ftädtifchen Angeftellten dienen, die oben (S. 237 ff.) mit: 
geteilt worden iſt. Es erbielten : 
Der Stadtſchreiber Götz 
an Befoldung . . ... . 40fl. — fr. (1682 noch 12fl. dr.) 
für Papier und Dinte . . 85.20 fr. 
für den Hausverbraud an Holz 40 fl. — ft. 


— — — — 


zuſammen 88 fl. 20 Er., 
Der Stadtphufitus Joh. Burkh. Mögling 20 fl., der Baumeifter 20 
fl., der Kornſchreiber 5 fl., der Weinfiegler 4 ji. 174/, tr, der Maß: 
pfennigeinzieher 2 fl. 20 Er., der Fleiſchwäger 5 fl., der Waſchhausver— 
walter 6 fl., der deutiche Schulmeifter 15 fL (1682 noch 3 fl. 45 fr.), 
der Zintenift 10 fl. (1682 nody 2 fl. SO fr.), 3 Hebammen jede 7 fl. 
und 3 SKlafter Holz (1682 jede nur 1 fl. 45 kr.), der Waldſchütz 
24 fl., der Stadtfneht 26 fl., die Brodbefhauer je 2 fl. 30 fr, 
die Fleiſchſchäter 2 fl. 30 kr., Organift Dürr 140 fl., der Thor: 
wächter des Altftädter Thors 7 fl. Di Er., der Büchfenhalter, Wer: 
renſchließer und DBeichließer daſelbſt 6 fl. 30 kr., der Thormwächter 
am Bröginger Thor 14 fl. 21 !r., der Beichlieger daſelbſt 2 fl., 
der Thorwächter am Steinbrüderthor 7 fl. 51 kr., der Beſchließer da: 
ſelbſt fl., der Thorwächter am Auerbrunnenthor 8 fl. (derfelbe mar 
zugleih Vormitternadhtswächter in der Au und mußte auch die Uhr 
bafelbft aufziehen), 2 Wormitternachtsmächter jeder 13 fl., 2 Nachmitter— 
nachtswächter jeder 11 fl., der Hochwächter auf dem Brötinger Thor 
16 fl., die Schließerin des Hillerthors 1 fl., des Schäferthors 2 fl., für 
das Auf: und Zuſchließen der Werren (Wehre) an der Altjtädter Brücke 
1 fl. 30 kr., Thorwächter am Heiligkreuzthor 2 fl., Thorwächter beim 
obern Grabenthor 2 fl., Sägverwalter 20 fl. Außerdem werben theile 
als ftädtifche, theils als ſolche VBedienftete, gegen welche die Stadt wenig⸗ 
ſtens Verbindlichkeiten hatte, erwähnt: Der Stadthauptmann (hatte 
freie Station von der Stadt anzufpreden), die 2 Stadttrommfer erbiel: 
ten zufammen 10 ft. 1) (1687 wurden für diefelben 2 neue Trommeln 
aus Ettlingen bezogen und koſteten 7 fl. 15 kr.), eine Wärterin auf 





1) Zu Stabttrommiern wurden 1687 Ernſt Friedrich und Tobias Heiſch 
beflimmt. Die „faulen Kerle” wollten aber zuerfi nit, weshalb ihnen zur 
Strafe unterjagt wurde, bei Hochzeiten und Tänzen aufzuipielen, 


470 Fünfzehntes Kapitel, Pforzbeim von 1648-1688, 


dem Rathhaus oder die fogenannte Rathhausfrau. — Die Math. 
Buck'ſche Wittwe, welche die ordinäre Poft (d. h. Votengänge) nad) 
Durlach verjehen ließ, erhicht 4 fl. (Meben diefer „oft“ wird 1684 
noch einer „Straßburger Landkutſche“ erwähnt, die wöchentlich nad) 
Stuttgart ging. Derjelben war Weggeldermäßigung zugeftanden.) 
Die Gefammtfumme der Bejoldungen belief ſich 1683 auf 387 Gul— 
den 48 Kreuzer. 

Um die jährlichen Ausgaben, welche die Stadt in jener Zeit Hatte, 
fowie die Einnahmen, welche zur Dedung derfelben dienen mußten, ganz 
überjehen zu können, möge bier ein Auszug aus der Bürgermeifter: 
rechnung von 1693 folgen, welder zugleich Stoff zu interefjanten Ver: 
gleihungen bieten mag. 


Einnahme 


Betrag. Reit. 

fl. fr. fl. fr. 
IREHEB: aa ce ee 598 471, — — 
Dee . 2 a 2 666 — — 
Stande . . . . En 10 3915, — — 
Hanfwage, Wagliſch und Ri — 5 34 — — 
Meßgeld. ... F 12 36 — — 
Umgeld mit Mafpfennig use 244 11 — — 
IRB a ee re ai 4 451/, — — 
Viehunterkau 204 19 — 
Salzgewin.... 2 2 20. U — — — 
Hausweinumgeld . 2 2 2... 5 413/, — — 
0 11.11.11 EEE REN 396 45 — — 
Jährl. Gülten.... 10964 271%, 10896 32 
Unbeftändige Gülten. 2... 247 531 34 50 
Gültrüdftände von früher. . . . 144 491), 48 45 
Alte Rüdftände. . 2.2.2... 629 561/, — — 
Landacht. . .. 22.2. 9 — — 
Von den Wafchhäufern De 50° — 50 — 
Aus Aſche erlöst ir de 7 38 — — 
Vom Abzug. » 2: 2 2 2a. 8 423, — — 
Bürgergelder. . . . 149 12 70 58 


Zu Hilfder Armbruft: u. Bücfenfhügen 126 4 114 58 


Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648 -1688. 


Betrag. 

fl. fr, 
Strafen und Rügung -. . . . . 50 461/, 
Mülfände 2 222 
Eiherlon . 2 2 2 2 20. 3 16 
DOSE. 295 31 
Vom Sägmeiftr . . . . 150 411), 
Ausftände v. verkauften Briten . — 32 
Dehmenged . . . . ur 376 3 
Ausftände von . . 2 2... 3 22 
Diehl . 2 22 24 56 
Bom Ziegler - 2 2: 2 2 2e 24 
Ausftände von Lagergelden . . . 5 — 
Erfaß für Zum . 2... B — 
Beiibgelder - - > 2 2 22. 17 46 
In Omen . 2 2 2 2... 116 19 


Ausftände in Gemein . . 2... 12 2217, 


Summa . 15399 333/, 


11294 51 





Wirkliche Einnahme . 4104 4237, 


Ausgaben. 


Angelegte Hauptgült . 

Jährliche Gülten 

Befoldungen 

Zehrungen 

Verehrungen 

Schwebende Späne * Berichtshändel 
Poftritt und Botenlohn . 
Verbaut 

Fuhrlohn von Klafterholz 

Verpfläftert . —F 

Für Tuch — 

Den Armbruſt-⸗ und Büöfaftüken 
Für Brennholz . 3 


11294 51 


472 Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648— 1688. 


fl. fr. 
2 9 
Haurln . © 2 2 2 67 
31 38 
eeee 1 30 
Kriegskoſten —D— 17 16 
Dehnengttttetee 990 — 
Um Sotteswilen > 2 2 na rn 11 37 
Dauer eh 13 — 
BER a ee 66 
U SEHE 2 rer we de ee 96 81, 
3709 39 
3Zufammenftellung. 
fl. fr. 
Wirkliche Einnahmen . oo 2 2 2 nn nn. 404 429%, 
BIBBUDEN: cur ae 0 39 


Kaflenreft . 395 3%, 


Zu manden diefer Einnahme: und Ausgabspoften find einige Bes 
merfungen nothwendig. Als bedeutenöfter unter den erjtern erſcheint der 
Pfundzoll. Darunter ift die Kauf-, Erbſchafts- ꝛc. Acciſe zu ver: 
fteben, welch evftere aber nit mur von Gütern und dgl, fondern auch 
von Maaren, ja vom Holz erhoben wurde. Im Privilegienbrief von 
1491 (©. 226) war aller Pfundzoll von Handel und Gewerben im 
Pforzheim auf 1 Pfennig vom Gulden ermäßigt worden, wogegen fich 
die Herrichaft den alleinigen Bezug desfelben nach hergebrachter Sitte 
vorbehielt. Diefe Beſtimmung wurde jedoch 1675 durch einen Vertrag 
zwifchen der Stadt und der Herrfchaft dahin abgeändert, daR der 
Pfundzoll in Pforzheim auf den gleichen Betrag, wie er im ganzen 
Land erhoben wurde, unter der Bedingung erhöht werden folte, daß 
die Stadt davon den vierten Theil beziehe (der ihr indeß fehr un: 
regelmäßig ausbezahlt wurde, was ſchon 1678 und 79 Klagen hervor: 
rief). Dieje Aenderung, obgleich fie der Stadt eine bedeutende Ein: 
nahmequelle eröffnete, erregte jedoch unter der Bürgerfchaft große 
Unzufriedenheit, wie oben fchon angedeutet worden ift, und bildete 
auch einen der Beſchwerdepunkte, die beim fpäter ausgebrohenen 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688. 473 


Privilegienftreit zur Sprache kamen. — Einen anfehnlihen Einnahme— 
poften bildete auch das Weggeld, das ziemlih hoch war und darım 
von Seiten nabliegender Gemeinden, jo 1678 von Stein, Beſchwerden 
hervorrief. Ein Jude, der 1672 während der Mittagpredigt mit Vieh 
durch die Stadt zog, mußte 6 Kreuzer bezahlen; (Leider vertrant es 
die Thorwartin!) — ein anderer zahlt für 60 Stüd Vieh 1 Gulden; 
zwei find durchs Brößinger Thor gefahren, zahlen 2 Basen, 2 Schwei- 
‚zerwägen 4 Baben, 1300 Stück Schafe often 5 Gulden Weggeld. 
Daß von der Einnahme an Gülten faft die ganze Summe im Rück— 
ftand blieb, erfcheint auffallend, rührt aber ohne Zweifel daher, daß 
diefe Zinfen oder vielmehr die Kapitalien, aus denen fie floſſen, im 
Grund nicht mehr eriftirten, da faſt ſämmtliche Häufer, auf welche die 
Stadt ihre Kapitalien ftehen hatte, im dreigigjührigen Krieg abgebrannt 
waren. Defjenungeachtet wurde dieſer Poften in den Stadtrehnungen 
fortgeführt, vielleicht um das Andenken daran, daß die Stadt aud ein: 
mal bedeutende Kapitalien bejeflen, Tebendig zu erhalten. — Unter 
Landacht oder Nahzelg ift eine Einnahme von Almendgütern zu 
verftehen. Was den Abzug betrifft, fo erfehen wir aus dem Umftand, 
ba 1684 ein Strumpfweber aus Bretten, von in Pforzheim ererbten 
135 fl. — 16 fl. 12 fr. Abzug bezahlen mußte, daß legterer 12 Pro: 
zent betrug, wovon die Stadt 5 Prozent, alſo 6 fl. 45 fr. erhielt. — 
Bon den Strafen und Rügen bezog die Stadt ebenfalls nur einen 
Theil, und zwar beifpielweife von einem Blutfrevel, welcher & fl. 20 fr. 
toftete, 1/, mit 1 fl. 26 kr., von einem Zrodenfrevel a 1 fl. 8 fr. 
ebenfalls 1/, mit 29 kr., von einem großen Unrecht 22 fr., einem Kleinen 
7 kr., von jedem Nachtgulden 13 fr. Es dürfte nicht uninterefjant 
fein, Hier den Betrag noch amderer Gelditrafen angegeben zu finden. 
Mehrere, die am 9. Jan. 1665 die Nacht durchgezecht und gefpielt haben, 
zahlen 1 Nachtgulden und 5 Schilling „Spielainung“. — Hans Bölfter- 
lin der Ejelsmüller muß, weil feine Ejel im Feld öfters Schaden ges 
than haben, 1665 für jeden der 4 Eſel 22 ir. „Feldrügung” bezab: 
In. — Hans Würz kommt 1665 wegen „Fluchens“ 1 Tag und 1 
Naht in „Keffit” und muß 10 Schilling Pfennig ins Almofen zahlen. 
— Zwei Männer, welhe am Bronnenwörth durch Einbiegung von 
Weiden ꝛc. ihre Wieſen vergrößerten, werden 1667 wegen „Markver: 
legung” jeder um 15 fl. geſtraft. — Ein Jude zahlte 1673 wegen 
zu leichten Gewichts 5 Sch. Pfg., ein anderer 4 Sch. Pig, — Ein 


474 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648- 1688. 


Bürger, ber Made flieht, ift 1673 mit den Thorſchlüſſeln ins Wirths— 
haus gelaufen, zahlt 10 Sch. Pig. — Ein Bäder zahlt 1674 megen 
zu Meinem Brod 10 Ed. Pig. — Zwei haben 1674 am Sonntag 
gefiicht, zahlt Jeder 10 Sch. Pig. — Ein Mebger zahlt 1678 wegen 
Schlachtens eines beinbrüdigen Ochſen 10 Sch. Pig. — Ein Bäder, 
ber zu ſpät gebaden, muß 1686 die große Flafche mit Wein und 10 
Sch. Pig. bezahlen. — Wer feinen Feuereimer bat, muß (1684) 
22 tr. bezahlen. — Winkelſchreiberei Toftete 1676 1 Gulden Strafe, 
ein verbotener Gartendurchgang 5 Pfd. Pfennig, unerlaubter Viehtrieb 
2 Sch. Pig. — Eine Rrau, welche 1673 eine andere eine budklichte 
Here hieß, mußte 3 Pfd. Pig. Strafe bezahlen; eine andere Injurie 
koftete 1675 zwei Gulden ıc. — Vergehungen der Iettern Art wurden 
auch in noch anderer Weiſe beftraft. Im Fahr 1662 wurde Heinric 
Würz wegen Injurie und Trockenfrevel in den Efelsftall geſetzt, feine 
Frau aber wegen böfen Mauls in die Geige getban. — in Soldat 
(d. h. Bürger), der 1678 feine Muskete im Rauſch auf feinen Offizier 
anfchlug, mußte zur Strafe bei der Hauptwache zwei Stunden lang zwei 
Doppelbafen tragen. — Für Vergeben fchwererer Art ftand auf dem 
fogenannten Galgenrain aud ein Hochgericht bereit. Dasſelbe wurde 
1697 reparirt, nachdem der Baumeifter Kercher die Anzeige gemacht, 
daß es verfault und dem Einfallen nahe fi. — Unter den in den 
Ausgaben vorkommenden „Verebrungen”“ find Gefchenfe zu ver: 
ſtehen. Trotz ihrer oft mißlichen Finanzlage ließ die Stadt den alten 
löblichen Brauch nicht abkommen, ſich bei befondern Anläffen, namentlich 
Hodzeiten, zu welchen die ftädtifchen Behörden geladen wurden, fplenbid 
zu zeigen und auf die Cinladung mit einem Geſchenk zu antworten. 
Ein folhes von 6 Reichsthalern erbielt z. B. 1662 der Rechneirath 
Obrecht (Abrecht) zu Karlsburg, ebenfo der Diafonus Pauli; dem 
Untervogt Ferber wurde 1664 auf feinen hochzeitlichen Ehrentag ein 
filberner Becher verehrt von 29 Loth und 3 Quintlein Gewicht und 
32 Gulden Werth; Daniel Meeber erhielt 1665 eine Hochzeitsgabe 
von 8 Thalern für feine Tochter; Profeſſor Arnold in Durlah 1665 
für die Einladung zu feiner Hochzeit 3 Rthlr.; 1682 befam ein Rathe- 
berr zu feiner Hochzeit 3 fl.; der Sohn eines Gerichtsherrn ebenfalls 
Ifl.uf. w. Meagifter Joh. Joachim Kiefer, der feine in Straßburg 
gehaltene Disputation dem Meagiftrat widmete, erbielt dafür|in ber- 
kömmlicher Weiſe 6 Rthlr., der Student Phil. Sigm. Elos in Durlach 


* 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688, 475 


für feine „disputatio de purgatorio“ 6 fl.; — dem neuen Diakonus 
Suter wurden 1694 (alfo fogar im Krieg!) 4 Gulden zum Willkomm 
verehrt; 1672 erbielt der Herr von Kroneck, geb. Nath und Präfident 
zu Karlsburg, von der Stadt einen filbernen Becher und 2 Salzküdıs: 
fein (von den Amtoflecken 2 Viertel Nedarwein), 1697 die Gemahlin 
bes Präfidenten von Gemmingen eine filberne Suppenfhüfjel (30 Loth 
ihwer); der Oberrathsſekretär Joh. Frd. Boch erhielt 1662 die von 
ber Stadt verlangten Rahmenſchenkel wegen erwiefener Gefälligfeit ums 
fonft u. f. w. — Die Ausgaben „um Gottes willen“ waren 
ebenfalls Geſchenke oder Unterftügungen an Arme und Nothleidende, 
So erhielt 1654 ein Erulant aus Ungarn 20 Er.; der Marktflecken 
Pfalz: Sulzbah, wo „die Papiften die Kirche, Pfarr: und Schulhaus 
weggenommeu haben,“ zur Erbauung einer neuen 1 Gulden; 1689 
wurden einem armen melandholiihen Studenten verehrt 3 fr. Sole 
Geſchenke an vertriebene Geiftlihe, Schullehrer, invalide Offiziere und 
Soldaten, alte Leute ꝛc. fommen nody öfter vor. — Das in den Aus: 
gaben aufgeführte Debmengeld ift der Zins für Benübung ber 
Herrihaftswaldungen zum Edericy (vergl. ©. 219) oder zur Eichelmaſt. 

Mie aus oben mitgetheiltem Nechnungsauszug erſichtlich, war zur 
Beftreitung der Gemeindebedürfniffe von der Erhebung einer frädtifchen 
Umfage keine Rede, und die Bürger bezahlten eben jo wenig eine ftäd: 
tische, als eine herrſchaftliche ftändige und direkte Steuer, Deſto 
mehr wurden fie aber mit indirekten Steuern, als Umgeld, Maßpfennig, 
Pfundzoll ꝛc. ins Mitleid gezogen, von denen die Herrichaft und bie 
Stabt jede ihren Antheil erhielt. (Vergleiche den Privilegienbrief von 
1491.) In letzterm waren die Bürger von jeder direkten Steuer ohne— 
bin ausdrücklich befreit; dody begegnen wir nady dem dreißigiäh: 
rigen Krieg ſchon öfters dem Namen der „Schatzung“, alfo einer 
Vermögensfteuer, die indefien nur den Charakter einer vorübergehenden, 
nicht einer ftändigen Steuer trug. (Vergl. ©. 357.) Sie wurde 
in Monatgeldern erhoben, weldye 1663 zufammen 216 fl., alfo jährlich 
an 2600 fl. betrugen, eine für feine Zeit nicht unbedeutende Summe, 
Diefe Steuer erregte unter der Bürgerfchaft große Unruhe und Unzu— 
friebenheit und rief viele Beſchwerden hervor. So finden wir, daß 
1665 Veit Raub ſich über diefe Steuer, namentlih daß er zu hoch 
angelegt fei und monatlih 1 fl. 431/, kr. (alfo jährlih 20 fl. 42 kr.!) 
bezahlen müffe, bitter beklagt und um Moderirung bitte. Die Herr 


476 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688, 


ichaft konnte indejfen in Seiten der Noth auch die „gefreiten“ Städte 
von diefer Steuer nicht ausnehmen, und die Bürger mußten fi, wenn 
auch ungern, zur Zahlung derfelben verftehen. Der lang verbaltene Un: 
wille darüber fam indeß, wie unten erzäblt werden foll, erft zu Anfang 
bes 18. Jahrhunderts in Pforzheim im Privilegienftreit zum Ausbruch. 
Außer dieſer Schatung begegnen wir 1663 auch einer „Türkenſteuer.“ 
Wie viel diefelbe betrug, weiß ich nicht. (Als fie 1663 eingezogen 
wurde, äußerte Jemand: Der Türk füme doch, man möge zahlen, fo 
viel man wolle.) Daß der Stadt im Widerſpruch mit den Beftim: 
mungen des Privilegienbriefes auch von Zeit zu Zeit Frohnden zu: 
gemuthet wurden, geht aus mehreren Stellen der Rathsprotokolle jener 
Zeit hervor. Wenn jedoeh aud die Stadt in manchen Fällen den Be: 
fehlen der Regierung Folge Teiftete, fo geſchah es nie ohne heftige Pro: 
teftation. Auch font entftanden mehrfach Streitigkeiten zwiſchen Stadt 
und Regierung, deren Beilegung in der Negel bei Abhör der Bürger: 
meilterrehnung verfucht wurde und, wenn es möglih war, aud 
erfolgte. So trug u. W. die Stadt 1679 verſchiedene „Gravamina“ 
vor, und zwar 1. wegen des Salzhandels; 2. wegen des Dehmengeldes ; 
3. wegen gegenfeitiger Forderungen; 4. wegen des Umgeldes vom Bich, 
das die Juden ſchächten; 5. wegen des Yfundzolles von Jud Wolf, 
der nur von der Herrichaft erimirt; 6. wegen des Umgeldes vom herr: 
ſchaftlichen Weinſchank; 7. wegen der Singener Schuld. 

Ein an dem Wohlſtand der Stadt auch in der Folge immer 
nagender Krebs waren ihre fchweren Schulden Es ift fchen früher 
auf diefen ſchlimmen Umftand hingewiefen worden. Waren der Stadt 
einerſeits die meiften Kapitalien, welche fie auf Häufern ftehen hatte, 
durch das Megbrennen derfelben verloren gegangen, fo war fie anderer: 
feits fehr oft gemöthigt, zur Dedung dringender Bedürfniffe, insbefondere 
während des dreikigjährigen Kriegs und zum Theil vorher ſchon, Kapi— 
talien aufzunehmen. So finden wir, daß die Stadt 1611 bei Dr. Sig: 
mund Hafner zu Speier ein Anlehen von 2000 Gulden machte. Die 
Zahlung des Zinfes gerieth aber während des dreikigjährigen Krieges in 
gänzliches Stoden. Im Jahr 1667 ftellte Dr. Kühorn als Hafner’ 
cher Erbe das Anfinnen, daß die Stadt doch wenigſtens an den feit 
30 Fahren (!) aufgelaufenen Zinfen etwas entrichten ſollte. Diefelben 
wurden aber jett fo wenig, als im der Folge bezahlt, fo daß fie bis 
1689 auf 5276 fl. 22 Fr. angewachfen waren. Damals erbot ſich 


Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688, 477 


die Stadt, für Kapital und Zinfen 300 Gulden zu geben, was 
aber nicht angenommen wurde. Wie es in der Folge mit diefem 
Schuldpoften ging, weiß ich nicht. Das MWahrfcheinlichite ift, daß weder 
Kapital noch Zinfen bezahlt wurden. — Wegen eines amı 24, Juni 
41600 aufgenommenen Kapitals von 300 fl. wurden 1677 mit dem 
derzeitigen Gläubiger Joh. Karl Allgeyer, Kanzlift in Durlach, Ber: 
handlungen angenüpft und begnügte ſich derjelbe „in Anfehung der der 
Stadt obliegenden großen Schulden” mit einer Abfindungsfumme von 
112 fl. für Kapital und vieljährige rüdftändige Zinſen. — Ein anderes 
Anlehen ven 1100 fl. machte die Stadt 1629 bei Meichier und Mar: 
tin Nördlinger, die aber nie Etwas erhielten. Im nämlichen Jahr 
ſchoß die Gemeinde Singen der Stadt 390 fl, vor. Davon wurde 
aber nie ein Kreuzer Zins bezahlt, fo daß Iehterer im Jahr 1689 auf 
das dreifache des Kapitals, nämlich auf 1170 fl. angelaufen war. Die 
bedeutendfte Schuld aber, die im dreißigjährigen Kriege, und zwar zu 
verfchiedenen Malen in Poſten von 400, 1200, 1000, 800, 400 und 
500 fl. (vergl. Bürgermeifterrechnung von 1684) gemacht wurde, war 
die ans Klofter Frauenalb. Sie betrug alio im Ganzen 4300 fl., 
eine für jene Zeit fehr große Summe, Auch bier bäuften ſich die 
Binsrücftände fo an, daß fie nach und nach fait die Höhe des Kapitals 
erreichten. Schon 1662 wurde deshalb zwifchen den beiden Theilen 
unterhandelt; allein die Vorichläge der Stadt, weldye gänzlichen Nach— 
laß der alten Zinſen, Herabſetzung des Kapitald und der neuen Zinſen, 
legterer auf 1/,, höchſtens 1/, ihres Betrages verlangte, fagten dem 
Klofter nicht zu. Doc fcheint man ſich wegen der Zinſen verftändigt 
zu haben. Aber vom Jahr 1677 an wurde wieder fein Kreuzer Zins 
bezahlt, bis ſich endlich 1717 die Stadt mit dem Klofter abfand, indem 
fie diefen für Kapital und rückſtändigen Zinfen, welche die doppelte 
Höhe des Kapitals erreicht hatten, die Summe von 2300 fl. in drei 
Terminen abzuzahlen fich verpflichtete. In welcher Weife dies geſchah, 
wird weiter unten erzählt werden. — Wie hier, fo wurde viele Jahre 
lang an den dem Almojen jchuldigen 290 fl. nichts bezahlt. Eine 
andere Schuld war durch Zinsrüdftände auf 949 fl. 17 kr. angewachſen. 
So könnten noch verichiedene andere Schuldpoften angeführt werden, von 
denen die Stadt nicht einmal die Zinſen bezahlen konnte, von der Til 
gung der Schuld felbft gar nicht zu reden. (1670 verlangte ein 
Herr von Sperberiet 300 fl. von der Stadt, die fie ihm, von feiner 


478 Fünfzehntes Kapitel. Piorzbeim von 1648-1688, 


Schwiegermutter Elsbeth von Leutrum berrübrend, ſchulde; Ludwig Eher: 
hardt, Friedrich Jakob und Heinrich von Reiſchach fordern 1676 100 
fl. von der Stadt, der Rektor Bulyowsky in Durlach 1679 300 fl. 
u. ſ. mw.) Nicht beffer als den andern Gläubigern ging e8 der Herr: 
haft, die der Stadt audy mehrfach mit Geldvorjhüflen aus ber Ver: 
legenbeit gebolfen hatte, jo 1661 mit 1000 Reichsthalern zur Anſchaf— 
fung von Brodfrüdten. Auf eine Mahnung, welche deshalb 1672 
erfolgte, wurde eine Supplit an den Fürften beichloffen, und als bie 
Mabnung 1673 wiederholt wurde, gab die Stadt den einfadyen Be: 
ſcheid: Man folle Geduld haben. Als 1679 die erwähnte Summe 
nochmals zurücverlangt wurde, fo erfolgte die Erklärung: Da die 
Stadt fein Geld habe, jo wolle man die fehuldigen 1000 Reichsthaler 
an den 3000 Gulden, welche die Herrſchaft der Stadt ſchulde, abziehen. 
Erſt 1730 wurde bei einer allgemeinen Abrechnung zwiſchen der Stadt 
und der Herrichaft auch diefe Angelegenheit geregelt. — Zu einem An- 
lehen von 300 fl., welches 1663 gemacht wurde, mußte der Bürger: 
meifter Georg Weeber feinen Namen hergeben, wahrjcheinlich, weil die 
Stadt jelbft zu wenig Kredit hatte. DBom Jahr 1672 findet fih im 
Ratheprotofoll eine bittere Klage Über die „allzufchweren Schulden“ ber 
Stadt. Leider vereitelten ſowohl der Inremburgifche, als in noch höherm 
Grade der orleans'ſche Krieg alle Bemühungen, mehr Ordnung in die 
zerrütteten Finanzen der Stadt zu bringen, und erjt dem folgenden 
Jahrhundert war es vorbehalten, wieder beſſere Verhältniſſe herbei: 
zuführen, 

Es möge in diefem Abfchnitt endlih auch noch der Schulen in 
Pforzheim erwähnt werden. Wir finden dafelbft wie früher eine latei— 
nifche und eine deutſche Schule. Bon erfterer ift ſchon mehrfach 
die Mede geweſen. In dem Zeitraum, deſſen Schilderung die Aufgabe 
diefes Abſchnittes ift, zählte diefe Anftalt 3 Lehrer. Rektor oder Prae- 
ceptor primarius war 1638 — 1654 Albrecht Herold; auf ihn folgte 
bis 1668 Georg Rumpler, von da an durch eine lange Reihe von 
Jahren hindurch Sebaftian Kempf. (Er lebte noch 1698, wird aber 
dert emer. praeceptor primarius genannt.) Ihm folgte Barthol. 
Mayer. Der Rektor bekleidete zugleich die Stelle eines Kantors in 
der Stadtkirche. (Wegen Kränklichkeit desfelben wurde letztere Stelle 
1683 dem deutſchen Schulmeifter Probſthan übertragen.) Die Stelle 
des zweiten Lehrers oder des praeceptoris secundae elassis, ſowie des 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688, 479 


dritten, ber bald Präceptor, bald Proviſor heißt, befleideten in der Zeit 
von 1650 bis 1690: Lorenz Mäulin, Joh. Friedr. Eradt, Martin 
Mauritii (1680, kam 1721 wieder als Pfarrer nach Pforzheim), ob. 
Id. Rothenbach, Job. Friedrich Frau, Anton Mannhart. Ueber bie 
innern Verhältniſſe diefer gelehrten Mittelfchule, die den Rang wie früher 
längft nicht mehr einnahm, vermag ich nichts Befonderes anzugeben. 
Sie entjprachen jedenfalls denen anderer ähnlicher Anftalten. Die 
Schüler konnten ſchon mit dem 6. oder 7. Lebensjahre in die Schule 
eintreten und mußten in jeder Klaſſe 2, auch 3 Jahre zubringen. 1) 
Der Hanptunterrichtsgegenftand war natürlich die Iateinifche Sprache, 
mit welcher ſchon im der unterften Klaſſe der Anfang gemacht wurde. 
Bejonderer Pflege durfte ſich auch der Gefang erfreuen, und wurde zu 
dem Ende 1638 ein eigenes Pofitiv, das gerade zu haben war, um 
8 Thaler angefhafft. Wie gewöhnlich mußte dazu eine der Stiftungen 
herhalten. Aus den nämlichen Mitteln wurden aud) die Prämien bes 
ftritten, die ſeit 1683 alljährlich beim Schülerfeft auf dem Rennfeld 
(fiehe unten) an die Zöglinge der Tateinifhen Schule ausgetheilt wur 
ben. Sie betrugen für jeden Schüler der unterften Klaſſe d, der mitt- 
leren 8, der oberften 15 Kreuzer. Denjenigen jungen Leuten, welde 
ihre Studien weiter fortjegen wollten, kamen natürlich die vorbandenen 
Etipendien ſehr zu ftatten. So erhielt 3. B. Bechthold Deimling, der 
Sohn des Bürgermeifters, in den Jahren 1664—73 aus dem Geiger’ 
[hen Stipendium im Ganzen 280 fl., Lukas May, Sohn des Pfarrers 
May in Baufclott, der anfangs auf dem Gymnaſium in Durlach war, 
Ipäter in Wittenberg ftudirte, in den Jahren 1664-1676 im Ganzen 
440 fl. Als weitere Geiger'ſchen Stipendiaten werden genannt: Lukas 
Krenkel (90 fl.), Fried. Dages (150 fl.); als Fontelinſſche Stipen- 
diaten: Hans Joachim Kiefer (90 fl.), Ib. Kauſchelmann (20 fl.), 
Wilhelm Walter (24 fl. 45 kr., ftub. zu Straßburg), Sch. Burkhardt 
Mögling (233 fl. 174, kr.); als Rohr'ſche Stipendiaten: Joh. Fleiſch— 
mann (200 fi.), Elias Niethammer (80 fl.), Joh. Burkhardt Niethams 
mer (400 fl.), Kleinöl, Pfarrers Sohn zu Stein AW fl., ſtud. zu 
Wittenberg), Joh. Burkhardt Mögling (28 fi. 56 ir.), Ernſt Friede, 


') Bergl. biezu: Vierordt, Gefchichte der Mittelfchufe zu Durlach 
(und Karlsruhe), Beilage zum Karlsruher Lyzeumsprogramm für 1858, 


480 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 


Zidwolf (20 fl.) ꝛc. Aus diefen Stipendien wurde aud das Schulgeld 
für arme Kinder beftritten. ) — 

Die deutihe Schule theilte fih in eine Knaben: und eine 
Mädchenſchule. „Bubenichuelmeijter” war bis 1679 Georg Ed: 
bardt, auf ihm folgte bis 1692 Mathäus Probſthan, dem in diefem 
Sabre N. Erad nachfolgte. Die Stelle des „Mägdleinsſchuelmeiſters“ 
beffeidete von 1665 — 1675 Job. Jak Kauſchelmann, nah ihm, aber 
nur kurze Zeit, Friedrich Menzing, der vorher Schulmeifter in Stein 
geweſen; ihm folgte Math, Probſthan, und als diefer zum Knabenſchul—⸗ 
meifter befördert wurde, 1680 Benedikt Niethammer. Die Knabenſchule 
beitand viel früher als die Mädchenjchule, und wenn in ältern Schrift: 
ftüden von „dem teutſchen Schuelmeiſter“ die Rede ift, jo ift darunter 
der Knabenlehrer zu verftehen. Diefer bezog aus der Stadtkaffe einen 
firen Gehalt von jährlihen 3 fl. AD kr., der indefjen fpäter auf 15 fl. 
erhöht wurde, erhielt freie Wohnung und freies Holz und bezog über: 
dies das Schulgeld. Der Mädchenlehrer war bloß auf letzteres ange: 
wiejen und hatte weder freie Wohnung noch Holz anzufpreden. Doch 
wurden ihm 1665 und 1666 auf fein Anfuchen je 3 Kiafter Holz 
bewilligt, „obgleich das fonjt nie geſchehen“, er mußte aber das Holz 
jelber im Walde holen laſſen. Für die Schulen mußte die Stadt 
natürlih das Holz auch Tiefern. Die lateiniſche Schule erhielt jährlich 
151/, Klafter, wovon die Huchenfelder 8 frohndweis führen mußten, 
und 200 Wellen. Zur Knabenichule Famen 20 Klafter (7 für Huchen— 
feld) und 200 Wellen, und zur Mädchenſchule 12 Klafter, wovon die 
Huchenfelder abermals 41/, Rlafter führen mußten. Dev Fuhrlohn für 
das Klafter betrug 28 bis 30 Kreuzer. Wie viel das Schulgeld aus- 
machte, kann ich nicht angeben; da indeffen dasfelbe 1690 wegen des 
Krieges auf monatlich 5 Kreuzer, aljo jührlid, einen Gulden herabgefegt 
wurde, jo geht daraus hervor, daß e8 vorher höher war, aljo verhältnigmäßig 
viel mehr betrug, als in jeßiger Zeit. Wie oben ſchon bemerkt, wurde 
das Schulgeld für arme Kinder aus den Stiftungen, theilweiſe auch aus 
dem Almofen bezahlt. So beftritt die Geigerihe Stiftung 1632 das 
Schulgeld für 6 arme Knaben, das Almoſen für 7 arme Mädchen, 
für andere Knaben das Fontelin'ſchen Stipendium, und die Schulbücher 


") 1665 wird auch noch eines „Gößlin'ſchen“ Stipendiume erwähnt. 
Näheres über dasfelbe weiß ich indefien nicht anzugeben, 


Fünſzehntes Kapitel, Pforzheim von 1643- 1688. 481 


wurden ihnen aus dem Rohr'ſchen Stipendium angeſchafft. Obgleich 
das Einkommen der Lehrer für jene Zeit nidyt unbedeutend genannt 
werden kann, jo betrieben fie dod neben dem Schuldienſt meiſtens noch 
ein anderes Geſchäft. Der Mädcenichulmeiiter Menzing war zugleich 
Tuchmacher, fein Nachfolger Niethammer Tucicheerer, und der Knaben: 
fchulmeifter Probjtban war 1655 fogar Zunftmeiiter der Tuchmacher 
und Schneider. Doch ließen Letzterm Schuldienft und Handwerk noch 
Zeit zu Privatſtunden, die beionders von Mädchen bejucht wurden, 
weshalb manche derjelben gar nicht in die Schule gingen. Dies hatte 
16892 mehrfache Klagen des Mädchenſchulmeiſters Niethammer zur Folge. 
Es wurde darauf bin dem Probſthan die Privatinformation der Mäd— 
hen unterfagt, und den Eltern befohlen, diefelben bei Strafe von 9 
Schilling Pfennig, die im Fall Ungehorſams verdoppelt werden follte, 
pünktlich in die Schule zu ſchicken. Im Jahre 1688 wurde jedoch 
dieſelbe Klage wiederholt, worauf Probſthan erwiderte, daß er 1682 
dem erhaltenen Befehl zwar Folge geleiſtet, aber nachher, weil Niet— 
hammer keine Privatſtunden gebe, vom Spezial Weiniger und ſeither 
auch vom jetzigen Spezial (Summer) die Erlaubniß erhalten babe, 
Mädchen in Privatinformation zu nehmen. Es fei bekannt, wie „übel 
er (Niethammer) die Kinder traktire.“ Probſthan wurde hierauf bes 
deutet, feinen Anlaß zur Klage mehr zu geben, 1) indem man fonft 
ſtrengſtens gegen ihn verfahren werde, Man fieht hieraus, daß das, 
follegialifche Einvernehmen der beiden Herren nicht das befte war. Doch 
hatten fie fi zu gemeinfchaftliher Klage vereinigt, als es 1680 einem 
Schmied, Hans Georg Wagner, einfiel, eine Privatſchule zu errichten, 
was demfelben ſogleich unterfagt wurde. 

Das Präfentationsrecht der beiden Schulftellen beſaß die Stadt. ?) 
Zur Schulmeifterswahl verfammelten ſich auf erfolgten Bericht fürft- 
lihen Kircenratbs die Beamten, der Spezial, der Bürgermeifter und 
die Mitglieder Gerichts und Raths. Vor feinem Dienftantritt mußte 
der Schulmeiſter folgenden Eid ſchwören: „hr follet mit Treuen ges 

1) Das Verbot, daß der Knabenichulmeifter den Mädchen feine Privat: 
flunden geben dürfe, wurde jogar 1715 wieder erneuert, 

2) Dies war auch bei den beiden Diafonatäftellen der Fall. Als 1690 
Konrad Stattmann am des verflorbenen Diafonus Fleiſchmann Stelle berufen 
werben fellte, notirten Gericht und Rath im alsbald abgebaltener Sitzung, 
daß er ſehr beliebig ſei. Die Zunftmeifter wurden aufgefordert, ihre 
Suffragia (Wahlſtimmen) bei der Stadiſchreiberei anzubringen. 

Pflüger, Pforzheim, 31 


482 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 


loben und zu Gott dem Allmächtigen ſchwören, unferm gnädigften 
Herrn und der Stadt Pforzheim getreu und hold zu fein, ihren Nutzen 
und Frommen zu fchaffen und vor Schaden zu warnen, ihren Geboten 
und Berboten, jo viel euch als Schulmeiiter gebühret, gehorfam zu fein, 
der Vürger und Fremden Kinder, jung und alt, arm und reich, nad) 
Euerm beiten Verftändnif und ihrem Nuten zu jeder Gelegenheit im 
Künften, guten Sitten und Tugenden nach der reinen evangeliſch-luthe— 
riichen Religion mit ganzen Treuen zu Ichren und zu untermeifen, auch 
ſchaffen nah Euerm Vermögen, daß fie nelchret und untertwiefen werden, 
deshalb auch Eure Ordnung, die Euch gegeben, fleißig zu vollziehen 
und darin Feine merkliche Nenderung zu tbun, ohne Wiſſen und Willen 
eines Bürgermeifters und Raths — ohne alle Geſährde.“ Die Ent: 
lafjung eines Lehrers Tonnte jedoch nur mit fürftliher Genehmigung 
erfolgen. Als im Jahr 1679 die Schule des Knabenſchulmeiſters 
Eckhardt im Eramen ſchlecht beftand, wurde der Megterung der Vor: 
schlag gemacht, deſſen Stelle mit dem Mäschenfchulmeifter Probfthan 
zu beſetzen und fir die Mädchen einen andern Lehrer anzuftellen, was 
Beides bald darauf geſchah. Als 1675 der Mädchenſchullehrer Kau— 
ſchelmann befchuldigt wurde, daß er „Itatt fchuldigen eremplariichen Lebens 
ſehr unchriſtlich und Teichtfertig lebe und fidy nicht fchene, aus dem 
berrfchaftlichen Haus ein Sauf und Yubderbaus zu machen, ja mit 
dem Schinder Tag umd Nacht zu freſſen“, fo wurde er „abgeichafft”, 
und feine Stelle durch den bereits erwähnten Menzing befett. Es 
reichten jedoch auch ſchon minder erhebliche Anläffe bin, eine ſolche 
Mapregel berbeisuführen. Als 16897 der Mädcenjchulmeifter Niet: 
hammer über die Verordnung des Spezials, daß er am Nachmarft 
Schule halten felle, feine Unzufriedenheit äußerte und die Bemerkung 
machte, daR es noch nie der Brauch geweſen jei, am Roß- und Nadı: 
marft Schule zu halten, der Spezial könne ihm nicht abſetzen, auch 
befümmere ev fich nichts darum u. dgl. m., — da erhielt er die Wei: 
fung, fid) des Schuldienftes bis auf anderweitige Verfügung zu enthal— 
ten. (Schon 1694 war den Lehrern bedeutet worden, daß fie ohne 
Erlaubniß des Spezials Leine Ferien macen dürften.) Er wurde jedoch 
nach 3 Wochen auf fein Bitten wieder angenommen, jedoch unter ber 
Bedingung, daß er die Kinder nicht mehr fo hart behandeln jolle. 
Schon das Jahr vorher hatte er nämlich wegen Mißhandlung der 
Kinder einen Verweis bekommen, ebenfo der Knabenſchulmeiſter Probſthan. 


Fünfzehntes Kapitel. Piorzbeim won 1648 - 1688, 483 


Außer den obligaten „Prügeln“ wird umter den Strafmitteln der 
Schule auch des Eſels erwähnt, Im Jahr 1683 wurden nämlich für 
diefelbe 3 Täfelein angejchafft, welche bei Maler, Schreiner und Sattler 
1 Gulden fofteten und weronf Ejel gemalt waren, Diefe Täfelchen 
wurden mit Niemen auf den Rücken des zu Gtrafenden gebunden und 
andere weniger Schuldige mußten bie „Zipfeln“ halten, In der bald 
nad dem orleans'ſchen Kriege gegründeten Waifenhausichule wurde der 
Efel auf eine befondere Tafel von der Größe einer Kommode gemalt 
und dabei der Spruch angebradit: 

Wer nicht leınen will 

Und nur Faulheit ſchwitzen, 

Der muß an diefe Tafel 

Zu dem Eſel figen. 
Trotz dieſer Diziplinarmittel, die in Verbindung mit noch manchen 
andern häufig genug angewendet worden ſein mögen, wurden 1679 
Klagen laut über ſchlechte Zucht in der Stadtſchule, ſchlechten Geſang 
in Kirche und Schule und Muthwillen und Verſäumen des Gottes— 
dienſtes durch die Schuljugend. Um dieſen Mißſtänden zu begegnen, 
erhielten die Diakonen die Weiſung, die Schulen fleißiger zu beſuchen 
und den Lehrern der lateiniſchen ſowohl, als der deutſchen Schule 
wurde ſtreng eingeſchärft, beſſere Ordnung zu halten und im Nothfall 
zu berichten. 

Der Schulunterricht ſelbſt war ziemlich einfach. Er umfaßte nur 
Religion, Leſen und Schreiben, Das Rechnen wurde zwar aud 
gelehrt, war aber Fein obligater Unterrichtsgegenftand. Diejenigen 
Bürger, die ihre Mädchen im Rechnen informiren Taffen wollten, muß: 
ten fogar vom Spezial zuerft Erlaubniß dazu einholen. Die Schul 
büder, die damals in den Pforzheimer Schulen gebraucht wurden, 
, waren: der Sirach, der luther'ſche Katechismus und ein Geſangbüch— 
sein mit den Evangelien (d. h. den Beritopen). Obwohl die Pforz⸗ 
heimer Stadtichulen damals befier, als die meiften auf dem Land ges 
weien fein mögen, fo Fam es doch noch häufig vor, daß ſelbſt Bürger 
nicht die geringften Schulfenntnifie befaßen. Als am 9. Sanuar 1665 
der Motdgerber Wendel Eberlin zum Sumftmeiter gewählt wurde, 
wollte er die Wahl damit ablehnen, daß er erklärte, weder Iefen noch 
ſchreiben zu können. Der Rath, an den die Sache kam, ertheilte ihm 
jedoch den Beſcheid, daß er die Wahl annehmen müſſe, EN 


484 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688, 


GSefellen babe, der Beides verſtände. Beffer als früher waren bie 
Schufen vor dem orleans’fchen Krieg beftelt, hauptſächlich durch die 
Bemühungen des Speziald Nummer, fo daß, wie er jelbft jagt, „feine 
Bürgerskinder gefunden wurden, die nicht hätten beten und fingen, leſen 
und fchreiben können.“ 1) 

Eine ſchöne Einrichtung waren die Schülerfefte, die alljährlich und 
zwar in einem der Sommermonate auf dem Mennfeld gehalten wurden. 
Es ift derfelben namentlid in den Jahren 1652 und 1684 erwähnt. 
Säimmtlihe Schüler und Schülerimmen zogen unter Mufifbegleitung, 
mit Fahnen und Kränzen gefhmüdt, auf das Nennfeld hinaus, wo 
Zelte und Laubhütten aufgefchlagen waren. Dort ergößte fih die 
Jugend nicht nur am allerlei Spielen, ſondern wurde auch auf öffent: 
liche Koften jo reichlich bewirtbet, daß letztere 1684 fich beifpielmeife 
auf 63 fl. 12 fr. beliefen. Daß bei diefen Feſten an die Zöglinge 
ber Inteinifchen Schule auch Prämien ausgetbeilt wurden, ift oben ſchon 
erwähnt worden. 

Es mag fchlieglih bier auch noch des Urganiftendienftes gedacht 
werden. Derjelbe wurde von feinem der ftädtifchen Lehrer, fondern von 
1658 an von Hans Kaſpar Dürr verfehen, dem fpäter dazu auch noch 
die Stelle eines Zollers übertragen wurde, fo daß er 1674 Zoller 
und Drganift genannt wird, Er bezog als Organift aus der Stadt- 
kaſſe einen jährlichen Gehalt von 10 Gulden. 


Wie in den frühern Kapiteln, jo mögen auch bier diejenigen noch 
blühenden Bürgerfamilien verzeichnet werden, deren im 17. Jahrhundert 
zum erften Mal Erwähnung geichieht. 2) Es kommen vor: Georg 
Wendel Autenrietb, Rothgerber 1640, Job. Barthold, Apotheker 
1624, Jakob Breidt 1611, Georg Brenner, Mebger 1615, Georg 
Bronner 1608, Hans Jakob Bürger, Kübler 1625, Hans 
Eſſig 1615, Hans Fegert, Küfer 1650, Hans Friedrich Fühner, 
Bäder 1628, Andreas Fuchs, Stadtfchlofier 1634, Beneditt Günther 
1642, Hans Jakob Heiſch 1685, Jakob Herrmakn von Dürrn 
1604, Hans Georg Hohweiler 1678, Hans Konrad Holzhauer 


) Schriftlicher Abichied flatt einer Valetpredigt von Kummer, Ulm, 1694. 
2) Bergl. hiezu ©. 133, 164 und 301. 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1648—1688, 48 


1615, Martin Hörter 1608, Konrad Katz, Notbgeber 1625, N. 
Kornmann 1615, Hans Urih Krenkel, Waffenihmied 1636, 
Joachim Leibbrand 1615, Michel Peter Leib 1622, Martin 
Merkle, Glaſer 1615, 9. Merz 1615, Hans Mürrle 1611, 
Hans Georg Neuhäuſer 1698, Hans Georg DOftertag, Bäder 
und Gafjenwirth in der Au 1616, Georg Richter 1611, Kilian 
Rößle, Schreiner 1697, Hans Georg Rühl, Eichmüller 1686, 
Chriſtoph Schall, Küfer 1623, Sebaftian Scheerle 1615, Michel 
Scheuffele 1609, Hans Martin Schnell 1625, Konrad Schober, 
Kürichner um 1600, 1) Hans Georg Schönauer, Hutmacher aus 
Dornftetten 1697, Hans Schwarz 1626, Joſeph Sold 1607, 
Hans Georg Stahl, Wagner 1695, Hans Ulrich Staib 1668, 
Ghriftepp Trautz, Mebger 1607. 


$ 4  Dunft- und Gewerbsverhältniffe. Preife der widtigften 
Lebensbedürfnife. — Maaf, Gewicht ıc. 


Ton welcher Bedeutung früher die Genoſſenſchaften der einzelnen 
Zünfte waren und wie fie neben und oft gegenüber dem Gericht und 
Rath in ihren verfchiedenen Gliederungen die Bürgerichaft vertraten, 
das ift oben ſchon ausführlicher dargeftellt worden. Die Verhältniſſe 
hatten fid) darin wenig geändert. Wie die Zünfte bei entjheidenden 
Fragen oft ein bedeutendes Gewicht in die Wagſchaale legten, haben 
wir beifpielweife bei der Erzählung der Greignifie des Jahres 1643 
gefehen. Zu weldy beftigen Zerwürfniffen eine Weinungsverjchiedenheit 
zwiſchen den ftädtiihen Behörden und den Zünften oder der Bürger: 
haft führen Fonnte, wird unten bei der Gefchichte des Privilegien: 
jtreites ausführlicher gezeigt werben, 

Die alten Zunftordnungen waren größtentheils nod in Straft. 
Ich finde nur vom Jahr 1633 einer neuen Seiler: und 1663 einer 
neuen Müllerorönung erwähnt. Wie die einzelnen Beftimmungen folder 
Zunftordnungen gehandhabt wurden und wie fie dem Aufſchwung der 
Gewerbe, der nach dem verheerenden dreißigjährigen Krieg fo noth— 
wendig geweſen wäre, verrottete Feſſeln anlegten, wie ferner fih nad) 
und nad allerlei Mifbräuche eingefchlihen hatten: von allem Dem 
mögen bier einige Beifpiele folgen. 

9) Nach ihren Familienaufzeihnungen flammen bie Schober aus Siehl: 
mingen bei Stuttgart. 


486 Fünfzehntes Kapitel. Piorzbeim von 1648 —1688, 


Manche Zünfte waren in damaliger Zeit außerordentlich zahl: 
reich vertreten. Im Fahr 1688 befanden fih in Pforzheim 41 
Metzger, 49 Bäder, 23 Notbgerber, 34 Schuhmacher, 16 Krä— 
mer und Wirthe, 38 Zeugmacher und Färber, 18 Tuchmacher, 17 
Weißgerber, 10 Schloſſer, 17 Schmiede und Wagner, 8 Seiler, 9 
Müller, 10 Schreiner, 10 Hafner, 23 Küfer, 19 Hutmader und 
Dreber, 16 Schneider, 27 Goldſchmiede und Glaser, 33 Leineweber, 
8 Sattler, 17 Maurer und Zimmerleute, 55 Flößer. (Die zur Ge: 
fanımtzahl der Bürger von 549 noch Fehlenden waren entweder Ge: 
freite, oder Altjtädter, oder Unzünftige, z. B. Weingärtner, Fuhrleute 
u. f. w) Man fieht bieraus, daß weitaus die meiften Bürger (etwa 
10,,,) Handwerker waren, wodurd ziemlihe Nahrungsloſigkeit entitchen 
mußte, wenn gleich die Stärke einiger Zünfte, 3. B. der Meifgerber, 
Zeugmacher ıc. auf Nechnung der Lebensweife, der Mode und damit des 
Umftandes zu feßen war, daß diejelben ihre Waaren vielfach auch aus— 
wirts abſetzten. Die große Zahl der Meifter erklärt ſich indeß bei 
manden Zünften daraus, daß es nicht geftattet war, mehr als einen 
Gefellen zu halten, und wenn der Meifter auch für mehrere Arbeit 
gehabt hätte. In der Negel aber war berjelbe an beftimmte Kunden 
gebunden, und es hatte Strafe zur Folge, wenn Einer dem Andern 
einen Kunden abwendig machte. Als 1684 ein Küfer einem Mitmeifter 
einen Kunden abfpannte, mußte ev 15 Kreuzer Strafe bezahlen. Bei 
derfelben Zunft durfte Keiner das Handwerk Tedig betreiben. Im 
Jahr 1665 behaupteten die Schneider, es dürfe feit unvordenklichen 
Zeiten fein Jungmeiſter (d. b. der nicht ihen 2 Jahre Meifter fei) 
einen Jungen annehmen, Die Gerber Ulrichs MWittwe mußte 1686 
6 Gulden Etrafe zahlen, weil fie neben ihrem Knecht einen Lehrjungen 
in Arbeit gehabt, was der Ordnung zuwider fei. Diefelbe mußte eine 
weitere Strafe von 1 fl. 12 fr. bezahlen, weil fie in einer Woche 9 
Häute im Schlachthaus gekauft hatte, während nur 3 erlaubt waren, 
Durch folhe und andere Ähnlihe Beftimmungen waren dem LUnterneb: 
mungsgeift und der Spekulation von vornherein hemmende Schranken 
gezogen. War der einzelne Meifter dadurch auf ein kleineres Feld der 
Thätigfeit angemwiefen, fo wurde dasſelbe um fo mehr auch gegen alle 
Vebergriffe forgfältig gebütet, und Klagen wegen Gewerbsbeeinträdh- 
tigungen kamen deshalb ſehr häufig vor. Im Juni 1665 klagte der 
Waffenſchmied Joh. Barthold gegen zwei Dreher, daß fie dur Ver: 


Fünfzehnies Kapitel. Pforzheim von 1613 - 1688 487 


fauf von Sicheln und Senfen ibm und der Zunft Abbruch thäten. 
Im Jahr 1666 kam von den Hafnern Vaibinger Amts eine Klage 
ein, daß die Pforzheimer Hafner ins Württembergifche führen und 
ihnen Abbruch thäten. Zwiſchen den biefigen Zeugmachern und denen 
in Calw entftanden in Folge derartiger gegenfeitiger Vorhalte ſolche 
Zerwürfnifie, daß die Meifter in letzterer Stadt den Beſchluß faßten, 
es dürfe fein Zeugmachergeſelle mehr in Pforzheim ſchlafen oder arbei- 
ten, er würde denn geſtraft, — und daß den Piorzbeimer Mleiftern 
jogar der Vorwurf gemacht wurde, fie feien nicht jo ehrlich, wie die in 
Calw. 1673 beflagten ſich die Mebger, daß das fürftliche Dekret, 
nach weldem außer den Juden Niemand anders als die Mebger 
Fleiſch aushauen dürften, ſehr oft übertreten werde, was für fie um 
fo nadıtbeiliger fei, als fie mit dem Banking und dem Poſtreiten 
große Koften hätten. (Der Bankzing bezog fih auf die Abgabe, die 
jeder Mebger für feine Fleiſchbank im der gemeinfchaftliden Metzig zu 
entrichten hatte. Das oftreiten war ein altes Zervitut, das ber 
Mebgerzunit oblag und dem die einzelnen Meifter der Reihe nad) 
nachfommen mußten, und zwar natürlich mit eigenen Pferden, die ge: 
wöhnlich jeder Metzger befaß. Im orleans'ſchen Krieg begegnen wir 
indefien 1694 einer Klage der Metzger, daß fie die Poſtritte nicht 
mehr thun könnten, weil fie feine Pferde mehr hätten oder diefe uns 
tauglich feien. Die Berpflichtung des Poftreitens durch die Metzger 
bat fi) indek da und dort bis auf die neuere Zeit erhalten.) 1662 
führten die Notbgerber wegen des Schaugeldes (jedes Handwerk hatte 
befanntlich feine „Schauer“, welche fi) von der Preistwürdigfeit der 
Waaren überzeugen mußten), der Steigerung der Rindenpreife, insbes 
fondere aber wegen der „miederfändifchen Gerberei“, welche die Herr: 
ſchaft in Pforzheim errichtet habe, Bittere Klage. Letztere hätte allen 
Zugang, wodurch ihnen ihre Kunden verloren gingen, wesbalb ſie 
dringend um Xenderung bitten müßten. Darauf ward ihnen folgender 
Beſcheid: Es feie dem Handwerk wohl bekannt, wie ſich die fürftlichen 
Räthe und das Amt bemüht Hätten, fie dahin zu bringen, ihre Gerbe- 
rei nach maeſtrichter oder niederländiſcher Art einzurichten, wobei ihnen 
durch Geld und andere Weife geholfen worden wäre, wie fie ſich aber 
widerſpenſtig gezeigt; ferner, wie deffenungeachtet, als hen die nieder: 
ländiſche Gierberei bei der Hand geweien, der Fürft ihnen erlaubt, mit 
in diefe Gerberei einzutreten und fie auch dies ausgefchlagen hätten, — 


488 Flinfzebntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688. 


Bei fo bewandten Umſtänden hätten es nun freilich die Gerber ſich 
felber und ihrem igenfinn zuaufchreiben, wenn fie durch die neue, 
jedenfalls vortheilhaftere Einrichtung in Schaden Fümen, 

Daß die Herrfchaft ſich auch im noch andere gewerbliche Unter: 
nehmungen und den damit verbundenen Handelsbetrieb einließ, ift ſchon 
mehrfach angedeutet werden, und die Konkurrenz, welche dadurd) für 
die Senoffen der einen oder andern Zunft entitand, gab zu mancher 
Beſchwerde Veranlaſſung. In Verbindung mit der cben erwähnten 
Gerberei betrieb die Herrſchaft eine eigene Leder: und Zeugbandlung, 
und wurde dazu das jogenannte „Landichaftshbaus” im der Bröbinger 
Gaſſe (fiche S. 459) verwendet. Mit Bejorgung derfelben war ein 
eigener Handlungsverwalter beanftragt, der 16850 Hans Georg Leib: 
fein ®) biek und dem damald ein Buchhalter in der Perfon eines 
Mathäus Schub beigegeben war. Schon 1677 war für dieſe Hand— 
fung von fürftlicher Herrſchaft auch ein befonderer „Handlungsmangen“ 
und Fuhrmann mit einem Gehalt von 100 Gulden nebft freier Woh— 
mung und Holz angeftellt worden — Im Jahr 1654 ließ die Herr: 
ichaft außerhalb der Bröginger Borftadt einen Schmelzofen und 1678 
dazu eine Hammerfhmicde bauen, gab aber Beides in Pacht. Be: 
ftänder oder Nömodiator war 1687 eh. Kriedr. Sahler. (Derjelbe ließ 
in diefem Jahr am Eiſinger Weg nad Erz graben, verdarb aber dieſen 
fo, daß er verffagt wurde.) Nach Sahler übernahmen den Pacht auf 
gemeinſchaftliche Rechnung Johann Heinrih Maier und Johann Jakob 
Hoff. — Außer diefem berrfchaftlihen Ctabliffement geſchieht 1673 
auch einer durch Michel Badımann in der Nähe der Schießhütte er: 
richteten Pulvermühle Erwähnung. Der Unternebmer hatte fih er: 
boten, für bie Erlaubniß dazu der Stadt jährlich 11/, Centner Pulver 
zu liefern. Ebenſo finden wir, daß 1663 der Obervogt und Oberft: 
leutnant Tob. Scheidler die Erlaubniß erhielt, an der Mürm einen 
Kupferbammer, cine Rohrſchmiede und eine Sägmühle bauen zu 
dürfen. Das Bauholz dazu befam er unentgeldlich, und er durfte auch 
alle auf fein Werk gebenden Waaren zollfrei einführen. 

Um wieder auf die Zünfte oder die verfchiedenen Handwerke zu: 
rüdzufommen, die damals in Pforzheim vertreten waren, fo find die 


1) Der Grabftein der Fran desfelben, Anna Barbara, geb, Grünewald 
(tr 1680) befindet ſich auf der Südfeite der Friedhofkapelle. 


Fünfzehntes Kapitel. Piorzheim von 1643-1688 489 


zünftigen Gewerbe oben beim Jahr 1643 (©. 427 fi.) chen ange: 
führt worden, Natürlich fehlte es auch an anzünftigen nicht. Dahin gehörte 
beiipielmweife das der Buchbinder. Ein folder war 1680 in Porz: 
heim nicht vorhanden, weshalb ein biefiger Bürger um die Erlaubniß 
eintam, am Jahrmarkt Bücher verkaufen zu dürfen, weil ja „kein Buch— 
binder bier fer.“ 1684 ift jedoch bereits eines Buchbinders erwähnt, 
und 1686 erlangte abermals ein „Buchhändler und VBuchbinder” das 
Bürgerrebt. — 1684 batte fich in Pforzheim auch ein „Tabakmacher“ 
niebergelafien. Wir werden auf das edle Schmauchkraut, das derfelbe 
verarbeitete, fpäter noch einmal zu fpredhen kommen. 

Noch vorhandene alte ZJunftrechnungen und fonftige Quellen be: 
weifen, daß auch bei den Zünften, wie im ftädtifchen Haushalt, der 
„Trunk“ eine große Nolle fpielte, Als im Jahr 1673 die Gerber: 
zunft eine neue Lohmühle bauen ließ, fo gingen für einen Trunk darauf: 

Zimmermann ob. Gerhardt und 2 Geſellen. . . — fl. 40 fi. 
Zwei Zunftmeifter, Waldſchütz und Zimmermann beim 

Buchenaugzeichnen im Wald . . 2. 2 2 2. Auen 

Zimmermann und Säger . . . — „ 48, 


Büchenbronner Bauer, der die Eiche zum ——— 

bergefühtt. . . . I, —u 
Zehrung für das — Sandtverferperfonal — 

Vollendung der Lobmühle. . . . a —— 


Da nun zu jener Zeit die Maag Mein nur 4 bis 5 Kreuzer koſtete, 
fo läßt fi) aus obigen Anſätzen entnehmen, welche durftige Keblen 
die Theilnehmer an einem felden Trunk in der Negel zu demfelben 
mitbrachten. Als bei der nämlihen Zunft 1662 bei Stellung der 
Rechnung ein Trunk gethan wurde, verzehrten der Subſtitut und beide 
Zunftmeifter zufammen 1 fl. 30 fr. Wurde ein nener Meifter in die 
Zunft aufgenommen, fo mußte er feinen Zunftgenoſſen mindeftens ein 
Viertel (6 Maaß) Wein bezahlen. Gleiches geſchah durch die Betref— 
fenden beim Antritt der Lehrzeit und der Gefellenjahre. Als 1665 
die Gerber einen neuen Zunftmeifter wählten, wollte derfelbe die Wahl 
nicht annehmen und erbot ſich, dafür ein Viertel Wein zu zahlen. Es 
wurden aber 11/, Biertel verlangt. Als 1665 ein Schneider wegen 
ungebührliher Reden von dem Handwerk geftraft werden follte, fo 
weigerte er fih, den Betrag zu bezahlen, weil die Strafen doch alle ver: 
trunfen würden. Die Zunft erhält deswegen bie Auflage, ein Ber: 


490 Fünfzſehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1633. 


zeihnig der trafen einzureichen. Im Auguſt 1672 tranken zwei 
Männer im Vorübergehen in der Kante 2 Maaß Wein ꝛc. 

Auch über die Höhe der Arbeitslöhne damaliger Zeit geben die 
Quellen, die bei diefen Auseinanderfeßungen benügt worden find, einigen 
Aufſchluß. Im Jahr 1673 wurde feſtgeſetzt, daß ein Schneider für 
Anfertigung eines Nodes nicht mehr als 4 Batzen fordern dürfe. 1696 
wurde der Flickerlohn für ein Paar Mannsihuhe auf 5 Kreuzer und 
für ein Paar Weiberfchube atıf 4 Kreuzer feftgefcht. Im Fahr 1698 
winde folgende amtlihe Webertare gemacht: 1 Pfund werfen Garn 
gibt 7 Viertel bis 2 Elien Tuch, koſtet die Elle zu weben 11/,—2 
Kreuzer; 1 Pfd. Hänfenes Garn gibt 21, —3 Ellen, koſtet die Elle 
2 Kreuzer; 1 Pfd. flächſenes Garn gibt 31/,—5Y, Ellen, koſtet bie 
Elle nad Umftänden 21/,—41/, Kreuzer. Gin Zimmermeifter arbeitete 
mit Gefellen 1663 1/, Tag an der Nindenmühle der Gerber, erhielt 
Fohn 16 Kreuzer. Im Jahr 1653 wurde ein Theil der Studt neu 
gepflaftert und erhielten die Pfläfterer für das Klafter 16 Kreuzer 
(nämlich für das Beifchaffen der Steine und den Arbeitslohn). Die 
Feldmeſſer befamen 1665 für ihre Arbeit vom Morgen 20 Kreuzer, für 
das Sehen eines Markiteines + Kreuzer, (Auf fürſtlichen Befehl muß: 
ten diefelben 2 Mal im Jahr herumgehen und Alles befichtigen.) Für 
die Raminfeger wurde 1673 eine Taxe von 46 Kreuzern (ſehr viel!) 
für das Kamin feſtgeſetzt. Als 1665 ein Theil der Stadtmauer ein: 
fiel, wurde mit den Maurern bebufs der Wiederberitellung derjelben 
auf 2 fl. 7'/, Kreuzer das Klafter affordirt. (S. 451.) Ein Maler 
erhielt 1697 dafür, daß er das herrichaftliche und das ftädtifche Wappen 
auf zwei neuangeichafften Trommeln angebracht hatte, 1 fl. 30 kr. 
Ein Baar Strümpfe zu jtriden Poftete damals 4 bis 5 fr. u. f. w. 

Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß diefe Arbeitslöhne zu 
den Preifen dev wichtigften Yebensbedürfnijie, fowie der Häuſer und des 
Grundeigentbums überhaupt im Verhältniß ftanden. Es mögen diefe 
Preife hier angegeben werden: 1. Frucht und Brod. Im Jahr 
1667 war die Frucht fo wohlfeil, daß für das Simri Kernen nicht 
mehr als 13—16 Kreuzer bezahlt wurde. Der Laib Kernenbrod zu 
4 Kreuzer wog 5 Pfund, der Kreuzerfemmel 25 Loth, der 1/, Kreu— 
zer: oder fogemannte Straßburger Semmel 14 Loth, Am Jahr 1679 
berrfchte dagegen große Theurung. Das Simi Kernen galt bis zu 
45 Kreuzer, der Bapenlaib wog nur 21/, Pfund, und der Kreuzer: 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1648— 1688. 491 


femmel 11 Loth. — 2. Fleiſch. Im März 1667 galten 2 Pfund 
Rindfleiſch 51/, Kreuz, das Pfd. Kalbfleiſch 21/, fr, im März 1676 
das Pfund Ochſenfleiſch 3—31/, kr., Kalbfleiſch 3 fr., Schweinefleiid) 
31,—4 ir, im Jahr 1698 das Pfund Fleiſch aller Sorten 4— 41, 
kr. — 3. Wein Im November 1664 Foftete die Maaß neuen 
Weins 5—6 kr., im Oktober 1666 nur 5, im DÖftober 1677 nur 
4—5 kr., — 4 Salz Das Salz war früher ungleich theurer als 
jet, da diefes umentbehrliche Gewürz un hohen Preis aus dem Aus: 
land bezogen werden mußte. Vor dem Jahr 1697 koſtete das Pfd. 
4 fr., nach diefer Zeit 31, tr. — 5. Holz. Im Jahr 1698 wurde 
das Klafter Holz im Hohberg zu 15 fr. verkauft. Um dieſelbe Seit 
wurden im Sculerwald 90 Stämme Eichenholz zu 1 fl. bis 1 fl. 20 
das Stück verfteigert, und aus 100 Stüd Tannen zum Bauen 12 fl, 
zum Flößen aber 24 fl. erlöst. Im November 1673 Tojteten 100 
Tielen 6—7 fl. 1665 wurden eine Partie Zmweiling und Nahen: 
Schenkel durcheinander das 100 um 6 fl. 30 kr. verkauft; 50 Latten 
kofteten 50 Kreuzer. 1663 wurden an die berrichaftliche Korjiverwal: 
tung für 2 Dielen und 2 Echmwarten 2 fr. bezahlt. — 6. Lichter. 
Am Februar 1662 wurde die Tare für das Pfund Yichter wegen 
Mangels daran auf 10 Kreuzer erhöht. — T. Güter: und Häufer: 
preife Sm Sahr 1662 wurden 11/7, Morgen Garten an der ©t. 
Georgsfteige um 30 Gulden, im Juli 1666 41), Morg. Neder um 
150 fl., im Jahr 1667 3, Morg. Rain am Bronnenwörth und 1, 
Ader um 11 fl. 30 kr., im Auguft 1676 ’/, Morg. Wiefen um 21 
Gulden, im Februar 1679 2 Morg. Aecker im Hacdel um 103 fl., 
im Mai desjelben Jahres 2 andere Morgen Aecker um 90 Gulden 
verkauft, im März 1667 wurden 5 Viertel Weinberg am Wartberg 
als Unterpfand für 50 Gulden hingegeben, im Juli 1678 1/, Wiorg. 
Weingarten, ebenfalls am Wartberg, um 12 fl., 1682 1, Morgen 
Wald an der Wurmberger Straße um 15 fl. verkauft. — Im März 
1665 wurde das Trautwein’ihe Haus um 300 Gulden, ein Hausplag, 
Höflein und Garten in der Brötzinger Vorftadt um 54 fl., im Juli 
1676 das Kaufhelmann'ihe Haus um 250 fl., im Auguft 1676 ein 
Häuslein in der Ochſengaſſe um 190 fl., im April 1677 eine halbe 
Behaufung in der Au um 130 fl., 1653 ein Haus in der Kirchgaffe 
um 461/, fl., 1656 die Herberge zum Ochſen um 450 fl., 1662 die 


492 Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648— 1698. 


drei Hänfer von Peter Gößlin am Markt (mo jest A. Schend und 
J. Märcklin) um 1115 Gulden verkauft. 

Zum Schluß mögen zum bejjern Perftändnig des fo eben Mit— 
getheilten auc die Gewiht-, Maaß- und Geldverbältniffe jener Zeit 
berührt werden. Im Gewicht herrſchte fein geringer Durcheinander, 
da man nicht nur im ganzen Yand, fondern ſogar in der nämlichen 
Stadt von einer Gleichheit weit entfernt war. Ws am 23. und 24. 
März 1675 zu Pforzheim eine Gewichtprobe vorgenommen wurde, fo 
zeigte fich im üblichen Gewicht Folgende Vericiedenheit: Vom Gewicht 
in der Frohnwag iſt der Centner 100 Pfd., 1/, Etnr. 50 Pfd., 
4/, Ctur. 25 Pfd. und 1 Pfd. 52 Loth ſchwer; doch vom Kram 
oder Kaufmannsgewicht find 104 Pfund gleih 100 Pfd. in ber 
Frohnwag; ebenfo thun 52 Pfund Kramgewicht 1/, Centner in der 
Frohnwag, und ebenfo find 26 Pfd. Kramgewicht gleich 1/, Etnr. in 
der Frohnwag; und 1 Pd. Kramgewicht, was gleich it 32 Loth in 
der Frohnwag, iſt 33 Loth 1 Quintlein und 10 Gerſtenkorn ſchwer. 
Man ſieht daraus, daß die Herrn Kaufleute im Kleinverkauf nicht zu 
kurz kamen, wenn fie aus dem Gentner 104 Pfund berausbrachten, 
alſo ſich fehon am Gewicht einen Auffchlag von 4 Prozent, oder von 
22/, Kreuzen anf den Gulden erlaubten. Als Grund dafür wurde 
der Pfundzoll (hier alſo Waarenaccis) vorgeſchoben. In ähnlicher 
Meife wußten fih die Metzger zu helfen. Der Gentner, mit welchem 
der Fleiſchwäger wog, hatte 105 Pfund Frohngewicht. Das Mebaer: 
pfund war aber nur 291/, Loth Kaufmannsgewicht fehwer. Auf diefe 
Meife profitirten die Mebger fehen beim Umgeld, und beinahe 8 
Prozent beim Verkauf, alfo im Ganzen über 8 Prozent, oder 
5 Kreuzer auf den Gilden. Das war auch mehr als binreichender 
Erſatz für das Umgeld vom Fleiſch, das die Mebger zu entrichten 
hatten. Noch am 14. Jan, 1714 wurde an die Metzger die Anfrage 
geftellt, ob fie lieber das Umgeld entrichten, oder auf das leichtere 
Gewicht verzichten wollten. Sie erflärten einftimmig, daß fie obne 
Verſtärkung des Gewichts bei dem Fleiſchumgeld verbleiben wollten. 
Beim Feldmaaß war 1 Morgen 100 Ruthen groß. Intereſſant ift 
es, dak im Jahr 1682 der Werfuch gemacht wurde, im ganzen Land 
einerlei Maaß, Gewicht und Elle einzuführen. Der Rath in Porz: 
beim wurde darüber zum Bericht aufgefordert und gab folgenden ' 
Beſcheid, aus dem wir auch Auskunft über die Maaßverhältniſſe erhal: 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 493 


ten, wie fie in Pforzheim damals üblih waren: In Pforzheim Fönne 
man nur fagen, daß man big Dato der alten Polizei und Gerechtig— 
keit nachgegangen und mit der Nachbarſchaft gar füglidy geſtanden; 
man bitte deshalb die Regierung jelbjt um Vorſchlag. In Pforzheim 
fei 1. das Bund zu 32 Loth wie in Württemberg, außer dem Metzger— 
gewicht, weldyes nur 291/, Loth halte, weil die Megger Umgeld von 
Fleiich gäben, was in Durlach nicht gereicht werde; 2. die Elfe jei 
wie zu Durlach; 3. Simri und Viertel feien vermuthlic (1) bier wie 
in Durlach; nur rechne man bier bei rauber Frucht 9, in Durlad) 
aber 10 Simri auf das Malter; 4 in Pforzheim werde das alte 
Schenkmaaß gebraucht, in trüb Eich 13, in lauter Eih 12 Viertel 
anf die Ohm. — Die Negierung wird unter damaligen Verhältniſſen 
mit ihrem Projeft der Maaß- und Gemichtsregulirung nicht weit ge: 
kommen fein. Erſt der neuern Seit war es vorbehalten, darin größere 
Einheit zu erzielen, 

Was das Geld betrifft, jo wurden neben der immer mehr zur 
Geltung fonımenden Gulden: und Kreuzerrehnung die Pfunde, Schil— 
linge und Pfennige noch beibehalten, namentlid) in Strafanfägen, die 
nad der alten Rechnung normirt waren, Bon einzelnen Münzforten 
finde ich Dukaten, Thaler, bayeriſche Montforter, Dreibägner, Halb: 
baten, CS childlinspfennig ꝛc. erwähnt. Von letztern galten 2, von 
1663 an 3 einen Kreuzer. Die marfgräflichen Dreibätner wurden 
1684 auf 10 Kreuzer abgeſchätzt, was der Stadt einen Verluſt von 
16 fl. 26 fr. verurfachte, 


$5. Zur Sittengeſchichte. 


Zur Ergänzung des Bisherigen mögen hier auch einige Züge zu 
einem Sittenbild zuſammengeſtellt werden, ſoweit dies mit Benützung 
der dabei zu Gebot ſtehenden Quellen möglich iſt. Daß in jener Zeit 
die Kirchen zucht noch eine ſehr ſtrenge war, iſt bekannt, und war 
der weltliche Arm zur Unterſtützung der Kirche gern bereit. Beſonders 
eifrig hielt die Geiſtlichkeit auf die äußere Feier des Sonntage, So 
wurde um 1683 verordnet, 1) „daß nicht nur an Sonn-, Feier- und 


1) Schriftlicher Abſchied ftatt einer Valetpredigt von Kirchenrath M. Kume 
mer. Ulm, 4694 (©. 9 ff ) 


494 Fünfzebntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1638, 


Feittagen unter währendem frühen und nachmittägigen Gottesdienft, fons 
dern auch in der Moden zwijchen der reitags= Amts: Predigt alle 
Thore verichloffen, die dazwiſchen aus: oder eimpaffirende Spaziergänger, 
Viehhändler und Fubrleute, Kegelichieber und andere der Sonntage: 
entheiligung verdächtige Leute genau objerviret, die Schlupfwinfel, Heden 
und Wirthshäufer fleißig vifitiret, alle Buben und Kramläden zuge: 
ſchloſſen, und auch ſogar alle diejenigen, fo zwifchen denen Gottes 
Dienften von denen Kirchenrügern nur auf den Gaffen oder vor einem 
Haufe angetroffen würden, unter was Vorwand es auch befchehen fein 
möchte, nur diejenigen, welche nad der Apotheke gehen oder eine 
Hebamme holen wollen, ausgenommen, ohne einiges Anjehen ber Per: 
fon, des Geſchlechtes, Standes oder Alters, gleihbalden anfgezeichnet, 
bei Math und der SKirchencenfur eingegeben, auch dafelbjt mit ohnnach— 
läßlicher Geldftrafe in das Almofen, oder nah Beichaffenheit der Sache 
mit bärterer Strafe angejehen werden fellten. Wer nothwendiger Ge 
jchäfte halber über Feld reifen wolle, folle vorher eine jchriftliche 
Erlaubniß bei dem Spezialat ausbringen und fo er wiederum heim: 
komme, einen Schein oder fchriftlid;es Atteftat von dem Pfarrer des Orts, 
dahin er gegangen, daß der Neifende dem ottesdienft dafelbjt mit 
beigewchnt, vorweiſen.“ — Einige fpezielle Beifpiele mögen für die 
Strenge der damaligen Kirchenzucht Belege bilden, Als der Bäder 
Hs. Cry. Nor am 4. Advent 1861 zwei Schweine fchladhtete, fo 
wurde er, troß feiner Entjchuldigung, daß es nad) der Abendpredigt 
gefcheben ſei, wegen „unverantiwortlicher Entheiligung des Feſtes“ um 
2 Pfund Pfennig in das Almofen und mit Gefängniß beftraft. Als 
1656 der Auer-Thorwart David Drerel am Tage, da er zum Abend: 
mahl gegangen, ſich „vollgefoffen“ und nicht nur feine und eines Nach— 
barn Rrau mit Schlägen traktirt, fondern auch über die Seiftlichen ge: 
ſchimpft hatte, kam er zur Strafe einen Tag in das Narrenhäuslein 
auf der Auerbrüde. In gleicher Weiſe wurde aufs Strengfte gegen 
Flucher und Gottesfäfterer eingeichritten. Am Februar 1666 erhielt 
der Schufter Albreht Weeber wegen „graufamen Schwörens und 
Gottesläfterns, andy gräulihen Schmähungen“ eine Gefängnißftrafe von 
zwei Mal 24 Stunden und mußte dem Spezial und Untervogt Abbitte 
tbun, In gleicher Weiſe war am 23. Oft. 1665 Hans Würz wegen 
Fluchens und andern ungeblibrlichen Weſens mit 24 Stunden Käfiht 
und 10 Schilling Pfennig ins Almofen geftraft worden. — In Bezug 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 —1688. 495 


auf geſchlechtliche Vergeben wurde ebenfalls eine ftrenge Zucht gehand— 
habt, und den bezüglichen Einträgen in den Kirchenbüchern, fei es, daß 
fie fih auf die Geburt unebelicher oder ſolcher Kinder bezogen, die 
allzubald nach der Verehelichung der Eltern das Licht der Welt er: 
blidten, find immer Ausdrüde des Abſcheus beigefügt. In einer Zeit, 
wo die Tortur noch nicht abgeihafft war, darf es uns nicht wundern, 
daß die Hebammen bei ſolchen unchelidien Geburten die Weifung 
hatten, der Mutter, wenn dieielbe vorher nicht hatte dahin gebracht 
werden können, den Vater ihres Kindes anzugeben, während der Geburts: 
ſchmerzen fo lange zuzufegen, bis fie folches Bekenntniß ablegte, Der: 
gleichen uncheliche Geburten famen übrigens nur felten, höchſtens dann 
hänfiger vor, wenn Einquartierung oder eine Garnifen in der Stadt lag. 
So kam 1607 auf 146 Geburten gar Feine unebelihe, 1678 auf 
122 nur 2, 1679 auf 93 Geburten 3 umebelihe, 1682 auf 113 gar 
feine ꝛc.) — Wie groß die religiöfe Toleranz in jener Zeit nod war, 
it auch fonft befannt, Als im Mai 1698 Einer Bürger in Pforz: 
beim werden wollte, wurde er nicht angenommen, weil er katholiſch war. 
Dem gleichen Geſuch eines andern Katholifen wurde das Jahr darauf 
ftattgegeben, unter der Bedingung, daß feine Kinder evangeliſch erzogen 
würden und er felber ftill und unärgerlich feines Glaubens lebe. Der 
lichtenthal''ſche Schaffner Delendroit, welcher der Stadt während des 
Krieges mehrfach wichtige Dienfte geleiftet hatte, wurde am 253. Auguft 
1694 ohne Klang und Eang, überhaupt ohne alle „&eremonie” bes 
graben, weil er kalviniſcher Religion war. 

Die erwähnten Bemühungen zur Handhabung einer ftrengen Kir: 
chenzucht und zu der dadurch bezweckten Aufrechthaltung der Moralität 
ſcheinen jedoch nicht durchweg die erwarteten Früchte getragen zu haben. 
Wenigftens wurde den Pforzheimern mehr als ein Mal von der Kanzel 
herunter vorgehalten, wie ſehr fie den Sabbath entheiligten „mit ſchnö— 
der Verachtung der Predigt des göttlichen Wortes, unnöthigem Auf: 
hub der Communion, Tiederliher Berfiumung der Gottesdienfte, bin: 
gegen aber öfters angeftellter weltlicher Ergöglichfeiten, ſündlicher Zeit 
beptreibungen, 3. B. Spazierengehen, MNeiten und Fahren, Schießen, 
Spielen, Freſſen, Saufen, Mufiziven, Tanzen, Ererziren, Tribuliren, 
oder ſonſt der Nahrung halber Ausreifen, Handeln und Wandeln, 
Kaufen und Verkaufen, Arbeiten und Schaffen ꝛc ıc., wie ferner „ihre 
Töchter und Dienftmägde mit deutfchen und undentichen Soldaten Un: 


496 ° Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1638, 


zucht getrieben,” wie manche Bewohner die Rache des Himmels heraus: 
gefordert hätten durch „ihr unfinniges Tanzen, welches jie wider alle 
dagegen publicirten hochfürſtlichen Mandata auf ihre verfluchten Faſt— 
nachtihmäufe, die ebenſowohl jcharf verboten waren, und bei Nachhoch— 
zeiten bin und wieder in abgelegenen Scheuern angeftellt” u. ſ. w. 1) 
Segen übertriebenen Lurus und andere Ungebörigfeiten bei 
Zaufen und Hochzeiten mußten mehrere Mal Verordnungen erlaflen 
werden, fo namentlih gegen die übergroße Anzahl von Tauf— 
patben. Am 5. Dezember 1696 kam der Pforzheimer Geiftlichkeit 
durch den Kirchenrath Kummer, der ſich damals am fürftlihen Hof 
zu Baſel aufbielt, der Befehl zu, daß künftig nicht mehr als 4 Tauf: 
pathen zugelaffen und in das Kirchenbuch eingetragen werden dürften. 
Lie wenig man aber diefer Beftimmung nachkam, zeigt die mehrfach 
erfolgte Wiederholung derielben (fo 12. November 1709) Außerdem 
fam es nicht felten vor, daß gewöhnliche Bürger mit Pathen ihres 
Standes nit mehr zufrieden waren, fondern fi zu ſolchem Amte 
adelige Perſonen, fürftliche Beamte, ja nicht felten fogar Glieder des 
ſürſtlichen Hauſes erbaten, namentlih wenn ſich foldye zufällig gerade 
in Pforzheim befanden. Nie fehlte e8 aber auch an Allerwelts- 
gevattern, Bon 1675 an finden wir als folde bei fait allen Taufen 
eine Frau von Göler, nad ihr eine Frau von Menzingen, geborne 
von Leiningen. (An die Stelle folder Gevatterinnen trat von Anfang 
bis gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts ein Gevatter, der Haupt 
mann und Spätere Oberft Joſeph Marimilian v. Popp?). — Eine 
bezüglich der Gebräuche bei Hochzeiten am 17. November 16854 vom 
Stadtrath erlaffene Verfügung fette Folgendes feit: Bei Hochzeiten 
foll künftig eine Mannsperfon 8, eine Weibsperſon 7 Batzen Zeche 
geben. Die Geſchenke follen der Hochzeiterin über ben Ehrentiſch ge: 
reiht werden. Die Spielleute follen nicht mehr ala 1 Gulden jeder 
erhalten. Den erften Tag follen um 3 Uhr nad alten Gebrauch in 
der Hochzeiterin Haus die ledigen Weibsperfonen zufammen kommen 
und den fogenannten Pfeffer geniegen. Die ledigen Geſellen follen 
nad Belieben in ein Wirthshaus gehen und einen Trunk thun, Nachis 


1) Kummer, a. a. O. 
) Sein origineller Grabſtein fieht auf dem Kirchhof an ber öſtlichen Wand 
der dortigen Kapelle, Popp ſtarb 1. Aug. 1741. 


Fünfzehntes Kapitel, Pforzbeim von 1648—1688, 497 


aber, wenn die Hodzeitsgäfte nad Haus gegangen, zu dem Schlafen: 
fingen kommen und nachher einen Tanz thun. Den andern Tag 
betreffend bleibt e8 bei der bisherigen Ordnung; der dritte Tag aber, 
der niemalen üblich geweſen, folle, weil es unnöthige Koften mache, 
völlig abgejhafft fein. — Als Ergänzung zu diefer Verordnung folgte 
am 14. Juli 1686 eine andere, die alfo lautet: „Weilen zeither bei 
den Hochzeiten mit den Schenkungen einige Unordnung vorgegangen, 
die Mufitanten auch mit ihren Zehen allzuviel Unkoſten verurfact, 
alfo ift heute Verordnung geſchehen, daß fürderhin, wie es vor Alters 
gewefen, vor Auftragung des dritten Ganges die Schenkung vor fid) 
gehen, den Mufitanten aber Vormittags zwijchen der Predigt ein Früh— 
ftüd auf des Wirths Koften, Nachmittags aber zwiſchen dem andern 
und dritten Gang auf des Hochzeiters Koften ein Abendzehrgericht 
gegeben werden folle. Und weil es fih mit Auftragung des eriten 
Ganges bisher allzulang verzogen, alfo folle der Wirth fürbderhin 
präzise um 1/12 Uhr anrichten Taffen, wo nicht, wird nah Umftänden 
ber Wirth oder der Hochzeiter geftraft.” — Die Hochzeitstänge wurden 
fehr häufig auf dem Nathhaufe gehalten, wofür eine Tare von 5 Schil— 
ling bezahlt werden mußte. Davon erhielt der amtstragende Bürger: 
meifter 12 und der jüngfte Procurater 10 Kreuzer; letzterer mußte 
aber dafür bei folhen Tänzen die Aufficht führen, Geiläufig gejagt, 
fanden im Rathhausfaal von Zeit zu Zeit auch theatraliihe Vorſtel— 
lungen ftatt. Go fpielten 3. B. am 30, Juli 1683 und Samſtags 
darauf die Komödianten von Dürrn auf dem Rathhaus und zahlten 
dafür eine Tare von 30 Kreuzern. Kurz vorher batten fih auf dem 
Marktplatz auch Seiltänzer und Luftſpringer producitt.) Wie ftrenge 
es mit Eheverjprehungen genommen und wie jelbft die Kabinetsjuftiz 
angerufen und zum Einſchreiten veranlagt wurde, zeigt ein Vorfall 
aus dem Jahr 1697. Ich fee den betreffenden Eintrag des Kirchen: 
buche wörtlich her: „Den 17. Juni 1697 wurde nach gehaltener Bet 
ftunde auf fonderbaren (befondern) Hohfürftlihen Befehl copulirt 
Lorenz Jung der Anwald zu Göbrichen mit Anna Margaretha Gerfte: 
nauerin, einer Wittib dafelbften. Nota: Meilen der Anwald feinen 
Eheverſpruch zurüdgehen und nicht halten wollen, hat ſich feine Braut 
bei Serenissimo beffagt und darauf diefes erhalten, daß der Bräutigam 
nolens volens fopulirt werde. Es hat bei der Kopulation aber diefes 


fi) ereignet, daß er Anwald anftatt des Jaworts „Nein“ gefagt und 
Pfläger, Pforpeim, 32 


498 Fünfzehntes Kapitel. Piorzheim von 1648-1688. 


auf meine des Archidiakoni (Stattmann) Frage geantwortet: Jh fag 
Nein! Darauf Hab ich diefe Mort gebraucht: Ob Ahr mir ſchon mit 
Nein antwortet, fo fage doch Ich als ein Diener Chrifti auf Befehl 
unferes gnädigften Randesfürften in Euerm Namen Ja! Weilen nun 
bie Braut das Ja willig von fich gegeben, fo geihah darauf die Kon- 
firmation, e8 mochte auch den guten Giefellen fo ſauer anfommen, als 
e8 wollte. Indeſſen wünſche ich ihnen den Geift der Einigkeit, daneben 
auch alles Süd, Heil und Segen von dem Dreieinigen Gott im 
Himmel!" Der Wunſch des Geiftlihen wird unter ſolchen Umftänden 
wohl fchwerlih in Erfüllung gegangen fein. 1) 

Neben den oben angeführten Hochzeitstänzen waren audy bie foge- 
nannten „Hoppeltänz“, die auf öffentlichen Plötzen gehalten wurden, 
jehr beliebt, In Folge vielfahen Unfugs, der damit verbunden war, 
fand fi jedoeh der Stadtrat im Dezember 1665 veranlaßt, diefe 
Tänze abzuftellen. Das Halten von Spielleuten auf offener Gaffe 
von Seiten der jungen Burfche fam jedoch noch immer vor, und gab zu 
lauter Beſchwerde Anlaß, wenn der Lärm, wie einmal im Auguft 
1673, die ganze Nacht hindurch dauerte. Aehnliche vielfältige Klagen 
über Unfug auf den Gaffen und in den Wirtbshäufern, ſowohl Nachts 
als an Sonne und Feiertagen, verlauteten im November 1680, was 
eine verfchärfte Aufficht und vermehrtes Patrouilliren durch die Schaar- 
wächter zur Folge hatte. Auf eime im Oftober 1686 eingelaufene 
Beichwerde, dag am Sonntag zwiſchen der Abendpredigt in etlichen 
Wirthshäuſern mit „Zehen, Spielen und Jauchzen große Ueppigfeit 
verübt werde“, erhielten die Kirchenrüger die Weiſung, fleißiger nach— 
zufehen. in ähnlicher Unfug war mit dem Singen vor den Häufern 
in der Woche zwiſchen Weihnachten und Neujahr eingeriffen, weshalb 


ı) Eines Vorfalls, der fih 1660 in Dürrn ereignete, mag bier Aleich mit 
Erwähnung geichehen. Damals gabs nämlih in Dürrn, das früher ein Filial 
von Kiefelbronn war, großen Streit wegen der Pfarreibefegung, indem Dürrn 
noch 4 Herricaften hatte, Die Württemberger juchten mit bewaffneter Hand 
einen Pfarrer in die Kirche zu bringen, welche die Markgräfiſchen ſchon beſetzt 
hatten, und bieben ein Loch in die Kirchthüre. Der Pfarrer des Drts ftand etliche 
Stunden auf ber Kanzel. Der Pfleger zu Detisheim, ber die württ. Truppen 
führte, jagte: Der Pfaff muß mir von der Kanzel herunter und jellte ibn 
ber Donner herunterfchlagen. Als er aber wieder abzog, brach cr unterwegs 
den Arm, (Dieſe Erzählung findet fih in: „Diozes Pforzheim, Kirchen: und 
Schulbeſchreibung von 1735.) 


Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 499 


1686 verordnet wurde, daß dergleichen Singen Tünftig nur in den 
Feiertagsnächten erlaubt fei, und zwar müßten mindeftens 3 oder 4 
Knaben, welche fingen könnten, zufammenftehen und eine Laterne haben. 
Diejenigen, welche in andern Nächten oder ohne Laterne fängen, follten 
aufgefangen und im den Eſelsſtall gefperrt werden. Um mehr Orb: 
nung in diefen Gefang zu bringen, wahricheinlic aber au, um Etwas 
zu verdienen, erbot ſich fpäter der Schulmeifter Lötterle, mit ein paar 
Buben berumzufingen. Dem Unfug des Nenjahrichießens traten eben- 
falls ſchon damals Verbote entgegen, fo 1686, wo eine Etrafe von 
1 Pfund Pfennig darauf gefeßt wurde. 

Dielen Verdruß bereitete den Behörden auch das nach dem dreißig: 
jährigen Krieg bei ung mehr und mehr in Aufnahme gefommene 
Tabafrauchen 1) oder „Tabaktrinken“, aud „Tabakſaufen“, wie man 
damals dieſen Gebrauch bezeichnete. Der Bannftrahl des Papſtes 
gegen das Tabakrauchen, den derfelbe 1664 fchleuderte, die da und 
dort mit Gefängniß, Pranger und Geldftrafen, ja felbft mit Nafen: 
abfchneiden begleiteten Verbote vermochten fo wenig, als das Eifern der 
Geiftlihen, die das Tabakrauchen als ein Werk des Teufels verdammt: 
ten, diefes einmal eingewurzelte Kraut wieder zu verdrängen, Auch 
die Mühe, melde fich einzelne Scriftfteller gaben, diefem Unfug ent: 
gegenzutreten, war umſonſt. So fagt der als Satwrifer befannte (aus 
Millftett gebürtige) Moſcheroſch: Diefer Teufelsrauh mache die Leute 
trunken, fei nicht bloß für die Spanier und Franzofen ein unentbehr: 
liches Kebensbedürfniß geworden, fendern leider „nebft anderem welſchem 
Ungemach auch zu den nacäffichten Deutichen” gedrungen, fo daß 
num ſelbſt Bauern und Weiber „Tabak ſaufen“. Daß dies bereits 
1667 auch in Pforzheim vielfach geſchah, zeigt ein im April jenes 
Jahres erlafienes Verbot, daß bei hoher Strafe Niemand in Feld und 
Wald Fener anzünden oder „Tabak trinken” dürfe ohne der Forſtbe— 
dienten Miffen und Erlauben, Als aber im Auguft 1688 auf der 
gedeten Auer Brücke durch das „liederliche Tabaktrinken“ beinahe 
ein gefährlicher Brand entftanden wäre, wurde vom Stadtrath beichlof- 
fen, das „ſchändliche Tabaktrinfen“ nicht mehr zu dulden, ein Verbot 


1) Der 1496 von dem fpanifchen Mind Roman Pane zuerſt nad Europa 
gebrachte, anfangs nur zu mebizinifchen Zwecken bemühte Tabaf wurde in 
Deutihland durch die fpaniihen Soldaten Karls V. um 1540 a befannt. 


500 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 


dagegen öffentlich anichlagen au laſſen und eine Strafe von 3 Pfund 
Pfennig darauf zu ſetzen. Wie ſchon bemerkt, hatten alle diefe Ver: 
bote und Strafen den erwarteten Erfolg nicht, indem im Gegentbeil 
das Tabakrauchen mehr und mehr überhand nahm, 

Sn den Jahren 1666 und 1682 berrichten an vielen Orten 
anftedende Krankheiten, die namentlich im erfigenannten Jahr viele 
Opfer forderten. Es dürfte intereflant fein, zu erfahren, welche Maaß— 
regeln ergriffen wurden, um der weitern Berbreitung der Seuche ent= 
gegen zu treten und namentlich Pforzheim davor zu bewahren. Unterm 
21. Auguft 1666 wurde vom Stadtrath verfügt, daß an bequemen 
Drten Rauchwerk von Wacholder, Forchen- und Eichenholz oder Ge: 
fträuh, auch etwa mit Schwefel und Pulver gemacht werben folle. 
Ferner wurde ein fürftlicher Erlaß bekannt gemacht; nach diefem durfte 
man 1. an feinen verdächtigen Ort handeln; 2. feine Tyroler, Schwei: 
zer oder Baiern ohne Anıtserlaubniß in die Stadt laffen; 3. überhaupt 
Niemand ohne Atteftat einlafien; 4. im Haus und Gaſſen fleißig keh— 
ren, auch ſonſt fauber haushalten; 5. die Gänfe und Enten aus ber 
Stadt thun (9); 6. jollen fid) beherzte Leute zur Pflege der Kranken 
melden. — Bei wachſender Gefahr wurde unterm 27. Auguft weiter 
verfügt: 1. Die Bauern follen an der Einfchaffung des von ben 
Tyrolern und Schweizern gehauenen Wachholdergeſträuches Antheil 
nehmen; 2. die Etadt ſoll Rauchfener in den Straßen maden, und 
zwar auf dem Scloßberg, beim Marktbronnen und vor des Obervogts 
Haus; 3. an der äußern Ziegelhütte joll ein Steg gemacht werden, 
damit die nicht mit Atteft Verſehenen darüber können; 4. zur Kranken: 
pflege bat ſich Niemand gemeldet, man bat alfo eine Anzahl aufge: 
zeichnet; 5. ein Krankenhaus ift bejtimmt. Am 3. September erfchien 
ein Befehl an ſämmtliche Barbiere, alle 8 Tage die Zahl der Patien: 
ten einzuſchicken. — Da jedoeh die Stadt dies Mal von der Seuche 
glüdlichermweife verfhont blieb, fo hörten alle diefe außerordentliden 
Maapregein im April 1667 — auf. 

Daß der Umgang mit gewiſſen Leuten, ſo namentlich dem Waſen⸗ 
meiſter, Schinder und Nachrichter früher für äußerſt ſchimpflich gehalten 
wurde, iſt bekannt. Ein Beiſpiel davon iſt oben ſchon mitgetheilt wor: 
den, ein anderes mag hier noch folgen. Am 2. Mai 1664 erſchien 
Peter Meerwein Namens der Metzgerzunft vor dem Stadtrathe und 
trug demſelben vor: Als kürzlich einige Meiſter vom Tübinger Markt 


Fünfschntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 501 


zurüdgefommen und in Weil der Stadt eingefehrt jeien, hätten einige 
Meifter von dort gefagt, was für Zunftgenoffen fie hätten, die mit 
dem s. v. Schinder und Wafenmeifter in Compagnie ſäßen und zedhten, 
und bätten Hans Martin Hörter nambaft gemacht; das fei aber dem 
Handwerk ſchimpflich. Diefer wurde alsbald vorgefordert und erffärte: 
Als er, ziemlich betrunken, im Beariff geweſen fei, nah Kaufe zu 
gehen, fo babe ibm der MWafenmeifter gerufen; er fei auch hinauf: 
gegangen und habe da einen Marktichreier gefunden und zwei oder drei 
Mal ihnen Beſcheid getban; er bitte um Nachficht ꝛc. 

Der Glaube an Keren, Geſpenſter, Vorbedeutungen u. dal. ftand 
damals noch in feiner vollften Blüte, was uns nicht wundern darf, 
da ſelbſt unfer Jahrhundert, das ſich fo nern das aufgeklärte nennt, 
von folhem Mberglauben nicht frei it. — Am Jahr 1699 befchwerte 
fi die Anna Barbara Fauler bitter darüber, daR fie überall ale 
Here verfchrieen werde. Es erging deßhalb ein Fürftlicher Befehl, daß 
daß man bie Faulerin damit verfchonen folle; oder wenn Jemand fie 
deſſen überweifen könne, folle er es bei gnädigfter Herrichaft anzeigen. 
— Der fürchterlihe Krieg, der 1688 ausbrach und für Pforzheim 
fo verderblic werden follte, war fchon lange vorher durch verſchiedene 
auffallende Erfcheinungen in der Natur angedeutet worden. „Denket 
nur”, fo ruft Spezial Kummer in feinem mehrerwähnten Abſchiebsbrief 
(S. 19) aus, „denket mer zurüd an bie entfeglihe Größe desjenigen 
Schweif-Kometen, der uns au allervorderft von ber Höhe des 
Himmels erjchredte (ein folder war 1680 erfchienen; fein Schweif 
war mindeitens TO Grad oder 40 Millionen Meilen lang 9); auch 1682 
erfchien wieder ein Komet, aber ohne Schweif); an die öftermals mit 
großem Schein und Krachen aus der Yuft herniebergefallenen Feuer— 
Fugeln, fo uns gleichwie viel Tanfend Andere anderswo nicht wenig 
ergeijterten; an das abſcheuliche Stüdgedonner aus den Wolken, fo 





1) Der damalige Lehrer an ber lat. Schule Mauritii, der 40 Jahre ſpäter 
mwieber ala Stabtpfarrer nah Pforzheim Fam und 1721 Mitalied der Singer: 
geſellſchaft wurde, zeichnete ein Bebicht in das Stammbuch derjelben ein, bas 
mit den Morten anfängt: 

Meribes Pforzheimb, deine Mauern jchloffen mich vor vierzig Jahren, 
ALS der große Gott der Wunder damals beine Kriegsaefahren 

Durh den Wunderftern gegeiget, welder an des Himmels Dach 
Dir und Deutichland Finden mußte eitel Jammer, Web und Ad. 





502 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688. 


ein und andersmal nicht anders aus der Ferne fi hören laflen, als 
ob immer ein Kanonenſchuß über den andern in der Nachbarſchaft 
geſchehe, allerdings, wie das Kanoniren aus den Neichsfeftungen getönt 
hatte; an das Strahlſchießen in unfern Schloßthurm und mehrere 
dergleichen bobe Gebäude im Lande hin und wieder, dadurch fie kurz 
vor dieſem beftigen Kriege, gleihlam als ob Feines aufrecht bleiben 
müßte, in Wetter angezündet und ausgebrannt worden; an die nad 
Yauter Schwefel riehenden Wetterregen, fo eben auch vorbero 
ſich bei ung niedergelafien, und unfere Stadt und Gegend ganz feuer: 
roth illuminirt hat, indem die Häufer und Alles am hellen Tag nicht 
anders gefchienen, als wenn fie in vollem euer und Brand ftünden.” 
Im weitern Verlauf feines ſchriftlichen Abſchieds führt Kummer fort: 
„Und fo könnte ich euch aud bei diefer Gelegenheit zu Gemüthe füh— 
ven, was nach dem andern Brand kurz vor der dritten großen Plünde— 
rung (Juli 1691) mit dem bewußten nadenden Mann munderfelt- 
ſams paffirt, welcher von Vielen unter uns am hellen Tage außerhalb 
der Stadt bin und wieder gefeben worden, und darauf bin die meiften 
unter uns fo rein ausgezogen und ihrer in den innerftern Kellern und 
Gewölbern vergrabenen und vermauerter Güter, je vorher niemals 
geſchehen', gänzlich beraubt worden, daß fie hernach bloß genug daher 
geben umd ſich kaum mehr bededen können.” Diefen nadenden Mann 
wollte damals aud der Herrn von Leutrum in der Nähe feines Schloſ— 
jes Liebenet im Hagenſchieß geſehen haben und fiehe da — menige 
Wochen nachher wurde aud das Schloß Liebeneck ausgeplündert (Siebe 
unten). Endlich erinnert Kummer feine Pfarrfinder noch daran, wie 
wenige Wochen vor dem legten Brand, bei welchem auch die Au ein- 
geäfhert wurde (September 1692), in den Gärten diefer Vorftadt 
Feuerflammen ziemlich hoch aus der Erde geſchlagen hätten. 


86. Zum holländiſch-franzöſtſchen (luremburgiſchen) Kriege. 
(16472- 1679.) 


Noch war kein Vierteljahrhundert nach dem weſtphäliſchen Frieben 
verfloſſen, als ein neuer Krieg ausbrach. Befand ſich auch der eigent: 
liche Schauplatz desſelben nie in der Gegend von Pforzheim, ſo hatte 
doch die Stadt nicht wenig davon zu leiden und Lieferungen aller Art, 
Kriegstontributionen, Brandfhagungen, Ginquartierungen ꝛc. ließen 


Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648— 1688. 503 


weder geordnete Verhältniffe, no jenen Wohlſtand twieder auffommen, 
deſſen ſich die Stadt noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts Hatte 
erfreuen dürfen. 

Aus Gründen, deren Auseinanderfeßung nicht hierher gehört, bie 
aber zunächſt in dem Uebermuth und der unerfättlichen Ländergier 
Ludwigs XIV. zu fuchen find, war bdiefer Fürſt im Jahr 1672 mit 
einem fowohl durch feine Zahl, als feine Ausrüftung furdhtbaren Heere 
in die Niederlande eingefallen, und feine Feldherrn Türenne und Condé 
machten ſolche Forſchritte, daß die Mepublit in der größten Gefahr 
ſtand. Da nahm fid) Deftreich der bedrängten Niederländer an und 
ſchloß mit ihnen 1673 ein Bündniß; das deutſche Reich folgte im 
März 1674 nad, und da ſich nod mehrere andere Fürften am Kriege 
betheiligten, jo wurde derjelbe bald ein allgemeiner. Der Hauptkampf 
zog ſich am die deutſchen Grenzen, und leider behauptete der Muth und 
die Kriegserfahrenheit Türennes das entfchiedene Uebergewicht der fran- 
zöfifhen Waffen gegen die Feldheren des Kaifers, bis der Graf Monte— 
euculi den Heeresbefehl übernommen hatte, Türenne mußte ſich zurüd: 
ziehen , iedoch nicht ohne vorher die Länder, die er verließ, namentlich 
die Pfalz, aufs Gräulichfte verwüftet zu haben. Am Juli 1675 
machte bei Sasbach eine Kanonenkugel dein Leben des berühmten 
Feldherrn ein Ende. 

Der untern Markgrafſchaft bereitete die Nähe der Feſtung Phi— 
lippsburg, welche ſeit dem weſtphäliſchen Frieden (eigentlich ſeit 1644) 
eine franzöſiſche Beſatzung hatte, vieles Ungemach, beſonders die Aus— 
fälle und Streifereien der letztern. Es wurde zwar die Belagerung 
der Feſtung beichlofien und dies Geſchäft dem Markgrafen Friedrich VI. 
von Baden-Durlach, der vom Kaifer und Reich zum Generalfeldmar: 
Ihall ernannt worden war, übertragen. Allein die Neihsftände beeilten 
ſich gewöhnlich nicht allzu fehr mit Stellung der ihnen zufommenden 
Truppen, fo daß die Belagerung erit im April 1676 beginnen konnte, 
Schon vorher hatte jedoh der Krieg auch auf Pforzhein feine Wir: 
kungen zu äußern angefangen. 

Bei herannahender Kriegsgefahr (März 1674) war den Wachen 
an den Thoren der Stadt doppelte Vorficht anbefohlen und eine Ver: 
ftärfung der Wachmannſchaft beichloffen worden. Auch das Schloß ward _ 
bald darauf mit der nöthigen Munition verfehen. Diefe Vorſichts— 
maaßregeln wurden während des Krieges noch vermehrt. Die Offiziere 


504 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 — 1688, 


mußten jeden Abend die Gewehre der wachftehenden Soldaten (d. h. 
Bürger) vifitiren und nachjeben, ob fie mit Kraut, Loth und Lunten 
verfeben feien. Bei einem entjtebenden Tumult follten Weiber umd 
Kinder daheim bleiben. Der Wächter auf dem Thurm im Schloß 
jollte wachſam fein, auf die anfommenden Meiter Acht geben und dann 
ihnell feine Fahne ausſtecken. Als fpäter die Naturaflieferungen 
begannen und viel Heu und Stroh in die Stadt fam, mußte jeder 
Bürger mit einem großen Zuber voll Waffer verfeben fein und genaue 
Aufficht auf Fener und Licht haben. Auch wurde beichloffen, wegen ber 
großen Feuersgefahr alle Häufer zu vifitiren und alle Feuereimer zu 
befichtigen. Die Stadt hatte im Mai die Auflage erhalten, einige 
Dragener zu werben und zu montiren und dadurch, forwie im Felge 
anderer Auflagen, erwuchſen ihr ſchon bedentende Kriegskoſten 1) 
Zur fonftigen Kriegsnotb gefellte fih ſchon vom Spätjahr 1674 an 
ein bedeutender Preisauffchlag aller Yebensmittel. Der Sefter Kernen, 
der vor dem Krieg noh um 14—16 Kreuzer verkauft worden war, 
ftieg auf 30 — 36 fr., ja im uni 1675 fogar auf 45 kr., und 
„wegen der anmarfchirenden Kaiferlihen Völker“, fo heißt es in einem 
Stadtratbprotofoll, „fei an feinen wohlfeilern Kauf zu denken.” Bezüg- 
lich fonftiger Kriegsnotb waren indek die Bewohner der Stadt, da 
diefe befeftigt war, immer noch beſſer daran, als die des flachen Yandes, 
und die größere Sicherheit, welche der Aufenhalt binter Mauern und 
Gräben bot, war auch der Grund, daß fih im Sommer 1674 eine 
Menge Bauern von Grombach, Brucfal, Mali, Mingolsheim, Oben: 
beim, Gochsheim, Ettlingen und Heidelsheim mit dem werthvollſten 
Theil ihrer Habe nach Pforzheim flüchteten. 2) Doch kamen ftreifende 
Partien mehrmals in die Gegend von Pforzheim, und die Unficherbeit 
war im. Sommer 1675 fo groß, daß man während der Ernte bie 
Früchte nicht auf dem Felde liegen Tafjen konnte. Vorher ſchon hatten 
die Einguartierungen durchmarſchirender oder längere Zeit in Pforzheim 
ſich aufhaltender Truppen begennen, und fcheinen überhaupt in diefem 
Sabre bedeutende Durchmärſche, fo namentlich auch ber brandenburgifchen 


ı) So koſtete ein Vorſpann für Markedenter ber Kreistruppen unb 3 
marfgräfliche Trompeter bis Straßburg und Pleßheim 28 fl. 24 fr. 

2) Sie braten biefelbe beim Kantenwirtb unter und mußten Einzelne 
bafür vierteljährlich 1 fl., Andere monatlih 28 fr. bezahlen. 


Fünfzehnies Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 505 


Armee, ftattgefunden zu haben. Es wurden deshalb auch die dazu 
nöthigen Maafregeln getroffen, Billetfchreiber ernannt, eine Proviant: 
bäderei errichtet zc. 7) 

Mebr als durch Einquartierungen, Durchmärſche und Garnifon 
wurde die Stadt durch die Kriegsgelder gedrückt, die ihr unter allerlei 
Namen aufgebürdet wurden. So wurden bald ordinäre Philippsburger 
Kriegstontributionen, bald ertraordinäre Kriegshilfgelder, bald Heu: 
und Strohgelder, bald Brandihatungen, bald Winterquartier-, bald 
Salvaquardi (Sauve garde- d. h. Schutz: und Sicherheitsgelder) von 
ber Stadt verlangt, zu deren Bezahlung renelmäßige und außerordent: 
liche Monatsumlagen gemacht werden mußten. Die Pürger waren aber 
nicht felten, namentlich in den letzten Jahren des Kriege, gänzlich aufer 
Stande, biefelben zu entrichten und mußte negen Manche mit Erefution 
vorgefchritten werden. Es wurde zu diefem Behufe ein eigenes Gre: 
utionsverfabren feftgefeßt: 1. die Etadtfnechte follten die Meftanten 
pfeih ins Käficht ſtecken; 2. diejenigen, die Pferde haben, follen nicht 
zur Stadt hinaus gelafien werben; deswegen follen die Namen den 
Thorwarten angegeben werden. Sind diefe fahrläffie, kommen fie in 
den Thurm. 3. Wer fi) von ben Reftanten bei Tag nicht feben läßt, foll 
Nachts durch die Stadtknechte aufgehoben und gelocht werden. — Dazu 
famen noch die Frohnden, namentlich die Echanzarbeiten, welche während 
ber Belagerung Philippsburg geleiftet werden mußten. Die Stadt 
mußte dafelbft einen eigenen Schanzwagen unterhalten und daneben 
noch Schanzgelber bezahlen, die ſich im Kurzer Zeit auf 300 Gulden 
beliefen, und bald auf 542 Gulden ftiegen. Als nun im Anguſt 
1675 von Stadt und Amt Pforzheim glei den übrigen Orten der 
unten Marfgrafihaft gar noch eine freiwillige (1) Fruchtſteuer im 


1) Als einquartiert werben angeführt: Im Mai 1675 die feefelfiiche Kom: 
pagnie (Hauptmann Seefele, Lieutenant Soslomsfy), andere Truppen im Mai, 
November und Dezember 1676 (Lammwirth Deichler reichte ipäter für Einquar— 
tierung eine Rehnung von 9 fl. 47 fr. ein, erhielt aber nur 5 fl.), im Som: 
mer 1677 ein General Kopp mit vielen Leuten (foftete bie Stadtkaſſe 146 fl. 
26 fr.), ebenjo ein Hauptmann Weder von ber bolfteinishen Kompagnie, im 
Winter 1677 auf 78 Rittmeifter Wernier mit Truppenabtbeilung (feine Reiter 
wollen mit Hausmannokoſt nicht vworlieb nehmen, fondern Wein und Pier 
haben), fowie Offiziere von den beiden ötingen'ſchen Kompagnien und ein 
Rittmeifter Stein x, 


506 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688. 


Betrag des Zchntens verlangt wurde, weil aus dem Dberlande des 
Krieges wegen gar nichts eingebe, und Pforzheim gleichzeitig auch 
200 Gulden Ealvaquardigelder bezahlen follte, da erflärte der Stadt: 
rath in einer Supplif an den Fürſten (jeit 1677 Friedrich Magnus), 
daß die Erfüllung diefer Forderungen unmöglich fe. Die Bürgerfchaft 
fei durch die harte Sinquartierung ganz erfchöpft, jo dak man dag Liebe 
Brod nicht ins Haus ſchaffen könne. Dabei liege Handel und Wandel 
gänzlich darnieder, und Fein Bürger dürfe der zu Leiftenden Machtdienfte 
wegen zum Thore hinaus. Durch diefelben feien die Bürger auch fo 
abgemattet, daß fie an ihrer Arbeit gänzlich verhindert wären; denn bie 
Reihe treffe einen Jeden wöchentlich 3 Mal. Troß der bisher ge: 
Leifteten Sauvegardegelder jet die Haferernte größtentheils verderbt wor- 
ben, (die Kaiferlihen hatten in der Ernte um Pforzheim fouragirt,) 
während die Amtsunterthanen durch der Bürger Hilf und Convoyirung 
ihre Früchte meist hätten in Sicherheit bringen können ꝛc. Diefe Bitte 
hatte den erwarteten Erfolg nicht, denn neben Kriegsfrohndgeldern wurden 
auch diefe 200 fl. Salvaqnardigeld im folgenden Monat aufs Neue 
verlangt, und Forderungen anderer Art hörten gar nicht mehr auf. Im 
November des nämlihen Jahrs follte die Stadt an Kommiffär Silber: 
mann zu Philippsburg abermals 112 fl. 30 tr. unter irgend einem 
Titel bezahlen. Der Stadtratb behauptete, nur 52 fl. 30 kr. ſchuldig 
fein, da der Kommandant von Philippsburg 60 Gulden erlaffen habe. 
Da man fidh nicht verftändigen konnte, fo wurde beſchloſſen, einen eigenen 
Deputirten nah Pbhilippsburg zu ſchicken (September 1678) und dem— 
felben einen Fifcher mit einer Tracht Grundeln und Korellen als Ge: 
fhent für den Kommandanten mitzugeben. Der iiber wurde nach 
Erledigung feines Auftrages in Gnaden wieder entlaffen, der Deputirte 
aber (Hans Jakob Holzhauer) im Arreft behalten und der Stadt für 
feine Auslieferung 150 Neichsthaler abverlangt. Ob die Bitte um 
Verwendung, welche bierauf an den Fürſten gerichtet wurde, ben er: 
warteten Erfolg hatte, vermag ich nicht anzugeben. Daß aber der 
Kommandant von Philippsburg auch fonft ein ziemlich gewalttbätiger 
Mann gewefen fein muß, erhellt aus einer Klage, welde der Schanz⸗ 
wageninſpektor zu Philippsburg, Georg Paul Pfeffer von Durlach, an 
den Stadtrath richtete (Dezember 1678). Er fagt darin, daß er wegen 
des Pforzheimer Schanzwagens von dem Kommandanten geprügelt und 
ing Stodhaus gefegt worden fei und 6 Rthlr. habe bezahlen müſſen. 


Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688. 507 


As Entfhädigung wurden ihm vom Stadtrath 5 Pfund Pfennig 
bewilligt. 

Noch im nämlichen Monat kam eine Korderung von 375 Gulden 
Minterquartiergeldern und von 1%/, Monatgeldern zum Philippsburger 
Schanzwagen. Es war aber fjchlechterdings bei den Bürgern nichts 
mehr zu holen. Kaum 20 Berfonen, jo heißt e8 im Etadtrathspro- 
tofoll von Jänner 1679, haben daran bezahlt, und man mußte fich 
deshalb zu einen Anleben verjtehen, wodurd die vielen Schulden der 
Stadt noch vermehrt wurden. Die fortwährende Theurung machte die 
Noth noch größer. Zu Anfang des Jahres 1679 Koftete das Malter 
Kernen noch immer 8 bi8 9 Gulden und wog der Laib Brod für 
4 Kreuzer nur 2%/, Pfund, während dieſes Gewicht in gewöhnlicher 
Zeit 4 bis 5 Pfund betrug. Auch die Mebger waren um Erhöhung 
ber Fleifchtare eingefommen, und mußte für das Pfund Ochfenfleifch 
3—31/, Kreuzer, Kalbfleifh 3 Kreuzer, Schweinefleiih 31/,—4 Krz. 
bezahlt werden. Dieſe Theurung hatte auch ein ungewöhnliches Sinken 
ber Güter: und Hauspreife zur Folge. Ein Baum-, Küchen: und 
Grasgarten in der Brößinger Borftadt, der gegen eine Summe von 
250 Gulden verfeßt, alfo mindeſtens 2— 3 Mal fo viel werth war, 
fonnte um diefen Preis nicht verkauft werden Für ein Haus am 
Marktplatz wurden 150, für ein anderes größeres in der Trönfgaffe 
350 Gulden bezahlt. Zu Anfang des Jahres 1679 wurden 1'/, 
Morgen Uder am Kiefelbronner Meg um 16 Gulden, 16 Piertel 
Alter um 30 Gulden und 2 Ohm Wein, 13 Viertel Ader und 11/, 
Viertel Wiefen um 34 Gulden verkauft; gegen eine Kapitalaufnahme 
von 60 Gulden wurden als Unterpfand verfeßt ein Haus, ein Etüd 
Garten, 11/, Biertel Miefen und 1 Biertel Ader ıc. 

Der Friede von Nymwegen, der am 5. Tebruar 1679 abge— 
fchloffen wurde, machte diefen „Söriegstroublen” ein Ende, freilih um 
ihnen die ſchmachvollſten Zeiten für Deutichland und bald darauf einen 
andern Krieg nachfolgen zu laſſen, gegen welchen alle bisher erzählten 
Drangſale kaum nennenswertb ericheinen. 


Sehszehntes Anpitel 


Pforzheim im orleans’fdhen Krieg. ') 
(1688 — 1697.) 


F 1. Einleitung. 


Nicht nur der dreißigjährige Krieg, fondern aud) der weſtphäliſche 
Triebe, ber ihm ein Ende machte, hatte dem bdeutfchen Reich unbeilbare 
Wunden geichlagen. In letzterm wurde den einzelnen deutſchen Fürſten 
bie volle Pandeshobeit zuerfannt und das Recht eingeräumt, zu ihrer 
Erhaltung und Sicherheit Bündniffe mit auswärtigen Mächten einzu: 
geben. Bei einer ſolchen Gerechtfame der Fürſten mar die Reichsein— 
beit zum leeren Namen geworden! Bald genug zeigten fich die unbeil- 
bringenden Folgen diefer Spezial-Souverainität. Die einzelnen Reichs— 
fürften, Reichsgrafen, Reichs barone ſuchten nur ihre Intereſſen zu ver: 
folgen und ihre eigene Macht dur alle Mittel zu vergrößern, ohne 
das große Ganze dabei im Geringften im Auge zu haben. Die In— 
terefien der einzelnen Neichsglieder aber ſtanden einander oft fo feind- 
lich gegenüber, daß eine Ausgleihung fchen einer ſtarken Central: 
Etaasgewalt Mühe gemadyt haben würde. Nun war aber eine ſolche 
nad dem weſtphäliſchen Frieden eigentlih gar nicht mehr vorhanden, 
vielmehr die Macht des Kaifers bei Streitigkeiten mit und unter 
ben Fürften nur auf gütlihe VBorftellungen und Bitten befchräntt. 
Diefe waren aber meiftens fruchtlos, da das Souveränitätsfieber ber 
Fürſten auch die letzten Regungen von Patriotismus erftidt hatte. So 
nahm bie Kraftlofigfeit des deutſchen Reiches und feine imnere Zer— 





1) Neben verfchiedenen allgemeinen geſchichtlichen Quellen wurben im 
Beiondern benügt: Pforzheimer Rathöprotokolle, KRontraftenbüder, 
Bürgermeifterrehnungen, Kirbenbüder, eine hierher gehörige ge= 
Ihichtliche Abhandlung von Lotthammer; ferner: Kummer, ſchriftlicher 
Abſchied flatt einer Valetpredigt (Mm 1694) u, a. m, 


Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 509 


rüttung von Jahr zu Jahr zu; die Anzeichen des völligen Verſchwin— 
dens jeder wahrhaft vaterländifchen Gefinnung wurden immer häufiger 
und verfündeten den Untergang des Reiches, deſſen Fugen mehr und 
mehr auseinander gingen. 

Diefe Zerrifienheit Deutichlands war für fremde Mächte eine 
verführeriche Verlodung zur Einmiſchung in die innern Angelegenbeiten 
desſe lben. Solcher Berfuhung konnte namentlih Ludwig XIV. von 
Frankreich um jo weniger widerſtehen, als dieſem übermüthigen, ehr: 
und länderjüchtigen Fürſten die Gelegenheit günftig genug ſchien, feine 
Macht auf Unkoften Deutichlands zu vergrößern, deflen Schwäche er 
im dreißigjührigen Krieg, noch mehr aber in den erſten Jahrzehnden 
nad demjelben genugfam kennen gelernt hatte, Wie tief Deutichland 
erniedrigt war, zeigte fich im bellften Lichte, al8 Ludwig 1650 mit 
einem lan bevvortrat, der an Echamlofigfeit alle ähnlichen Verſuche 
übertraf. Er errichtete die fogenannten Reunionskammern in Met 
und Breiſach, welde ausmitteln und ausſprechen folten, was irgend 
einmal, wenn auch in unvordenklicen Zeiten, Zugehör der in den letzten 
Kriegen an Frankreich abgetretenen Länder und Gebiete gewefen. Was 
dieje Kammern für ſolche ehemalige Zugehör erflärten, das wurde 
alsbald in Befiß genommen, und fo eine Menge deutjcher Fürſien, 
darunter aud der Markgraf in Baden, ihrer linksrheiniſchen Befigungen 
auf die frechſte Weiſe beraubt. Nicht genug, der König nahm 1681 
mitten im Frieden die reiche und ftarfe deutſche Reichsſtadt Straßburg 
mit Gewalt weg und vereinigte fie mit Frantreih.” Alles erfchrat über 
diefe neue Gewaltthat; denn mit ſolchem Hohne war Deutichland noch 
nicht behandelt worden, Aber Feine Hand rührte fi, um Ludwig für 
diefe Verlegung alles Völferrechtes zu züchtigen. Der Kaifer war zu 
ſchwach, um die Fürſten zu einem gemeinfamen Unternehmen gegen 
Frankreich zu bewegen, und jeine eigene Hausmacht war gegen bie 
Türken beichäftigt, die 1683 bis vor Wien drangen. Unter den Fürften 
war kein Zuſammenhalt; jeder hatte zumächft ſich ſelbſt im Auge, 
unbefümmert um das, was vielleicht im Nachbarland vorging; nur in 
einem Punkt waren fie einig: im gegenfeitigen Miktrauen. Zwar 
hatten fi auf die Nachricht von den Anmaßungen der Reunionskam— 
mern und die darauf gefolgten Gewaltthaten die Reichsſtände in Frank— 
furt verfammelt; aber man konnte vor lauter Etiquetteſtreitigkeiten zu 
feinem Beſchluß fommen. Leider hatten die Angriffe der Türken aud) 


510 Schsyehntes Kapitel. Pforgheim Im orleans'ſchen Krieg. 


ben Kaiſer genöthigt, mit Frankreich einen zwanzigjährigen Waffenſtill— 
ftand abzuschließen; Ludwig blieb im Befit feines jüngften Raubes, 
und das deutſche Reich erbielt für die erlittene Beſchimpfung nicht die 
mindefte Genugthuung. Je mehr aber das Glück die Franzoſen bes 
günftigte, deſto höher ftiegen ihre Anmaßungen gegen Deutidland, und 
bald wurde wieder eine Urfache vom Zaune gebrodhen, um in Ber: 
bindung mit andern angeblihen Gründen einen Krieg zu entzünden, 
der leider für unfer Waterland und mit ihm für die Stadt Pforzheim 
jo verderblich werden follte, 

Im Jahr 1685 war der Kurfürft Karl II. von der Pfalz ohne 
Nachkommen geftorben. Nun forderte Ludwig XIV. im Namen feines 
Bruders, des Herzogs Philipp von Orleans, deffen Gemahlin eine 
Schweſter des verftorbenen Kurfürften war, aber in ihrem Heiraths— 
vertrag ausdrücklich allen Anfprüchen auf die Pfalz entjagt hatte, einen 
Theil der Kurländer, fowie Si und Stimme auf dem deutjchen Reiche: 
tag und ließ im September 1688 feine Truppen in die Pfalz ein: 
rüden. Um die Deutfchen durch furchtbare Graufamfeiten von dem 
Miderftand gegen Frankreich abzufchreden und zugleich einen Angriff 
auf Tetteres unmöglich zu machen, wurde zu einem wahrhaft tenfliichen 
Mittel gefchritten: die ganze Pfalz ſammt den angränzenden Rändern 
jollte auf ausdrüdlichen Befehl des Königs in eine Müfte verwandelt 
werden. Nur zu getreulich wurde diefer Befehl befolgt. Städte, 
Dörfer und Flecken mußten geriunt werden und die Einwohner, ihrer 
Habe beraubt, mußten in die Wälder oder außer Lands flüchten, wo 
die meiften ohne Obdach und Brod in Hunger und Elend zu Grunde 
gingen, Worms, Speyer, Heidelberg, Mannheim, Frankenthal, Neu: 
jtadt, Yadenburg u. f. w. — Kurz die ganze blühende Pfalz murde 
von den rohen Eoldatenbaufen in eine ungeheure öde Brandftätte voll 
vaucender Trümmer, voll unermeßlichen Sammers und Elends ver: 
wandelt. Aber auch die angrängenden badifchen Länder wurden von 
der gleichen Verwüſtung betroffen und Durlach, NRaftatt, Baden und 
andere Städte gingen in Flammen auf, ohne daß ihnen der Markgraf 
nur die geringfte Hilfe hätte angedeihen laſſen können. Er felber war 
jogar genötbigt, fih vor den franzöfifchen Mordbrennerbanden mit feinem 
ganzen Hof zu flüchten und feinen Wohnſitz in Baſel zu nehmen, 
Dort befagen die badifhen Markgrafen ein Schloß, das ihnen in Kriege 
zeiten häufig als Zuflucht diente. Won bier aus wandte er fi, wie 


Seche zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'igen Krieg. 511 


wohl vergebens, um Hilfe an den Reichstag, und von hier aus mußte 
er zuſehen, wie fein ſchönes Land verwüſtet und eine Stadt, ein Dorf 
um das andere den Flammen preisgegeben wurde. 

Auch die Stadt Pforzheim bat in diefem jammervollen Kriege 
die traurigften Schidjale erlebt. Sie follen in Nachfolgendem ausführ: 
ih erzählt werden. 


52. Vom Beginn des Krieges bis zum erflen Drand, 
(Herbit 1658 bis Januar 1689). 


Am 21. September (1. Oktober) 1688 begann die Belagerung 
von Phifippsburg durch die Franzoſen. Cie bildete wie früber ſchon 
fo auch jest wieder den Anfang der langen und ſchweren Leiden, bie 
Pforzheim im orleans'ſchen Kriege treffen fellten, Die Stadt wurde 
mit Naturallieferungen hart bedrüdt. Aber allmählig rüdte die Gefahr 
ber Markgraffchaft näher. Die Herrſchaft ließ ſchon feit dem 4. (14.) 
Dftober alle Früchte von den Dörfern einholen, wozu aus der ganzen 
Gegend die Fuhren requirirt wurden. Am nämlichen Tage fam ein 
Befehl hierher, fidy bei der herannabenden Kriegsgefahr rubig zu ver: 
halten. Es mußte beftändig eine Anzahl Pferde bereit ſtehen. An 
den Thoren berrfchte die größte Wachſamkeit, und fein Bürger durfte 
‚ohne Anzeige und erhaltene Erlaubnig die Stadt verlaffen. 

Endlich näherte ſich den 10, (20.) Oktober eine ſtarke Abtheilung 
franzöfiiher Truppen unter den Generalen Montclar und Defequier 
der Stadt. Die Bürger, in erfter Reihe Johann Ungerer, zeigten große 
Neigung, Widerftand zu leiſten; allein die Aengftlichteit des Stadtraths, 
der freilich noch feine Ahnung daven hatte, was der Stadt durch diefe 
Säfte würde bereitet werden, öffnete den Franzofen die Thore. General 
Montelar nahm feinen Sit im Schloſſe, Defequier zuerft in dem 
v. Gölerihen Haus auf dem Schloßberg, nachher in dem v. Menzingen’: 
ihen (jet Schend’ihen) Haus am Markt. Die übrigen höhern Offi— 
ziere, fo der Marquis Delancre, Obriftleutenant Larode, Major 
Crozel ꝛc. laſen fich andere ſchöne Häufer der Stadt zum Quartier 
aus, Die Hauptwache war in der Herberge zur Höllen v. Otto Bedh 
(wo jest Conditor Trommers Haus), Da der Befehlshaber den Un— 
willen der Bürger merkte, fo verficherte er aufs Höchſte, daß ihnen 
nicht das geringfte Unrecht gejchehen folle; fie feien ja Freunde und 


512 Schszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 


wollten die Bürger auch als Freunde, nicht als Feinde behandeln, Es 
wurde aud Anfangs ziemlich Ordnung gehalten. Billetichreiber wurden 
ernannt und die Soldaten regelmäßig einquartiert. Aber alles das 
war nicht vermögend, die Unzufriedenheit zu bejchwichtigen, befonders 
da die Vorftädte, (die indeffen ihren Beitrag in Geld geben mußten,) 
von Einquartierung befreit waren und deswegen die ganze Laſt der Gar: 
nifon, die mehrere Taufend Mann betrug, allein auf den Bewohnern 
der eigentlihen Stadt lag. Zu bdiefem Drud kamen noch Schikanen 
anderer Art. Zwar verließ der rohe Defequier bald die Stadt und zog 
nad Franken, wo er überall brandſchatzte und zerftörte. 1) hm folgte 
als Kommandant Charmazel, der aber, wie die Erfahrung lehrte, feinen 
Snftruftionen gemäß nicht anders, als feine Vorgänger verfahren durfte. 
Kein Bürger follte ohne ausdrüdlihe Erlaubniß des Kommandanten 
die Stadt verlafien, noch weniger Mobilien ꝛc. außerhalb der Stadt 
verkaufen, wodurd ſich manche Bürger in ihrer Geldnoth hatten helfen 
wollen. Die anfängliche Zucht der Truppen hatte“ bereits aufgehört, 
und diefer Umftand, verbunden mit den Schanzarbeiten, die ben Bürgern 
zugemutbhet wurden, ließ das Schlimmfte befürdten. Die Franzofen 
beſchloſſen nämlih, Hier Winterguartier zu nehmen und fuchten daher 
die Stadt in befjern Vertheidigungsitand zu ſetzen. Da ber Strich 
zwiſchen der Ober- und Nonnenmühle die ſchwächſte Stelle der alten 
Befeftigungen war, fo follte fie dur Wälle und Palifaden gebedt 
werden. Die Bürger mußten nicht allein das nöthige Holz herbei 
Ihaffen, jondern auch „Handdienſte“ thun. Dies reizte fie noch mehr, 
da fie fi von jeher vor Allem eifrig bewahrt hatten, was nur ent= 
fernt am Leibeigenſchaft erinnerte. Zur Unterhaltung der Gamifon 
hatte die Stadt bereits ein Kapital von 4544 fl. aufnehmen müſſen, 
da ihre Einnahmsquellen mehr und mehr verfiegten, 2) 


ı) Während feiner Anwefenheit in Pforzheim batte ihm die Stabt zu 
eigenem Gebrauch liefern müflen: 2 Ohm 7 Biertel 3 Maag Wein (A 18 fi. 
22%, f.), 366 Pfd. Fleiſch (a 3 fr. macht 18 fl. 18 fr.), 45 Bid. Sped 
(& 12 fr. madt 9 fl.) 

2) Diefes Kapital wurde Später auf Stadt und Amt Pforzheim, ſowie 
die Aemter Stein und Langenſteinbach umgeleat und traf es: 
bie Stadt Pforzheim bei 138,929 fl, 241, fr. Steuerfapital 1322 fl. 0 Fr., 
das Amt 2 „ 212,640 fl. 22 kr. ö 2023 f. 40 fr., 
bi® Aemter Stein und 

Langenſteinbach bei 125,560 fl. 9, Er. ö 1195 il. — ir. 


Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’fchen Krieg. 513 


Viele Bürger hatten fich verabredet, die Stadt nöthigenfalls mit 
Gewalt zu verlafien, wenn der Drud, oder doch wenigitens die Zahl 
der einguartierten Truppen nicht gemindert würde; die Franzofen dagegen 
drohten, die Stadt zu plündern und niederzubrennen, fobald ein Bürger 
zu entrinnen verjuche. Im diefer Noth beſchloß der Stadtrath den 
29. November (9. Dezember), der MNegierung die Lage der Sache 
vorzutragen und bei derfelben, fowie beim Kommandanten, um Der: 
minderung der Einguartierung einzulommen, ber es half nichts; die 
Regierung konnte nichts thun, und der Kommandant beachtete das 
Geſuch nicht, obgleich auf Befehl des Markgrafen Alles aufgeboten 
wurde, um diefen Mann, der das Schidjal Pforzheims in der Hand 
hatte, bei guter Stimmung zu erhalten. Am 11. (21.) Jenner des 
folgenden Jahres 1689, jei e8 unter dem Vorwande, daß Bürger die 
Stadt gegen das Verbot verlafjen hatten, oder aus Muthwillen, oder 
um die Bürger durch ſolche Maaßregeln einzufchüchtern — legten die 
Franzofen an verfchiedenen Orten in der Stadt Feuer ein, fo daß ein 
Theil derfelben, darunter das Kaufhaus, abbrannte, obgleich die Bürger 
kurz vorher bedeutende Brandſchatzungen hatten zahlen müſſen. Unter 
den Gebäuden, welche damals in Gefahr ftanden, von den Flammen 
verzehrt zu werden, war auch die Schlopfirche. Daß das ehrwürdige 
Gebäude verichont blieb, hatte man hauptfählich den Bemühungen eines 
Zimmermanng (Sebaftian Bechthold) zu danken, der mit Rebensgefahr 
die nöthigen Mittel zur Rettung des Gotteshaufes anwandte, was aud 
fpäter von der Stadt und Negierung mit reichen Belohnungen aner: 
fannt wurde, | 


8 3. Vom erften bis zum zweiten Draud, 
(Januar bis Auguſt 1689). 


Obgleich das, was ſich bisher ereignet hatte, nur das Vorfpiel zu 
bem bildete, was noch kommen follte, jo waren doch die Stadt an fi 
fowohl, als auch die einzelnen Bürger in große Noth gerathen. Die 
ſtädtiſchen Einkünfte hörten zum Theil ganz auf; der vierte Theil des 
Pfundzolles, den die Stadt anzufprehen hatte und der im Monat 
Auguft noch 30 fl. 50 fr. betragen, warf im Oftober nur noch 9 fl. 
30 fr., im November nur 5 fl. 50 ir. ab. Am Jahre 1639 fiel in 
Folge der durch die Franzofen erzwungenen Sperre bis zum Auguft 


gar fein Pfundzol mehr. Handel und Gewerbe lagen duamieber, bie 
Pflüger, Pforzheim, 33 


514 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 


Märkte konnten oft gar nicht gehalten werden, und der Ertrag bes 
Felbbaues, des hauptſächlichſten Nahrungszweiges der biefigen Bewohner 
in jener Zeit, ging durch Eingquartirung, Fourageure 2c. zu Grunde. 
Der geringe Erlös, welcher der Stadtkafie noch durch Verkauf von Holz ꝛc. 
zukam, mußte für die einguartierten Truppen zu Holz, Bau von Wacht: 
bäufern, Lieferungen von Heu ꝛc. ſowie zur Unterftüßung armer Bürger 
verwendet werben. 

Auch die umliegenden Orte wurden hart geplagt, zum Theil völlig 
geplündert. Nur die Huchenfelder blieben von der Plünderung verichent. 
Sie hieben eine bedeutende Anzahl Bäume um und verfperrten durch 
diefe Verhaue den Fourageurs und Marodeurs, die den ganzen Hagen- 
ſchieß durdhitreiften, den Weg. 

Pforzheim felbft blieb auch nad dem erjten Brande bis in den 
Sommer von den Franzoſen beſetzt unter dem Befehle des Herzogs 
von Bellefont. 1) Die PVedrüdungen und Uuälereien der Bürger nah— 
men zu. Außer jenen Brandichagungen, welche die Stadt vor dem 
Brand für fit allein hatte zahlen müffen, wurden nun noch größere 
Summen eingefordert. Die damals noch kleine Markgrafſchaft Baden- 
Durlah mußte 24,000 Gulden Brandſchatzungs- und 45,000 Gulden 
Winterquartiergelder bezahlen, wovon es Pforzbeim, damals noch die 
bedeutendite Stadt des Landes, das Meifte traf, Wie fchwer und 
drückend dieſe Kriegsgelder den Bürgern waren, läßt fih daran 
abnehmen, daß am 18. (28.) April, um diefe Gelder einzuziehen, alle 
Thore der Stadt geiperrt werden mußten. 

Am Laufe des Sommers zogen die franzöfifchen Truppen wieder 
ab, nachdem fie die Stadt in eine ſolche Noth gebracht hatten, daß es 
faſt unbegreiflih erfcheint, wie die Vürger im Stande waren, die noch 
fommenden, ungleih größern Leiden zu ertragen. Wie weiter oben 
ſchon bemerkt wurde, war der Wohlftand der Stadt ohnehin nicht groß, 
da die Wunden, welche ihr der dreißigjährige Krieg geichlagen hatte, 
noch lange nicht alle geheilt waren. 

Um 24. Juli (3. Auguft) 1689 zog eine neue franzöſiſche Heeres: 


1) Derfelbe wohnte, wie der frühere Kommandant, in dem v. Menzingen’: 
Ihen Haus am Markt. Es muß aber darin mit den Fenſterſcheiben übel 
umgegangen worden fein; benn der Glafer Chriſtoph Wilderfinn gab fpäter 
für gemachte Glaferarbeit cine Rechnung von 15 Gulden ein. 


Schszehntes Kapitel, Pforzheim im orleansihen Krieg. 515 


abtheilung bei Philippsburg unter General Düras über den Mhein, 
verbreitete ſich ſchnell am ganzen Strom und brannte Bruchfal und 
Bretten nieder. Gin Theil diefes Korps zog den 3. (13.) Auguft vor 
Durlach; ein anderer hatte fih ſchon einige Tage früher, nämlich am 
31. Juli (10. Auguft), unter General Melac der Stadt Pforzheim 
genähert und dicjelbe zur Uebergabe aufgefordert. Allein die Bürger 
waren um jo weniger Willens, jich wieder wie im vorigen Jahr durd) 
freundlihe Worte und Verſprechungen täuschen zu laſſen, als Melac 
bereit durch feine in der Pfalz verübten Mordbrennereien eine traurige 
Berühmtheit erlangt hatte und fich ſelbſtgefällig nicht umfonft den 
„Druder des Teufels” nannte, Es wurde deshalb beichlofien, die 
Stadt bis aufs Aeußerſte zu vertheidigen, obgleich fie ohne Garniſon 
und ohne Hoffming auf Entſatz war, und obgleih Markgraf Friedrid) 
Magnus den Bürgern den Rath gegeben batte, fo weit es die Um: 
ftände gejtatteten, mit dem Feinde zu unterhandeln. Jedoch verließen 
auch viele Bürger mit ihren Familien die Stadt, um in den umliegen— 
den Wäldern Zuflucht zu fuchen; allein die umberichwärmenden Frans 
zojen hatten bereits in der ganzen Umgegend die Lebensmittel aufge: 
zehrt. So waren diefe Flüchtlinge theilweife der Bitterften Noth preis: 
gegeben, die auch Viele von ihnen hinwegraffte. (So ſtarben beifpiel- 
weile damals Hungers Flößer Joh. Georg Kienlin mit Frau und 
Kindern, Krämer Michael Zocher, Flößer Joh. Ib. Mäule u. U. 
Es gingen überhaupt während des Krieges mehrere Hundert Einwoh— 
ner der Stadt durch Hunger zu Grund), Die Geflüchteten ſchlugen 
im Hagenſchieß ein Lager auf und befeftigten es durch Verhaue. 

Die Franzofen hatten fih auf dem Nod gelagert und begannen 
von dort ihre Angriffe auf die Stadt, und zwar auf der Wafferfeite 
zwifchen der Ober: und Nonnenmühle Dort war ungeachtet der im 
vorigen Jahre angelegten Wälle und Palliſaden der ſchwächſte Theil 
der Befeftigungen, weil die Stadtmauer durch die Mühlgebäude unter: 
brodhen war. Zwar wehrten ſich die Bürger aufs Verzweifeltſte; die 
im Hagenſchieß ſich aufhaltenden Pforzheimer fügten den Franzoſen vom 
Kallert aus großen Schaden zu, indem fie manchen diefer Mordbren— 
ner im Lager auf dem Mod erſchoſſen. Allein durch die Trägbeit und 
Treulofigkeit der ſchwäbiſchen Kreistruppen gelang es den Franzofen 
doh, in die Stadt einzudringen, Jene Truppen hatten nämlich im 

33 * 


516 Secht zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 


Hagenſchieß ein verſchanztes Lager) bezogen, um dadurch das Herzog: 
thum Mürttemberg zu deden. Nun wurde zwifchen ihnen und ben 
Bürgern von Pforzheim die Verabredung getroffen, daß die Kreistrup— 
pen die Franzoſen angreifen und die Pforzheimer gleichzeitig einen Aus: 
fall machen follten. Lebteres geſchah ſogleich, als man in der Stadt 
die Kreistruppen die St. Georgsfteige herunterkommen fah; allein diefe 
liegen die Bürger auf ſchändliche Weiſe im Stich und zogen ſich, ohne 
nur einen Schuß gethan zu haben, in den Hagenſchieß zurüd. Der 
Ausfall war mit ſolcher Heftigkeit gemacht worden, daß die Bürger 
großen Verluſt erlitten und es dem ftarf zuiammengefchmolzenen Häuf: 
fein derfelben nur mit Mühe gelang, fi dur die Feinde zur Stadt 
zurücdzufchlagen. Diefe benüßten aber die berrichende Verwirrung, er: 
ftiegen die Mauern und murden in Furzer Zeit Herren der Stadt. 
Die Bürger mußten, was fie zu erwarten hatten. Die Stadt Dur: 
lad hatte fich gleih am Tag nad Beginn der Belagerung ergeben; 
und wenn gleidy die Stadt niedergebrannt wurde, fo erhielten doch bie 
Bürger vorher die Erlaubniß, auszuwandern, fie durften ihre Lebens— 
mittel mitnehmen und der franzöfiiche General fchenkte ihnen ſogar 80 
Gulden (freilich geraubtes) Geld. Die Bürger Pforzheims konnten 
von den durch den. hartnäckigen MWiderftand erbitterten Franzoſen Feine 
Schonung erwarten. Wer daher noch fliehen Konnte, floh; mandye 
wateten bei der Wagmühle durch die Enz und verjuchten, ſich in den 
Hagenfchieß zu retten; aber Viele wurden auf der Flucht niedergehauen. 
Andere, die durch das Andrängen der Feinde überrafcht wurden, fpranz 
gen die Stadtmauern hinunter und fielen todt, oder bracher Arme und 
Beine, (darunter war au der Amtmann Kiener von Langenfteinbad).) 
Diele wurden beim Gindringen der Franzofen in die Stadt erichofjen, 
(fo Rothgerber Chriftoph Eberlin, Weißgerber Hans Michel Telöner, 
Seiler Jakob Flach). Noch Andere hatten Befinmung genug, ſich fech— 
- tend in das Schloß zu werfen und fid) dort zu wehren (darunter Bern: 
hard Sattler); aber auch fie wurden überwältigt und gefangen genom— 
men, Das Shidfal der Bürger, die mit den Waffen in der Hand 
ergriffen worden, war Tod oder Gefangenfhaft. Nun wurde die 
Stadt von Melac zur Plünderung preisgegeben, und die beutegie- 
rigen Sieger vannten von Haus zu Haus, um die Bürger ihrer letzten 
Habe zu berauben. Aber das Maaß der Leiden war noch nidt voll; 


!) Ueberrejte diejer Verſchan, ungen find heute noch im Hagenſchieß fichtbar. 


Schözehntes Kapitel, Pforzheim im orleans'ſchen Krieg, 517 


bie ganze Stadt wurde dem Untergang geweiht. Vergebens warfen fic 
die wenigen noch in Pforzheim befindlichen Bürger — ältere Chroniken 
geben ihre Zahl auf nur 36 an — auf dem Marktplate vor Melac 
auf die Kniee nieder, um ihn um Schonung der unglüdlihen Stadt 
zu bitten. Melac äußerte zwar — gegen feine Gewohnheit — einiges 
Mitgefühl, und rief den ihn umgebenden Offizieren die bekannten Worte 
zu: „Ach glaube, daß der Teufel im Kriegsrath zu Paris PBrifident 
ift.“ (Je crois que c’est le diable qui preside au conseil de guerre 
& Paris) Aber Pforzheim ftand auf der Yifte der 1200 Städte und 
Dörfer, die verbrannt werden fellten, und darum durfte feine Schonung 
eintreten. Am 5. (15.) Auguft, dem Tage, an welchem die Franzofen 
abzogen, wurde vorher unter alle Brüden und Thore, in alle bedeuten: 
bern Gebäude der Stadt, fo in das Schloß, das Rathhaus, die Stadt— 
fehreiberei zc. euer eingelegt, und die Thore von außen verrammelt, 
um, recht teuflifh, die Einwohner am Entweichen zu verhindern. Am 
Abend dieſes Tages Toderte die Stadt an vielen Orten zugleich im 
Teuer auf. Die auswandernden Durlacher fahen auf ihrem Zuge nad) 
Langenfteinbady auf einer Höhe im Walde bei Grünmettersbadh bie 
gräßlichen Flammen des Brandes von Pforzheim, der faft die ganze 
Stadt in einen Aſchenhaufen verwandelte, Nur ein Theil derfelben, 
nämlich der Strich vom Altftädter Thor bis zur Enz, fodann die 
Schloßkirche fammt einigen in der Nähe ftehenden Gebäuden, und end- 
lich das Dominikanerflofter mit der Stadtkirche blieben vom Feuer 
verfchont, weil e8 dem aufopfernden Muth einer Anzahl Bürger gelun: 
gen war, mit Lebensgefahr durd die franzöfifhen Wachen zu dringen 
und an mehreren Orten das untergelegte Feuer und Pulver wegzu: 
bringen. Auch die Borftädte blieben, obwohl fie bei beiden Bränden 
vom 21. Januar und 15. Auguſt geplündert wurden, von der Zer: 
ftörung frei; die Franzoſen hatten feinen Verſuch zu ihrer Niederbren: 
nung gemacht, da diefelben für feindliche Truppen feinen Haltpunkt und 
ſelbſt nicht einmal fichere Hoffnung auf Quartiere gewähren Tonnten, 
Es würde zu weit führen, alle die Drangfale zu erzählen, welde 
einzelne Bürger und Familien damals ausjtehen mußten. Viele hatten 
fih, um dem Teuer zu entgehen, in bie Keller verborgen, weil ja wegen 
der gejperrten Ihore Niemand die Stadt verlafien konnte. Dasfelbe 
hatten auch manche Andere noch wor der Anzündung der Stadt gethan, 
um nicht als Geifeln fortgeführt zu werden, fo der Spezial Mathäus 


— 


918 Sechszehntes Kapitel, Pforzheim im orleans'schen Krieg. 


Kummer, dem mit 12 andern angeiebenen Einwohnern jenes Schidfal 
bevorftand. Indeſſen, als die Stadt angezündet wurde, brannte auch 
das Haus nieder, in deffen Seller ſich Kummer jammt dem Diakonus 
Fleiſchmann befand, und fie wären Beide umgekommen, wenn nicht 
einige Worübergebende ihren angeitrengten Nilferuf vernommen und fie 
herausgezogen hätten. In ähnlicher Weile gelang es noch Dem und 
Jenem, fein Hans gegen die Kugeln und gegen den Drand, feine befte 
Habe gegen die Plünderung, feine Kinder aus den Flammen zu retten. 

Die gefangen genommenen Bürger murden von den Franzoſen 
bei ihrem Abzune fort und nah dem Elſaß geſchleppt. Die meiften 
derfelben laſſen fi angeben. Es waren: Rößlewirth Sch Bechkh, 
Küfer Heinrich Braun, Mebger Johann Bud (wurde in ber Gefangen: 
fchaft Soldat und war 1695 franzöſiſcher Hauptmann, Bäder Mic. 
Dengler, Hafner Sebaft. Dien, Schneider Peter Denninger, Kaufmann 
Mathäus Enderlin, Schreiner Lukas Flachmüller, Math. Gerung, 
Flößer Hans Georg Gerwig, Schloſſer Hans Georg Kechler, Roth— 
gerber Michael Kercher (einer der Wenigen die wieder zurückkehrten), 
Matthäus Lotthammer, Schreiner Job. Yang, Metzger Job. Ib. Meer: 
wein, Schuhmacher Rob. Peter Vintichler, Zeugmader Joh. Martin 
Niclus, Sigmund Pfinder, Joehann Schwarz, Tuchmacher Fried. Solb, 
Schmied Math. Sattler, Metzger Jakob Wirtd u. U. m. Die ge 
fangen genommenen Bürger hatten meift ein fonderbares Scidial. 
Sie wurden mit andern aus der Markgrafſchaft fortgeichleppten Ein- 
wohnern auf die Galeeren geichmicdet, fpäterbin aber 1300 davon von 
Ludwig XIV. dem vertriebenen englifchen König Jakob Stuart zu 
Hilfe geſchickt. (Won den nefangenen Pforzbeintern war 1. A. dabei: 
Math. Gerung, Andreas Hertenftein, Job, Mart. Niklus und Johann 
Schwarz.) Ahr Anführer, Mathäus Steig, ergab fit jedoch mit fei- 
‚nen Truppen an das Haus Hannover, wofür ihn König Georg von 
England zum Oberften ernannte. Don den Pforzheimern haben aber 
die meisten ihr Vaterland nicht wieder geieben. 


84 Zuſtand der Stadt nad) dem zweiten Brande, Bemühungen 
zur Verbefferung desfelben, 


(1689 — 1691.) 


Die Stadt gewährte einen traurigen Anblit, Sie war faft nur 
eine weite Brandftätte. Die meiiten Häufer waren bis auf den Grund 


Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 519 


niedergebrannt, von andern, wie 3. B. von der Gtadtjchreiberei, wo 
indefjen ein Theil der Regütratur ein Raub der Flammen wurde, 1) 
dem dv. Ehingen'ſchen Haus am Markt, dem v. Flehingen'ſchen Haus 
in der Lammgafje, dem Schloß fammt einigen unterhalb desſelben 
ftehenden Häuſern, dem Schlachthaus zc. waren ein Theil nody ftehen 
geblieben. Die Gaffen lagen fo mit Schutt und Aſche angefüllt, daß 
felbft in den obern Theilen der Stadt die Keller, welche eine Zeitlang 
bei vielen Bürgern die Stelle der Wohnungen vertreten mußten, fich 
mit Waſſer füllten und faft überall in den ohnehin engen Straßen die 
Durchfuhr gehemmt war. Diejenigen Bürger, weldye fich bisher im 
Hagenſchieß aufgehalten hatten oder ſonſt zefloben waren, kehrten nun— 
mehr wieder zurüd. Das Lager der Erjtern war mehr als einmal 
den Angriffen frangöfiiher Streifforps ausgeſetzt geweſen; aber bie 
Plünderungsluft derfelben fcheiterte an dem Muth der Verzweiflung. 
Die Bürger kämpften, nachdem der Brand fie faft aller ihrer Habe 
beraubt hatte, um ihr Letztes. Jetzt drängte ſich Alles im den noch 
übrigen Reſt der Stadt zufammen. Wer gar feinen Raum mehr fand, 
erbaute fih an einem beliebigen Plat eine Hütte. Auch der Markt: 
platz mußte dazu dienen, Auf Negelmäßigfeit oder gehörige Breite der 
Straßen, auf einige Schub mehr oder weniger Plab wurde dabei nicht 
gejeben. 

Nicht minder groß als die Unordnung war die Noth der Bürger 
und ihrer Familien, da fie durch Plünderung und Brand fait Alles 
verloren hatten, und das, was verborgen und gerettet worden war, 
gegen das Verlorene unbedeutend erichien. Aller „Verkehr, aller Handel 
war vernichtet, und die meiiten Bürger waren ohne Mittel zum Unter: 
halt. Zwar hatte man nad dem erjten Brande zwei Bürger, näm— 
lich die beiden Stadtgerichtsprofuratoren Maurer und Mauch, mit einem 
Patent ausgeſchickt, um Beiträge für die Abgebrannten zu ſammeln. 
Sie braten zwar auf ihrer Reife durch faft ganz Deutichland eine 
erfledlihe Summe zufammen; aber da die Zahl der Unterſtützungs— 
bedürftigen durch den zweiten Brand viel größer geworden war, 
jo erbielt jeder Bürger, der jein Haus verloren hatte, nach Be— 


1) Ein am 26. Auguſt 1689 wieder begonnenes Gontraften = Protofoll ift 
„angefangen nad dem franzöfiihen Brand, in welchem die vorhergehende pro: 
tocolle (von 1687 und 1683) au Grund gangen.“ 


520 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’ichen Krieg. 


ihluß Gerichts und Raths vom 14. (24) Auanft 1689 1) nur 
410 Gulden, woran aber die Bedingung des Wiederaufbaus der Woh— 
nung gefnüpft war. Woher aber die weitern Mittel zum Bau neb: 
men? Viele Bürger hatten fein Brod, und fahen ſich am Ende ges 
nöthigt, auszumandern. „Der Sammer war fo groß,” fagt ein Augen: 
zeuge (Kummer), „daR ich mich beinahe ſelbſt nicht mehr zu faflen 
wußte, und, wenn ich wollte, denielben Teichtlich jo beichreiben könnte— 
daß Einem beide Ohren davor gellen und alle Haare empor ftehen 
müßten.“ 2) 

Es war feine feicyte Aufgabe für den damaligen Stadtrath, in 
diefes wirre Durcheinander einige Ordnung zu bringen, Indeſſen ent: 
lebigte er fich diefer Obliegenheit jo gut, als ihm dies der fat gänz: 
liche Mangel an Hilfsmitteln geftattete. Cine der erften Sorgen bei 
ben unruhvollen Zeiten mußte Sicherbeit gegen Außen fein. Von den 
Thoren der Stadt waren durd die beiden Brände das Schloß: und 
bag Auerihor vernichtet, die übrigen mebr oder minder beihädigt wer: 
ben. Letztere wurden, fo gut es ſich thun lieh, wieder hergeftellt und 
fo ſtark befett, als es die verringerte Zahl der Bürger geftattete. Diefe 
Maafregel war nicht nur gegen äußere Feinde, fondern auch gegen bie 
Bürger felbft nothmendig, um das allzubäufige Entweichen derfelben 
zu verhindern. Es ftand, wenn nicht Einhalt gethan wurde, eine gänz- 
liche Enteölferung der Stadt zu befürchten. Gleich nach dem Brande 
(den 14. [24] Nuguft) wandte ſich deshalb der Stadtratb mit einer 
Eingabe an die Negierung, worin er den elenden Zuſtand der Stadt 
fhilderte, die Befürchtung, daß diefelbe durch Megzieben der Türger 
entoöfkert werben möchte, ausiprady und als Mittel dagegen vorfchlug: 
1. Befreiung von der Schatzung; 2, die Aufhebung des Pfundzolles ; 
3. die Ausihaffung der Juden, welche den Bürgern in ihrer Nahrung 


1) Anweſend babei waren: Bürgermeilter Martin Zoller, Altbürger: 
meifter Stieß, Kiefer, Eberlin, Scheidlin, Holdmeyer, Herbiter, Wilderfinn, 
Kercher, Meerwein, Burkard, Bub, Lötterlin, Schnellin, Meier, Kornmann, 
Oſtertag. Die Rathsſitzungen wurden nad Abbrennung bes Rathhaufes im 
Haufe des Färbers Andr. Kienlin gehalten. — Zoller war im den erften Jab- 
ten bes Krieges Bürgermeifter, 1691 Georg Eberlin (+ 1693 nad dem Grab: 
flein auf dem Kirchhof), in den folgenden Jahren abwechſelnd Leonhard 
Herbfler und Chriſtoph Wohnlid. 

2) Schriftlicher Abſchied zc. 


Schszehntes Kapitel Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 521 


bisher ſehr ſchädlich geweſen, und 4. die Verftatiung des freien Handels 
und Wandels in allen Sachen. Diefe Freiheiten wurden auf 15 Jahre 
verlangt, nach deren Umfluß die vielfach verkürzten Privilegien von 
1491 wieder in volle Kraft treten follten. Die Negierung zu Niefern: 
burg befürmwortete dieſe Forderungen bei der fürftlichen Megierung zu 
Bafel, und es jheint auch, daß von diefer auf den elenden Zuftand 
der Stadt gebührende Nüdfiht genommen und in einem bald darauf 
erlafjenen fürftlihen Befehl, daß die Bürger die Stadt nicht verlaffen 
follten, das Wefentlihe der erwähnten Forderungen zugeftanden wurde. 
Indeſſen nöthigte die immer fteigende Noth noch Manden zur Aus: 
wanbderung. 

Bei weiten die jchwierigfte Arbeit aber war die Gintreibung ber 
vielen nothwendigen Gelder. Da die Einkünfte der Stadt entweder 
ganz verloren waren oder nur ſehr unregelmäßig einningen, jo mußten 
die vielen auferorbdentlihen Ausgaben für Herftellung der öffentlichen 
Gebäude, Thore ꝛc., die noch fortdauernden Kontributionsgelder und 
Lieferungen an die Franzoſen, wie an die ſchwäbiſche Kreisregierung 
für die nun endlih mit arökerm Cifer betriebenen Kriegsrüſtungen ꝛc. 
durch außerordentliche Umlagen gebedt werden. Das war feine leichte 
Aufgabe und wurde bei der herrichenden Notb und dem Mangel an 
Gemeinfinn — eine natürliche Folge der bisherigen vergeblichen Auf: 
opferungen — oft geradezu zur Unmöglichkeit. Die Unzufriedenheit 
der Bürger, die ſich oft auf die heftigſte Weiſe Quft machte, wurde 
aber größer, als noch Anforderungen anderer Art einliefen. Meil 
die Pforzheimer Bürgerichaft noch glücklich fehien im Vergleich mit 
andern Städten, 3. B. Durlach, da in Pforzheim doch noch ein Theil 
der Stadt gerettet worden war, während Durlach gänzlich in Aſche 
Tag, fo fiel auch der größte Theil der Kaften, welche die untere Mark: 
grafſchaft zu tragen Batte, auf Pforzheim. So wurde der Stadt zuge: 
muthet, gemeinfchaftlihb mit dem Amtsbezirk "56 fl. zur Unterftügung 
des in franzöfiiher Gefangenschaft zu Philippsburg fißenden Unter— 
vogts Scheid und des Dürgermeifters Wild von Durlach zu bezahlen, 
obgleich der Stadtratb die Unmöglichkeit darlegte. Aus ähnlichen 
Gründen wurde auch das Durlader Gymnaſium nad Pforzheim in 
das vom Brand verfchont gebliebene Jredigerflofter verlegt, und ſchon 
am 8. (18.) September kam der Nektor des Gymnaſiums, Michael 


* 


599 Sechszehntes Kapitel. Piorzheim im orleans'ihen Krieg. 


Bulyowsky, nah Pforzheim, um die nöthigen inrichtungen zu 
treffen. 1) 

Gleichzeitig gelangte aud ein Befehl des franzöfifchen Generals 
Düras nad Pforzheim, daß der dafige Obervogt in Lichtenau vor ihm 
erfcheinen ſollte. Da in diefer Zeit fih gar fein fürftlicher Beamter 
in Pforzheim befand, fo wurde der lichtenthal'ſche Schaffner, Mathias 
Delendroit, abgefandt. Düras verlangte die völlige Zerftörung aller 
Feſtungswerke, Niederreifung der Stadtmanern und Ausfüllung ber 
Gräben. Endlich ließ er fih doc mit Abtragung der in dem letzten 
Sabre angelegten Mälle und Pallifaden begnügen, die auch in der 
erfrenlichen Ausficht geihab, beim nächſten Truppeneinmarſch wieder 
berftellen zu müffen, was man jet niederriß. 

Der größte Sammer entitand aber in Pforzheim, als fi im 
November 1689 das Gerücht verbreitete, daß die Stadt im bevor: 
ftehenden Winter mit einer ſtarken Garnifon befegt werden folle. „Das 
fei rein unmöglich,“ äußerte fih darüber in einer Rathsfigung der _ 
bamalige Bürgermeiiter Joh. Jak. Deimling, „da die Stadt in zwei 
Bränden faft gänzlich im Aſche gelegt und die Einwohner um Habe 
und Nahrung gebracht worden feien.“ In einer deshalb an die Regie— 
rung in Niefernburg gemachten Eingabe hieß es ferner: „Die wenigften 
Einwohner hätten über Nacht das liebe Brod im Haufe; die noch 
übrigen Häuſer feien dergeftalt mit Einwohnern überfüllt, daß fein 
Pla weiter vorhanden, Jemanden unterzubringen; zudem würde es 
{hen unmöglich fallen, nur das Nötbige an Holz und Lichtern für die 
Machen beizufchaffen, meil die dazu erforderliden Mittel weder bei 
gemeiner Stadt, nody bei der Bürgerfchaft anzutreffen fein.” Ein 
ähnliches Schreiben erging auh an den Markgrafen Karl Guftan, 
Bruder von Markgraf Friedrich Magnus und damals Generalfeldzeug- 


1) Von ben 10 alten Mönchtzellen, welche gegen DOften Tagen, richtete 
Bulyowsfi 4 zu Schulzimmern ein; das Schiff der Kirche wurde zu Gebeten, Bor: 
lefungen, ſpäter aud zum Predigen benügt. Auch die beiden Aubditorien, welche 
an bie genannten Zellen fließen, wurden für das Gymnaſium verwendet, das 
eine als Konferenzzimmer, das andere zu Vorleſungen. 1690 ben 13. März 
wurde ber Unterricht mit 60 Schülern eröffnet, deren Zabl nah Errichtung 
einer 4, Klaffe 1691 ſchon auf 150 geftiegen war, Außer bem Rektor wirften 
bamals an ber Schule die Lehrer Bendel, Ludovici und Wagner. (Vergleiche 
hierüber: Bierordt, Geſchichte der Karlsruher Mittelihule, ©. 35.) 


Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 525 


meifter des ſchwäbiſchen Kreifes. Statt einer Antwort kam unterm 
8. (18.) November ein fürftliher Defebl, daß die Stadt fid, auf die 
Einquartierung von einigen hundert Mann bereit halten ſolle, und ſchon 
10. (20.) November zogen 200 Mann Truppen des ſchwäbiſchen Krei— 
jes zu Ruß und zu Pferd unter Hauptmann von Hagen in die 
Stadt ein. Der Kommandant verlangte fogleih Räumung der Stabt— 
nmauern, Erbauung von Wachhäuſern, Verſchanzung des Skleiftbors, 
Pallifaden an mehreren Orten :c., ſodann Licht und Holz auf bie 
Mactftuben. Das in der Stadtfajfe vorhandene Geld war aber nicht 
einmal hinreichend, um die dazu benötbiaten zwei Pfund Fichter täg: 
lich anzufchaffen; man wußte feinen andern Rath, als einen Weggeld— 
ſtock aufzufchliegen und befam dadurch 26 fl. 25 fr. Dies reichte natür- 
Vich nicht weit. Die auf die Bürger umgelegten Kriegegelder gingen 
nicht ein, denn die wenigiten konnten fie bezahlen. 

Am Dezember rüdte unter dem Befehl des Oberiten Palffy neue 
Garniſon in Pforzheim ein 1), welche das ganze Jahr 1690 hindurch 
die Stadt hart drückte, und am Ende des Jahres fam noch eine 
Abtheilung Hufaren dazu. Zwar follte beſchloſſener Maßen die Stadt 
Augsburg die Verpflichtung haben, diefe Garnifon zu unterhalten, 
und Pforzheim follte ihr nur Obdach gewähren, aber das große 
und reihe Augsburg kam, wie es ſcheint, diefer Verpflichtung nicht nad, 
und fo fiel die ganze Laft der Einquartierung mieder auf die Bürger 
von Pforzheim. Es geht dies wenigſtens aus den rührenden Schilde: 
rungen der allgemeinen Notb in den öfters an die Regierung gemachten 
Eingaben, aus den immer wiederkehrenden Klagen über die Megnahme 
und Vernichtung der Feldfrüchte durch die Fourageurs der Garnifen, 
die beftändige Lieferung an Naturalien ꝛc. deutlich genug hervor. Dazu 
famen noch die Kriegsgelder an die franzöſiſchen Kommandanten in 
Straßburg und Philippsburg. Diefe muhten fast jedes Mal mit 
milttärifcher Orefution eingezogen werden. Der Schuldner mußte die 
mit der Erefution beauftragten Soldaten, denen er fogleich einen Batzen 
Gebühr zu entrichten verpflichtet war, fo Tange behalten, bis er zahlte, 
und überdies Foftete jede Stunde wieder einen Batzen Entſchädigung. 


) Palffy auartierte ſich beim Faiferlihen Pofthalter, Bärenwirth Ambros 
Deichler ein, welcher, fo fang der Kommandant bei ihm wohnte, wöchentlich 
1 Klafter Brennholz ertra erhielt, 


524 Sechdzehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’shen Krieg. 


Um das Maaß des Ungemachs voll zu machen, mußte zu Anfang 
des Jahres 1690 ein Eisgang mit Ueberſchwemmung die Auer Brüde 
gänzlich und die Altjtädter Brüde größtentheils zerftören und fait alle 
Dimme und Wehre befhädigen. Die zur Wiederherftellung derfelben 
erforderlichen Mittel waren auf Feine andere Art aufzutreiben, als daß 
auch den gefreiten Perſonen (Adelihen und Staatsdienern), forwie den 
Juden, die fenft auch feine außergewöhnlichen Abgaben bezahlen durf: 
ten, Beiträge angefeßt und von ihnen erhoben wurden. Das gab 
Mißbelligkeiten, die noch vermehrt wurden, als im Laufe des Jahres 
die Mebgerzunft fich hartnäckig weigerte, die ertraordinären Kriegsgelder 
zu bezahlen und auch die übrige Bürgerſchaft fehwierig zu werben 
anfing. Willlommen war es daher dem Stadtrathe wie der Bürger: 
(haft, daß im Dezember Markgraf riedrih Magnus felbft hierher 
kam. Alles jchöpfte neue Hoffnung und wartete auf Erleichterung und 
Hilfe, aber vergebens, Was konnte der Markgraf auch ‚beim beiten 
Willen thun ? 


85. Wene Verwüſtungen. Berennung und Plünderung Pforzheims. 
Treffen bei Pforzheim und dritter Brand. 


(1691 und 1692.) 


Der Zuftand der Stadt, wie er zu Ende des Jahres 1690 
gewefen, dauerte auch bis über die Hälfte des Jahres 1691 fort. Am 
Juli diefes Jahres drohte jedod die franzöfiiche Armee von der Rhein: 
ebene nah Schwaben durdyzubrehen. Die Stadt Piorzheim zu be- 
ſchützen, war Aufgabe des ſchwäbiſchen Kreisregiments, defjen Führung 
eben erft dem Grafen Karl Egon von Fürftenberg, einem im Türken: 
frieg erprobten Diffizier, übertragen worden war. 1) Er hatte zur Ber: 
ftärtung 500 Mann gedienter Soldaten erhalten. Als fih jedoch die 
Gefahr zu verziehen ſchien, da der Feind fih auf Graben zurüdzog, 
jo entjandte er 200 Mann zur Verſtärkung feines Oberftlieutenants 
v. Remdingen nah Ettlingen, Er jelber bezog Quartier in Weil ber 
Stadt und ließ den Reſt feiner Leute zu ihren im Kinzigthal ftehenden 





1) Man vergleiche zum folgenden: Fickler, Geſchichte von Fürſtenberg, IV., 
S. 172 fi. 


Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im ortleans'ſchen Krieg. 595 


Kompagnien ftoßen. In Pforzheim bfieb eine Kompagnie unter der 
Führung von Hauptmann Zichwolf. 1) 

Unvermutbet fette fich jedoch die franzöfifche Armee, 30,000 Mann 
ftart, von Graben ber gegen Pforzheim und Stuttgart in Bewegung. 
Bei ihrer Annäherung floh, mer irgend fliehen konnte, und fuchte feine 
befte Habe zu retten. Viele aber wurden vor der Stadt von ben 
Ichnellanrücdenden Franzofen ergriffen und beraubt. Dem Grafen von 
Fürftenberg war durd) Hauptmann Zickwolf von dem Erfcheinen der 
franzöjiihen Armee vor Pforzheim raſch Nachricht gegeben worden, und 
er eilte feiner bedrohten Kompagnie fo ſchnell zu Hilfe, daß er früh 
7 Uhr bereits auf den Anhöhen füslih von der Stadt angelangt war. 
Bon bier fah er ſchon den Vortrab des Marſchalls von Villeloi in 
der Nähe Pforzheims angelangt; die Neiterei tummelte fih auf dem 
Anger zwifchen Mauern und Gebirg. Fürſtenberg ſchlug ſich durch 
dieſelbe, tödtete dem Feind zwei Offiziere und mehrere Gemeine und 
erreichte mit 35 erbeuteten Pferden glüdlid die Stadt. Der Feind 
ließ aber nicht fo Teichten Kaufes von bderielben ab; fein Fußvolk, 
untermengt mit Dragonern, rüdte gegen die Brößinger Vorſtadt vor, 
drängte die dort aufgejtellten Poſten in die Stadt zurüd und fing 
legtere mit 6 Stüden, worunter 4 ganze Karthaunen, zu beſchießen 
an. Die Garnifen Fonnte nur mit 3 Stüden Meinen Feldgeſchützes, 
etlihen Doppelbafen von einem Thurme und mit dem wirkungslofen 
Teuer der Musketiere von den Mauern herab antworten. Bis Abends 
9 Uhr war in letztere bereits eine fo bedeutende Breſche gelegt, daß 
fie mit 15 Pferden in der front zugänglid war. Wen dem erwarte: 
ten Entſatz war weder Spur, nad Nachricht vorhanden. Da hielt ber 
Graf auf Bitten der Bürgerfchaft Kriegsrath und bot nad deſſen 
Ausipruch Uebergabe der Etadt gegen freien Abzug der Mannſchaft 
mit voller Nüftung, Kraut und Loth an. Der Feind beftand mit 
Hinweifung auf den Mauerbrud auf unbedingter Uebergabe. Mittler: 
weile hatte ein Bote des Grafen Palffy durch Schwimmen die Stadt 
erreicht mit der Nachricht, er werde des andern Tages Entjag mit 
4000 Mann dringen, wenn die Stadt ſich noch fo lange halten fünne, 


1) Der Grabftein eines „Ernft Friedrid Zidwolf, Hauptmann unter 
bem hochlöbl. landgräflich Fürſtenbergiſchen Kreisregiment zu Fuß, geftorben 
36 Jahre alt am 12. Oktober 1694* befindet fi auf dem Kirchhof. 


596 Schsschntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 


Das hob die Hoffnung der Gamifon und Bürgerfchaft wieder, und es 
wurde von leßterer fogar, fei es aus Mifverftändniß, fei e8 aus 
Siegeszuverfiht, auf einen franzöflichen Parlamentär geſchoſſen, was 
das Schickſal der Stadt Leider fehr erſchwerte. Des andern Tags 
erjchienen die öftreichiichen Truppen ; allein ftatt 4000 Mann nur in 
der Stärke von SOO Hufaren und 600 Kommanbdirten. Cie wurden 
von den Franzoſen in der Ebene vor der Stadt empfangen und zurüd- 
geichlagen, und in das Lager des Feindes rückte Verftärfung ven 3000 
Mann Fußvolf unter dem Herzog von Bourbon ein. est war jede 
Hoffnung auf eine erfolgreiche Vertheidigung abgeſchnitten; Garnifon 
und Stadt ergaben ſich auf Gnade und Ungnade. Erſtere wurde mit 
den vornehmften Bürgern, die man in Ketten ſchlug, gefünglic nad 
Frankreich abgeführt. (Viele der Bürger wurden nachher unter die 
franzöſiſchen Truppen geftedt und mußten mit diejen den fpanifchen 
Erbfolgefrieg mitmachen.) Der Graf von Fürſtenberg wurde bis aufs 
Hemd ausgeplündert; faum daß man ihm ein Pferd erlaubte, den 
eg in die Gefangenschaft anzutreten. Das Schickſal der von Ein- 
wohnern leeren Stadt war ebenfalls eine gänzlihe Plünderung. Die 
Franzoſen nahmen auch die noch vorhandenen Soden, jo namentlich die 
4 der Altjtädter Kirche mit fort (die der Barfüßer- und Stadtkirche 
waren fchon beim zweiten Brande 1689 geraubt worden), und dies 
Mal war es wohl auch, daß die fürftlihe Gruft in der Schloßkirche 
erbrochen und die dort befindlichen zinnernen Särge zerichlagen wurden. 
Die franzöfiihe Armee mußte jedoch fchnell nach Stuttgart worrüden, 
und fo blieb wenigftens ein Vorrath an Mehl und Wein übrig. Das 
war aber aud Alles, Kurz vorher bitten die Bürger das, was fie 
vor dem zweiten Brand glüdlih in andere Städte, namentlid nad 
Um, gerettet, nad) und nach wieder geholt; jeßt war Alles geraubt. 
Das von Durlach nad Pforzheim verlegte Gymnaſium wurde wieder 
aufgelöst und die Profefjoren zerftreuten fich im Auslande, Der Rektor 
Bulyowsty wurde Mektor des Gymnaſiums in Ochringen, fpäter zu 
Stuttgart. 1) Bendel kam nad) Schleswig, und Qudovict ftarb. 

Bei der Lage Pforzheims an einer Hauptftraße war bie Stadt 
bei allen Durhmärfchen der Einquartierung und Mißhandlung ausgeſetzt, 
und jo kommt es auch, daß fait jeder Zug einer Armee durd eine 


') Nah dem Ryswiker Frieden kehrte er jedoch wieder ins Badiſche zurück. 


v 


Echszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 597 


Plünderung oder Verwüftung Pforzbeims begleitet it. Dies Schickſal 
traf die Stadt im Jahr 1692 doppelt ſchwer. 

Die Bürger, die vor der eben erzählten Plünderung die Flucht 
ergriffen hatten, jammelten fih nah und nach wieder mit Ausnahme 
derer, welche jib am andern Orten häuslich niedergelafien, Obgleich 
die Zahl der Bürger Flein war, jo evicheint es doch fait unbegreiflich, 
wie auch dieje Wenigen ſich noch ernähren Fonnten; denn der Mangel 
und das Elend waren ſo allgemein, daß felbſt einige Mitglieder des 
Gerichts und Raths, die ſonſt unter die wohlhabendſten Bürger der 
Stadt gehörten, mit den ſchuldigen Zahlungen innehalten mußten. In 
einem ſchreienden Mißverhältniß ſtanden damit die bedeutenden Geld— 
forderungen an die Stadt auch in dieſem Jahre. Die Summe der 
1692 zu zahlenden franzöſiſchen Kontribution betrug 833 Gulden. 
Zur Montirung von 3 Reitern, 3 Dragonern und 24 Infanteriſten, 
welche der Stadt und dem Amt Pforzheim zu werben anbefohlen 
waren, mußte die Stadt 410 Gulden bezablen. 1) Dazu kamen auch 
die beftändigen Koften der in Straßburg noch immer gefangen 
figenden Pforzheimer Bürger, denen für diefes Jahr 200 Gulden 
gejandt wurden. Gin wiederholter Verſuch, die gefreiten Perfonen zu 
ſolchen Forderungen beizuziehen, führte erſt jpäter zum Ziel. 

Im September 1692 war der Oberbefehlshaber der franzöfifchen 
Armee, der Herzog von Lorges, von zwei Seiten von den verbündeten 
Truppen angegriffen worden und zog fich fchnell nad Fortlouis zurüd. 
Unerwartet aber brac er von dert wieder auf in der deutlichen Abficht, 
Württemberg zu überfhwemmen. General Chamilly zug mit einem 
Theil des Heeres voraus und rüdte raſch vor Pforzheim, das er am 
14. September einnahm, nachdem die Franzoſen an mehreren Orten 
die Stadtmauern geiprengt oder doch, wie beim Schleifthor, unterminirt 
hatten. Die meiften Bürger waren wieder geflüchtet. Der Adminiſtra— 
tor von Mürttemberg, Herzog Friedrich Karl, 2) der in die Gegend 
von Pforzheim gefchit worden war, um Württemberg zu deden, fonnte 
die Beſetzung Pforzheims nicht mehr hindern. Hier bei ‘Pforzheim 


1) Ein Reiter foftete damals 130, ein Dragoner 120, ein Infanterift 
20 Gulden. 

2) Er war ver Onkel des noch minderjährigen Thronerben Eberhard 
Ludwig. 


538 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 


wurde er aber von dem Herzog von Lorges, der unterbefjen mit ber 
Hauptarmee über Durlach und Wilferdingen nachgerückt war, mit folder 
Heftigfeit angegriffen, daß feine Truppen in die größte Unordnung ges 
rietben und alle ihn verliefen. Er jelbft wurde nebft dem General 
Seyer, 60 Gemeinen, einigen Standarten und dem ganzen Gepäde 
gefangen und nah Straßburg geführt. 

Nun begannen wieder die Verheerungen durch Ylünderung und 
Brand. Chamilly, der bisher Pforzheim beſetzt gehalten, hätte es wohl 
nicht gewagt, Pforzheim zu verwüſten, ehe er den Ausgang des Treffens 
fannte. Als aber die württembergifhen Truppen fo völlig geſchlagen 
waren, verbreiteten fich die Franzoſen in der ganzen Umgegend und 
„wütheten mit Brennen und Plündern in den Städten und Dörfern.” 
Am 48. und 19, September plünderten fie Knittlingen, Vaihingen, 
Neuenbürg, Liebenzell und andere Orte, am 20. verbrannten fie Calw 
und Hirihau, am 24. Knittlingen. 

Auch im Pforzheim murde nunmehr faft Alles ein Raub der 
Flammen, was bei den beiden frübern Bränden verfchont geblieben 
war. Der öftlihe Theil der Stadt, den die Todesverachtung der Bürger 
1689 gerettet hatte, das Predigerkloſter nebſt der Stadtkirche, insbe: 
jondere aber auch die bisher ftehen gebliebene Brößinger Vorſtadt und 
die Au mit der Auer-Brücke — Alles wurde in Aſche verwandelt. 
Auch eine Menge jener ſchnell bingebauten Hütten, ſowie mehrere ber 
feit dem letzten Brande nenaufgeführten Häufer nahm das Teuer 
wieder hinweg. 

Diesmal kamen die Franzofen auch nach Liebened, das wegen 
feiner verborgenen Rage bisher von Plünderung und Brand verfhont 
geblichen war. Dorthin hatte man ſchon früher das Stadtarchiv ver- 
bracht, und auch Spezial Kummer, der bereits bei zwei Plünderungen 
bart betroffen worden war, hatte mit andern guten Freunden Kleider, 
Biftualien, Bettwert, — Kummer namentlich auch feine fchöne Biblio: 
thek dorthin geflüchtet. Alles ging aber jebt verloren, und was” bie 
Franzoſen nicht mit fortnehmen konnten oder was für fie feinen Werth 
hatte, wie die Papiere des Archivs, wurde muthwillig verdorben und im 
Hagenfchieß umber zeftreut. (ES finden ſich noch Rechnungen von 
Perfonen vor, die mit Sammlung der auf foldhe Weife zerriffenen und 
zerftreuten Urkunden 2c. beauftragt waren.) Bei ihrem Abzug ftedten 
die Franzoſen das Schloß in Brand, 


Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 529 


Schon vorher hatte fih Spezial Kummer, diefer für das Wohl 
feiner Gemeinde unermüdlih thätige Seelforger, der bisher in allem 
Leid getreulich zu derfelben geftanden, aber jest beim Wiederheranrücken 
der Franzofen mit den größten perfönlihen Gefahren für feine Sicher: 
beit, ja fein Leben bedroht war, nach Um. geflüchtet, wohin aud bie 
Kirchengeräthe 2c. gebracht worden waren. Von dort aus richtete er, 
als er die Unmöglichkeit einſah, unter obwaltenden Umftänden nad) 
Pforzheim zurücdzufehren, und eben eine Aufforderung erhalten hatte, 
fih an den marfgräflihen Hof nach Baſel und in die Herrichaft Nötteln 
zu begeben, an feine Gemeinde den bereit mehrfach angeführten Ab: 
ſchiedsbrief, 1) der, wenn man jett auch allerlei daran auszufeken finden 
dürfte, doch überall von der Liebe Zeugniß gibt, mit welcher diejer 
würdige Geiftliche feiner Gemeinde zugethan war, und von dem Eifer, 
mit welchem er fi) das geiftlihe Wohl derfelben angelegen fein Tick. 

Nachdem fi) die Franzofen am 8. (18.) Oftober wieder aus 
der Gegend entfernt hatten, kehrten de Bürger nach und nach zu 
ihren Schuttftätten zurüd und bauten fid) wieder Hütten. Pforzheim 
gewährte ein trauriges Bild. „An der ganzen Stadt ſah man nur 
rauchende Trümmer, und aus diefen ragten die noch ftehenden, aber 
zum Theil ihrer Thürme beraubten, ſchmuckloſen Kirchen düſter empor. 
Eine Menge Hände war beichäftigt, aus den Schutthaufen das noch 
erhaltene Hausgeräthe herauszufuchen. Auf dem Marfte vor den 
Bäderläden ftanden die Kinder baufenweife und ſchrieen um Brod, und 
die Bürger liefen ängſtlich umher, bald da, bald dort um Hilfe an— 
ſprechend.“ So jchildert ein Augenzeuge den damaligen Zuſtand ber 
Stadt. 

Um die Noth noch größer zu machen, kam kaum 8 Tage nach 


1) Der vollftändige Titel desfelben lautet: Das Nichtiehen und Wieder: 
iehen über ein Kleines, oder Matthaei Kummers Hodfürfl. Marggräfl 
Badiſchen Kirchenratbs Sp. Superintendenten und Stattpfarrer in Pforgheimb 
Schriftlicher Abſchied. Welchen Er anftatt einer verlangten Valet- 
Predigt, von feinen allerfeits vielgeliebten, und obnedem über ben kläglichen 
Zuftand, darinn Cie auf Gottes gerechtem Strafgerichte, zu verſchiedenen 
mablen gerathen, höchſt Betrübten Pfarr: und Beichtsflindern bafelbft, auf eine 
Zeitlang nehmen müflen. — Psalmi CXXXVII, ®. 5 u. 6: Vergeſſe ich bein 
(Pfortzheimiſches) Zerufalem, fo werde meiner Rechten vergeifen, meine Zunge 
müße an meinem Gaumen leben, wo ich Dein nicht gedenke — ULM. Drudts 
Ferdinand Maud, 1694, 

Pflüger, Pforzheim. 34 


530 Scchszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 


dem Brande ein Befehl des franzöfiihen Kommandanten zu Straß: 
burg, daß die Stadt Pforzheim für das Jahr 1693 4000 Reichsthaler 
zablen und einen Theil diefer Summe innerhalb 14 Tagen entrichten 
fole. Die Bürger mußten mit ihrer noch übrigen Habe haufiren gehen, 
um aus deren Erlös die Kriegsgelder bezahlen zu können. 


56. Die folgenden Kriegsjahre. Der Friede zu Uyswik 
(1693 — 1697.) 


Die Bürger hatten nicht lange die traurige Freude, wieder in ihren 
Häufern und Hütten zu wohnen; benn bald nad dem Brande zog 
wieder eine neue franzöfifche Garnifon ein unter General Molineaur. 
Die ganze Umgegend wurde von den Franzoſen befekt; ihr Haupt: 
quartier war zuerft in Graben, nachher in Grötzingen. Die Bürger 
von Pforzheim waren, ehe noch diefe Garnijon einrüdte, um eine Balva 
guardi (Sauve garde) eingefommen und mußten deshalb auch bedeutende 
Schuß: und Sicherheitsgelder erlegen; aber fie erlangten damit nichts 
Weiteres, als daß die Stadt von einem neuen Brande verfchont blieb; 
bie Plünderung, die im Juli 1693 erfolgte, war fo hart und drüdend, 
wie die frühern. Die ftarte Garnifon, die vielen Truppen in ber Gegend 
batten faft alle Lebensmittel aufgezehrt; der Feldbau lag bei den 
unaufhörlihen Truppendurchmärſchen ganz darnieder. Der damalige 
Stadtrath fagt in einem Bericht, daß nicht mehr als noch 9 Pflüge in 
Pforzheim feien, während es fonft 70 — 80 geweſen. Das verurfachte 
bedeutenden Fruchtmangel, wodurd auch der Preis des Kernens auf 
bie für die damaligen jo geldarmen Zeiten höchftbebeutende Summe 
von 27 Gulden ftieg. Diele Bürger wußten ſich nicht anders zu bel- 
fen, ‚als daß manche ihre Güterftüde, theils um Mittel zur Stillung 
ihres Hungers zu erhalten, theils um die ſchweren Kriegsſteuern ent= 
richten zu können, um eine Kleinigkeit weggaben. 1) Wie fehr der Preis 


1) Aeltere Chroniken (Deimling) erzählen, daß bamals Güterftüde um 
einen ober mehrere Laibe Brod, einmal um einen Saumagen, (movon bas Ed 
zwifchen ber Durlacher und Ettlinger Straße den Namen erhalten haben foll,) 
weggegeben, ein ander Mal ein Ader unter der Bebingung hergeſchenkt worben 
fei, daß ber Empfänger für den bisherigen Eigentbümer ein Baterunfer bete, 
wovon ber Ader ben Namen „Baterunferader“ erhalten babe, Derſelbe trug 
inbefien jhon vor dem orleans’ihen Krieg biefen Namen. 


Schözehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 531 


ber Güter gefunfen war, davon einige Beiipiele. Ein Morgen Ackers 
am Kiefelbronner Weg wurde damals um 10 Gulden, 1/, Wiefen auf 
den Weiherwiefen und 11/, Viertel Ader bei der Blumenhecke um 33 
Gulden, 3 Biertel Ader in den Stidelhälden um 2 Gulden, 13, 
Morgen Ader im Bröginger Feld um 30 Gulden, 1/, Morgen Acker 
in der Zeil um 10 Gulden, 1/, Morgen Ader am Brettener Weg um 
10 Gulden, 1, Morgen Ader am Wingertweg um 8 Gulden, 31, 
Viertel Ader im Hadel um 10 fl. 30 fr., 6 Morgen Eichen- und 
Tannenwald im Weyrich um 40 fl., 11/, Morgen Wald ebendafelbft 
um 9 fl. 14 fr, verkauft. (Die Gemeinde Baufdlott verfegte am 
23. April 1694 gegen 300 fl., welche zur Bezahlung von Kontributio: 
nen aufgenommen worden waren, 40 Morgen Eich: und Buchwald.) 
Die dadurch verurfachte Noth mar fo fchredlih, daß viele Men: 
[hen Hungers ſtarben. Mande Bewohner der Stadt wanderten wieder 
aus; andere hielten fich in den umliegenden Waldorten verborgen. Go 
kam es auch, daß fich zu Ende des Jahres 1693 faum noch der vierte 
Theil der frühern Bevölkerung in Pforzheim befand. Wie ein Spottlied 
Hangen in diefen allgemeinen Sammer einige Befehle an die Bürgerſchaft. 
Eine Dienerin aus dem Gefolge des franzöfifchen Intendanten Lagrange 
zu Straßburg war lange an einem Beinbruch bier gelegen; nun mußte 
die Stadt nicht allein die KRurkoften, welde 2 Dubfonen (14 Gulden) 
betrugen, bezahlen, fondern auch, da eine Empfehlung, 5. h. ein Befehl 
bes Intendanten felbft vorlag, ihr das Meifegeld bis nad Straßburg 
mitgeben. Sie erhielt 10 Gulden aus den Kriegsgeldern, bie aber, 
da nichts vorhanden war, erft erefutorifch eingetrieben werden mußten. 
Um einer franzöfifhen Magd Reiſegeld zu verſchaffen, erhielten die 
mit dem Hunger kämpfenden Bürger Erekution!i) Ein Befehl ähn— 
liche Art kam von der Landesregierung felbft. Vermuthlich um größerm 
Unheil vorzubeugen, beſchloß diefelbe, dem franzöfifhen Kommandanten 
von Philippsburg, von deffen Laune das Schickſal der Markgrafſchaft 
faft ganz abhing, ein Geſchenk mit einem Pferde zu machen. Pforzheim 
mußte dazu 42 Gulden hergeben. Gleich nach der legten Plünderung 
war auch eine aus ſchwäbiſchen Kreistruppen beftehende Garnijon ein 


2) Der Roſenwirth Beckh'ſchen BVerlaffenfhaft wurde damals beifpielweile 
zur Bezahlung rüdftändiger Kontributiong- und anderer Kriegsgelder Güter 
im Zwangsweg verfleigert. 34.» 


532 Sechszehntes Kapltel. Pforzheim im orleans’shen Serien. 


gezogen. Sie war aber freilih nicht nur läftig, fondern auch über: 
flüffig; denn fie gewährte durchaus feinen Schub. So oft ſich fran— 
zöfiihe Truppen näherten, zogen ſich diefe Garnifonen jedes Mal zur 
Hanptarmee zurüd, 

Auf Ähnliche Weife verlief das Jahr 1694. Das ganze Fahr 
lag das Durlachiſche Negiment bier unter dem Marihall v. Men: 
zingen, dem Oberftwachtmeifter Barth, den Hauptleuten Piſtorius, von 
der Nida, Borkheimer, Krummhaar, Wucherer ꝛc., auch Abtheilungen 
des fürftenbergifhen Regiments unter Klizing und Zichwolf, ſowie des 
borniihen Regiments. Diefe Garnifon betrug ſich aber fo roh, daß 
der Stadtrath 1) zuletst Elagend einfommen mußte. Am der betreffenden 
Eingabe beißt e8 unter Anderm, „daß aus Mangel an Kafernen die 
Bürger die Soldaten in ihren Stuben Tiegen laffen müßten, wovon 
beide Theile erkrankten; ferner daß die Offiziere die Soldaten nad 
eigenem Belieben einquartierten, was doc die Franzoſen nicht einmal 
gethan.“ Damit hängt auch der Befehl zufamnın, feinem Soldaten 
Etwas abzukaufen; denn die Bürger wurden fait öffentlih von den: 
felben beraubt. 

Die Geldlieferungen an die Franzoſen und den ſchwäbiſchen Kreis 
dauerten fort. Unter den außerordentlichen Lieferungen waren die fog. 
Melac'ſchen Fouragegelder, eigentlich ein Einkommen für die Privatkaſſe 
des General Melac. Die Stadt Pforzheim mußte 140 XTrentefols 
(& 45 fr.) bezahlen. Und da doch einmal außerordentliche Forderungen 
an der Tagesordnung waren, fo wollte aud die badifche Regierung 
nicht zurücbleiben. Sie erlich den Befehl, daß von den hiefigen Bürgern 
außer dem gewöhnlichen Zehnten von Frucht, Heu (Heuzehnten war in 
Pforzheim nie gegeben worden) und Wein auch der Dreißigfte geliefert 
werden ſollte. Die Vorftellungen dagegen hatten wenigftens den Erfolg, 
daß die zuerft geforderte Averfalfumme von 600 Gulden auf 200 
Gulden ermäßigt wurde. Ä 


1) Derielbe beſtand ſammt Gericht damals aus folgenden Mitgliedern: 
(Herr Dberamtsverwefer Heyland, Stabtichreiber Götz), amtötragender Bürger— 
meifter Martin Zoller, Altbürgermeifter Xob, Ib. Deimling, Hs. Ulrich Kiefer, 
Seb. Scheidlin, Mid. Holdmayer, Leonhard Herbfter, Hs. Ag. Kercher, Nill. 
Burkard, — Joh. Fauler, Joh. Ib. Lötterlin, He. Mart. Meier, Rud. Korn: 
mann, Chriſt. Abreht, Hs. Gg. Oſtertag, Chriſt. Wohnlich, Bernhard Minderer, 
Konr. Kap, Hs. Gg. Feldner. 


Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krien. 533 


Im Monat Mai 1695 näherte ſich die franzöfiiche Armee unter 
Marſchall Delorges wieder unferer Gegend und lagerte ſich bei Bruch⸗ 
ſal. Dieſe Nähe des Feindes verurſachte abermals allgemeine Flucht 1) 
und was davon unzertrennlich war, neue Verluſte. Doch blieb es 
dies Mal bei der bloßen Angſt, und die Bürger konnten Mitte Juni 
wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. Es wiederholten ſich indeß 
bald die Klagen über das rohe Betragen der Garniſon unter Haupt: 
mann Krummbaar. Noch mehr Tag jedoch dem Stadtrath die gute 
Stimmung de8 Kommandanten zu Philippsburg am Herzen. Man 
wurde einig, demjelben im Namen biefiger Stadt ein gut Efjen Forellen 
zu übermachen. Im Oktober war hier vorübergehend das Hauptquar— 
tier der Alliirten; 2) im November war Obriftwachtmeifter Breitholz 
Kommandant zu Pforzheim. 3) 

Mit dem Jahr 1695 ſchloß ſich die härtefte Veidenszeit der 
Pforzheimer. Die Noth blieb zwar noch groß genug, und fie waren 
nichts weniger als völlig befreit von fernern Kriegslaften. Sie wurden 
noch immer mit Gamifon gedrüdt; noch immer währten die Zahlungen 
und Gelderprefiungen; aber fie konnten doch wenigſtens wieder in ihren 
Hütten wohnen, ohne mehr einem Brande ober einer allgemeinen 
Plünderung preisgegeben zu fein. Als Beifpiel der damaligen Noth 
ftehe nur das hier, daß die Tochter des vorher fehr wohlhabenden Alt: 
bürgermeifters J. J. Deimling aus Mangel anderweitiger Nahrung 
durch Lohnwäſchen ihren Unterhalt fuchen mußte. 

Ein im Mai 1696 befürchteter, jedody nicht zu Stande gekomme— 
ner, abermaliger Uebergang der Franzoſen über den Rhein ging mit 
ber bloßen Angft worüber, hatte jedoch eine Rathsſitzung zur Folge, in 
welcher auf den Vorfchlag des Dürgermeifters Leonhard Herbiter be- 
fhlofjen wurde, dem Herrn Kommandanten und Kommiffario zu Phi: 
lippsburg bei Ueberjendung einer Abfchlagszahlung zur franzöſiſchen 
Kontribution auch „eine gute traget grundel und forellen zu überſchicken.“ 


1) Im Kirchenbuch von 1695 ift als getauft aufgeführt: 1. Juni: Daniel, 
Bat. Herr Rudolf Kornmann, und dabei bemerkt: NB. Wurde in der Flucht 
zu Tiefenbronn von Herrn Deimling, Pfarrer in der Altenfladt, getauft. 

2) Es befand ſich dabei ein Generalwachtmeifter v. Thüngen, und fland 
derfelbe bei einem Kinde des Sattlers Hs. Jerg Siegele zu Gevatter. 

°) In diefem Monat war auch die Markgräfin Augufta Maria auf Beſuch 
in Pforzheim und verfah dafelbft bei mehrern andern Kindern Patbenftelle. 


534 Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’ihen Krieg. 


Kommandant war zu Pforzheim in biefem Jahr der Obriftiwachtmeifter 
Ludwig Friedrid Schilling v. Cannſtatt. 

Wie geringe Hoffnung auf baldigen Frieden man ſich machte, 
geht aus den im Jahr 1696 von Seiten des Oberkommandos ber 
beutihen Truppen mit neuem Eifer begonnenen Operationen bervor. 
Um bier nur das anzuführen, was in der nächſten Umgebung Pforzs 
beims geſchah, jo wurden dur den ganzen Hagenſchieß Verhaulinien 
angelegt, woran das ganze Jahr gearbeitet wurde, und gegen Ende 
bes Jahres bis in das folgende Jahr hinein geſchah dasſelbe auch im 
Kallert. Auch wurden im Hohberg allein 1230 Stück Palliſaben 
gehauen. Dadurd wurden natürlich dieſe Waldungen nicht wenig 
ruinirt. 

Zu den auferorbdentlihen Geldern, melde die Etabt Pforzheim 
in ben Jahren 1696 und 97 bezahlen mußte, waren: 500 Gulden 
„Beihilfsgelder der untern Markgrafſchaft“ an die badiſche Megierung, 
631 fl. 30 kr. Fouragegelder an die Franzofen, 128 fl. 30 fr. Habers 
geld am bdiefelben, fodann eine Menge von Auslagen für die Kreis: 
truppen, obgleich eigentlich Pforzheim nur das Obdach für die Gar: 
nifon zu leiben, keineswegs aber fie zu verpflegen hatte. Außerdem 
mußte die Etadt auch mehrfach zur Verpflegung auswärtiger Garni: 
fonen beitragen, 3. B. für die damals in Menzingen und Flehingen 
liegenden Huſaren. 

Endlich nady neunjährigem Kampfe, der faft ohne entfcheidendes 
Treffen geblieben war, zeigten ſich alle Theilnehmer des Krieges müde, 
Die Friedensunterhandlungen gediehen am 30. September 1697 (mit 
England, Holland und Spanien) und am 30. Dftober (Kaifer und 
Reich) in dem Schloß Ryswik bei Haag in Holland zum endlichen 
Schluſſe. Ludwig XIV. mußte alle reunirten Orte an Deutichland 
zurüdgeben, ebenfo die gemachten Eroberungen, u. A. Philippsburg, 
Kehl, Altbreifach, Freiburg, durfte aber den Elſaß mit der NReichsftabt 
Straßburg behalten. So endigte ein Krieg, der nach der Verficherung 
eines Zeitgenofjen und Augenzeugen (Kummer) „mehr zerjtört hatte, 
als der ganze alte deutiche Krieg in feinen 30 Jahren.“ 


Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orkeans’chen Krieg. 535 


Anbang. 


Melac in Pforzheim. 
Bon Ludwig Auerbad, 


Dumpf dröhnet die Glode ſchrillen Klang, 
Berzweiflung reißt an dem zudenden Etrang, 
Berzweiflung irrt burd bie Straßen. 

Gebrochen nad Tanger und tapferer Webr 
Der Mauern Wälle durch Melac’s Heer, 

Durch Freunde, die Treue vergaßen, 
Die Pforzheim in tieffter, bitterfter Noth 

Berließen und heimlich entwichen ! 
Die Bürger fanden, bis feig der Tod 

Als Pet in die Reihen gefchlichen. 





Die Glode ruft bange — ihr dumpfer Klang 
Begleitet ben erniten, fchweren Gang 
Der letzten ber tapfern Bürger; 
Sie fchreiten zum Markte, wo Melac ftebt, 
Die blutrothe Fahne des Schredens weht 
Aus der Tagernben Horde ber Würger. 
Im dunfeln, unheimlihen Auge glüh'n 
Der Mordluft düftere Flammen, 
Die Funken teufliiher Woluft ſprüh'n, 
Brit ein Opfer der Dual zujammen. 


Die Legten der tapfer Bürgerihaar — 

Meift Greife im Iodigen Silberhaar — 
Bor Melac Inieen und flehen: 

„D Herr, laß genug fein ver Bein, ber Noth ! 

Nimm nit den Hungrigen Obdach und Brot — 
O laſſe vorübergeben 

Das Schreckensgericht, das im lohenden Brand 
Einäſchert die Heimath der Armen. 

Beflecke mit Blut nicht Deine Hand — 
Sei milb und übe Erbarmen!” 


Stil lauſchet der Lenker ihres Geſchicks: 
Ein Strahl der Milde im Leuchten bes Blicks 
Berfündet die menſchliche Seele. 


536 Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’ichen Krieg. 


Und menſchlich fühlend verdammt er bie That:, 
„Der Teufel figt im Pariferrath 
Und ſchreibt mir die Blutbefehle! 
Doch muß ich geboren!" — Melac wintt, 
Die Bürger eilen von bannen. 
Der Attila Deutſchlands winkt — es blinft 
Blutgleigend die Wehr der Tyrannen. 


Der Attila Deutihlands winkt — es lauſcht 
Die Horde der Söldner gierberauſcht — 

Da ihmettern belle Fanfaren. 
Und bligesichnell fih die Horde zertheilt — 
In jeder Fährte des Windes eilt 

Ein Troß der wilden Barbaren. 

Schon züngelt das euer bier und bort! 
Bald Hält es in riefigen Schlangen, 
Sturmathmend fih dehnend fort und fort, 
Zermalmend die Stadt umfangen. 


Zum Hinmel jchweift jehnend der Flammenſtrahl, 
Die Sloden wimmern, zum Badanal 
Des bürftenden Mordes zu laden ; 
Der Himmel erglüht vom Flammenroth, 
Roth färbt die Erde mit Blut der Tod, 
Ter Würger ohne Gnaben. 
Fin wildes üppiges Siegesfeft 
Hat Melac's Troß ihm bereitet, 
Der mähenden Schwertes blutdurchnäßt 
Auf zudenden Leichen fchreitet. 


Nah jedem Morde ein Yubelfchrei! 

Und brüllend ftürget die Bande vorbei, 
Nah neuen Opfern zu fuchen. 

Sie fchredt nicht des Greifen geweihtes Haupt, 

Nicht der Kinder Jammer, bie vaterberaubt 
Den jauchzenden Mördern fluchen. 

Der Ruf der Verzweiflung, der allerwärte 
An liebe Todte ſich klammert, 

IR ihnen Muſik — fie entzückt der Schmerz, 
Der über den Opfern jammert. 


Umfonft, daß die Mutter zu retten ſucht 
Die bebenden Kleinen auf eiliger Flucht — 
Umſonſt, mit erhobenen Händen, 


Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 537 


Die Kinder bedeckend mit ihrem Leib, 

Erflehet fie Schonung; — «8 fieht das Weib 
Die heiligen Leben enden — 

Die Leben der Liebel — Bon ihrer Bruft 
Wirft in die gierige Flamme 

Das entießte Kleine — des Henfers Luſt: 
„Das Feuer fei beine Amme!“ 


Berderben ringeum! Verzweiflung und Bein 

In grafien Bildern vom Flammenſchein 
Beleuchtet mit ſchrecklicher Helle; 

Die ftürzgenden Häufer in tojendem Fall 

Begraben der Flüchtigen fümpfenden Schwall; 
Nicht reitet des Fußes Schnelle, 

Dort ftürzen verbunden Hand in Han, 
Verfolgt von den Tigerjeelen, 

Eich Frauen und Mädchen in lohenden Brand, 
Den Tod ftatt der Schande zu wählen! 


Nur Einen im wilden Siegesfeft 
Dis Mordes die Ruhe nicht verläßt: 
'S iſt Melac auf fhauendem Thurme. 
Starr blickt ſeine Auge und ſeelenlos 
Auf Pforzheim, das in des Verderbens Schooß, 
Am riefigen Flammenfturme 
Aujammen vor feinen Bliden bricht; 
Er höret der Sterbenden Stöhnen, 
Und Ihn verwünichend als letzt Gericht 
Die Seufzer Erblaffender tönen. 


Siehbzehntes Yupitel 





Die erften Jahrzehnde des 18, Jahrhunderts, ') 
(1697 — 1746.) 


$ 1. Allgemeines. 


As Markgraf Friedrid Magnus im Jahr 1698 nach faft zehn: 
jährigem Eril mit feiner Familie und feinem Hof von Bafel aus 
wieder in fein Land zurückkehrte, fand er dasſelbe aufs Entſetzlichſte 
vermüftet. Von fämmtlichen Ortſchaften waren kaum 50 unbeſchäbigt 
geblieben, und die Bevölkerung des Landes hatte ſich auf den vierten 
Theil des früheren Beftandes vermindert. Der durch Brand, Plünde: 
rung und Verheerungen aller Art der damals noch Heinen Markgrafſchaft 
zugefügte Schaden wurde auf 9 Millionen Gulden berechnet. In fämmt: 
lichen Schlöffern des Markgrafen, fo zu Durlach, Pforzheim, Mühl: 
burg, Berghaufen, Remchingen, Staffort, Graben, Emmendingen, Sulz: 
burg, Badenweiler und Nötteln hatten die Flammen gewüthet. Zu 
allem Unglück mußte auch bei den Feierlichkeiten, welche der Fürft 
wegen des erjehnten Triedens in Baſel veranftaltete, in feinem bor- 
tigen Schloffe während der Nacht ein Brand ausbrehen, dem bie 
marfgräflihe Familie nur mit Noth entrinnen konnte und ber bas 
Gebäude ſammt allen darin befindlichen Vorräthen, Mobilien und Koft: 
barfeiten verzehrte. Manches, das in Kellern und Gemwölben dem 
Feuer entgangen, wurde wenige Tage darauf durd den Einſturz einer 
Mauer zu Grunde gerichtet. 

Kaum hatten die Bemühungen des Markgrafen, die vom Krieg 
zerftörten Einrichtungen feines Landes wieder herzuftellen, begonnen, 
fo wurden diejelben durh den 1701 ausbrechenden fpanifchen Erb: 


ı) Quellen: Verſchieden, hauptfählid aber Ratböprotofolle, Bürger: 
meifterrehnungen, Kirchenbücher, Zunftrehnungen, Archivalaften, Familien: 
aufzeihnungen x, 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,. 539 


folgefrieg wieder unterbrochen, fein Land neuer Bebrängnig preis: 
gegeben und der Markgraf zu abermaliger, wenn auch nur kurz an- 
bauernder Flucht in fein neu erbantes Haus zu Bafel genöthigt. Das 
Ende des Krieges follte jedoch der unglücliche Fürft nicht mehr erleben. 
Er ftarb, 63 Fahre alt, 1709 zu Karlsburg und wurde am 13. Juli 
in der fürftlihen Gruft zu Pforzheim beigefeßt. Eine Tafel im 
Reuchlinszimmer der Schloßkirche zeigt das Bildnig diefes Fürften in 
rothem Kleid auf dem Paradebette. Ihm folgte, SO Jahre alt, 178 
feine Gemahlin, die fromme Augufta Maria, eine eifrige Verehrerin 
der Dichtfunft und felbft auf diefem Gebiete thätig. 1) Unter den 
11 Kindern, die diefer Ehe entiproffen, waren zwei Söhne, Karl Wil: 
beim und Chriſtoph. Erfterer folgte feinem Vater in der Regierung 
nad), letzterer befleibete verfchiedene militäriihe Würden und nahm ine: 
befondere am fpanifchen Erbfolgefrieg effrigen Antheil. Er ftarb 1723 
und wurde in Pforzheim begraben. In der Schloßkirche zeigt eine 
gemalte Tafel das Bild des auf dem Paradebett Tiegenden Fürften. 
Markgraf Kart Wilhelm hatte ebenfalls im fpanifchen Erb— 
folgefrieg mitgefämpft; es rief ihn jedoch des Waters Ableben 1709 
daraus zurüc.?) An Regierungsgefhäften nahm er eifrigen Antheil 
und zeigte fich überhaupt als einen Fürſten, dem es darum zu thun 
war, das Miederaufblühen des Landes nad Kräften zu fördern. Die 
erihöpften Finanzen desfelben wußte er wieder flüffig zu machen und 
in Ordnung zu bringen, fo daß es ihm gelang, die fchwere Schuldenlaft 
des Landes bis auf den Meinten Betrag zu tilgen. Wohlthätig gefinnt 
unterftübte er Verunglückte, Wittwen und Waiſen und gründete für 
Yetstere das große Landeswaifenhbaus zu Pforzheim, von dem 
unten mehr gejagt werden wird. Ueber das adeliche Fränleinftift, 
das Amalie Elifabeth von Menzingen, geborene Bettendorf, mit ihrem 
Gemahl Gottfried von Menzingen am 2. Mai 1721 zu Pforzbeim 
fiftete, übernahm er für fi und feine Nachkommen die Schutzherrſchaft 
und ertheilte ihm verfchiebene Privilegien. 3) Unter die Erwerbungen, 


1) Vergleiche die Schrift: Leben, Lieder und Lieberpflege der Augufla 
Marta, Markgräfin von Baden:Durlah, von K. Dreher (Berlin, Schlawig- 
1858,) 

3) Die Privilegien der Stabt Pforzheim beflätigte er unterm 1. Auguſt 
1709 (Stabtardiv). 

2) Das Stift wurde am 7. November 1721 feierlichft eröffnet und zugleich 


540 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 


welche er zur Vergrößerung feines Landes machte, gehörte auch 1726 
das Schloß zu Bauſchlott, das zwar ſchon Markgraf Georg Fried: 
rich 1604 am ſich gebracht, aber wieder veräußert hatte, 1) Auf gleiche 
Weiſe erwarb er 1730 das Schloß Karlshaufen fammt einem Theil 
des Fledens Dürrn?) von Karl Magnus von Leutrum, 

Bekanntlich ift Karl Wilhelm auch der Gründer von Karlsruhe. 
Urfprünglih nur ein Jagdſchloß, das er 1715 im Hardmwald erbaute 
und als großer Blumenfreund mit den herrlichſten Gartenanlagen umgab, 
lockte es bald noch mehr Anfiebler herbei, und es entftand um dasſelbe 
nach und nad; eine, anfangs nur aus Holz aufgeführte Stadt, im welche 
der Markgraf von Durlach aus feine Mefidenz verlegte. 

Mie fein Vater, fo war auch Karl Wilhelm durch einen Krieg, und 
zwar den polnifhen (1733—1735), gezwungen, fein Land zu ver- 
laſſen und in Baſel Schutz zu fuchen. Seine Gemahlin mit ihren 
Kindern ließ er jedoh in Durlach zurück. Sein Aufenthalt in Bafel 
dauerte indeffen nur kurze Zeit. 

Karl Wilhelm ftarb 1738. Seine Eingeweide wurden in die fürft- 
liche Gruft nach Pforzheim gebracht, fein Leihnam aber unter dem 
Altar der (1307 abgetragenen) Goncordienfirhe zu Karlsruhe beigefekt. 
In der Schloßkirche erfterer Stadt befindet ſich das Bildniß des auf 
dem Taradebett liegenden Markgrafen. Er war vermählt gewefen mit 
der württemberaiihen Prinzeffin Magbdalene Wilhelmine, die ihrem 
Gemahl 1742 in die Ewigkeit nachfolgte und in der fürftlichen Gruft 
zu Pforzheim begraben wurde. In der Schloßkirche ift das Bild der 
Fürſtin zu fehen, wie fie im ſchwarzem Kleide auf dem Paradebett 
Tiegt. 3) Die beiden Ehegatten mußten den Kummer erleben, alle ihre 





die erfte Webtiffin, Nofine Su’anne Katharine Philippine von Benningen, ein: 
geweiht, auch bie erften Stiftsbamen eingeführt. Das adelihe Damenftift 
befand fih bis 1858 in Pforabeim, in welchem Jahr es nad Karlsrube ver, 
Tegt wurde. Das Haus von Fabrifant A, Nösgen in ber Leopoldsftraße war 
das Stiftsaebäube, vorher das von Chriſtoph Beder am Schloßberg. 

ı) 1609 an Erbarb von Ramminaen, von dem es an Johann Reonbarb 
v. Sternenfels übernina. Bon biefem brachte es ber Markgraf wieder an das 
badiihe Haus. Veral. Sachs V., S. 177. 

N) Der andere Theil von Dürrn war ſchon 1637 durch Taufh von 
Württemberg an Baden-Durlach gekommen. 

’) Neben biefem Bild hängt das ihres Älteften Sohnes, des im 11.Lebens⸗ 
jahr geftorbenen Prinzen Karl Magnus, 


Siebzehntes Rapitel. Pforzheim von 1697 - 1746. 541 


Kinder vor ihnen in das Grab finken zu fehen. Dem erftgeborenen 
Prinzen folgte auch der andere und noch einzige, Friedrich, der 1732 
in feinem 29. Lebensjahr mit Hinterlaffung zweier Söhne, Karl 
Triedrih und Wilhelm Ludwig, ſtarb. Er rubt in der Gruft zu 
Pforzheim. 1) Der Erziehung diefer Prinzen nahm ſich ihre Großmutter 
Magdalene Wilhelmine um fo eifriger an, als die immer leidende 
Mutter derjelben diefer Pflicht nicht nachtommen Konnte. Als Karl 
Wilhelm 1735 ftark, hatte fein 1728 geborener Enkel, der nunmehrige 
Erbprinz Karl Friedrich, fein zehntes Lebensjahr noch nicht zurückgelegt. 
Es wurde deshalb eine vormundfcaftliche Negierung eingefeßt, die aus 
der Großmutter des Erbprinzen, feinem Obeim Karl Auguſt und dem 
geheimen Staatskollegium beftand. Die Beftätigung der Privilegien 
der Stadt dur die Wormundichaft erfolgte am 26. Juli 1738, 2) 
jedoeh mit dem (aus unten folgender Darftellung des Privilegienftreites 
erffärlichen) Zuſatz, daß „da inmitteljt wegen Veränderung der Zeiten 
dabei das Eine oder das Andere nothwendig hat geändert werden 
müſſen, fie fich der bisherigen Obiervanz und dem des wegen unterm 
12. Juli 1723 ergangenen Befehl nad) Ausweis des fammergerichtlichen 
Urtheils vom 12. Januar 1724 gemäß zu bezeigen fchuldig und gehal: 
ten fein follen 20." — Die vormimdfchaftliche Regierung wirkte bei 
pflihtgetreuem Eifer der beigeordneten, Räthe wohlthätig act Jahre 
lang für das Land, bis der vom Kaifer für volljährig erflärte Erb: 
prinz 1746 die Regierung antreten konnte. Ihr wird das nächſte 
Kapitel gewidmet fein. 


$ 2. Befonderes. Wiederaufbau der Stadt. Verſuche zur Herbei- 
führung befferer Buftände. 


Bei der Nüdkehr in jein Land bezog Friedrich Magnus das 
jeiner Gemahlin Augufta Maria gehörige Schlößchen oder fogenannte 
bohe Haus zu Größingen, das nachher von feiner Befigerin den 
Namen Auguftenburg erhielt, den es heute noch trägt. Dasfelbe war 
aber noch nicht ausgebaut und bot für einen fürftlihen Haushalt 
nur beſchränkten Naum. Der Markgraf jah ſich deshalb genöthigt, big 


) In der Schloßkirche befindet fih auch fein Bild, 
*) Diele Beſtätigungsurkunde ift bie einzige, welche im ftädtifchen Archiv 
fehlt. Eine Abſchrift davon habe ich in den Alten des Landesarchivs gefunden. 


542 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746, 


zur Vollendung des Baues, weldher mit möglichfter Eile betrieben 
werden follte, 1) feine Reſidenz einftweilen nad Pforzheim, wo ber 
Markgraf fih ſchon im Dezember 1697 vorübergehend aufgehalten hatte, 
zu verlegen, was im Oktober 1698 geſchah. Ein Theil des dortigen 
Schloſſes, das fog. „alte Gebäu” (S. 448) war nämlich von den 
Flammen verfhont geblieben und darum noch bewohnbar. Die be 
treffenden Räume beftanden in 12 Stuben, 12 Kammern, 4 Küchen 
und 2 Gewölben, welche Gelafje im Sommer 1698 im Ganzen 1609 fl. 
45 fi. Herftellungskoften erforbderten. 

Hatte die Stadt ſchon bei der Vermählung des Erbprinzgen Karl 
Wilhelm mit der württembergiſchen Prinzeffin Magdalene Wilhelmine, 
welhe am 20. Juli 1697 ftattfand, an dem Geſchenk von 4000 fi., 
das die untere Markgrafihaft laut fürftlihen Anmahnungsſchreibens 
der Braut machen follte, ihren Antheil mit 266 Gulden bereitwillig 
entrichtet, fo überfandten die Pforzheimer auch, als fie die Zurückkunft 
ihres Fürften und deffen Brandunglüd in Baſel erfuhren, ihm als 
Zeichen ihrer Liebe und Xheilnahme durch Bürgermeifter Chriftoph 
Wohnlich 1) die für damalige Zeit nicht unbedeutende Summe von 
200 Gulden ohne Anmahnung als Geſchenk. Dasfelbe ift um fo 
höher anzufchlagen, als die Verhältniſſe in Pforzheim durchaus noch 
nicht der Art waren, daß fie den Bewohnern erlaubt hätte, viel herzu: 


1) Auch an den Wiederaufbau der Karlsburg zum Durlach wurde raſch 
Hand gelegt; aber der bald wieder ausgebrochene Krieg hinderte bie Vollendung 
des Schloffes, fo daß nicht mehr als ber vierte Theil desfelben zu Stande fam 
und bas ganze Schloß aud nie ausgebaut wurde, 

2) Bürgermeifter waren in bir Zeit von 1698 — 1725 Chriſtoph 
Wohnlich, Leonhard Herbfter, Heinrich Baurittel, Joh. Chriſtoph Deimling 
und Konrad Schober. — Das Amt eines Obervogto befleidete zu Anfang 
des 18. Jahrhunderts Wolfgang Kuno dv. BWallbrunn, 1710 Johann Daniel 
v. Et. Andre, 1712 Wilhelm v. Traubnig, nad ihm bis 1723 Daniel Dietrid 
Scheidt, auf diefen Joh. Wilhelm zur Gloden, als deffen Nachfolger 1734 
Friedrih Erdmann von Glaubig genannt wird, Bezüglich eines Yürgermeifter: 
interregnums ift in dem Kirchenbuch von 1716 wom damaligen Epezial Wei: 
ninger Folgendes als große Merlwürdigkeit aufgezeichnet: „Den 25. März 
1716 ward Herr Chriſtoph Deimling des Gerichts und Weißbed, nachdem 
Herr Heinrich Baurittel, fo ben 24. zum Biürgermeifter erwählet worben, ſol⸗ 
ches aber bei Ser. abgebeten, — nad dem Gottesdienft zu einem Bürgermeifter 
erwählet, ift alfo ein Interregnum von 24 Stunden in ber Stabt geweſen, 
daß Keiner das Türgermeifteramt ererciret.“ 


Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746. 543 


geben. Mit dem Markgrafen war auch der vielgeprüfte Spezial und 
Kirchenrath Kummer nach Pforzheim zurückgekehrt. 

Der Aufenthalt des Hofes dauerte etwa ein halbes Jahr, wäh— 
rend welcher Zeit der Markgraf Gelegenheit fand, den Wiederaufbau 
ber Stadt, wozu er ſchon von Baſel aus Häuſermodelle nach Pforz- 
heim geſchickt Hatte, und zu welchem Behuf er aud mehrere Verord: 
nungen erließ, felber zu leiten. Mehrfach findet er fi fammt feiner 
Gemahlin, theilweife auch mit dem Erbprinzen und der Erbpringeffin 
ſowie mit verfchiedenen Perfonen feines Hofes in dem damaligen Tauf— 
buch als Pathe eingetragen. Im Frühjahr 1699 wurde die Refidenz 
nad) Größingen, ſpäter nach Durlach zurückverlegt. 

Bei dem eben erwähnten Wiederaufbau der Stadt müſſen wir 
etwas ausführlicher verweilen, da fie durch denfelben größtentheils ihre 
gegenwärtige Geftalt erhalten hat und die meiften der noch vorhandenen 
ältern Häufer damals aufgeführt worden find, 

Es ift oben ſchon erzählt worden, daß die Flammen von 1692 
nicht nur viele der nad dem zweiten Brand (Auguft 1689) errichteten 
Hütten zerftört, fondern auch eine Anzahl der nach demfelben wieder 
aufgebauten Häufer abermals in Aſche gelegt hätten. Doc fcheinen 
manche derfelben auch verfchont geblieben zu fein, unter andern die 
Häufer neben dem Gafthaus zum Waldhorn am Cingang in bie 
Karl: Friedrichs Straße, die ſchon 1689 wieder aufgeführt wurden. 
Manche Häuſer fcheinen auch bei den verfchiedenen Bränden nicht ganz 
zerftört, fondern ein Theil derfelben, namentlid das untere Stockwerk, 
noch erhalten worden zu fein, da wir in verfchiebenen Theilen ber 
Stadt heute noch Jahrzahlen begegnen, die ältern Datums find, als 
ber orleans’iche Krieg. Möglich, daß auch da und dort der betreffende 
‘ Stein mit der Jahrzahl, dem Wappen ꝛc. beim Wiederaufbau des 
Haufes an geeigneter Stelle wieder eingefügt wurde. Solche Häufer 
find früher ſchon (S. 298 ff.) angeführt worden. Gleich nad) dem 
dritten Brand oder doch nody während des Krieges wurde eine Anzahl 
ber zerftörten Häufer mieber aufgebaut. Es ift zu beflagen, aber 
freilicdy mit den Umftänden zu entfchuldigen, daß dabei ziemlich planlos 
verfahren wurde, woher aud die große Unregelmäßigfeit rührt, bie 
wir da und dort in den Straßen noch finden. Namentlih muß 
bedauert werden, daß man nicht darauf bedacht war, bie Brößinger 
Straße breiter anzulegen. Zu ſolchen noch während des Kriegs geban: 


544 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746, 


ten Häufern gehören: das Haus von Bäder Müllers Erben in der 
Theaterſtraße, gebaut 1693, ein Haus in der untern Augafje, gebaut 
1695, insbefondere aber die neu errichtete obere Apotbefe, vollendet 
1695. Der Apotheker Konrad Wilhelmi hatte von dem Pfarrer 
Grad in Eutingen den Platz eines abgebrannten Haufes am Markt 
gekauft, ebenfo einen bejondern Apotbefergarten beim Kechlerhof 
(S. 463), nadydem ihm unterm 24. April 1690 vom Markgrafen ein 
Privilegium mit ausgedehnten Freiheiten verliehen worden war. (Er 
durfte laut desfelben Feine Art Schatung , feine bürgerlihen Abgaben, 
für feine Apotheferwaaren weder Land: noch Pfundzoll, weder Accis 
noch Weggeld bezahlen, war frei von Einquartierung, Frohnden und 
Wachten 0. An Pforzheim war weder deutichen noch welſchen Krä- 
mern, noch Bruchſchneidern, Alchymiſten, Marktſchreiern, Juden ꝛc. 
Apothekerwaaren zu verkaufen erlaubt, namentlich keine Purganzen; 
ebenſowenig durften Barbiere, noch andere Perſonen praktiziren und 
deſtilliren, was einem Apotheker etwa zukam. Dagegen mußte ſich 
Wilhelmi verpflichten, die Apotheke in gutem Stand zu halten, die 
Medikamente billig zu verkaufen, an den fürſtlichen Hof, wenn derſelbe 
in Pforzheim ſei, die verlangten Blumen und Kräuter unentgeldlich 
abzugeben, auch den Dürftigen jährlich für wenigſtens 10 Gulden 
Medikamente gratis zu verabreichen.)1) Die Zeit des Ausbaues 
dieſer Apotheke bekundet ein Stein im Hausgang derfelben, worauf 
über dem Namen des Erbauers die Worte Sirach 38, 4—7 ftehen. 2) 
Zwei Jahre darauf, nämlich 1697, wurde auch die untere Apotheke 
durdy den oben ſchon erwähnten Johann Michael Salzer wieder auf 


) Apothekerprivilegium, ertbeilt von Markgraf Friedrich Magnus 
am 24. April 1690 dem Apotheker Konrad Wilhelmi. (Iſt nebft ben Erneue: 
rungen bed Privilegiums vom 20. Februar 1700, 10. Dezember 1736, 15. 
Februar 1740, 20. Mai 1776 und der Berfaufsgenehmigung vom 27, Mai 
1807 in den Händen des jetzigen Eigenthümers der Apotheke, Karl Märdlin.) 

2) Diefe Apotbefe ging 1700 an den Ehenadhfolger Wilhelmis, Heinrich 
Baurittel, 1736 durch Kauf an Johann Friedrih Salzer, 1776 abermals dur 
Kauf an Ernft Viktor Salzer über, der nun beide Apotheken in eine Hand 
vereinigte, bis die obere Apotheke vom Tochtermann des letztern, Proreftor 
Zandt, 1806 an Job. Gottlieb Märdlin, den Vater des jegigen Befigers, Karl 
Märdlin, verfauft wurde, 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 545 


gebaut,) 1698 erftand das gegenüberſtehende Haus, das jetzige 
Mufeum, aus der Aſche, in demfelben Jahr auch das von Fabrikant 
J. Schneider in der Spitalftraße, und jo wurden nad und nad auch 
noch andere Häufer neu aufgeführt, fo beifpiefweife 1705 das Haus 
von Kaufmann Franzmann am Markt, 1706 das Schenck'ſche Haus 
am Markt (von Apotheker ſpäter Bürgermeifter Heinrich Baurittel 
und feiner Frau Marg. Barb, geb. Faßnacht erbaut), 1707 das Haus 
von Hirtzel (Fink) am Schleifthor, im nämlichen Jahr das jebige 
Gaſthaus zum Bären, 1709 in der Deimlingsftrage die Häufer von 
Kaufmann Wallerftein und Bäder Heing ꝛc. In den Jahren 1709 
und 1710 bauten auch die Lentrum ihre beiden Häufer in der Alt 
ftädter Straße (S. 464) neu auf. 2) Das ältefte Haus in der obern 
Augaffe trägt die Jahrzahl 1697, an den übrigen Häufern bdafelbft 
bemerkt man die Jahrzahlen 1705, 1707, 1712, 1716, 1717, 1718, 
1719, 1726 u. f. w. (Mit der Wiederherftellung der Auer Brüde 
war ſchon im Juni 1694 begonnen worden, Diele hatten eine 
Hängebrüde verlangt). Durch die vielen Neubauten waren in den 
erften Jahren des 18. Jahrhunderts die ſtäbtiſchen MWaldungen fo in 
Anspruch genommen worden, daß die Behörde im Mai 1709 beichloß, 
fein Bauholz mehr berzugeben, bis der Wald wieder angewachfen fei. 
Indeſſen ftoßen wir troß diefer Baurübrigfeit noch 1713 auf die Klage, 
daß in der Stadt noch immer fo viel Schutt berumliege. 


1) Bon dem bei ber Geſchichte des 30jährigen Krieges mehrerwäbnten 
Apotheker Barthold war die untere Apotheke am deſſen Tochtermann Chriſtoph 
Wüftemann, von diefem an einen zweiten Tochtermann Bartbolds, ben oben 
genannten Joh. Michael Salzer, 1689 übergegangen. Bon diefem vererbte fie 
fih auf deffen Sohn Chriſtoph Michael Salzer, der fie bis 1757 beſaß und 
1776 auch die obere Mpothefe dazu kaufte. Am Jahr 1808 gelangte deſſen 
Schwiegerfohn Job. Samuel Vulpius in den Beſitz der untern Apothefe, bet 
fie wiederum an feinen Schwiegeriohn Ludwig (jet Apotheker in Emmendingen) 
vererbte; dieſer verfaufte fie 1855 an ben jetzigen Befiter Guſtav Pregizer. 

2) An der jegigen UnterEcker'ſchen Bierbrauercd findet fih ein Stein 
mit folgender Inſchrift: Friedrich Chriſtoph Leutrum von Ertingen hochfürſtl. 
Würtenbergifcher Borftmeifter am Stromberg und feine Fraw Anna Juliana 
geborne v. Gemmingen haben diefes Freyadeliche Hauß nach deme es Anno 1689 
von Franzofen verbrant worden burch Gottes Beyſtand Anno 1710 wieberum 
neu auferbauet welches feine Göttliche Allmacht under feinem Ehug und 
Segen vor allen wider wertigfeiten in gnaden bewahren wolle.“ Ueber dieſer 
Inſchrift befinden fi das Leutrum'ſche und das Gemmingen’ihe Wappen. 

Pflüger, Pforzheim, 35 


546 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746. 


Wie die Privatbanten, jo erhoben fih nad und nad aud bie 
Öffentlichen Gebäude wieder aus der Aſche. In den Jahren 1698 
und 1699 wurden das 1692 abgebrannte Kreuzkirchlein und das 
gegenüberftehende Seelen oder Armenhaus wieder aufgebaut, wozu das 
Almofen vorzugsmweife in Anfprucd genommen wurde Weil indefien 
die Mittel desfelben nicht hinreidyten, fo richteten die beiden Almofen- 
pfleger Leonhard Herbiter und Konrad Kat die Bitte an deu Stadt: 
vath, derfelbe möge auf Abſchlag der Zinſen, welde die Stadt ins 
Almofen fhulde, zum Neubau die nöthigen 200 Stämme Holz bewil: 
gen, was auch geſchah.) Am Jahr 1704 ftiftete der Pofthalter 
Kieffer eine Uhr im diefe Kirche, und im folgenden Jahr erhielt fie 
aud ein Glöclein dazu. -— Im Jahr 1700 wurde mit dem Wieder: 
aufbau des Rathhauſes begonnen und dasfelbe am 14, Februar 
1701 anfgefchlagen, nachdem zuvor eine allgemeine Fürbitte auf dem 
Kanzeln verkündet worden war. Im März bdesjelben Jahres erbot 
fi) der Zinkenift Kolb, altem Herlommen gemäß, von der Altane des 
Rathhauſes jeden Mittag wieder die Zinfen und Pofaunen zu blafen. 
Eine Glode wurde im Rathhaus 17145 aufgehängt, und 1730 auf 
eine Uhr für dasjelbe angefchafft. Der Anbau, welder jegt die Frucht 
balle und die Wohnung des Stabtverrehners enthält, wurde 1723 
aufgeführt. Schon 1718 findet fi) aber eine Klage über Baufälligkeit 
des neuen Rathhauſes, die vornen megen Anſchlags des Wetters die Auf: 
führung eines ganz fteinernen Giebels nothwendig machte. — Im 
Sahr 1710 wurde auch mit dem Bau der Kapelle auf dem Trieb: 


ı) Un der Wand ber Sakriſtei bdiefer Kirche wurden folgende Verſe 
angebradt: 
Anno 1692. s 
Als man zählt diefe Zahl, und der Franzos einridt, 
Hat Mavors feine glubt Iber bie Kirch ausgſchitt; 
Es war nit gnung an bem, Es muß das Eruzifir, 
Daß auff dem Kirchhoff ftunth, zerihmelzen durch bie Hip. 
Eh hat doch Gott ber Herr durch frommer Menſchen rath 
Herr Leonhardt Herbfter, der ba feine mich gefparbt, 
Herr Conrad Kak mit ihm, Sein Helfer und Conſorden, 
Habens mitt Gottes Hilff Erbaut, das es ift worden 
Ein Hauß, da Gott geriembt, Und tröftebt die Bedribten; 
Bott wohl es für wed für Vor Feinden gnedig hieden. 
Erbaubt 98 u. 99. 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 547 


hof begonnen und diefelbe 1711 vollendet. Die Mittel dazu wurden 
theils der Stadtkaſſe, theils dem Almoſen, tbeils den Stipendien ent: 
nommen, theils durd eine Kollefte in Etadt und Land zufammenges 
bracht. Im nämlichen Jahr wurden auch da8 Auer- und das Hei: 
ligfreuztbor wieder bergeftellt. Gleiches geihab 1714 mit der 
Stadtmauer, wo dies nöthig war. Auch ein befonderes Wei: 
bergefängniß hatte auf fürftl. Befehl 1713 gebaut werden 
müſſen. 

Im Jahr 1715 kam es auch zum Bau eines neuen Schul— 
baufjes Nah dem Brande von 1692, der das Prebigerkloſter 
in Ace legte (S. 528), war fowohl die Knaben: ald die Mädchen: 
ſchule ins obere Bad (©. 163) verlegt und mit einander vereinigt 
worden, da beim DBerfiegen aller Quellen der ftädtifchen Einkünfte 
die fompetenzmäßige Salarirung der Lehrer endlich unmöglich wurde 
und die Zahl der Schulkinder ohnehin auch viel geringer geworden 
war. Es ift rühmend anzuerkennen, daß der Stadtrath, als die Ver: 
hältniſſe ſich wieder günftiger geftaltet hatten, im Auguft 1696, alfo 
noch während des Krieges, bei der Negierung fupplizivend um Verbeſſe— 
rung ber Schulanftalten einfam. Die Schulen feien, fo bieß es in 
der Eingabe, feit dem letzten Brand ſo ſchlecht beitellt, daß die Schul- 
jugend unverantwortlich verfäumt werde, und das rühre zum Theil 
daher, daß Feine wöchentlichen Bifitationen oder Eramina mehr gehalten 
würden, weshalb aud ein großer Mangel an fchreibfähigen Bürgern 
zu befürchten fe. Im Mai 1697 ſchlug der Stadtratb dem damals 
am Hofe in Bafel fih aufhaltenden Superintendenten Mathäus Kum— 
mer vor, die vereinigte Knaben: und Mädchenfchule wieder von einander 
zu trennen, welche Trennung auch im Juli jenes Jahres zu Stande 
kam. Weil aber nod fein Schulhaus vorhanden war, fo blieb bie 
Mädchenſchule einftweilen im obern Bad, und die Knabenſchule wurde 
in ein Haus eingemiethet, welches dem Pulvermacher Kichtenfels gehörte. 
Schon 1706 wurde der Bau eines neuen Schufhaufes projektirt, wegen 
Mangel an Mitteln indefjen einftweilen noch aufgefchoben. Erſt 1715 
fam er zu Stande, und zwar wurde das neue Schulhaus an bie 
Stelle des alten abgebrannten in der untern Pfarrgaſſe gefeht. Es 
hatte zwei Stodwerfe, und es mag zur Vergleihung die Notiz nicht 
unintereffant fein, daß die Maurerarbeit an demjelben um 224 Gulden 
veraffordirt worden war. Schon im nächſten Jahr er „wieber ein 

D 


548 Siebzebntes Kapitel, Pforzheim von 16971746, 


Schulfeſt auf dem Mennfeld gefeiert, nachdem ſchon vorher bie regel: 
mäßigen Sculeramina wieder in Gang gefommen waren, und auch 
die Austheilung von Prämien, 1709 im Betrag von 33 fl. 24 fr., 
wieder begonnen hatte. 1) — Die lateiniſche Schule, die während des 
Krieges ebenfalls fo zufammengefhmolzen war, daß nur zwei Lehrer 
an berjelben den Unterricht ertbeilten, wurde 17148 auc wieder im 
befiern Stand gejest. Am 17. Juni wurde der bisherige Præc. prim. 
Joh. Nuding ?) im „eollegio Reuchliniano“ (S. 169) als Proreftor 
präfentirt, ebenfjo Jeremias Möller als Præc. IL. Klaſſe, „welde 
Serenissimus Carolus wiederum gnädigft vergünftigt und Alles auf 
den alten Fuß vor dem leidigen Brand zu feten bejchloffen bat.“ 
Doc fcheint ein dritter Lehrer erſt 1730 auf Antrag der ftädtifchen 
Behörden wieder angeftellt worden zu fein. Dem Pädagogium war 
bie dreiſtöckige Pfarrwohnung in der Pfarrgafie zur Benützung einge: 
räumt worden. Im erften Stod war die Schule, im zweiten die 
Wohnung des Proreftors, im dritten des Kantors. — Knabenſchul— 
meifter war damals noch immer der alte Mathäus Probjthan, den 
aber fein Sohn Joh. Philipp Probſthan als Adjunkt unterſtützte. 
Mädchenſchulmeiſter war E. F. Heiſch, vor diefem Job. Ib. Lötterle, 
zugleih Profurator und Zeugmadyer, nach ihm 1732 Job. Ib. Finner 
aus Niefern, der 1735 auch Prokurator wurde. Der junge Probftban 
erhielt feines DBaters Stelle 1721. Weil damals die Zahl der Kinder 


9) Diefe Schülerfefte wurden bis 1749 regelmäßig gehalten, börten aber 
von diefem Jahr an auf, Drei Jahre vorher hatte e8 dabei noch bedeutende 
Händel abgelegt, indem cine Anzahl Eoldaten des in Piorzbeim liegenden 
durlahiichen Regiments die Muſik, welche zum Vergnügen ber Kinder auf dem 
Rennfeld war, für fih in Anfpruch nebmen wollte, Das litten namentlich 
bie Flößer nicht und fchlugen mit den ſchnell herbeigeholten Flößerfiangen 
einigen Soldaten Arme und Beine entzwei. Wahrfcheinlih hätte es cin hef— 
tiges Blutbad abgejegt, wenn es nicht dem Kommandanten des durlachiſchen 
Regiments, Oberfi v. Drais, gelungen wäre, die Streitenden zur Rube zu 
bringen. 

2) Ihm war als erfier Lehrer Barth. Mever, und biefem um 1701 Sob, 
Grg. Lobenftein vorausgegangen. &s folgte von 1720— 1728 Chr. Theodor 
Kunradi, 1728 Elias Thilemann Figgen, bis 1735 Ernfi Fürglin 1736 Brod— 
bag, 1739 Sonntag, 1742 Org. Ad. Fröhlich, 1748 Deimling ꝛc. Zweiter 
Lehrer war lange Jahre Nräceptor Wolff, der 1733 der Stadt ein neues 
Leihengefangbüchlein dedicirte, wofür er ein Geichent von 4 Gulden befam, 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 549 


in beiden Schulen auf je 440 geitiegen, jo wurde ihm die Haltung 
eines Provifors zur Aufgabe gemacht, der Vormittags in der Knaben: 
ſchule und Nahmittags in der Mädchenfchule Aushilfe Yeiften mußte, 
In letzterer ging jedoch 1755 in Folge von Krieg und Krankheiten 
(fiehe unten) die Zahl der Kinder von 120 auf 60— 70 zurück. 
Es mag bier wiederholt bemerkt werden, daß diefe Lehrer fein Einkommen 
von der Herrſchaft und auch nicht viel von der Stadt bezogen, fondern 
faft ganz (der Mägdleinſchulmeiſter ausſchließlich) aufs Schulgeld ange: 
wiefen waren, welches von jedem Kind vierteljährlich 25 Kreuzer 
betrug. Am Jahr 1741 erhielt der damalige Provifor Neftler einen 
jährlichen Gehalt von 15 Gulden. Die Lehrer befanden fich deshalb 
auch oft in fo kümmerlichen Umftänden, daß beiſpielweiſe 1729 dem 
Mädchenichulmeifter Heiſch eine wöchentliche Unterftütung von 15 Kreuzern 
aus dem Almoſen bewilligt wurde, und der Knabenſchulmeiſter fammt 
Kantor an Meihnahten herumfingen mußten, um etwas zu verdienen. 
Auch der Prorektor des Padagogiums hatte das Recht, dabei mitzu— 
wirken, und durfte, wenn e8 geichab, dem vierten Theil der Einnahme 
beanfpruchen. — Wie aus den Trümmern des Spitals, dem nad 
Einführung der Reformation die Lofalitäten des ebemaligen Frauen: 
Mofters der Dominikanerinnen eingeräumt worden waren, fih 1714 
ein Landeswaiſenhaus ꝛc. erhob, wird unten aus ührlicher gezeigt werden. 

Da Pforzheim bei den verfchiedenen Plünderungen, welche der 
Krieg gebracht, alle feine Glocken verloren hatte, fo mar die Noth— 
wendigfeit eingetreten, neue anzufchaften. Schon 1693 hatte die Stadt 
durch Vermittlung und Vorſchuß des damaligen Kammerraths Zandt 
wieder ein Glöcklein erhalten. Am Jahr 1699 machte die Margräfin 
Auguſta Maria der Stadt ein Gefchent mit einer in Bafel gegofienen 
Glocke, welche nebit einer andern zu gleicher Zeit von der Stadt ange: 
fchafften im Thurm der Schloßkirche aufgehangen wurde. Dort befinden 
ſich beide noch. Auf der erftern fteht der Name der Stifterin nebft 
Widmung und der Jahrzahl 1699, auf der andern finden ſich nebft 
dem Stadtwappen die Namen: Matheus Kummer Consitorial. Superint. 
Spec. Leonhart Herbster consul, Cine dritte Glocke erhielt die 
Schloßkirche 1715, zu melcher Zeit 5 neue Glocken beitellt wurden, 
und zwar bei Glockengießer Goßmann zu Landau, der fie am 2. Sep: 
tember jenes Jahres ablieferte. Zwei davon kamen in die Kirche der 
Alftadt, von den Übrigen drei, wie ſchon erwähnt, je eine auf das 


550 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746, 


Rathhaus, in die Kreuzkirche und in die Schloßkirche. Letztere Glocke 
ſcheint aber jpäter wieder unbrauchbar geworden zu fein; denn die dritte 
Glocke der Schloßkirche, die Heinfte, zeigt die Jahrzahl 1779. — 
Bon fonjtigen Anfhaffungen, welche in diefer Zeit vorkommen, ift bie 
einer Orgel in die Altftädter Kirche und der erften Fenerfpriße 
zu erwähnen, Jene fällt in das Jahr 1710, und ftenerten dazu auf 
Bitte des Kirchenraths Weiniger die beiden regierenden Yürftinnen zu 
Stuttgart und Durlach, jene 100, diefe 75 Gulden. (Ferner gab ein 
Pforzheimer Bürger 100 fl., ein anderer 30 fl., ein dritter 3 fl. 45 
fr.) Die Anſchaffung einer Feuerfprige wurde am 9. Januar 1714 
beichlofien, „weil die Durlacher auch eine hätten, die ſchon mit gutem 
Erfolg gebraudt worden wäre.” Die Anfertigung derfelben wurbe 
dem Kupferichmied Nudhardt zu Birkenfeld übertragen. (Der Kaften 
follte von Eichenholz, gut mit Kupfer ausgefüttert, 5 Schub Tang, 
2 Schub 1 ZoU breit, die mefjingenen Stiefel 1 Fuß hoch und 5 Zoll 
weit fein.) Für diefe, fowie noch für eine Heinere Feuerſpritze, welche 
Rudhardt machen mußte, erhielt er 410 Gulden nebft 2 Spez. Dukaten 
Trinfgeld für feine Frau. 

Der Geiftlihkeit Tag vor Allem die MWiedererbauung ber abges 
brannten Stadtkirche am Herzen. Schon 1698 war der damalige 
Oberdiakonus Stattmann in Schwaben und Franken herumgereist, um 
zum Wiederaufbau derfelben zu kollektiven. Da indefien die geräumige 
Schloßkirche von den Flammen des Krieges verfchont geblieben und der 
Stadtgemeinde zur gottesdienftlihen Benüßung eingeräumt worden war, 
fo hielt man damals nod) das Bebürfnig des Baues der Stadtkirche 
um fo weniger für eim dringendes, als vorerft andere Bauten noth— 
wendiger waren und die Bevölkerung der Stadt fi in dem erften 
Sahren nach dem Krieg noch nicht als ſehr bedeutend berausftellte, 
Ueberdies Teiftete der wieder ausgebrochene Krieg (ſpaniſche Erbfolge: 
krieg) ſolchen Unternehmungen eben feinen Vorſchub. „Gott gab indeß 
doch Gnade”, jo jagt Spezial Adam Wild 1) im damaligen Kirchenbuch, 


1) Kummer erlebte den Wiederaufbau der Stadtlirde nicht mehr. Er 
farb am 27. März 1709, wurde aber fpäter im der Stadtkirche beigefeßt. Der 
lateiniſchen Infchrift feines Grabfteins, der, wie die ganze Kirche, beim Brand 
von 1789 zerftört wurde, waren die treffenden Worte Pialm 66, 12 beigefügt. 
„Wir find in Feuer und Waffer fommen, aber Du haft uns ausgeführet und 
erquidet.“ Auf Kummer folgte von 1709—1717 Konrad Burkhard Weini- 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 551 


„daß die Stadt ſich bei erlangtem Frieden Ao. 1697, ja auch, fo ſich 
zum DVerwundern gewejen, während den bald wieder erfolgten Kriegs: 
zeiten nach und nad erholet und groß und volkreich angewachſen, derges 
ftalten, daß die biefige Schloffirche nicht mehr groß genug war, alle 
Leute zu faffen, weswegen man ſich entichlofien, die ruinirte Kirche zu 
St. Stephan wieder aufzubauen.” Diefer Beſchluß wurde 1714 ge: 
faßt, und zur Aufbringung der erforderlichen Mittel feftgefegt: 1. zwei 
GSeiftlihe ins Reich, Elſaß, Schweiz und andere Provinzen zu ſchicken; 
2. eine Rotterie anzulegen von etwa 6000 fl. und den zehnten Pfen— 
nig davon zu verwenden; 3. nebft dem Klingelbeutel für das Almofen 
nod einen befondern Klingelbeutel für den Kirchenbau herum gehen zu 
laſſen; 4. in der Stadt ein befonderes Kollektenbuch zu halten; 5. die 
täglich das Almoſen anlaufenden Steigbettler abzumeijen und die großen 
Ausgaben des Almoſens zu beichränfen, um auch daher Etwas nehmen 
zu können; 6, auch die von gnädigſter Herrſchaft erhaltenden und dem 
Stadtalmofen zugehörigen Kapitalzinfe dazu zu verwenden. — Diefem 
Beſchluß zufolge wurden auch wirklich die beiden Diakonen Seufert 
und Bergmann fortgeſchickt und ihnen Vollmachten und fürftlihe Ems 
pfehlungsfchreiben mitgegeben, Jeder von ihnen erhielt nebſt Entfchä- 
digung für Kleidung ꝛc. eine tägliche Reiſediät von 1 fl. 30 Er. 
Seufert reiste ſowohl in die benachbarten Neichsftädte (in Heilbronn 
erhielt er für Pforzheim und Durlach die ſchöne Summe von 132 fl. 
30 kr.), als auch ins Heffifche, Leiningenfche, Mfenburgifche, Naffauifche, 
Anhaltiſche, Sächſiſche, Schwarzburgiiche, Brandenburgifhe, Medlen: 
burgifche und Holfteinifhe, befuchte auch verfchiedene Univerfitäten und 
brachte eine beträchtlihe Summe Geldes zurüd. Das Gleihe war 
bei Bergmann der Fall, der Schwaben, den Elſaß und bie Schweiz 
bereiste. Schon 1716 waren bie erforderlichen Mittel beifammen, um den 
Bau der Kirche veraffordiren zu können. In den folgenden Jahren wurde 


ger (der Sohn bes oben erwähnten Joh. Philipp Weiniger, fam 1717 
nach Lörrach), bdiefem von 1717— 1719 Adam Wild (fam als Kirchenrath 
und Stabtpfarrer nah Lahr), 1719 — 1722 Joh. Lorenz Hölzlin, 1722 bie 
1734 Georg Philipp Bergmann (vorher Superintendent ber Landgrafichaft 
Saufenberg und des Kapitels Röteln, noch früher Diafonus zu Pforzbeim), 
von 1735—1742 Phil. Ib. Bürflin (war vorber Kirchenrath und Mektor 
in Rarlsrube). 


552 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746, 


er rüftig fortgefeßt 1) und 1721 vollendet. Am 23. September biefes 
Jahres erfolgte die Einweihung des Gotteshaufes unter entiprechenden 
Feierlichkeiten, wobei durch die damaligen Stadtgeiftlihen Hölzlin, 
Mauritii und Seufert nicht nur am Xage der Cinweihung, fendern 
auch an den folgenden Tagen verjchiedene Predigten gehalten wurden. 
In der Folge erhielt die Kirche auch eine prachtvolle Orgel und 1736 
zwei Gloden, ferner eine Sammlung von ſchönen Gemälden, welche 
die wichtigiten Greignifie des alten und neuen Teftaments darftellten 
u.f.w. Leider follte das Alles nad nicht TO Jahren wieder ein Raub 


der Flammen werden! Wenn nun auch die Stadtkirche wieder erbaut 


war, fo fehlte es doch noch an Pfarrhäufern, da, wie ſchon erwähnt, 
das vorige Spezialat: und Pfarrhaus dem Pädogogium hatte einge: 
räumt werden müſſen. Die Hauszinsentihädigung von 15 fl., welche 
ein Geiftlicher erhielt, war aber ſchon damals unzulänglich. 2) 

In die erften Jahre nah dem Kriege fällt auch die Rekonſtitui— 
vung ber Löbl. Singergefellfhaft. Wie mandes Andere, jo waren 
auch die jährlichen DVerfammlungen während des Krieges unterblieben, 
und ein VBerfud dazu, der am 27, Dezember 1694 gemacht wurde, 
blieb vereinzelt, Im Sabre 1701, alſo zur zweiten Säfularfeier 
‚ bes Vereins, wurde jedody wieder eine Generalverfammlung veranftaltet, 
und da das frühere Stammbucd der Gefellihaft, ſowie überhaupt alle 
Papiere derfelben beim Brand von 1692 zu Grund gegangen waren, 
fo wurden neue Statuten entworfen, ein neues Stammbuch (das jet 
noch bejtehende) angelegt, in dasielbe die Statuten eingetragen, und 
nad diefen die Namen derjenigen Perfonen, weldye bei der Zufam- 
menkunft von 1694 Mitglieder der Gefellihaft geweſen und berfelben 
1) Ueber der Safrifteithüre befand ſich früher folgende Inichrift: 

1717. 

Der Tempel, den bein Aug in neuem Schmud erblidt, 

Hat Mavors Ruth und Gluth erbärmlich miterfahren, 

Da deifen Graufamkeit den Rheinftrom hart gedrüdt. 

Er blieb in feiner Aich bei jehs und zwanzig Jahren, 

is unter Carols Schutz und Beitrag frommer Chriſten 

Er gar mit harter Müh warb wieder aufgeridht. 

Des Höchſten Allmachts-Hand woll diefe Kirche friften, 

Bis daß die ganze Welt durch Flammen wirb zernicht. 

2) Vergl. Pforzheimer Diozes-, Kirchen: und Schulenbeichreibung von 
1735 im Landesardiv, 


— —— 


Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697 —1746. 553 


nun wieder neu beitraten, eingezeichnet. Es waren folgende 49: 1) 
Kammerratd Ib. Chrift. Zandt, Kirchenratb und Spezial Kummer, 
Kammerrath Erhardt Kiefer, Doktor Joh. Burkhart Mögling, Land: 
jchreiber Joh. Ernft Kauffmann, Amtsverweier Ib. Heyland, Amts: 
keller Chriftoph Meerwein, Archidiakonus Konrad Stattmann, Diako— 
nus Konrad Sutor, Altjtadtpfarrer Berthold Deimling, Kammerrath 
Joh. Popp, Joh. Konr. Schäffer, Job. Kaſp. Zacher, Stadtfchreiber 
Götz, Heinrich Yahmann, Joh. Ib. Büchſenſtein, Pfarrer zu Elmen— 
dingen, Joh. Burkh. Ehrat, Pfarrer zu Eutingen, Ib. Mitjtörffer, 
Pfarrer zu Dietlingen, Hammerſchmiedbeſtänder Joh. Theobald Sah— 
ler, Bürgermeiſter Leonhard Herbſter, Zoller Joh. Kaſp. Dürr, Apo— 
theker Konrad Wilhelmi, Goldſchmied Nikl. Burkhardt (war ſchon 
1683 Obermeiſter geweſen), Goldſchmied Chriſtoph Wohnlich, Schwert: 
feger Rudolf Kornmann, Handelsmann Bernhard Minderer, Zeugmacher 
Hs. Grg. Rau, Schönfärber Rudolf Itzſtein, Barbier Joh. Ulrich 
Schäffer, Bader Ludwig Ruff, Handelsmann Burkhard Weeber, Hoſen— 
ſtricer Joh. Herbſter, Seiler Andreas Hertenſtein, Friedr. Baumann, 
Färber Andr. Kienlin, Glaſer Chriſtoph Wilderſinn (war der Gefell: 
ſchaft 1684 beigetreten und bekleidete 1689 die Stelle des Obermeiſters), 
Schneider Joh. Zugmeyer, Sergler (d. h. Halbtuchmacher) Benedikt 
Köhle, Hs. Grg. Knauf, Sattler Hs. Grg. Simmerer, Hs. Ib. Trautz, 
Sattler Hs. Grg. Siegele, Dreher Chriſtoph Kieffer, Joh. Ib. Rüding, 
Schloſſer Burkh. Knapp, Bortenmacher Joh. Ulrich Herbſter, Nagel: 
ſchmied Joh. Leyerlin, Hafner Hs. Grg. Jais, Zeugmacher Joh. Ib. 
Lötterle. — Im Jahr 1701 traten neu bei: Stadtiſchreiber Karl 
Friedrich Boch, geiſtlicher Verwalter Ib. Fried, Mahler, Schatzungs— 
einzieher Ib. Dürr, Forſtverwalter Karl Meerwein, Apotheker Mich. 
Salzer, Apotheker Heinrich Baurittel, Barbier Dan. Theodor, Borten— 
macher Hans Mich. Günther, Seiler Chriſt. Schnellin, Kürſchner 
Dietr. Henning, Sergler Joh. Köhlin. Zum Obermeiſter wurde neben 
Chriſtoph Wohnlich dies Mal Hans Ulrich Herbiter erwählt. In 
ben folgenden Jahren traten der Gefellichaft immer mehr Mitglieder 





) Das Stammbuh der Singergefellihaft enthält die Wappen, Nanten 
und Denkſprüche von vielen dieſer Mitglieder und von ſolchen die fpäter bei: 
getreten find. Der erfte derartige Eintrag ift der von Spezial Kummer, dann 
folgen die von Kammerratb Popp, Spezial Wild, Burkh. Ehrat, Bechthold 
Deimling, Pfarrer Stattmann, Verw. Schabharbt ꝛc. 


554 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 4697-1746. 


bei. Die neuen Statuten des Vereins waren den alten fo viel als 
möglich nadhgebildet, um den urfprünglichen Zweck desfelben, natürlich 
unter Berücdfichtigung der veränderten Zeitverhältniffe, zu wahren. 

Wie in Pforzheim nad und nad) Alles wieder ins alte Geleife 
kam, fo begann auch die Shütengefellfhaft im Jahr 1700 ihre 
Mebungen wieder und erhielt nad altem Gebraud aus der Amtstelleret 
den Beitrag zum Verſchießen mit 15 Gulden, fowie 5 Gulden von der 
Stadt wie früher ausbezahlt. Diefe „Schützenkompagnie“ war dafür 
zu militärifchen Dienftleiftungen, namentlich zu Wachtdienſten verpflich- 
tet, auch wenn Gamifon in der Stadt lag, was nad) dem orleans’fchen 
Krieg eine Tange Reihe von Jahren hindurch der Fall war. Meift 
war es das Durlachiſche Regiment, welches ftändig fih in Pforzheim 
befand. Im Jahr 1721 erhielt die Stadt, bez. Schütengefellichaft, 
eine Einladung zu einem Freiſchießen, welches Markgraf Karl Wil 
helm in feiner neuen Meftdenz Karlsruhe veranftaltet hatte, Es nahm 
eine Anzahl Prorzheimer Schüben daran Theil. — Neben dem Militär, 
das in Pforzheim fein Standquartier hatte und der Schützengeſellſchaft 
befaß die Stadt au fog. Bürgermilitär, das gleich jener unifor: 
mirt und equipirt mar. Als der Erbpring Friedrich fi 1727 ver: 
mäblte und feine junge Gemahlin heimführte, machten ihm in Karlsrube 
aus Pforzheim 3 Kompagnien zu Pferd, nämlih 2 gewöhnliche und 
1 Hnfarenfompagnie unter ihren Rittmeiftern Kaufmann Meyer, Nitter- 
wirth Trautwein und Kaufmann Benezette (Admobiator der berrfchaft: 
lichen Zeugfabrif) ihre Aufwartung. 1) 

Trotz der eifrigften Bemühungen, welche ſich die Behörden ſowohl, 
als die Bürger gaben, beffere Zuſtände herbeizuführen, blieb fortwäh— 
rend gar viel zu wünſchen, namentlich in den erften jahren nah dem 
Krieg. Die Finanzen der Stadt waren noch immer in einem fehr 
zerrütteten Zuftande. Auf der ftädtifchen Verwaltung lag wie ein 
brüdender Alp eine unverhältnigmäßig große Schuldenlaft, die dadurch 
immer mehr anſchwoll, daß nicht einmal die Zinfen der aufgenommenen 
Kapitalien bezahlt werden konnten. Weber welche Geldmittel die Stadt 
beifpielmweife im Jahr 1709 verfügte, mag daraus entnommen werben, 
daß, als die regierende Fürftin als folhe zum erftien Mal, und zwar 
von Stuttgart ber, durh Pforzheim Fam, und Stadt und Amt ihr 


— 


) Handſchriftliche Aufgeihnungen von Ritterwirth Trautwein. 


Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 16971746. 555 


deswegen ein Gefchent von 28 Louisd’or machten, die Stadt Pforzheim 
ben auf fie fallenden Antheil von 106 fl. 23 kr. erft aufnehmen mußte, 
um ihn entrichten zu können. Bei diefen äußerſt bedenflichen Verhält— 
niffen war es fein Wunder, wenn die Gläubiger der Stadt um ihre 
Guthaben beforgt wurden und in den Jahren 1715—17T ſich zahlreich 
einfanden, um Befriedigung zu erlangen. Der Beſcheid indefjen, den die 
ungeftümen Gläubiger erbielten, jtimmte mit der Yage der Stadt über: 
ein; fie befamen eben einfach nichts, und ein Herr von Bärenfels zu 
Hagenheim wurde mit feiner Forderung ven 300 fl. ein für alle Mal 
abgewiefen, weil die Stadt zu diefem Anlehen im Jahr 1690 durch 
franzöfiihe Offiziere gezwungen worden fei (wahrfcheinlich gegen wuche— 
rifche Zinfen), Nur mit einem Gläubiger fand fich die Stadt 1717 
vollftändig ab, nämlich mit dem Klofter Frauenalb (S. 477). Die 
Schuld an dasfelbe betrug 4300 Gulden; davon waren aber feit 1677 
feine Zinfen mehr bezahlt worden, weshalb biefelben bis 1717, alfo in 
40 Jahren, auf die doppelte Höhe des Kapitals angelaufen waren. 
Alle Mahnungen an die Stadt, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, 
waren bisher vergeblih geweien. Zuletzt wandte ſich die Mebtiffin 
des Klofters, Gertrude von Jchtersheim, am die Negierung. Wie es 
fheint auf Veranlaſſung derfelben begab fich eine Depntation von 
Pforzheim nach Frauenalb und traf mit dem Klofter am 4. Februar 
1717 das Abkommen, daß die Stadt im Ganzen für Kapital und 
Zins die Summe von 2300 Gulden in 3 Terminen bezahlen und 
das Klofter von Entrichtung des Weggeldes, welches dasfelbe bei Ab: 
führung feiner Zehntfrüchte aus den Orten Wurmberg und Wiernsheim 
bisher in Pforzheim hatte entrichten müſſen, befreit werden folle. Im 
Sommer 1719 war die Schuld an Frauenalb getilgt, und zwar dadurch, 
daß die Stadt im Kallert, der nebſt ſämmtlichen ftädtifchen Einkünften 
dem Klofter bis jett verpfändet geweſen war, einen außerorbentlichen 
Holzhieb vornehmen ließ. i 
Im Fahr 1714 ftoßen wir auf eine Klage, daß die Jahrmärkte 
fo fchleht befucht würden. Man glaubte die Urſache theils in dem Um: 
ftand, daß auch in benachbarten Orten Jahrmärkte ftattfänden, theils endlich 
und wirklich auffallender Meife im verbejferten Kalender zu finden, 
ber doch im Jahr 1714 unmöglich mehr Verwirrung angerichtet haben 
ann, da er fchon 1701 aud in unferm Lande eingeführt worden war. 
Es wurde deshalb befchlofien, einige Hundert Zettel druden und in der 


— er anne IT 


556 Stebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746. 


Umgegend vertheilen zu laſſen. Daß übrigens Handel und Verkehr 
noch Lange nicht zu der frühern Blüte gelangt waren, erjehen wir auch 
aus einem Vortrag, welchen die Zunftmeifter Namens der Zünfte am 
2. März 1716 vor Oberamt, Gericht und Rath erftatteten, und worin 
fie fih über dey elenden, nabrungslofen Zuftand der Stadt beflagten, 
fo daß die Zünfte nicht nur im gänzlihen Ruin verfallen feien und 
aller Kredit außerhalb in Handel und Wandel fich verliere, fondern 
auch Fein neuer Bürger mehr in die Stadt hinein ziehe, vielmehr einige 
binanszuziehen vorhätten. Die Verhältniſſe befferten ſich jedoch in 
diefer Beziehung bald wieder, namentlih da auch die Regierung Handel 
und Verkehr nah Kräften zu befördern fuchte, Im Jahr 1735 wurde 
3. B. auch zu diefem Zwecke der Bau einer Heerſtraße (Chaussee) 
von Karlsruhe nah Pforzheim und die württembergifche Grenze pros 
jeftirt und in ben folgenden Jahren auch ausgeführt. Diefe Etraße 
lief der von Bretten nach Pforzheim führenden, die früher (S. 123) 
ungleich wichtiger gewefen war, bald den Rang ab. 

Mährend des Krieges hatten neben den ftädtifchen auch die herr⸗ 
ſchaftlichen MWaldungen, namentlich der Hagenſchieß, fehr gelitten. Sie 
wieder in befjern Stand zu bringen, war Markgraf Karl Wilhelms 
eifrige Sorge. Er ernannte deshalb 1715 den Förſter Kikling von 
Engenftein zum Oberjäger und Forftamtsverwefer, in der Folge zum 
Forftmeifter in Pforzheim, einen Mann von großer Sachkenntniß und 
unermüdlichem Fleiße. Zeuge von Tetterm ift auch das von Kißling 
angelegte noch vorhandene Korftlagerbuh, die Arbeit von 35 Jahren. 
Dasſelbe ift kalligraphiſch fehr ſchön ausgeftattet und fängt die origi— 
nelle, in Verſen gefchriebene Vorrede mit folgenden Worten an: 


Weil alle Bücher faft mit einer Vorreb prangen, 

Die nah dem Titulblatt den erſten Platz behält, 

So will die Vorred auch zu ſchreiben jetzt anfangen, 

Nahdem ich dieſes Werk mit Gott zu End aeftellt. 

Wann vorber gründlich find beichrieben alle Sadıen, 

Alsdann kann man erft recht die Vorreb drüber machen. !) 
Eben fo originell ift aud die Art und Weiſe, wie Kißling für fein 
neues Amt vom Markgrafen felber, und zwar mündlich, verpflichtet 
wurde. Nach den eigenen Aufzeihnungen Kißlings lauteten die Morte 
des Markgrafen: „Höre Kikling! Ih mache dich zum Oberjäger in 


) Bergl. das betr, Lagerbuch in ber Regiftratur des Forftamts Pforzheim. 





Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 557 


Pforzheim, und befehle dir, jo lieb dir dein Leben ift, meine Waldun- 
gen wohl in Acht zu nehmen. Ich Könnte einen von meinen Kavalieren 
dahin jegen; wann die aber nicht thun, wie fie follen, fo kann ih 
nichts mit ihnen anfangen, Did aber kann ich hängen Lafien, wenn 
du nicht als ehrlicher Mann handeln wirft.” 1) 

Es mag hier gleich mit angeführt werden, daß unter orjtmeifter 
Kißling auch des Seehaufes bei Pforzheim zuerft Erwähnung gefchieht. 
Markgraf Karl Wilhelm kaufte nämlich 1732 von der Stadt Porz: 
beim einen ungefähr 7 Morgen großen Pla an der Tiefenbronner 
Straße, der wüjte See genannt, für 200 fl., auf welchem ein Weiher 
ausgegraben und mit Fifchen befest wurde, Zugleich follte diefer Weiher 
oder See zur Tränke für das Wild dienen. Die Fiſchzucht wurde von 
einem Fiſchmeiſter regelmäßig betrieben und befondere Rechnung hierüber 
jährlich abgelegt. Anfänglich wurde neben dem See eine Wohnung 
für den Fifchmeifter und erft in den 1770ger Jahren auf deſſen Stelle 
das gegenwärtige Seehaus als Jagdpavillon für den Aufenthalt der 
höchſten Herrſchaften bei Gelegenheit der Jagden erbaut, daneben eine 
Scheuer zu Aufbewahrung des Jagdzeuges. 2) 

Es ift begreiflih, daß während des orleans'ſchen Krieges manche 
Unordnung eingeriffen war, zu deren Befeitigung der bald nachher aus: 
gebrochene neue (fpanifche Erbfolge) Krieg eben nicht beitrug, Doch 
fuchten das weltliche und das geiftliche Negiment zuſammen zu wirken, 
um allerlei fhon länger bejtehende Mißſtände zu entfernen und neu 
wieder eingefhlichenen Mißbräuchen entgegen zu treten, Go wurden 
unterm 7. Januar 1705 den Zunftmeiſtern zur Mittheilung an ihre 
Zunftgenofjen vor Oberamt eine Anzahl „Punkten“ publizirt, welche 
zur Verbeſſerung der Polizeisrdnung dienen follten. Durch diefelben 
ſuchte die Polizei jedem Unfug bei Hochzeiten, jo den Mummereien am 
zweiten und dem Spielleutbalten am dritten Hochzeitstag, ferner der 
Nachtſchwärmerei, der Störung der Sonntagsfeier, den Ausgelafjen- 
beiten in Spinn: oder Kunkelftuben, der Weberfchreitung der Polizei— 
ftunde in den Wirtdshäufern (Sommers 10, Winters 9 Uhr), dem 
Neujahrſchießen und Maienfteden, dem übertriebenen Aufwand bei 
Kindbett: und Pathengefchenten u. f. w. kräftigft entgegen zu wirken und 


1) Beſchreibung der Verhältniffe des Forſtreviers Seehaus von Arne: 
perger, a. a. O. 
2) Beichreibung des Forſtreviers Sıehaus von Arnsperger, a. a. D. 


558 Siebzehntes Kapitel. Pforzbeim von 16971746. 


ſetzte auf die Uebertretung der „Punkten“ zum Theil jehr hohe Stra⸗ 
fen. Diefen Beitimmungen reibten ſich noch andere an, welche unterm 
12. Januar von Seiten löbl. Kirchenzenfur „zur abftellung der ſowohl 
verwichene, als dermalen noch fürwehrende Kriegszeit über eingefchliche: 
nen Sabbathihändung, auch beybehaltung riftlicher Zucht und Kirchen: 
disciplin“ ebenfalls den Zünften publizirt wurden, Darin wurde ber 
Schützenkompagnie das Schiegen am Sonntag unterfagt, die in Abgang 
gekommene Kirchenrügung wieder eingeführt, eine neue Ordnung bezügl. 
ber Bertheilung ber Plätze in der Kirche, des Weggehens aus derfelben 
und fonftiger Gebräuche feftgefeßt, unter Anderm auch verlangt, baß 
die Bürger, wenn fie in die Kirche gingen, oder bei Amt, bei Rath, 
der Kirchenzenfur zu thun hätten, in den früher üblich gewefenen Män— 
ten erjcheinen, und die Gerichts: und Nathsperfonen darin mit gutem 
Beifpiel vorangehen follten u. ſ. w. u. ſ. w. — Ein Stoßſeuf zer des 
Spezials Bergmann, der ſich 1722 im Kirchenbuch in den Worten 
Luft macht: „Ad Gott, fteure dem überhandnehmenden Laſter der 
ſeelenſchädlichen Trunkenheit!“ wirft fein günftiges Licht auf die Mäßig— 
feitsbeftrebungen jener Zeit. — in Beiipiel von Aberglauben in Bezug: 
auf Heilmittel Liefert der fog. Pforzheimer Zauberbalfam, der 
noch in der württembergiihen Pharmacopde von 1740 aufgeführt wird, 
und gegen boshafte DVerherungen und Zaubereien fogar innerlich em- 
pfohlen wurde. Seine Zufammenfegung war die unfinnigfte, die man 
fi) nur denken fann, 1) 


$ 93. Sortfehung des Porigen. Devölkerungsverhältniffe nach dem 
Krieg. Neue Einwanderungen. 


Wie ſehr die Bevöllerung Pforzheims während des Krieges zuſam— 
mengefhmolzen war, ift oben ſchon bemerkt worden. Nach geichloffenem 
Frieden hatte die Regierung, einestheils zur Bemefjung und Verthei⸗— 
lung der nunmehr wieder vegelmäßig zu erhebenden Abgaben, anderer: 
feits um überhaupt die Zahl der vorhandenen Bürger Fennen zu ler: 
nen und die im Kriege erlittenen Bevölferungsverlufte genau zu ermit: 
ten, im März 1698 den Befehl erlaffen, ein Verzeichniß fänmmtlicher 
Bürger, ſowohl derer, die ſich vor dem Krieg in Pforzheim befunden 
hätten, als derjenigen, welche nach demſelben no übrig waren, aufzus 





) Roller, Beihreibung von Pforzheim, S. 197. 


Siehzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697-1746. 559 


fielen und die Angabe der Tobesart der Verftorbenen beizufügen. 
Diefe Liſte ift noch vorhanden. 
Bon der ganzen Bürgerfchaft, melde vor dem Krieg 548 Mann 
betrug, waren nach demfelben noch am Leben . . 295, 
geftorben waren . . 226, 
verihollen . . . . 27, 


zufammen 548. 
Bon den noch lebenden 295 waren 1698 in Pforzheim mr 267, 
außer Landes . . . . ; 
im Krieg als Soldaten. . . 8 


295. 1) 
In der Lifte ift auch die Zahl der Kinder (di b. der unverheiratheten 
Söhne und Töchter) fowohl der verftorbenen, als der nody lebenden 
Bürger mit 849 angegeben. Rechnen wir zu diefer Zahl noch 200 
Ehefrauen der in der Stadt anmefenden Bürger, etwa 100 Wittwen, 
und nehmen wir dazu noch 200 Gefellen und Dienftboten und 200 
Seelen für die Familien der Ndelichen, der Angeftellten und der Hinter: 
fafjen, fo ergibt fich für das Ende des 17. Jahrhunderts eine Bevölke— 
rung von etwa 1800 Seelen. 


’ 


1) Bon Mitgliedern noch vorhandener Bürgerfamilien werden in ber Lifte 
als „Hungers neftorben“ bezeichnet: Jakob Parthold jung, Hs. Ib. Beder 
(mit Weib und Kind), Chrifimann Kiefer, Dreber, Hs. Org. Kiefer, Schneider, 
98. Zerg Kiefer, der Fromme, H8. 35. Kiefer, Dreber, Hs. Irg. Kienle, 
Flößer, 98. Irg. Lotthammer, Michel Lotthammer, Hs. Ib. Mäule, Flößer, 
Ehriftoph und Matthäus Müller, Leineweber, Friedr. Sold, Schuhmacher, 
Chriſtoph Ungerer, Zeugmader, Johannes Ungerer, Joh. Wolf; — als 
„elendbiglih* oder „im Elend umgelommen”: Job. Aab, Metger, 
98. Bed, Bäder, Dito Beh, Metzger, Klaus Bub, Flößer, Irg. Wolf Feld⸗ 
ner, Weißgerber, He. Michel Gerwig, Flößer, Hans Jerg Kiefer, Echneiber, 
Dito Kienle, Michel Lorthammer, Hs. Irg. Stieß, Weißgerber, Hs. rg. 
Stich, Bäder, He. Wolf Stieß, Weißgerber, Hs. Irg. Ungerer, Leineweber, 
Joachim Ungerer, Leineweber, Ib. Wagner, Abraham Werber, Schubmader; 
— als „im Eril geftorben“ oder „verjhollen*: Elias Bartbolb, Wag⸗ 
ner, Jerg Barthold, Ho. Beckh, Roſenwirth, Ib. Breidt, Bäder, Ib. Bech, 
Flößer, Chriſtoph Bud, Leineweber, Joh. Euchele, Tuchmacher, Rudolf Euchele, 
Zeugmacher, Math. Enderle, Krämer, Hs. Ib. Gerwig, Flößer, Math. Lott— 
hammer, Dietrich Meerwein, Hutmacher, Hs. Ib. Meerwein, Metzger, Chriſtian 
Meyer, Hans Mürrle, Färber, Hs. Schneider, Stieß, Bürgermeiſter, Joh. 
Ungerer, Leineweber, Niklaus Ungerer, Hafner. 


560 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746, 


Nah dem Krieg und befonders im erften Viertel des 18. Jahr: 
hundert? nahm die Bevölkerung raſch wieder zu, wie das oben ſchon 
(S. 551) bemerkt worden if, Es erklärt fi diefe Erfcheinung zum 
Theil aus dem Umftande, daß die Zahl der Kinder, die geboren 
wurden, die der Geftorbenen in den meilten Jahren um ein Anfehn- 
liches überitieg ; andererfeits fand eine ftarfe Cinwanderung neuer Bür— 
ger ftatt, die man natürlich in jeder Weiſe begünftigte. 1) Die Ver— 
mebrung der Bevölkerung, welche auf erfigenannte Weife erfolgte, betrug 
im erften Viertel des 18. Jahrhunderts allein 314 Köpfe Nicht viel 
geringer war der Zuwachs, den die Bevölkerung Pforzheims durch 
Einwanderung erbielt, weldhe namentlich aus dem benachbarten Württem: 
berg zahlreich erfolgte. Zu den Familien, die in den erften Dezennien 
bes 18. Jahrhunderts in Pforzheim neu genannt werden, gehören u. a. 
die Baurittel, die Kurz, die Mutſchelknauß, die Noller, die Rothacker 
(zum Theil), die Hobeifen und die Unter&der. Einwanderer anderer 
Art müſſen noch befonders erwähnt werden. König Ludwig XIV, 
von Frankreich hatte das von jeinem Großvater Heinrich IV. 1598 
gegebene Edift von Nantes, worin den Proteftanten oder Hugenotten 
in Franfreih freie Neligionsübung und Gleichberechtigung mit den 
Katholiken zuerkannt worden war, 1685 wieder aufgehoben. In Folge 
deſſen wanderten viele diefer Hugenotten aus und wurden von manchen 
Fürſten nebft andern vertriebenen Glaubensgenofjen, wie Waldenfern, 
Wallonen, aufs freundlichfte aufgenommen. Zu diefen Fürften gehörte 
auch Markgraf Friedrid Magnus, und unter denjenigen Orten, welche 
ihon 1699 eine ſolche franzöfifche Kolonie, anfangs nur aus 5 Familien 
bejtebend, erhielten, die fi in der Folge dur neue Zuwanderungen 
noch vermehrte, war auch Pforzheim. 2) Den erften Familien wurden 
folhe Hauspläte, welche der geiftlichen Verwaltung und dem St. Georgs- 
Stift in Folge von Forderungen auf die einft dort geftandenen, aber 


) Das Bürgerannabmsgeld betrug damals 10 Gulden für den Mann, 5 für 
bie Frau, 5 für je 2 Kinder und 3 fl, Pfundzoli für die Herrihaft, Im 
Jahr 1721 jedoch wurde einem neuangebenden Bürger aufgegeben, nicht nur 
fein Mannrecht zu beweifen, fondern auch 15 fl. Bürgergeld zu zahlen, 2 Bäume 
auf die Almend zu fegen und einen Feuereimer anzufchaffen. Im Jahre 1731 
fand eine Erhöhung des Bürgerannahmögelb auf 30 fl. ftatt. 

2) Die in der Nähe liegenden württembergifhen Orte Perouse, Pinage, 
Villars u, ſ. w, verdanken ſolchen Eingewanderten ihre Gründung. 





Siebzehntes Kapitel. Pforzbeim von 16971746. 561 


abgebrannten Häufer anheim gefallen waren, unentgeldlich abgegeben 
und auch fonftige Freiheiten bewilligt, wenn fie neue Gewerbe oder 
Beihäftigungszweige ins Land gebracht hatten. Diefe Refugies ftamm- 
ten hauptfächlih aus demjenigen Theil von Südoſt-Frankreich, welder 
an die piemontefifchen Waldenſer angrenzte und immer in Verbindung 
mit diefen geftanden war. Die neue franzöfifch = reformirte Gemeinde 
zu Pforzheim hatte ihren eigenen Geiftlidhen, den fie felbft wählte, und 
es wurde ihr zu ihren Gottesdienften die St. Georgsfapelle angewiefen. 
(Solche Geiftliche waren zuerft Moutoux, 1709 Aubert, 1729 Gon- 
zal.) Als jedoh 1766 das St. George: Kirchlein — dem bekannten 
Nüglichkeitsprinzip zu Tieb — abgebrochen wurde und mit ihm der 
legte Reſt des St. Georgsſtiftes verichwand, erhielten die Neformirten 
1768 das Chor der ehemaligen Franziskanerkirche (die jetige katholiſche 
Kirche) zur gottesdienftlihen Benützung zugewiefen, 1) bis fie endlich durch- 
gegenfeitige Heiraten in immer nähere Verhältniſſe mit ihren deutſchen 
Mitbürgern traten und fi 1804 ganz mit der deutfch =reformirten 
Gemeinde vereinigten. Bemerkenswerth dürfte noch fein, daß 9 folcher 
franzöfifh:reformirten Gemeinden in Pforzheim 1704 eine Synode 
bielten, welche von 9 Geiftlihen und 9 Laien beichiet war. Wie im 
benachbarten Württemberg durd die Nefugies einige neue Dörfer erbaut 
worden waren, fo ging um 1711 auch die badifche Negierung mit dem 
Gedanken um, eine folhe Kolonie im Hagenſchieß, und zwar zwifchen 
Pforzheim und Tiefenbronn anzulegen. Dean kam jedody von biefer 
Idee aus guten Gründen wieder ab. (Schon das Jahr vorher, 1710, 
hatten Stephan Künle v. Mühlhaufen und Jerg Widmann v. Lehningen 
für fih und eine Anzahl ihrer Mitbürger um eine foldhe Erlaubniß 
nachgeſucht, waren aber abſchläglich beicdhieden worden.) Bon den 
Angehörigen der Pforzheimer franzöfifchereformirten Gemeinde find fol: 
gende noch befannt: Jean Sammel Brochet oder Brougier, Strumpf: 
weber, Jean Bernard, Strumpfftrider, Jean Jacques Faure, Jerome 
Lacoste, Barbier, fpäter Weldfherer, Pierre Morgues, Kaufmann, 
Andre Dubout, Strumpfmweber, Jean Henri Benezette, Pierre Jourdan, 
Lafont, Breniol u. a. m. 


1) Die Einweihungsrede, welche der damalige Geiftlie, wiederum ein 
Moutoux, bielt, ericd’en in SKarlsrube im Drud unter dem Titel: »Sermon 
prononc& le 16. Oct. à l’occasion de la dedicace du temple reforme, bäti ä 
Pforzheim. Par Charles Francois Moutoux. 

Pflüger, Pforzheim. 36 


562 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746, 


Es war 1732 nahe daran, daß Pforzheim noch durch Einwanderer 
anderer Art ftärker bevölkert worden wäre. In jenem Jahr, und zwar 
am 24. April, kam nämlid von evangelifhen Salzburgern, melde 
durch ihren Landesherrn, den Erzbifhof, 1685, 1729 und 1731 Harte 
Bebrängniffe erlitten, fo daß viele Taufende von ihnen ins preußifche 
Gebiet ausmwanderten, eine Zahl von 230 audy in die Gegend von 
Pforzheim, und die baden-durlachiſche Regierung war zu ihrer Auf: 
nahme gern bereit. Aber nur ein Meiner Theil bderfelben blieb; die 
Meiften zogen weiter ins Darmftädtifche, von wo aus ihnen ſchon früher 
MWohnfige angeboten worden waren. 

Nehnen wir den Geſammtzuwachs zur Pforzheimer Bevölkerung 
zufammen, fo dürfte lettere um 1725 wieder zwifchen 3 und 4000 
Seelen betragen haben, Nur langfam nahm fie in der Folge zu, da 
dann und wann auch anftedende Seuchen, wie 3. B. während des pol- 
nifchen Krieges in den Jahren 1733, 34 und namentlih 1735, wo 
die Zahl der Geftorbenen die der Geborenen um 170 überftieg, ferner 
in ben Jahren 1740, 1743, 1757, 1762 und 63, 1768, 1772, 
1789, 1796 bald geringere, bald bedeutendere Verminderung ber Be: 
völferung bradten. Erſt mit dem Jahr 1800 war die Zahl von 
5000 Köpfen überſchritten. 

Im Jahr 1723 war die Bürgerfhaft 492 Mann ftarf. Darunter 
befanden fih 45 Mebger (und 8 Wittwen), 41 Bäder (und 5 Witt: 
wen), 21 Rotbgerber (und 2 Wittw.), 36 Schuhmacher (und 5 Wittw.), 
17 (7) Krämer und Wirthe (und 7 Wittm.), 1% Zeugmader (und 
8 Wittw.), 5 Tuchmacher (und 3 Wittw.), 8 Weißgerber (und 6 Wittw.), 
7 Schloffer und Büchſenmacher (und 1 Wittwe), 17 Schmiede und 
Wagner (und 5 Wittw.), 7 Seiler, 11 Schreiner, 10 Hafner (und 
4 Wittw.), 22 Küfer (und 4 Wittw ), 24 Hofenftrider, Hutmacher 
und Dreher (und 7 Wittw.), 19 Schneider (und 2 MWittw.), 25 Gold- 
fhmiede und Glafer (und 3 Wittw.), 16 Leineweber (und 3 Wittm.), 
4 Sattler, 20 Zimmerleute und Maurer (und 8 MWittw.), I Müller 
(und 2 Wittw.), 70 Flößer (und 6 Wittw.), 22 Altſtädter (und 11 
Mittw.), 22 Unzünftige (und 9 Wittw.). Dazu famen noch 34 
Gefreite und 9 Juden. 

E8 möge bier ſchließlich noch, wie früher, einiger Ereigniffe ges 
dacht werden, die in ältern Chroniken immer eine bedeutende Rolle ſpielen. 
Im Jahr 1709 Herrfchte eine große Theurung, und ging derſelben ein 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697— 1746. 563 


fo furchtbar ftrenger Winter voraus, daß die Bäume barften, die Vögel 
todt aus der Luft herabfielen, und der Boden fo feft und fo tief ges 
froren war, daß man kaum die Todten beerdigen konnte. — Der 
Eommer des Jahres 1724 war ein außerordentlich heißer, fo daß es 
nur wenig Frucht, aber vielen und guten Wein gab. 1) — Das Jahr 
1728 erzeugte ebenfalls fo viel Wein, daß das Fuder nur 6 Gulden 
galt. — Das Fahr 1739 brachte wieder einen fehr firengen und dabei 
entfeglich langen Winter. Gleich nah dem Herbit fing die Kälte an 
und dauerte faft ohne Unterbrehung bis zum 26. März 1740 fort. — 
Am Jahr 1729 vi das Hochgewäſſer die 1694 neu erbaute Auer 
Brüde mit fi fort. Am 18. Dftober 1740 war abermals ein „groß 
Waſſer, wie e8 feit Menſchengedenken nicht gewvefen. Beim Hirihwirth 
lief das Waſſer in die untere Stube; von der Auer Brüde aus konnte 
man mit einem Milchhafen Waſſer langen.“ Die Altftädter Brüde 
wurde damals mit fortgeriffen und erft im folgenden Jahr neu her— 
geftellt. — Am 7. Juli 1731 wurden in Pforzheim die 4 fleinen 
Kinder begraben, welche eine verwittwete Frau von Nafchau auf un: 
menſchliche Weife ermordet hatte. So erzählt das damalige Kirchen: 
buch, ohne indeß Näheres über die That, namentlich die Veranlaſſung 
derfelben, mitzutheilen. 


$ 4 Pforzheim im ſpaniſchen Erbfolgehrieg 1701 — 1714 nnd im 
polnifchen Krieg 1733 — 1735. 2) 


Bieles von dem, was in den drei vorhergehenden Abfchnitten 
erzählt wurde, fällt in die Zeiten des fpanifchen Erbfolgekriegs, 
da derfelbe 1701 ausbrad und 1714 zu Ende ging. Einzelne Vor: 
fälle diefes Krieges, infofern fie auf Pforzheim Bezug haben, müſſen 
jedoch noch befonders erwähnt werden. Glücklicherweiſe wiederholten 
fid) in demjelben die Greuel des orleans'ſchen Krieges nicht; doch hatte 
Pforzheim durch Durhmärfche, Einquartierungen, Bezahlung von Kriegs: 
geldern ꝛc. Manches zu leiden, was das Wiederaufblühen der Stadt 
nicht begünftigte, | 


*) Diefe und die folgenden Notizen nah den Aufzeihnungen des Ritter: 
wirths Trautwein, zum Theil auch nah Natheprotofollen. 

2) Quellen: Rathsprotofolle, Kriegstoftenrehnungen, Kirchenbücher, 
Alten des Landesarchivs ꝛc. 36* 


564 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746, 


Der König Karl II. von Spanien war im Winter 1700 ohne 
Hinterlaffung eines Leibeserben geftorben. Auf die Thronfolge machten 
nun Defterreih und Frankreich Fraft Verwandtſchaftsrechtes Anſpruch. 
Karl II. hatte zwar einen Enkel Ludwigs XIV. zu feinem Erben ein 
geſetzt; allein Defterreich erkannte das Teftament nicht an, und fo am 
es denn zu demjenigen Kriege, der in der Gejchichte unter dem Namen 
des ſpaniſchen Erbfolgefrieges bekannt ift. Auf Defterreichs Seite traten 
das Reich, Holland und namentlich auch England, während der Kurfürft 
von Baiern die Partei des Königs von Franfreich ergriff. Die deutfchen 
Heere wurden in dieſem Krieg vorzugsweife von den beiden ruhmge— 
frönten Feldherrn, dem Prinzen Eugen von Savoyen und dem Mark— 
grafen Ludwig von Baden, die englifchen Truppen von dem ſcharf— 
blitenden und umfichtigen Herzog von Marlborougb angeführt. Auf 
franzöfifcher Seite zeichnete fih der Marſchall Villars aus. 

Der Krieg begann 1701 in Stalien, wo Eugen raſche Erfolge 
erfämpfte. Schon im folgenden Jahr entbrannte dev Kampf auch am 
Rhein, indem Markgraf Ludwig mit einer deutfchen Reichsarmee von 
16,000 Mann, die er bei Heilbronn geſammelt hatte, im Frühjahr 
1702 über diefen Fluß ging, die Belagerung der den Franzoſen gehö— 
rigen Feſtung Landau unternahm und .diefelbe im nämlichen Jahr 
no eroberte. Im folgenden Jahre vollendete er bei Stollhofen und 
Bühl die ſchon 1701 begonnenen berühmten Linien, durch welde er 
den Franzoſen bei etwaigen Gelüften, auf diefer Seite in Deutichland 
einzudringen, einen unüberfteigliben Damin entgegenfeßte. Wirklich 
wurden auch, jo lange der Markgraf Iebte, alle Angriffe der Franzofen 
auf diefe Linien mit Erfolg zurüdgeichlagen. 

As 1702 die Gefahr des Krieges der Markgrafichaft näher 
gerüdt war, Fam unterm 10. März ein fürftlicher Befehl, daß fidy bei 
ben gefährlichen Läufen die Bürger mit gleichförmigen Talibermäßigen 
Gewehren und Flinten verfehen und die Dermöglichern unter ihnen die 
Koften baar erlegen, die andern in Terminen bezahlen follten. Das 
Jahr 1702 ging indefien ziemlich ruhig vorüber, nur rüdten im 
November deutfhe Truppen in Pforzheim ein, um dort ihre Minter: 
quartiere zu beziehen. 

Als im Aprit 1703 Marfhall Villars die Stollhofer Linien mit 
großer Heftigkeit angriff, glaubte man aud in Pforzheim, auf alle 
möglichen Fälle fi) vorbereiten zu müſſen. Die Rathsakten wurden 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 565 


eingepadt und in das Gewölbe gethan, und die der Stadtfchreiberei 
mit den berrichaftlichen Papieren geflüchtet. Allgemein war die Befürch— 
tung, daß beim Einbruch der Franzoſen Plünderung und Brand 
wiebderfehren möchten. Man kam jedoch dies Mal mit dem bloßen 
Schreden davon, da Markgraf Ludwig alle Angriffe der Franzoſen 
glücklich zurückſchlug. Doch wurden Stadt und Amt Pforzheim wäh— 
rend diefes Jahrs mit bedeutenden Lieferungen belegt. Im April 
mußten die Nemter Stem und Langenfteinbah fammt der Stadt und 
dem Amt Pforzheim 110 vierfpännige Wägen ftellen, um der in den 
Linien bei Bühl ftehenden Taiferlihen Armee Proviant zuzuführen. 
Auf die Stadt traf es deren zwölf. Fortwährend mußten auch Scyanz: 
arbeiter in die Linien gefandt werden, welche der Stadt bedeutende 
Koften verurfachten. Am 22. Dezember 1703 erichien ein fürjtlicher 
Befehl, daß die Stadt ein Drittel der auf das ganze Amt fallenden 
Naturallieferungen an die Truppen übernehmen müfje, nämlich wöcent: 
lich 27351/, Pfd. Brod, 56 fl. 461/, kr. für Hausmannskoft, 686 
Simri Haber, 13,626%, Pfd. Heu, 8176 Pd. Stroh, 8 Klafter 
Holz und 12%, Pfd. Lichter. Die vom Stadtrath dagegen gemachten 
Vorftellungen, daß die Bürgerfchaft Nahrungsmangel babe, daß fie im 
vorigen Jahr genug ausgeftanden, ohne daß ihr Jemand geholfen 
hätte ꝛc. mögen wohl fruchtlos gewefen fein. Es kamen im Gegentheil 
im Januar 1704 noch Forderungen anderer Art dazu. Bon zwei 
Redouten, die am Rhein gebaut werden follten, mußten die Aemter 
Stein, Langenfteinbad und Pforzheim einjchliehlih der Stadt eine 
herſtellen. Ebenfo mußte das Dberamt Pforzheim bei der Flucht des 
fürftlichen Hofes nad Bafel zum Fuhrlohn 133 fl. beitragen, wozu 
die Stadt 75 fl. beiſchoß. 

Mas ben Franzoſen troß mehrfacher Verſuche nicht gelungen war, 
nämlich in Schwaben einzubringen und fi dort mit den Baiern zu 
vereinigen, das hatten fie im Jahr 1703 doch noch zu Stande gebracht. 
Villars drang durch das Kinzigthal gegen die Donau vor und bei 
Tuttlingen vereinigten fi das franzöfifhe und das baierifche Heer. 
Mittlerweile Fam aber auch der Herzog von Marlborough aus den 
Niederlanden den Rhein herauf, zog durh Schwaben und vereinigte 
fih unfern der Donau mit dem Prinzen Eugen und dem Markgrafen 
Ludwig von Baden. Während letzterer die Belagerung von Ingolſtadt 
leitete, griffen die beiden andern Feldherrn dag franzöſiſch-baieriſche 


566 Siehzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 


Heer unter dem Kurfürften von Baiern und dem Marfhall Billars 
bei Höchſtädt am 13. Auguft 1704 an und braten ihm eine furdht- 
bare Niederlage bei. Die Trümmer des franzöfiihen Heeres flohen 
über den Rhein zurüd und das rechte Nheinufer war von Feinden 
wiederum gefäubert.- Dieſer Umftand veranlaßte den Markgrafen Fried: 
rich Magnus, feine Reſidenz von Baſel wieder nah Durlach zurückzu— 
verlegen. 

In den folgenden Jahren war der Kriegsihauplap mehr am 
Niederrhein, fo daß man in Pforzheim und der Markgraffchaft wieder 
etwas freier aufathmen konnte. Doc fehlte e8 auch in dieſer Zeit an 
drüdenden Kriegslaften nicht. Megen des Zruppenfontingentes, das bie 
Markgrafihaft Baden: Durlady zu ftellen hatte, wurden der Stadt 
Pforzheim außer den gewöhnlichen und regelmäßigen Beiträgen für 
basfelbe 1) im Jahr 1705 folgende Auflagen gemacht: fie hatte täglich 
66 Mund: und 41 Pferderationen, letztere zu 16 fr. zu bezahlen, an 
ber zur Kompfetirung des Pferdeftandes bei der legtern aufgewendeten - 
Summe von 4500 495 Gulden zu tragen, und mußte für das Trup— 
penfontingent 21 Mann zu Fuß und zu Pferd fogleih anwerben und 
ftellen.. Zumuthungen anderer Art betrafen Fouragelieferungen an bie 
preußiichen Truppen, Schiffbrückenfrohnen, Stellung von Fuhren zur 
Verproviantirung Landaus, Schanzarbeiten bei den Stollhofer Linien 
(Pforzheim mußte dazu 33 Mann ftellen), Heugelder und Lieferungen 
aller Art. Zur Beftreitung aller diefer Ausgaben mußten außerorbent: 
lihe Schatungsgelder eingezogen werden, die aber bei vielen Bürgern 
ohne Exekution nicht einzutreiben waren. Weberdies hatte Pforzheim 
fortwährend die Laften von Garniſonen und Einguartierungen zu tragen. 

Verhängnißvoller als die erften Jahre des Krieges follte das Jahr 
1707 werden. Der Markgraf Ludwig Wilhelm hatte am 4. Januar 
diefes Jahres fein thatenreiches und ruhmgekröntes Leben befchloffen. 
Nach feinem Tode geſchah, was man längſt befürchtet hatte, Der franz 


N) Die Markgrafihaft Baden-Durlach hatte zu den Truppen bes ſchwã⸗ 
biſchen Kreifes zu fielen: 3 Kompagnien zu Fuß zu je 185 Mann und eine 
Kompagnie zu Pferd, 34 Mann ftarf, im Ganzen alfo 589 Mann, Diele 
verurfachten einen jährlihen Aufwand von 41,603 fl. 18 fr. Davon traf es 
das badifche Oberland (Rötteln, Saufenberg und Badenweiler) 30,000 fl., 
das Unterland 11,603 fl. 18 fr. Hiervon famen auf das Amt Pforzheim 
3867 fl. 59%, kr., auf bie Stadt Pforzheim allein die Hälfte davon mit 1934 fi. 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697— 1746. 567 


zöſiſche Marſchall Villars durchbrach im Mai 1707 die Stollhofer 
Linien und drang mit feinem Heer zunächſt in die beiden Markgraf: 
haften ein. Abermals mußte Friedrich Magnus nach Bafel fliehen. 
Die deutfchen Truppen, welche die Linien vertheidigt hatten, zogen ſich 
zurüd, und zwar der Haupttheil derfelben unter dem Markgrafen von 
Baireuth nach Bretten, der baden-durlachiſche Erbprinz Karl Wilhelm 
mit einer Truppenabtheilung über Durlach nad Pforzheim, wohin aud) 
der Herzog von Württemberg über Ettlingen feine Truppen führte. 
Sämmtlihe Abtheilungen des beutichen Heeres vereinigten ſich am 
27. Mai wieder bei Dürrmenz, von wo fich die ganze Armee in der 
Nichtung nah Kannftatt zurüdzog, weil fie ſich nicht für ſtark genug 
bielt, dem Feinde die Spike zu bieten. Diefem ftand nun Schwaben 
offen, und Villars ſäumte auch nicht, von dem erlangten Vortheil mög- 
lihften Nuten zu ziehen, hauptfählih durch Eintreiben von Kontribu— 
tionen, was bdiefer General meifterhaft verftand. Der Markgrafſchaft 
Baden-Durlad wurde eine ſolche von 100,000 Thalern auferlegt und 
ben Rändern, welche er nachher durdizog, auf dieſe Weife die Summe 
von nicht weniger als 9 Millionen abgepreßt. 

Bei der Annäherung der Franzoſen herrſchte in Pforzheim allge: 
meine Beftürzung, die um fo begreifliher erfcheinen muß, als die im 
orleans’ihen Krieg verübten Greuel noch in allzu frifhem Andenken 
waren. Die meiften Bürger fuchten den werthvollern Theil ihrer Habe 
zu flüchten oder zu verfteden, und aud alle öffentlichen Bücher und 
fonftige Papiere, darunter die Kirchenbücher 1), wurden in Gicjerheit 
gebracht. (Im manden Orten des Bezirks, wie in Eutingen und 
Brögingen, gingen damals alle ältern Kirchenbücher verloren.) Sogar 
die Öloden nahm man herunter, um fie der Gefahr, von den Fran: 
zofen mitgenommen zu werden, nicht auszuſetzen. In den lebten Tagen 
des Mai erfolgte der Marſch des franzöfiichen Heeres durch Pforzheim. 
Dem Bortrab unter General Bieurpont folgte die Hauptarmee unter 


1) In dem Pforzheimer Taufbuh von 1707 Heißt es: Als zwilchen dem 
4. und 22, Mai die Bühler Linien von den Gallis Überrumpelt worben unb 
barauf ber verberbliche Einfall erfolgt‘, alldieweil ber Feind bie Stabt befegt 
und fo fort die darauf folgenden Kinder getauft worden” (folgen bie Namen 
berjelben); und unterm 20. Juni (01. 122): „In dem Lärmen, ba Fein Kir: 
chenbuch zugegen gewest, wurde geboren“ x. — Im Iſpringer Kirchenbuch 
fteht: Invasio et raptus Gallicus 22. May 1707 Ispringa factus. 


568 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 


Marſchall Villars felber, welcher am 30. Mai in Pforzheim war. 
Ich ſtoße auf eine Klage, daß er den Bürgern viel Frucht gewaltfamer 
Weiſe habe wegnehmen laſſen, auch dem lichtenthaler Kloſterhof 300 
Malter, dem Obervogt von Wallbrunn 350 Malter ꝛc. Gr kieß, als 
er feinen Marſch nah Schwaben weiter fortiegte, in Pforzheim unter 
dem Kommando des Obriftlieutenant® de Barbaray vom Regiment 
Navarra ZOO Mann zu Fuß und 300 Mann zu Pferd als Garnifon 
zurüd. Der Kommandant fuchte die Stadt fogleih in beſſern Ver— 
theidigungsftand zu feßen und Tieß bei der Nonnenmühle, beim Schoß= 
gätter, am Altftädter Thor und im Schloß allerlei Schanzarbeiten vor— 
nehmen. Um ihn bei guter Yaune zu erhalten, war befchlofjen worden, 
ihn von Eeiten der Stadt gleih anfangs 100 Gulden und feinem 
Adjutanten und dem Major jedem 32 Gnlden zum Gefchent zu madyen. 
Diefe Summen wurden aus den fog. Sauvegardegelden genommen. 
Man war nämlih noch vor dem Einmarſch der Franzoſen in die 
Markgrafihaft bei Marihall Villars um eine Sauvegarde eingefom- 
men, welcher deren ſogar zwei ſchickte. Diefelben lagen vom 24. Mai 
bis 11. Juni, alfo 19 Tage in Pforzheim; alsdann ging die eine 
davon ab, während die andere noch zurückblieb. Diefe Sauvegarden 
verurfachten der Stadt während diefer Zeit einen Koſtenaufwand von 
nicht weniger als 717 fl. 48 ir. 1) Zur Beftreitung desfelben wurden 


— — 








1) Es dürfte intereſſant fein, denſelben hier näher ſpezifizirt zu finden. 
Die beiden Eauvegarbebriefe Fofteten (A 1 Louiodor od. 8 fl) 16 fl. — Fr. 
Marſchall Pillars bezog für jeden der Sauvegarden an 


I Lbr., macht für 19 Tage . — 4, — 
Gebühr für die Sauveyardın A 1 fl. 30 %. > 0 .. 587 —2 
Zehrung berielben . i E =. 100, 488, 
Vom 11. bis 30, Juni, alſo für 20 tage für eine Eauvegari 

an Marſchall Villars .160 — . 
Gebühr . i se re. ee 
Koſtgeld für letztere 2 A. 30 fr. : u : . 90. -. 


| 7171.48 fr. 

Unter ber Zehrung von 400 fl. 48 fr. waren nidt weniger als 158 Maaß 
Wein begriffen, welchen die beiden Sauvegarden in 19 Tagen (alfo täglich 
81/3 Maaß) vertilgt hatten, wodurd fi der Name „Saufgarben“, ben ber 
Vollswig diefen Sicherheitswächtern gab, zur Genüge rechtfertigt. Wahrichein- 
lich um folden Ausihreitungen eine Schranke zu fegen, wurde für die eine 
Sauvegarde ein Koftgeld feſtgeſetzt. 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 569 


diejenigen befondern Umlagen auf die Zünfte und auch anf die „Gefreis 
ten“ gemacht, von denen als „Sauvegardegeldern“ fo eben die Rede 
gewefen. Zu diefen famen aber nocd die nicht minder bedeutenden _ 


Garnifonsgelder, die im ähnlicher Weiſe repartirt und erhoben wurden. 
Daß die Stadt auch einen bedeutenden Theil der dem Lande auferleg: 
ten Kontributionggelder bezahlen mußte, braucht kaum bemerkt zu 
werben. 

Am 23. Juni erfolgte ein Wechſel der Garnifon. Der Komman— 
dant erhielt wieder — ob freiwillig oder gezwungen, weiß ich nicht — 
ein Geſchenk von 100 Trentefo's (à 45 fr.), alfo von 75 fl., und auch 
fein Adjutant, der Major, ja der Kammerdiener und der Kod) des 
Kommandanten wurden im entfprechender Weile bedacht. 1) Die neu 
einrüdenden Truppen fuchte man durch reiche Bewirthung unter den 
Thoren in gute Stimmung zu verfegen. 2) 

Mittlerweile Hatten fi die deutichen Truppen unter dem Mart: 
grafen von Baireuth vor ben rachrüdenden Franzoſen immer meiter, 
und zwar bis gegen Nalen und Ellwangen bin, zurüdgezogen. Letztere 
batten bereits den Nedar überfchritten, als der Markgraf, der ent: 
fhloffen war, nicht weiter zu retiriren, Ende Juni über Heilbronn und 
Bruchſal an den Rhein und zwar gegen Philippsburg zurückmarſchirte. 
Dadurh zwang er auch den Marſchall Villars zu einer rückgängigen 
Bewegung. Nachdem no im den lebten Tagen des Juni Deputirte 
des badifhen Unterlandes, von Pforzheim Apotheker Salzer, in das 
franzöfifche Hauptquartier nad Kannftatt zur Regelung der Kontribution 
gefchidt worden waren, 3) erfolgte in den erften Tagen des Juli der 
Rückmarſch der franzöſiſchen Armee, und zwar über Pforzheim nad 
Grögingen, wo Villars Furze Zeit das Hauptquartier auffhlug. In 


1) Der Major unb Abjutant erhielt jeder 15 fl., der Kammerbdiener 7 fl. 
30 kr. der Koch 4 fl. 30 fr. 

2) Die Nehnungen, welche in Folge defien Kantenwirth Beh, Mobren: 
wirtb Geiger, Kronenwirtb Wagner, Poſthalter Kieffer und Sternenwirth 
Stieß einreichten, bewiefen, daß es Offizieren und Gemeinen an Hunger und 
Durft nicht fehlte. Auch dem edlen Gambrinusfafte fprahen die Franzojen 
wader zu. 

9) Salzer erhielt 30 fl. Reifefoften, an Hofratb Beſch wurden wieder 
erfegt AB fl., ebenfo an Amtmann Roſer für gemachte Berehrungen (geh. Sekre— 
tär des Intendanten 6 Doublonen A 4 fl., Sekretär des Marfhalle 4 D., 
Schreiber des Intendanten 1 D. x.) 52 fl. 


570 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746, 


Pforzheim hatte er eine Gamifon zurüdgelaffen, die indefjen bald 
wieder mit der Hauptarmee ſich vereinigte, fo daß die Stadt von 
Feinden befreit war. An ihre Stelle traten deutſche Truppen unter 
dem Oeneralwachtmeifter v. Enzberg. Nach verichiedenen Hin: und 
Herbewegungen beider Armeen, von welchen ndeß Pforzheim unberührt 
blieb — nur einmal noch drohte Gefahr, indem Villars den General 
Vivant mit 6000 Mann zur Brandſchatzung nah Schwaben abjcicdte, 
er kam aber nur bis Größingen, wo ihn die Kaiferlichen wieder zurüd: 
trieben — ging Villars im Oktober über Raftatt und Kehl über den 
Rhein zurüc, um feine Truppen in das fühliche Frankreich zu führen, 
wo indeffen Prinz Eugen von Norditalien aus eingefallen war. 

So lange der Kriegsſchauplatz in der Nähe gewefen war, hatten 
natürlich auch die Lieferungen fortgebauert, ebenfo die Beforgnifie wegen 
eines neuen feindlichen Einfalls. 1) Doch fühlte man fih in Pforzheim 
im September ficher genug, um wenigftens die Glocken wieber aufzu: 
hängen. Auch die feit dem Einfall der Frangofen im Mai unter: 
brochenen Rathefigungen wurden von Ende Juli an wieder regelmäßig 
abgehalten. Am 4. Oktober hatte fih bie Stadt des Beſuches des 
Markgrafen Friedrid Magnus zu erfreuen, der in der Krone, damals 
dem eriten Gafthofe, logirte. Mit dem Einrüden der Truppen in bie 
Winterquartiere ging das Jahr 1707 zu Ende. Außer fonftigen Yaften 
hatte. dasfelbe der Stadt bedeutende Geldopfer auferlegt. Bon den 
58,000 fl. welche die Megierung zur Beftreitung der Kontributionen 
bei Kaufmann Leisler in Bafel aufgenommen hatte, traf es die Stadt 
Pforzheim mit 6444 fl. 26 fr, welche auf Obligation aufgenommen 
wurden. An Sauvegarde:, Verpflegungs:, Einguartierungs: und ſonſtigen 
Geldern Hatte die Stadt 4751 Gulden, an Schanzgelden — zum 
Theil daher rührend, weil die Linien zwifchen Ettlingen und Darlanden 
wieder bergeftellt wurden — 1690 fl. zu beftreiten. 

In Bezug auf die nod folgenden Kriegsjahre kann id mich kurz 
faffen. Im Sabre 1708 wurde am Mhein nichts von Bedeutung 

1) Wie es um bie öffentliche Sicherheit Rand, beweist folgender Vorfall: 
Anfangs Oktibr. wurbe im Klaffnert der Frau des Marfebenters Ph. Hafer 
von 3 Straßenräubern die Gurgel abgeichnitten, nachdem biejelben ihren Mann 
vorher erſchoſſen, bie Pferde ausgeipannt und 400 fl. geraubt. Die Frau lebte 


zu Jebermanns Verwunderung noch etliche Tage, bis fie Hungers geftorben. 
(Kirhenbug von 1707, Fol. 425.) 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 571 


unternommen. Defto mehr geſchah in den Niederlanden durch den 
Prinzen Eugen und den Herzog v. Marlborougd. Dort wurden bie 
Franzoſen völlig gefchlagen, und die Demüthigung Ludwigs XIV. war 
fo groß, daß er felbft um Frieden bat und ſich fogar dazu verftehen 
wollte, allen bei und feit dem weftphälifchen Frieden gemachten Raub 
wieder herauszugeben. Allein die Unterhandlungen zerfchlugen ſich 
wieder, weil feine Gegner noch höhere, nur zu hohe Forderungen ftell: 
ten. Noch 6 Jahre dauerte nun der Krieg mit abmwechielndem Glück. 
Das Jahr 1713 Tegte dem badifchen Unterland größere Opfer auf, 
indem die Lieferungen an die bdafelbft fich aufhaltende deutfche Armee 
gar Fein Ende nehmen wollten. England ſchloß jedoch no im näm— 
lichen Jahre den Frieden zu Utrecht, der Kaifer das Jahr darauf, 
nämlich 1714, den Frieden zu Baden in der Schweiz, nachdem bie 
Unterhandlungen ſchon vorher zu Raſtatt begonnen hatten. Die Ver: 
hältniffe hatten fi in den letzten Kriegsjahren in einer Weiſe geftaltet, 
daß Ludwig XIV. beim Friedensſchluß nicht nur Nichts verlor, fondern 
es auch durchſetzte, daß die Krone von Spanien, die den Anlaß zum 
Kriege gegeben, feinem Enkel verblieb. 

Es mag bier auch eines andern Krieges mit erwähnt werben, 
ber in den 1730ger ‘Fahren fpielte und allerlei Bedrängniß brachte, 
wenn auch unfere Gegend nicht der Hauptfchauplak von Schlachten und 
dergl. war. Ich meine den polnifhen Krieg in den Jahren 1733 
bis 35. Er war in Folge der polnischen Königswahl entftanden, daher 
der Name. Da aud das deutfche Reich daran Theil nahm, fo er: 
fchienen bald bedeutende Armeen am Oberrhein, und die Markgrafſchaft 
wurde von franzöfifchen und deutſchen, auch ruffifchen Truppen über: 
ſchwemmt. Die Heerführer bewieſen übrigens dem Lande ziemliche 
Schonung. Der Markgraf verglich fi) namentlich von Bafel aus 
mit dem franzöfifchen Anführer zu regelmäßiger Zahlung der auferleg- 
ten Kontribution, fo daß das Land die fonft mit einem Krieg ver: 
bundenen Drangfale weniger empfinden durfte. Doc finden wir, daß 
die Stadt Pforzheim vom November 1733 an durch Fouragelieferung 
an die Franzofen, durch Frohndfuhren und Schanzarbeiten ziemlich in 
Anfprud genommen wurde, und im folgenden Jahre wegen Mangel 
an flüffigen Mitteln zur Bezahlung der Kriegskoften ein Kapital von 
2000 Gulden aufnehmen mußte. Bei Annäherung der Franzoſen 
ihon Hatten mande Bewohner der Stadt und des Bezirks, welche von 


572 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746, 


diefen Gäften nach früher gemachten Erfahrungen nur das Schlimmſte 
erwarteten, die Flucht ergriffen und ihre Habe in Sicherheit gebracht. 1) 
Dod konnten die dies Mal allzu Aengſtlichen bald wieder zurüdtehren. 

As der ruffifche General Byron mit 17,000 Mann beranrüdte 
und zum SHauptquartier Größingen bei Durlah erfor, kam aud 
eine ruſſiſche Heeresabtheilung unter dem General Lacy nah Pforzheim, 
um dort Quartier zu nehmen, Ihre Anweſenheit erzeugte eine Seuche 
in der Stadt, ber viele Bewohner derfelben zum Opfer fielen, jo daß 
im Jahr 1735 die Zahl der Geftorbenen die der Gebornen um 170 
überjtieg. 

Der Friede von Wien machte diefen „Kriegstroublen“ 1735 ein 
Enbe. . 

Bon dem öfterreichifchen Erbfolgekrieg (1740 —1748) wurde die 
Markgrafihaft Baden und Pforzheim in fo fern auch berührt, als 
mehrfach Truppendurchmärſche ftattfanden. Im Februar 1743 beber: 
bergte Pforzheim franzöfifche Kriegsgäfte, wobei der Küfer Berthold 
Gerwig am Gauchthor von einer franzöſiſchen Schildwache erjchofjen 
wurde. 2) Als im Auguft 1744 die Defterreicher unter Prinz Karl 
von Lothringen vom Rhein nad Böhmen zurüdmarfcirten, famen auch 
einzelne Hceresabtheilungen, darunter Hufaren, PBanduren, Kroaten ꝛc. 


durch Pforzheim. 3) 


8.5. Gründung des MWaifenhaufes in Pforzheim, 
(1714.) %) 


Wenn auch die Gefchichte des Waiſenhauſes zu Pforzheim, das 
immer eine Staatsanftalt war, mit der eigentlichen Geichichte der Stadt 
ı) Ein Eintrag im Taufbuch von 1734 Tautet: Am 25. Mai ift allhier 
in der Flucht tempore belli und der troublen, auch Echwachheit halber im 
Haus getauft worden: Jak. Friedrich, des Pfarrers von Niefern Preu Kind, 

2) Städtiſches Kirchenbuch. 

2) Aufzeichnungtn von Ritterwirth Trautwein. 

*) Quellen: Umſtändliche Nachricht von dem Waiſenhauſe, wie 
auch Toll- und Krankenhauſe zu Pforzheim, ingleichen von dem Zucht- und 
Arbeitshauſe daſelbſt. (Bon dem geheimen Rath Joh. Ib. Reinhard.) Karls 
rube bei Maflot, 1759, — Alten ber Großh. Heil: und Pflegeanftalt 
(darin namentlich der von dem Irren- und Giehenhausverwalter Sigm. Gott: 
lieb Eifenlohr im Jahr 1810 erflattete Bericht.) — Statiftiige Nachrichten 
über die Siehenanftalt zu Pforzheim von Direftor Dr. Müller, (Freiburg 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 573 


im Allgemeinen nur in loſem Zuſammenhang fteht, fo ericheint doch 
der Umftand, daß die jett fo blühende Hanptinduftrie Pforzheims aus 
jener. Anftalt hervorgegangen ift, wichtig genug, um derſelben bier eine 
größere Berüdfichtigung zu ſchenken, als dies unter andern Verhält— 
niffen wohl geſchehen würde. 

Bald nad dem Naftatter Frieden faßte Markgraf Karl Milhelm 
den Entſchluß, ein Pandeswaifenhaus, und zwar in der Stadt Porz 
heim, zu gründen und mit demfelben ein Irren-, Siechen: und Zucht— 
haus zu verbinden. Nachdem deshalb im September 1714 ein fürſt— 
liches Ausichreiben in die damals baden-durlachiſchen Landestheile er: 
gangen war, wurde der Architekt Johannes Schütz aus Offenbad) nad) 
Pforzheim berufen, um für die nenaufzuführenden Gebäulichkeiten einen 
geeigneten Platz ausfindig zu machen, die Baupläne zu entwerfen und 
die Ausführung derielben zu leiten. Anfänglich wurde die Stelle, wo 
früher das Dominikanerkloſter geftanden batte, zum Bau auserſehen; 
da ſich diefelbe jedoch nicht ganz geeignet erwies, namentlich weil fie 
allzufehr mit Häufern umſchloſſen war, fo wählte man dazu denjenigen 
Plaß, melden früber das von dev Markgräfin Irmengard geftiftete 
Siechenhaus fammt dem anftoßenden Dominifanerinnenklofter, deſſen 
Gebänlichkeiten nach der Neformation mit jener Anftalt vereinigt wor: 
den waren (&. 329, eingenommen hatte, Wegen feiner größern Aug: 
dehnung und feiner freien Lage erfchien derfelbe allerdings der Beſtim— 
mung angentefjener, welde man ibm geben wollte. Der alsbald in 
Angriff genommene Bau gedieh nach und nach fo weit, dak am 1 Mai 
1718 die Eimweihung des Haufes und die Einführung der aufgenom— 
menen 60 Waiſen ꝛc. ftattfinden Tonnte. 1) Für die damit verbundenen 
Feierlichkeiten erfhien ein eigenes Programm. 2) Der Markgraf nahm 





bei Wangler, 1844). — Feichreibung der Stadt Pforzheim v. Roller, (Pforz— 
beim bei Ka, 1811). — Akten der Großh. Demänenverwaltung Piorzbeim, 
— Baifenpartifularrehnungen für Pforzheim. — 

1) „Eo hat audy der Durdlauchtigfte Fürft und Herr, Margraf Karolus 
aus-bem eingeäfcherten Nonnenklofter und Spital cin berühmtes herrlich er: 
bantes Waiſen- armen Wittwen: und Zuchthaus erbaut, welches .Ao. 1718 
Nom. Misericordias Dei solenniter eingeweiht worden” fagt Spezial Wil* im 
Kirchenbuch von 1717. 

2) „Ihro hochfürſtlichen Durchlaucht des regierenden Hern Maragraven 
zu Baden und Hodberg gnäbiafte Verorbnung, wie es mit der vorfienden 
Inauguration des Pforzheimifchen Wayſenhauſes fol gehalten werben.“ 


574 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746, 


in eigener Perfon, begleitet vom Kirchenrathsdireltor Zur Gloden 
und dem Kirchenrath Hölzlin, an derfelben Theil und fand fid) aud 
bei dem im der neuen Anftalt bergerichteten Feſtmahle ein. Die 
Beamten und fonftigen Bedienfteten des Maifenhaufes wurden vom 
Markgrafen felber in Eid und Pflicht genommen and die Anftalt für 
eröffnet erflärt. Zur Beauffichtigung und oberften Verwaltung derſel— 
ben wurde in Pforzheim ein Verwaltungsrath niedergeſetzt, welcher aus 
bem geheimen Rath und Obervogt Scheid, dem neuernannten Waifen: 
hausdirektor Schüß, den Etadtgeiftlihen Bergmann und Seufert, dem 
Mitglied des Gerichts, Konrad Kab, und dem Rathsherrn Mathäus 
Kummer zufammengefebt war. 

Mittlerweile wurde audy mit dem Bau der Waifenhaugfirche fort: 
gefahren und diefelbe am 15. Januar 1719 feierlich eingeweiht. Um 
diefe Zeit war die Zahl ſämmtlicher Pfleglinge der Anftalt fchon auf 
200 angewadhfen. Einen Theil der Mittel zum Unterhalt fo vieler 
Berfonen fuchte man ſich durch Anlegung verfchiedener Fabriken in der 
Anftalt felbft, in denen die Pflege: und Züchtlinge auf eine nutz— 
bringende Art befchäftigt werden follten, zu verfhaffen. Mehrere der: 
felben, wie eine Papiermühle, eine Hut: und Bandfabrit, aud eine 
Buchdruderei, die man projektirt hatte, kamen jedoch nicht zur Ausfüh- 
rung; andere, wie Meſſer-, Scheeren- und Gflasperlenfabrifen hörten 
bald wieder auf, Nur die Tuch, Mollenzeug: und Strumpffabrifen 
wurden längere Zeit fortgefeßt und follten fpäter für die Stadt Pforz: 
heim jelbft, in Verbindung mit andern derartigen Unternehmungen, fehr 
wichtig werden. — Auf der andern Seite wurden dem Waiſenhaus 
verfchiedenes Eigenthum und anjehnliche Gefälle zugemwiefen. Dazu 
gehörten, außer den für die Anftalt neu aufgeführten Gebäulichkeiten, 
die vormaligen Spitalgüter, nämlih an 15 Morgen Wiejen im Hagen 
ſchieß, ferner die Gebäulichkeiten und Güter der St. Georgenpflege, 
Veßtere no in 21/, Morgen Ader und einem 2400 Schritt im Um— 
fang baltenden Wald beftehend, — die noch flüffigen Einkünfte des 
Spitals in Kapital und Bodenzinfen im Betrag von 638 fl. 221/, kr. 
fanımt etlichen Naturalbezügen, 1) die Einkünfte der St. Georgenpflege 





) Der größte Theil des reichen Vermögens dieſes Spitals und bes che- 
maligen Dominikanerfloftere war im 30jährigen und orlcans’shen Kriege 
verloren gegangen. 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 575 


mit 741 fl. 291/, kr., die Durlacher Spitalgefälle, die Sonderfiechen- 
Pflege-Einkünfte vom Hochberg, die Spital- und Almofengefälle von 
Ealzburg, die Sonderfichenpfleggefälle von Rötteln und Saufenberg, 
die Ueberſchüſſe der Almojenkapitalien und SKTingelbeutelgelder, die 
Lotteriegelder, — alle diefe Einkünfte im Geſammtbetrag von jährlichen 
6653 fi. 591/, ir. Dazu famen ferner als unbeftändige Revenüen 
die Kollekten an Fettagen, die Opfer von Kommunionen, Kindtaufen, 
Hochzeiten und Leihen, die Opfer aus den fonntäglihen Sammelbüch— 
fen, der Ertrag der Schwörbüchſen, Mufiterlaubnißtaren bei Hochzeiten, 
Tanztaren, Taxen vom Gin» und Ausſchreiben der Profefjioniften, 
Strafen ꝛc. Sodann wurde auch unterm 8. Februar 1718 der unge: 
führ 15 Morgen große Schloßgarten dem Waifenhaus zur einftweiligen 
Benügung überwieien. (Der Dftertrag mußte jedoch an die mark: 
gräfliche Küchenmeifterei abgeliefert werden.) Endlich hatte fich die neu: 
gegründete Anftalt bald anſehnlicher freiwilliger Beiſteuern und Ber: 
mädhtnifje zu erfreuen, 

Dbgleih nun Alles aufs Befte geregelt fchien und das MWaifen- 
haus unter den günftigjten Ausfichten eröffnet worden war, fo riß doch 
in demfelben bald die größte Verwirrung und Unordnung ein. Der 
beftellte Direktor (ein Architekt!) entiprad den Erwartungen nicht; unter 
den Bedienfteten berrichten fortwährende Zerwürfniffe; die im die Anftalt 
verpfründeten Pfleglinge wollten fih der Hausordnung nicht fügen; 
die in bderfelben angelegten Fabriken wollten feinen rechten Fortgang 
nehmen, weil es an fachverftäindiger Leitung derfelben fehlte und die 
von auswärts dazu beigezogenen Arbeiter die Unordnung noch vermehr: 
ten. Dazu kam nod, daß die Vereinigung fo verfchiedenartiger Pfleg- 
linge in eine Anftalt, die zugleich Waifen:, Irren-, Siechen-, Pfründ: 
ner: und Zuchthaus fein follte, fih, wie vorauszufehen war, auf bie 
Dauer als wenig fegensreid erwies und bie fchlimmften Folgen für 
das Haus und feine Bewohner nach fi 308. Zum Unglüd war auch 
noch die Oberaufficht über die kombinirte Anftalt eine zu wenig ein: 
heitlihe. An die Stelle des urſprünglichen Verwaltungsrathes, ber 
ziemlich unbeſchränkte Vollmacht befefjen hatte, war eine Waifenhaus- 
beputation getreten, die unter den fürftlichen Kollegien zu Karlsruhe 
ftand, und zwar beforgte die fürftliche Mentlammer das Haushaltungs- 
weien, die Megierung die Hauspolizei, der Kirchenrath die geiftlichen 
und Schulangelegenheiten; alle drei Behörden aber mußten die wid 


576 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 


tigften Angelegenheiten wieder vor das Minifterium bringen. Dies hatte 
die üble Folge, daß nicht allenthalben nad gleichen Grundſätzen ver: 
fahren wurde, und machte diefer Umſtand viele Anfragen und weit: 
läufige Kommunikationen nothwendig und „dum deliberabamus Rome, 
peribat Saguntus“ jagt der geheime Rath Reinhard in feinem über 
alle diefe Verhältniſſe fpäter erftatteten Beriht. Die Anftalt gerietb auch 
wirklich in einen foldhen Verfall, daß eine ganz neue Organifation der: 
felben nöthig wurde. Diefe erfolgte aber erjt unter Markgraf Karl 
Sriedrich, weshalb ich im folgenden Kapitel darauf zurüdfommen werde. 


86. Der Privilegienfreit. 1) 

Es ift im Vorgebenden ſchon mehrfach auf diefen Streit binge- 
deutet worden, der zulegt zu einer merkwürdigen Kataftrophe führen 
follte. me Darftellung desfelben, bei der wir uns indeffen auf das 
Wichtigſte beſchränken wollen, ift um fo nothwendiger, als es ſich dabei 
überhaupt um einen Kampf der neuern Zeit mit der alten handelte 
und die hergebrachte Stadtverfaſſung Pforzbeims durch denfelben mehr: 
fache Veränderungen erlitt. 

Welche Privilegien Markgraf Ehriftoph der Stadt im Jahr 1491 
verlichen, zeigt die S. 216 mitgetheilte Stadtordnung. Nach $ 1 der- 
felben waren die Pforzheimer von Entrichtung aller Bete, Schatzung, 
Steuer, kurz, aller direkten Abgaben, ſewie von allen Herrfchaftsfrohn- 
den befreit. Trotz diefer Befreiung von direften Steuern mußte ſich 
die Stadt „zur Erzeigung ihres Gehorfams, auch zur Verminderung 
der fchweren fürftlihen Schulden, (wofür Pforzheim zum Theil mit 
verfchrieben war,) fomwie endlich zur Veftreitung der Koften der fürft: 
lichen Hofhaltung“ mehrfach zu ftändigen Abgaben verftehen, wie oben 
bei den Jahren 1554 und 1573 (©. 276), 1582 (©. 355) und 
1585 (S. 357, vergl. auch S. 475) gezeigt worden if. Es geſchah 
dies zwar nie ohne Verwahrung von Seiten der Stadt und nie ohne 
Nevers von Seiten des Türften, allein die Stadt Fam, wie bereits 
©. 357 bemerkt wurde, aus der Bezahlung folher Abgaben nicht mehr 
beraus und fie wurden zuletzt zur regelmäßigen und ordentlichen Steuer. 


) Quellen: Akten des Lanbesarhivs, Pforzheimer Ratheproto: 
tolle, ein Notabilienbucd bes flädtiihen Archivs, Entwurf einer Er: 
neuerung der Privilegien im Jahr 1807 x. 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 577 


oder „Schatzung.“ Wann legterer Name an die Stelle der „außer: 
ordentlichen Hilfe” trat und man, im Widerſpruch mit $ 1 der Stadt: 
verfafjung von 1491, diefe eigentlich vorübergehende Abgabe als regel- 
mäßige „Schatzung“ zu erheben begann, das vermag ich nicht zu fagen. 
Schon bald nach dem dreifigjährigen Krieg, fo in den 1660er Jahren, 
ift in den Ratbsprotofollen der Schagung häufig erwähnt, und da in 
jenen traurigen Zeiten die Noth fein Gebot kannte, und weder bie 
Landesſchulden, noch die Koften der fürftlichen Hofhaltung ſich minderten, 
fo mußten fi die Pforzheimer nicht nur zur Zahlung der ordentlichen 
Schatzung verftehen, fondern fie wurden auch häufig zu aufßerorbent: 
Gen Schagungen beigezogen. Nach dem orleans’schen Krieg hatten die 
gleihfam neue Schöpfung bes Landes, die Wiederherftellung der öffent: 
lichen Gebäude, die der Krieg faft alle zerftärt hatte, die zunehmenden 
Koften des deutſchen Gerichtöverfahrens, insbefondere aber auch bie 
Veränderung in fo manden Staatseinrihtungen, wie 3. B. im Mili- 
tärweſen, eine Vermehrung der Staatslaften zur nothwendigen Folge, 
Es konnte alfo aud von dem Nachlaß der Schatung in Pforzheim 
und andern gefreiten Städten um fo weniger die Rede fein, als bie 
Bürger durch das ftändige Militär, welches zu halten der Mark: 
graf von Baden wie alle andern deutſchen Fürften durch die weränder: 
ten Zeitverhältniſſe mit gebieteriiher Nothiwendigfeit gezwungen war, 
auch wieder von mancher Laſt befreit wurden, indem bie Kriegspflicht 
fie viel weniger in - Anspruch nabm. Wären indeffen die namentlich 
zur Beftreitung der Koften für das Militär, für Gelandtfchaften, für 
Reichs: und Kreisbeiträge ꝛc. erforderlichen Abgaben unter einem andern 
Namen, etwa, wie es fpäter gefhah, als Reichs: und Kreisfteuer 
und nicht als Schatung erhoben worden, und wären überhaupt auch 
manche herausforbernden Handlungen und nicht zu Billigenden Verſuche, 
manche Privilegien der Stadt zu bejtreiten und zu befchneiden, von 
Seiten der fürftlihen Beamten unterblieben, fo würde der bittere Pri— 
vilegienftreit wohl nie entbrannt fein. Es wurde eben von allen Seiten 
gefehlt, und die Folgen blieben nicht aus. 

Der Betrag der Schatung war nicht immer der gleihe, Im 
. erften Zehntel des 18. Jahrhunderts wurden monatlih 10 Kreuzer, 
alfo jährlih 2 Gulden von 100 Gulden des Steuerkapitals erhoben, 
während früher. nur 20 Baten bezahlt worden waren. Aber auch diejer 


Betran reichte zur Beftreitung der Bebürfniffe nidt aus. Statt jähr— 
Pflüger, Piorzbeim. 37 


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licher 12 Monatgelder wurden 3. B. 1713 deren 18, ja in mandhen 
Jahren 24, alfo gerade das Doppelte verlangt. Das rief in Pforzheim, 
wo um 1714 die Zahl der unruhigen Elemente durch neue Einwande— 
rungen, namentlich aus Württemberg, fehr vermehrt worden war, große 
Unzufriedenheit hervor, und zwar um fo mehr, als von Seiten ber 
Regierung jeden Augenblid Verſuche gemaht wurden, die Stadt auch 
zu Frohnden beizuziehen. Daraus entftand zugleih Mißtrauen gegen 
die Abfichten derfelben. Es kamen auch noch Beſchwerden anderer 
Art dazu, die ebenfalls die Verlegung verfchiedener Rechte der Stadt 
betrafen, indeffen nicht immer gegründet waren, ine ſolche Beſchwerde⸗ 
fchrift reichte die Stadt u. A. 1716 ein, die verfchiedene Punkte ent 
hielt, welche die Schatzung, den Pfundzoll, die Maaßkreuzer (zu welchem 
ber frühere Maafpfennig angewacfen war), das Fleiſchumgeld, den 
Salzbandel, den Umgeldeinzug ꝛc. betrafen, und jebt ſchon und fpäter 
mit viel fchärferer Betonung wurde ein Zurückgehen auf die Beftim- 
mungen des Privilegienbriefes von 1491, den der Markgraf bei feinem 
Regierungsantritt 1709 ja felber feierlichit beftätigt habe, verlangt, Es 
wurde bei ſolchen Klagen num freilich vielfach überfehen, daß manche Para- 
graphen jenes Privilegienbriefs feither auf dem Weg gegenfeitiger Ueber⸗ 
einfunft abgeändert worden waren. So war z. B. das Fleifchumgeld 
wegen des gejunfenen Geldwerths 1672 mit Zuftimmung der Metzger⸗ 
zunft erhöht worden, 1675 auch der Pfundzoll laut Vertrags zwifchen 
der Stadt und der Herrichaft (S. 472), und zwar von 1 Pfennig auf 
2 Kreuzer vom Gulden, wovon der Stadt ber vierte Theil zufloß; fo 
hatte die Herrichaft den Salzhandel, der laut $ 22 des Privilegien- 
briefs von 1491 ihr und der Stadt gemeinſchaftlich zuftand, ſchon längſt 
allein übernommen und zahlte letzterer dafür eine jährliche Entſchädi⸗ 
gungsfumme von 103 fl. u. ſ. w. — Wo die Beihwerden ber Stadt 
gerechtfertigt erfchienen, war die Negierung, es darf das nicht umbes 
merkt bleiben, ftets bemüht, denfelben abzuhelfen. Bezüglich der Schatzung 
und fonftiger Landesunkoften jedoch war fle durchaus anderer Anficht, 
als die Stadt, und e8 wurde letterer 1717 mit dürren Worten erflärt, 
daß man die Stadt Pforzheim von der „Konkurrenz in der Schatzung 
und andern Tandesunköften zum Schaden und Nachtheil unferer übrigen 
getreuen Unterthanen keineswegs erimiren könne, fondern befehle, daß 
man die Bürgerſchaft fünftig mit allem Ernft zum genauen Beitrag an 
Schatzung und Landesunföften anhalten folle, wovon fie nun faft von 


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200 Jahren her niemals befreit, fondern gleich den übrigen Untertha- 
nen im Land gehalten geweien und ihren Antheil daran ohne Wider: 
rede entrichtet habe.“ (!) Doch gab der Markgraf in einem fpätern 
Schreiben (1. Auguft 1717) die Verſicherung, daß er nicht im Sinne 
babe, die Privilegien der Stadt zu ſchmälern; er wolle vielmehr noch 
Mehreres verbefiern. 

Bezüglich eben diefer Schatzung entftanden zwiſchen dem Magiftrat 
und der Bürgerfchaft bald Meinungsverfchiedenbeiten. Jener zeigte ſich 
nicht abgeneigt, fi) in das Unvermeidliche zu fügen und zur Erhebung 
von 12 jährlichen Monatsgeldern als einer freiwilligen BBeifteuer zu 
dem Staatsaufwand feine Zuftimmung zu geben. Damit war aber die 
Bürgerſchaft nicht einverftanden, fondern wollte von der Bezahlung einer 
Schakung überhaupt ganz und gar nichts wiſſen. Die Stimmung 
wurde eine immer gereiztere, und richtete ſich zuletzt die Erbitterung 
ber Bürgerfchaft nicht gegen die Negierung allein, fondern aud gegen 
den Magiftrat. Bereits 1720 kam es zu heftigen Auftritten auf dem 
Rathhauſe, das die Bürgerichaft mit gewaffneter Hand beſetzt hatte, 
und mußte der geh. Rath Scheid als Oberbeamter erft die Aufruhr: 
akte verlefen, ehe die Bürger fi bewogen fanden, wieder abzuziehen. 
Schon damals trug das Oberamt auf militäriihe Erefution an, worauf 
jede die Regierung nicht einging. Je entgegenkommender aber die 
Regierung — mit Ausnahme der Schatzung — fi zeigte, fo um 
jene Zeit namentlih auch in Betreff des Tabak-, Eifen- und Salz: 
monopols, defto trogiger beharrte die Bürgerfhaft auf ihrem Ver: 
langen und war feſt entjchloffen, nicht nachzugeben. 

Mit dem Jahr 1723 nahm die Verwicklung einen immer bedrob: 
lihern Charakter an. As am 12. Januar die jungen Bürger aufs 
Ratbhaus geladen wurden, um dem Herkommen gemäß dem Fürften 
ben Eid der Treue zu leiſten, erklärten fie, daß fie das nicht eher thun 
würden, als bis die Privilegien der Stadt vollftändig wieder hergeftellt 
fein. Diefer Schritt geſchah im Einverftändnig mit der Bürgerfchaft, 
weldhe dadurch eine rajchere Erledigung des Privilegienftreites herbei: 
führen wollte. Vergebens waren alle Erläuterungen und Belehrungen 
der fürftlihen Beamten in Pforzheim, daß ja mande Beftimmungen 
der Privilegien auf die dermaligen Verhältniſſe nicht mehr paßten, 
andere durdy Verträge abgeändert worden feien, die nicht einfeitig wieder 
aufgehoben werden Fünnten. Ebenſo vergebens erwielen ” die Be: 


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mühungen des Stadtraths, welcher die Bürger flehentlich bat, die Stadt 
doch nicht ins Unglück zu bringen. Auf die Drohung einer nah Pforz- 
beim geeilten fürftlihen Kommiſſion, daß alle jungen Bürger, welche 
nicht ſchwören würden, aus der Stadt gewiefen werden follten, erfolgte 
die Antwort: „die alten Bürger würden mit den jungen gehen.” Sa, 
als der Markgraf felber, um die Bürger zu anderer Gefinnung zu 
bringen, der Stadt bezüglich des Antheils am gemiffen Strafen Zuge: 
ftändnifje machte und die Zuſicherung gab, er werde, wenn die jungen 
Bürger nur erft gefchmworen haben würden, ihren Bejchmerden jegliche 
Berüdfichtigung angebeiben laſſen, gab die Bürgerſchaft den troßigen 
Beiheid: „Alle ihre Beſchwerden würden von felbft wegfallen, wenn 
man fie nah dem urjprünglihen Wortlaut ihrer Privilegien traktire.“ 
— Da die Regierung in Ergreifung fonftiger geeigneter Maafregeln 
zögerte, fo ging die Bürgerfchaft noch einen Schritt weiter, und erflärte 
im April 1723: „daß fie jest, weil fo lange fein Entſcheid von fürft: 
licher Herrichaft erfolge, die ‘Privilegien felber interpretiren und vom 
nächſten St. Georgstag (23. April) an nichts weiter, als was fie ver: 
möge ihrer Freiheiten der Herrſchaft zu geben ſchuldig feien, entrichten 
wollten,“ 1) 

Noch ein Mal verfuchte die Megierung, den Weg friedlicher DVer- 
ftändigung zu betreten und erflärte fih, wenn es die Pforzheimer 
Bürgerſchaft zu ihrem eigenen Nachtbeil durchaus nicht anders haben 
wolle, dazu bereit, bezüglich des Salzhandels, de8 Metelumgeldes und 
bes Pfundzolls auf die Beftimmungen des Privilegienbriefs von 1491 
zurüdzugeben, ebenfo der Stadt den vierten Theil des Maafkreuzers 
zu überlafjen. Auch der Stadtrath gab fich alle Mühe, die Bürger: 
ſchaft zu befchwichtigen und die jungen Bürger zur Abſchwörung bes 
verlangten Eides zu bewegen. Er Tegte u. A. auf dem Rathhaus eine 
Lifte auf, in melche fich diejenigen einzeichnen follten, die Feinen Anteil 
am Ungehorſam der Bürgerfchaft nehmen wollten. Diefelbe fand jedoch 
nur 34 Unterfchriften. 2) Als alle folche Bemühungen, die Bürgerfhaft 

1) Als die Haupträbelsführer der Fürgerihaft find in den betreffenden 
Alten genannt; Wagner Chriſtoph Schnell, Michel Bruder, Krämer Jobann 
Ramfer, Sattler Michel Mitſchdörfer, Job. Ib. Ungerer, Dreifönigwirtb Pbis - 
Tipp Ungerer, Michel Faut, He. Jerg Bauer, Barbier Lacofte und Matbäus 
Seyboldt. 

2) Es unterzeichneten beiſpielweiſe Burkhard Beckh, Dietrih Meerwein, 
Hs. Mart, Ringer, Hr. Mid. Holzhauer, Job. Ehrift, Deimling, Joh. Ib. 
Deimling. 


Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746. 581 


zur Vernunft zu bringen, fich vergeblich erwiefen, jo wufchen Gericht 
und Rath der Stadt in feierliher Sitzung ihre Hände in Unfchuld 
und lehnten jegliche Verantwertlichfeit für die Folgen, welche folder 
Ungehorfam nad fi ziehen würden, von ſich ab. 1) Der Regierung 
aber, die fi zu weiterer Nachgiebigfeit nicht entjchließen konnte und 
der liberdies zu Ohren gefommen war, daß „die Pforzheimer ſich 
wiederholt zufammengerottet und gefchworen hätten, fi eher zu Aſche 
verbrennen zu laſſen, als zu ruhen“, blieb fein anderes Mittel mehr 
übrig, als die militärijhe Erefution. 

Am 30. Juni 1723 morgens 2 Uhr rüdte unter dem Kommando 
des Oberften und Obervogts in Durlach Vaſoldt die markgräfliche 
Grenadierfompagnie fammt dem badifchen Meiterfontingent ins Schloß 
zu Pforzheim ein, zog um 51/, Uhr mit Eingendem Spiel den Schloß— 
berg hinab vor das Rathhaus, und wurden alsbald die Thore der Stadt 
unter Entfernung der Bürgerwachen militärifch beſetzt. In Begleitung 
der Truppen fam eine fürftlihe Kommiffien, beftehend aus dem 
Geheimrathspräfidenten von Uexküll, dem geh, Rath Stadelmann und 
dem Hofrath Kefiel. Nach der ihr ertheilten Inſtruktion jollte fie aufs 
Strengfte verfahren, zur Exekution nöthigenfalls aud noch die 300 
Mann, um welde der Markgraf von Baden den Herzog von Württem— 
berg ſchon im Voraus angegangen hatte, vequiriren, die Widerjeglichen 
gefänglich einziehen, ja im äußerften Fall aud ihres Lebens nicht ſcho— 
nen. Am 4. Juli wurden die Mitglieder des Gerihts und Raths 
fammt den Borftänden der 26 Zünfte aufs Rathhaus bejchieden, wo 
aud) die eidverweigerndeu jungen Bürger erfchienen, Nacd einigem Hinz 
und Herreden erklärten fi) Teßtere bereit, den Huldigungseid ohne 
Vorbehalt zu ſchwören. Die Zünfte aber wollten ſich auf nichts Weiter 
res, als die einfache Wiederherftellung der Privilegien von 1491 ein 
Infien. 2) Auh am folgenden Tag, an weldiem die Mitglieder der 


1) Mitaliedber des Raths und Gerichts waren damals: Bürgermeifter 
Schober, Altbürgermeifter Joh. Chr, Deimling, G. W. Schmid, Baumeifter 
Höning, Hs. rg. Siegle, Hs. Grg. Meerwein, Lorenz Kap, Flach, Job. 
Günther, Abrab. Trautwein, J. G. Stieß, D. W. Dertle, 3b. Holzbauer, 
Hs. Ph. Erad, Ib. Meier, Ib. Gerwig, Dan, Geibel, Burkard Simmerer, 
Konrad Katz, E. M. Kummer, 

2) Sie beriefen fih dabei u. U, auf eine Aeußerung des verftorbenen 
Bürgermeifters Wohnlich, die derjelbe auf dem Todbett getban: „Die Piorz: 
heimer follten ihre Privilegien wieder herzuftellen ſuchen, und wenn fie den 
Löffel in der Schublade nicht behalten würden.“ 


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ftädtifchen Behörde fammt den Zunftmeiftern wiederholt vor der fürftlichen 
Kommiffion erfchienen, um mit bderfelben gemeinſchaftlich die Privilegien 
Punkt für Punkt durchzugehen und in gegenfeitigem Einverftänduiß feft: 
zufegen, wie es damit in Zufunft gehalten werden folle, Fam man über den 
erften Paragraphen, der von der Schatung handelte, wegen ber obwalten- 
den Meinungsverjchtebenheiten nicht hinaus, und ftichen auch die der 
Bürgerfchaft auferlegten Kommiſſions- und Erefutionskoften auf großen 
Miderftand, Die Vermittlungsvorfhläge, welche am folgenden Tage 
ber Bürgermeifter Echober im Namen der ftädtifchen Behörde machte, 
und worin u. U. die Bitte ausgeiprochen wurde, die Negierung möchte 
der Stadt erlauben, einen Advokaten anzunehmen, wurden von der 
fürftlihen Kommiffion, die überhaupt jetzt fehr entſchieden auftrat, zu= 
rücgewiefen. Der Markgraf billigte das Verfahren derfelben, zeigte ſich 
aber bereit, der Bürgerfchaft zur Berichtigung ihrer Rüdftände an 
Schatzung ꝛc. angemefjene Termine zu bewilligen und orÖnete an, daß 
die Erefutionsmannihaft auf 40 Mann unter dem Befehl eines Lieute— 
nants vermindert werden folle Weil der Markgraf indeß zur Ueber: 
zeugung gefommen war, daß bezüglih der fo nothwendigen Reviſion 
bes Pforzheimer Privilegienbriefs eine freie Vereinbarung zwiſchen der 
Herrſchaft und der Bürgerfhaft Pforzheims, wie foldhe $ 30 der bes 
treffenden Urkunde felber vorfchrieb, unter obwaltenden Verhältniſſen 
nicht zu Stande fommen würde, indem alle bereits gemachten Verſuche 
nicht zum Biel geführt hatten: fo glaubte der Markgraf zu dem Mittel 
der Oktroyirung greifen zu müſſen, jedoch nicht, ohne bei den beiden 
Univerfitäten Halle und Gießen juriſtiſche Gutachten über feinen Streit 
mit den Pforzheimern einzuholen. Weil dieſe indeß nicht fo fchnell 
erwartet werden fonnten, die Verwirrung in Pforzheim jedoch einen 
Grad erreicht hatte, der fchnelle Abhilfe nothwendig machte, fo erbielt 
die neue Ordnung der Dinge, die der Markgraf unterm 12. Juli 1723 
aus eigener Mahtvolllommenbeit in Pforzheim einftweilen einführte, 
ben Namen eines Interimsbefehls. Da derfelbe in Verbindung, 
mit einigen Erläuterungen und Zufägen vom 31. Dftober 1723 und 
dem Deffarationgerlak ober Finalbefeh! vom 29. Auguft 1724 
fpäter definitive Giltigfeit erlangte und bis auf die neuere Zeit im 
Kraft blieb, fo it es nöthig, auf feinen Inhalt näher einzugehen, 
Bezüglich der Schatzung wurde feſtgeſetzt, daß die Bürger von 
Pforzheim zwar mit dem Schatzungsanſatz, wie folder auf das ganze 


Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697— 1746, 583 


Land repartirt werde, verſchont bleiben, dagegen aber ad prestationes 
publicas, wozu fie durch die Privilegien verbunden feien und denen 
fie fih durch Fein Recht entziehen könnten, — wie es die Noth erforbere 
und was pro rata der Stadt zuläme, beigezogen werden follten, 1) Der 
herrſchaftliche Eiſen- und Tabafhandel in Pforzheim follte mit dem 23. 
Suli 1723 aufhören. Bezüglich des Hausumgeldes von Frucht wurden 
weitere Beftimmungen vorbehalten. Bon allen Strafen, welche das Ober: 
amt gegen Bürger und inwohner ber Stadt erkenne, folle letzterer 
der vierte Theil zufallen, ebenfo vom Maafkreuzer, von allem Umgelb, 
alfo au vom Metgerumgeld, (das nad dem verämberten Geldwerth 
folgendermaßen feftgefegt wurde: von einem Centner Ochſen-, Stier: 
ober anderm Fleiſch, da das Stüd 4 Eentn. und darüber wiegt, 12 fr, 
vom übrigen Rindvieh von jedem Gentner 8 kr., von einem Milchkalb 
10 kr., Hammel, Schaf, Bol oder Geiß 3 kr., Lamm oder Kützlein 
2 fr, von einem zweijährigen Schwein 16 fr., von einem Läufer 6 fr. ;) 
die Mebger mußten aber das volle Gewicht geben, (vergl. S. 492.) 
Entfprechende Erhöhung des Mebelumgelds wurde vorbehalten, Fremdes 
Fleiſch folle in der Stadt nicht verkauft, fondern alsbald konfiszirt wer- 
ben. Dem Oberbeamten wurde zur Pfliht gemacht, die Metzger nicht 
zu fehr mit Boftritten (S. 487) zu befehweren. Für das Hausmeßeln 
follten dieſelben Anjäte, wie bei den Metzgern gelten; doch dürfe jeder 
Bürger zwei Schweine frei ſchlachten. Mit dem Salzſtadel folle es 
fo gehalten werden, daß der Stadt wieder, wie früher, der vierte Theil 
des Gewinnes zufliche. Das Haufiren mit Waaren, die in der Stadt 
zu haben, folle verboten fein, Kein Krämer folle zweierlei Waaren 
(d. 5. neben Spezerei etwa audy Tuch und dergl.) führen. Den Juben 
folle aller Verkauf in der Stadt unterfagt fein. Die Oberbeamten 
follten die Handwerker und Krämer bei ihren Zunftartikeln möglichſt 
fügen. Der Pfundzoll von Waaren, Liegenſchaften ꝛc. fole auf 1 Mr. 
vom Gulden ermäßigt fein, und der Stadt davon ber vierte Theil zu: 
fallen. Die Beiträge zu den Landskoſten follen nach ben üblichen Taren 
erhoben werden. Umgeldunterſchleife follen fireng beftraft werden. In 
ben der Stadt zunächft gelegenen Orten follen nur Schmiede, Wagner, 
Leineweber und privilegirte Wollenweber, aber feine andern Handwerker 
1) Für die Zeit vom Juli 1723 bis dabin 1724 wurde einfiweilen be: 


ſtimmt, daß die Pforzheimer 12 Monatgelder zu 10 fr, vom 100 fl. Steuer: 
fapital zu bezahlen hätten. 


584 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746. 


fih miederlafien dürfen, um die Nahrung der Stadt Pforzheim zu 
befördern ; bloß in Orten mit Badrecht jolle die Seßhaftmachung auch 
Metgern und Bädern geftattet fein. Weber die Thorwarte folle eine 
firengere Auffiht, als bisher geführt und jeden Abend vom Ober: 
‚beamten die Thorſchlüſſel wieder zur Hand genommen werden. Die in 
Pforzheim wohnenden Fremden zc. folle man zur Bezahlung ber Bet, 
die Stadt felber, da fie von Strafen, Umgeld und Pfundzoll einen 
fo erheblichen Antheil beziehe, zur Inftandhaltung der Mauern, Gräben 
Zwinger ꝛc. ſtreng anhalten. Am Schluß des Finalbefehls ift bemerkt, 
daß die der Stadt verliehenen Begünftigungen nur fo lang in Kraft 
bleiben follten, als fi die Bürger als treue und gehorſame Unterthas 
nen bezeigen und nicht wieder neue Unruhen anfangen würden. 

Dur diefen Interims- und den Finalbefehl hatte der Markgraf 
verfchiedenen Wünſchen und Beſchwerden der Pforzheimer Rechnung 
getragen, und es leuchtete daraus auch feine Abficht hervor, die Pri— 
vilegien der Stadt nicht weiter umzugeftalten, als es die dringende 
Nothwendigkeit gebot. Dabei hatte nun freilich der Markgraf auf die 
Erhebung einer directen Steuer, welche die Stelle von Kriegs, Reichs-, 
Kreis: und andern Anlagen vertreten und ſolche gleihfam zufammen: 
fafjen follte, jelbftverftändlich nicht verzichtet; indeffen war doch ber 
anftößige Name der Schatzung vermieden worden. 

Der Eindrud, den der Interimsbefehl auf die Bürgerfchaft machte, 
war feineswegs ein günftiger. Der Anfat von 10 Kreuzern Monats: 
geld erſchien Manchen zu bo; die Mebger wollten fi das ſchwerere 
Gewicht nicht gefallen laſſen; Alle aber wollten von Bezahlung ber 
rüdjtändigen Schatungsgelder fowohl, als der Kommiffions: und Exe— 
kutionskoſten nichts wiflen, und drangen, das alte Lied, auf Wieder: 
berftellung der Privilegien nad ihrem urfprünglichen Wortlaut. Bon 
einer Sinnesänderung war alfo wenig oder nichts zu verfpüren. Unter 
ſolchen Umftänden beſchloß der Markgraf wieder fchärfere Maaßregeln 
zu ergreifen. In den eriten Tagen des Auguſts rückte die bisher in 
Kehl gelegene Kreistompagnie unter Oberft Vafoldt in Pforzheim ein, 
und wurde befohlen, den widerjpänftigen Bürgern bis zur Bezahlung 
ihrer Rückſtände Soldaten ins Haus zu legen und, wenn diefes Mittel 
nicht helfe, ihre Mobilien verfteigern zu laffen. 

Mittlerweile war aber die Bürgerſchaft zu dem Entſchluſſe gekom— 
men, auf eigene Kauft bin, d. h. ohne Vorwiſſen der ftädtifchen Behör- 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746, 585 


ben, gegen den Markgrafen wegen feines gewaltthätigen Vorgehens 
Klage beim Neihstammergeriht in Wetzllar zu erheben, und 
wurden zur perfönlihen Betreibung diefer Sache drei Pforzheimer 
Bürger, nämlih der Ochſenwirth Jakob Würth, der Weißgerber Andreas 
Bauer und der Rothgerber Hans Gall Eberle dahin abgefchidt. Zur 
Beftreitung der Koften leiftete jede Zunft aus ihrer Lade einen Beitrag; 
außerdem wurde eine Kollefte erhoben, und endlid, verpflichtete fich jeder 
Bürger, der mit der Klage in Weblar einverftanden war, zur wöchent: 
lichen Bezahlung eines Batzens. 

Zum Behuf einer verfhärften Erefution ließ indeffen die Regie— 
rung auch den bisher im Karlsruhe gelegenen Net der Grenadierfom: 
pagnie, und Ende Auguft noch eine weitere Kompagnie, nämlich bie 
vo. MWöllwarth’ihe, ſammt einer Abtheilung Landmiliz in Pforgheim 
einrüden. Saͤmmtliche Mannſchaft wurde in der Stadt einquartiert, 
und zwar zunächſt wieder bei den wibderfpänftigen Bürgern, mit befonde: 
rer Berüdfihtigung ihrer Rädelsführer. Die Regierung fehritt auch 
noch zu Maßregeln anderer Art, Sämmtlichen Mebgern, mit Aus: 
nahme des der Regierung willfährigen Abraham Trautwein, wurde das 
Handwerk niedergelegt, der Rathsverwandte Geibel, weil er zu ben 
Prozeßkoſten 14 Basen beigetragen, feines Amtes entlafjen, der Satt: 
fer Mitichdörfer feiner Stelle als Kornmeſſer entjegt, und der Amis: 
fellerei und geiftlichen Verwaltung befohlen, zu den bevorftehenden Herbft: 
beihäftigungen nur gehorfame Bürger zu verwenden. Als am 3. Sep: 
tember der Herzog von Mürttemberg durch Pforzheim kam, wurde den 
Bürgern, die bei ſolchen Gelegenheiten fonft immer unter das Gewehr 
getreten waren und Parade gemacht Hatten, dies unterfagt, weil fie jol- 
her Ehre nicht werth feien, Und endlih wurde mit der längſt ge: 
drohten Pfändung bei fieben Bürgern der Anfang gemacht, und bie 
weggenommenen Gegenftände auf das Nathhaus gebracht, um daſelbſt 
verfteigert zu werben. 

Alle diefe Maßregeln erbitterten die , Gemüther noch mehr und 
erwieſen ſich als ziemlich erfolglos. Zur Verfteigerung der gepfändeten 
Möbeln zeigte fi Fein Liebhaber, obgleich man durch Ausjchreiben 
nach verfchiedenen Drten die Juden förmlich hatte nöthigen wollen, 
nad Pforzheim zu kommen. Dem Mebger Trautwein blieb fein Fleiſch 
größtentheil Liegen, weil die meiften Bürger nunmehr ins Haus metzel— 
ten. Dagegen wurde den der Regierung gehorfamen Bürgern jeder Tud 


586 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746, 


angethan; Feiner der wibderfeglichen Bürger — und diefe bildeten meit- 
aus die größte Mehrzahl — Tieß bei einem derfelben arbeiten oder 
kaufte ihm etwas ab; es entftand überhaupt eine folhe grimmige Feind: 
ſchaft zwifchen den beiden Parteien, daß fogar die zarteften Banbe, 
welche junge Leute mit einander gefnüpft hatten, wieder zerriffen werben 
mußten. Dem Obervogt v. Glaubitz, (Scheid war am 6. Auguft 
geitorben), und dem Spezial Bergmann wurden Pasquille ins Haus 
gelegt, und der Bürgermeifter Schober mußte tagtäglich die heftigften 
Drohungen und gröbften Schmähworte vernehmen, und wurden er, feine 
Kinder und Kindesfinder für verflucht und verdammt erflärt. Mit Eifer 
fuchte man auch das Gerücht zu verbreiten, daß diejenigen, welche ſich 
dem Interim unterwürfen, wieder leibeigen werden müßten, und es 
gab leichtgläubige Gemüther genug, welche ein foldhes Gerede als baare 
Münze nahmen. Es werben alle bdiefe Einzelheiten genügen, um zu 
zeigen, daß die damaligen Verhältniſſe in Pforzheim das Bild ber 
größten Zerriſſenheit boten, 

Bon der Univerfität Gießen war indefjen das verlangte Gutachten 
eingelaufen. Die Regierung hatte diefer Hochſchule, ſowie der Juriſten⸗ 
fatultät in Halle, in Betreff des Privilegienftreits folgende fünf Fragen 
vorgelegt: 1. Ob die Beftätigung der Privilegien dur den Markgrafen 
tn Jahr 1709 fo verftanden werben müfle, daß er fie nad dem Buch: 
ftaben, ohne Berückſichtigung deffen, was feither vertragsmäßig geändert 
worden fei, wieder berftellen müſſe? Dieje Frage wurde verneint. 
— 2. Ob die badifche Regierung nicht berechtigt fei, fih nach dem 
feit 1491 veränderten Geldwerth ftatt eines Pfennigs deren je nad) 
Umftänden 2, 3 oder 4 bezahlen zu laſſen? — Wurde bejaht. — 
3. Ob die Bürgerfhaft von Pforzheim nicht verbunden fei, die durch 
fie felbft verurfachten Erekutionstoften zu bezahlen? — Wurde bejaht. 
4. Ob fih die Bürger zu Pforzheim durd ihre Widerfeglichkeit ihre 
Privilegien nicyt geradezu verwirft hätten? — Wurde bejaht. — 
5. Ob niht die Stadt Pforzheim zu den GStantslaften, wie Apanagen, 
Ausfteuern, fürftlihen Neifegeldern, Salarirung der fürftlichen Kanzlei, 
zur Abtilgung der Schulden und Bezahlung von Zinfen, zu Gefandt: 
haften und bergleihen allgemeinen Nothwendigkeiten des gefammten 
Landes durch Bezahlung einer bireften Stener beizutragen babe? — 
Wurde bejaht. — Der Gießener Beiheid war aljo für die Pforze 
beimer fehr ungünftig ausgefallen, 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 587 


Derfelbe wurde am 4, September 1723 vor verfammeltem Gericht 
und Math und den Zunftmeiftern und in Gegenwart des Oberbogts 
verlefen, 1) jedoch auffallender Weife die verlangte Abfchrift verweigert. 
Das erzeugte Miftrauen. Die Einen fagten, das Gutachten fei gar 
nicht in Gießen, fondern vom Oberamt felber verfaßt worden. Andere 
behaupteten, man hätte beim Verleſen die Stellen, die für Pforzheim 
günftig Tauteten, mweggelaffen ꝛc. Co blieb das Gießener Gutachten 
wirkungslos, und im gleichen Grade auch das von Halle, das bald 
nachher ebenfalls einlief, und das mit dem von Gießen, mit Ausnahme 
der vierten Trage, welche verneint wurde, übereinftimmte, 

Meil es unmöglich fhien, die manchen Bürgern gepfändeten Ge: 
genftände in Pforzheim felber zu verwerthen, fo kam der Befehl, fie 
unter militärifcher Bedeckung nah Durlady zu verbringen. Dies ge 
ſchah auf 3 und fpäter nady eimarder auf 6 weitern Wagen. Der 
Verkauf ging indeſſen fehr langſam von Statten und fam man damit 
erft im Februar 1724 zu Ende Es wurden im Ganzen 1373 fl. 
daraus erlöst, die aber nicht einmal zur Bezahlung der Unkoſten bin: 
reichten, welche in Durlad allein 627 fl. betrugen. — Das Militär 
war unterdeffen von Pforzheim wieder mweggezogen worden. 

Dem Urtbeil des Neihstammergerichts, bei welchem die zur Ver— 
nehmlaſſung aufgeforderte badifhe Regierung im Oktober 1723 ihre 
Erklärung eingereiht hatte, fab man in Pforzheim mit gefpannter 
Erwartung entgegen, da die Bürger alle ihre Hoffnung darauf gefeßt 
hatten. Diefes Urtheil erfolgte unterm 12. Januar 1724. Die Pforz: 
heimer wurden mit ihrer Klage abgemwiefen, ihnen jedoch freigeftellt, 
ihre Angelegenheit vor ein Schiedsgericht zu bringen. Den Wunſch 
nad Niederfetung eines folhen ſprachen die Bürger der Regierung 
gegenüber aus, die fid) auch nicht abgeneigt zeigte, darauf einzugeben, 
proteftirten jedoch wiederholt gegen die Beftimmungen des Interims— 
befehls von 1723 und der Deklarationsverordnung von 1724, über: 
haupt gegen alles Vorgehen der Regierung, namentlich gegen die Ver: 


1) Der Krämer Ramfer wollte auf die Schlußbemerfungen bes Obervogts 
etwas erwidern. Dieſer bedeutete ihm jedoch, zu ſchweigen, weil er ſchon 
ſchwarz genug fei. „Das müfje”, erwiderte Namjer, „wohl daher kommen, 
weil er jo mahe bei einem Schmied wohne”. Die Folge dieſes unzeitigen 
Scherzes war, daß er auf 10 Tage bei Waffer und Brod in den Thurm fam, 
Auch andere Bürger traf die Strafe der Eintbürmung. 


588 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746. 


fügung, daß für 1724 12 Monatsgelder ordentliche und 6 Monats: 
gelder außerordentlihe Schagung bezahlt werden jollten, erklärten, daß 
fie nur 6 Kreuzer (ftatt der verlangten 10) vom 100 Gulden ent: 
richten würden und daß der Betrag für 1724 durch Verkauf ihrer 
Effekten nah ihrem Dafürhalten bereits gededt fei. Ferner gaben 
fie zu verftehen, daß fie am Pfundzoll nur den im Privilegienbrief 
feftgefeßten Pfennig vom Gulden bezahlen würden und verlangten 
fchliegih — zum wievielten Male? — einfache Wiederherftellung ihrer 
alten Freiheiten. 

So jpann fi) der leidige Streit immer noch fort, ohne feine end— 
gültige Erledigung finden zu können. Ja er entbrannte wieder heftiger, 
als das folgende Jahr (1725) eine neue Auflage der Eidesverweiges 
rung junger Bürger brachte und das alte Epiel fi zu wiederholen 
drohte, Die Regierung fchritt wieder mit ftrengen Maßregeln, als 
Geldftrafen, Erekution, Handwerfsniederlegung, Ausweifung ꝛc. ein und 
ließ drei Haupträbelsführer, Sattler Mitihdörfer, Bäder Scheerer und 
Hafner Holzhauer einthürmen. Dies rief unter der Bürgerfchaft großen 
Tumult hervor, und verfegte namentlih auch die Meiber in Alların, 
die — bezeichnend für die Stimmung, die damals ſchon unter dem 
ſchönen Geſchlecht herrſchte -— die Aeußerung thaten, es fer eine Schande, 
daß fich die Männer jo etwas gefallen liegen Zur kräftigen Fortfüh— 
rung ihres Prozefies aber traten die Bürger zufammen und erwählten 
einen Neunerausihuß. Drei Mitglieder desjelben, die ſchon in Wetzlar 
gewefen waren, nämlih Ochſenwirth Würth, Weißgerber Bauer und 
Rothgerber Eberle, machten fih, von ihren Auftraggebern mit den nö: 
thigen Geldmitteln verfehen, am 14. November 1725 auf, um beim 
Reihshofrath in Wien Klage zu erheben und fich dort das Recht 
zu holen, das ihnen vom Reichsfanmergericht nad ihrem Dafürbalten 
verweigert worden war, 

Während ihrer Abwefenheit wurde in Pforzheim zwar mit Exe— 
quiren fortgefahren; allein dag Oberamt Magte einmal über das andere, 
daß bei den meiften Wibderfpänftigen nichts zu holen wäre, da man 
ihnen Handwerkszeug und Betten nicht nehmen dürfe, Häufer und Güter 
aber verpfändet jeien, und auch das infperren nichts helfen wolle, 
Viele Bürger hatten übrigens, wie fid) nachträglich heraugftellte, ihre 
bewegliche Habe ins Württembergiſche geflüchtet und waren zum Theil 
jelbit dahin gegangen, Am 22. Januar 1726 wurden wieder 20 Mann 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 589 


Militär nad Pforzheim beordert, und am 4, Februar erſchien ein 
fürftliher Erlaß, der die Äuferfte Strenge anbefahl, Allen, die ab- 
weſend feien und ihre Mobilien mitgenommen hätten, wurde eine Friſt 
von 8 Tagen zur Rückkehr geftellt; kämen fie nicht, jo folle ihnen das 
Bürgerrecht aufgekündet, ihre Weiber und Kinder zur Stadt hinaus 
geichafft, auch im Lande nicht mehr geduldet, ihre Güter verfteigert, 
und. wenn dies nicht möglich, eingezogen werben. Den Zurückkehrenden 
folle ihre Habe fogleich verfteigert, diejenigen aber, die nichts beſäßen, 
gefänglich eingezogen und bei Widerſetzlichkeit nöthigenfalls in Eifen 
und Banden nach Karlsruhe abgeliefert werden, um fie dort ihre Schule 
digkeit abverdienen zu laffen. Die jungen Bürger, die nicht ſchwören 
wollten, follten mit ihren Familien der Stadt und des Landes ver- 
wiejen werden. Bezüglich des immer noch umlaufenden und geglaubten 
Gerüchtes, daß der Markgraf die Pforzheimer wieder leibeigen machen 
wolle, folle das Oberamt den Zunftmeiftern vernünftige VBorftellung 
thun, — im Allgemeinen aber jetzt und immerdar die Bürger nad 
dem nterimsbefehl vom 12. Juli 1723 und der Deklarationsverord⸗ 
nung vom 29. Auguft 1724 traktiren. 

Es trat jedoch nach wenigen Tagen ſchon eine unerwartete Ka— 
taftropbe ein, welche Mafregeln anderer Art nothwendig machte. Alm 
1. Februar erfolgte die Enticheidung des Reichshofraths in Wien. Gie 
fiel fo aus, wie im Voraus hatte erwartet werden Fönnen, „Nachdem 
dieſe Sache”, fo Tautete diefelbe, „bereits an das Kaiferlihe Kammer: 
gericht gediehen, und dafelbft forum preventum (zuftändige Behörde) 
ift, alfo bat das Begehren biefigen Orts nicht Statt." Diefer Ent: 
ſcheid langte am 18. Februar in Pforzheim an und ſchon am folgenden 
Tag ließ geh. Rath und Obervogt Zur Gloden die Bürgerfchaft durch 
die Bürgerglode auf das Rathhaus zufammenberufen, um fie im Hin: 
blick auf die Vergeblichkeit aller ihrer Schritte, die fie bis jetzt und 
zufegt in Mien gethan, wiederholt zum Gehorfam zu ermahnen, Vor— 
ber fuchte er ſich noch der Mitglieder des Raths und Gerichts zu ver: 
fihern, die fih in der Rathsſtube verfammelt hatten. Dieſe erflärten 
einftimmig, daß fie fich zur Bezahlung von 12 Monatsgeldern zu 
10 Kreuzer vom 100 fl. gerne und in der Hoffnung verftünden, daß 
man nad dem jetigen Güterwertb die 10 fr. auf 8 ermäßigen werde, 

Hierauf verließ der Obervogt in Begleitung des Amtmanns Rut: 
barbt umd der Raths- und Gerichtsherren die Rathsſtube und trat auf 


590 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 


den Abſatz der Stiege, die in den Rathsſaal hinunter führte, wo bie 
Bürger verfammelt waren. In längerer Rede machte er diefelben auf 
die Folgen ihres Ungehorfams aufmerkfam, verlas auch den Interim: 
befehl vom 12. Juli 1723 und den Finalbefhlug vom 29. Auguft 
1724, und forderte zufegt alle Bürger, welde fih zur Unterwerfung 
verftehen wollten, auf, ihre Mamen zu Protofoll zu geben. Da trat 
der Sattler Mitichdörfer aus der Menge hervor und rief: „Im Namen 
der Bürgerfchaft erfläre er, daß diejelbe entſchloſſen ſei, bei dem buch— 
ftäblichen Inhalt ihres Privilegium zu bleiben, und zur Beftätigung 
fordere er die Bürgerfchaft auf, diefen ihren Entfhluß durh ein Ja 
zu befräftigen.“ Ein lautes „Ja“ eriholl von Seiten der Verjammel- 
ten. Hierauf trat der Barbier Lacofte auf und fprah: „Es fei das 
Dekret des Reichshofraths nicht fo zu verftehen, als wenn fie mit ihrer 
Klage völlig abgewiejen wären, fondern man habe fie nur wieder zu: 
rüd nad Wetzlar gewiefen, um dafelbft ihre Sache auszumachen, und 
hätten fie fih deshalb bereits Raths erholt; wenn die Bürgerfchaft 
mit diefer Anſicht einverftanden fei, jo möge fie es ebenfalls durch ein 
lautes „Ja“ beftätigen.” Mit großem Gefchrei wurde abermals 
diefeg Ja ausgerufen. 

Voller Beftürzung über folhes unerwartete Vorklommniß kehrten 
die Herren wieder in das Rathszimmer zurüd, wo fi indefjen nad) 
und nad) auch etwa 90 Bürger einfanden, die ihre Unterwerfung unter 
ben fürftlichen Endentfcheid zu Protofol gaben, während die Wider: 
feglihen vom Rathhaus fich verliefen. Um den weiteren Heßereien 
der beiden MWortführer derfelben ein Ende zu maden, wurde beſchloſ— 
fen, Mitſchdörfer und Lacofte in Arreft zu ſetzen. Sie wurden alsbald 
geholt, in ein Stüblein des Rathhauſes gebracht und vor die Thür 
besjelben der Stadtfnecht, die Thorwarte und einige ber gehorfamen 
Dürger als Wache geftellt. „Da diefes gefchehen”, fo fährt das 
darüber aufgenommene amtliche Protokoll wörtlid fort, „haben bie 
Beeben inhafftirten,, (wie ſolches in denen benachbarten Häufern und 
fonften gehöret worden), fogleih aus denen Fenſtern auf die Gaſſe 
zu denen untenftehenden Buben gerufen: „br Buben, bolet euere 
Väter und Mütter mit Gewehr und Prügeln und helft uns; fie wollen 
ung einiperren!“ Welchemnach nicht allein die Buben in der Stadt 
und denen Vorftädten bin und wieder gelaufen und Alles aufgeboten 
und zufammenberufen, fondern es ſeynd auch die in des Laubwirths 


Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746, 54 


Rüfles Haus ſchon verfammelt geftandenen und andere Weiber, (deren 
wenigftens 100 Perſonen geweien), fogleih auf das Nathhaus hinauf: 
gelaufen kommen und anfänglich fi geftellt, als wollten fie nur vor 
die inhafltirten und um deren Loslafjung intercediren und bitten. 
Dieweilen ihnen aber nicht zu willfahren gewejen, fondern Denenjelben 
gütlich zugefprochen worden, fih nah Haufe zu begeben, und das von 
Herrichaftswegen : jo haben fie, nachdem fie vor ihrer mehr als noch 
einmal fo vielen und einer ziemlichen Anzahl halbgewachſener Buben 
fefundirt worden, erftlihen unbewehrt nady dem Stüblein, mworinnen 
Racofte und Mitfchdorfer verwahrlich aufbehalten worden, fich zu dringen 
gefuchhet. Da man ihnen aber Miderftand gethan und fie zurücges 
ftoßen, ſeynd fie nicht allein mit größerer Heftigfeit auf die Ober: 
beamten, Magiftratsperjonen und gehorfame Bürger Losgegangen und 
dat injonderheit des XLacoften Frau den Bürgermeifter Schober bei den 
Haaren zu paden befommen (fo daß fie, mie fie jpäter im Verhör 
felber ausfagte, die Hand voll Haare behalten), fondern e8 haben auch 
darauf diefelben, da ihrer Vehemenz und fonderlich der an dem Herrn 
Dürgermeifter bewiefenen Gewaltthätigfeit halber, von einigen der Ges 
horſamen (dem Chirurgen Friefenegger, dem Büchſenmacher Lichtenfels 
und dem Kuhhirten Prior) ein paar Streihe auf fie gethan worden, 
meiftentheils mit Bund Schlüffen, Prügeln und Stöden, vornehmlich 
aber mit denen durch fie zertretenen und zerfhlagenen, auf dem Rath: 
hausſaal befindlid gemwejenen, zu Jahrmarktszeiten daſelbſt benöthigten 
Schrägen und deren Füßen, Beides ſich und die bei ſich habenden Buben 
bewehret und mit gefammter Hand auf die Stuben, darinnen die 
beiden Nädelsführer inhafltirt geweſen, gedrungen, und endlichen, nach— 
deme die Oberbeamte (auch die Rathsherrn, die noch Tange nachher 
blaue Mäler herumtrugen) völlig von ihnen umgeben, getreten und 
geftoßen, infonderheit aber dem Herrn Rath und Amtmann Ruthardt 
bie Peruque vom Kopf geichlagen worden, aud die Gehorjamen zu 
Verhütung von Mord und Todtſchlag (indem der völlige Haufe der 
unten in dem Rathhaus verfammelt gewefenen widerfeglihen Bürger 
die Stiege binaufgefommen), zurüdgewichen, der Wacht ſich bemeiftert 
und die Stuben eröffnet, da dann die beiden Hauptrebellen unter dies 
fem Tumult fid) herausgemachet und auf flüchtigen Fuß geſetzet.“ 
„Auf Solches hin ift zwar in dem Rathhaus der Tumult sopirt 
worden; hingegen ift derfelbe beim Hinuntergehen auf den Markt mit 


592 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 


Schimpfen, Schreien und Schlagen von Neuem wieder angegangen, 
inmaßen auf einige der Gehorfamen, in specie auf den Kuhhirten Prior 
von einigen Weibern zugefchlagen worden, bis endlih der eingefallene 
Megen die zufammengelaufenen Tumultanten, melden zwar von dem 
Oberamt auseinander zu gehen öfters anbefohlen, felbigen aber nicht 
parirt ıc., auseinander getrieben. Eine ziemliche Anzahl halbgewachſener 
Buben aber haben auf den Herrn VBürgermeijter Schober, welcher in 
des Herrn Geheimenraths und Obervogts Haus wegen einer ihm zus 
geftoßenen Unpäßlichkeit retirirt, mit Prügeln gepaßt; doch feynd dieſe 
auch wieder auseinander gegangen.” Go ber amtliche Bericht über 
einen Weiberframall, der in der Geſchichte nicht gerade viele Beifpiele hat. 

Tragen wir nun, welche Weiber die Haupträdelsführerinnen fold 
tragiſch-komiſchen Aufftandes gewefen, fo geben uns die Verhörprotofolle 
darüber Auskunft. In erfter Reihe find die Weiber der beiden in 
Arreft geſetzten Bürger zu nennen, nämlich die bijährige Frau des 
Barbiers Lacoſte, welche vor Gericht auch Fein Hehl aus ihrer An: 
führerfchaft, fowie der Verſchwörung der Weiber machte, weshalb fie 
alsbald ins Gefängnig abgeführt wurde, — und die Adjührige Frau 
des Sattlers Mitichdörfer, die aber als hochſchwanger und epilep- 
tifch wieder entlafjen werden mußte. Sodann ermwiefen fid) als befonders 
mutbhige Amazonen die 34jährige Frau des Schloſſers Dill, bie 
6Sjährige Frau des Wagners Schnell, die Hirihwirthin Hafner, 
37 Jahre alt, (die mit ihrem Schlüfjelbund dem Amtmann Ruthardt 
die Perüfe heruntergefchlagen zu haben feheint, nachdem fie ausgerufen 
hatte: Ihr Taufendfafermenter, gebt uns unfere Männer heraus!), die 
rau des Hafners Holzhauer, die Ibjährige rau des Blechners 
Widmann, die Frau des Stadtfuhrmanns Schaf ıc. 1) 

Daß in Folge diefes Vorfalls auf oberamtlihen Bericht hin von 
Seiten der Regierung die jchärfiten Maßregeln getroffen wurden, braucht 
faum erwähnt zu werden. Es wurden fogleich 3 Kompagnien Infante— 
rie, fodann etwa 100 Mann Landmiliz und eime Abtheilung Meiter 


Nach einer Familientradition foll fi babei namentlih aud die Frau des 
Mebgermeifters Hs. Grg. Unter&der bervorgetban haben. „ Sie bieß (nad dem 
Kirchenbuch) Anna Katharina, geb. Bart und hatte nad dem Tode ihres erften 
Mannes, des Metgermeifters Engelhard Hoppius, 1725 ihren Mebgerfnecht, 
ben erwähnten, von Waiblingen ſtammenden Unter&der, ben erſien dieſes 
Geſchlechts in Pforzheim, gebeirathet. 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 593 


nad Pforzheim beordert, und rüdten diefe Truppen am 22. Februar 
mit Hingemdem Spiel und fliegenden Fahnen dafelbit ein. Die Miliz 
wurde im Ratbhaus und im Schloß, die Soldaten bei ben ungehor: 
famen und namentlih mit Bezahlung von Abgaben noch im Rüditand 
- gebliebenen Bürgern, in vielen Fällen eigentlih nur in deren Häufer 
einquartiert, da eine große Anzahl Bürger mit ihren Familien fih in 
die benachbarten württembergiihen Orte geflüchtet hatte, was theil- 
weiſe mit ſolcher Eile geſchah, daß z. B. die Mebger ihr Fleiſch, das 
in der Mebig hing, unter anderm noch zwei vollftändige Ochfen, im 
Stich ließen. Allen Bürgern wurden die Gewehre abgefordert und bie 
Häufer nach ſolchen durchſucht (man fand jedoch jehr wenig), die Wider: 
jeglichen follten, fo lautete der gemefjene Befehl, in Arreft geführt, unter 
Umftänden fogar Feuer auf fie gegeben werden. Alle Zufammenkünfte 
wurden verboten, die Thore geichloffen und unter Trommelſchlag ver: 
fündet, daß die Entflohenen binnen 3 Tagen (dev Termin wurde nad 
Ablauf derjelben auf weitere 10 Tage verlängert) bei Verluft ihres 
Bürgerrechts zurückkehren follten. Die ‘gleiche Bekanntmachung erfolgte 
auch in den umliegenden, namentlich wirttembergifchen Orten. Den 
beiden flüchtigen Rädelsführern, Lacofte und Mitſchdörfer, wurden nad) 
allen Seiten bin Stedbriefe nachgeſchickt, nachdem deren augenblidliche 
Verfolgung fruchtlos geblieben; über deren Vermögen wurde ein Inven— 
tar aufgenommen und dasfelbe mit Arreft belegt. Ein folder Schred 
hatte die Gemüther, jogar der Landbewohner, erfaßt, daß diefe ſich 
nicht mehr in die Stadt zu kommen getrauten, wodurd bald empfind: 
licher Mangel an Lebensmitteln entftand. 

Bezüglich der zurücgebliebenen Pforzheimer Bürger erwies ſich 
der Schred als ein heilfamer; denn ſchon unterm 4, März konnte dag 
Dberamt berichten, daß die meiften, die noch etwas beſäßen, ihre Nüd: 
ftände bezahlt und die zugleich verlangte Erklärung zur Unterwerfung 
unterfchrieben hätten. Die Landmiliz wurde wieder bis auf 20 Mann 
entlafjen, und auch von den Truppen blieben nur noch 57 Mann unter 
Befehl eines Hauptmanns zurüd, Die entflohenen Bürger, von denen 
Anfangs März immer noch etwa 200 in Pforzheim fehlten, fanden ſich 
nad umd nad) wieder ein, was zum Theil darin feinen Grund hatte, 
daß fie aus den württembergifchen Orten auf Betreiben der badijchen 
Regierung ausgerwiefen wurden. Wie fehr auch anderwärts die Wirren 


in Pforzheim die Aufmerkiamkfeit auf fich zogen und Uebertreibungen 
Pflüger, Pforzheim, 38 


* 


594 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746, 


ihre Verbreitung fanden, mag daraus entnommen werden, daß fich das 
Oberamt Emmendingen mit der Bitte an die Megierung wandte, eine 
Anzahl Untertbanen aus dem Hocbergifcen nach Pforzheim zu ver: 
pflanzen, damit die leer ftehenden Häufer und herrenlofen Güter wieder 
in die Hände paffender Beſitzer übergehen könnten. 

Anfangs April hatten die Bürger im Sinn, dem Landesfürften 
ihre Unterwerfung anzuzeigen und war deshalb beim Oberamt bereits 
die Erlaubniß eingeholt worden, fih auf den Zunftftuben verfammeln 
zu dürfen. Allein als von den drei Deputirten, die ſich noch immer 
in Wien befanden, die Nachricht einlief, daß vom Reichshofrath nad 
Diftern eine günftigere Reſolution zu erwarten ftünde, fo unterblieb die 
Sache wieder, fo daß das Oberamt an die Negierung berichten mußte, 


daß „ehe die drei Böſewichter von Wien zurückkämen, feine Befjerung 


von dem verſtockten Haufen zu erwarten ſei.“ 

Der Endentſcheid des Reichshofraths, auf den die Pforzheimer 
ihre legte Hoffnung gejett hatten, erfolgte am 15. April 1726, und 
wurden darin „die Supplicanten, Einwendens ungehindert, auf das 
vorige Concluſum vom 1. Februar ein für alle Mal lediglich verwie— 
fen.” Nun kehrten auch Mitichdörfer und Lacofte, die ſich unterdeffen 
in benachbarten Orten, am Iängften in der Reichsſtadt Weil aufgehal- 
ten hatten, wieder zurüd, nachdem ihnen auf ihr Anfuchen ficheres 
Geleit verheigen worden war. 

Im Mai 1726 erfchien eine eigene fürftlihe Kommiſſion, beftehend 
aus Vicepräfident von Glaubig und Hofratd Schlotterbeck, in Pforz« 
beim, "um wegen des ftattgehabten Aufruhrs felber eine Unterfuhung 
vorzunehmen. 1) Da diefelbe die ganze Sache ſchon von vornherein 
von einem mildern Gefihtspunft aus, als das in die Händel felber 
verwickelte Dberamt Pforzheim auffaßte, auch die Unterfuhung ergab, 
daß letzteres im mancher Beziehung zu ſchwarz gefehen Hatte, fo tauchte 
ber Gedanke eines Generalpardons auf, der allen MWeitläufigkeiten ein 
Ende machen follte. Auch zeigte ſich die Bürgerfchaft, die wohl ein— 
fehen mochte, daß alle weitere Schritte doch ohne Erfolg bleiben würben, 
nah und nad zugänglicher, Sie rief am 1. Oktober 1726 ihre De: 
putirten von Wien zurüdl, und zwei derfelben, Weißgerber Bauer und 
Rotbgerber Eberle, Ieifteten dem Rufe Folge, während Rothochfenwirth 


— — 


) Die Verhörprotofolle füllen viele Bogen. 


Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 595 


Würth no dort zurüdblieb, angeblih wegen Krankheit, 1) Unterm 
26. Mai 1727 erflärten die Zünfte in einer Eingabe an den Mark: 
grafen, daß fie fich bis zur wölligen Erledigung des Streites dem Sn: 
terimsbefehl unterwerfen wollten mit dem Worbebalt, daß dies aber 
ohne Abbruch ihrer Privilegien geſchehe; doch bäten fie den Mark: 
grafen, daß er die geeigneten Echritte tbun möge, um die Sache vor 
ein Schiedsgericht zu bringen. Derjelbe erklärte in einem Erlaß vom 
31. März, daß er gegen die Austregas nichts einzuwenden babe, aber 
Unterwerfung ohne Vorbehalt verlange; er feie dann erbötig, ihnen an 
Freiheiten zum Nuten der Stadt noh Manches zu gewähren, was fie 
ihm bezeichnen und von ihm verlangen würden. 

Der Streit wurde jedoh von Seiten der Bürgerſchaft nicht fort: 
gejeßt, und fomit gab fi die unbedingte Unterwerfung von felbit. 
Das Militär war von Pforzheim längſt wieder zurüdgezogen. So 
kehrte nad) und nach wieder Ruhe in die Gemüther zurüd, namentlich 
nachdem der verheißene Oeneralpardon wirklich ausgeiproden war. Als 
Schlußſtein des ganzen Streites ift die Abrechnung zwifchen der Stadt 
und der Herrichaft zu betrachten, welhe 1730 erfolgte und wodurch 
alle gegenfeitigen Forderungen ausgeglichen wurden, 

Es mag bier noch bemerkt werden, daß der ganze gehäffige Streit 
wegen der Privilegien oder eigentlich wegen der „Schatzung“ nad) eini- 
gen Jahrzehnden nochmals auszubrechen drohte. Durd einen Mißgriff 
der betreffenden Beamten wurde der Ausdrud „Reichs- und Kreis: 
ſteuer“, welche von den Bürgern bisher ohne Widerrede entrichtet wor: 
den war, wieder mit dem der „Schatzung“ vertauſcht. Dies rief in 
Pforzheim große Aufregung bervor, und es wurde deshalb im Oktober 
1791 und im November 1794 die Abſtellung ſolchen Mißbrauches 
entſchieden verlangt. Die fürftlihe Rentkammer entſprach auch willig 
ſolchem Anfinnen und ſetzte durch Verfügung vom 30. Juni 1795 
feft, daß das Wort „Schatung“ nicht mehr gebraucht, Tondern dafür 
immer „Reihe: und Kreisiteuer” geſetzt, auch auf den Stenerzetteln die 
Schhagungsfreiheit der Pforzheimer ausdrüdlich erwähnt werden jolle. 
So z0g die drohende Wolfe wieder worüber. 





1) Er war im November 1729 no in Wien, und entftanden feinetwegen 
noch Berbrüßlichfeiten, da cr bamals ber Bürgerihaft eine Rechnung von 
572 fl. 41 fr. machte, welche diefe nicht bezahlen wollte. Am ihn von Wien 
wenigftens weg zu bringen, wurden ihm 70 Gulden geſchickt. 


596 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746, 


In folder Weife begann und endete ein Streit, der Jahre Hin- 
durch auf das Verhältniß zwifchen dem Fürften und der Stadt Pforz- 
beim, das ſonſt immer als ein fo inniges ſich zeigte, trübe Schatten 
warf. Läßt es fih auch nicht entichuldigen, daß die Mehrheit der 
Bürgerichaft vernünftiger Belehrung und ben berechtigten Forderungen 
veränderter Zeitverhältniffe ihr Ohr verſchloß, fo verdient doch auf der 
andern Ceite die Zähigfeit und KHartnädigkeit, womit vermeintliche 
Rechte vertheidigt wurden, aud ihre Anerkennung. Ausdauer und 
Beharrlichkeit gehörten durhaus von jeher zu den charakteriſchen Eigen: 
haften der Pforzheimer, wie wir namentlich bei frühern Religions: 
kämpfen gejehen haben, und als Ausflug derfelben erhielt ſich auch die 
Anhänglichkeit an die alte, in Folge des Privilegienftreit® in manchen 
Punkten geänderte Stadtverfaffung und ein den Beftimmungen und Ein: 
richtungen bderjelben angemefjenes bürgerlihes Leben noch Tange, Bis 
endlich die franzöfifche Nevolution mit ihren Kriegen und deren Folgen 
bie legten Spuren jener Verfaffung vollends verwiſchte und auch einen 
Berfuh zur Miederherftellung der alten Privilegien, der im Jahr 1807 
gemacht wurde, nicht zur Ausführung kommen Tief. 


$ 7. Berühmte Pforzheimer, 


Es ift in frühern Kapiteln immer auch folder berühmter Männer, 
bie zu verſchiedenen Zeiten aus Pforzheim hervorgingen, theils em: 
gehend, theils nur in Kürze gedacht worden. Auch das 17, und das 
18. Jahrhundert haben einige Pforzheimer aufznmweifen, die durch ihre 
Gelehrſamkeit und ihre literariſche Thätigkeit fih einen Namen gemacht 
haben und darum wohl verdienen, daß ihnen in einer Geſchichte ihrer 
Vaterſtadt ein Meines Denkmal geſetzt wird, 


a. Johann Heinrih May. 


Er war am 5. Februar 1653 zu Pforzheim geboren und ftammte 
aus einer alten Pforzheimer Bürgerfamilie, deren fhon 1339 (S, 139) 
als in diefer Stadt anfällig Erwähnung geſchieht. Ein May fteht 
auch auf dem Denkmal der 400 von Wimpfen, das fih in der Schloß: 
firche zu Pforzheim befindet. Johann Heinrich May befuchte zuerft bie 
lateinifhe Schule feiner Vaterſtadt und bezog fpäter die Univerfität 
Wittenberg, um daſelbſt Theologie zu ftudiren. Nach Vollendung feiner 
Studien machte er verſchiedene Neifen zu wiſſenſchaftlichen Zwecken, und 


Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 16971746. 597 


lehrte zu Leipzig, Mittenberg und Straßburg namentlich die morgen- 
ländifhen Sprachen mit großem Erfolg. Einem Ruf als Hofprediger 
des Pfalzgrafen von Veldenz leiftete er zwar Folge, fehrte jedoch im 
fein Vaterland zurüd, als ihm vom Markgraf Friedrih Magnus 1679 
bie Stelle eines Pfarrers und zugleich Lehrers der orientalifhen Spra: 
hen am Gymnaſium in Durlach übertragen wurde, Zu feiner Aus: 
bildung in diefen Sprachen ließ ihn der Markgraf eine Neife nad 
Hamburg zu dem damals fehr berühmten Orientaliften Edznod machen, 
bei welchem fih May zwei Jahre Tang aufhielt, Nachdem er, nad 
Durlach zurüdgefehrt, noch mehrere Jahre an der Durlacher Schule, 
die damals im fchönften Flor ftand, gewirkt hatte, unterbrach 1689 
der verheerende orleans’she Krieg die Thätigkeit der dortigen Lehrer. 
Der eine z0g da hinaus, der andere dorthin. May kam als Profeffor 
an die Univerfität Gießen, wo er fpäter auch Konfiftorialrath und 
Superintendent wurde und eine gefegnete Thätigkeit entfaltete. Dort 
ftarb er aud im Jahr 1719. Er Hinterließ zahlreiche theologische 
und ſprachwiſſenſchaftliche, auch gefchichtlihe Schriften. Die befanntefte 
berfelben, die er ſchon 1687 in Durlach herausgab, ift das „Leben 
Reuchlins“, worin er zugleich alles das niederlegte, was er feit einer 
Reihe von Jahren aus der Geſchichte feiner Vaterftadt gefammelt hatte. 
Es war dies ber erfte Verſuch einer, wenn auch nur abgerifienen 
Geſchichte der Stadt Pforzheim. 


b. Johann Burkhard May, . 


des Vorigen älterer Bruder, war 1652 ebenfalls zu Pforzheim gebo: 
ren. (Der Bater der beiden May wurde fpäter Pfarrer in Bauſchlott). 
Er ftudirte in Wittenberg und bielt fih fehs Jahre Lang im Haufe 
des berühmten Schurzfleifh auf. Von bier Kam er als KHofmeifter 
einiger jungen Edelleute nach Frankfurt, wo er zugleich das Amt eines 
Korrektors in einer dortigen Druderei befleidete. Nachdem er hierauf 
einige Zeit als Dozent in Gießen gewirkt hatte, wurde er gleichzeitig 
mit feinem jüngern Bruder an das Gymnaſium nad Durlach berufen, 
wo er als Profefjor der Beredtiamfeit und als Bibliothekar wirkte. 
Dort gab er u. N. auch eine noch vorhandene 1) Schrift im Iateinifcher 





) Auf der Bibliothek in Karloruhe. Vergleiche auch Vierordt, Ge 
ſchichte der Durlacher Mittelſchule, S. 30. 


598 Siebzehntes Kapttel. Pforzheim von 1697—1746, 


Sprache heraus, worin er zu den am 5. März 1687 zu Durlach zu 
begehenden Säkularfeierlichkeiten des dortigen Gymnaſiums einlud und 
auc die zahlreihen Reden ankündigte, die in Tateinifcher, griechifcher, 
hebräifcher, chaldäiſcher, ſyriſcher, arabiſcher und äthiopiſcher Sprache 
gehalten werden ſollten. Im orleans'ſchen Krieg hatte er wenigſtens 
den Troft, daß feine Bibliothet vor Plünderung und Zerftörung ver: 
ſchont blieb; dody war jenes DBleibens in Durlach nicht, Nachdem er 
verfchiedene Neifen gemacht hatte, murde er 1692 an des berühmten 
Morhof Stelle als Profeffor der Beredfamfeit und Geſchichte nad 
Kiel berufen, wo er 1727 ſtarb. Gleich feinem Bruder batte er ſich 
durch feine Gelehrſamkeit, insbeſondere durch feine großen philologiſchen 
und geſchichtlichen Kenntniſſe einen ausgezeichneten Namen erworben. 


ec. Karl Joſeph Bougine, 1) 


Gr wurde am 22. März 1735 zu Pforzheim geboren. Sein 
Pater war der dortige Kaufmann, Zuderbäder und Rathöverwandte 
J. J. Bougind, der früher aus Valenciennes in Frankreich ausgeman- 
dert war und fi in Pforzheim niedergelaffen hatte. Nach vollendetem 
Befuch der Schule feiner Vaterſtadt und des 1724 von Durlach) nad 
Karlsruhe verlegten Gymnaſiums bezog er die Univerfität Tübingen, 
wo er nicht nur theologiſche Vorleſungen beſuchte, ſondern auch feine 
Sprachſtudien fortſetzte. Nach abgelegtem Pfarrfandidateneramen praf: 
tigirte er zuerft in feiner Vaterſtadt, wurde aber ſchon 1758 dritter 
Lehrer am Gymnaſium in Karlsrube, wo er 1764 Profeſſor wurde 
und nad) und nad bis zur erften Klaſſe vorrückte. 1780 erhielt er den 
Charakter als Kirchenrath und 1790 wurde ibm das Meftorat des 
Gymnaſiums übertragen, das ihn zwar vom Klaſſenunterricht befreite, 
wogegen er aber Vorlefungen verfchiedener Art übernahm und aud das 
von Rektor Sahs 1775 gegründete Iateinifhe Redeinſtitut fortſette. 
Am Jahr 1794 erhielt er den Charakter als geheimer Kirchenratb und 
ftarb am 29. Mai 1799, — Unter feinen zahlreichen lateiniſchen und 
beutfchen Schriften ift feine Literaturgefhichte, die in Zürich von 
1789—1792 in fünf Bänden erfhien, am befannteften geworden. 





1) Wenn aud in der Zeit geboren, weldie das 17. Kapitel behandelt, 
ſo gehört doch die Thätigfeit Bougine’s eigentlih ber folgenden Periode an. 
Ad babe ibm aber gerne eine Stelle neben den beiden May angewieien, 


Acdhtzehntes Anpitel, 





Pforzheim unter Karl Friedrich bis zum Ausbruch der frans 
söfifchen Revolution. !) 
(1746 — 1789.) 


F 1. Allgemeines. 


In feinem achtzehnten Jahr vom Kaifer mündig erflärt, kehrte 
Karl Friedrih von feinen Reifen in Frankreich und den Niederlanden 
in die Markgrafſchaft zurüd, übernahm die Regierung jedoch erft voll: 
ftändig, nachdem er nod eine Meife nad England gemacht hatte, 
Alsbald begann die fegensreihe Thätigkeit dieſes vortrefflichiten aller 
badiſchen Fürſten. Alljährlich erſchienen neue Verordnungen, die ſich die 
Beförderung der Wohlfahrt ſeines Landes zum Ziel ſetzten und ſeine 
Unterthanen zu einem „wohlhabenden, freien, geſitteten und religiöſen 
Volke” machen ſollten. Sein erſtes Geſchäft war, überall im Lande die 
nöthige Sicherheit herzuftellen 2), den Verkehr in jeder Weife zu erleich- 
tern und die Mechtspflege zu verbeflern. Schon 1799 fcaffte er die 
Tortur gänzlih ab, Sodann war die Sorge des edlen Fürften darauf 
gerichtet, der Arbeitfamkeit durch Beſchränkung der Feiertage und durch 
Abſchaffung der Mißbräuche des Zunftweiens Vorſchub zu Teiften, bie 
Berwaltung der Gemeinden zu verbefiern, das Armenweſen zu regeln, 
gegen Verſchwendung, Sittenlofigkeit, Lotteriewuth ıc. die nöthigen Maaß— 
regeln zu treffen. ingeweiht in die Lehren der Phyſiokratie, diefes 
in Frankreich entftandenen Syſtems, das dem Bürger die Freiheit bes 
Tiebiger Verwendung aller feiner Kräfte und Güter laſſen wollte und 


I) Als Hauptquelle wurbe benügt: Drais, Gefhichte der Regierung und 
Bildung von Baden unter Karl Friedrih, 2 Bände (Karlsruhe bei Müller 
1818), außerdem Rathöprotofolle, Akten, Urkunden, handſchriftliche Aufzeich— 
nungen x. Die Quellen find meift angegeben. 

2) Wir finden indeß, daß noch lange fpäter, jo 1767 und 1780, von Pforz: 
beim aus auf herumziehendes Gefindel geftreift werden mußte, 


600 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


den veinen Ertrag der Grundftüde als alleinigen Gegenftand einer 
Auflage bezeichnete, wollte der Markgraf diefe Grundfäge ins Leben 
führen, jedoch nicht, ohme vorher in drei Dörfern des Landes, fo z. B. 
von 1769 an in Dietlingen im Oberamt Pforzheim, Proben damit 
zu machen. Die Probezeit fiel zum Nachtbeil des phyſiokratiſchen 
Syſtems und der Gemeinden aus, wie es bei der Einfeitigfeit des 
erftern nicht anders möglih war, wenn man auch zugeben muß, daß 
es Wahrheit enthielt. Andere wohlthätige Einrichtungen gingen neben 
diefen ber. Faſt gleichzeitig wurden eine Wittwenkafje für Angeftellte 
nach dem Mufter der ſchon vorhandenen Pfarrwitiwenfaffe und eine 
Brandkaſſe errichtet. Gegenftand beſonderer Liebe Karl Friedrichs war 
aber die Landwirthſchaft. So wurde durch ihn der Anbau der Kar: 
toffel, des Klees 1) und verſchiedener Handelspflanzen eingeführt und 
der Viehftand, der Wieſen- und Obftbau gehoben, Nicht minder rich: 
tete der Markgraf fein Augenmerk auf Beförderung des Gewerbfleißes 
und ertheilte zu dem Ende überall, wo es zweckdienlich erfhien, aus: 
gebehnte Begünftigungen. Was in diefer Beziehung in und für Pforz- 
beim insbefondere gefchab, darüber wird in den nächſten Paragraphen 
Ausführlicheres folgen. 

In jeglihem Grade forgte Karl Friedrich aud für die geiftige 
Bildung feiner Unterthanen. Ueberall verbefierte er die Volksſchulen, 
oder errichtete ſolche, wo fie noch fehlten. Für die der gewöhnlichen 
Schule Entlafjenen wurden die Sonntagsfhulen in’s Leben gerufen und 
damit 1755 in der Diözefe Pforzheim der Anfang gemaht ine 
Schulordnung ging 1768 ebenfalls von Pforzheim, und zwar vom 
dortigen Dekan Poſſelt aus. Zur Bildung von Volkoſchullehrern wurde 
1768 das Seminar in Karlsruhe gegründet. Gleiche Aufmerkfamteit 
wie den Volksſchulen ſchenkte der Markgraf den Mittelfchulen, und 
fuchte höhere Bildung auch durch noch andere Mittel zu erhalten und 
zu beförden. Zur Heranbildung guter Seelforger errichtete er ein 
Pfarrieminar und machte den Geiftlichen zur beſondern Obliegenheit, 


) Am Oberamt Pforzheim waren mit Klee und Eipariette angebaut 
im Sabre 1763 nur 17, im Jahr 1767 ſchon 278 und im Jahr 1771 fogar 
597 Morgen. Dieſes rafche Meberhandnehmen bes Kleebaues beförberte in der 
Gegend von Pforzheim namentlich das Beilpiel, welches die Kammergüter zu 
Bauſchlott, Karlshauien, Katharinenthal und Niefern gaben. Bergl, Draig, I, 
S. 114 und 115. 


Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim vom 17461789. 601 


durch die Macht des guten Beifpield za wirken und Gittlichkeit zu 
wecken und zu pflegen. Synodalverſammlungen und Kirchenvifitationen 
follten die Wirkſamkeit der Geiftlihen überwachen, ihre Fortbildung 
erleichtern, ihre Berufstreue ftärfen. Gleich duldfam wie fromm gefinnt, 
geftattete der Fürft den Fatholifchen Bewohnern feiner Hauptitadt und 
anderer Städte Bethaus und Schule und vermehrte die Zahl ihrer 
Geiftlichen. 

Allen feinen Beitrebungen zum Wohl feines Volkes ſetzte aber 
Karl Friedrich dadurch die Krone auf, daß er am 23. Juli 1783 
die Leibeigenſchaft aufbob. Laut fchallte der Jubel des Landes 
diefer Maßregel entgegen, und die Antwort, welche der Fürſt auf die 
Dankfagungen feiner Unterthanen ertheilte, lebt noch, ein Zeugniß 
feiner Gefinnungen, im Volle. Die Gemeinde Eutingen fegte da: 
mals dem Markgrafen das bei der dortigen Kirche ftehende Denkmal 
mit der Inſchrift: „Badens Karl Friedrih, dem Vater feines Volles, 
als er bie Leibeigenfchaft mit ihren Folgen, fammt dem Abzug aufhob 
und die Rechte der Menichheit berftellte, febte biefes Denkmal des 
Dantes die Gemeinde Eutingen am 23. Juli 1783. Wanderer diefer 
Straße, fag deinem Land und der Welt unfer Glüd, bier ift der 
edelfte Name Fürſt.“ Mahrlih, wenn je ein Fürft den Namen des 
„Vaters feiner Untertdanen” verdiente, jo war es Karl Friedrich! 

Wichtig für die Vergrößerung des Landes war der beim Tode 
bes lebten Markgrafen von Baden-Baden, Auguft Georg, 1771 erfolgte 
Anfall diefes Fürſtenthums an die baden-durlachiſche Linie. Das Gebiet 
der letteren wuchs dadurch von etwas über 29 Quadratmeilen auf bei: 
nahe 65, die Bevölkerung von faſt 100,000 Seelen auf 175,000. 
Bon andern Vergrößerungen Badens wird weiter unten bei den fran- 
zöfifchen Kriegen die Rebe fein. 

Einen großen Theil des DVerdienftes, das fi Karl Friedrih um 
fein Land und Volk erwarb, theilte mit ihm deſſen erjte Gemahlin 
Karoline Luife von Hefien-Darmftadt. Sie war eine Frau von 
reihen Geifte, tiefem Gemüthe und edler Gefinnung, und wurde des— 
balb nicht nur die Begründerin von ihres Gemahls häuslichem Glück, 
fondern fie wußte auch fein hohes Streben für des Landes Wohl an: 
zufeuern und zu beſtärken. „In allen wichtigern Staats- und Haus: 
angelegenbeiten wurde und blieb fie ihres Gemahls geheimfter Berather, 
weil fie einen durchdringenden und thätigen Geift, eine Erhabenbeit über 


602 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


eigene Herfchbegierde oder Nebenabſichten mit bem treuen Streben, es 
möge nur feine Würde und Befriedigung aus Allem hervorgehen, fo 
befcheiden verband, daß ihr ftiller Einfluß weniger bemerflih ward.“ 1) 
Nie richtig dies Urtheil über die edle Fürſtin ift, wird unten bei der 
Gefchichte der Pforzheimer Hauptinduftrie an einem Beifpiel von 
vielen gezeigt werben. Aus der Ehe mit der Markgräfin Karoline, 
die 1783 ftarb und am 18. April jenes Jahr in Pforzheim beige- 
fett wurde, gingen außer einer Tochter, welde in der Wiege verblich, 
drei Söhne hervor: Karl Ludwig, der als Erbpring 1801 zu 
Arboga in Schweden durch den Sturz des Wagens verunglüdte und von 
dem am 16. Februar 1802 zuerft das Herz, am 2. Juni desfelben 
Jahres der Leichnam in der Gruft zu Pforzheim beigefeßt wurde; 
— Friedrich, geftorben 1817, und Ludwig Wilhelm Auguft, 
der 1830 geftorbene Großherzog. 

Im Jahr 1787 ſchloß Karl Friedrich fein für das Fürftenhaus 
fo wichtiges zweites Ehebündniß mit der Freiin Karoline Geyer v. 
Geyersberg, der nachmaligen Gräfin ven Hocberg, F 1820. Glücklich 
auch in diefer Ehe erzeugte er in derjelben drei Söhne: Leopold, 
Wilhelm und Marimilian und eine Tochter, Amalie, die fpätere 
Fürſtin von Fürftenberg. 

Auf Karl Friedrich felbft, ſowie auf verſchiedenes Andere, was in 
diefem Kapitel berührt wurde, werde ich theils in dem jetzt folgenden 
Paragraphen, theils im nächſten Kapitel zurüdtommen. 


$ 2. Beſonderes. 


Der Regierungsantritt Karl Friedrichs erregte überall im Lande 
die froheften Hoffnungen. Die drei Städte des badifchen Unterlandes, 
Karlsruhe, Durlah und Pforzheim veranftalteten verfchiedene Feier: 
lichkeiten, jo Pforzheim am 28. November 1746 eine allgemeine Be: 
leuchtung der Stadt, bei welcher es an finnigen Transparenten mit 
paffenden Inſchriften nicht fehlte. 2) Als der junge Markgraf kurze 
Zeit nad feinem MNegierungsantritt der Stadt Pforzheim den erften 


) Drais, Baben unter Karl Friebrih I, ©. 134. 

*) Drais in feinem Baben unter Karl Friedrich theilt fie Bb. I, Bei: 
Tage II mit. Der Markgraf hatte die Sammlung biefer verſchiebdenen Injchriften 
viele Jahre in feinem Kabinet hängen, 


Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789. 603 


Befuch machte, dem während feiner Regierungszeit noch viele andere 
folgten, jo wurde er von dem ftäbtifchen Bürgermilitär, weldes in 
Infanterie und Weiterei, unter leßterer eine anſehnliche Kompagnie 
Hufaren, beftand, feierlichft abgeholt. Die Stadt hatte auch alle Ur- 
fachyen, dem Markgrafen jede mögliche Aufmerkſamkeit zu erweiſen; denn 
Pforzheim wäre ohme ihm nie zu der Bedeutung gelangt, zu welder 
fich die Stadt ſchon im vorigen, noch mehr aber im laufenden Jahr: 
hundert erhoben hat. os | 

Das MWichtigfte, was unter der Regierung Karl Friedrichs in 
Bezug auf die äußern Verhältniſſe Piorzheims geſchah, war die Ab: 
löſung der Lehensverbindlichkeit gegen die Pfalz. Es ift oben (©. 141) 
erzählt worden, daß zu den Bedingungen, weldye Markgraf Karl I. 
1463 nad) der unglüdlihen Schlabt bei Sedenheim eingehen mußte, 
auch die gehörte, daß er feine Stadt Pforzheim zu einem pfälzifchen 
Lehen zu machen, genöthigt wurde, weldyes durch nichts als die Be- 
zahlung einer Summe von 40,000 fl. aufgefagt werden konnte, Schon 
unter ber Vormundſchaft, welche während Karl Friedrichs Minderjäh— 
rigkeit die Regierung führte, nämlich am 23. Juni 1740, war wegen 
Aufhebung bes Lehenverhältniſſes ein Vertrag mit der Pfalz abge⸗ 
ſchloſſen worden, der jedoch nicht zum Vollzug kam, weil ſich wegen 
des Gelbwerths Meinungsverſchiedenheiten ergaben. Am 14. Mai 1750 
kam es zu Abſchließung eines weitern Vertrags, im welchem allen An⸗ 
ſtänden dadurch ein Ende gemacht wurde, daß man wegen des gegen 
früher veränderten Geldwerthes die Ablöſungsſumme auf 60,000 ſ. 
feſtſetzte. Dieſelbe wurde auch alsbald an einem Darlehen von 300,000 
Gulden, welhes Baden-Durlad) an Kurpfalz gemacht hatte, abgezogen, 
So nahm alfo ein Verhältniß ein Ende, weldes Pforzheim im dreißig: 
jährigen Kriege fo bittere Früchte getragen hatte. (©. 411 ff.) 

Einen Beweis, mit welcher Eiferfucht die Pforzheimer immer noch 
ihre Privilegien hüteten, lieferte das Jahr 1765. Damals wurde näm— 
lich der Erbvertrag mit Baden-Baden abgeſchloſſen und auf Grund 
desjelben in den Landestheilen beider Linien eime Erbhuldigung borge: 
nommen. Obgleih nun Karl Friedrich Thon bei feinem Regierungg: 
antritt die Freiheiten der Stadt Pforzheim bejtätigt hatte, fo wollten 
dody die Bürger derſelben bei der Forderung der neuen Huldigung 
diefelbe nicht eher leiſten, als bis nach den Beitimmungen der Stadt— 
ordnung von 1491 die Konfirmation der jtüdtiihen Privilegien voraus: 


604 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 


gegangen. Es bedurfte eines befondern berubigenden Schreibens bes 
Markgrafen, um die aufgeregten und widerftrebenden Gemüther zu 
beſchwichtigen. 1) 

Es ift im vorhergehenden Kapitel der Gründung des Waifen- 
baufes in Pforzheim gedaht worden. Spinnen wir bier die 
Geſchichte desfelben und der Veränderungen, die mit diefer Anftalt vor— 
genommen wurden , weiter fort. Es ift dies, ich muß es wiederholen, 
um fo nötbiger, als die Entwidlung der gewerblichen Verhältniffe in 
Pforzheim damit zufammenbängt. 2) 

Daß und wie das MWaifenhaus in Verfall gerathen war, ift oben 
ſchon erzählt worden. Auf einen von zwei Angeftellten der Anftalt 
4750 mit großer Offenheit eritatteten Bericht hin wurde eine Kom: 
miffion ernannt, um den Zuftand der Anſtalt zu unterfuchen und wegen 
Verbeſſerung desfelben ein Gutachten zu erftatten. Auf diefes hin wurde 
die nämliche Kommiffion auch mit der Reform des Waiſenhauſes bes 
auftragt und ihr dazu ausgedehnte Vollmacht eingeräumt. Das mit 
Energie begonnene Wert wurde auch rafh zu Ende geführt. Alle 
Bedienfteten der Anftalt, mit Ausnahme des Verwalters, Pfarrers und 
der beiden Verzte, erhielten ihre Entlafjung, und wurde überhaupt der 
Anftalt felbft eine ganz andere Einrichtung gegeben, welche mit dem 
23. April 1752 ing Leben trat. 3) Insbeſondere hatte man ftrengere 
Beftimmungen über die Aufnahme von Pfleglingen getroffen. Da fich 
auch das bisherige Zuchthausgebäude in einem fehr ſchlechten Zuftand 
befand und die gemachten Erfahrungen eine Trennung des Waifen: und 
Zuchthauſes durhaus erheiichten, jo wurde auf Staatsfoften ein neues 
Zuchthaus gebaut, das auf 24,203 Gulden zu ftehen fam. Die Grund: 
fteinlegung fand am 27. April 1752 ftatt 4) und murbe das neue 


) Dasfelbe befindet fih im ſtädtiſchen Archiv. 

2) Zur nachfolgenden Darftellung Ank wiederum die [hen ©. 572 ange: 
führten Quellen benügt worden. 

s) Es erichien eine eigene Schrift darüber unter dem Titel: „Ausfchreiben 
ber bochfürftl. marggr, BadensDurlahifchen zu ber Pflege des Waifenhaufes 
zu Pforzheim gnädigſt verorbneten Kommiffion an gefammte Städte und 
Dorfsgemeinden der fürftlichen Lande“. 

*) Der Grundftein befindet fih auf ber hintern Ede ber jeßigen Heil» 
und Pflegeanftalt, und zwar auf ber Seite gegen ben Mühlfanal, Er ift hohl 
und liegt eine zinnerne Tafel darin, auf welcher eine ausführliche Inſchrift 
eingegraben if. 


Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746-1789, 605 


Gebäude noch im November des nämlihen Jahres bezogen. Auch im 
Innern des Waifenhaufes wurden verfchiedene bauliche Veränderungen 
vorgenommen. Da es am einem geeigneten Keller fehlte, jo erhielt die 
Anftalt den noch vorhandenen und noch brauchbaren Keller des ehema— 
ligen Barfüßerflofters fammt dem ganzen Pla, worauf letzteres ges 
ftanden, vom Markgrafen zum Geſchenk. Die in der Anftalt befind: 
lichen Fabriken fuchte die Kommiſſion hinauszufchaffen; bloß die Leine: 
weberei wurbe beibehalten, arbeitete jedody von diefer Zeit an nur für 
ben Gebraudy des Hauſes. Für die übrigen bisher betriebenen Fabriken, 
nämlih die Tuchmacherei, die Strumpfmeberei und die Zeugmacherei, 
wies der Markgraf ein eigenes Gebäude an, und ließ zu demſelben 
bie erforderlihen Magazine erbauen. Allein die Bemühungen ber Kom: 
miffion, dieſe Fabriken in gehörigen Gang zu bringen, hatten den er- 
wünſchten Erfolg nit, und mehr und mehr machte fich die Ueber— 
zeugung geltend, daß folhe Unternehmungen durchaus die unmittelbare 
Berwaltung und Auffiht des igenthümers und deſſen beftändige 
Gegenwart erforderten. Man konnte jedoch die Fabriken ſchon aus dem 
Grunde nicht ganz fallen laſſen, weil das Zuchthaus fonft feine andern 
Einkünfte Hatte, als was die Arbeit feiner Inwohner ertrug; aud das 
Waiſenhaus erhielt durch das, was die Knaben verdienten, einen nicht 
unbebeutenden Zuſchuß. Da fih nun einige Pforzheimer Kaufleute, 
nämlih Ch. C. Kißling, D. L. Wohnlih, E. L. Deimling und E. 
B. Beer, geneigt zeigten, jene Fabriten mit ihrem ganzen Kapital 
und allen ihren Privilegien und Freiheiten zu übernehmen, jo wurde 
mit diefen Herren 1753 ein dahin abzielender Vertrag abgeſchloſſen, 
ihnen aber die Verpflichtung auferlegt, im Zucht: und Waifenhaus 
gegen einen beftimmten Preis beftändig für ihre Fabrik arbeiten zu 
laſſen. Unter der Firma Kißling, Wohnlih und Comp., fpäter Wohne 
lich, Deimling und Comp., der fogar 1778 das Recht des freien 
Bezugs von jährlich 100 Klaftern Tannenholz gegen alleinigen Erjab 
von 30 Kreuzern Macher: und Seerlohn unter der Bezeichnung „Pri— 
vilegienholz für die Wollfabrik Pforzheim“ zugeftanden wurde, kam das 
Geſchäft bald in Flor, da die neuen Eigenthümer weder Mühe nod) 
Koften fhenten, und namentlich auch gefchidte Arbeiter und zweckmäßige 
Werkzeuge vom Ausland fih zu verihaffen mußten. Sie fabrizirten 
meiftens wollene Zeuge, Strümpfe und ordinäre Tücher, welch letztere 
der Fabrik für das Militär und die Xivree der Hofbedienten vertrags⸗ 


606 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


mäßig abgenommen wurden. Auf diefe Weiſe hatte ein wichtiger 
Fabrifationszweig feinen Weg von dem Waifen: und Zudt- 
haus in die Stadt gefunden, ber bald dadurd einen größern 
Umfang erbielt, daß noch andere Tuch- und Zeugmacher fi in ber 
Stadt anfiedelten und auf eigene Rechnung arbeiteten. ') 

Mar das Waiſenhaus ſchon bei feiner Gründung reich dotirt wor— 
ben, jb wurden die Einfünfte desjelben auch jpäter vermehrt und zwar 
namentlih dadurch, daß die Megierung ihm verſchiedene Taren zuwies. 
Den anjehnlichften Zuwachs erhielt aber der Waiſenhausfond im Jahr 
1759 dadurd, daß ihm von den Almofenkapitalien der meiften badifchen 
Bemeinden der Betrag von 37,768 Gulden unter dem Vorbehalt der 
umentgeldlihen Aufnahme der Waifen aus den betreffenden Orten ein- 
verleibt wurde. (Weitere 12,000 fl. verwendete man zur Gründung 
eines Landes:Almofenfonds). 2) Am Jahr 1768 wurde der Grunditod 
des Maifenbaufes um weitere 11,533 fl. 5 fr. dur eine neue Stif⸗ 
tung, die von Bernhold'fche, vermehrt, von deren Zinfen 12 Waifen 
erhalten werden ſollten. Auch von Seiten des Fürften hatte ſich das 
Maifenhaus mehrfah der großmütbigften Unterftüßungen zu erfreuen, 
namentlich in den Xheurungsjahren von 1771 und 72. 

Troß der früher im Waiſenhaus bezüglich der Errichtung ven 
Fabrifen gemachten fchlimmen Erfahrungen tauchten derartige Pläne 
doch wieder auf. Im Jahr 1767 wurde eine Uhrenfabrik im Waifen: 
haus angelegt. Welchen Fortgang diefelbe nahm, wie fie gleich den 
früheren Fabriken nad und nad in der Stadt jelbft feiten Fuß 
faßte und dadurch den Grund zu der jet fo blühenden Haupt: 
Anduftrie Pforzbeims gelegt wurde: dies ausführlich darzuftellen, mag 
einem befondern Abfchnitt vorbehalten bleiben, Es genüge bier vorder—⸗ 
band die Bemerlung, daß das Jahr 1767 als das Geburt 
jahr der Pforzbeimer Bijonteriefabrifation zu betrach— 
ten ift. 

) Bon den genannten Befipern ging bie Tuchfabrik an Wohnlih, Grab 
und Söhne und 180) an Gülich und Finkenflein über, bis fie letzterer jpäter 


allein übernahm und in großen Flor brachte. (Leider ift diefe jo renommirte 
Fabrik im Jahr 1853 eingegangen.) 

2) 28 Gemeinden des Landes, darunter Pforzheim, gaben ihre Amofen- 
fapitalien nicht an das Waiſenhaus ab, ſondern bebichten ſolche unter ber 
Bedingung, daß fie wegen Aufnahme ihrer Waiſen fi mit der Verwaltung 
ber Anftalt Über einen angemefjenen Beitrag verftändigen wollten. 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 607 


Für das Waiſenhaus felbft war diefe Fabrik eben fo wenig fegen- 
Bringend, als dies früher der Fall geweſen. Die in denfelben beſchäf— 
tigten Waifenfinder follten vertragsmäßig 6 Jahre lang für bie Geſell⸗ 
ſchaft, welche die Fabriken unternommen, und ſodann 2 Jahre lang 
zum Beſten des Waiſenhauſes arbeiten. Allein ſo weit kam es bei den 
wenigſten. Der größte Theil dieſer Fabriklehrlinge wurde noch vor 
beendigter Lehrzeit oder nach Umfluß der erwähnten 6 Jahre von den 
Fabrikunternehmern entlaſſen. Dadurch ging für das Waiſenhaus der 
von jenen 2 Jahren erwartete Vortheil nicht nur verloren, ſondern 
dasfelbe büßte audy in Folge der Yangen Emährung feiner Pfleglinge 
einen großen Theil feiner Fonds ein, namenflih da auch die meiten 
Koftgeldforderungen am ſolche (nicht Maifen:) Knaben, welche zur Lehre 
in die Fabriken und deshalb zur Verpflegung in das Waiſenhaus auf- 
genommen worden. waren und für welche man 1770 in der Anftalt 
ein eigenes Haus erbaut hatte, in Abgang gefchrieben werden mußten. 
Auch in noch anderer Weiſe gefchab dem Vermögen diefer Anftalt bes 
beutender Abbruch, indem nämlich die Anzahl der Züchtlinge, die eben: 
falls dem Waifenhausfond zur Laft fielen, immer mehr zunahm. Alle 
Vorftellungen wegen Erſatz des Schadens, den letztere dem Waiſenhaus 
verurfachten, blieben vergeblidh. 

Auch Shlimme Erfahrungen anderer Art trugen nicht wenig dazu 
bei, ben fernern Beſtand des Waifenhaufes als gefchloffene Anftalt in 
Frage zu ftellen. Es hatte fih gezeigt, daß die gemeinfame Erziehung 
fo vieler Kinder in einem Haufe weit weniger tauge, als wenn jedes 
derfelben in feinen gewohnten WBerhältnifien verbleite und ihm der 
Segen einer guten Familienerziehung zu Theil werde. Es wurde des: 
bald beſchloſſen, das Waiſenhaus als folches aufzuheben‘, von der per: 
fönlichen Aufnahme und Berpflegung der Waifen demgemäß Umgang 
zu nehmen, fie aber dafür alle in geeignete Häufer in Koft zu thun. 
Dies gefhah in den Jahren 1773 1) und 1774 auch wirklich, und 
zwar gegen ein jährliches Koftgeld von 4 bis 50 Gulden. Neben ber 
beſſern Erziehung wurde auf dieſe Weiſe aud der Vortheil erreicht, 
daß ftatt der 150 Maifen, welche man bisher als höchſte Zahl in bie 


) Die Entfernung ber Waijen aus ber Anftalt wurde beichleunigt durch 
eine epibemifche Krankheit, bie in Pforzheim ausbrah und die auch im Waifen: 
haus deswegen ſehr um fich griff, weil immer 3 Knaben in einem Bett lagen. 


608 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 


Anstalt hatte aufnehmen können, deren nunmehr etwa 400 in Ber: 
pflegung gegeven werden konnten. Die befondere Waiſenhausſchule ließ 
man noch bis 1799 fortbefteben, in welchem Jahr fie jodann aufge 
hoben wurde. Gleiches geſchah mit der Waijenhanspfarrei im Jahr 1805. 

Eine Trennung des gemeinjhaftlihen Vermögens des Waifen-, 
Irren⸗, Siechen:, Zucht: und Korreftionshaufes, weldhes auf 279,622 fl. 
22 Er. berechnet wurde, erfolgte 1803, und erhielt der Maifenfond 
bievon 100,622 fl. 22 fr. zugemiefen. Davon waren jedoch nur 
43.022 fl. reelles Vermögen, mit 17,328 fl. 40 kr. wurde der Fond 
durch das Recht zu Kollekten und freiwilligen Gaben, und mit 40,249 fl. 
20 tr. duch Zutbeilung von Tars und Gtrafbezügen ausgewieſen. 
Griteres Recht ift dem Fond geblieben, 1) letzteres durch veränderte 
Tar- und Sportelordnungen aufgehoben, und trat die Staatskaſſe in 
die Bezüge ein, bezahlte jedoch bis 1829 dafür dem Waifenfond eine 
jährlihe Averfalfumme von 2949 fl. 20 fr. Diefer „Baden-Dur: 
lachiſche evangeliihe Waifenfond,* in welchen fich feiner Zeit auch bie 
3 Herrfchaften Lahr, Mahlverg und Lichtenau mit einer Eumme von 
6979 fl. 3 kr. einkauften, betrug am 1. Juni 1858: 116,237 fi. 
58 fr. und wird von den vier Partikularverrehnungen Karlsruhe, Lahr, 
Pforzheim und Rheinbiſchofsheim verwaltet. Im Jahr 1855 murden 
aus bdemjelben 422 Waifen mit Benefizien zu je 10 Gulden unterſtützt. 
Letztere find feit 23. April 1857 auf 12 Gulden erhöht. Bei Gefuchen 
um ſolche wird unter fonft gleihen Umftänden den Waijen aus ben: 
jenigen Orten, welche früher ihre Almojenfapitalien zum Waifenhaus: 
fond eingeworfen haben oder fonjt noch Beiträge leiften, den Vorzug 
gegeben. 

Hiemit endigt eigentlich die Geſchichte des MWaifenhaufes. Zur 
Bervollftändigung des Bisherigen möge übrigens bier noch in gebräng: 
ter Kürze erwähnt werden, melde Veränderungen fonft noch in den 
fortbeftehenden Anftalten und ihren Gebäulichkeiten erfolgten. Es er: 
ſpart dies zugleich ein fpäteres Zurückkommen auf diefen Gegenitand. 
Ale Räumlichkeiten des Waifenhaufes, mit Ausnahme derjenigen, welde 
die Uhrenfabrik inne hatte, wurden nad Aufhebung des Waifenbaufes 


1) In Pforzheim bezieht derſelbe überdies bis auf den heutigen Tag in 
Stadt und Altftadt das Opfergeld, das bei Kommunionen, Taufen, Leichen und 
an Bettagen fällt, BDasfelbe beträgt bermalen die jährliche Summe von 
300—350 fl. 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 609 


allein für das Siechen-, Irren- und Zuchthaus verwendet, was um fo 
nöthiger war, als die Zahl der Pfleglinge bez. Züchtlinge diefer kom— 
binivten Anftalt mit jedem Jahr zunahm. Im Jahr 1804 wurde die 
Trennung des Zuchthaufes vom Irren- und Siechenhaufe vorgenommen, 
und am 17. September diejes Jahres die ſchwererern Verbrecher (30 
an der Zahl) in dns Zuchthaus zu Mannheim, die Teichtern aber (66) 
in das Zuchthaus nach Bruchſal abgeführt, dafür aber die in Mann 
beim befindlichen Irren hierher übergefiedelt, Mit der hiefigen Anftalt 
blieb blog noch ein Korrektionshaus verbunden, das gewöhnlid aber 
nur 7—12 Sträflinge zählte, bis auch diefe 1808 in das in ein Kor 
veftionshaus umgewandelte Zuchthaus in Bruchfal verbracht wurden und 
blos die Irren- und Siechen hier zurückblieben. Die Zahl derjelben 
betrug im Jahr 1810 im Ganzen 160, nämlih 119 im Irrenhaus 
und 41 im Siedyenhaus. 

Waren auf folhe Meife nach und nady die Waifen, Pfründner, 
Züchtlinge und Korreftionäre ausgefchieden und blos die Irren und 
Siechen in einer Anftalt beifammen gelafjen wurden, jo wurde 1824 
auch die Trennung diefer beiden Arten von Kranken bejchloffen, und 
im folgenden Jahre zur Aufnahme für die Siechen ein eigenes Ge— 
bäude im ehemaligen Barfüßergarten zu Pforzheim aufgeführt (das 
jeige Zaubftummeninftitut). Da in die gleiche Zeit auch die von ber 
Regierung beſchloſſene Errichtung eines allgemeinen Arbeitshaufes fiel, 
jo wurde für dasjelbe das bisherige Lokal der Irren- und Giechen- 
anftalt erwählt, und für die Irrenanſtalt dagegen eine Lofalität in 
Heidelberg beftimmt. Alle diefe neuen Einrichtungen traten mit dem 
Jahr 1826 ins Leben, 

Bald aber zeigte e8 ſich, daß die neue, auf 70—80 Kranke be: 
rechnete Siechenanftalt zu Hein war, um allen Geſuchen um Aufnahme 
zu entfprechen. Das Gleiche war in Heidelberg der Fall, während dag 
neu errichtete Arbeitshaus zur Hälfte Teer ftand. Es wurde deshalb 
1829 befchlofien, im Arbeitshaus eine Yilialirrenanftalt zu errichten, 
in welche hauptfächlich Geiftesfieche, wie Blödſinnige, Cretins ꝛc. auf: 
genommen werden follten, und in zwei Jahren war auch diefe Anftalt 
von 130 Pfleglingen bevölkert. So blieben die Verhältnifie bis 1842, 
In diefem Jahr wurde die allgemeine Landesirrenanftalt Illenau, deren 
Bau 1830 beſchloſſen worden war, eröffnet, und alle Irren, ſowohl 


von Heidelberg, als der Filialirrenanftalt Pforzheim, — verbracht. 
Pflüger, Pforzheim. 


610 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 17461789. 


In die Lofalitäten der Teßtern zog nunmehr 1842 die Siechenanftalt 
wieder ein, und das neuerbaute Siechenhaus wurde ber Taubſtummen⸗ 
anftalt zugewiefen. So waren jet die Siechen- und die polizeiliche 
Berwahrungsanftalt — in eine foldhe war 1840 das Arbeitshaus ums 
gewandelt worden — wieder auf einem Areal beiſammen. Wieder: 
bolte Erfahrungen mußten jedoch wie früher zu der Meberzeugung füh— 
ten, daß eine Straf: und eine Krankenanftalt, in einer Lolalität ver- 
einigt, fich in ihrem Gedeihen gegenfeitig nur hinderlich feien. Ueberdies 
ftellten fi die Räumlichkeiten der Siechenanſtalt mehr und mehr als 
unzulänglic heraus. Es wurde deshalb im Jahr 1854 die polizeiliche 
Derwahrungsanftalt nah Kislau verlegt, und die bisherigen Xofalitäten 
derfelben der Eiechenanftalt, die nun den Namen „Heil— und Pflege 
anftalt Pforzheim“ erhielt, ebenfalls zugewielen. Damit haben 
diefelben auch ihren urfprünglihen Stiftungszweck wieder erhalten. 


$ 3. Inneres. 
(Städtifche Verhältniffe, Gewerbe, Handel, Kirchliches, befondere 
Ereigniſſe zc.). 


Mir find früher mehrfah Sagen über den Zerfall des gemeinen 
Weſens in Pforzheim begegnet; auf eine Wiederholung bderfelben ftoßen 
wir im Jahr 1750 und zugleich auf die Bemerkung, daß der damalige 
Bürgermeifter Henning die meifte Schuld daran trage. In wie weit 
diefelbe gegründet war, wollen wir bier nicht unterfuchen, wohl aber 
bemerten, daß der Bürgermeifter immer noch auch die Rechnung über 
die ftädtifhen Einnahmen und Ausgaben führte und im Ganzen einen 
Gehalt von 100 Gulden bezog. Alle ftädtiihen Aemter, welche oben 
(S. 237) in der Stadtordnung von 1491 genannt wurden, beftanden 
damals noch und hatte ſich ihre Zahl ſogar vermehrt, jelbftverftändfich 
auch der Aufwand dafür, da im Lauf der Zeit die Befoldungen nad 
dent veränderten Geldwertb hatten erhöht werden müſſen. So erhielt 
der Baumeifter von 1750 an ftatt der bisherigen 20 Gulden deren 
jährlih 50. Schon damals wurde der Vorſchlag gemacht, die Zahl 
jener Aemter zu verringern, was indeß erft fpäter gefchab. (Auf Bür— 
germeifter Henning folgte 1750 Kummer, 1758 Steinhäufer, 
nah ibm bis 1770 Weiß, ſodann bis 1775 Kißling, 1783 
Günzel, 1795 Geiger :«c.) 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 614 


Von den 1750er Jahren an fcheinen fi die Verbältniffe immer 
günftiger geftaltet zu haben. Einen Beweis für das Aufblühen Pforze 
heims liefert mwenigftens das Steigen mander Staatseinmahmen. Go 
belief ſich der jährlihe Crtrag des Pfund: und Landzolles in Pforz- 
heim von 1757—1766 durchſchnittlich auf 2498 fl., von 1767—1776 
auf 2772 fl., von 1777—1786 aber bereits auf 4139 fl., — bes 
Dhmgeldes in derfelben Zeit von 1702 fl. auf 1978 und 3303 fl. 
Daß vornehmlich durch die gefteigerte Gewerbthätigkeit ſolch günftigere 
Ergebnifje erzielt wurden, wird unten nachgewiefen werden. 

Daß der Haupttheil der Wehrpflicht der Bürger bei Einfithrung 
des ftehenden Militärs auf dieſes überging, iſt oben (©. 577) gefagt 
worden. Dody blieb den Bürgern, wenn fie auch nicht mehr felber 
ins Feld rüden mußten, wenigſtens immer nody die Bewachung der 
Stadt, jelbft in dem Fall, wenn eine Garnifon in derfelben lag. Auch 
dieſes Geſchäft fcheint nad) und nad ein überläftiges geworben zu fein; 
derm im Jahr 1778 wurde die bisher beftandene allgemeine Wehrpflicht 
aufgehoben und dafür, wie anderwärts auch geihab, das Inſtitut der 
Stadtfoldaten eingeführt. Welcher Autorität fich diefelben erfreuten, 
ift allgemein befannt, und noch lebende Zeitgenofien wiſſen viel von den 
Poſſen zu erzählen, die diefen Sicherheitswächtern gefpielt wurden. 

Sehen wir ung nunmehr nad) der weiten Entwiclung der ge: 
werblihen Verhältniffe in Pforzheim um, fo meit folche nicht fhon im 
vorhergehenden Paragraphen berührt worden find, und verweilen wir 
zuerft bei dem Floßweſen. ine neue Zunftordnung für die Flößer 
war fchon unterm 26. März 1740 von Seiten der fürftl. Vormund— 
ſchaft erlaffen worden. 1) Nach entiprehendem Eingang enthielt diefelbe 
nähere Beitimmungen über die Erwerbung des Meifterrechts, die Lehr: 
zeit, die Floßzeit (Mitfaften bis Martini), über etwaige Schmähungen 
ber Flößer unter einander, Verbot des Holzentlehnens, des Einfteheng 
in den Jahrkauf, des Abführens von mehr als 3 Flößen auf ein Mal, 
bes Abhauens von Holzzeichen, des Fürkaufs, der Gemeinſchaften mit 
ausländifchen Flößern oder Dienftleiftung an diejelben, des Wegver: 
fperrens, des Arbeitens an Sonn: und Feiertagen, Beitimmungen wegen 
Floßknechten, Hauern, der Reihenfolge bei Verwendung von Flößern, 
wegen Bezahlung von Strafen, Zöllen, wegen Abgabe von Holz zum 


N) Das Driginal derfelben befindet ſich bei den hiefigen — 
9 


612 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


Bauen x. — Von Wichtigkeit ift ferner der am 11. April 1747 zu 
Wildbad wegen des Scheiterholzflößens auf den Flüſſen Würm, 
Nagold, Enz, Near und Eiach zwiſchen Baden und Württemberg 
abgefchloffene Vertrag. 1) Derfelbe wurde, wie fein Eingang bejagt, 
hauptſächlich durch den mehr und mehr überhand nehmenden Mangel 
an Brennholz veranlagt, und darin in 48 Paragraphen das Nötbige 
feftgefett über Zölle und andere Abgaben (im Ganzen nicht mehr als 
11/, Er. vom Klafter), Herjtellung und Erhaltung von Wafjerbauten 
zum Behuf des Flößens, Entfhädigung an Mühlen: und andere Waf- 
ſerwetkbeſitzer, Niederſetzung einer desfallfigen Kommiſſion, Anweifung 
von geeigneten Pläten zum Holzberausziehen, Strafen wegen Holzent- 
wendungen (10 Gulden für jeden Fall), Verwendung von Arbeitern, 
Floßzeit (von Martini bis 30. April des folgenden Jahres), Erlaub— 
niß zum Nachtrieb an Sonn: und Feiertagen auf 12 Jahre, Abgabe 
von jährlichen 1500 Klaftern Buchen: und Tannholz aus württember- 
giſchen Staatswaldungen an das Eiſenwerk in Pforzheim, und zwar 
zu demſelben bingeliefert das Klafter zu 1 fl. 56 fr., Bengelholz zu 
1 fl. 30 kr. Beftätigung eines Ähnlichen Vertrags wegen Abgabe von 
Holz aus den Herrenalber Kloſter- und Loffenauer Gemeindewaldungen 
an den frühern Beitänder des Hammerwerks, ©. Burkhardt aus Bafel, 
Erlaubniß an den Herrenalber Klofterwirth Johann Adam Benngießer 
(Bendifer) zum Flößen auf der Alb, die Württemberg auferlegte Ver: 
pflihtung zur Abnahme von jährlichen 1000 bis 1500 Eentnern Eifen 
vom Eiſenhammer in Pforzheim, Crlaubnig zum Xransportiren von 
Eifen als Ablaft auf den Flößen ꝛc. 

Diele Beftimmungen der oben im Auszug mitgetheilten Zunftorb⸗ 
nung von 1740 traten wieder außer Kraft, als unterm 18. März 
1747 der neue Pforzheimer Flößerzunft-Verein gegründet 
wurde. Die Flößer hatten die Erfahrung gemacht, daß, wie das an 
obigem Tag verabredete, am 28. Februar 1749 revidirte und von ber 
Regierung genehntigte Statut des Vereins 2) befagt, „feit einiger Zeit 
viel [hädlihes Miftrauen, Stümpelei, Unordnung und Gebrechen bei 
diefer uralten Flößerzunft eingeriffen und dadurdy die von unfern Mit: 


’) Er befindet ſich in Abjchrift bei den Aften der Piorzheimer Flößerzunft. 
?) Es befindet ſich ebenfals im Abſchrift bei ben Aften der Pforzheimer 
Flößerzunft. 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789, 613 


flößern in zugehöriger Handirung vorhin ehrbarlic gefuchte Nahrung 
merklich zurüdgegangen.* Auch mochte ben ehrſamen Meiftern des 
löbl. Flößerhandwerks nicht entgangen fein, daß nur ein kümmerlicher 
Gewinn erziehlt wurde, fo lange Jeder für ſich handelte. Sie befchloi: 
fen alfo die Gründung eines Floßvereins, und legten zu dem Ende einen 
Fond von 26,000 Gulden, in 260 Portionen zu 100 Gulden beftehend, 
zufammen, (mehr als 12 Portionen durfte ein Theilmehmer, deren es 
zu Anfang 86 waren, nicht haben,) und gelobten fih, alle Holzkäufe 
und Verkäufe, Frachtafforde ꝛc. auf gemeinfchaftlihe Rechnung durch 
ihren Vorſteher zu betreiben. Dies ſchloß nicht aus, daß der Vorftand 
wieder einzelne Glieder in feinen Taglohn anftellte; ja es wurden bes 
fondere Beftimmungen für die möglichft gleiche Vertheilung diefer ſpe— 
ziellen Beſchäftigungsmittel getroffen. (Sonftige Beftimmungen der Sta: 
tuten betreffen den Eintritt jpäterer Theilnehmer, die etwaige Vermeh— 
rung des Grundfapitals, Vertheilung des Gewinnſtes oder Verluftes, 
Abkauf einzelner Portionen durch die Gefellihaft, Garantie des Befites 
von ſolchen, Feſtſetzung von Bereinstagen, Erwählung der Rechner und 
Deputirten und deren Bezüge, Entſcheidung von Streitigkeiten, Länge 
ber Flöße ꝛc.) — Das Unternehmen, das mit Umſicht und in Ein: 
tracht begonnen und geleitet wurde, gedieh jo vortrefflih, daß da und 
dort noch andere ähnliche Holzhandelsgejellihaften entitanden. Als in 
den 1750er Jahren eine württembergifche Gefellfchaft die Murg ober: 
bald Gernsbach flößbar zu machen unternahm, fo brachte e8 der wach— 
fame Vorſtand des Pforzheimer Floßvereins dahin, daß derfelbe in bie 
neue Murgkompagnie als ein Haupttheilhaber aufgenommen wurde. 
Der ganze Murghandel wurde in 48 Portionen getheilt, wovon 22 auf 
Pforzheim kamen. Der Vertrag wurde 1758 auf 30 Jahre gefchloffen. 
Aber noch mehr Fam dem Floßverein der Umftand zu Statten, daß die 
Murgkompagnie fih bald mit derjenigen württembergiihen Gefellihaft 
verband, welhe in Calw aufblühte und vorzugsweife auf den drei Flüf- 
fen flößte, die fich bei Pforzheim vereinigen. Die Verbindung wurde 
1763 auf 25 Jahre beichloffen. Nun wurde für den Schiffsbau eine 
Menge langer Tannenhölzer von dem Gebirg herab, und zwar nicht 
blo8 in vermehrter Zahl auf dem Nedar, jondern auch auf der Murg 
in den Rhein und nah Mannheim gefördert, dort aber an Zwiſchen⸗ 
händler für Holland verkauft. Der Floßverein in Pforzheim dehnte 
daneben feinen eigenen Holzbandel, ben er fi auf befondere Rechnung 


614 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 


vorbehalten hatte, nicht Über gemeines Bauholz und Sägwaaren aus, 
womit er bald einen großen Theil der am Nedar und Rhein Tiegenden 
Ortſchaften bis nah Worms hinab verforgte. 

Die fpätere Zeit fah ein Sinken und ftärkeres Wieberaufleben 
diefer Unternehmungen. Im Jahr 1777 börte ſchon wieder zum Theil 
die Verbindung mit der Galwer Geſellſchaft, und 1788 Töste fi bie 
Murgkompagnie auf. Mittlerweile war eine Faktorie für holländiſche 
Häufer in Pforzheim gegründet worden, melde in den umliegenden 
MWaldungen die Hölzer einfaufte und felbft für den Transport forgte. 
Der Faktor Böhringer führte aber nebenbei noch einen Holzhandel auf 
eigene Nechnung, jo daß alfo der Floßzunftverein dadurd Feine geringe 
Konkurrenz befam. Um ibn wieder empor zu bringen, ſetzte Karl 
Friedrich eine eigene Kommiffion nieder, und 1801 kam die größere 
Vereinigung der bolländifhen Kompagnie zu Stande, die ımter 
der Firma Böhringer, Mayer und Komp. nicht mehr blos bis Mann: 
heim, jondern nah Holland verflößte. Ihr Fond betrug eine "Million 
Gulden in 250 Aktien zu je 4000 Gulden. Die erwähnten hollän— 
bifchen Häufer, der Floßverein und Böhringer felbft wurden mit einer 
größern Anzahl Aktien bedacht. Für den Floßverein wurde einbedungen, 
dag feine Mitglieder allein das Recht haben follten, das bolländer 
Holz in den Rhein zu verflößgen. (Am 9. April 1802 ging der erfte 
große Rheinfloß der holländischen Kompagnie von Mannheim ab. Er 
war 7321/, Buß lang und 81 Fuß breit. Der damalige Kurfürft 
Karl Friedrich ſchenkte mit noch andern hohen Herrichaften dem neuen 
Unternehmen die größte Aufmerkfamteit, fpeiste auf dem Floß zu Mit 
tag und begleitete denfelben bei feiner Abfahrt bis zur Rheinfpige). 1) 
Beide Gefellihaften gediehen fo gut mit und neben einander, daß fidh 
1809 fogar noch ein drittes Comptoir unter der Firma Mayer und 
Fritdorf bildete. Doch davon. fpäter mehr, da wir ohnehin ſchon dem 
Zeitraum, deſſen Darftellung die Aufgabe diefes Kapitels ift, voraus: 
geeilt find, 

Wir müſſen bier auch noch der Flößerwittwenkaſſe ober 
Karl-Friebrichs-Stiftung gedenken, die im Juli 1789 ins Reben 
gerufen ward, Als nämlih damals mit dem Pforzheimer Floßverein 
ein neuer Holzakkord errichtet Mmurde, wies Karl Friedrich aus dem 


) Pforzheimer wöchentliche Nachrichten von 1802, 


Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789, 615 


berrichaftlichen Holzerlös auf 10 Fahre die jährliche Summe von 2000, 
alfo im Ganzen von 20,000 Gulden zur Gründung eines Fonds an, 
aus deſſen Zinfen den Wittwen bez. Waifen der Flößer, die Meifter 
geweien, jährliche Unterftügungen gereicht werden follten, und zwar in 
legterm Fall den Söhnen bis nad) vollendetem 18., den Töchtern bis 
zum 16. Jabr. Ich werde auf diefe Stiftung zurücdfommen, und be 
merke bier noch, daß für diefelbe 1791 Statuten entworfen und unterm 
29. Dezember 1792 beftätigt wurden, 

Das Beiipiel der Flößerwittwenkaſſe wurde 1792 die Veranlafjung 
zur Gründung einer Bürgerwittwenfaffe, deren Statuten die 
Regierung 1795 mit der Beitimmung beftätigte, daß alle neu zugeben: 
den Bürger Theil nehmen müßten, Nihtbürgern aber die Theilnahme 
freiftehen ſollte. Diefe Wittwenfaffe trug indeffen wegen verfehlter Or- 
ganifation fchon von Anfany an den Keim des Todes in ſich, und die 
Verwaltung, die nicht entjchieden genug war, half dazu mit, daß diefes 
Anftitut fpäter wieder aufhörte. 

Bon dem berrichaftlichen Eiſenwerk zu Pforzheim tft früher ſchon 
mehrfah die Rede geweien. Dasjelbe war fortwährend in Pacht 
gegeben. Im Fahr 1752 erbot fih der Kammerrath Philipp Jakob 
tion zu Karlsruhe, das fürftlihe Eifenwert zu Pforzheim ober: und 
unterhalb der Stadt zu kaufen. Der Regierung erſchien diefer Antrag 
erwünfcht, und wurde alsbald eine Kommiffion nad) Pforzheim geichict, 
um Zuftand und Vorräthe beider Gifenwerfe zu unterſuchen, pflicht: 
gemäß anzufchlagen und fodann, vorbehaltlich herrichaftlichen Ratifikation, 
einen Kaufkontrakt abzufchliegen. Dies gefhah am 7. November 1752, 
Die Kaufiumme betrug 43,000 Gulden. "Bon fonftigen Kaufbeding: 
ungen, die in der Kaufurkunde im Ganzen 20 Paragraphen füllen, 
erwähnen wir: Der Käufer ift für alle zum Eiſenwerk gehörigen Häu— 
fer und Güter frei von Schatzung, Zehnten, Kriegsanlagen (Kontri: 
bution ausgenommen), Bes und Einquartierung, hat Wirthſchaftsrecht 
auf dem obern und untern Hammer, jeded nur für Angehörige des: 
felben, ſowie Fuhrleute, Hauer, Köhler und Dienftboten, darf fein 
Ohmgeld bezahlen, hat das Recht, Salz und Vitktualien zu verkaufen, 
für die er pfund- und Tandzollfrei ift, — hat Fiſchrecht vom Flotzloch 
beim obern Hammer bis Ende des Faktoriegartens und beim untern 
Hammer im Blehwehrgraben, — barf”für von auswärts bezogenes 
Brennholz ebenfalls keinen ZoU bezahlen, darf Scheiterholz auf ber 


616 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


Würm und Enz beiflözen gegen Entrihtung des Wafferzolls, — er⸗ 
hält das Eifenmonopol für das Unterland auf 20 Jahre, muß aber 
der Herrſchaft dafür jährlich 500 Gulden bezahlen, — hat über bie 
zum Hammer gehörigen Leute Ztrafgewalt bis zu 24 Stunden Ge: 
fängnig und 1 Neichsthaler Geldftrafe, — zahlt für fein eigenes Fuhr- 
werk in der Stadt weder Weg-, noch Pflafter- noch Brüdengeld ꝛc. — 
Irion konnte fidy jedoch des neuen Erwerbs nicht lange erfreuen; denn 
er ftarb fchon 1755. Da er bedeutende Schulden hinterließ, jo verkauf: 
ten feine Gläubiger das Eifenwerk mit allen Gebäulichfeiten, Vorräthen 
Berechtigungen 2. um die Gefammtfumme von 28,000 Gulden an ben 
wiürttembergifhen Rommerzienrath Ehr. Fr. Lidell zu Neuenbürg und 
an den Klofterichaffner und Holzbhändler Joh. Adam Bendifer zu 
Herrenald, 1) Es mag bier noch bemerkt werden, daß dieſe beiden neuen 
Befiter, um dem häufigen Zank “über die Qualität des Eifens ein 
Ende zu machen, im Jahr 1761 freiwillig und ohne Entihädigungs- 
forderung auf das Eifenmonopol zu verzichten fi erklärten, wenn ihnen 
die Zahlung der jährlichen 5000 Gulden für das Negal abgenommen 
würde, Markgraf Karl Friedrich, der ein Feind aller Monopole war, 
ging auf diefe Bedingung fogleih ein. Das Eiſenwerk blieb in gemein: 
ſchaftlichem Befit von Lidell und Bendifer, bis der Sohn des erfteren 
um das Jahr 1811 feinen Antheil an Chr. Friedr. Bendifer, den 
Nachfolger des erſten Beſitzers aus diefem Geſchlecht, verkaufte, wodurch 
das Eijenwerk in den alleinigen Beſitz derjenigen Familie überging, in 
deren Händen es fid heute noch befindet. 2) 

Der ſchon feit Jahrhunderten in Pforzheim beftehenden berrichaft: 
lichen Leinwandbleiche (ihr Alter beweifen die fchon früh vorfom- 


1) Diefe Kaufurfunde, jowie die frühere, iſt no in ben Händen ber hie— 
figen Befiger des Eiſenwerks. 
3) Die bisherigen Befiger aus der Bendifer'fchen Familie waren und find: 
Roh, Adam Bendifer (1755) 


Ehrift. Frd. Bendijer 
* — 
Chriſtoph Benckiſer Joh. Adam Bendijer 


Fe a‘ 
Mori Bendifer Auguſt Bendifer. 
Der Ältere Lidell hatte 1765 den Charakter als Rentfammerratb erhalten 
und flarb 1793. Er machte vor feinem Tob bedeutende Stiftungen für Stubi- 
rende, Schulfeminariften, für das Karlsruher Bürgeripital und Almofen, 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 617 


menden Namen Bleichwieſe, Bleichſtaffel 20.) wurden in den 1740er 
Jahren verjchiedene neue Freiheiten verliehen, und führte diefelbe von 
1750 an den Namen „badifhe privilegirte Leinwandbleiche.“ Damals 
wurden zu Gunſten derjelben, als „allein bejtehend” nicht nur alle 
Nebenbleichen in Pforzheim bei Strafe von 10 Gulden. unterfagt, fon: 
bern ihr auch geftattet, ausländifhes Getuh zu bleihen. Die zur 
Bleiche gehörigen Güter waren zehntfrei und hafteten nur die gewöhn: 
lichen öffentlihen Steuern darauf. Doch mußte ſich der Erblehnpächter 
(von 1758 an Ritterwirth Weiß) nad Beendigung des Auslegens ber 
Tücher im Spätjahr den Weidgang im Nennfeldgarten gefallen Tafien ıc. 
Diefe Bleiche gelangte bald zu großer Bedeutung, und wird die Menge 
der Leinwand, welche ihr von nah und fern zuftrömte, zu Ende des 
18. Zahrhunderts auf mehr als 100,000 Ellen angegeben. 

Haben wir das Wefentlichjte bezüglich der Entwidlung der ge- 
werblihen Verhältniſſe Pforzbeims, mit Ausnahme der Entftehung der 
Bijouteriefabrifation, der ein eigener Abſchnitt gewidmet werden foll, tm 
Bisherigen berührt, fo mag nunmehr auch noch verſchiedener anderer 
Verhältniffe gedacht werden. Im Fahr 1764 reihte ſich den ſchon feit 
Yängerer Zeit bejtehenden Pforzheimer Stiftungen eine neue an, näms 
ih die Wil derſinn'ſche. Am 29. September genannten Jahres 
vermacdhte nämlich der aus Pforzheim ftammende Glafermeifter Johann 
Michael Wilderfinn zu Augsburg ſammt feiner ebenfalls aus Pforzheim 
gebürtigen Frau Agnes Eva geb. Deimling ein Kapital von 1000 
Gulden mit folgenden Beftimmungen: Die Abminiftration desfelben 
fol dem Magiftrat der Stadt Pforzheim zukommen, zu bderfelben jedoch 
aus den beiden Familien Wilderfinn und Deimling ein verftändiger 
Mann beigezogen werben; die Stiftung darf aber nie mit andern Stif- 
tungen vermengt, fondern muß für immer unter dem Namen: „Wilder: 
ſinn'ſche Stiftung“ abgefondert verwaltet werden. Der Verwalter ber 
Stiftung, fei es der Bürgermeifter oder eine andere Magiftratsperfon, 
fol für feine Mühe aus den Zinfen des Kapitals jährlih 10 Gulden 
erhalten. Der Neft des Zinfes fol Angehörigen der Familien Wilder: 
finn und Deimling zu gut kommen, (zu erftern gehörten ftiftungsger 
mäß die Nachkommen des Vaters des Stifters, Chriſtoph Wilderfinn, 
ferner des Küfermeifters Joh. Martin Eppelin und des Schuhmadyers 
Chriſtoph Schmid, von Ießtern beiden jedoch nur bis ins vierte Glied; 
zur Deimling’ihen Descendung die Nachkommen des Großvaters ber 


618 Achtzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1746 —1789. 


Mitftifterin, des ehemaligen Bürgermeifters Chriftopp Deimling, bier 
wie dort jedoch mit Ausichluß der weiblichen Linie); nämlich fo, daß 
10 Gulden zur Anfhaffung von Büchern und Mänteln und zur Bes 
zahlung des Schulgelds für Knaben unvermöglicher Eltern, welche den 
beiden genannten Familien angehören, was nach Abzug obiger 20 Gulden 
no übrig, als Stipendium für ſolche, welche Theologie, Jura oder 
Medizin ftudiren würden, verwendet werden ſollen. Der Stipendiat fol 
vier Jahre im Genuß desjelben bleiben, jedoch im Genuß des Stipendiums 
zwifchen Angehörigen der Familien Wilderfinn und Deimling abgewech— 
felt werden, wobei unter Vorausſetzung befonderer Befähigung die Ver: 
mögensverhältniffe der Eltern nicht maaßgebend fein follen. In Er: 
mangelung von Stipendiaten follen die Zinfen zum Kapital gefchlagen 
und diefes fort und fort vergrößert werden. Iſt das Verhalten des 
Stipendiaten ein tadelnswerthes oder wird er der evang. lutherifchen 
Religion ungetren, fo verliert er das Stipendium und muß wieder 
erfeten, was er bereits genofjen, weshalb vorher Kaution oder Bürg— 
ſchaft zu ftellen it. Sind aus beiden Familien keine Stipendiaten vor— 
handen, jo kann daraus eine mittellofe ledige Tochter, die Waife ift, 
vom Ueberihuß der verfügbaren Intereſſen eine Ausfteuer erhalten, 
was unter Umftänden auch neben einem Stipendiaten gefhehen Tann. 1) 
Am Falle des Ausfterbens der beiden bezugsberechtigten Familien kann 
nach Ermeſſen des Stadtmagiftrats das Stipendium auch auf talent: 
volle Kinder anderer Kamilien übergehen. Sollte von irgend einer 
Seite der Verſuch gemacht werden, der Stadt Pforzheim diefe Stiftung 
zu entziehen, fo baben die beiden oben genannten Männer aus den 
Familien Wilderfinn und Deimling vollkommen Madt und Gewalt, 
bas Kapital an ſich zu ziehen, und es andern fichern Händen zu über: 
geben. So bie urfprünglihen Beftimmungen der MWilderfinn'fchen Stif— 
tung. Diefelben mußten indeß im Lauf der Zeit mehrfah abgeändert 
werben, was jedod immer im Sinn des Stifters geſchah. Wir werden 
darauf zurückkommen. 

Einer andern Yamilienftiftung, nämlih der Lamprecht'ſchen, er: 
wähnen wir bier nur, weil die Verwaltung derfelben in Pforzheim ihren 
Sit hat und zum Theil auch Angehörige des Amts bezugsberechtigt 

) Diefe letztern Beſtimmungen ber Stiftungsurfunde, die in Abjchrift im 


Stadtarchiv ſich befindet, find ziemlich undeutlich und fiehen im Widerſpruch 
mit einer frühern, 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 619 


find. Der Hofrat und Leibmedicus Johann Heinrich Lamprecht zu 
Durlach, früher Arzt am Waifenhaus in Pforzheim, beſtimmte näm: 
lich in feinem am 26. November 1753 verfaßten Teftament, daß im 
Fall Ausfterbens feiner und feines Bruders Nachlommenfchaft fein 
“ Vermögen für die männlihen Nachkommen des ehemaligen Schultheißen 
Johann Bernhard Lampredt in Wilferdingen in der Weiſe nußbar 
gemacht werden folle, daß die Zinfen desjelben an junge Leute, welche 
fi) „denen Stubiis, dem Militär, der Echreiberei oder einer andern, 
der Lamprecht ſchen Familie zur Ehre gereihenden nicht gemeinen Milz 
fenichaft widmen“, zur Beihilfe in beitimmten Summen ausgetheilt 
würden, (Das Vermögen diefer Stiftung betrug am 1. Juli 1861 
19,418 Gulden.) 

Berfchiedene kirchliche Verhältniſſe Pforzheims unter ber 
Regierung Karl Friedrihs find ſchon im vorhergehenden Kapitel berührt 
worden, fo u. A. die der reformirten Gemeinde dafelbft. Am Jahr 
1783 wurde auch den Katholiten das Recht des Gottesdienfies in 
Pforzheim eingeräumt, 1) nachdem feit dem weftphäliichen Frieden Fein 
folcher mehr gehalten worden war. Die Regierung. ftellte ihnen dazu 
einen Saal des Maifenhaufes zur Verfügung. Cine katholiſche Pfarrei 
wurde in Pforzheim indeſſen erft 1823 errichtet und den Katholiken 
alsdann die bisherige reformirte Kirche (Chor der Barfüßerkirche), bie 
in Folge der 1821 erfolgten Vereinigung der Reformirten mit den 
Lutheranern verfügbar geworden war, zur gottesdienftlihen Benützung 
zugewiefen. Mehr hievon weiter unten, — Das Chor der eben er: 
wähnten Barfüßerkirche war nämlich ftehen geblieben, als der Thurm 
diefer Kirche und fpäter letztere jelbft abgebrochen wurde. Der Abbrud 
des Thurms gefhah im Sommer 1748, weil er, wie es in ben be= 
treffenden Akten 2) heißt, in Folge des Brandes im orleans’schen Kriege 
„ruinos und dem Einfall nahe geweien.” 3) Die Ueberlieferung befagt, 
daß er fi) nach einer Seite, und zwar gegen die Brötinger Gaffe, 
geneigt gehabt hätte, d. 5. daß man befürchtete, er möchte einmal in 
diefelbe hinunterſtürzen. Diefer Thurm war bisher eine Zierde ber 


1) Vergleiche das Karlsruber Intelligenzblatt No. 37 von 1783. 

2) Großh. Domänenverwaltung bier. 

s), Beim Abbrud, den Schieferbeder Machtolf aus Böblingen um 150 fl- 
beforgte, ergaben fih 419 Pfd. Blei und 628 Pd. Eiſen. Derſelbe erfolgte 
unter bem geiftlihen und Stiftsverwalter Olnhauſen. 


620 Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789, 


Stadt gewejen. Er hatte eine Höhe von 200 Fuß, war „Eoftbar aus 
gehauen, bis oben auf ohne Dachwerk in Stein zierlih aufgebaut ;“ 
die Abbildung der Stadt von 1643 zeigt auch wirklich den gothifchen 
Styl diefes Thurmes. — Wir können hier gleich mit anfügen, welche 
Alterthümer um jene Zeit auch fonft noch in Pforzheim verſchwanden, 
wodurd das frühere Äußere und innere Anfehen der Stadt mehr und 
mehr verändert wurde. Im Jahr 1754 wurden die Kreuzgänge bes 
Dominitanerflofters, die feit dem Brand von 1692 noch ftehen 
geblieben waren, abgeriffen und auf dem Plate ein Garten angelegt. 1) 
(Dort fteht jet feit 1858 das neue Mädchenſchulhaus.) — Daß 1766 
au das St. Georgsfirhlein verſchwand, ift bereits (S. 561) 
gefagt worden, wie nicht minder von dem im Jahr 1763 erfolgten 
Abbruch des höchſten Thurmes im Schloß zu Pforzheim (S. 449) 
Erwähnung geihah. 

Ein ſchwerer Berluft traf die Stadt Pforzheim nicht lange ber: 
nach dadurch, daß die in den Fahren 1716—1721 (S. 550 ff.) neu 
aufgebaute, fehr fchöne Stadtfirde wieder abbrannte, Am 18. Mai 
1789 Grad im der Nähe derfelben im Haufe des Prokurators Kollmar 
(mo jett praftifcher Arzt Thumm) Feuer aus, welches bet dem heftig 
wehenden Südweſtwind ſich raſch der ganzen Häuferreihe mittheilte und 
bald aud den gerade gegenüberftehenden Thurm der Stadtkirche ergriff. 
Mit feinem Sturz auf das Kirchendach gerieth auch die Kirche in Brand, 
und in wenigen Stunden war der berrlihe Tempel ein Aſchenhaufen. 
Die Flammen wütheten indefien fort, obgleih man von allen Seiten 
zur Hilfe berbeieilte und fogar der Margraf Karl Friedrich mit dem 
Erbprinzen Karl Ludwig auf dem Brandplak erjchien, um die Anftalten 
zur Löſchung des Feuers felber zu leiten. Nachdem man letztern Zweck 
erreicht glaubte, brach am folgenden Nachmittag durdy das verborgen 
glimmende Feuer ein neuer Brand aus, der noch mehrere Häufer ver: 
zehrte, fo daß die Gefammtzahl der in Aiche gelegten Gebäude 50 be: 
betrug. (Die an verichiedenen Häufern der Schul:, Reuchlins-, Roſen⸗ 
und Altftädterftrage befindlichen Jahrzahlen beweiſen, daß diefelben nad 
dem Brand von 1789 neu aufgebaut wurden.) Die Stabtfirche ſelber 
blieb in Trümmern, big in den 1820er Jahren mit einem Neubau 





1) Deimlina fant im Vorwort zu feinem Drama: „Die 400 Pforzheimer“, 
er babe als Knabe oft in dieſen Kreuzgängen gefpielt. 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 621 


begonnen wurde. Man kam jedoch mit demfelben nicht über die Funda— 
mente hinaus. Der Einftellung des Baues folgte in den 1840er Jah: 
ven die Ehrung des Plabes, der nun, mit Bäumen bepflanzt, ale 
Schul: oder Reuchlinsplatz der fröhlihen Jugend zum Tummelplatz 
dient. Einer Stadtkirche entbehrt aber Pforzheim immer noch. — 
Wir dürfen nicht vergeffen, zu erwähnen, daß ſich ein Andenken an 
bie ehemalige Stadtkirche erhalten hat, nämlich das hölzerne Heilande: 
bild mit fteinernem Boftament, welches auf dem Schulplat ſteht. Das— 
felbe fol fih unter einem Vordach der Kirche befunden haben und 
nicht nur 1789, fondern auch bei frühern Bränden, wo e8 ſchon vor: 
handen gewefen, von den Flammen verſchont geblieben fein. 

Faſſen wir diejenigen andern Ereigniffe von Bedeutung, welche in 
den Zeitraum von 1746 bis 1789 fallen, nod in Kürze zuſammen. 

Im Jahr 1784, und zwar in den Iehten Tagen Novembers, ver: 
einigten fih 20 Theilnehmer zu einer Leſegeſellſchaft, d. h. zu 
gemeinfhaftlihem Halten von Zeitfchriften und Büchern. 1) Die nächfte 
Veranlafjung dazu gab der damalige Proreftor und fpätere Kirchen: 
rath Zandt 2), der zugleich die Leitung der Gefchäfte übernahm. In 
ben erſten Jahren hielt die Gefellfehaft ihre Zufammenkünfte in den 
Privatwohnungen der Mitglieder, bis im Jahr 1788 ein eigenes Lokal 
gemietbet und Gelegenheit zu täglicher gefelliger Bereinigung und Une 
terhaltung gegeben wurde. Bald vermehrte ſich die Zahl der Theil: 
nehmer und betrug 1788 ſchon 40, 1801 bereits 80. Im Jahr 
1808 erhielt die Geſellſchaft gedrudte Statuten, erwarb 1822 ein eige- 
nes Haus am Marktplag um nahezu 11,000 fl., erbaute 1826 im 
Hintergebäude einen Saal, um die gewöhnlichen Caſinos mit der Ge: 
fellichaft zu verbinden, und nahm den Namen Mufeum an. 3) Weber 
den bdermaligen Stand bdesjelben werden weiter unten Mittheilungen 
folgen. 

Am 29. Januar 1788 wurde in Karlsruhe ein glänzendes Er: 
innerungsfeit an die Schlacht von Wimpfen gefeiert. Durch das früher 
fhon (S. 391 und im Vorwort) erwähnte, von dem Pforzheimer 
Kaufmann Ernft Ludwig Deimling verfaßte Trauerfpiel: „Die vierhun: 


N) Die ältefte Lefegejellichaft unjeres Lanbes entftand 1775 zu Emmendingen ; 
zu gleicher Zeit wie in Pforzheim wurde auch eine in Karlsruhe gegründet. 

2) Das Bildniß besfelben hängt im Saal bes Muſeums. 

8) Vergleiche die Statuten des Mufeums, (gebrudt 1844). 


6% Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


dert Pforzheimer Bürger,” das diefer bisher als Manufeript in feinem 
Pulte verwahrt, aber einmal dem Obervogt Wieland von Pforzheim 
und dem geheimen Hofratb Ning von Karlsruhe gezeigt Hatte, war 
man bei Hof auf die bisher unbekannte Heldenthat der 400 Pforz- 
heimer bei Wimpfen aufmerkſam geworden. Karl Friedrich beſchloß, 
das Andenken derſelben zu ehren und eine Erinnerungsfeier zu veran⸗ 
ftalten, Diejelbe fand, wie erwähnt, am 29. Januar 1788 in Karle: 
rube ftatt, und wurden die Nachkommen der Helden von Pforzheim, 
fowohl zur eigentlichen eier, bei der Dr. Pofjelt feine befannte Rede 
hielt 1) und an welcher der ganze Hof Theil nahm, als aud zur fürft- 
lichen Tafel eingeladen. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß die ganze 
Stadt Pforzheim ſich durch fol fchmeichelhafte Aufmerkſamkeit hoch— 
geehrt fühlte. 

Haben wir in frühern Kapiteln mehrfach des Beſuchs nicht nur 
badifcher Fürften, fondern auch deutſcher Kaifer in Pforzheim erwähnt, 
fo dürfen wir nicht unterlaffen, mitzutheilen, daß am 8. April 1777 
auch Kaifer Joſeph II. auf einer Reife nach Frankreich durch Pforz- 
beim kam, ja fogar in der Stadt übernadytete, Die Pforzheimer waren 
von der Leutfeligfeit diefes in jeder Beziehung ausgezeichneten Fürſten 
ganz entzüdt. . 

Unfere etwas chronikartig gewordene Behandlung des Schlufjes 
diefer Abtheilung müſſen wir nun aud neh, um Geitenftüde zu dem 
eben gefchilderten großen Brand zu haben, auf die Erzählung von 
Theurung und Waffersnoth erftreden, In den Jahren 1769 
und 1770 waren die Ernten ſchlecht ausgefallen, fo daß 1771 eine 
große Theurung und Hungersnoth entjtand, die auch in Pforzheim und 
dev Umgegend fehr fühlbar war. Im Mai 1771 erreichte das Malter 
Kernen den für jene Zeit fehr hoben Preis von 22 bis 23 Gulden, 
das Korn koſtete 15, die Gerfte 12, der Haber 6, das Welſchkorn im 
Juli 20 fl. Sonderbar war es num freilich, daß zur Zeit der höchſten 
Fruchtpreiſe auf den Wochenmärkten vom 16. und 23. Mai 8 Eier 
für 4 Kreuzer verfauft wurden und das Pfund Rindfleifh nur 74, 
Kreuzer, das Pfund Butter nur 16 Kreuzer galt. Was die Frucht 
preife betrifft, fo wären fie ohne die Mugen Maaßregeln der babdifchen 


!) Sie erihien im Drud unter dem Titel: Dr. Poffelt, dem Baterlandes 
tod ber 400 Pforzheimer. (Karlsruhe 1788.) 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 17461789, 623 


Regierung wohl noch höher geftiegen. — Der Anfang des Jahres 1784 
brachte in Folge des Eisgangs große Waffersnoth. Am 17. Januar 
brach das Eis, und ungeheure Eisſtücke bededten die Ufer der Enz und 
Nagold von der Altftadt bis zum Kallbart. An der Auer Brüde ftaute 
fi) das Eis und ftand zuleßt höher, als die Brüde felber, jo daß das 
Waſſer in die Stadt nnd die Au eindrang und die Leute flüchten muß— 
ten. So blieb e8 drei Tage, bis ein Durchbruch des Eifes ftattfand, 
Der Stadtrath Tieß überall die Eisftüde zerſchlagen, die Altjtädter 
Brüde abtragen. Plötzlich aber entjtand wiederum eine fo große Kälte, 
daß die Flüſſe fajt bis auf den Grund zufroren. Im Februar trat 
Thaumetter ein, die Eismafje fette fihb am 26. in Bewegung, und 
näberte fich der Au. Am 27. Februar Morgens 6 Uhr nahm fie ihren 
eigenen Meg, brady durch die Platzgärten hindurch, und alles Holz und 
was das immer höher fteigende Waſſer mit ſich fortichleppen konnte, 
wurde weggeſchwemmt. Mauern, Zäune und Bäume wurden umgewor: 
fen und das Wirthshaus zur Tanne in der Altftadt vom Eis und den 
Fluten gänzlich weggeriſſen Es war ein Glück, daß der Eisgang auf 
ber Nagold und Würm nicht gleichzeitig mit dem auf der Enz erfolgte. 
Noch jest ift an oder in manchen Häufern die Waflerhöhe jener ver: 
bängnigvollen Tage angegeben, 


Anbang. 





Das alte Heilandsbild zu Pforzheim. 
Bon Eduard Brauer. 


Drei Mal ſank die Stabt in Flammen 
Krachend rings um dich zuſammen; 
Auch bein Haus, das pfeilerbobe, 
Wich der grimmempörten Lobe. 
Umgewandelt find die Straßen, 
Andre Site, andre Saſſen, 
Andrer Sinn und andre Zitte, 
Du nur in des Wechſels Mitte, 
Du allein, bift fteh'n geblieben, 
Bild des Heilands, unvertrieben, 
Bon der Glut nicht aufgerieben, 
Dauermädtig, wie fein Lieben, 


524 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1739. 


Alſo mag der Brand ber Zeiten 
Mancher Kirche Sturz bereiten: 

Hoch und bell, der Menſchheit Stern, 
Wirt du leuchten, Bild des Herrn. 


F 4. Entfiehung und Entwiclung der Bijouteriefabrikation in 
Pforzheim. 1) 
(1767 fi.) 


a. Erfte Anfänge Erridtung einer Uhrenfabrik. 


Es war zu Anfang des Jahres 1767, als fi der Uhrenfabrifant 
und Übrenhändler Johann Franz Autran, gebürtig aus Orange in 
ber Dauphinde, früber in Genf, damals aber in Bern ſich aufhaltend, 
in feinem und feiner Afjocies Amédée Chriſt in und Johann Viala 
Namen an die badifhe Negierung mit der Bitte wandte, in der Mark: 
grafihaft eine Uhrenfabrit errichten zu dürfen. Cr hatte fein Augen: 
merk dabei zunächſt auf die Stadt Lörrach gerichtet, und der dortige 
Dbervogt von Wallbrunn, den er um feine Empfehlung anging, Tieß 
ihm ſolche Fräftigft zu Theil werden, wie denn aud der geheime Le— 
gationsrath von Schmidt in Bern den Autran und feine Afjocies als 
Männer fchilderte, die alle „Attention“ verdienten. In einer an den 
Markgrafen Karl Friedrich gerichteten Denkfchrift machte Antran auf 
die großen Vortheile aufmerfjam, welche ein ſolches Unternehmen dem 
Lande bringen würde und ftellte eine Erweiterung bdesfelben in der 
Weiſe in Ausfiht, daß aud noch die Verfertigung von Pendules und 
bie Kabrifation von Bijouteriewaaren damit verbunden werben könnte. 
Zur Gründung feiner Fabrik verlangte aber Autran das nöthige Kapital 
von der Regierung, und zwar auf 12 Jahre unverzinslich, und machte 
darauf aufmerffam, daß auch die Kaiferin von Rußland, der König von 
Preußen und die Negierung von Bern verfchiedene Fabriktunternehmen 
in folder Weife unterftüßt hätten, Ferner ftellte er die Forderung, 
daß ihm in Lörrach, und zwar im dortigen Pädagogiumsgebäude, die 
zur Errihtung und Betreibung feiner Fabrik erforderlihen Lokalitäten 
eingeräumt werden müßten, Wenn jebocd ber Markgraf diefelbe auf 


ı) Quellen: Hauptfählih Aften des Großh. Generallandesardivs und 
bes Dberamts Pforzheim. 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 625 


eigene Nechnung übernehmen wolle, jo ftünden er und fein Affocies ihm 
ebenfalls zur Verfügung und würden ſich als fleikige und fachveritän: 
dige Männer alle Mühe geben, das Geſchäft recht Iufrativ zu machen, 
Autran reiste felbft nach Karlsruhe, um feine Sache perſönlich zu 
betreiben. Dort wurde ihm mündlich bedeutet, daß man es zwar fehr 
gerne fehen würde, wenn das von ihm beabfichtigte Unternehmen zu 
Stande käme, und deshalb geneigt wäre, ihm alle möglichen Begünfti- 
gungen einzuräumen; allen auf die verlangte Herfchießung der Fonds 
könne man fi) nicht einlaffen, da dies gegen die Grundfäte des Marke 
grafen gehe. Autran möge deshalb von diefer Forderung abftehen und 
neue Vorfchläge machen. Zu weiterer Unterhandlung wurde er an den 
geheimen Rath und Kammerpräfidenten v. Gemmingen verwiefen. 
Während feines Aufenthaltes in Karlsruhe Hatte Autran von der 
zur Errichtung von Fabriken fehr günftigen Lage der Stadt Pforz- 
beim, forwie von dem dortigen Waifenhaufe nähere Kenntniß erhalten, 
Er reichte deshalb eine zweite ausführlichere Denkſchrift ein, worin er 
einen neuen Plan, nach welchen feine Fabrik mit dem Waifenhaufe 
verbunden werden follte, näher entwidelte und verſchiedene darauf bezüg- 
lihe Vorſchläge machte. Diefer Dentihrift folgte fpäter noch eine 
dritte. E8 würde zu weit führen, den Gang der Unterhandlungen 
umftändlich zu verfolgen. Es genüge deshalb die Bemerkung, daß es, 
nahdem von der Waifenhausfommiffion in Pforzheim ein Gutachten, 
vom geheimen Rath Reinhard verfaßt, eingefordert worden war, am 
6. April 1767 zur Abſchließung eines Vertrages kam, der in 24 Para— 
graphen im Wejentlichen folgende Beftimmungen enthielt: Autran und 
Comp. verpflichten fih, auf ihre Koften und ihre Rechnung im Laufe 
des Monats Juni 1767 in Pforzheim eine Fabrik zur Herftellung 
zunähft von Taſchenuhren, fpäter auch von Stoduhren zu errichten und 
für Gewinnung der dazu erforderlichen Arbeiter, fowie für Anſchaffung 
der nöthigen Werkzeuge, mit Ausnahme derer für die Lehrlinge, welche 
die Herrichaft im Betrag von etwa 3 Louisdor für jeden felber bezah— 
len muß, Sorge zu tragen. Sie verpflichten fich ferner, fowohl beim 
Beginn des Geſchäfts, als in jedem der kommenden fünf Jahre 20 
Knaben und 4 Mädchen, im Alter von mindeftens 12 Jahren, aus 
dem Waifenhaufe, dem die Sorge für deren Unterhalt und Bekleidung 
während der jechsjährigen Lehrzeit überlafien bleibt, in die Lehre zu 


nehmen, jo dak nah Umfluß von 6 Jahren bie 88 der Lehrlinge 
Pilüger, Pforzheim, 


626 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


144, nämlich 120 männliche und 24 weibliche beträgt. Wenn bas 
Waiſenhaus fo viel junge Leute nicht liefern Tann, fo behält ſich bie 
Geſellſchaft vor, die fehlende Zahl aus der Stadt Pforzheim zu neh: 
men, deren Unterhalt aber den Eltern zu überlaffen. Die Kinder 
follen während ihrer Lehrzeit fo weit gebracht werben, daß fie nad 
Beendigung derfelben auf die erlernte Kunft der Uhrmacherei ihren 
Lebensunterhalt bauen können, ohne noch in die Fremde gehen zu müſ—⸗ 
fen, wobei fi) die Unternehmer verpflichten, die auf folde Weife ges 
wonnenen Arbeiter gerade fo zu bezahlen, wie bie fonft von ihnen vers 
wendeten.. Während der Lehrzeit follen den Kindern jeden Tag zu 
einer von der Waifenhausverwaltung zu beftimmenden Zeit 3 Stunden 
behufs des Schulunterrichts, ferner jede Woche außer bem Sonntag 
noch ein halber Tag zur Erholung freigegeben werben. Ein Fabrik: 
lokal muß im Waifenhaus eingeräumt werben, ebenfo 7 Zimmer (fammt 
Küche) zur Wohnung für die umverheiratheten Fabritunternehmer. Für 
Beides wird in den nächſten 6 Jahren Fein Miethzins bezahlt. Für 
Möbeln, mit Ausnahme der Fabrikeinrihtung und der Stühle für bie 
Arbeiter, haben die Unternehmer felber zu forgen. Das Waifenhaus 
übernimmt aber die Verpflichtung der Heizung ſämmtlicher Lokalitäten 
auf die Dauer von 6 Jahren, wozu demfelben von der Herrſchaft 
jährlih 20 Klafter Buchenholz geliefert werden. Ferner wird den 
Tabrikunternehmern für die erften 6 Jahre eine jährliche Unterftügungs- 
fumme von 50 Louisdor oder 550 Gulden zugeſichert. Bon allen 
perfönlichen Laften, wie auch von der Entrihtung des Pfundzolles für 
all ihr Arbeitsmaterial follen fie befreit fein, und das Staatsbürger⸗ 
recht fol ihnen gratis ertheilt werden; der Stadt Pforzheim aber follen 
fie für Erlangung des Ortsbürgerredhts die üblihe Summe bezahlen. 
Ueber die Aufrechthaltung des Vertrags bat Namens der Herrſchaft 
bie Waifenhausverwaltung zu wachen, und verfegen zur Sicherheit die 
Vabrifunternehmer alle ihre Habe als Unterpfand. 

So war nun die Sache geordnet. Autran reiste alsbald nach 
Genf, um dort Arbeitsmaterial, fowie die nöthigen Werkzeuge einzus 
kaufen, wozu ihm von der Dbereinnehmerei Lörrah 110 Louisdor 
(50 als Unterftügungsgeld für das erfte Jahr und 60 zur Anfchafe 
fung der Werkzeuge für 20 Lehrlinge a 3 Louisdor) ausbezahlt wurden, 
und im Juni 1767 wurde das neue Etablifjement eröffnet. Es bes 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 627 


fehäftigte ſogleich 30 Perfonen und nahm fo guten Fortgang, daß bald 
mit dem Derkauf fertiger Waaren begonnen werben Eonnte, 


b. Erweiterung der Uhrenfabrik zu einer Uhren-, 
Sumwelen:, Gold: und Stahlwaaren: Fabrik, 


Shen unterm 24. Auguft bdesfelben Jahres reichte die Gefell: 
fehaft eine neue, jehr ausführlihe Denkichrift ein, 1) worin nachgewieſen 
war, wie leicht fi ihr Geſchäft aud auf die Yabrifation von Juwe— 
Tierarbeiten (Jouaillerie), Goldwaaren (Bijouterie) und feine Stahl 
waaren (Quincaillerie) ausdehnen lafje und welche große Vortheile eine 
ſolche Erweiterung der Fabrik verfprehe. Zu dem Ende follte noch 
ein geſchickter Künftler, Paul Preponnier, der in den bedeutendften 
englifhen Fabriken gearbeitet hätte und ſich auf die Anfertigung von 
Juwelier⸗, Gold: und Stahlwaaren vortrefflich verftünde und der dazu 
auch die nöthigen Arbeiter mitbringen wolle, in die Geſellſchaft auf: 
genommen und die Geſchäfte derfelben fo verteilt werden, daß der neue 
Affoci6 die Leitung der Fabrikation der eben genannten Waaren, 
Viala die der Uhrmacherei übernehme, Chriftin als geſchickter Mechaniker 
bie Inftandhaltung und Verbeſſerung der Inſtrumente ſich zur Aufgabe 
made und Autran die Bücher, Korrefpondenzen ꝛc., überhaupt dem 
faufmännifchen Theil des Geſchäfts beforge. Zur Ausführung eines 
ſolchen Plans feien aber wenigftens 30,000 Gulden erforderlich, die 
man mit Hilfe einer zu bildenden Aktiengefelihaft im der Weiſe leicht 
aufbringen könne, daß 30 Aktien & 1000 Gulden ausgegeben würden. 
Markgraf Karl Friedrih nahm ein reges nterefje an dieſem neuen 
Blane und ficherte der Geſellſchaft feine vollite Unterftükung zu, bielt 
jedoch die Ausgabe einer größeren Zahl von Aktien mit geringerm 
Betrage für zweckdienlicher und ſetzte diefelbe auf 100 a 300 Gulden 
feft, und zwar fo, daß je 4 Aktien zufammen eine Stimme in ber 
Societät haben follen. Zurgleih geftattete der Markgraf, daß alle 
müßig liegenden berrichaftlichen Gelder in ſolchen Aktien angelegt werden 
bürften; ebenjo erhielten die Städte Pforzheim und Durlach und andere 
bedeutende Kommunen, fowie das Waifenhaus ꝛc. die Erlaubniß, in 
biefe Unternehmung mit Aktien ſich einzulaffen, Der geheime Rath 
Meinhard, zum Borfteher der ganzen Unternehmung ernannt, wurde mit 


1) Sie war nicht weniger als 70 Folioſeiten ftark, 0° 


698 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789, 


dem Entwurf eines neuen Privilegiums auf 12 Jahre — fo Tange 
follte die Aktiengefellihaft dauern — beauftragt, das bereits unterm 
5. Oktober 1767 ausgeftellt wurde. Gleichzeitig erſchien eine gedruckte 
„Nachricht, die von des regierenden Herın Marggraven zu Baben: 
Durlach hochfürſtl. Durchlaucht gnädigft privilegirte Uhren- und feine 
Stahlarbeit:Fabrif in Pforzheim betreffend,“ worin das Privilegium 
abgedrudt war und zu zahlreicher Betheiligung an diefem Unternehmen 
mit dem Bemerken eingeladen wurde, daß nad hoher fürftlicher Ver: 
ordnung die Oberämter, in der Stadt Karlsruhe aber der Kammer: 
rath Kärner den Verkauf der Aktien zu beforgen übernommen hätten. 
MWelhe Hoffnungen man auf diefes Unternehmen gründete, zeigt eine 
Stelle diefer Nachricht, wo es heißt: „Es ift nicht nöthig, wegen ber 
Sache etwas Meiteres anzuführen, als daß diejenige, welchen der Anhalt 
derer Privilegien nicht alſobald verftändlich ſeyn follte, ihre Einlage 
derer dreibundert Gulden als ein Anlehen betrachten müßen, wofür fie 
ihre jährliche Zinfen zu fünfen von dem Hundert richtig befommen, und 
daß fie nad zwölf Jahren das Capital nicht allein wieder erhalten, 
fondern andy dabei dasjenige, fo annoch ift gemonnen worden, empfan- 
gen werden, welches nur denen geringften Berechnungen nah mehr 
als das doppelte dieſes Kapitals ausmachen wird; dahero 
dan ein jeder fich zu beeifern bat, fein Geld an einem Orte anzulegen, 
wo er nicht allein feine Zinfen jährlich, fondern auch fein Capital nach 
12 Jahren, verhoffentlich mehr als doppelt wieder erhal— 
ten wird, ohne daß er ſich dabey nur die geringſte Mühe 
geben darf.“ 

Trotz dieſer verlockenden Ausſichten, und obgleich der Markgraf 
und, wie es ſcheint, auch die Markgräfin Karoline mit gutem Beiſpiele 
vorangingen und ſich bereit erklärten, ſelber eine Anzahl Aktien zu neh— 
men, ſo gelangte man doch bald zu der Ueberzeugung, daß „der vor— 
gehabte Plan mit denen Aktien zu Erlangung eines hinlänglichen Fonds 
für die Pforzheimer Uhrenfabrik allen vorausfehenden Umftänden nad 
nicht durchzufeßen fein werde, und ſcheine daher nicht wohl ein ander 
Mittel mehr übrig zu fein, um dieſer Fabrik den erforderlichen foliden 
Grund zu verichaffen, ald wenn Gerenifjimus dero Garantie vor ein 
Sapital von 30 bis 40,000 Gulden zu geben ſich gnädigft entſchließen 
wollten.“ 1) Der Markgraf erklärte fich biezu auch geneigt, und es 


1) Sch. Raths-Protokoll vom 2. Nov, 1767, 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 629 


wurde ber geheime Rath Reinhard, der fchon vorher um ein Gutachten 
in diefer Sache angegangen worden war und bdasfelbe auch bereits un- 
term 30. Oftober erjtattet hatte, mit dem Entwurf eines neuen Pri— 
vilegiums beauftragt, deffen Beitimmungen der veränderten Sachlage 
entiprechen follten. 

Die Austellung dieſes Privilegienbriefes erfolgte unterm 9. Nos 
vember 1767. Er beitand aus nicht weniger als 33 Paragraphen, 
deren Hauptinhalt folgender war: Nach entiprechender Einleitung und 
ber Zufage des Markgrafen, die Pforzheimer Fabriken in feinen befon» 
dern landesväterlihen Schuß und Schirm zu nehmen, werden den Unter: 
nehmern die früher ſchon ertheilten Begünftigungen aufs Neue beftätigt 
‚ und dazu auf 12 Jahre noch der jährliche Bezug von 1 Fuder Wein 
verwilligt; fodann wird ihnen die Erlaubniß ertheilt zur Fabrikation 
aller Sorten von Uhren und ihrer Theile, aller Arten von feinen 
Stahlwaaren, fo namentlich von Ührenketten, Degen, Gewehrbeſchlägen, 
Schnallen, Knöpfen, Scheeren, Beſtecken ꝛc., von Juwelen und Kleinodien 
von Gold und Silber, mit oder ohne Ebdelfteine, von mechanifhen und 
matbhematifchen Werkzeugen, auch Feilen, — den Unternehmern wird 
ein Fond von 40,000 Gulden auf 12 Jahre zu Handen geftellt, für 
welchen der Markgraf, wenn er ihn nicht felber ſchießt, den Darleihern 
gegenüber Garantie übernimmt; es folgen fodann Beftimmungen über 
die alljährliche Aufftellung eines Anventars, die Entrichtung der Zinfen, 
die DVertheilung des Gewinns, die nah Umfluß von 12 Jahren zu 
treffenden Maafregeln, die Betheiligung des Waifenhaufes am Unter: 
nehmen, die Beitellung eines Oberaufſehers über das ganze Gefhäft in 
„ber Perfon des geh. Raths Reinhard, fowie eines Handlungsverftändi- 
gen zur allwöchentlichen Unterfuhung der Handlungsbücer, die Beeidi— 
gung des anzuftellenden Buchhalters, die Einrichtung der Bücher, die 
Feſtſetzung der Firma, die Ausdehnung des Rechts der Berwendung der 
Waiſenhauskinder auf Fabrikation aller Waaren, fechsjährige Lehrzeit 
derfelben mit dem Beifab, daß fie alsdann noch zwei Jahre für das 
Waiſenhaus arbeiten müßten, die Annahme auch anderer Lehrlinge im 
Tall der Unzulänglichkeit der Waifenhauszöglinge und die Vortheile, die 
ihnen in Ausficht ftünden,, die Möglichkeit der Verwendung auch prefts 
bafter Perfonen, die Vorausbeftätigung von Privatoerträgen zwiſchen 
den Unternehmern unter ſich und der Waiſenhauskommiſſion gegenüber, 
wenn ſolche „unſern Landen und beſonders der Stadt Pforzheim zu 


630 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


befierer Nahrung und Gewerbe verhelfen;* Aufforderung zu Vorſchlä⸗ 
gen bezüglich der Fortiegung des Unternehmens über die beftimmten 
412 Jahre hinaus, Weifung an alle betr. Staatsftellen, dem Unterneh: 
men jeden Vorſchub zu Teiften. 

Es handelte fi jest nur noh um Aufbringung der zu biefer 
ausgedehntern Unternehmung erforderlichen Fonds. Diefe Frage wurde 
dadurch raſch entfhieden, daß der Staat die nöthigen Gelder felber 
herſchoß. Die Haupttriebfeder, daß biefes geſchah, fheint neben dem 
Markgrafen namentlich die Margräfin Karoline gewefen zu fein. Wel: 
chen Einfluß dieſe vortreffliche Fürftin auf ihren Gemahl und feine 
Entihlüffe ausübte, ift oben (S. 602) ſchon gejagt worden. Sie war 
auch die Frau nicht, die ſich durd Schwierigkeiten abfchreden ließ. 

An folhen follte es nicht fehlen. Es ftellte fih nämlich bald 
heraus, daß man bezüglich des Preponnier, den man als vierten Theil 
baber ins Gejchäft ziehen wollte, die Rechnung fo ziemlich ohne ben 
Wirth gemacht Hatte, Derfelbe war bisher in Bern im Auftrag einer 
„ökonomiſchen Geſellſchaft“ einer Duincailleriefabrif vorgeftanden, die eine 
ziemliche Anzahl von Arbeitern beichäftigte, war aber fo tief in Schulden 
gerathen, daß die ökonomiſche Gefellichaft nicht weniger als 20,000 Pfund 
"an ihn forderte, die er nicht bezahlen konnte, Es handelte ſich nunmehr 
darum, ob man bie Bijouterier und Stahlarbeit in Pforzheim nicht ganz 
weglafien, oder dieſelbe ohne den Preponnier einrichten, oder endlich 
dieſen in der Societät behalten und bei der ökonomiſchen Gefellichaft 
zu Bern mit obiger Summe auslöfen ſolle. Autran und Chriftin 
waren in bdiefer Frage verfchiedener Meinung, und auch der geheime 
Rath Reinhard, der unterm 23. Januar 1768 darüber ein anusführ: 
ches Gutachten erftattete, in welchem alle Gründe für und wider auf 
das Sorgfältigite abgewogen waren, ftellte feinen beftimmten Antrag, 
fondern überließ die endgiltige Entfheidung der Markgräfin Karoline, 
die an der ganzen Sache fo reges Intereffe nahm. Diefe Entſcheidung, 
von der das Schickſal der Quincaillerie und mit ihr ber für die Folge 
fo wichtigen Bijouterie abhing, charakterifirt fo fehr den Unternefmungs: 
geift, die Entjchloffenheit und Umficht diefer hohen Frau, daß fie bier 
vollftändig jtehen mag. „SH bin,” fagt fie, „volltonnmen der Meynung, 
bie branche der Quincaillerie als eine der Einträchliften nicht fahren zu 
laſſen, und obgleich der Vorfchlag des Christin fehr solid gedacht ift, 
fo iſt jeboch in Anbetracht aller Einwürffe, fo Autran dagegen machet, 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 631 


bes letztern feiner vorzuziehen, mithin ber Preponnier nebft allen feinen 
machinen und gankem Etablissement auszulößen, doch unter folgenden 
Bebüngnifen: 1) follen fi Autran und Christin, weilen fie Beyde 
gegenwärtig auf dem P lab find, erfundigen um die Geſchicklichkeit des 
Preponnier und feiner in ber Schweiß verfertigten Waaren, ob folche 
benenjenigen gemäß, welche er gezeichet. 2) Haben fie den Preponnier 
zu engagiren, daß er verfpreche, felbften in der Werkftatt zu arbeiten, 
auf feine Lehrlinge wohl achtung zu geben und fie beftens zu unterrich 
ten; 3) nichts mit dem Commerce zu thun zu haben; 4) alle Samftag 
die verfertigte Waaren in das magazin zu lieffern; 5) fein Secret 
bem Autran und Christin nicht allein zu communieiren, fondern aud 
in deren Beyſeyn Waaren zu verfertigen, indeme der Preponnier ſowie 
wir alle der Sterblichkeit unterworffen; 6) Iſt wegen der Zahlung 
ber 20,000 livres, fo viel es ſich wird thun laſſen, dem Vorſchlag des 
Autran, foldye in terminen zu entrichten, nachzukommen. Caroline 
M. z. B. g. P. z. H. (Markgräfin zu Baden, geborene Prinzeffin zu 
Heſſen.) 

Auf dieſe Entſchließung hin erfolgte die Auslöſung des Preponnier 
und ſeiner Fabrikeinrichtung mit allen Effekten und Werkzeugen um die 
Summe von 800 Louisdor. Auch ſämmtliche Arbeiter dieſer Fabrik 
wurden für das neue Etabliſſement engagirt, und Autran und Chriſtin 
reiſten ſelbſt in die Schweiz, um noch weitere Arbeitskräfte zu gewin— 
nen. Das ganze Arbeiterperſonal, welches bis 1. März 1768 in 
Pforzheim eingetroffen war, beftand aus 16 Ehemännern, 13 Ehen: 
weibern (die fehlenden 3 kamen fpäter nah), 11 ledigen Manns: und 
- ledigen Weibsperfonen, alfo im Ganzen aus 44 Köpfen, nebit 12 
Kindern beiderlei Geſchlechts. Acht Uhrenmacher aus Lachaudefond, 
die man auch angenommen hatte, blieben aus, weil dafelbft ausgefprengt 
worden war, daß alle Arbeiter als Sklaven eingefperrt und behandelt 
werben würden. Es wurden ſchleunigſt Schritte gethan, um fie durch 
andere zu erfegen, da man fie fehr nöthig brauchte, um die viele Ar: 
beit, welche die Waiſenkinder ſchon recht ordentlih zu Stande brachten, 
zu finiren. Wer fi in Pforzheim auch nit einfand, das war ber 
faubere Preponnier. Mit einem Vorfhuß von 27 Louisdor war er 
plötzlich unfichtbar geworden. Es ftellte ſich übrigens heraus, daß der 
Berluft nicht groß war, indem er von der Quincaillerie gar nichts 
verfiand und ſich überall als Lügner und Betrüger gezeigt hatt. Man 


632 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746 —1789. 


hoffte, audy ohne ihn fertig zu werden. An die neuen Arbeiter hatte 
im Ganzen die Summe von 3390 Gulden als Vorſchuß bezahlt wer—⸗ 
ben müfjen, theils um fich in der Schweiz los zu machen, theils um 
fih in Pforzheim einzurichten. Dieſer Vorſchuß follte ihnen an ihrem 
Lohn nach und nad; wieder abgezogen werden. Die Arbeiter waren 
größtentbeils fehr geichidte Leute. Als ganz vorzüglich erwiefen ſich bald 
die beiden Engländer Price und Cashmore, der Graveur Lartique, 
der Uhrgehäuſemacher Rendu, der Bijoutier Stähli, der auch die Schiff: 
hen von Elfenbein, die man damals in den Ohrgehängen trug, fowie 
Landichaften aus Haaren zu machen verftand, endlich der Mechanikus 
Plan. Sämmtlihe Weiber wurden ebenfalls in der Fabrik befhäftigt, 
und zwar mit Vergolden, Poliren, Ueberziehen der Uhrgehäuſe zc., 
wobei fie einen jchönen Verdienft hatten. „Zu wünſchen wäre“, fagt 
Reinhard in einem unterm 29. April 1768 erftatteten Bericht, „daß 
die Weiber dem SKleiderprachte nicht fo jehr ergeben wären!” 

Die Arbeiter, größtentheild Franzoſen und franzöfiihe Schweizer, 
wurden alle nach dem Stück bezahlt und ftellten fi dabei zum Theil 
recht aut. So war ber durchſchnittliche Monatsverdienft des Graveurs 
Lartique und feiner Frau 88 Gulden, Andere ftellten fih auf 55, 44 
33 Gulden und fo berunter big zur Stahlpoliffeufe, welche freilich nur 
5 fl. 30 tr. verdiente. Einſchließlich der 30 Waiſenkinder, welche be- 
reits in der Fabrik verwendet wurden, belief fi das Gefammtperfonal 
derfelben am Tage der Gröffnung, nämlich am 1. März 1768, auf 
74 Köpfe, immerbin eim bedeutender Anfang. Zum Buchhalter der 
Fabrik wurde Johann Jakob Ador beitellt, ein feinem Gefchäfte 
durchaus gewachfener und jehr fleifiger junger Mann, der, von frane 
zöftjchen Eltern in England geboren, eben fo gut franzöſiſch und eng- 
liſch, als deutſch ſprach und fchrieb. 

So fchienen nun die Verbältnifie allfeitig geordnet, und man durfte 
um fo mebr hoffen, daß das Unternehmen fich gut rentiren werde, ale 
ſich Schon bei der bisher betriebenen Uhrenfabrik bis 1. März 1768, 
an welchem Tage ein Inventar aufgeftellt und die Bilanz gezogen wurde, 
ein Gewinn von 1127 fl. 21/, Er. berausftellte, troßdem, daß bas 
Geſchäft bisber nody in feiner großen Ausdehnung betrieben worden war. 
Zur Fortführung der Fabrit in ihrer bdermaligen Ausdehnung bielt 
man wenigftens jährliche 24,000 Gulden für nothwendig. Vom 1. März 
bis 25. April beliefen fih die Ausgaben für die Fabrik bereits auf 


Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 633 ° 


3496 fl. 5 fr. Man hoffte jedoch zuverfichtlich, daß trob des unerwar- 
teten Aufwandes, den die Auslöfung der Quincailleriefabrit in Bern 
verurſacht Hatte, der urfprünglich beſtimmte Vorfhuß von 40,000 fl. 
binreichen werde, um die Cache in guten Gang zu bringen, namentlich 
da nicht mur an fertiger Waare immer unter der Hand verkauft wurde, 
fondern die Unternehmer aucd darauf rechnen durften, die Frankfurter 
Herbitmefje mit einem anjehnlihen Lager von Uhren, Bijouteries und 
Duincailleriemaaren beziehen zu Tünnen, wofür die Zahlung theils baar 
einging, theils für die Dftermefje 1769 in Ausficht ſtand. — Die 
. Vergrößerung der Fabrik hatte ſchon im Frühjahr 1768 die Erbauung 
einer weitern Werkſtätte nothiwendig gemacht. 


ec. Xrennung der Quincailleriefabrit von ber 
Uhrenfabrik. 


Bald jedoch brachen unter den drei Fabrikunternehmern Mißhellig— 
keiten aus. Schon in dem bereits angezogenen Bericht des Geheime— 
raths Reinhard über den Zuſtand der Fabrik vom 29, April 1768 
bebdauerte derfelbe, daß fich zwiichen den Affocies „einiger Widerwille 
anfpinnen wolle.” Er jhildert darin Autran als einen fehr herichfüch: 
tigen Mann, der in gehörigen Schranken gehalten werden müfje, wenn 
nicht felbft die Drdnung des MWaijenhaufes über den Haufen geworfen 
werden folle, Es war deshalb ſchon unterm 29, April eine Inſtruk— 
tion entworfen worden, weldye jedem derartigen Beginnen aufs Kräf: 
tigfte einen Riegel vorſchob. Chriftin wird das Lob eines geſetzten und 
ehrlichen Mannes gezollt, Es ſcheint jedoh, daß er häufig deswegen 
Unzufriedenheit erregte, weil er über feiner VBeichäftigung mit mecha— 
nifchen Arbeiten, die fein Nachdenken und feine Zeit mehr als nöthig 
in Anſpruch nahmen, fein eigentliches Geſchäft, die Uhrmacherei, vielfach 
vernachläffigte. Von Viala wird gefagt, daß er ein gutes Herz habe, 
fehr fleißig fei, aber wegen feiner Jugend noch nicht genug Erfahrung 
befite. Die Mißhelligkeiten wurden nad und nad von der Art, daß 
unterm 16. Juni 1768 der Geheimerath Neinhard im Auftrag des 
Markgrafen fich felber nad) Pforzheim begab, um den Frieden wieder 
herzuftellen. Er mußte fi aber bald überzeugen, daß feine Bemühun- 
gen fruchtlos waren, und zeigte ſich deshalb nicht abgeneigt, auf den 
von Ehriftin und Viala gemadyten VBorfchlag einer Theilunmg der 


634 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


Tabrif einzugehen, obgleich diefelbe mit feinen geringen Schwierigkeiten 
verbunder® war. Es war noch eine zweite Reiſe nach Pforzheim noth— 
wendig, um die Unterhandlungen wegen der Trennung, zu welcher ber 
Markgraf feine Zuftimmung gegeben hatte, in fo weit zum Abſchluß zu 
bringen, daß ein darauf abzielender Vertrag vereinbart werden konnte. 
Letzteres geihah unterm 28. Juni 1768. Autran übernahm den Theil 
ber Fabrik, welcher die Duincaillerie umfaßte und affocirte ſich mit dem 
bisherigen Buchhalter Ador, fo daß diefes Gejchäft nunmehr unter der 
Firma Autran und Ador geführt wurde, Für die Abtretung des 
Zweiges: der Quincaillerie bezahlten diefelben an Chriftin und Diala 
die Summe von 4466 fl. 46 fr. Die Uhren-, Bijouteries und Ju- 
welenfabrif blieb bei der Firma Chriſtin und Viala; body behielt 
fi) auch Autran das Recht vor, feine Fabrik auf ſolche Waaren au: 
zubehnen. Die Ürbeiter und Lehrlinge wurden in angemefjener Weiſe 
auf beide Fabriken verteilt; das Gleiche geſchah mit den Lokalitäten 
im Waifenhaufe, die indeffen fogleih nah der Trennung durch einen 
Neubau vergrößert wurden, ebenfo mit den bewilligten 20 Klaftern 
Holz, wovon jeder Theil 10 erhielt, mit dem ebenfalls bewilligten Fuder 
Wein, wovon Autran und Ador künftig 4, Chriftin und Viala aber 
6 Ohm erhalten follten, und endlich mit der jährlich, zu beziehenden 
Geldunterftügung von 550 Gulden, wovon den Erftgenannten 250, 
letzteren aber 300 Gulden zugefchieden wurden. Beide Theile ver: 
fprachen, Alles zu vermeiden, wodurd in Zukunft das friedliche Ver: 
hältnig zwifchen ihren Fabriken und deren Arbeiter geftört werben könnte. 
Ihrer Bitte, daß nun aud auf Grund der Trennung jedem Theil bie 
früher gegebenen Privilegien bejonders bejtätigt werden follten, wurde 
von Seiten der Regierung auf das Bereitwilligfte entſprochen. Bezüg— 
lich der Fabrik von Ehriftin und Diala fand es der Geheimrath Rein: 
bard nothwendig, einen ausführlihen Plan zu entwerfen, wie die Ge: 
fhäfte fünftig geführt werden ſollten. Es ſcheint derfelbe in die Lauf: 
männifhen Einſichten Chriftins nicht das befte Vertrauen gehabt. zu 
haben. Tür beide Fabriken erfchien unterm 17. Oftober 1768 in 
deutſcher und franzöfiiher Sprache eine gebrudte Verordnung, worin 
namentlich; das Nöthige über das Verhältniß der Arbeiter zu ben Fabrik: 
unternehmern feitgefeßt wurde. Als erfte Pforzheimer „Fabrikordnung“ 
möge fie bier eine Stelle finden. 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 635 


Verordnung 
in Betreff der zu Pforzheim errichteten Uhren-, feinen Stahlarbeit- 
Kleinod: und Juwelen-Fabriken, mit denen damit verbundenen 
Profeſſionen. 
Bon GOTTES Gnaden Wir CARLFRIDERICH, Marg— 
grav zu Baden und Hochberg, Landgrav zu Sauſenberg, Grav zu 
Sponheim und Eberſtein, Herr zu Röteln, Badenweiler, Lahr und 
Mahlberg, ꝛc. entbieten allen denen, welche dieſes ſehen und leſen, 
unſern Gruß! 

Demnach Wir Unſern Lieben Getreuen, Autran und Ador 
einer: auch Chriſtin und Viala andererſeits gnädigſt erlaubt haben, 
in Unſerer guten Stadt Pforzheim eine Uhren- feine Stahlarbeit- Kleinod: 
und Juwelen-Fabrike, mit denen damit verbundenen Kunftäften, zu er: 
richten, auch ihnen zu dem Ende verfchiedene Privilegien ertbeilet haben; 
als beftätigen Wir 

I. ſolche durch gegenmwärtiges ihrem ganzen Inhalt nad) und befeh— 
Ien denen Präfidenten und Näthen Unferer Negierung, ſodann Unferm 
Oberamt Pforzheim, wie auch Unferer Maifenhauscommiffton und 
dem Dberauffeher erfagter Fabriken, genaue Aufficht zu tragen, damit 
folden in allem pünctlihe Genüge gefchebe. 

II. Wir nehmen die Entrepreneurs gedachter Fabriken nebft ihren 
Arbeitern, ihren Weibern und Kindern, fo, wie fonft alle und jede ihnen 
zugebörige Leute, im Unfern bejondern Schub und befehlen Unferm 
Dberamt Pforzheim, dem dafigen Stadtmagiftrat und allen denen 
Unfrigen, fie mit aller Achtung zu behandeln, ihnen bei allen Vorfäller 
geichwinde Juftiz zu verfchaffen, und bei allen Gelegenheiten Hilfe zu 
leiften, wo fte deren benöthiget fein mögten. 

III. Die Entrepreneurs werden ibrerfeits fo, wie die Arbeitere, 
ihre Weiber und Kinder, auch fonft alle und jede, fo bei denen Fabriken 
ftehen, ein wohlanſtändiges Leben führen, um ſich dur ihre Auffüh: 
rung ſowohl, als durch ihre Talente und Gefchidlichkeiten von andern 
zu unterſcheiden und in dem einen und anderen Betrachte Unfere Gnade 
und Wohlwollen zu verdienen. 

IV. Sie werden ihren Arbeiten fleifig obliegen, allen Müfiggang 
vermeiden und durch ihre Memfigkeit trachten, fi auffer Schulden und 
in einem guten Nahrungsftande zu erhalten. 

V. Die Arbeitere follen gegen die Entrepreneurg die gebührende - 


636 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746 —1789, 


Achtung tragen und diefe hinwiederum gegen jene mit aller Hofuchteit 
verfahren. Alle und jede, ſo zu der Fabrik gehören, ſollen ſich aller 
Zänkerey, aller Beleidigungen enthalten, und niemahls weder über ihre 
Mitarbeitere, nody über fonft jemanden, er fen, wer er wolle, auf eine 
nicht geziemende Art reden. 

VI. Fals audy die Arbeitere untereinander Händel befimen, fo 
haben fie foldhe denen Entrepreneurs vorzutragen, um fie gütlich beizu- 
legen; und, wenn diefes fruchtlos abliefe, fo haben fie e8 vor ben Prä- 
fidenten zu bringen, welcher alsdenn freye Macht bat, fie ſelbſt abzu— 
thun, oder an das Oberamt gelangen zu laflen. 

VI Es fol aber feiner den Präfidenten perſönlich überlaufen, 
fondern bei allen Vorfallenheiten zu Haufe und bei feiner Arbeit bleis 
ben, und fein Anliegen durch ein vermittelft der alle Tage abgehenden 
Poſt anbero zu fendendes Memorial geziemend vortragen. 

VIII. DBielweniger follen die Arbeiter, wann einem oder dem 
andern von ihnen eine Beleidigung wiederfahren wäre, des Arbeitens 
fi enthalten, fondern der Entſcheidung der Sache ruhig abwarten und 
bei ihrem Geſchäfte verbleiben; wiedrigenfalls daffelbe als eine vorjäß- 
liche Meuterei beftraft werden ſoll. 

IX. Diejenigen Zwiftigfeiten, fo fich zwifchen denen Entrepreneurs 
und denen Arbeitern entfpinnen, follen gleihmäßig vor den Präfidenten 
gebradht werden, um fie entweder felbjt zu entjcheiden oder dem Ober: 
amt zur Entfheidung zuzufchiden, 

X. Die Untrepreneurs und Arbeitere haben niemahls auffer Acht 
zu laſſen, daß fie mit dem Bürgeren und den Einwohneren der Stabt 
in guter Eintracht Teben, und ihnen eben jo begegnen, wie fie wiünfchen, 
daß ihnen von den Bürgeren und Einwohneren begegnet würde, 

XI. Diejenigen Händel, fo zwifchen denen Bürgeren und denen 
Fabrikanten entftehen, follen durch das Oberamt abgeurtheilt werden. 

XII. Da das Waifenhaus beftimt ift, die Sitten der Kinder zu 
bilden, welche darin aufgenommen werden, und für die dürftigen Kran: 
fen zu forgen: fo it es billig, dap der Wohlſtand hauptſächlich darin 
beobachtet werde, und daß nichts die Ordnung, Ruhe und Stille dafelbft 
ftöhren könne. Daher wird denen, fo bei denen Fabriken ftehen, aufer: 
legt, dahin vorzüglich ihren Bebadyt zu nehmen; denen Entrepreneurs 
aber wird obliegen, die Hand darauf zu halten, widrigenfalsg Sie vor 
bie Mebertietungen ftehen follen. 


Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746-1789. 637 


XIII. Niemand fol fid) in die Angelegenheit diefes Haufes mifchen, 
noch mit denen aufgenommenen oder darin dienenden Leuten ein Gewerb 
haben. Man fol fie auch auf Feine Weiſe zu feinem Dienft brauchen. 
Die Lehrlinge find auf die Stunde, da ihre Arbeit aufhört, zurüd zu 
ſchicken und zu nichts, als denen Arbeiten in demjenigen Theile der 
Fabrik, fo fie erlernen, anzuhalten. 

XIV. &s wird biemit ausdrüdlich verboten, Hunde oder Katzen 
in dem Waifenhaufe zu halten, oder dahin zu bringen. Die Reinigkeit 
dieſes Haufes leidet dergleichen Thiere nicht, welche in gewiſſen Umftän- 
ben für den Haufen derer daſelbſt befindlichen Kinder fehr gefährlich 
werden könten. 

XV. Seberman enthalte fich, etwas, fo dem Waiſenhauſe zugehört, 
zu nehmen; es fei Holz, Kräuter, Blumen, oder fonft etwas, wenn es 
aud) von ganz feinem Werthe wäre. in gleiches iſt auch im Anfehung 
ber Werkzeuge und Hausgeräthe, fo diefem Haufe gehören, zu beobachten. 

XVI. Die Entrepreneurs find berechtiget, nach ihrem Gefallen 
Arbeitere anzunehmen, oder zu entlaffen; allein die Uebereinkünfte zwi— 
{hen denen Entrepreneurs und denen Arbeitern müfjen von beiden Geis 
ten auf das beiligfte beobachtet werden, auſer in dem Falle einer üblen 
Aufführung oder des Mangels an Gefchiflichkeit, in welchem Falle es 
jedoch auf die Entiheidung des Präfidenten anfommen wird. 

XVID. Wenn die Zeit der Mebereinkunft zu Ende ift, fo könen 
die Arbeiter die Fabrike verlaffen, und fi) anders wohin begeben, nach: 
dem fie vorher die Schulden, fo fie etwan gemacht, bezahlt haben. 

XVII. Diejenigen, welche davon gehen, ohne ihre Gläubigere 
befriediget zu haben, follen als Diebe behandelt werden; und, woferne 
man derer nicht wieder habhaft werden kann, fo follen ihre Namen, 
mit Bemerkung ihres Vaterlandes, dur den Scharfrichter auf einer 
Schwarzen Tafel, welche an den Mauren des Rathhauſes, nahe bei dem 
Halseifen, aufgehentt wird, angefchlagen werden. Man wird auch das 
Publikum in verichiedenen Zeitungen warnen, einen ſolchen ehrlofen 
Menihen in denen Werkftätten aufzunehmen; fondern vielmehr ihn in 
Berhaft zu ſetzen, bis er feine Gläubigere bezahlt hat, und damit wegen 
des von ihm begangenen Verbrechens und defjen Beitrafung gegen ihn 
gerichtlich verfahren werden könne. 

AIX. Die Arbeiter in den Fabriken haben fich forgfältig in 
Acht zu nehmen, daß fie von ausländifhen Orten feine Waaren kom— 


638 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 17461789. 


men laffen, dergleichen zu Pforzheim verfertiget werden, noch auch damit 
Handel treiben, unter welchem Vorwand es aud immer feye, bei Strafe 
der Confifcation diefer alfo zum Vertrieb gebrachten Waaren, und ohne 
Ausnahme, ob es mit Bewilligung einer oder der anderen Fabrike 
geicheben jeie, indem feine ber andern in foldem Fal Nachtheil bringen 
fol. Auch follen fie ferner fi) enthalten, es fey in müfligen Stunden 
ober fonften, einige Waaren vor ihre eigene Rechnung zu berfertigen, 
bei gleicher Strafe der Eonfifcation. 

AX. Eben fo wenig follen fie unter fich Lotterien errichten. 

AXI. Mit dem Gold, Silber und andern Materialien, aud 
denen ihnen anvertrauten Werkzeugen, follen fie getreulih und ohne 
Gefährde umgeben, bei Strafe des Hausdiebſtahls, als welcher meit 
ſchärfer, als ein anderer Diebſtahl, beftrafet wird. Mit der Ausflucht, 
als hätte man die Abficht gehabt, ſolche wieder zu erſetzen, wird nies 
mand gehöret werben, 

XXI. Es fol keiner des andern Materialien noch Werkzeuge 
nehmen, um ſich deren bei jeinem Gefchäfte zu bedienen, wenn aud 
gleich Leine ſchlimme Aoficht dabei wäre, 

AMAIII. Jede Uebertretung diefer Gefete fol von dem Präfidenten 
mit einer Geldftrafe, oder bewandten Umftänden nad, mit dem Gefäng- 
nis und Confifcation befeget werden, je nachdem bie lettere vermöge 
diefer Geſetze ftatt findet. Schwerere Verbrechen, dergleichen der Dieb- 
ftahl und andere diefem beilommende Vergehungen find, follen vor Unfer 
Hofgericht gebracht und daſelbſt abgeurtheilt werden. 

AXIV. Im übrigen bat man ſich überhaupt nach denen Geſetzen 
bes Landes und denen Verordnungen zu richten, welche noch künftig 
erfcheinen werben, 

Wir befehlen darauf alfen denen Unfrigen, vornämlich dem Obere 
auffeher derer beiden Fabriken, auf die Volziehung diefer unferer Ver: 
ordnung ein wachtſames Auge zu haben, folhe in öffentlihen Drud zu 
geben, und an allen Thüren deren Werkjtätten beider Fabriken an: 
fhlagen zu laſſen. Gegeben in unferer Mefidenzftadt Carlsruhe, den 
47. October 1768, 

(L.8.) Earl Friederih, Marggr. zu Baben. 

Vt. A. J. von Hahn. Vt. Seubert. 

Beide Fabriken gaben nunmehr gedruckte Circulare aus, woraus 
die Manchfaltigkeit der Arbeiten, welche ſie zu liefern gedachten, erſichtlich 


Achtzehntes Kapitel. Pforgheim von 1746—1789. 639 


if. Das von Chriftin und Viala lautet vollftändig: „Privilegirte 
Fabrik. Ehriftin und Viala, zu Pforzheim in dem Markgräflich- 
Baden-Durladischen haben unter dem gnädigften Schub und Privilegio 
des Herrn Markgrafen von Baben-Durlah eine Manufaktur errich— 
tet, in welcher alle Gattungen von Uhren und Juwelen, erftere 
verfertigt und Tetere nad) dem beften und neueſten Geſchmack gefaßt 
werden. Es find dafelbit fertig zu haben: Stoduhren (Pendüles) von 
ber beiten franzöfifchen und englifchen Art, mit fich bewegenden Figuren, 
mit Glodenfpielen, Orgeln ıc., große Schlaguhren, Sadubren von Gold 
und Silber, bie repetiren und nicht repetiren, mit Juwelen befegt, auch 
ohne diefelbe, oben und unten durchſichtig oder auch nicht. — Tabatieren 
oder Dofen von Gold von verfchiedenem Geihmad, emaillirt gemalte, 
geftochene, in vier Farben, erhaben (basrelief) gearbeitete ıc. Uhrketten 
fowohl für Herren als Damen, von Gold mit und ohne Gmaille, 
Etuis, Stodfnöpfe, Armbänder, Uhrenſchlüſſel, Hemdenktnöpfe, alle Gate 
tungen Berloquen von dem nämlichen Metall und von nämlicher Arbeit, 
mit oder ohne Juwelen, mit und ohne Emaille-Malerei, in Gold von 
ein= oder vierfacher Farbe ꝛc. — Dofen oder Tabatieren von Schilöfrot, 
mit Gold eingelegt, auch mit Medaillons in Email, Alles nad dem 
beten neueften franzöfifhen und englifhen Geſchmack. — Alle Sorten 
Werkzeuge für Uhrmacher und Goldarbeiter fowohl, als alle Gattungen 
von Feilen für beide Profeffionen, von den ganz feinften an bis zu den 
geringiten, auf die befte Art. — Alle einzelnen Stüde, jo zu großen 
und Heinen Uhren gehören in der Zerlegung, als: Pendulfaften, Sad: 
uhrſchalen von Gold oder Silber oder Emaille, mit oder ohne Juwe— 
len, emaillirte Zifferblätter, Spiralfedern, Ketten zur Schnede, alles 
Mäbderwerk, Spindeln, Unruhen, Schließfedern, Platten, gravirte Kloben 
x. und alle Stüde, die zu einer Uhr gehören, dutendweife, fo daß 
jeder nur ein wenig Erfahrene mit Hilfe obiger Werkzeuge felbft Uhren 
zufammenfegen Tann, — So wie ganz vollfommen fertige Uhren von 
allen Sorten zu haben find, fo find felbige auch zwar zuſammengeſetzt, 
doch noch unvollendet (en blanc) zu haben. — Alle diejenigen, denen 
e8 belieben wird, dieſelbe mit eigener Gegenwart, oder mit fchriftlichen 
Kommiffionen zu beehren, werden fie nicht allein auf das Beſte, fondern 
auch auf das jchleunigfte und Billigfte, mit ganz volllommener, vorzügs 
licher, untadelhafter Arbeit zu bedienen fih zur Ehre machen, wozu fie 
um fo mehr im Stande find, als fie nebft andern Vortheilen ganz 


640 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 


geheime Werkzeuge befiten, vermittelft welcher die Uhrenftüde bequemer, 
leichter und wohlfeiler, als in andern Fabriken verfertigt werden können.“ 
Aehnlich lautet der franzöfiihe Waarencourant von Autran und 
Ador; nur fehlen die Stoduhren, die Jumelierarbeiten, forie die Werk. 
zeuge und einzelnen Uhrentheile. Dafür findet fich darin eine reiche 
Auswahl von Stahlwaaren verzeichnet, als alle Sorten von Uhrketten, 
feine und ordinäre für Herren und Damen in den manchfachſten Muftern 
und im feinften englifhen Geſchmack um den billigften, wie um ben 
höchſten Preis, ebenfo alle Sorten von Schnallen, Uhrſchlüſſel nach eng: 
lichen und franzöſiſchen Geſchmack, Kleiderknöpfe, Hafen, Ubhrenzeiger, 
Beichläge, Sporen ꝛc. Alles in der Qualität englifher Waaren und zu 
den billigften Preifen. 
Daß beide Fabriken fich bei der vorgenommenen Trennung gut 
befanden, zeigen zwei Berichte des Geheimenraths Neinhard, die er un- 
term. 27. Januar nnd 19. Mai 1769 über den Zuftand bderfelben er 
ftattete. Er fand Alles in Ruhe, Friede und guter: Ordnung. Bei 
Ehriftin und Viala ging die Uhrenmacherei recht gut von Statten und 
batte der Verſchluß der fertigen Waaren einen günftigen Anfang ge 
nommen. Als Probe der Gefchidlichkeit der Arbeiter und bes feinen 
Geſchmackes, deſſen fich diefe Fabrik befliß, wurde damals dem Mark: 
grafen eine ganz gemalte und im Gold gefaßte Dofe vorgezeigt. In— 
defien gaben Chriftin und Viala auf den Rath Reinhards die Jouaille- 
rie bald ganz auf, einestheils meil fie dies Geſchäft nicht recht verftan- 
den, anderntheils weil dasfelbe zu viel Mittel in Anfpruh nahm, und 
befaßten ſich überhaupt einzig und allein mit der Uhrmacherei. Den 
Lehrlingen aus dem Waiſenhaus wird das Lob gezollt, daß fie viel 
Freude und Geſchick zur Arbeit zeigten. Bei Autran und Ador wurde 
die Uhrmacherei nur ſchwach betrieben, und beichäftigte diefelbe blos 
4—5 Arbeiter mit etwa einem halben Dutend von-Lebrlingen. Defto 
mehr befaßte ſich diefe Fabrik mit der Quincaillerie und Bijouterie, 
damals insbefondere mit Anfertigung der in Mode gefommenen ftähler 
nen, mit Gold garnirten Uhrketten, und zeigten darin namentlich 8 eng: 
liſche Arbeiter unglaublichen Fleiß, große Gefchwindigkeit und Afkura: 
teffe, und machten unter ihrer Leitung auch die Lehrlinge bedeutende 
Fortſchritte. Ebenfo zufrieden war man mit dem Schmied und dem 
Feilenmacher, beide ebenfalls Engländer, Erſterer wurde bereits von 
einem Pforzheimer Nagelfchmied unterftügt, der Glieder zu den Uhr: 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 641 


fetten Tieferte. Dieſe engliichen Arbeiter hatte Autran anf zwei Reifen, 
die er eigens zu diefem Zweck nah England machte (und deren 
Koften fih auf nicht weniger als 2143 fl. 8 kr. beliefen,) zu gewinnen 
gewußt. Der vorzüglichite Arbeiter in ber Bijouterie war Trumeau. 
Was der Fabrik noch fehlte, das war ein geſchickter Pregmeifter, und 
man gab fi alle Mühe, einen folhen ausfindig zu machen. Ebenſo 
wurde die Anſchaffung eines Schleiffteins, der zur Herftellung der gro: 
Ben Teilen nöthig fei, fowie die Benützung einer ſchon vorhandenen Waf- 
ferkraft zum Treiben desjelben in Vorſchlag gebradyt und auch geneh: 
migt und zu dieſem Behufe ein neues, 102 Schuh langes, 16 Schuh 
breites, in der Mitte 42 Schub lang zweiſtöckiges Fabriklokal erbaut, 
wozu wie früher das Holz aus Herrichaftswaldungen unentgeldlich abge: 
geben wurde. Den Engländern wird nachgerühmt, daß fie fi durch 
eine vortrefflihe Aufführung auszeichneten, weshalb fie in Pforzheim 
bochgeachtet feien. Sehr gern fah es daher Reinhard in feinem Bericht, 
daß mehrere davon in Pforzheim fi) zu verheirathen die Abficht zeige 
ten und knüpfte die Hoffnung daran, daß dieſer Umftand fie immer 
mehr an das Land binden würde und „eine Race guter Arbeiter ver 
fpreche.” — Den bei Ehriftin und Viala befchäftigten Arbeitern, meifteng 
Franzoſen und welſchen Schweizern, wird dagegen nicht das beſte Lob 
gefpendet. „Die meiften von ihnen, fagt Reinhard, „lieben die Arbeit 
nicht, haben eine flüchtige Lebensart, gehen viel fpazieren, und es ift zu 
befürdten, daß die Waifenkinder, jo bei ihnen find, eben dieſe Unarten 
annehmen werden.” Er rieth deshalb dringend zu ftrengerer Aufficht 
und befjerer Zucht und forderte Chriftin und Viala auf, ihren Arbeitern 
durhaus Feine Vorfhüffe mehr zu machen. — Eine unterm 8. Mai 
von dem hiezu durch fürftlichen Erlaß beauftragten Rechnungsrath: Ad: 
junften Jägerſchmied vorgenommene Unterfuhung der Handelsbücher 
beider Fabriken (e8 wurde ihm für diefes Geſchäft, das alle Vierteljahr 
wiederfehren follte, fpäter ein Averfum von jährlichen 105 fl, ausge: 
worfen, wovon jede Fabrik die Hälfte zu tragen hatte,) ergab bei Autran 
und Ador die günftigften Nefultate und waren die Bücher in befter 
Ordnung, nidyt fo bei Ehriftin und Viala, die fi) indefjen mit längerer 
Krankheit ihres Buchhalters entjhuldigten. Erftere Fabrik hatte bie 
30. April 1769 bereits 22,822 fl. 28 kr., letztere 12,526 fl. 38 fr. 
Vorſchuß erhalten, 

Eine Gejchäftsreife, melde Autran im Juni N * Frankreich 

Pfluger, Pforibeim. 


# 


642 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789, 


antrat und von welcher er im März 1770 zurückkehrte, hatte den beiten 
Erfolg. Er verkaufte dabei nicht nur für mehr als 6000 fl. Waaren, 
an denen durchſchnittlich 250%/, verdient wurden, fondern erhielt auch 
Beitellungen auf 5—6 Monate, welche einen Reingewinn von 3 bis 
4000 Gulden verjprachen. Ueberall, namentlich in Paris, Lyon, Mars 
feille, Air ꝛc. hatte er Verbindungen angefnüpft, welde einen dauernden 
und fihern Verſchluß um jo mehr begründeten, als Autran fi überall 
genau verläffigte, welcher Art Maaren am Beſten gingen, und fi in 
Paris und Lyon dazu Zeichnungen verfertigen ließ. Auch mit zwei 
Petersburger Häufern war dieſe Fabrik bereits in Geihäftsverbindung 
getreten, fo daß eine nach Italien und nad andern Ländern projektirte 
Reife nicht ausgeführt wurde, weil fonft am Ende die Fabrik gar nicht 
im Stande geweſen wäre, allen Aufträgen rechtzeitig zu genügen. 
Diefer erfreuliche Fortgang des Quincailleriegeſchäftes bedingte einerfeits 
die Vergrößerung desfelben und zwar, wie vorgeichlagen wurde, durch 
Anfhaffung mehrerer Mafchinen (namentlih eines Schlag und eines 
Polirwerkes), durch Vermehrung der Arbeiter und Lehrlinge und endlich 
durch einen weitern Vorſchuß von einigen Taufend Gulden, — anderer: 
feits erwuchs daraus die Nothmwendigkeit, alle Kräfte und alle Gelb: 
mittel auf das Quincailleriegefhäft zu konzentriren und die Uhrenfabri— 
fation gänzlich aufzugeben, Zu dem Ende wurden mit Chriftin und 
Biala Unterhandlungen gepflogen und am 15. Mai 1770 mit fürftl, 
Genehmigung ein Vertrag abgeichloffen, laut defien Autran und Ador 
ihre ganze Uhrenmacherei mit allen Arbeitern, Maarenvorräthen, Wert: 
zeugen zc., kurz allen Aktiven und Paffiven um die Summe von nahezu 
5000 Gulden an Ehriftin und Viala abtraten. 

Mit aller Macht warf ſich num die Fabrik von Autran und Ador 
auf die Anfertigung von Stahlwaaren, die nah dem Geſchmack jener 
Zeit mit Gold verziert wurden. Die Fabrikation ganz goldener Artikel 
wurde vor der Hand aufgegeben. Ich werde auf diefe Fabrik und ihren 
fernern Fortgang unten wieder zurücdtommen, und will zunächft über 
die weitere Entmwidelung der Uhrenfabrifation das Nöthige bemerken. 
Ich füge hier nur noch die Notiz bei, daß zu der Zeit, zu welcher 
meine Darftellung jet vorgerüdt ift (Mprit 1770), beide Fabriken be 
reits über 100 Perſonen beichäftigten, und die Zahl ſämmtlicher Ber: 
jonen, welche zu Anfang des darauf folgenden Jahres, Weiber und 
Kinder eingefchloffen, zu beiden Fabriken gehörten, fhon 274 betrug, 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 643 


wovon 142 auf Ehriftin und Viala und 132 auf Autran und Abor 
kamen. 


d. Weiterer Fortgang der Uhrenfabrikation. 


Keinen ſo erfreulichen Fortgang, wie die Quincaillerie-, wollte die 
Uhrenfabrik nehmen. Zwar zeigten die darin beſchäftigten Lehrlinge vie— 
les Geſchick; die Feilenhauerei, ſowie die Werkſtätte zur Herſtellung der 
Werkzeuge für die Arbeiter, thaten ihr Möglichſtes; die Uhrgehäuſe 
wurden immer beſſer und geſchmackvoller, ebenſo wurde im Zifferblatt— 
und Schmelzmalen (der Maler Blaremberg hatte eine eigene Zeichen: 
ſchule errichtet) ſowie in der Verfertigung der Uhrenketten ꝛc. recht Tüch— 
tiges geleiftet: allein es berrichte in den Büchern und Rechnungen dies 
jes Geſchäftes nicht die befte Ordnung, man hatte zu viel Leute und 
mußte fie zu theuer bezahlen, — und, was nun freilih ein fataler 
Umftand war, es fehlte an Waarenabſatz. Die Fabritunternehmer gaben 
fi zwar alle Mühe, einen foldyen zu erzielen. Viala hatte ſchon einige 
Male die Frankfurter Meſſe, fo auch zu Oftern 1770 mit einem ver: 
häftnigmäßig bedeutenden Waarenlager (im Werth von beinahe 7000 
Gulden) beſucht; Chriftin hatte im Februar eine Neife in die Gegend von 
Augsburg, Regensburg und. Nürnberg unternommen und fidy dort mit 
417 guten Häufern und 35 Uhrmacher in Bekanntſchaft geſetzt, welch letztere 
auch in Zifferblättern, Uhrgehäufen, Werkzeugen, Teilen, Schmelzmales 
reien ꝛc. für etwa 2000 Gulden Beftellungen machten. Das Alles 
erſchien aber nicht hinlänglich, um zwiſchen Fabrikation und Abſatz dns 
richtige Verhältniß berzuftellen. Es wurden deshalb neue Gejhäftsreifen 
in die Schweiz, nad Paris, Holland fowie nad Yeipzig projeftirt, 
meist auch ausgeführt, und der Fabrik zur Vermehrung ihrer disponibeln 
Fonds ein weiterer Vorſchuß von 6000 Gulden, vom Juli bis Dezem- 
ber 1770 in Monatsraten von 1000 Gulden zu erheben, bewilligt, 
jedoch die Bemerkung daran gefnüpft, daß feine weiteren Vorſchüſſe zu 
erwarten jeien. Gleichzeitig wurde den beiden Chefs diefer Fabrik bes 
deutet, daß fie in ihrem Gefhäft befjere Ordnung halten, die über: 
flüffigen Arbeiter entlaffen, feine Vorfhüffe an diefelben mehr geben, 
namentlih aber auch vor Weberproduftion im einzelnen Artikeln fich 
beffer als bisher hüten follten. Die Zahl der Arbeiter wurde darauf 
bin aud verringert, und man behielt außer den Lehrlingen nur 


noch 8 Uhrenmacher und 6 andere Arbeiter, fammt einigen Frauen, 
41* 


644 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 


Der Pendülemaler Mergery errichtete num im ber Stadt auf eigene 
Koften eine Werfftätte, und ebenjo fing der Schmelzmaler Blaremberg 
felbfländig ein Geihäft an. | 

Es kann nicht meine Abficht fein, im bisheriger ausführlicher 
Weile den Fortgang der Uhrenfabrikation in Pforzheim zu ſchildern, 
fondern ich werde mich dabei auf das Weſentlichſte befchränten, ba dies 
ſem Fabrifationszweig das Glück nicht zu Theil werden follte, in Pforz⸗ 
beim ſolch feiten Boden und folhe Ausdehnung zu gewinnen, wie das 
bei der Quincaillerie und Bijonterie im Laufe der Zeit der Fall war. 

Das Hauptgebrehen der Uhrenfabrifation war der Mangel eines 
bandelsverftändigen Chefs. Das hatte der Scharfblid Reins 
Hards längft erfannt, das beftätigten Autran und Ador, welche Rein- 
hard im Vertrauen um ein Gutachten angegangen hatte, und der Rech⸗ 
nungsrath Jägerſchmied ſagt in einem Bericht vom 80. Juli 1771 
ebenfalls mit dürren Worten: „Es fehlt dieſer Fabrik der arbeitsver— 
fändige Direktor und auf Reifen und Meſſen der erfahrene Handels: 
mann.” Chriftin und Viala waren grundehrlihe Männer, dieſer ber 
Uhrmacherei, namentlih auch der Unterweifung ber Lehrlinge vollkom- 
men gewachien, jener, wie ſchon früher erwähnt, eine Art von medar 
niſchem Genie und mit dergleichen Arbeiten oft mehr als nöthig be— 
ſchäftigt. ) Er gründete in Verbindung mit Joh. Ib. Ador und dem 
Mechaniker Ludwig Philipp Wörfchler neben feiner Uhrenfabrit 1770 
noch eine Fabrik zur Anfertigung von mathematifhen Inſtrumenten, 
Maſchinen, namentlich auch Feuerfprigen, wofür den Unternehmern unterm 
18. Januar 1770 ein Privilegium auf 10 Jahre ausgeftellt wurde, 
Es feinen jedoch mit diefer Fabrik nicht eben die glänzendften Ges 
fhäfte gemacht worden zu fein, weshalb fie feinen langen Beitand hatte, 


1) Für feine Kenntniffe in der Mechanik und dem techniſchen Theil ber 
Fabrikation Ipricht eine Brofhüre, die er um diefe Zeit (1770) unter bem Titel 
berauegab: »Avis aux amateurs de l’utile et de l’agreahle sur une nouvelle 
manufacture d’horlogerie que Christin et Viala ont établie dans la Ville de 
Pfortzheim au Marggraviat de Bade Dourlach, Par Christin«, Dieje 24 Sei: 
ten ftarfe Schrift handelt in 9 Artikeln: du Möchanisme en general, avantages 
du local de la Ville de Pfortzheim, de la Peinture, de la Gravure, des Pendu- 
les et des Montres, des fournitures de l’'Horlogerie, de la Bijouterie et de la 
Jouaillerie, ouvrages divers, consequence du precedent, — Als Drudort ift auf 
ber Broihüre Pforzheim angegeben, jedoch ohne Bezeichnung des Bruders ſelbſt. 
Ih wüßte aber nicht, daß damals in Pforzheim eine Druderei beftanben hätte, 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 645 


Da weder Chriftin noch Viala Faufmännifche Kenntniffe beſaßen, fo hatte 
biefer Umftand die üble Folge, daß Viala oft ſehr unglüdlich fpefulirte, 
Ehriftin auf feinen vielen und theuern Reifen felten ordentliche Geſchäfte 
machte und häufig in den Tag hinein fabrizirt wurde, wie denn einmay 
für mehrere Taufend Gulden Zifferblätter und Feilen vorhanden waren, 
bie gar feinen Abſatz fanden, ein ander Mal das vorräthige Gold zu 
Bijouteriewaaren verwendet wurde, indeſſen eine Menge fertiger Uhr— 
werke ohne Gehäufe blieb. Dieſen Mangel eines handelsverftändigen 
Chefs fuchte man dadurch abzuhelfen, daß man ſich nad einem geeig: 
neten Mann umfab, der in das Gefchäft als Aſſocié eintreten, in das— 
felbe jedenfalls auch nicht unbedeutende Mittel einwerfen und bie Lei: 
tung bdesjelben übernehmen follte. Einen folhen glaubte man in bem 
Uhrenhändler Dubois aus Locke gefunden zu haben; allein die mit ihm 
angefnüpften Unterhandlungen führten nicht zum erwünfchten Ziel, und 
auch der Neuchateler Courvoiſter auf den man alsdann verfiel, wollte 
ſich zur Uebernabme der Fabrik nicht verftehen. Eine Reiſe, welche der 
Emailleur Fage zu gleihem Zwecke nad) Neuchatel machte, blieb eben: 
falls erfolglos. Mittlerweile geftalteten ſich die Verhältniſſe der Fabrik 
immer mißlicher. Chriftin Hatte im Herbft 1770 eine Reife nach Paris 
und Holland angetreten, und für etwa 12,000 fl. Waaren theils fogleich 
mitgenommen, theils nachgeſchickt erhalten; allein die Geldfendungen, bie 
man von ihm erwartete, blieben faft ganz aus, und feine eigene lange 
Abweſenheit gab zu allerlei Gerüchten Veranlaffung. Seinem Affocie 
Viala gingen in Pforzheim zulegt die Meittel aus, jo daß er einmal 
feine eigenen filbernen Löffel hergeben mußte, um Material zur Anfers 
tigung von Uhrgehäuſen zu gewinnen, und oft in ſolchen Geldverlegen- 
beiten war, daß er feine Arbeiter nicht bezahlen konnte. Diefe fielen 
bei der herrichenden Theurung dadurch der bitterften Noth anheim ; 
manche fonnten fein Brod mehr Kaufen, und auf Kredit erhielten fie 
feines. Die Arbeit in der Fabrik gerieth ins Stoden, und bie einlau- 
fenden Bejtellungen, die befonders in goldenen Uhren beftanden, konnten 
nicht mehr ausgeführt werden. Die Gelder, die bis zum Juli 1771 
borgefhoflen worden waren, hatten bereits die Höhe von 52,214 fl. 
erreicht, und doch follten immer noch neue Opfer gebracht werden, um 
das Gefchäft aufrecht zu erhalten! Diefer bedenkliche Zuftand der Uhren: 
fabrit Tegte die Frage nahe, ob es nicht beffer fer, das Unternehmen 
ganz aufzugeben. Viele Gründe fprachen dafür, manche wieder dagegen, 


646 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 


namentlich der dabei zu befürdhtende Verluſt, den Reinhard auf 25,000 
Gulden berechnete und das Schidfal der vielen Arbeiter und Lehrlinge. 
Man entfchloß ſich endlich nod zu einem Testen Verſuch. Die Fabrik 
follte aus der marfgräflihen Münze das nöthige, auf 18 Karat legirte 
Gold zur Anfertigung von etwa 60 Uhrgehäuſen nebft Unterftügung 
in Geld erhalten, mehrere Arbeiter jollten entlafjen, die Kontrole über 
die Fabrik verihärft werden ıc. Zugleich wurde aber bemerkt, daß, 
wenn die Fabrik in einigen Monaten durch Verkauf der vorhandenen 
Uhren fi) nicht in Stand geſetzt ſehen ſollte, ſich felber ohne weitern 
Beiſchuß zu erhalten, die Aufhebung derjelben fhen im Voraus als 
befchlofien anzufehen fei. 

Mit Sehnfucht wurde der Rücklehr Chriftins entgegengefeben, aber 
— er kam nicht. Seine Abweſenheit dauerte nun bald ein Jahr und 
zuletzt blieben alle Nachrichten von ihm aus, bis endlich ein vom 7. 
September datirter Brief aus Haag von ihm einlief, worin ev meldete, 
daß er fein Glück in Amfterdam zu fuchen, die Fabrit in Pforzheim 
aber beizubehalten gefonnen ſei; Viala möchte ihm alle noch vorhande: 
nen Waarenvorräthe zufenden. Dieſer theilte aber feine Beforgnifie dem 
geh. Rath Neinhard mit, der alsbald an die Regierung berichtete. 
Letztere beauftragte den geb. Legationsrath von Treuer im Haag, auf 
ſämmtliche Waarenvorräthe Chriſtins gerichtlichen Beſchlag legen, ihn 
ſelber aber nöthigenfalls verhaften zu laſſen. Es ſtellte ſich indeß bald 
heraus, daß man etwas übereilt zu Werke gegangen war; Chriſtin 
wußte ſich ſowohl brieflich, als bei ſeiner Rückkehr zu rechtfertigen und 
ſcheint auch von ſeiner Reiſe, trotz der ſchlechten Geſchäfte, die er im 
Allgemeinen gemacht hatte, einigen Baarvorrath mitgebracht zu haben, 
ſo daß die Fortſetzung der Fabrik wieder für eine Zeitlang geſichert 
erſchien. 

Das bisher freundliche Verhältniß der beiden Unternehmer ders 
felben hatte jedoch einen gewaltigen Stoß erlitten. Chriſtin bejchwerte 
ſich bitter über feinen Schwager Viala (diefer hatte nämlich - eine 
Schwefter Chriftins zur Frau), und auch letzterer hielt eine Trennung 
ihrer Geſellſchaft und eine Theilung der Fabrik für das beite Mittel, 
allen fernern Meinungsverfchiedenheiten und Mißhelligfeiten vorzubeugen, 
und zugleich auch, um eine Befjerung der bedenklihen Lage, in welcher 
ſich das Geſchäft befand, berbeizuführen. Au Bezug auf letztern Um: 
ftand ließ fich wenigftens noch ein Verſuch mahen, wenn auch Feine 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 647 


große Hoffnung vorhanden war, daß alle Verlufte wieder eingebracht 
werben würden. Diefe ftellten fich bei der Unterfuhung der Bücher, 
die Rechnungsrath Jägerſchmied am 2. November 1772 vornahm, als 
fehr bedeutend heraus. Don den bis dahin von fürftlicher Seite vor: 
gefchoffenen 54,260 ji. 151/, fr. war nur für 25,227 fl. 37 kr. 
Dedung vorhanden; alles Uebrige war feit der Gründung des Geichäfte 
für Fabrikunkoſten und für Unterhaltung der Fabrifunternehmer darauf 
gegangen oder beftand in zweifelhaften oder verlorenen Ausftänden. 
Was war nun bei einer Trennung zu riskiren? ebenfalls konnte kein 
größerer Verluft dabei herauskommen, als bei der alsbaldigen Auf: 
bebung der Fabrik, und die Ausfiht, daß die Sache wieder in ein 
befieres Geleife kommen könnte, war mwenigitens, wie ſchon bemerft, 
noch eines Verfuches wertb. Die Trennung wurde alfo nach den von 
Ehriftin und Viala gemachten Vorſchlägen, nach melden einfach Alles 
balbirt wurde, unterm 9. November 1772 vom Markgrafen beftätigt 
und aud alsbald vorgenommen, 

In Bezug auf das fernere Schickſal der Chriftin’fchen Fabrik, die 
aus dem Waifenhaus in das Gafthaus zur Krone verlegt wurde, Tann 
ich mid) kurz faffen. Trotz eines weitern Zufchufies von 2000 Gulden, 
den fie unterm 17. Mai 1773 aus dem reformirten Kirchenfonds er: 
hielt; troß eines neuen Echappemements, das Chriftin erfand und das 
Sachkenner als unverbefferlich bezeichneten; tro ber befiern Geſchäfte, die 
1773 auf der Frankfurter Herbſtmeſſe gemadt wurden: trog aller 
diefer günftigen Umftände eilte die Fabrik raſch ihrem Untergang ent= 
gegen. Bei einer unterm 18, März 1774 durch Rechnungsrath Jäger: 
ſchmied vorgenommenen Unterfuhung der Bücher ftellte fi heraus, daß 
bie Pafjiven die Aktiven um 7374 fl. 43 kr. überftiegen, ja daß ſich 
mit Hinzurechnung der verlorenen oder zweifelhaften Ausſtände, des 
Guthabens an Chriftin und an die Arbeiter, des Verluftes an Fabri— 
foten und Handwerkzeug ein Gejammtverluft von 21,533 fl. 19 kr. 
berausftellte. Das ganze Gefhäft war im Häglichiten Zerfall. Schon 
mehrmals hatte Ehriftin um hohen Zins Geld bei Juden geliehen, um 
feine Arbeiter bezahlen zu Können, oder er hatte zu gleichem Zweck 
fertige Uhren weit unter ihrem Werth verkauft. Unter folden Um— 
ftänden wußte Jägerſchmied feinen andern Rath, als die Aufhebung ber 
Fabrit zu beantragen, Da fi indefjen damals ein Schimmer von 
Hoffnung zeigte, für die Fabrik einen handelsverftändigen Aſſocis zu 


648 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


befommen, fo zögerte man von Seiten der Regierung noch, die Auf: 
bebung auszuſprechen, unterftügte auch Chriftin noch einmal mit einem 
Vorihuß von 300 Gulden. Als aber jene Hoffnung nicht in Erfül 
fung ging, fo wurde unterm 30. Mat 1774 vom Markgrafen die Aufz 
bebung der Chriſtin'ſchen Uhrenfabrik befchloffen, und Rechnungsrath 
Jägerſchmied erhielt den Auftrag, die Obfignation vorzunehmen und die 
Einleitung des Gantverfahrens zu veranlaffen. Wenn ich binzufüge, 
daß der amtliche Anfchlag fämmtlicher Effekten ıc. der Fabrik fich auf 
9740 fl. 30 fr. belief, daß aber Viala, der die meiften Arbeiter und 
Lehrlinge derſelben übernahm, ſich nicht dazu verftehen wollte, für bas 
ganze Inventar 5500 Gulden zu geben, jo mag daraus entnommen 
werben, welcher Berluft der Herrſchaft erwuchs, die faft fämmtliche 
Fonds zu diefer Fabrik bergefhoffen hatte. Chriftin büßte ſelbſt fein 
ganzes in das Gefchäft eingelegte, in Geld, Werkzeugen und Waaren 
beftehende Vermögen von etwa 2200 Gulden ein; doch fcheint ihm 
dafür einige Entihädigung gnädigſt verwilligt worden zu fein, Auch 
wurde ihm auf feine Bitte die Erlaubniß ertheilt, ſich gemeinfchaftlich 
mit feinem ältern Bruder in Karlsruhe etabfiren zu dürfen, und erhielt 
er fogar den Titel eines „Hofuhrenmaders.* In foldher Weiſe endete 
die eine der Pforzheimer Uhrenfabriken. 

Verfolgen wir num au die fernen Schidfale der andern. Diefe 
nahm unter der Leitung von Viala im Anfang recht guten Fortgang, 
fo daß fich der bei der Trennung vorhandene Abmangel von 5691 fl. 
im März 1774 bereit® auf 1885 fl. vermindert hatte und alle Aus— 
fit vorhanden war, daß fich die Verhältniffe diefer Fabrik immer beſſer 
geftalten würden. Zu dem Ende wurden ihm am 1. Auguft 1774 
von: Markgrafen 4 Kreditbriefe, jeder auf 1000 Gulden lautend, aus: 
geftellt, auch die 300 fl. und 10 Klafter Holz, welche beide Uhren: 
fabrifen als jährliche Unterftübung bisher gemeinfchaftlich bezogen hatten, 
ber Viala'ſchen allein zugemwiefen, nachdem diefe urfprüngli nur auf 
6 Jahre ertheilte „Penfion” für weitere Dauer zugeftanden worden war. 

Ein Schwerer Schlag traf die Fabrik durch den am 26. Dezember 
1774 erfolgten Tod Viala's, und die Aufhebung derfelben kam von 
Neuem zur Sprade. Da indefien die Mittwe Vialas, eine jehr brave, 
fteißige, verftändige und Aufßerft fparfame Frau, ſchon Tängft fich bei 
dem Geſchäft thatfächlich betheiligt und beim Arbeiten tüchtig mitgehol: 
fen hatte, da man ferner vorausſah, dag ſowohl diefe Frau mit ihren 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-- 1789, 649 


3 unerzogenen Kindern, als auch die 59 Urbeiter (morunter 11 ver: 
beirathete), weldye die Uhrenfabrit damals zählte, durch die Aufhebung 
ber Fabrik brodlos werden und der Stadt Pforzheim, wie dem Waifen- 
haus alle Vortheile, welde ihnen bis jet durch die Fabrik erwachfen 
waren, wieber entgehen würden: jo wurde im marfgräflihen Geheim— 
rathskollegium unterm 4. März 1775 beichloffen, der Wittwe Viala’s 
unter Beihilfe des tüchtigen Buchhalters Hofmann die Leitung der Fabrik 
zu übertragen, Zugleich wurde ihr der Rückerſatz der 5987 fl. 47 kr., 
bie ihr verftorbener Mann feit 8 Jahren von dem Fond der Fabrik 
zum Unterhalt feiner Familie verwendet, ferner des noch vorhandenen 
Defizits von 1519 fl. 52 fr., ebenfo die rüdjtändigen Zinfen im Betrag 
von 7867 fl. 51 fr. erlafien und endlich auch die unbeibringlichen Aus: 
ftände, die fi auf 3342 fl. beliefen, aus den Aktiven geftrichen, ihr 
aber die ftrenge Verpflichtung auferlegt, won jebt an die Zinfen des im 
Geihäft ſteckenden Kapitals, das von 27,130 fl. 7 kr. auf 16,280 fi. 
zufammengefhmolzen war, pünktlich zu entrichten und fich überhaupt 
alle Mühe zu geben, daß die Fonds nicht weiter vermindert würden, 
indem man fonft zur Aufhebung der Fabrik fi entichließen müßte. 
Machen wir bier einen Sprung von 8 Jahren und zwar über das 
Jahr 1779 hinüber, mit welchem das 1767 auf 12 Jahre ertheilte 
Privilegium ablief, aber vorläufig nicht erneuert wurde, da man die 
Fabrik einftweilen, und zwar bis 1783, auf Grund des alten nod) fort- 
zuführen für gut fand. Die Fabrik hatte während diefer 8 Jahre bald 
beflere, bald fchlechtere, im Allgemeinen aber keine guten Geſchäfte ge: 
macht. Die Paffiven überftiegen in Folge von Verluſten verſchiedener 
Art, namentlich aber auch deswegen, weil der arbeitende Fond offenbar 
zu Fein war, die Aktiven um nicht weniger ala 3639 fl. 45 fr., und 
dazu war bisher von den oben erwähnten 16,280 fl, nody fein Kreuzer 
Bing bezahlt worden. Abermals kam die Aufhebung der Fabrik zur 
Sprache; aber aus den nämlichen Gründen wie früher konnte man ſich 
dazu nicht entfchliegen, fondern es wurde im &egentbeil ein neues Pri— 
vilegium auf 12 Jahre, vom 4. Auguft 1783 an beginnend, ber 
Wittwe Viala, die ſich unterdefien mit ihrem Buchhalter Hofmann 
affveirt hatte, ausgeftellt, das fehr günftige Bedingungen enthielt. Die 
Fabrik, die künftig unter der Firma „Hofmann und Viala“ ge 
führt werden follte, wurde mit 5 Krebitbriefen, auf je 1000 Gulden 
lautend, unterftügt, den beiden Leitern derſelben ein Jahrgehalt von 


650 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


1300 Gulden ausgefebt, und außerdem erhielten fie neben der Per- 
fonalfteuerfreibeit die Pfundzollfreiheit für alle ihre Fabrikftoffe und 
Fabrikate fowohl, als für ihre Lebensbedürfnifie; von dem mebrerwähn- 
Kapital von 16,280 fl. follten fie blos nach Möglichkeit Zins zahlen 
dürfen, jeboch felber darauf fehen, daß bdasfelbe vermehrt würde u. f. w. 
So war wieder Hoffnung vorhanden, das Gefchäft im befiern Gang 
zu bringen, namentlich da ſchon im September 1783 die beiden Firma- 
träger ihre Intereſſen noch fefter mit einander verfnüpften, indem fie 
ſich ehelich verbanden. 

In den nächſten Jahren waren die Verhältniſſe inſofern nicht un— 
günſtig, als wenigſtens ohne Verluſt gearbeitet wurde, wenn auch die 
Ueberſchüſſe nie ſo bedeutend waren, daß obiges Kapital auch nur zu 
3 Prozent hätte verzinst werden können. Doch hatte man von Seiten 
ber Regierung befiere Refultate kaum erwartet und war zufrieden, daß 
der Fond erhalten, die Arbeiter beichäftigt (etwa 70 Menjchen ges 
währte damals die Uhrenfabrit ihren Unterhalt) und Handel und 
Wandel in Pforzheim befördert wurden. Die 1789 ausgebrochene 
franzöfifhe Revolution und die Kriege, die daraus hervorgingen, blieben 
nicht ohne nachtheifigen Einfluß auf den Abſatz der Pforzheimer Uhren, 
der überdies durch die Konkurrenz der Schweizer Fabriken, die mit ihren 
Uhren ganz Deutfchland überſchwemmten, nicht wenig beeinträchtigt 
wurde. Eine andere Konkurrenz war unferer Uhrenfabrik in Pforzheim 
felbft erwachfen, wo nad und nad neben berjelben eine Anzahl von 
Kabineten enftanden war, beren Zahl zu Anfang des 19. Jahrhunderts 
nicht weniger als 32 betrug. Schwer empfand auch unſere Fabrik 
einerfeits einen Verluſt von 2490 fl., der ihr dur die Untreue und 
Flucht des Uhrgehäufemaher und Kabinetmeiſters Müller 1791 er: 
wuchs, andererfeits brachte der Tod Hofmann, der am 7. Juli 1796 
inmitten des größten Kriegsgetümmels erfolgte, keine geringe Störung 
in das Gefchäft. Zwar führte die Wittwe Hofmanns, der immer das 
Lob einer geſchickten und unermüdlich fleifigen Frau gezollt wurde, das 
Geſchäft mit Hilfe ihres Tochtermanns, des Nepafjeurs und Remon— 
teurs Frangois Marshall und eines Buchhalters fort, und das Pri- 
vilegium wurde ihr aud von Jahr zu Jahr verlängert; ebenfo bemil: 
ligte man 1801 der Fabrif eine neue Unterftügung von 3000 Gulden, 
die zu 5 Proz. verzinst werden follten: allein es waren alle Anzeichen 
vorhanden, da über Kurz oder lang eine Kataftrophe eintreten müſſe. 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789, 651 


Ein leiter Verfuch, der Fabrik und auch den fonftigen Uhrenfabineten 
aufzubelfen, war die Errichtung eines Uhrenkomptoirs, wozu man den 
Juden Levi Bodenheimer veranlafßte, 1) nachdem man fich vergeblich 
bemüht hatte, ein Schweizer Uhrenkomptoir hierher zu ziehen. Wie fehr 
auch fonft der Regierung daran gelegen war, die Uhreninduftrie in 
Pforzheim vor dem Untergang zu bewahren, zeigt der Vorſchuß von 
6000 Gulden, den fie im Januar 1802 den gefchieteften Uhrmachern 
der Stadt (jo namentlih an Schmidt und Stähly) gegen die nöthige 
Sidyerheit Teiftete. 2) War dur alle diefe Mafregeln auch für den 
Augenblid geholfen, fo begann neues Mißgeſchick in Folge des Wieder— 
ausbruchs des Kriegs 1805, und als gar am 15. März 1806 
Marehal ftarb und mehrere der Kapitalien, die auf die fürftlichen 
Kreditbriefe hergeliehen worden waren, aufgefündet wurden: fo entſchloß 
man fi zum Verkauf der Fabrik, nachdem fich in der Perfon des 
an derfelben beſchäftigten Nemonteurs Heinrih Caſimir Dürr ein Lieb- 
baber dazu gefunden Hatte. Um die geringe Summe von 5000 fl, 
die er anbot, erhielt er am 7. Juni 1808 das ganze Geihäft fammt 
Waarenvorräthen, Material, Werkzeugen, Fabrifeinrichtungen, Handels: 
Aktiven und Paffiven ꝛc. Die auf der Fabrik noch baftenden Schulden 
von 17,000 Gulden übernahm die Herrſchaft. Der Hofmann’ichen 
Wittwe wurde eine jährlihe Benfion von 800 Gulden ausgefeht, die 
fie auch bis zu ihrem im Jahr 1823 im Alter von 83 Jahren er: 
folgten Tod bezog. Seit 1775 waren von Eeiten der Herrſchaft im 
Ganzen nicht weniger als 48,306 fl. 2 kr. auf diefe Uhrenfabrif ver: 
wendet worden, „Wenn man aber,“ fo heißt es in einem fürftlichen 
Kammerprotofoll vom 19. März 1808, „in Erwägung zieht, daß 
eben diefe Uhrenfabrik die Veranlafjung zu verjchiedenen andern Etab: 
liſſements in Pforzheim gegeben hat, wodurch die Stadt und Gegend 








I) gegen das Verſprechen, daß ihm, nachdem ihm die Errichtung einer 
Bijouteriefabrit abgeichlagen worden war, ipäter geftattet werben würde, fich 
mit einem riftfichen Unternehmer zu affeciren, wenn er keine iſraelitiſchen 
Arbeiter verwenden wolle, 

2) Der Obervogt Baumgärtner hatte 17,200 fl. zu dieſem Zwecke ver: 
langt; allein ber fürftl, Geheimerath erflärte, wegen ber Koften, welche der 
Tod des Erbpringen (Karl Lubwig + 16. Dez. 1801 zu Arboga in Schweden) 
und bas große Gewäfler verurfacht hätten, nicht mebr als 6000 fl. aeben zu 
Tönnen, 


652 Achtzehntes Kapitel. Mforzheim von 1746—1789, 


und deren Induſtrie ungemein zugenommen bat, fomwie audh mittelbar 
bie berrichaftlihen Kaffen offenbar auf andern Wegen beträchtlich ge— 
wonnen haben: fo wage man zu behaupten, daß der hier nachgewiefene 
direkte Kaffenverluft dur jene größern Vortheile mehr als binlänglich 
aufgewogen fein dürfte.“ 

Die Uhrenfabrik, jest Privateigentfum , wurde nunmehr au aus 
ben bisher inne gehabten Lokalititen im ehemaligen Waifenbaus ver: 
legt, und zwar in das Hintergebäube des jeht Schreiner Veyl'ſchen 
Haufes. Noch einige Jahre friftete fie ihr Dafein, bis endlich ber 
Eigenthümer Dürr es für gerathener fand, das Gefhäft, das haupt- 
fächlich wegen der Konkurrenz der Schweizer Uhren nicht wieder im 
Flor kommen wollte, gänzlich aufzugeben, feinen Wohnfik nad Karls: 
ruhe zu verlegen und dort fi) einfach als Uhrmacher aufzutfun. Auch 
bie Heinern Kabinete, die damals noch beftanden und ſich hauptfächlich 
mit Anfertigung von Uhrgehäuſen befaßten, hörten nah und nah auf. 
So endete ein Induſtriezweig, der in Pforzheim mit fo großen Hoff: 
nungen begonnen worden war. 


e. Weiterer Fortgang der berrfchaftliden Stahlfabrik. 
Berkauf derſelben. Entftebung neuer Kabinete, 


Befiern Fortgang nahm die Stahlfabrit unter der Leitung von 
Autran und Aber. An einem Bericht, den der geb. Nath Reinhard 
unterm 23. Juli 1770 darüber erftattete, beißt e8 u. U: „Bei Autran 
und Ador gehet Alles in der Heften Ordnung. Man arbeitet in einer 
angenehmen Stille und dech fleißig. Noch 3 Monate hat man zu 
thun, um die beftellte Arbeit zu verfertigen. Die Correfpondenz zeigt, 
dak man mit den verfandten Waaren und reifen fehr zufrieden ift, 
indem immer neue Veitellungen gemacht werden. Die im Lande ge: 
zegenen Urbeiter, wozu man allerhand verborbene Handwerksleute 
nimmt, formiren fi) fehr wohl, und die Kehrlinge aus dem Waifenhaus 
und der Etadt nehmen über alle Hoffnung zu bdergeftalt, daß man m 
Kurzem verfchiedene Engländer wird entlafjen können, wenn fie nicht 
bleiben wollen. Die Gelder von den Kunden gehen ordentlih ein, 
die Vorſchüſſe, fo an die Arbeiter gefchehen, vermindern ſich täglich, und 
man bat nicht mehr nöthig, ihnen neue zu machen“ x. Zur Ausbeh— 
nung des Waarenabfages, der bisher Hauptfählih nah Fraukreich und 


Achtzehnter Kapitel. Pforzheim von 1746— 1789, 653 


der Schweiz gegangen war, unternahm Autran noch im Jahr 1770 
eine größere Reife über Augsburg und? Münden nad Wien, Prag, 
Dresden, Leipzig ꝛc. und erhielt bei diefer Gelegenheit jo zahlreiche 
Beftellungen, daß eine Erweiterung der Fabrik durdaus nothwendig 
erfhien. Zu diefem Behufe erfolgte aus Staatsmitteln ein abermaliger 
Zuſchuß von 10,000 Gulden, weitere Summen wurden bei eintretendem 
Bedürfniß in Ausficht geftellt und überdies der Fabrik bei dem Bankier 
Fran? in Straßburg ein Kredit von 1000 Louisdors eröffnet. 

Auch in den folgenden Jahren geftalteten fich die Verhältniſſe der 
Stahlfabrit immer günftiger. „Sie befteht im Segen,” fo berichtet 
Reinhard unterm 25. Januar 1771, „fie nimmt täglih zu, weil fie 
immer neue und fchönere, auc immer wohlfeilere Waaren liefert, mit 
Vorſicht, Klugheit und Ordnung ihre Handlung führt, Jederman mit 
ihren Waaren und reifen zufrieden ift, die Lehrlinge täglich) befier 
werden, die Arbeiter fi mehr perfeftioniren, fleißig arbeiten, ihre 
Schulden bezahlen, ja zum Theil fchon vorzufparen anfangen.” Noch 
in demfelben Jahr wurde für die Fabrik eine neue Poliimafchine ans 
geihafft. Gleich günftigen Fortgang nahm das Gefhäft in den folgen: 
den Jahren, obgleich dasfelbe 1773 durch den Fall des Handlungs: 
hauſes Truite et Dan in Berlin nicht unbedeutenden Verluft erlitt und 
in Pforzheim jelber nady nunmehr fechsjährigem Beftehen der Fabrik 
die Bezahlung des Verdienftes an die Lehrlinge und der Haus: und 
Fabritmiethe ihren Anfang nahm und die Unkoften auch fonft, wie 
3. B. durch Anfhaffung einer zweiten Polirmafchine, fich mehrten, In 
welchem Umfang bereits in diefem Jahr (1773) Gefchäfte gemacht 
wurden, mag der Umftand beweiſen, daß der Rechnungsrath Jäger— 
jchmied, der mit Aufftellung des Anventars beauftragt war, unterm 
27. November 1773 berichtete, er könne feinem Auftrage wegen der 
vielen Beitellungen, welche die Hauptperfon Ador beforge, nicht nach— 
fommen. Längere Zeit müfle Tag und Nacht gearbeitet werden, um 
ben Beftellungen namentlich aus Berlin, Königsberg und Niga zu ges 
nügen. Reifen finde man gar nicht mehr für notbwendig, weil genug 
Wege zum Abfah offen feien ꝛc. — Die Zahl der Arbeiter war nad 
und nad auf nahezu 300 geftiegen. Im folgenden Jahr (1774) er: 
hielt das Geſchäft einen fehr tüchtigen Buchhalter in der Perſon des 
ob. Joſ. Bujard, (geboren zu Riez in der franzöftfchen Schweiz 
am 22. November 1751, + 2. Februar 1816). 


654 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 
« 


Finen wichtigen Wendepunkt in der Gefchichte der herrichaftlichen 
Stahlfabrit (mie fie immer nody heißt), brachten die Jahre 1775 und 
1776. Weil diefelbe, und zwar hauptſächlich durd die Bemühungen 
der Unternehmer Autran und Ador, fo fehr in Flor gelommen war, 
jo verlangten die beiden letztern größere Vortheile für fich felber, die 
ihnen von der Regierung zwar großentheils, aber doch nicht in ihrem 
ganzen Umfange bewilligt wurden. Damit aber nicht zufrieden kün— 
digten Autran und Ador im Juni1775 bie fernere Füh— 
rung der Fabrit auf. Um jeder Störung im Betrieb bes blühen: 
ben Geſchäfts zuvorkommen und dasfelbe unter allen Umſtänden zu 
erhalten, trat der Markgraf Karl Friedrich — gegen feine fonftigen 
Grundſätze — felber ing Mittel, Die Fabrik wurde auf herrſchaft— 
liche Rechnung übernommen, ihr in der Perfon des Rechnungsraths 
Jägerſchmied ein Direktor gegeben, diefem eine Stahlfabrik-Kommiſſion, 
beftehend aus dem geh. Rath v. Edelsheim und Hofratd E. Maier, an 
die Seite gefett, und ihr der Auftrag ertheilt, an alle Gefchäftsfreunde 
raſch Girculare zu erlaffen, worin denfelben mitgetheilt wurde, daß fie 
fih in allen Gefchäftsangelegenbeiten, in Aktiven und Paſſiven, nur an 
Jägerſchmied und deſſen Handkhrift Halten follten, für welch letztere der 
Markgraf zu haften ſich verbindlich made, Es Tag nicht im der Abficht 
Karl Friedrichs, die Fabrik auf die Dauer auf herrihaftliche Rech— 
nung weiter führen zu laſſen, fondern nur fie einftweilen zu erhal: 
ten und bei günftiger Gelegenheit zum Verkauf zu bringen, da das 
Unternehmen bereits hinreichend auf fichern Füßen ftehen konnte, um der 
Unterftügung von Seiten des Staates nicht mehr zu bedürfen, Ein 
Käufer, und zwar der allergeeignetfte, fand ſich auch bald im der Ber: 
fon Adors felber (der indefjen bereits ein anderes Gefchäft gegründet 
batte) und ging 1778 die ganze Fabrik um eine entiprechende Kaufs 
ſumme an ihn über. Mie fehr der Markgraf deffen Verdienfte um bie 
Hebung desielben anerkannte, beweist die an Ador erfolgte Verleihung 
de8 Titels eines Kommerzienrathe. 

In welcher Weiſe fih Autran, der erfte Begründer der jetigen 
Pforzheimer Hanptinduftrie, nad) feinem Austritt aus der Keitung ber 
herrſchaftlichen Stahlfabrif befchäftigte, vermag ich nicht zu fagen, da 
die Akten, woraus diefe Darftellung der Gefchichte der Pforzheimer 
Bijouterie geichöpft find, hierüber nichts enthalten. Er fcheint bei ſei— 
nem Austritt bedeutende Entſchädigungsforderungen gemacht zu haben, 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 655 


und wurde ihm auch eine anfehnliche Summe ausbezahlt. Im Jahr 
1781 kam es zwilchen ihm und Kommerzienraty Ador zu verdrüß: 
lihen Händeln, die im verfchiedenen Anfchuldigungen ihren Grund 
fanden, welde Autran gegen Ador vorbradhte und die fogar zur vor: 
übergebenden Verhaftung Beider führte. Ador wußte fich aber gläns 
zend zu rechtfertigen, und Autran fcheint bald darauf Pforzheim gänzs 
lich verlaffen zu haben und in fein Vaterland zurückgekehrt zu fein. 
Noch einmal begegnen wir ihm im Jahr 1798, aber nicht mehr ala 
Fabrifant, ſondern als — Magazinverwalter der franzöfifchen Alpen- 
arme. Damals erhob er nachträglich noch Geldforderungen an die 
badifhe Megierung wegen der frühern Führung der herrichaftlichen 
Fabrik zu Pforzheim, und es gelang ihm auch, noch 460 Lonisdors 
zu erprefien, worauf er allen meitern Anfprüchen entfagte. Im Ganzen 
hatte er 40,000 Franken erhalten. Was ſpäter noh aus Autran 
geworden, weiß ich nicht. 

In der erften Zeit, da die Stahlfabrik mit herrfchaftlichen Geldern 
betrieben wurde, ſah man fie fo an, als ob fie im Befik eines Mono» 
pols wäre, obgleich ihr ein folches nie ausdrücklich ertheilt worden war, 
Jetzt aber, da der Beweis geliefert war, daß die neue Induſtrie in 
Pforzheim nicht nur ſich als Tebensfähig erwics, fondern auch zu weite 
ver fröhlicher Entwicklung gegründete Hoffnung gab, jet fuchte man 
das Entftehen weiterer Gefchäfte zu begünftigen, um der Gewerbthätig- 
feit eine immer größere Ausdehnung zu verihaffen. Schon im Jahr 
1776 finden wir neben der herrichaftlihen Fabrik 13 felbftftändige 
Kabinete, die theild von bisherigen Arbeitern der Stahlfabrik, theils 
von Pforzheimer Einwohnern, theils von eingewanderten Franzojen ges 
gründet worden waren. Die Namen bdiefer früheften Pforzheimer 
Fabrikfirmen mögen bier ftehen: Mergery, Jaques Nie, Trumeau, 
Will. Fletscher, Pierre Lartique, Grg. Chasmore, Joh. Fr. Gerwig, 
Jaq. Fred. Benevet, Joh. Conrad Hofmann, Dan. Huguenin, Joh. 
Kalb,. Jean Louis Escuyer, Malice und Sandoz. Im folgenden 
Jahr 1777 war die Zahl fämmtliher Kabinete (Golds und Stahl: 
waaren und Uhren) bereit auf 21 yeftiegen. 

Die Waaren, welche alle diefe Kabinete lieferten, mußten um fo 
ausgedehnteren Abſatz finden, als man es in Pforzheim vortrefflich ver: 
ftand, fih dem Geſchmack, wie er fih im Lauf der Zeit änderte, im— 
mer wieder anzubequemen. Statt der einfachen Stahlwaaren fam noch 


656 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746 -1789. 


in den 1770ger Jahren, wie ſchon erwähnt, nad und nad die Stahl« 
bijouterie auf, bis ſpäter das edle Metall das uneble ganz verdrängte, 
Man befafte fi nebenbei mit Schleifen und Schneiden von edeln Stei- 
nen, man lieferte Arbeiten aus Elfenbein und Perlmutter (darin zeichnete 
fich namentlich die Rheinboldt'ſche Fabrik aus), und wußte aus den beiden 
legtern Stoffen durch Schneiden, Biegen ꝛc. Darftellungen von erhöhtem 
Laubwerk und von Iandfcheftlichen Gruppen bis zum Meinen Maßſtab 
eines Ringes zu Stande zu bringen. Wir dürfen uns darum nicht 
wundern, wenn die Pforzheimer Waaren bald in ganz Europa ver: 
breitet waren und die Umſatzſumme bderfelben bereits fidy auf viele 
Tauſende belief. 


f. Einführung der Goldkontrole, Weitere Entwidlung 
der Pforzheimer Bijouteriefabrifation. 


Noch vor dem Verkauf der berrihaftlichen Fabrik hatte der Mark: 
graf, um den Kredit der Pforzheimer Fabrikation, foweit fie fich auf 
Verarbeitung des Goldes bezog, immer zu heben, den Entſchluß ges 
faßt, bezüglich des Goldgehalts der Waaren, welche in Pforzheim ges 
fertigt wurden, fefte Beftimmungen zu treffen und behufs ftrenger 
Beobachtung derfelben eine Controle einzuführen. Dies gefhah unterm 
13. September 1777. Wir tbeilen die desfalls erlafjene Verordnung 
wörtlih mit: 

„Sleihwie wir von jeher auf den Wohlftand unferer lieben Unter: 
tbanen mit Beförderung des Flors von ihren Commerzien und vor— 
nehmlih auf die Vervolllommnung unferer zu Pforzheim etabfirten, 
von uns gnädigft privilegirten Stahl- und Uhrenfabrik den vorzüglichiten 
Bedacht genommen haben, alſo finden wir und zu diefer unferer landes⸗ 
väterlichen Abficht näherer Erreihung, was insbefondere die Vermeh— 
tung des Kredits bei diefer Stahl: und Uhrenfabrit, fowie die fonft 
in unferer Stadt Pforzheim fich niedergelaffenen Arbeiter betrifft, in 
Anfehung des Goldes gnädigft bewogen, zu verordnen: |. Daß in 
Stahl» und Uhrenfabriten und von den Stadtarbeitern fein maſſives 
Gold unter 18 Karat und Fein überlegtes Gold unter 14 Karat ver- 
arbeitet werden dürfe bei Zuchthausftrafe und weiterer Strafe ber 
Konfisfation. 2. Der Kontroleur fol die Waaren von vorfchrifts 
mäßigem Gehalt ftempeln. 3. Alle maſſiv- und überlegt goldenen 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 657 


Waaren follen die Arbeiter dem ontroleur zum WProbiren und 
Stempfeln vorlegen und bei obiger Strafe keine ſolche Waaren ohne 
Probe und Stempfel verkaufen. 4. Der Gontroleur darf zu jeder 
Zeit und foll wöchentlich wenigſtens 2 Mal die Werkftätten befuchen 
und die vorräthigen Waaren probiren. 5. Bei der Strichprobe darf 
nur 1/, Karat am vorgefchriebenen Gehalt fehlen; ſcheint aber 1/, Ka= 
rat zu fehlen, jo bat der Gontroleur die Feuerprobe damit worzuneb: 
men und über den bier befundenen vorfchriftswidrigen Gehalt ſogleich 
bei Dberamt die Anzeige zu machen. (Es wurde ihm darüber ein be 
fonderer Eid zu ſchwören auferlegt.) 6. (Betrifft die Unterſuchung der 
damals vorräthigen Waaren.) 7. Controfgebühren: für Kleine 1—4 
Deniers haltende Waaren 8 kr., für ein Stüd von 4—8 Deniers 12 
fr., von 11,—2 Unzen 54 fr, von 2 Un. 4 Den. 58 fr., von 3 
Un. 6 Den. 1 fl. Ar. (Die Stahlfabriktommiffion traf unterm 31. 
Dezember mit dem Gontroleur einen gütlihen Vergleih, wornach fie 
für alle Waaren unter 1 Unze eine ermäßigte Tare bezahlte.) 8. Für 
Goldblättchen auf Stahl und Kupfer fol jeder Arbeiter, die Lehrlinge 
ausgenommen, dem Gontroleur monatlih 30 tr. bezahlen; doch ſteht 
beiderfeits frei, eine fonftige Uebereinkunft für fich hierüber zu treffen. 
Diefe ontrolverordnung wurde in bdeutfcher und franzöfiicher 
Sprache den betreffenden Kabinetmeiftern publicirt, (fo hießen zuerft die 
Vabrifanten felber; fpäter (1786) wurde ihnen geftattet, fich zum Un— 
terichied von den Privatarbeitern Kabinetsentrepreneurg zu nen 
nen, eine Bezeichnung, die jpäter mit: Fabrikentrepreneurs ver 
taufcht wurde), Mir finden ihrer (alfo 1777) in den Alten folgende 
verzeichnet: Ador, Gold» und Stahlwaarenfabrit, Bijoutier Mer: 
gery, Bijoutir Trumeau, Goldarbeiter Hofmann, Goldarbeiter 
Dunft, Goldarbeiter Metzger, die Graveure Lartique, Carron 
und Sandoz, die Stablarbeiter Fletſcher, Cashmor, oh. Ger: 
wig, Ab. Kiehnle in der Au, Panel der Engländer, Ad. Kölliſch, 
die beiden Neubäufer, Gebauer, die herrſchaftliche Uhrenfabrif, 
die Ührgehäufemaher Müller und PVilleneuve. Als Controleur 
wurde der Juwelier Bierordt mit einem Gehalt von 300 fl. und 
ben Gontrolgebühren beftellt. 1) Lebtere wurden auf Antrag des Ober: 


1) Er war vorher in England gewefen, heiratete 1779 die älteſte Tochter 
des Poftmeifters Beder, baute 1787 ein eigenes Haus, wozu er von ber 
Pilüger, Porzpeim, 42 


658 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 4746— 1789. 


amts, welches darin ein Mittel erblidte, die fremden Fabritanten, die 
meift nur mit fleinem Vermögen arbeiteten und was fie verdienten, 
audy wieder durchbrachten, in Pforzheim feitzubalten, im folgenden Jahr 
auf die Hälfte ermäßigt und Vierordt als Entſchãdigung von der Regies 
rung die Summe von 10 fl. ausgeworfen. Im September 1778 
vereinigten ſich ſämmtliche Fabrifanten dahin, dem Gontrofeur jtatt der 
befondern Gontrolgebühr ein Averfum von ebenfalls 150 fl. auszubes 
zahlen: eine Summe, die bei jpäterer Ausdehnung der Induſtrie auch 
zunahm und 1788 beifpielmeife 500 Gulden betrug. 

Bezüglich des Goldgehalts der Waaren, die nad) der Sontrolordnung 
18karätig fein ſollten, trat noch im Jahr 1778 eine Veränderung ein, zu 
der die fchlechten Geſchäfte, welche die Kabinete damals vorübergehend 
machten, Veraufafjung gab. Die Fabrikanten Lartique, Metger und 
Trumeau waren um die Grlaubniß eingefommen, verſchiedenen Waaren 
einen Gehalt von nur 14 Karat geben zu dürfen, und das Dberamt 
Obervogt Wielandt) hatte diefes Geſuch damit unterſtützt, „daß der 
Nahrungsitand alle Tage ſchwerer werde, die Armuth groß fei und der 
fonft in Blüte geftandene Wohlſtand der Fabrikanten fo zu welfen be= 
ginne, daß ihr Umſturz nur zu geſchwind erfolgen könne und alle 
ſchillichen Mittel erforderten, fie aufrecht zu erhalten.” Daraufhin wurde 
von ber Negierung geftattet, auch 14karätige maffive Soldwaaren , als 
Berloques und Uhrenketten, zu machen, und diefe Erlaubniß wurde 
unterm 6. Juli 1780 Bis auf Weiteres aud auf Uhrgehäuſe, Stod: 
nöpfe, Etuis, Bracelets, Ninge, Dofen ꝛc. ausgedehnt, jedoch unter der 
Bedingung, daß der Controleur dies auf den Waaren ausdrücklich 
bemerken müſſe und nur auf 18karätige den Stempel ſchlagen dürfe. 

Wie durch ſorgfältige Handhabung der Controle, ſo ſuchte man 
auch durch andere Mittel den Kredit der Pforzheimer Fabriken zu 
heben, Falſchungen und Veruntreuungen einen Riegel vorzuſchieben und 
den Fabrikunternehmern jede thunliche Begünſtigung zuzuwenden. So 
wurde unterm 3. Februar 1779 verfügt, daß bei ſchwerer Leibesſtrafe 
kein Fabrikarbeiter in feiner Wohnung arbeiten dürfe, ebenſo ſolle 
kein Kabinetmeifter ohne befondere Erlaubnig an einem andern Orte, 


Herrihaft um ermäßigten Zins 3000 fl. vorgeihoflen erhielt und ftarb 1789, 


worauf feine Wittwe den Dienft erhielt und ihn fpäter mit Hilfe eines Sob: 
nes fortführte, 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789, 659 


als in feinem Kabinet arbeiten. Wohl aber war geftattet, nach ordent: 
lich genommenem Abjchied von dem einen Kabinet fi) an ein anderes 
zu wenden. Aehnliche ſcharfe Beftimmungen ergingen im Jahr 1784. 
Sp wurde feitgefeßt: 1. Niemand ſoll Gold an Kabinetmeiſter ver: 
Kaufen und Niemand Gold erfaufen, welches nicht vorher die euer: 
probe paffirt hat und controlixt it. 2. Alle Kabinetmeifter und auf 
eigene Rechnung Arbeitenden ſollen mit einem Eid belegt werden, fein 
Gold zu verkaufen, welches nicht, ſowie es zu Blech oder Draht for: 
mirt worden, im euer probirt und controlirt ift. (Auf erhobene Ein- 
wendung der Fabrikanten wurden diefe beiden Artikel 1786 in folgen: 
der Weiſe abgeändert: Der Einkauf des probirten und nicht probirten 
Goldes wird freigegeben ; das Gold darf aber nicht, ohne im euer 
probirt und auf den gehörigen Gehalt gefeßt zu fein, verarbeitet werden ; 
ber Eontroleur foll prüfen und die gebaltwidrigen Arbeiten zur Kon: 
fisfation und ſchweren Beitrafung der Arbeiter anzeigen; ebenfo foll er 
die Goldſtücke in den Kabineten von Zeit zu Zeit probiren ; die Juden 
bürfen mit Gold handeln, aber bei ſchwerer Strafe feines einjchmelzen.) 
3. Die donblirten Waaren follen mit einem D marfirt werden. (Zuſatz 
von 1786: Uhrſchlüſſel, Berlogues u. dergl. Heinere Waaren follen nur 
von Gold gemacht werden). 4. Zu allen goldenen Arbeiten joll Gold: 
ſchlagloth zum Löthen genommen werden, und zwar Fein geringeres 
als von 8 Karat Gehalt. Damit aber dennoch die Stüde den vor: 
fchriftsmäßigen innern Gehalt befommen, fell fo viel feines Gold zu: 
gefeßt werden, bis jene durch das Schlagloth entjtandene Gehaltsver: 
minbderung wieder ausgeglichen ift und die Stüde den aufgeprägten 
Gehalt auch wirklich in ſich enthalten. (Dagegen wurde Cinfpradye 
erhoben, weil «8 nicht möglich fei, folder Beitimmung nachzukommen; 
diefelbe fand aber keine Berüdfichtigung, weil die Ador'ſche Fabrik ſchon 
lange diefe Vorichrift befolge. Es ſei zwar geftattet, auch zu 16 Karat 
zu arbeiten; jedoch müſſe die Controlzahl 16 darauf ftehen, wie 14 auf 
ben 14karätigen Waaren, aber ohne fürftlihes Wappen.) 5. Gold: 
controleur Vierordt darf mit Gold handeln und probirtes und contro- 
lirtes Goldblech und Golddraht verkaufen. 

Schon 1776 waren fümmtlihe für fih arbeitende Fabrikanten 
um Befreiung vom Pfundzoll eingelommen; es wurde jedoeh dem 
Geſuch nicht ftattgegeben. Zehn Jahre fpäter jedoch zeigte fich Die 
Regierung auf bevorwortenden Bericht bes Be en bin 


660 Achtzehntes Kapitel. Piorzbeim von 1746—1789, 


geneigt, den Kabinetsentrepreneurs größere Freiheiten zu bewilligen, und 
es wurde deshalb unterm 2. Februar 1786 verfügt, daß denfelben, fo 
lange fie ihr Gewerbe trieben, die Freiheit von Kopf:, Bürger: und 
Gewerbeſchatzung, ſowie vom Pfundzoll bei Verkauf ihrer Waaren und 
Einkauf der erforberlihen Materialien widerruflich zugeitanden ſei; auch 
follen fie Häufer: und Hauspläge fteigern fünnen, ohne daß ihnen gegenüber 
vom Auslöfungsreddt Gebrauch gemacht werben dürfe. Wenn fie aber 
noch ein anderes Gewerbe daneben betrieben, fo mühten fie von letzterm 
die Hälfte der Bürger: und Gewerbefhatung bezahlen. Als würdig 
folher Befreiung wurden laut Bericht vom 6. März 1786 erkannt 
die Fabritanten: Ador, Lartiqgue, Trumeau, Hofmann und Viala (Uhren: 
fabrif), Huguenin und Menabene, Bujard und Hagen, Lutz und Scheuer: 
mann, Charens und Baurittel, Gebrüder Kiehnle, Theurer, Baral, — 
ferner die Uhrmacher Graf, Kalb und Huguenin, 

Gegen die Goldcontrole, wie fie ſeit 1777 eingeführt war, erhob 
fi von Zeit zu Zeit von Seiten der Fabrikanten eine Oppofition, die 
nad und nad) immer beftiger wurde, ja zuletzt in förmliche Widerjeglich- 
feit überging. Unterm 27. März 1788 wurde von den Fabrikanten, 
nachdem mehrere derjelben wegen unterlaffener Controle um Geld ge: 
ftraft worden waren, der Vorfchlag gemacht, daß Jeder felber contro: 
liren, d. b. den Gehalt auf der Waare angeben jolle. Werde darauf 
nicht eingegangen, fo möge man die Staatscontrole wenigftens auf die 
Waaren befchränten, die für das Inland beſtimmt feien; denn für das 
Ausland Habe diefelbe durchaus feinen Werth, da die Käufer mehr 
auf den Namen des Tabrifanten, als auf die Controle Rückſicht näh— 
men. Auch finde man es für fehr unbillig, daß die Fabrifanten bie 
Controle bezahlen müßten und fei der Meinung, der Staat folle fie 
tragen. Das Oberamt erflärte ſich jedoch mit diejen Anfichten der 
Fabrikanten nicht einverstanden, und es wurde in Folge eines von die 
fer Stelle erftatteten Berichts unterm 3. September 1788 von ber 
Regierung die Sontrolverordnung von Neuem eingefhärft, bezüglich der 
auf Unterlafjung der Controle gefeßten Zuchthausſtrafe indeß die Er: 
läuterung gegeben, daß folhe nur dann mit diefer Strafe zu belegen 
fei, wenn fie zur Verbreitung unächten und gehaltwidrigen Goldes ge 
dient babe, die alleinige Unterlaffung der Controle nur mit einer 
nach den Berbältniffen zu beftimmenden Thurm- oder Geldftrafe zu 
ahnden fei. Um auf diefen Gegenftand nicht wieder zurückkommen zu 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 661 


müflen, ſei bier nur noch in Kürze bemerft, daß die Gontrole unter 
vielem Widerſtand, ja Prozeſſen der Fabrikanten noch bis 1827 fort: 
dauerte, in diefem Jahr aber eine Menderung der Verhältniffe in der 
Weiſe eintrat, daß feither zwar von Staatswegen immer ein Contro— 
leur bejtellt iſt, (dermalen Chr. Oechsle, vor ihm feit 1820 nach 
dem Tode des jüngern Vierordt deſſen Vater Ferd. Oechsle), der jedes 
Stüf Gold, das ihm vorgelegt wird, gegen Entrichtung ber geſetzlichen 
Gebühr auf ſeinen Reingehalt zu prüfen hat, Niemand aber verpflich— 
tet iſt, dieſe Controle vornehmen zu laſſen. 

Es iſt oben ſchon bemerkt worden, daß ſtatt der urſprünglichen 
Quincaillerie, auf welche man ſich in Pforzheim zuerſt verlegt hatte, 
nach und nach die Stahlbijouterie aufgekommen war, mit deren Fabri— 
kation ſich noch 1782 die bedeutenditen Kabinete befaßten, fo die von 
Kiehnle, Bujard, Lartique, Trumeau, Baurittel, Lutz, Cachmor, Flet— 
cher. Nur wenige Jahre ſpäter, nämlich 1788, Hatten Stahl und 
Gold ſich vollftändig von einander getrennt, fo daß wir 3. B. in einem 
Verzeichniß, das damals wegen Vertheilung des Gontrolaverfums auf: 
geftellt wurde, mur noch Bijonterieentrepreneurs und Bijontiers begege 
nen, worunter die Kabinete von Charens (Schwager und Nachfolger 
von Ador, der zu Anfang des Jahres 1788 von Pforzheim wegge— 
zogen war 1) das Kabinet befand fich im jetzigen Mufeum), Lartique und 
Grauel, (Erfterer hatte 1786 Bankerott gemacht, fi aber ſchon 1788 
von Neuem etablirt), Kiehnle, Borgnis und Menabene, Bujard und 
Comp., Baurittel, Huguenin und Virchaur, Trumeau, Reinbolb, 
Dechamps ꝛc. Nebenbei gab es num freilich auch noch Stahlarbeiter ; 
doch waren ihre Zahl ſowohl, als ihre Geſchäfte unbedeutend, weil ſich 
für Stahlarbeiten von der Art, wie man fie bisher in Pforzheim mit 
Gold belegt hatte, gar keine Nachfrage mehr zeigte. Zu Anfang der 
1790ger Fahre hatte fich der Geſchmack wieder merklich geändert, klei— 
nere Stahlwaaren waren wieder gefucht, fo daß beiipielmeife 1794 eine 
Menge von Leuten, viele als Nebenbeihäftigung, fi mit Anfertigung 
von Stahlwaaren befaßte. (Wir finden in diefem Jahr deren 34 auf: 


1) „Serenifjimus nimmt an feinem Wohlergehen immer wahren Antheil, 
da fein Betragen in Pforzheim und feine mit Nugen für dieſe Stabt ver: 
bunden gewefene ſehr geſchickte Inbuftrie immer Ihre größte Zufriedenheit und 
gnädigſte Rüdfihtsnahme auf alle Zeiten fidh erworben habe,“ fo heißt es im 
Geheimeratbsprotofol vom 3. März 1788, 


662 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 


gezählt.) In der Folge jedoch nahm dieſer Induſtriezweig wieder im: 
mer mehr ab, weil die Stahlarbeiten ganz aus der Mode kamen, fo 
daß 1800 der Obervogt Baumgärtner berichten Tonnte, die Stahl: 
waarenfabrifation fei fo weit gefunken, daß die wenigen noch vorhande— 
nen Arbeiter faum das liebe Brod verdienten und mit Notb dem Bettel 
entgingen, fo daß ihnen nidyts Anderes übrig bleibe, als fih ebenfalls 
auf die Dijonterie zu legen, was fie auch meiftens thäten. Die Dumm: 
caillerie theilte alfo in Pforzheim zuletzt das Schickſal der Uhrenfabri— 
fation, mit dem Unterjchied, daß letztere in Pforzheim ganz ohne Er: 
folg einging, während fih aus jener die Bijouterie groß und glänzend 
entwickelte. 

Mit dem Ueberhandnehmen der letztern mußten auch einzelne 
Zweiggeſchäfte derſelben aufblühen. So finden wir ſchon 1794 befon- 
dere Graͤveurgeſchäfte von Batenot, Salomon, Schober, als Email: 
leurs: Fage, Maugray u. Comp., Caböne, Arlaud, Fournier, Hafen: 
bach und Dörflinger, in der Folge daneben auch Guillocheurs, Golb:, 
Glas⸗ und Steimichleifer ıc. 

Hatte das Dberamt in Pforzheim unterm 10, Juni 1788 bes 
richten können, daß in Pforzheim, feit die Stahl», Gold: und Uhren— 
fabrifen aufgefonmen, fi der Wohlftand vermehrt, die Handwerksleute 
viel zu thun hätten, die Landleute vermehrten Abſatz fänden u. f. w., 
fo zeigte fih Ende der 80er und Anfangs der 90er Jahre ein merk: 
licher Rückgang oder doch Fein Fortfchritt in den Geſchäften, und viele 
Kabinete gerietben in fichtlichen Verfall. Wir ftopen deshalb 1793 auf 
bittere Klagen der Fabrifentrepreneurs, die wir Übrigens nicht durchaus 
als gerechtfertigt erkennen können, da die Urſache des Nüdgangs der 
Geſchäfte nicht am gehörigen Orte gefucht wurde. Es fei, fo fagen fie, 
für Fabriken, die mit vieler Mühe und großem Aufwand errichtet und in 
Gang gebracht worden, ein wahres Unglüd, wenn Leute, die bei ihnen 
als Arbeiter gejtanden, aber entweder aus fchändlicher Gewinnfucht (1) 
ausgetreten, oder als ſchlechte und nachläſſige Arbeiter oder wegen übler 
und brutaler Aufführung von den Fabrifentrepreneurs fortgejagt worden, 
oder gar ſolche Leute, die gar nicht vom Metier ſeien, geftattet werde, 
daß fie fih an dem Orte oder in der Gegend, wo folcherlei Fabriken 
exiſtiren, aufhalten und für fich arbeiten, oder dur Fabrikarbeiter 
Waaren, die fie alsdann fo gut wie möglih zu verichließen juchten, 
heimlich verfertigen laſſen dürften. Schlechte Waaren, für Pforzheimer 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 663 


Fabrikat ausgegeben, bräcdten Mißkredit, trieben die Preiſe herunter ꝛc., 
verlodten zu heimlichen Entwendungen. Daure es jo fort, fo kämen 
die guten Fabriken an den Rand des Verderbens. Sie bäten deshalb, 
alle heimliche Betreibung zu verbieten und zu verfügen, daß Steiner, 
der nicht im Stande fei, eim öffentliches Kabinet anzulegen, Erlaubniß 
erhalte, zu fabriziren oder fabriziren zu laſſen. Ja es wurde fogar 
von einigen Fabrikanten laut mit Wegzug gedroht, wenn man die Zahl 
der Kabinete allzuſehr zunehmen laſſe. 

Das Oberamt Pforzheim (Eifenlohr) zeigte ſich mit diefen Anfichten 
und Beſchwerden einverjtanden und gab der Negierung den Nath, bie 
Errichtung neuer Fabriken zu erichiweren und nicht Jeden anzunehmen. 
Anderer Anficht aber war der Obervogt Baumgärtner, der noch im 
Sahr 1794 feinen Dienſt in Pforzbeim antrat. Er fand die Urfache 
des Zerfalls vieler Kabinete nicht in ihrer Menge, fondern in dem 
perjönlichen Verhalten der Befiger. „Die erften Unternehmer,” fo fagt 
er in einem damals erftatteten Gutachten, „waren meift Abentheurer, 
Franzoſen oder franzöfifche Schweizer, die ſchon in ihrem Vaterland 
ſich nicht zum Beten aufgeführt hatten, Diefe Leute waren meift gut 
zu leben gewohnt, einem übertriebenen Lurus ergeben, und hatten über: 
haupt die Feſtigkeit und Solidität des Charakters nicht, die dazu ges 
hört, wenn ein ſolches Geſchäft gedeihen fol. So bald fie fahen, daß 
die Sadye ein wenig ging, wie es die natürliche gute Beſchaffenheit 
berjelben mit fi brachte, fo wollten fie fogleich die großen Herren 
ipielen, abmten die reichen Kaufleute und Fabrikanten in großen Städten 
nach, und Gant war ihr gewöhnliches Schickſal. Statt vieler Beifpiele 
möge nur das eine von Lartique bier, angeführt werden, der es nad) 
Ador am weiteften gebradht hatte, aber aud viel zu früh fich einem 
folhen Luxus hingab, daß ein großer Konkurs zum empfindlichen Scha: 
den der übrigen Fabriken über ihn ausbrach.“ (Dies gefhah, wie 
oben ſchon erwähnt, im Jahr 1786.) Sole Vorkommniſſe auf ber 
einen und der Grundſatz der Erſchwerung der Errichtung neuer Fabriken 
auf der andern Seite mußte die nothwendige Folge haben, daß die 
Zahl der Kabinete ſich verminderte; denn es kamen nad und nad) 
manche der Ältern in Abgang und Feine oder nur wenige neue dazu. 
Die Zahl derfelben ging z. B. von 1786, dem Konkursjahr Lartiquesg, 
der mehrere Hleinere Kabinete in feinen Fall verwidelt hatte, bis zum 
Jahr 1787 von 15 auf 8 zurüd, und war bis 1794 nicht wieber 


664 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 


über 11 geftiegen. Wenn es fo fortging, war der Ruin der ganzen 
Fabrikation zu befürdten; denn es durften nur noch wenige der be 
trächtlicher Kabinete, wie es fo leicht möglih war, aufhören, fo konnten 
die meijten Arbeiter keine Beihäftigung mehr finden, und die Induſtrie 
hätte ſich nur ſchwer wieder erholen können. 

Baumgärtner erfannte die Gefahr, im welcher fich diefelbe befand 
und fuchte auf geeignetem Wege Abhilfe, obgleich ihm von allen Seiten 
vordemonftrirt wurde, daß in der Vermehrung der Kabinete der Ruin 
der ſchon beitehenden enthalten wäre. Er fand folden Grundfag une 
richtig und kleinlich. „Es müfjen,” fo fagt er in dem ſchon erwähn— 
ten Gutachten, „nicht lauter große Kabinete fein. Manche Heine werden 
groß, und obme jene gibt es diefe nicht. Kür das Auflommen ber 
Fabriten muß es Grundfat fein, jeden Zwang und jede Einfchränfung 
zu entfernen. Befonders wird e8 auch zum Fortkommen derſelben 
gereichen, wenn jeder Arbeiter Hoffnung bat, einen eigenen Heerd zu 
gründen und für fidy zu arbeiten, wogegen er mißmüthig werden muß, 
wenn ihm diefe Ausficht nicht eröffnet ift* ꝛc. 

Für ſolche Anfichten fuchte Baumgärtner den Stadtrath, die Bür- 
gerihaft und felbft einige Fabrifanten zu gewinnen, die Megierung 
machte fie ebenfalls zu den ihrigen, und die Folge war, daß mit dem 
bisherigen Syſtem entfchieden gebrohen und das Entſtehen neuer 
Fabriken auf jede Art, felbit durch Vorſchüſſe aus berrfchaftlichen 
Kaffen erleichtert wurde. Und der Erfolg? In wenigen . Jahren, 
nämlich fchon 1798 war die Zahl der Fabriken von 11 auf 26 
geftiegen, hatte fich alfo mehr als verdoppelt, und wenn auch ein: 
zelne derfelben wenig gediehen, fo war doch die Anduftrie im 
Allgemeinen, troß der Invaſion der Franzofen im Jahr 1796 und 
trot des Geldmangels, der eine Erhöhung des üblichen Zinsfußes von 
5 auf 6 Prozent zur Folge hatte, in den fchönften Flor gekommen. 
Die Arbeiterbevölferung Pforzheims (Arbeiter, Weiber, Kinder) betrug 
im Jahr 1798 bereits 724 Köpfe. Der Wochenlohn eines Arbeiters 
belief ſich zwiſchen 8 und 30 fl., (während 3. B. ein Wollfpinner in 
ber Tuchfabrik kaum 2 fl, verdiente). Zwei der neu entitandenen 
Fabriken kamen der größten unter den ältern, nämlich der Kiehnle'ſchen, 
faft gleih, und als fi) im Jahr 1799 Bohnenberger, der fih 1792 
mit Kiehnle affocırt hatte, von diefem wieder trennte, fo war ein Ge 
winn ven 200,000 Gulden zu tbeilen. Darf es und da wundern, 


Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 665 


wenn man Pforzheim damals ſchon das „Heine Genf” nannte und 
vom weitern Aufihwung der Induſtrie die fchönften Hoffnungen begte? 
— Amar übte der 1799 wieder ausgebrochene Krieg einen nachthei- 
ligen Einfluß auf dieſelbe. Frankreich und Holland waren für den 
Abſatz der Pforzheimer Bijouterie ganz gefperrt, nach anderer Richtung, 
wie in der Schweiz und in Italien, lagen Handel und Verkehr dar: 
nieder. Doc brachten ſich die Fabriken fort und kam es in Pforzheim, 
jelbjt unter den Heinen Gefchäften, zu keinem Bankerott. Der Grund 
davon lag hauptfächlic darin, daß man neue Abfasquellen ausfindig 
gemacht hatte, namentlich nach Norden über Leipzig und Hamburg, wo 
fihh große Niederlagen von Bijouterie befanden, die nad Dänemarf, 
Schweden, Rußland und England ging. Diele der größern Fabriken 
unterhielten bereits ftändige Meifende, während die Heinern meift für 
jene arbeiteten. Die Pforzheimer Goldwaaren, die hauptſächlich in Uhr: 
fetten, Halsketten, Ringen und Obrringen, Halsicnallen, Pretenfions, 
Berloques und Medaillons beftanden, (größere Artikel, wie Tabaks— 
dofen, goldene Etuis ꝛc. wurden nur auf befondere Beftellung verfer: 
tigt), hatten bereits einen folhen Grad von Vollkommenheit erlangt, 
daß fie den feinjten Pariſer und engliihen Waaren nicht nachſtanden, 
ja daß viele derfelben, die nach England gingen, von dort als engliiche 
Waaren wieder zurückkamen. Um das Jahr 1800 erreichte der Werth 
des in Pforzheim verarbeiteten Goldes, wozu meijt Dufaten genommen 
wurden (Lingots anzufchaffen, hielt man nicht für vortheilhaft,) bereits 
die Summe von 300,000 Gulden. Erlitten auch manche Fabrikanten 
durch die 1799 in Hamburg ausgebrochenen Bankerotte PVerlufte, die 
von 6000 bis 20,000 Mark betrugen, jo machte man ſich im Allge: 
meinen nicht viel daraus, fondern war frob, daß die Kriſis raſch wieder 
ihr Ende erreichte, In den nächſten Jahren (1800—1803) nament— 
Ih nad dem 1800 abgeſchloſſenen Frieden von Yiüneville, vermehrte 
fid) zwar die Zahl der Fabriken nicht bedeutend (1800 waren «8 ihrer 
26), aber die Zahl der Arbeiter nahm fortwährend zu und betrug 
1803 ſchon 522, die mit 186 Weibern und 398 Kindern eine Gold: 
arbeiterbevölferung von 1097 Seelen bildeten. 

Die Inhaber jener 26 Fabriken des Jahres 1800 waren: Charens 
(früher Ador), Bujard et Comp. (ſeit 1787), König, Dechamps, 
Cassanova, Baurittel (jeit 1791), Hepp, Würz u. Eo., Jakobi, Mad): 
let (jeit 1795), Huguenin, Bauer, Kienle u. Co, (jeit 1799), Rhein: 


666 Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789. 


boldt, Blind, Mezger, Gülich (feit 1798), Urbain, Schober, Yang, 
Collin, Fromajer, Zieboldt, Bohnenberger (feit 1799), Dennig (feit 
1800), Maler. 

Bei den neuen Fabriken, welche nah 1794 ing Leben traten, war 
die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht nöthig jei, den betr. Unter: 
nehmern irgend eine Prüfung abzunehmen, etwa die Yertigung eines 
Probeſtücks aufzulegen. Auf eingeholtes Gutachten bei den Fabrikanten 
felber gab das Oberamt 1800 und 1802 fein Urtheil dahin ab, daft 
eine ſolche Maaßregel deswegen nicht durchzuführen fei, weil die meiften 
Entrepreneurs Feine gelernten Bijoutiers feien, defjenungeachtet aber 
ihrem Geſchäft mit vorzüglihem Ruhm und Glück vorftänden, wie 
3. B. Büjard, der ein Kaufmann, und Kiehnle, der ein Flözer fei. 
Wolle man demnach darauf beftehen, daß nur felden die Erlaubniß 
zur Errichtung einer Dijouteriefabrit gegeben würden, welche die Bijoute- 
rie förmlich erlernt Hätten und denen alfo nur ein Probeſtück aufge 
geben werden könne, fo würde das Fabrikweſen in Pforzheim unfehlbar 
fehr verlieren und wahrjcheinlicd noch jchneller wieder berabfinfen, als 
es fich emporgehoben habe, denn alsdann käme diefer fchöne Handels: 
zweig einzig und allein in die Hände folder Leute, denen es im der 
Regel fowohl an binlänglichen Fonds, wie an den erforderlihen Kennt: 
niffen für ein fo viel umfafjendes Geſchäft ermangle, und die meiften 
Entrepreneurs würden ihr Gefchäft nur ins Seine zu treiben genöthigt 
fein und bei weitem der Nuten nicht herauskommen, der fich bei 
Betreibung im Großen herausjtelle. — Auf diefen Bericht bin wurde 
von der Auflegung einer technifchen Prüfung Seitens der Negierung 
Umgang genommen, 

Die Geſchichte der Bijouterie, wie fie fih im Iaufenden Jahr: 
hundert geftaltete, können wir kurz zufammenfaflen. Waren zu Anfang 
beselben die Pforzheimer Fabriken wieder in Blüte gekommen, fo 
drohte der ertödtende Froſthauch des Kontinentalſyſtems (Teit 1806) diefe 
Blüte vollftändig zu vernichten. Zwar betrug die Zahl der Fabriken 
1810 noch 21, in denen von 90 bis herab zu 2 Arbeitern, im Ganzen 
420 Berfonen befchäftigt waren, wozu in den Guillocheur-, Emailleurz, 
Gold und Glasſchleifer-, Feilenhauer⸗ und mechanifhen Werkſtätten 
ungefähr AO weitere kamen, fo daß im Ganzen 900-1000 Menſchen 
— ungefähr der fünfte Theil der Bevölkerung — durch die Fabriken 
ihr Brod fanden. In Folge des fortdauernden Seekrieges umd der 


Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789, 667 


Vereinigung der Nordieehäfen mit Frankreich wurde indeß der Handel 
immer mehr geihwächt, fo daß aud im Pforzheim die Fabriken ihre 
Thätigkeit fortwährend verminderten und die Zahl derielben 1812 auf 
13 herabgefunfen war, namentlich, nachdem durd die Ginäfcherung 
Moskaus mehrere der bedeutensften Waarenabnehmer abgebrannt waren. 
Erft nach dem zweiten Pariſer Frieden (1815) blühte die Bijouterie 
wieder empor und im Jahr 1816 zählte man wieder 21 Fabriken 
mit einem Waarenerlös von etwa 600,000 Gulden und einer Arbeiter: 
bevölferung (alſo einfchlieglih der Weiber und Kinder) von I00— 1000 
Köpfen, 

Eine Reihe von Jahren verging, ohne daß fih die Fabrikation 
in befonderm Grade erhob, Erſt in den 1830ger Jahren war dies 
mehr der Fall, und 1833 finden wir, wenn auch die Zahl der Fabriken 
nicht befonders vermehrt, doch Schon eine Arbeiterzabl von 900 — 1000 
Köpfen und einen Waarenerlös von etwa 1 Million Gulden. Big 
1838 war die Zahl der Fabriken auf 54 geftiegen. Die 1840ger 
Sabre waren der Fabrikation wieder weniger günitig, und gegen Ende 
derfelben trat jene verhängnißvolle Krifis ein, welche ‚die Pforzheimer 
Induſtrie faft ganz darniederwarf. ine glänzende Epoche begann für dies 
felbe in den 1850er Jahren, nachdem namentlich in Amerika ein neues 
Abſatzgebiet eröffnet worden war. Die Zahl der Fabriken, ohne die 
Zweiggeſchäfte war 1854 bereits anf 82, die Menge der Arbeiter auf 
3000-4000 geftiegen. Der Waarenumfaß hatte bei einem jährlichen 
Gold-Verbrauch von etwa 60 Gentnern die Höhe von 8 Millionen 
Gulden erreicht. Alles das nahm in den folgenden Jahren noch anfehn: 
lich zu, und im Jahr 1859 hatte die Menge der Bijouteriefabrifen 
und ihrer Zweiggeſchäfte, troß der 1857 eingetretenen Handelskrijis, die 
Zahl 206 mit 6000 - 7000 Arbeitern erreicht. — "Näheres über 
den neueften Stand der Pforzheimer Goldwaareninduftrie wird weiter 
unten folgen. 


Heunzgehntes Kapitel. 


Vom Beginn ber franzöfifchen Nevolution bis auf die nenefte 
Zeit, ') 
(1789 — 1862.) 


$ 1. Allgemeines. 


Das letzte Drittel der Megierungszeit Karl Friedrichs verlief nicht 
fo ruhig und friedlich, wie die erften vierzig Jahre derfelben. Doc 
durfte der edle Fürft die Freude erleben, fein Land in Folge der aus: 
brechenden Kriege, welde der Karte von Europa, namentlich aber 
Deutichlands, eine ganz andere Geftalt gaben, anſehnlich vergrößert, 
die Zahl feiner Unterthanen bedeutend vermehrt zu ſehen. 

Sm Jahr 1789 begann die franzöfiiche Nevolution. Die Natio: 
nalverfammfung batte fi die Umgeftaltung aller Staatsverhältnifie 
zur Aufgabe gemacht, da die beftehenden Zuftände durhaus morſch 
geworden waren. Damit unzufrieden, wanderten außer einem Theil der 
Prinzen viele vom Adel und der Geiftlichfeit aus, und Schaaren von 
Emigranten überfhwemmten auch die badifchen Lande, um Hilfe und 
Rache zu fuhen. Die Grundfäge, welche in Rrankreih zur Geltung 
famen, und die beifpielweife auch in einzelnen badiichen Gemeinden 
aufregend wirkten, jo daß Karl Friedridy mit Maffengewalt einfchreiten 
mußte, die Gefahr, in welcher ſich der franzöfifche Thron befand und 
die auch andern Thronen drohte, die Demühungen dev Emigranten: 
Alles wirkte zufammen, zwifchen Kaifer Leopold II. bez. Franz II. und 
dem König von Preußen, Friedrid Wilhelm II., ein Schutz- und Trut: 
bündnig gegen Trankreih für fih und das deutiche Neid zu Stande 
zu bringen. Ws aber Frankreich 1792 mit einer Kriegserffärung zuvor 
am, fielen die Verbündeten in die Champagne ein und errangen ver: 


1) Diejenigen Partien dieſes legten Kapitel, in welden die neuefle Zeit 
berührt oder behandelt if, wurden abfichtlih nur kurz gehalten. Die Gründe 
bafür find Leicht einzufehen. 


Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf bie neueſte Zeit, 669 


fchiedene Vortheile. Allein die Preußen wurden durch die freiheite: 
trunfenen Franzoſen wieder zum Rückzuge genötbigt, die Defterreicher 
bei Jemappes geichlagen, das linke Rheinufer und mit ihm die 
Feſtung Mainz ging verloren. In Frankreich felbft erklärte der Nas 
tionalfonvent das Königthum für abgefchafft, Frankreih zur Republik 
und am 21. Jamnar 1793 fiel da8 Haupt Ludwigs XVI. unter dem 
Fallbeil. 

Jetzt trat faſt ganz Europa gegen die neue Republik, wo eine 
Schreckenszeit begann, in die Schranken. Die Preußen nahmen Mainz, 
die Oeſterreicher Brüffel wieder, die Engländer beſetzten verſchiedene 
Städte im Süden Franfreihs, im Innern des Landes wüthete der 
Bürgerkrieg. Setst griff der Mohlfahrtsausshuß in Paris zum Mittel 
ber allgemeinen Vollsbewaffnung. Die Begeifterung und Entſchieden— 
beit der franzöfifhen Heere und ihrer Führer auf der eimen, die Un: 
einigkeit und die Mifgriffe der Verbündeten auf der andern Geite ver: 
Ichafften den Franzofen von Neuem den Sieg. Die Generäle Pichegru, 
Jourdan und Hoche trieben die verbündeten Heere am Nhein und in 
ben Niederlanden, die im Winter 1794 auf 95 erobert wurden, immer 
weiter zurüd, nahmen eine Feftung um die andere und ergriffen vom 
linten Rheinufer Beſitz. Der Eifer der Verbündeten erlahmte immer 
mehr und ging in Eiferfucht über, und alle Glieder der erften Koali— 
tion gegen Franfreih, Defterreih und England ausgenommen, dachten 
um fo mehr an Frieden, als auch der Sturz der Schredensherrichaft 
in Frankreich erfolgt war. Preußen ſchloß 1795 ben Frieden von 
Bafel, ein fpäterer Vertrag erklärte ganz Norddeutſchland für neutral, 
Den Ober: und Mittelrhein aber deckte noch Defterreih, ıMd verhins 
derte die ſüddeutſchen Reichsſtände, dem Beijpiel der norddeutfchen zu 
folgen. 

Jetzt drangen die Franzofen, die ſchon 1793 Uebergangsverfuche 

gemacht hatten, im Juni 1796 unter General Dioreau, 80,000 Mann 
ſtark, auf verfchiedenen Punkten zwiſchen Hüningen und Leopoldshafen 
über den Rhein, und zum erften Male wurde die Markgraf: 
haft Baden der Schauplat des Krieges. Karl Friedrich 
floh nad) Anſpach, während fid) die Reichsarmee den eindringenden 
Feinden entgegenwarf, bei Raftatt, Menden und Ettlingen aber 
geihlagen wurde. Jetzt blieb den Heinern ſüddeutſchen Fürften nichts 
übrig, als dem Beifpiel Preußens zu folgen. Karl Friedrich ſchloß 


670 Neunzebntes Kapitel. Pforzbeinı von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 


mit Frankreich zuerft einen Waffenftillftand, dem am 22, Auguft 1796 
ein Separatfrieden folgte. Die Abtretung aller feiner Iinfsrheinifchen 
Befitungen und das Eingehen noch anderer Bedingungen, das nur bie 
gebieteriiche Nothwendigkeit entfchuldigen Fonnte, waren der abgedrungene 
Preis des Friedens. 

Unterdeffen waren die Franzoſen unter Moreau in Baiern ein: 
gedrungen, Jourdan hatte vom Niederrhein ber feinen Weg ebenfalls 
dahin gefunden, und von Stalien aus machte ein anderer fühner und 
unternehmender General, Napoleon Bonaparte, der die Lombardei 
erobert hatte, Veranſtaltung, den beiden andern franzöfiichen Feldherrn 
die Hand zu bieten. Aber Jourdan wurde von Erzherzog Karl in 
drei Schlachten geichlagen, und fein Heer eilte in wilder Flucht, von den 
Landbewohnern noech vielfach beihädigt, dem Rheine zu. Moreau bes 
werfitelligte nunmehr einen meifterhaften Nüdzug und gelangte, von 
Erzberzog Karl zwei Mal gefchlagen, in der Nähe von Bafel über 
den Rhein. Während defjen aber erkimpfte Bonaparte neue Siege in 
Stalien und drang im Frühjahr 1797 durch die Alpen gegen Wien 
vor, während franzöſiſche Heere wiederum den Rhein überjchritten. 
Jetzt Schloß Defterreih mit Opfern den Frieden von Campo Formio 
und ein Kongreß zu Raſtatt follte den Frieden zwiſchen Frankreich 
und dem Meiche fetiegen und andere Verhältniſſe regeln. Da indefjen 
während desfelben Frankreich jeine Macht fort und fort erweiterte, fo ſchloß 
Defterreich ein neues Bündniß mit Rußland, England und der Türkei, 
und erklärte 1799 den Kongreß von Naftatt, der mit der Ermordung 
der franzöſiſchen Gefandten endigte, für geſchloſſen, und der Krieg be 
gann von Neuem. 

In Italien erfocht der ruſſiſche Felbherr Suwarow glänzende 
Siege über die Franzoſen, und General Jourdan, der die ſüdlichſte der 
drei franzöfiichen Armeen befehligte, welche über den Rhein gegangen 
waren, wurde von Erzherzog Karl nad der Schlacht von Stodac zum 
Rückzug über den Rhein genöthigt. An Jourdans Stelle drang Maſſena 
fiegreih nad Stalten, die Ruſſen wurden von dem Taunifchen Kaijer 
Paul I. zurücdgerufen, Bonaparte kehrte aus Egypten zurüd, wohin er 
1798 gegangen und errang am 414. Juni 1800 den Sieg von Ma: 
rengo. Mit gleichem Glück befiegte Moreau in Deutjhland nad) dem 
Nücktritt des Erzherzogs Karl die Defterreicher bei Engen, Meptirch, 
namentlich aber bei Hobenlinden, und zwang den Kaifer zum Fries 


Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 671 


ben von Xüneville, den er am 9. Februar 1801 mit Bonaparte, 
damals bereits erftem Konſul der franzöfiichen Republik, abſchloß. In 
diefem Frieden wurde der Rhein als Gränze zwifchen Frankreich und 
Deutichland feitgefeßt und den deutichen Fürften, die badurd verloren 
ober, wie der Markgraf von Baden, fchen früher verloren hatten, Ent: 
ſchädigung aus Mitteln des Neichs verheißen. Cine Reichsdeputation 
follte diefe Entichädigung feitfeßen, was im Februar 1803 auch gefchah. 
Sämmtliche geiftlihe Neiheftände, mit einer Ausnahme, wurden ſäku— 
larifirt, d. h. fie hörten zu beftehen auf und ihre Länder wurden andern 
zugetheilt; von den 48 Reichsftädten blieben nur nody 6. Der Mark: 
graf Karl Friedrich von Baden wurde, theils weil man ihn als Grenz- 
fürft gegen Frankreich verftärken wollte, theils um feiner anerkannten 
Tugenden willen, zum Kurfürften erhoben und ihm als Enſchädigung 
zugetheilt: das Bisthum Konftanz, Theile der Bisthümer Speier, 
Baſel und Straßburg, die pfälziihen Aemter Ladenburg, Bretten und 
Heidelberg mit den Städten Mannheim und Heidelberg, die Herrichaften 
Lichtenau und Lahr, die Abteien Schwarzach, Frauenalb, Allerheiligen, 
Lichtenthal, Gengenbach, Ettenheimmünfter, Petershaufen, Reichenau, 
Dehningen, Schuttern und Salem, das Stift und die Probjtei Oden— 
beim, die Reichsſtädte Offenburg, Gengenbach, Zell, Ueberlingen, Pful- 
lendorf und die fpäter wieder ausgetaufchten Biberach und Wimpfen, 
Diefe neuen Erwerbungen umfaßten beinahe 62 Duadratmeilen mit 
über 250,000 Einwohnern, während die Abtretungen nur 19 Quadrat: 
meilen mit 65,000 Einwohnern betragen hatten. Das neue Kurfürften- 
thum Baden war nunmehr 113 Quadratmeilen groß und zählte 
450,000 Bewohner. 

Nod war Karl Friedrih mit der Organifation feiner neuen Ran: 
destheile befchäftigt, als 1805 der Krieg der dritten Koalition ausbrad. 
Oeſterreich Hatte fih mit England, Nufland und Schweden gegen 
Frankreich verbündet. Napoleon, feit 1804 Kaifer der Franzofen, drang 
raſch in Deutihland ein, nahm bei Ulm den öfterreichiichen General 
Mad mit feinem Heer gefangen, verfolgte feinen Sieg bis Wien und 
erfoht am 2. Dezember 1805 über das vereinigte öfterreichifcheruffifche 
Heer den Sieg von Aufterlig, defien Folge der Frie de von Preßs 
burg war. Zum erften Mal waren in diefem Krieg die badiſchen 
Truppen, an 3400 Mann ſtark, unter dem Befehl des Generalmajors 
von Harrant, mit den Franzofen zu Felde gezogen, da Napoleon nur 


572 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 


zwifchen Anſchluß und Verderben die Wahl gelafien hatte Sie nah: 
men aber an den eigentlichen Kriegsereignifien feinen Theil, fondern 
wurden bauptfählich zum Xransport ruſſiſcher Kriegsgefangenen ver: 
wandt. Der Friede von Preßburg brachte Baden neuen Zuwachs an 
Ländern, nämlich den Breisgau, die Ortenau und die Stadt Konftanz. 

Am 12. Juli 1806 erfolgte die Gründung des Rheinbundes, 
dem 16 bdeutiche Fürſten, darunter der Kurfürjt von Baden, unter dem 
Proteftorat Napoleons mit vollem Souveränitätsreht und erhöhter 
Würde beitraten. Durd ihre Losfagung vom deutſchen Meichsverband 
hatte ein deutſches Reich feinen Sinn mehr und wurde ein ſolches aud 
von Franfreih nicht mehr anerfannt, Franz II. legte darım am 6. 
Auguft 1806 bie deutſche Kaiferfrone nieder und erklärte fich zum 
Kaifer von Defterreih. Das war das Ende des deutſchen 
Reichs. Karl Friedrich erhielt den Titel eins Großherzogs, 
nachdem er die Königswürde abgelehnt hatte. Durch die auf Napo— 
leons Gebot erfolgte Mebiatifirung verfhiedener kleinerer Reichsſtände 
erhielt Karl Friedrih die Souveränität über den größten Theil der 
Lande des Fürften von Fürftenberg, des Fürften von Leiningen und die 
gräffihen Aemter, über die Beſitzungen von Löwenſtein-Wertheim am 
linken Mainufer und die des Haufes Salm-Krautheim⸗Reiferſcheid am 
rechten Ufer der Jart. Dazu kamen Heitersheim, kleinere württem- 
bergifche Bezirke, zwei Deutichordenstommenden ꝛc. Das nunmehrige 
Großherzogthum Baden umfafte nach folhem Zuwachs etwas über 
249 Duadratmeilen mit 900,000 Einwohnern, deren Zahl 1808 bes 
reits auf 924,000 geftiegen war. 

Dem Großherzog Karl Friedrih wurde durch den neuen Länder: 
anfall die Pflicht ordnender und gefeßgeberifcher Thätigfeit wiederholt 
auferlegt. Darım regelten namentlich fieben Konftitutionsedikte die 
tirchliche Verfaffung, die der Gemeinden, der Staats: und Grundherrn, 
das Lehenswefen, die Verfafjung der verfchiedenen Stände der Staats 
bürger und die Verhältniſſe der Tamdesherrlihen Diener. Nach wenigen 
Jahren erjchien eine abermalige Landesorganifation, und wurde der 
Code Napoleon mit verichiedenen Abänderungen als badifches Lands 
recht eingeführt. 

Mittlerweile war 1806 der Krieg mit Preußen ausgebrochen, 
mit dem ſich Nufland verbündet hatte, Die Schlahten von $ena 
und Friedland und der Friede von Tilſit 1807 entſchieden über 


Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bie auf die neuefte Zeit. 673 


das Schickſal Preußens, das um die Hälfte verfleinert wurde und aud) 
fonft den Zorn des Siegers empfinden mußte, Auch in diefem Krieg 
batte ein badifches Truppenkorps von 6000 Mann, dem weitere 1400 
Mann nacgefendet wurden, unter dem General von Cloßmann mitge: 
kämpft und ſich durch Tapferkeit ausgezeichnet. Aber die Koften ſolcher 
Heerzüge laſteten jchwer auf dem Lande, namentlich als die eingeführte 
Konfeription noch weiter ausgedehnt wurde, Ein Hilfstruppenforps von 
2000 Mann unter Obrift von Porbeck mußte 1805 nach Spanien ent= 
fandt werden, um auch dort feinen Friegeriihen Ruhm zu bewähren. 
Sm Jahr 1809 erhob ſich Defterreih zu neuem Kampf gegen 
Frankreich, und blutig entbrannte der Krieg. Aber an der Spite eines 
meift aus beutfchen Truppen beſtehenden Heeres erfocht Napoleon die 
Siege von Abensberg, Eckmühl, und wenn aud bei Aipern ge 
ſchlagen, entichied die vom franzöſiſchen Kaifer gewonnene Schlacht von 
Wagram den Krieg, Mit großen Opfern mußte Oeſterreich noch in 
demfelben Jahr 1809 den Frieden von Wien erfaufen, Aber das 
Jahr darauf reichte Marie Luife, die Tochter des Kaifers Franz von 
Defterreich, Napoleon die Hand. — Gin badiſches Truppenkorps von 
nahezu 7000 Mann hatte in dieſem Krieg unter Generalmajor von 
Harrant (ftellvertretend Oberſt v. Neuenftein) mitgefechten. Abermals 
hatte die Theilnahme am Kampf dem Xande große Opfer auferlegt. 
Doc e8 vergrößerte und ergänzte fi durch die von Württemberg abs 
getretene Landgraffchaft Nellenburg, wofür einige Befigungen an Heffen 
abgegeben werden mußten. Unterm 30, November und 5. Dezember 
1810 wurden auch die von Württemberg an Baden abgetretenen Orte 
Kiejelbronn und Defhelbronn von dem dazu beauftragten Ober: 
vogt Roth aus Pforzheim in Befiß genommen. (Gin Theil der ftädtis 
[hen Ehrengarde hatte diefen Beamten dahin begleitet.) Baden war 
1811 auf 272 QDuadratmeilen mit über einer Million Bewohner 
angewachſen. 
Das Alles geſchah noch in den letzten Jahren der Regierung Karl 
Friedrichs, an welder aber ſchon feit 1806 fein Enfel, der Erbgroß— 
berzog Karl, Untheil genommen hatte, da der greife Großherzog am 
Körper und Geift fichtlich verfiel. Am 10. Juni 1811 ſchloß Karl 
Friedrich nad) böjähriger Megierung fein Leben, das er auf faft 83 
Sabre gebracht Hatte. „Karl Friedrich,” fo fagt ein vwaterländifcher 
Gelehrter, „hat nie ein Heer geführt, nie mit blutbeflecktem Lorbeer 
Pflüger, Pforzpeim, 43 


674 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 


Siege gefeiert; feine heiligen Silberhaare umgab bie Bürgerfrone; er 
hat in der Tugend Eroberungen gemadt und mit milder Weisheit feine 
Gränzen vergrößert; er hat nur ein Mal Menſchen gekränkt: durch 
feinen Berluft.” 9) 

Es war die Zeit der höchſten Macht Napoleons, als Großherzog 
Karl, der fih 1806 mit Stephanie Luiſe Adrienne, der Adoptivtochter 
bes franzöſiſchen Kaifers vermählt hatte, den Thron beſtieg. Schon 
das Jahr darauf, 1812, unternahm Napoleon an der Spike eines 
ungeheuern Heeres, darunter an 9000 Mann Badenſer, ben ruf 
fifhen Feldzug. In Folge der fiegreihen Schlachten bei Smolenst 
und an der Moskwa kam das franzöfiihe Heer im September nad 
Moskau; aber die Flammen diefer ruffiihen Hauptftadt nöthigten Na: 
poleon zu einem Rückzug, auf dem feine Armee vernichtet wurde, Jetzt 
erhob fi Preußen, und überall Ioderte in diefem von Napoleon 
niedergetretenen Lande die Begeifterung empor. Aber dem Rufe nad 
Befreiung konnte noch nicht überall Folge geleiftet werden, weil Napo- 
leon nody zu mächtig war. Er machte erneuerte Anftrengungen und 
friſche Kontingente mußten die Nheinbundftaaten — Baden 7000 Mann 
— im Frühjahr 1813 ftellen. In einer Reihe von Schlachten wurde 
mit abwechſelndem Glück gefohten. Nachdem aber auch Oeſterreich fei- 
nen Beitritt zur deutſchen Sache erflärt hatte, kam es in der Völker: 
fhlaht am 16., 18. und 19. Oftober 1813 bei Leipzig zum blu: 
tigen Entſcheidungskampf. Napoleon floh über den Rhein zurüd, ber 
Nheinbund Töste ſich auf und feine Heere (Baden mit 16,300 Mann) 
fochten jet gegen Frankreich, wohin die Verbündeten 1814 eindrangen. 
Nach verfchiedenen Kämpfen wurde Paris am 31. März eingenommen, 


1) Die Beifeguug ber Leiche des Verblichenen in der Gruft zu Pforzheim 
erfolgte unter entſprechenden Feierlichkeiten am 24. Juni 1811. — Am 22, 
November 1833 wurde das Denkmal Karl Friedrichs eingeweiht, welches 
ihm fein Sohn Leopold in ber Schloßkirche zu Pforzheim hatte fegen Tafien. 
Es fleht mitten im Chor und bat die Geſtalt einer gothilhen Pyramide, deren 
durchbrochenene Epigung ſich Über der Büſte Karl Friedrichs erhebt. Die In⸗ 
ſchrift lautet: Carolo Friederico patri Leopoldus ſiliss MDCCCXXXII (feinem 
Vater Karl Friedrich der Sohn Leopold 1833), und auf der Rüdkfeite ift der 
Wahlſpruch des edlen Fürſten: Moderate et prudenter (mit Mäßigung unb 
Klugheit) eingegraben. Der Entwurf iſt von Profeffor Moosbrugger in Raftatt, 
die Ausführung in weißem Sanbfteine von Belzer in Weißenbach, die Mars 
morbüfte von Bildhauer Raufer in Karlsrube. 


Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 17839 bis auf die neuefte Zeit. 675 


Napoleon des Thrones für verluftig erflärt und auf die Inſel Elba 
verwieſen. Mit feinem Nachfolger Ludwig XVIII. fchlofjen die Ber: 
bündeten am 30. Mai 1814 den für Frankreich fo günftigen erften 
PBarifer Frieden. Europa ſchien beruhigt, und in Wien trat ein 
Kongrek zufammen, um die Verhältniffe Europas neu zu ordnen. 

Aber Shon am 4. März 1815 erſchien Napoleon wieder in 
Frankreich und ftand in Furzer Zeit abermals an der Spite der Ge— 
walt. Von Neuem drangen die Verbündeten in Frankreich ein, (Baden 
batte über 22,000 Mann geftellt), und nad verſchiedenen Schlachten 
wurde Napoleon am 18. Juni 1815 bei Waterloo zum zweiten 
Mal gänzlich niedergeworfen. Nah St. Helena verbannt, farb er 
bort am 5. Mai 1821. Beim zweiten Barifer Frieden (20. November 
1815) kam Frankreich immer noch glimpflich genug weg. 

Durh den Miener Kongreß wurde Deutichland in einen großen 
Staatenbund verwandelt und darüber von den betheiligten Fürften 
am 8. Suni 1815 ein befonderer Vertrag, die deutſche Bundes 
afte, abgeichloffen. Großherzog Karl erbielt hier die volle Souverä- 
nität und die feierliche Gewährleiftung der Untheilbarfeit feines Landes 
im bisherigen Beftande. Im deutſchen Bunde erhielt Baden die fie- 
bente Stelle, 

So fchien der Friede gefichert, und eine neue Ordnung der Dinge 
war hergeſtellt. Um indefien die von außen nicht unangefochtene Un— 
theilbarkeit des Landes zu fichern, befräftigte er nad dem Tod feiner 
zwei Söhne, was fhon fein Großvater begonnen, indem er den Söh— 
nen Karl Friedrichs aus zweiter Ehe (Leopold, Wilhelm, Marimilian) 
ben markgräflichen Titel ertheilte und dur das Hausgefeh vom 4. 
Oktober 1817 ihr Nachfolgereht ausſprach. 

Von Griesbach aus, wo der Franke Fürft Linderung feiner Leiden 
gefucht, ertheilte Großherzog Karl am 22. Auguft 1818 feinem Lande 
eine Berfaffung Es war ihm aber nicht mehr vergönnt, das neue 
Grundgeſetz ins Leben treten zu fehen Er ftarb am 8. Dezember 
1818 zu Naftatt und wurde in der Gruft zu Pforzheim feierlichft 
beigefeßt. Seit 7. Februar 1860 ruht an feiner Seite feine Gemah— 
lin, die Großherzogin Stephanie, in der Pforzheimer Fürftengruft, die 
nunmehr feine Mitglieder der großherzoglihen Familie mehr aufneh— 
men wird. 

Ihm folgte als Großherzog fein Oheim Lu u € berief ben 


676 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 


erften Landtag und ergänzte die Verfaſſung durd das Dienerebitt. 
Bald aber trat zwiſchen Negierung und Ständen eine Mißftimmung 
ein, die Kammern wurden aufgelöst, und die neuberufene Ständever: 
fammlung gab ſich fogar zu einer Schmälerung der Berfafjung ber. 
Ludwig that aber auch Mandyes zum Wohle des Landes. Unter ihm 
vereinigten ſich 1821 die ewangelifche und reformirte Kirche Badens zu 
einer unirten. 1828 ward der erzbiihöflihe Stuhl in Freiburg errid- 
tet; die Hochſchulen erfreuten fich der befondern Pflege des Landesfürften. 

Nah dem Tode des Grofherzogs Ludwig, welher am 30. März 
1830 erfolgte, beftieg fein Halbbruder Leopold den Thron. Hulb— 
volle Herablaffung, Wohlwollen und Herzensgüte bildeten die Grund: 
züge feines Charakters. Gleich bei feinem Negierungsantritt ftellte er 
die Verfaſſung wieder her, erließ Geſetze zur Berreiung des Bodens 
von allen Raften, trug durch eine Reihe anderer Geſetze während der 
Dauer jeiner Regierung Sorge für des Voltes Wohl, verbeflerte das 
Schulmefen ꝛc. Unter Großherzog Leopold erfolgte der Anſchluß Babens 
an den beutjchen Zollverein, was, wie der Bau von Eifenbahnen durch 
das Land und der Anſchluß am den deutſchen Poſtverein, einen groß: 
artigen Aufſchwung des Verkehrs zur Folge hatte. Wurden aud bie 
legten Lebensjahre des edeln Fürften durch die Ereignifie des Jahres 
1849 getrübt, fo Konnte er doch vor feinem Hingang, welcher am 24. 
April 1852 erfolgte, noch die Freude erleben, daß der gefetliche Zur 
ftand in Baden ſich mehr und mehr wieder befeftigte, fein Land zu 
neuer Dlüte gelangte und die Herzen feines Volkes ihm mit erneuter 
Liebe entgegenfchlugen, 

Seit 1852 regiert Großherzog Friedrid. Seine Regierung 
gehört der Gegenwart, nicht der Gefhichte an. Diefe aber mird dereinft 
feiner bochherzigen, opferbereitwilligen, vaterländifchen Gefinnung, feines 
eifrigen Strebens, den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden und 
fid) in den Dienft des ächten Fortihrittes zu ftellen, mit Ruhm ger 
benfen; fie wird im ihre Blätter verzeichnen, daß das Sinnen und 
Trachten diefes Fürften nur auf das Wohl feines Volkes gerichtet und 
daß er die Freude und ber Stolz feiner Badener, ein leuchtendes Por: 
bild für andere Fürften war. Der Wunſch wird aber jett ſchon dem 
Geſchichtſchreiber geftattet fein: „Gott fegne, färfe und ſchũtze den 
Großherzog!” 


Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 677 


52. Pforzheim während der franzöfifchen Kriege. 1) 

Schon von 1792 an fah Pforzheim Kriegsgäfte verfchiedener Art. 
Die erften franzöfiichen Emigranten erjdienen am 28. Dftober jenes 
Jahres. Es waren meift Adeliche und Geiftlihe aus dem Elſaß, die 
fid) auf Weifung der Negierung jedoeh bald wieder aus Pforzheim 
entfernen mußten, weil daſelbſt „wichtige Staatseffeften aufbewahrt 
würden und die Smigranten zu einem Weberfall reizen könnten.” Auch 
zu Anfang des Jahres 1794, als die Franzoſen bis Speier und in 
bie obere Pfalz vorgedrungen waren, fowie im November beöfelben 
Jahres, wimmelte die Stadt von Flüchtlingen, die zum Theil betteln 
gingen. Der Befehl, daß fie, mit Ausnahme der Kranken, Pforzheim 
fchleunigft verlaffen follten, wurde im November 1795 wiederholt, ohne 
daß ihm indeß von allen Emigranten Folge geleiftet worden wäre, 
Bon 1792 an wurde Pforzheim vielfach auch von Durchmärſchen und 
Einguartierungen Faiferliher Truppen heimgeſucht, und Lieferungen und 
Kriegsfrohnden aller Art nahmen die Mittel der Stadt bedeutend in 
Anspruch, (jo allein im Jahre 1795 die Summe von 5206 ff.) 
An Pforzheim war ein Faiferlihes Magazin, und die Stadt diente zu— 
gleih als Krankenabſtoß beim Transport derfelben nach Solitüde. 
Erniter geftalteten fich die Verhältniffe im Sommer 1796, als eine 
franzöfifche Armee unter Moreau (S. 669) den Uebergang über den 
Rhein erzwang und die Faiferlihen Truppen zurüdtrieb. Bei der An: 
näberung der Franzofen ergriffen viele Bewohner Pforzheims die Flucht, 
andere fuchten wenigſtens den beiten Theil ihrer Habe jo gut wie 
möglich zu verfteden. Nach dem Treffen von Raftatt am 5. Juli und 
bei Ettlingen und Rothenfol am 9. Juli kampirte die öfterreichifche 
und ſächſiſche Armee, die ſich nah Pforzheim zurüdgezogen hatte, meh— 
rere Tage lang auf dem Bergrüdeh nördlich von der Stadt, fette aber 
am 14. Juli, ohne die Ankunft der Franzofen abzuwarten, ihren Rück— 
marſch nad Stuttgart fort, jedoch nicht, ohne gegen den ausdrüdlichen 
Befehl des Erzherzogs Karl Plünderungen zu verüben. 

Am 15. Juli 1796 rüdten die erften Franzofen unter Moreau 
in Pforzheim ein. Eine Deputation, beftehbend aus den beiden Beam: 
ten (Baumgärtner und Eifenlohr), drei Mitgliedern des Meagiftrats 


) Quellen: Alten des Oberamts, Rathsprotofolle, Pforzheimer wöchen!⸗ 
liche Nachrichten x. 


678 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit, 


(worunter Bürgermeifter Geiger) und ſechs von ber Bürgerfchaft 
(darunter Bujard, Bohnenberger, Dennig) war den feindlichen Trup— 
pen entgegengegangen, um eine milde Behandlung der Stadt zu crwirs 
fen. Im Allgemeinen konnte man die Großmuth der Sieger rühmen, 
obgleich fie in ihren Forderungen nicht allzu befcheiden waren. 1) Här— 
ter jcheinen die Landorte heimgefucht worden zu fein, wo WPlünderung 
an der Tagesordnung war. Bon Dietlingen kam beiſpielweis die 
Klage, daß troß der großmüthigen Befehle des Siegers am 15, Juli 
die meiften Häufer geleert und die Einwohner von Kopf bis zu Fuß 
ausgezogen worden jeien. 

Unterm 25. Juli ſchloß Karl Friedrih den ſchon erwähnten Waf- 
fenftillftand mit der franzöfiihen Republik. Der Preis desjelben waren 
außer fonftigen für Baden nachtheiligen Bedingungen 2 Millionen 
Livres baar, ferner die unentgeldliche Lieferung von 1000 Pferden, 
500 Ochſen, 25,000 Gentnern Frucht, 12,000 Säden Haber, 50,000 
Gentnern Heu und 25,000 Paar Schuhen oder für jedes Stüd 5 Liv— 
res. Plakate von Blech mit der Aufſchrift: „Territoire de Bade pays 
neutre“ jollten überall die Waffenftillftandsbedingungen refpeftiven bel: 
fen, was aber vielfach nicht geſchah. Die Kontributionen an die Fran: 
zofen betrugen für das Dberamt Pforzheim die Summe von 280,000 
Gulden, wovon auf die Stadt allein 41,825 Gulden famen. Trotz 
bes Waffenftillftandes dauerten die Frohnden fort. Während des Mio: 
nats Auguft mußte die Stadt Pforzheim dazu 16 Karren, 60 zweiz, 
11 dreiz, 32 vierfpännige Fuhren, dazu 98 Vorſpann und 9 Reit: 
pferde, im Ganzen 438 Stüd Vieh ftellen. Ungeachtet ſolch ſchwerer 
Laften betheiligte fi) die Pforzheimer Bürgerſchaft fehr Tebhaft bei dem 
Anlehen, welches die Negierung zur Entrihtung der franzöfiihen Kon: 
tributionen im Lande felber machte. 2) Bejondern Dank ſprach die 
Behörde im September 1796 dem Handelsmann MWohnlih aus, der 
„in den dringenditen und gefabrvolliten Umftänden der Stadt mit jo 
anfehnlichen Geld: und andern Vorfhüffen auf eine bereitwillige und 


) Dies bemweifen u. A. die bei den damaligen Amtsakten liegenden Küchen: 
zettel für ben Offizierstiſch. 

*) Wir finden darunter: Handelsmann Dennig mit 7000 fi., Fabrifant 
Kiehnle mit 3200 fl., Hammerwerköbefiger Lidell und Bendifer mit 3000 fl. 
Ratheverwandten Dreher mit 2000 Gulden, Andere mit 1000, 800, 600 Gul: 
ben 2, 


Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf bie neueſte Zeit 679 


rühmlihe Weile an Handen gegangen und daburch die Stadt vor 
manchem bevorgeftandenen großen Unglüd zu befreien geholfen hat.“ 

As im September 1796 während und nah Moreaus meifterhaf: 
tem Rückzug viele Defterreicher wieber durch Pforzheim kamen, börten 
Einquartierungen und Requifitionen, für welche nunmehr feine Ver: 
gütungen mehr geleiftet wurden, faft gar nicht mehr auf und bildeten 
eine große Laſt bis zum Frieden von Campo Formio und bem Kon: 
greß von Raſtatt, der aber dem Reich den erfehnten Frieden nicht gab. 

Der Hauptfhauplag des 1799 wieder ausgebrochenen Kriegs war 
Oberſchwaben und die Schweiz. Im Herbit diefes Jahres machte 
jedoch ein franzöftfches Armeekorps einen Streifzug über den Rhein, 
und General Lecourbe Ing vom 2. bis 4. November in Pforzheim, 
die öfterreichifhen Vorpoften nur eine halbe Stunde davon. Des Fries 
dens von Lüneville 1801 und feiner Folgen ift bereits Erwähnung 
geſchehen. 

Das Jahr 1805 brachte den Krieg der dritten Koalition. ‚Eine 
Abtheilung öfterreichifher Nofenberg-Dragoner, welche am 26. Septem- 
ber von Hechingen, Nagold und Calw ber nah Pforzheim fam und 
nah Mannheim marfhiren follte, ftieß am 27. zwiſchen Pforzheim und 
Durlach bereitd auf den Vortrab der Franzofen, welche den Rhein 
raſch überfchritten hatten, und mußte fih über Stuttgart zurüdziehen. 
Am 28. September erfchienen franzöfiihe Hufaren in Pforzheim, und 
vom 29. September bis 2. Dftober ſah die Stadt nad einander die 
Korps der Marfchälle Ney und Lannes und des Prinzen Miürat in 
ihren Mauern, darunter auch die 10,000 Mann ftarken prächtigen Gres 
nabiere des Generals Dubdinst. Am 2. Dftober kam die ganze kaiſer⸗ 
liche Garde, and die Mamelufen, und Nachmittags 4 Uhr Napoleon 
ſelbſt dur die Stadt, und die Pforzheimer konnten während des 
Pferdewechſels ihre Neugierde befriedigen, den merfwürdigften Mann 
feiner Zeit von Angefiht zu Angefiht zu eben. 1) In wenigen Tagen 
marſchirten 60,000 Mann dur die Stadt, wovon nad) einander etwa 
40,000 in berfelben einquartiert wurden, jo daß manche Häufer 40 


1) Die Kaiferin Joſephine reifte ihrem Gemahl Ende Novembers nad 
und fam am 30. November ebenfalls durch Pforzheim, wo ber Erbpring und 
Markgraf Ludwig, bie vorher ſchon eingetroffen waren, die Kaiferin beim Dens 
nig’ihen Haufe empfingen und von wo fie biejelbe nah eingenommener Er: 
frifdung weiter bis an die Grenze begleiteten, 


680 Neunzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1739 bis auf bie meuefte Zeit, 


bis 60 Mann beherbergen mußten. Es wurde den Franzoſen nach— 
gerühmt, daß fie bei diefen Durchmärſchen die ftrengite Mannszucht 
gehalten hätten. War nun auch diefe Beſchwerung ſchnell verſchwunden, 
jo wurde bald eine Etappenſtraße über Pforzheim eingerichtet, auf wel 
her auch der Transport der Gefangenen ftattfand, und das war für 
die Stadt ein Unglüd. Am 3. und 4. Januar 1806 famen nämlich 
an 6000 Ruffen, die am 2, Dezember 18505 bei Aufterlit gefangen 
genommen worden waren, unter Bededung von je 600 Mann tbeils 
badifcher, theils franzöfiicher, theils batavifcher Truppen, und am 12, 
und 13. weitere 5—600 ruffiiher Gefangener nah Pforzheim, und 
wurden in der Stadt, größtentheils aber in der Schloßkirche einguar: 
tiert, wo die Spuren verfchiedener Zerftörungen, welche die Gefangenen 
anrichteten, beute noch fichtbar find (namentlih am Grabmal des 
Kanzlers Achtſynit). 1) Vor der Ankunft diefer Ruſſen hatte fid das 
Gerücht verbreitet, daß fie verfuchen wollten, ſich durch Anlegung von 
Teuer zu befreien. Man errichtete deshalb Bürgerwachen, die ſowohl 
zur Sicherheit der Stadt, als zur Austheilung von Speiſe und Trank 
an diefe unglücklichen Söhne des Nordens beftinnmt wurden. Don den 
durch Strapazen ermatteten und überhaupt im elendejten Zuftand bes 
findfichen Gefangenen, von denen viele in Pforzheim raſch megitarben, 2) 
war nun freilich Feine Brandlegung zu befürdten; dafür brachten fie 
den Typhus in die Stadt, den fie fait allen, die mit ihnen verkehrten, 
vafch mittheilten. Zu dem meift tödtlichen Verlauf der Krankheit 
trugen die ungünftigen Witterungsverhältnifie das Ihre bei, und gar 
viele Bewohner der Stadt wurden von der Seuche, die erft im Mai 
erlofh, binweggerafft. Die Verbreitung derielben beförderten auch die 
Militärlazaretbe, die man in der Stadt felbit, fo z. B. im Schulhaufe, 
errichtet hatte, bis fie endlidy außerhalb derjelben, und zwar auf den 
Friedrichs- oder Budenberg, verlegt wurden. 

Nachdem Napoleon auf feiner Rückreiſe vom Kriegsihauplab am 
20, Januar (am 18, auch Prinz Mürat) durd Pforzheim gefonmen, 


1) Es mag bier fogleich mit bemerkt werben, daß die Schloßkirche nachher 
zu einem Heumagazin benügt und erft im April 1808 dem gottesdienftlichen 
Gebrauch zurüdgegeben wurde, In der Zwiſchenzeit hatte zu legierm bie 
Waiſenhauskirche gedient. 

2) Ein fleinernes, auf einer feinen Erhöhung bes Friedhofes ſtehendes 
Kreuz bezeichnet. das gemeinjchaftliche Grab derjelben. 


Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neueſte Zeit, 681 


dauerten den ganzen Sommer 1806 Hindurd die Transporte von er: 
obertem Geſchütz und erbeuteter Munition, ſowie die Durchmärfche von 
Truppen fort, bis endlich die Heereszüige wieder eine andere Richtung nahe 
men und der Sriegsihauplag in Folge des im Oktober 1806 ausges 
brochenen preußiſchen Krieges vom füblichen Deutfchland in das nörd— 
liche verlegt wurde, 

Der neue Krieg zwiſchen Defterreih und Frankreich brachte im 
Frühjahr und während des Sommers 1809 für Pforzheim wieder 
bedeutende Truppendurchmärſche und als Einleitung zu denjelben eine 
militäriihe Heerſchau. Das badische Truppenkontingent, das am Feld: 
zug gegen Dejterreic Theil nehmen ſollte, rüdte am 14, März nad 
Pforzheim und in die Umgegend der Stadt, um dafelbft einer Mufte- 
rung unterzogen zu werden. Diefe wurde am 19. März in der 
Nähe der Stadt, nämlich am Iſpringer Weg, in Gegenwart des Erb: 
großherzogs Karl von franzöfiihen General Maſſena (Herzog von 
Rivoli und nachher Fürſt von Eßling) vorgenommen. Am 2. April 
brachen die badifchen Truppen von bier auf, um nah Baiern und 
Defterreich zu marfhiren und dort an den Treffen uud Schlachten von 
Schärding, Riedau, Ebensberg, Aipern und Eßling, Papa, Raab, 
Wagram ıc. Theil zu nehmen, wobei über 1500 Dann eingebüßt 
wurden, Es bedarf kaum der Bemerkung, dak Pforzheim beim Aus: 
bruch des Krieges fowohl, als nah Beendigung desfelben zahlreiche 
Truppendurchmärihe fab. So rüdte am 14. März, alſo gleichzeitig 
mit dem badifchen Kontingent, ein 820 Mann ftarkes franzöfifches 
Kavallerielorps in der Stadt ein, am 15., 16. und 17. marfchirten 
die beiden Divifionen Legrand und St. Cyr durd Pforzheim, vom 
24. März an 2 Negimenter der kaiſerlichen Garde, ein Artilleriepart 
von 150 Kanonen mit Munitionswägen, 10 bis 12 Bataillone In— 
fanterie, am 1., 2. und 4. April franz. Artilleriedepots und Feldrequis 
fiten, zu deren Meitertransport über 800 Pferde erfordert wurden, am 
15. April Abends unter dem Geläute aller Gloden Napoleon jelber. 
Am 1. Mat ſah Pforzheim bereits die erften Friegsgefangenen Defter: 
reicher, 4000 an der Zahl, darunter SO und etliche Offiziere, am 
gleichen und folgenden Tag abermals 2000 Gefangene, zugleich aber 
auch zahlreihe, von Straßburg kommende franzöfiihe Truppenabthei- 
lungen, darunter ein Regiment Garde, defjen Fortfchaffung 240 Wagen 
erforderte ıc. Diefe Truppenbewegungen dauerten den ganzen Sommer 


682 Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf die neueſte Zeit. 


bindurh fort. Zur fchnellen Beförderung von Nachrichten murbe 
damals längs der über Pforzheim führenden Etappenftraße eine Tele 
graphenlinie errichtet; ein folcher Telegraph, der feine Signale mit 
weißen, rothen und blauen Fahnen gab, war auf dem Wolfsberg an: 
gebracht. Nah dem Frieden von Wien erfolgten wieder Tebhafte Trup— 
penbewegungen, freilich jet in umgefehrter Richtung, und am 24, Ok 
tober ſah Pforzheim auch den in feine Hauptftadt zurückkehrenden fran: 
zöftfhen Kaifer wieder in feinen Mauern. Am 16., 18. und 19. 
Sanuar 1810 famen auch die badifhen Truppen mit dem Ruhm, ſich 
tapfer geichlagen zu haben, aus dem Krieg wieder, und wurden an 
jenen Tagen von ber Stadt Pforzheim feierlih empfangen und aufs 
freundlichfte bewirtbet. In den nächiten Tagen folgten ihnen verfchie- 
dene Abtheilungen franzöfifher Truppen, am 28. Februar auch Mars 
ihall Berthier, Fürft von Neuchatel. — Am 21. März ſah die Stadt 
Pforzheim auch die Faiferlihe Braut Napoleons, Erzherzogin Marie 
Luiſe von Defterreich, auf ihrer Reife nach Tranfreih in ihren Mauern 
und begrüßte fie mit Kanonendonner und Ölodengeläute, (an ber 
württembergifchen Grenze bei Niefern war eine Ehrenpforte errichtet 
worden). Ob alle diefe Kundgebungen auch recht von Herzen gingen, 
foll hier nicht näher unterfucht werben. 

Das Jahr 1841 verfloß befanntlih unter Vorbereitungen für ben 
ruſſiſchen Feldzug, ber denn auch 1812 ftattfand und für Pforzheim 
wiederum Truppendurchmärſche brachte. Schwer laſtete die Hand des 
franzöfiihen Deipoten auf unferm Vaterlande; aber der Brand von 
Moskau und die Schlacht bei Leipzig brachen den Bann, der auf dem 
beutfhen Wolke Tag und aud in Baden fchloß man fich begeiftert der 
deutſchen Sache an, namentlich nachdem Großherzog Karl am 21, No: 
vernber 1813 feinem Volke in einem Aufruf verkündet hatte, daß neben 
der Erhaltung Badens „die Erfämpfung deutjher Freiheit und Unab- 
bängigfeit das große Ziel fei, das erreicht werden müſſe.“ Dem im 
Dezember folgenden Aufruf des Majors Holzing in Bezug auf die 
Bildung eines freiwilligen Jägerregiments zu Pferde wurde in Pforz- 
beim alsbald mit Zufagen und Zeichnung von Beiträgen geantwortet. 
So verpflichtete ſich die Leſegeſellſchaft zur Ausrüftung von 2 Jägern 
zu Pferd, 1) je einen Mann ftellte die Holländer-Holztompagnie, bie 

1) Die freiwilligen Beiträge ber Mitglieder derfelben erreihte die Summe 


von 758 fl. 51 fr. Fabrikant Finkenſtein lieferte das Tuch zu den Uniformen 
der beiden Jäger unentgelblich. 


Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bie auf die nenefte Zeit. 683 


Salzadmotiationsgeſellſchaft, der Floßverein, Hammerwerksbeſitzer Bendifer, 
Hoftammerrath Böhringer, die Fabrikanten Finkenſtein, Lenz und Sie— 
vert, Dennig und Krenkel, Bohnenberger, Kaufmann D. L. Mayer jun. 
und endlich Frau Kiehnle. Jakob Richter ſtellte und equipirte ſich 
ſelbſt zu den Jägern zu Pferde aus eigenen Mitteln, mehrere andere 
junge Männer meldeten ſich freiwillig zur Infanterie, die Stadt lie— 
ferte 220, bas Land 242 noch brauchbare Feuergewehre u. ſ. w. 
Selbſtverſtändlich wurden die Kriegsereigniſſe mit lebhaftem Intereſſe 
verfolgt, und als am 7. April Nachmittags die Nachricht nach Pforz— 
beim gelangte, daß die Alliirten am 31. März in Paris eingezogen 
feien, 1) gab fich eine lebhafte Freude Fund, der Marftplag wurde er: 
feuchtet und Muſik ertönte auf demfelben. ine umfafendere eier 
fand am darauf folgenden Sonntag ftatt, und wurde dabei in beiden 
Stadtkirchen ein Dankgottesdienſt gehalten. 

Beim Rückmarſch der Truppen aus Frankreih Fonnte man im 
Pforzheim wieder allerlei Uniformen erbliden, und am 25, Juni 1814 
fand bei Pforzheim eine Heerſchau über etwa 8000 Mann badifcher 
Truppen ftatt, die ebenfalls aus dem Feldzug gegen Frankreich zurüd- 
gekehrt waren. 

Nach der Rückkehr Napoleons von der Inſel Elba begannen die 
Truppenbewegungen von Neuem, und gingen diefelben zum Theil auch 
wieder dur Pforzheim. So fahen die Bewohner der Stadt Ende 
Aprils 1815 verfchiedene Abtheilungen württembergifcher Truppen durch— 
marfchiren, am 29. April befand fi in Pforzheim das Hauptquartier 
des öfterreichifchen TFeldzeugmeifters Grafen Eolloredo ꝛc. Die Schlacht 
von Waterloo am 18. Juni 1815 madte, wie oben ſchon bemerkt, 
ben Kriegszeiten ein Ende, und man konnte fih wieder der Segnungen 
des Friedens erfreuen. 


$ 3. Innere Verhältniffe Pforzheims. 

Bei der Erzählung des Privilegienftreits ift gezeigt worden, welche 
Aenderungen mit der uralten ftädtifhen Verfaffung vorgingen und, den 
Forderungen anderer Zeiten entfprechend, vorgenommen werden mußten, 
Im Jahr 1807 follten die Privilegien der Stadt in zeitgemäßer Weife 
erneuert werden, und hatte die Negierung den damaligen Dbervogt 


*) Heut zu Tage empfängt man dergleichen Nadhrichten etwas raſcher. 


684 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 


Noth 1) mit Ausarbeitung eines Entwurfes beauftragt, Weber letztern 
kam die Sache jedoch nicht hinaus, da die fortwährenden franzöfiſchen 
Kriege ihre Ausführung binderten und überhaupt im Sturm derfelben 
alle Vorrechte, welche einzelne Städte bisher noch gehakt, untergingen. 
Hatte Pforzbeim ſchon 1806 auf verfchiedene Rechte verzichten müſſen, 
fo verlor es 1808. auch das der Milizfreiheit,; doch blieb der Stadt 
wenigſtens der Bortheil, da fie nur zwei Drittel der jungen Leute in 
Rechnung bringen und ihre zu ftellenden Rekruten duch Werbung 
erfegen durfte. Zur Erleichterung der legteren wurde 1810 eine Werb- 
faffe ins Beben gerufen, die indeffen mit dem Aufbören des letzten 
Meftes auch der Freiheit auf diefem Gebiet ihre Bedeutung wieder ver: 
lor. Gelbftverftändlih wurden auch andere Verhältniſſe der Stabt 
umgemodelt, als darüber neue Geſetze, namentlich aber das Gemeinde— 
gefek von 1831 zur Geltung kam, welches faft allen Ausnahmsſtellun— 
gen ber Städte ein Ende machte und bezüglih des Ortsregiments, 
ber Verwaltung des Gemeindevermögens ꝛc. für das ganze Land gleiche 
förmige Beftimmungen traf. 2) 

Die Verfaſſungsurkunde von 1813 geftand der Stadt Pforzheim 
zu, zwei Abgeordnete in die zweite Kammer der Stände zu wählen. 
Bon diefem Recht wurde am 9. Februar 1819 zum erften Mal Ges 
brauch gemacht, Die beiden Deputirten, welche Pforzheim damals in 
die Kammer fandte, waren Miniftertaldireftor Reinhard in Karls: 
rube und Kaufmann Witenmann in Pforzheim, für den Land: 
bezirt wurde Altbürgermeifter und Kaufmann Dreher in Pforzheim 
gewählt. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß die weitere Entwicklung 
des badiſchen Verfaſſungslebens in Pforzheim nicht nur mit regem 
Intereſſe verfolgt, fondern aud) Fräftigft gefördert wurde. Als dasſelbe 
zu Anfang der 30er Jahre fo ſchöne Blüten trieb und in den 40er 


1) Oberpögte ober erſte Beamte waren in Pforzheim (vergl. ©. 542): 
jeit 1736 Oberamtsverweler Friedrih Sonntag, 1749 Friedrich Gotthelf v. 
Koſeritz, 1752 Joh. Ehr. Fried. Schenk v. Schmiedburg, 1758 zuerft Ober: 
amtsverweler dann Obervogt Joh. Theopbor Rues, 1777 Karl Frieder. Wies 
Tand, 1794 Baumgärtner, 1803 Benjamin Roth, 1823 Deimling, 1843 Böhme, 
1844 v. Neubronn, 1847 lad, 1849 Fecht, jeit 1861 if es C. Winter. 

2) Bürgermeifler waren (vergl. ©. 610) von 1798 an Ib. Frd. Dreber, 
1815 Krentel, 1830 Lenz, 1837 R. Deimling, 1848 Crecelius, feit 1849 ift es 
K. Zerrenner, neben ihm ift feit 1857 zweiter Bürgermeifter 8. Schmibt, 


Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 685 


Jahren heftige Verfafjungstämpfe entbrannten, da war Pforzheim ein 
Hauptbort des Liberalismus und hat audy bis auf die neuefte Zeit in 
Bezug auf eifrigite Pflege zeitgemäßer Ideen auf allen Gebieten des 
öffentlichen Lebens feinen alten Ruf bewährt. Lebendig war in diefer 
Stadt, wie in allen Theilen des deutichen Vaterlandes, die Theilnahme 
an der großartigen Erhebung des Jahres 1848. Die Ueberftürzung 
und bittere Enttäufhung, welche das folgende Jahr brachte, fowie die 
Greigniffe, weldye fih in beiden Jahren im Einzelnen in Pforzheim 
zutrugen, eingehend barzuftellen: das mag der Feder eines Andern 
vorbehalten bleiben, der vielleicht im fpäterer Zeit einmal diefe Ges 
fchichte von Pforzheim weiter führt und ergänzt. Jetzt find jene Tage 
der Geſchichtſchreibung noch nicht verfallen. 

Wie fih in den legten 60 und 70 Jahren die Verhältniſſe Pforz- 
heims bezüglich der Hauptinduftrie der Stadt geftalteten, ift ſchon im 
18. Kapitel gezeigt worden. Die Thätigkeit nahm aber auch auf andern 
gewerblichen Gebieten einen immer erfreulihern Aufſchwung. Schon 
im Jahr 1800 zählte der damalige Hofratd und Dbervogt Baum— 
gärtner in einer von ihm entworfenen Gewerbeftatiftif außer den zunft: 
mäßigen Handwerkern und Landwirthen 101 verfchiedene Manufakturen 
und Fabriken, nämlih 1 Eifenwert mit 2 Hammerwerken, 5 Oelmüh— 
fen,1) 2 Sägmühlen, 4 Gipsmühlen, 2 Walfen, 2 Hanfreiben, 1 Pul- 
vermühle, 2) 2 Lohmühlen, 3 Scleifmühlen, 1 Bleiche, zufammen alfo 
24 verjchiedene Waſſerwerke ohne die 4 Mahlmühlen, ferner 1 Wollen: 
fabrit, 24 Bijouteriefabriten oder Kabinete, 3 Silberfabinets, 22 Uhren: 
fabinets, 5 Uhrgehäufelabinets, 2 Kabinets für Elfenbeingraveure, 2 
Kabinets für andere Graveure, 2 Gold: und Perlenfchleifer, 3 Glas- 
fchleifer, 2 Vergolder, 2 Guillocheurs, 1 Maſchinenmacher, 3 Emailleurs, 
5 Stahlarbeiter, 3 Feilenhauer, 1 englifhe Knopffabrit (Gehres), 1 
Schnallenfabrik (Nies), 1 Lederfabrit (damals ſchon im Verfall, die 
einzelnen Theilnehmer trieben aber das Gefhäft fort). Im Laufe der 
Zeit wurden noch mehr fabritmäßig betriebenen Gewerbe gegründet, 
3. DB. zuerit 1801 die Salmiakfabrit, die fih 1804 in eine chemiſche 


9) Die erſte Delmühle wurde um 1770 vom fFloßverein errichtet. 

2) Diefelbe flog 1806, und, wieber bergeftellt, 1807 abermals in bie Luft 
und töbtete das erfte Mal den Pulvermüller Lichtenfels und 2 Gehülfen, bas 
zweite Mal den Bulvermüller allein. Sie wurbe alsdann nicht wieder aufs 
gebaut. 


686 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neueſte Zeit. 


Fabrik verwandelte, 1804 eine Schriftgieherei, 1806 eine Saffiangerbe- 
rei, 1809 eine Rotbgarnfärberei u. f. w. Eine ftatiftiiche Zufammen- 
ftellung der gewerblichen Geſchäfte der Jetztzeit wird unten mitgetheilt 
werden, Dod möge bier nod bie Bemerkung ftehen, daß im Jahr 
1821, in Folge eines Kabinetsbefehls, die Errihtung dev britten Pforz- 
heimer Apotheke, nämlih der Schuhmacher'ſchen, erfolgte. 

Sm Sabre 1800 erhielt Pforzheim auch wieder eine Bude 
druderei. Es it früher in einem befondern Abſchnitt (S. 189 fi.) 
von den Bucdrudereien die Rede geweien, die im 16. Jahrhundert in 
Pforzheim beſtanden, und ebenfo ift bemerft worden, daß die Stadt 
nah der Berlegung der Mefidenz eine folhe nicht mehr gehabt 
babe, Vom Jahr 1794 an erfhien in Karlsruhe für Pforzheim jede 
Woche in Oktav ein befonderes Blättchen, die „Pforzheimer wöchent⸗ 
liben Nachrichten." Als im Jahr 1800 durh Ehr. Tr. Müller aus 
Karlsruhe wieder eine Druderei in Pforzheim errichtet wurde, erfchien 
vom Juli jenes Jahres an das Blatt in letzterer Stadt felbft, und 
zwar von 1801 an im Quartformat. Die wöchentlichen Nachrichten 
verwandelten fih 1811 in ein „Wochenblatt“, 1832 aber in ben 
„Beobachter“, der von da an wöchentlich zwei, fpäter drei, von 1856 
an vier, von 1858 an fünf Mal erfchien und fih am 1. Juli 1861 
in ein Tagblatt verwandelt hat. Bon Müller ging die Druderei auf 
J. M. Kap, fpäter auf J. M. Flammer über. In den fahren 
1839 — 1843 beftand in Pforzheim noch eine zweite ausgedehnte Buch: 
druderei in Verbindung mit einem bedeutenden Berlagsgefchäft unter 
der Firma Dennig, Fink und Kompagnie, aus dem manche ausgezeich— 
nete Werfe mit vorzüglicher typographiſcher Austattung hervorgingen. 
In neuefter Zeit hat Buchhändler Schwarz eine zweite Buchdruderei 
in Pforzheim unternommen. 

Wie früher, jo mögen auch bier einige Mittbeilungen über Kir: 
hen: und Sculverhältniffe folgen. 1) Die von ber Generalfynode des 


1) Erfte evang. Stadbtgeiftlihe waren (vergl. ©, 551) von 1742 an 
Joh. Jak. Wechsler, 1746 Joh. Lorenz Maurer, 1755 Ehrift. Pet. Eifenlohr, 
1764 Gottfried Pofjelt, 1797 3. K. Herrer, 1803 Ernft Phil. Holzhauer, 1824 
Johann Gottihald, 1836 Wild. Frommel, ſeit 1857 Iſaak Riehm. — Alt: 
Hädter Pfarrer waren (vergl. S. 322) von 1742 an Joh. Chr. Wucherer, 
1746 8, 3. Wehsler, 1756 ©. Ch. Ungerer, 1757 8. 3. Holzhauer, 1768 
K. Wagner, 1779 ©. 5. Nagel, 1780 ©. 2. Schober, 1786 K. F. 2. Sonntag, 


Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die menefte Zeit. 687 


Jahres 1821 am 26. Juli jenes Jahres beichloffene Vereinigung der 
Iutherifchen und reformirten Kirche unferes Landes erfolgte überall, alfo 
aud in Pforzheim, am 28. Oktober mit entfprecdhenden Feierlichkeiten. 
Der dadurch eingehenden reformirten Pfarrei (vergl. ©. 561) folgte 
fon 1823 die Errichtung einer andern, nämlich der katholiſchen. 
Es iſt im Frühen erzählt worden, daß den Katholiken, die ih — 
bauptfählih in Folge der Entwidlung der Gewerbsthätigkeit — in 
Pforzheim immer zahlreicher niedergelaffen hatten, zuerft nur die Er: 
laubniß zur Abhaltung von Privatgottesdienft in einem dazu eingeriche 
teten Betſaale ertheilt, diefer Religionsübung fpäter hinſichtlich der pfarr— 
lichen Rechte, namentlih durch Anftellung von Pfarrkuratoren, eine 
weitere Ausdehnung gegeben und 1805 den Fatholifchen Einwohnern 
der jeder Zeit widerrufliche Mitgebrauch der Waiſenhauskirche gemein: 
[haftlih mit den evangelifchen bewilligt wurde, Im Jahr 18512 erfolgte 
auch die Eröffnung einer katholiſchen Schule und die Anftellung eines 
befondern katholiſchen Lehrers, wozu die Regierung am 26. Auguft 
1811 die Erlaubniß ertheilt hatte. Unterm 26. uni 1823 erfchien 
nun eine Tandesherrliche Entſchließung, 1) welche den Katholiken die 
freie Religionsübung, mit einigen wenigen durch die altkirchlichen Orts— 
verhältnifje nöthig gemordenen Beſchränkungen (feine öffentlichen Bitt— 
Hänge, Feine Aufftellung von Bildern und Kreuzen auf öffentlichen 
Plätzen, Einholung der Tandesherrlihen Erlaubniß bei Weihungen, 
Firmungen ꝛc. durch einen Bischof) geftattete und die Errichtung einer 
felbftftändigen katholiſchen Pfarrei anordnete. Der erfte Geiftliche, der 
dieſe Stelle beffeidete, war Jakob Burkhardt.) Wie fchon früher 
bemerkt, wurde den Katholiken nicht lange nachher die bisherige refor— 
mirte Kirche zum gottesdienftlihen Gebrauche überlafien, und befindet 
fih die Gemeinde heute noch im Beſitz derfelben. Won dem der katho— 
liſchen Gemeinde in der angeführten Entſchließung der Regierung ein: 
geräumten Net, eine „eigene Kirche mit Thurm, Uhr, GIoden und 
Geläute, aud mit allen zum katholiſchen Gottesdienſt erforderlichen 


1789 M. 3. Ch. Bartholmeß, 1804 €. ©. Bed, 1809 Ph. L. Nomann, 1812 
3. 3. Eifenlohr, 1822 Fr. ©. Lindemeyer, 1839 Iſ. Riehm, feit 1852 3. P. 
Bod. 

1) Regierungsblatt v. 1823, Nr. 18. 

») Ihm folgten 1835 Joſ. Kupferer, 1839 Frz. Schindler, 18351 Alois 
Schuh, 


683 Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 


innern Einrichtungen" bauen zu dürfen, bat diefelbe bis jet feinen 
Gebrauh gemadt. — Die Erbamıng einer Synagoge durd bie 
ifraelitifche Gemeinde, und zwar an die Stelle des 1805 abgebrannten 
jog. „Eſelsſtalles“ erfolgte im Jahr 1812. — Am 23. Oktober 1845 
wurde in Pforzheim in Folge des Auftretens von Johannes Ronge 
und Dowiat und ihrer Anweſenheit in diefer Stadt auch eine deutſch— 
fatholiihe Gemeinde gegründet. — Es möge bier jchlieklih noch 
bemerkt werden, daß Pforzheim im Jahre 1824 abermals eine feiner 
frühern Kirchen verlor, indem damals die Kreuzkirche abgebroden 
wurde. Die dajeldjt befindlichen Grabfteine verbrachte man größten: 
theil8 nah dem Kirchhof, um fie an den äußern Wänden der dortigen 
Kapelle wiederum aufzuftellen. Der frühere Kreuzkirchhof war ſchon 
1800 geihloffen worden. Jetzt ift er größtentheils überbaut. 

Mit- dem Pädagogium im Pforzheim, das feit den 80er 
Jahren des vorigen Jahrhunderts fidytlich wieder aufblühte, wurde 1790 
auch eine Realſchule verbunden, diefelbe jedoh 1809 wieder auf: 
gehoben. Allein mit dem Statut von 1839 wurde eine durch alle 
Klaſſen durchgeführte Höhere Bürgerfchule neben das Pädagogium 
gejtellt. 1) — Im Beitand und der innern Einrichtung der Stadtſchule 
(Knaben: und Mädchenſchule) gingen feit der Zeit, wo von ihr das letzte 
Mal die Rede war (S. 549), wejentliche Veränderungen nicht vor, außer 
dag neben der Ztaötjchule längere Zeit noch eine ſogenannte Freifchnle 
beitand, Solche Veränderungen erfolgten indeß im Jahr 1847 dur = 
Errichtung zweier neuen Hauptlehrerftellen, und 1860 durch Anftellung 
eines vierten Lehrers an der Knabenſchule, deren Unterricht in Folge 
deſſen na oben erweitert werden fonnte, Schon 1843 war das 
Schulgebäude felber einer durchgreifenden Baureparatur mit zweck— 
mäßigerer innerer Eintheilung unterzogen worden. 2) — Die wachſende 


) Proreftoren oder Borftände des Pädagogiums bez. beider Anitalten 
waren (vergl. S. 548): noch 1760 G. B. Deimlina, 1770 NR. Sander, 17% 
%. 5 Th. Zandt, 1807 J. ©. F. Dreuttel, 1818 W. Frommel, 1838 Chr, 
Kröll, 1842 Salzer, 1846 B. Henn, 1852 ©. Helferich, feit 1854 J. Lamey. 

2) Prägeptoren ober erfte Lehrer (veral, ©. 480 und 548) waren und 
zwar an ber Knabenſchule: von 1745 an ©. H. Neftler, 1764 3. 5. Leyerle, 
1793 Chr. F. Heller, feit 1825 Karl Idler; an der Mädchenſchule: von 1749 
—1806 Joh. Joſ. Leibfried, 1806 Chr. Mart. Idler, jeit- 1847 Chriſtoph 
Wankel. 


Neunzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 689 


Zahl der Schüler, die erhöhten Bebürfniffe der Zeit und noch andere 
Umftände führten in Pforzheim nah und nah zur Gründung nod 
weiterer Schulanftalten. So erfolgte 1832 die Errichtung einer ifraeli- 
tifhen Schule, ſowie der Winth er'ſchen Privatelementarſchule, 
um 1840 bie eines Mäbcheninſtituts, 1842 der Gewerbſchule, 
(jeit 1846 unter Leitung von Direktor Huber), 1846 wurde bas 
ftädtifhe Waiſenhaus gegründet und 1850 auch eine Schule dazu 
errichtet, 1849 entftand die ftädtiihe Höhere Töchterſchule, (feit 
ihrer Gründung unter Leitung von Direktor Pflüger,) im nämlichen 
Jahr eine Kleinkinderpflege, 1862 eine zweite Privatelemen- 
tarſchule unter Lehrer Schifferdeder u. f.w. Shen 1826 war auch 
in Pforzheim die Landes-Taubftummenanftalt (Borftand: Profeſſor 
Bach) errichtet und derfelben das Gebäude des bisherigen Filialfiechen- 
hauſes zugewiejen worden. Mit der Zunahme der Bevölferung in den 
1850er Jahren wurden die Räumlichkeiten im Schulbaufe, in dem 
noch immer alle ftädtifhen Schulanftalten vereinigt waren, nad und 
nad) unzureichend, jo daß die Notbiwendigfeit einer Vermehrung und 
tbeilweifen Erweiterung derfelben, fjowie bei dem großen Mangel an 
Wohnungen der Herftellung befonderer Lehrerwohnungen, immer dringen- 
der bervortrat. Es erfolgte deshalb im Jahr 1858 die Vergrößerung 
des bisherigen Schulhaufes und im nämlichen und dem folgenden Jahr 
der Bau eines befonden Mädhenfhulbaufes, das nunmehr eine 
* Zierde der Stadt bildet. Beide Gebäude werden dem Bedürfniß wohl 
für eine Anzahl von Jahren genügen. Der dermaligen Gemeindebehörde 
Pforzheims, an deren Spite der wackere Oberbürgermeifter Zerrenner 
fteht, gebührt das Lob, durch ihre rühmliche Vorſorge für.das Schul: 
wefen der Stadt dasjelbe nach und nach im eimen Stand gefekt zu 
haben, daß es fi) mit dem aller andern Städte kühn mefjen darf und 
mit ben fortgefchrittenen Bildungsbedürfnifien der Zeit gleicyen Schritt hält. 
Bon den Anftalten und Einrichtungen für Unterricht und Erziehung 
gehen wir zu ſolchen über, welche für wohlthätige und ähnliche Zwecke 
beftimmt find. Seit dem orleansihen Krieg war Pforzheim ohne 
Spital. Als am 8. Mai 1803 der bisherige Markgraf von Baden 
die Kurwürde erhielt, veranftaltete eine Anzahl Pforzheimer eine 
Geldfammlung, welhe — zum Andenken an ſolche Erhebung — den 
Grundfto zur Errichtung eines Spitals bilden ſollte. Lebteres kam 


auch bald, und zwar im bdermaligen Waifenhaus oder dem frühern 
Pflüger, Pforzheim, 44 


690 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neueſte Zeit. 


„unten Bad" (S. 458) zu Stande, und konnte in Folge von Schenkun— 
gen in dasfelbe und mit Hilfe der erhobenen Beiträge bald über ver- 
mehrte Mittel verfügen. Im Jahr 1838 wurde ſodann das jeßige 
Spital ſammt Pfründnerhaus gebaut und 1840 bezogen. Das Ber: 
mögen des Hosfpitals beträgt zur Zeit 46,271 fl. 20 fr. und erreichten 
die Einnahmen aus Beiträgen im Jahr 1857 die Summe von über 
10,000 fl. Der Almofenfond, welcher zum Pfründnerhaus beitragspflich- 
tig ift, beträgt dermalen 38,480 fl. 27 fr. Der größte Theil des 
Aufwandes wird jedoch aus Gemeindemitteln beftritten. (Die Stadtkaſſe 
ſchießt alljährlih im Durchſchnitt 6000 fl. zur Armenunterftüsung bei.) 
Der Bau eines neuen großartigern, den bermaligen Verhältniſſen entfprechen: 
bern Spitals ift bereits in Ausficht genommen. -- Im Lauf der letzten 
Jahrzehende entitand eine Meihe von Vereinen zu wohlthätigen Zwecken. 
Dahin gehören: der allgemeine Kranfenunterftüßungsverein 
(1835), der Krantenunterftüßungsperein der Goldarbeiter 
(1835), der Männerfterbfafienverein (1833), der Frauen 
fterbfafjfenverein (1835), der Frauenverein (1838), ber 
Armenverein (1862), — neben obigen Krankenkaſſen noch befondere 
für die Arbeiter des Bendijer'ihen Eiſenwerks (1805), in der Fabrik 
von Aug. Dennig (Statuten feit 1840), der Johanna-Unter— 
ſtützungsver ein bei Gſchwind und Comp. (f. 1830), ferner feit einigen 
Jahren auch Krankenkaſſen für Buchbinder, Schreiner ꝛc. (daneben befteht 
für die Flößer noch immer die Flößerwittwenkaſſe (S.614). — An 
Vereinen und Einrichtungen zu gemeinnüsbigen Zwecken wurden ins 
Leben gerufen die Sparkaſſe (1834), der landwirthſchaftliche 
Bezirksverein (1835), der Guſtav-Adolf-Verein (1844), der katholiſche 
Krenzerverein (1851), die freiwillige Feuerwehr (neu organifirt 
4858), der Turnverein (1834, veorganifirt 1859), der Leſeverein 
(in der Kanne 1822), der Privat-Leſeverein (in der Sonne 1840), 
der Arbeiterfparverein (1851), die gemeinnüsige Baugefell: 
haft (1857), der Arbeiterfortbildungsverein (1862), ber 
Nortbildungsverein für junge Männer (1862). Mit dem 
Sparverein verwandt find die in den 1850er Jahren entftandenen Ans 
lebensloosvereine — Für gefellige, unterbaltende und 
fünftlerifche Zwecke entitanden neben den ſchon länger beftchenden 
Vereinen (Mufenm, Schütengefellfhaft ꝛc.) die Eintracht (1850), 
der Frohſinn (1850), der Gäcilienverein (1852), der Muſik— 


Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 69 


verein (1860), der Männergefangverein (1858, früher Lieber: 
franz, 1839), bie Sreundfhaft (1851), dr Sängerfrangz 
(1858) u. f. w. — Der allgemeine deutihe Nationalverein (1859) 
zählt in Pforzheim eine große Zahl von Mitgliedern. 

Die veränderten Zeitverhältniffe hatten auch eine Reform der 
Beitimmungen über die Pforzheimer Stipendien:-GStiftungen 
nöthig gemacht. Schon 1838 war ein neues Statut entworfen worden, 
das aber 1852 wieder durd em anderes außer Kraft geſetzt wurde. 
Nach demfelben follen die Stiftungen in 3 Theilen fortbeftehen, näm— 
lid; a. dem Geiger’shen, b. dem Rohr'ſchen und ce. der Fontelin— 
Wertwein’ihen. Ueber jeden wird bejondere Nedynung geführt, die 
fi) in einer Hauptrechnung vereinigen. Von dem Zinsertrag gehen vor 
allen Dingen die Befoldung des Rechners mit 100 fl. und fonftige 
Koften ab. Aus dem verbleibenden Reinerträgniß werden die ftatutene 
gemäßen Ausgaben beftritten, der Net, ſowie das, was etwa in die 
Kaſſe zurüdfältt, wird zum Kapital gefhlagen. Ueber die Bewerber 
um die Stipendien wird eine Erfpeftantenlifte geführt, in welche nad) 
der Reihe der Meldungen die Einzeichnung erfolgt, wenn die Berech— 
tigung nachgewiefen ift. Jeder Stipendiat muß fich halbjährlid über 
Fleiß und Gittlichfeit ausweifen. Kann er das nicht, fo gebt er des 
Stipendiums nicht nur verluftig, fondern er muß auch %/, der bereits 
erhaltenen Bezüge wieder erjegen. Die Verwaltung der Stiftungen, 
Führung der Eripeftantenlifte und Kollatur fteht dem Gemeinderath in 
Pforzheim zu, der aber jedes Jahr der Staatsbehörde über alle Ber: 
bältnifje Vorlage machen muß. Für die Geiger'ſche Stiftung find 
nur evangelifhe Bürgerföhne von Pforzheim genußberechtigt, wobei 
unter allen Umftänden folhen aus der Familie Geiger-Meerwein, bier 
wie bort aber den Unvermöglichen vor den Vermöglichen, der Vorzug 
gebührt. Ein Viertel des jährlichen Neinertrages ſoll auf Beitreitung 
des Schulgeldes und Anſchaffung von Schulbüchern für eine Anzahl 
Knaben vom 7, bis zum 14. Jahr, welde die Volksſchule oder das 
Pädagogium befuchen, verwendet werden, jowie 30 Fr. zu einem Prä— 
mium für den fleißigften und brävften von ihnen. Die übrigen drei 
Viertel erhält 6 Jahre lang ein des Studiums der Theologie Befliffe: 
ner, der fih auf einer gelehrten Mittelfchule oder der Univerfitäit bes 
findet. Geht er im erften Semefter zu einem andern Fach über, fo. 
verliert er das Stipendium; gefchieht jenes fpäter, 2 „muß 4 1/; 


692 Neungebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 


bes Bezogenen wieder erfeten, Nimmt er nach zurüdgelegten Studien 
feine Anftellung im Inland an, jo muß er 1/, des erhaltenen Stipen⸗ 
diums zurüczahlen, weshalb auch Stipendiat für jeden Geldempfang 
vorher Sicherheit Teiften muß. — Genußberehtigt zur Robr’fchen 
Stiftung find auf 31/, Jahre immer 2 evangelifche Bürgerſöhne aus 
Pforzheim oder in Ermangelung von ſolchen aus der alten Markgraf: 
ſchaft Baden-Durlah, melde ſich auf einer Univerfität, Akademie, im 
evang. Predigerfeminar oder auf der polntechnifhen Schule befinden. 
Den Dürftigen gebührt vor den Vermöglichen der Vorzug, — Das 
vereinigte Kontelin-Wertmwein'ihe Stipendium von jährlichen 100 fl. 
fönnen Studivende, zunächſt aus Pforzheim, ohne Unterfchied der Kon: 
feffion erhalten, melde fih auf einer Univerfität, der polytechniſchen 
Schule, in einem Schullehrerſeminar oder der Veterinärſchule befinden, 
Keiner kann das Stipendium mehr als ein Mal beziehen, wenn Gleich: 
berechtigte da find. Unvermegliche werden zunächſt berüdfichtigt. Der 
Neft des Ertrags vom Stiftungsfapital foll zur Bezahlung des Schul: 
geldes und zu Anſchaffung der Lehrbücher für unbermögliche Knaben ver: 
wendet werben, welche das Pädagogium oder die höhere Bürgerfchule 
befuchen. — Der Fond der Geiger’ihen Stiftung beträgt zur Seit 
(am Schluß des Jahres 1861) 12,177 fl. 36 kr, der Rohr'ſchen 
11,310 fl. 12 Er, der Fontelin-Wertwein’ihen 9682 fl. 19 kr.; 
— der Wilderfinn'shen 14,006 fl. 58 fr. — Kine weitere im 
Jahr 1857 im Betrag von 1000 fl. gemachte Stiftung ift die Ernſt 
Schweigert’ice, deren Zinſen alljährlihb am 8. Dezember an bürf- 
fige ledige Frauensperſonen vertheilt werden. 

Der Wiedererwähnung von Männern, welche ſich durch ihre GStif- 
tungen zu Bildungszweden einen Ehrenplatz in der Geſchichte ihrer 
Baterftadt gefichert haben, mögen fich hier auch die Namen von folchen 
befannten und berühmten Pforzbeimern anreihen, die zum heil noch 
der Gegenwart, zum Theil der jüngften Vergangenheit angehören (vergl. 
©. 330 und 5%). Wir nennen bier vor Allen Joh. Chriftian 
Roller. Er war am 27. Auguft 1773 zu Pforzheim geboren, be 
fuchte zuerft das Pädagogium feiner VBaterftadt, bezog 1789 die Karla: 
ſchule zu Stuttgart und Tieß fih nad) feinen zu Jena volfendeten Uni— 
verfitätsftudten in Pforzheim 1795 als praktifcher Arzt nieder. Im 
Jahre 1804 erhielt er eine Anftellung bei der Irrenanſtalt zu Pforze 
heim, und wurde dadurch der erjte Irrenarzt des Landes, Eine Be 





Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit- 693 


ſchreibung diefer Anftalt findet fi in dem von Roller herausgegebenen 
„Erſten Verſuch einer Befhreibung der Stadt Pforzheim, mit befonderer 
Beziehung auf das phyſiſche Wohl ihrer Bewohner“ (Pforzheim, 1811). 
Roller ftarb im Mräftigften Mannesalter am 16. März 1814. Als 
Menfh, als Bürger und Arzt war Roller gleich hochgeachtet, und zeich- 
nete fein Wirken ein vaftlofer Eifer, ein über alle Hinderniffe erhabener 
Muth aus. Er war in der damaligen Markgraffhaft Baden der erfte 
Arzt, der die Kubpoden impfte. Die rrenanftalt verdankt ihm die 
erfte Grundlage einer zeitgemäßen Entwidlung, an welcher unter günftigern 
Bedingungen fortzuarbeiten feinem älteften Sohne Dr. Ehriftian 
Friedrih Roller, dermalen geh. Hofrathe und Direktor der Heil— 
und Pflegeanftalt Illenau, vergönnet iſt. Unter der ausgezeichneten 
Leitung diefes ebenfalls zu Pforzheim geborenen Mannes ift die ge- 
nannte Anftalt zu einer ſolchen Blüte gelangt, daß fie ſich allen ähn— 
lichen Anftalten Fühn zur Seite ftellen kann, wenn fie diefelben nicht 
überragt. — Zu Pforzheim find ferner geboren: Dr. Wilhelm 
Eifenlohr, geb. Rath und Profefjor an der polntechnifchen Schule 
zu Karlsruhe, als Phyſiker rühmlichſt bekannt, — Ludwig Kachel, 
Münzwarth und Münzwarbdein zu Karlsruhe ; noch verſchiedene andere 
Männer, die in Amt und Würden ftehen und zum Theil hervorragende 
Stellungen einnehmen, nennen Pforzheim ihre Geburteftadt. 

Gedenken wir num noc einiger bisher nicht erwähnter Ereigniffe 
aus dem Zeitabfchnitt, deſſen überfichtliche Darftellung die Aufgabe 
dieſes Kapitels ift, um ſodann die Bevölkerungsverhältniſſe ꝛc. Pforz— 
heims zu berühren, wie ſich ſolche im laufenden Jahrhundert geſtaltet 
haben. Zu jenen Ereigniſſen gehörten jeweils die zu Anfang des lau— 
fenden Jahrhunderts üblichen Karl-Friedrichsfeſte, die beifpielsweife am 
45. uni 1801 und am 30. Mai 1805, ebenfo 1808 und nach langer 
Unterbrehung wieder 1824 noch mit großen Feierlichkeiten und Volks— 
befuftigungen, für welch letztere der Hauptplab das Nennfeld war, ges 
feiert wurden, fpäter aber wieder in Abgang kamen, Ein anderes Zeit, 
das eine heute noch ſichtbare Spur hinterließ, war das der Einweihung 
des Denkmals der 400 Pforzheimer im Chor der Schloßkirche 
am 6. Mai 1834. Großherzog Leopold, der dasfelbe hatte ſetzen laſſen, 
nahm felber am Feſte Theil und übergab an die Nachkommen derje— 
nigen Bürger von Pforzheim, deren Namen in das Denfmal eingegraben 
find (S. 392), eigenhändig eine für das Feſt geprägte filberne Medaille, 


694 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 


während die Stadtgemeinde diejelbe in Gold erhielt. Bet diefer Ge 
legenheit mag noch bemerft werden, daR aud die gemalten enter 
des Chores der Schloßfirhe von Großherzog Leopold herrühren, ber 
überhaupt diefem Gotteshaufe große Aufmerkſamkeit ſchenkte. Das 
erfte jener Fenfter wurde 1832 eingefügt. 

Salt diefes Feſt einer That der Vergangenheit, fo wird der An- 
laß und Gegenftand eines andern Feſtes, das wir in allerneuefter Zeit, 
nämlich am 3. Juli 1861 feierten, wenn auch ſchon wichtig für bie 
Gegenwart, doch feinen mächtigen Einfluß auf Handel und Verkehr 
mehr noch in der Zukunft entfalten. Ich meine die an jenem Tag er: 
folgte Eröffnung der Eijenbahnitrede Pforzheim-Wilferdingen, wodurch 
auch Pforzheim in die Maſchen des Eiſen bahnnetzes eingeflochten wurde, 
das bald ganz Europa überdeckt. Daß die Eröffnung dur den 
Landesfürften jelber geſchah, geftaltete diefelbe zu einem ſchönen Dop- 
pelfeft, das der Veranftaltungen viele berworrief, um folches zu einem 
allgemeinen und freudigen zu machen. 1) Die in Bälde zu erwar: 
tende Vollendung aud der Eifenbahnftrede Pforzheim Mühlader wird 
bem ganzen Schienemveg, ber über Pforzheim führt, eine erhöhte Be: 
deutung verleihen. — Noch ift bier zu bemerken, daß der Eröffnung 
ber Eiſenbahn 1855 die Führung des erften Telegraphendrahtes nad 
Pforzheim und 1857 die Eröffnung der neuen Straße Tängs der 
Nagold nad Calw vorausgegangen war. 

Um das, worauf in Sltern Chroniken immer ein großes Gewicht 
gelegt wird, auc bier nochmals zu berückſichtigen, müſſen wir von 
thbeuern Zeiten, Hochgewäſſern und Feuersbrünſten etwas 
ſagen. Eine große Theurung herrſchte bekanntlich im Jahr 1817, 
meil demſelben das Fehljahr 1816 vorausgegangen war. Nach einer 
damals gedruckten Gedächtnißtabelle galt zur Zeit der höchſten Noth in 
Pforzheim das Malter Kernen (zu 8 Simri) 60 fl., Roggen 34 fi., 
Gerſte 32 fl., das Malter Haber (zu 10 Simri) 8 fl, das Stmri 
Erbſen 6 fl. 30 kr., Linſen 6 fl., Welſchkorn 5 fl. 30 fr. Aderbohnen 
5 fl., Hirfen 7 fl. 45 kr., Kartoffeln 1 fl. 48 fr, das Mäßle Ker— 


1) Schon 1854, und zwar am 6. Mai, dem Jahrestag ber Schlacht von 
Wimpfen, hatte Großherzog Friebrih, bamala noch Prinzregent, ber Stabt 
Pforzheim den erften Beſuch gemacht. Das zweite Mal weilte er am 7. ehr. 


1860, am Tage der Beiletung der Großberzogin Stephanie, vorübergehend in 
der Stabt, 


Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 695 


nengries 56 fr, Weißmehl 28 fr., das Pfund Reis 24 fr., Schwarz: 
brod 16 fr., das Paar Med zu 6 Loth.4 kr., das Pfund Ochfen: 
fleiſch 15 kr., Rindfleifh 14 kr., Hammelfleifh 12 kr., Kalbfleifh 12 
kr., Schweinefleifh 15 kr., Schweinefhmalz 48 kr., Rindfhmalz 1 fl., 
Butter 56 fr., Lichter 36—38 kr., Seife 32 kr., Unſchlitt 26 kr., die 
Maag Wein 2 fl., geringerer 1 fl. 36 kr., geringfter 1 fl. 20 fr, 
Bier 12 kr, ordinärer Dranntwein 1 fl., der Eentner Heu 2 fl. 48 
fr., 100 Bund Stroh 40 fl, drei Eier Str. Das Jahr 1817 
erwies fi) jedoch wiederum als ein recht fruchtbares, weshalb beifpiel- 
weife der Preis des Sceffels Haber im Mai 1818 wieder auf 4 
Gulden gefunfen war, — Gewaltiges Hochgewäſſer brachten der 
29. und 30, Oftober 1824. In Folge heftiger Regengüſſe ſchwollen 
die Enz, Nagold und Mürm zu nie gefehener Höhe, fo daß der Waſ— 
ferftand den des Jahres 1784 — den höchſten, den man bisher ges 
fannt — um 4 Fuß überftieg. Alle tiefern Stadttheile ftanden zum 
Theil bis zum zweiten Stodwert der Häufer unter Waller, das bie 
gegen den Marktplatz hinaufreichte. Die Ueberſchwemmung richtete gro: 
ken Schaden an und riß auch die Brüden mit fort. Letzteres geſchah 
auch bei dem zweitgrößten Hochgewäſſer des Taufenden Jahrhunderts, 
nämlih am 1. Auguft 1851, da8 ebenfalls bedeutende Verheerungen 
anrichtete und durch das Umfchlagen eines Nachens bei der Auer Brücke 
mehreren Menſchen das Reben koſtete. An die Stelle der alten hölzernen 
Brücke trat 1852 die von den Gebrüdern Bendifer in Pforzheim ber: 
geftellte eiferne Gitterbrüde. — Bon bedeutenden Feuersbrünſten 
blieb die Stadt fchen feit Jahren verfchont. Am ftärfiten wüthete am 
2. Mai 1840 der fogenannte Poftbrand, der das Quadrat, in welchem 
die Post fid befindet, faft ganz zerftörte. Es wurde in den mächften 
Jahren fchöner, als e8 vorher gewefen, wieder aufgebaut. 

Merfen wir nunmehr einen Blick auf die Bevölkerungsver— 
bältniffe Pforzheims, wie fich ſolche feit etwa 70 Jahren geftaltet 
haben, Wir haben oben (S. 562) beim Jahr 1725 die Seelenzahl 
der Stadt auf 3000-4000 berechnet. Im Jahr 1789 war fie auf 
4311, 1795 auf 4937 Köpfe geftiegen, darunter 4600 Yutheraner, 
83 Reformirte, 154 Katholiten und 400 Juden. Im gegemmwärtigen 
Jahrhundert zeigten verjchiedene Volfszählungen folgende Ergebnifie: 

1800: 5062 Einwohner. 
1810: 5572 = 


696 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim won 1789 bis auf die neueſie Zeit. 


1831: 6284 Einwohner. 

1837: 7049 " 

1840: 7694 " 

1843: 8334 Mr 

1846: 8452 r 

1849: 7951 = 

1852: 9183 2 

1855: 10711 — 

1858: 13520 

1861: 13854 

Die Bevöltkerung der Stadt iſt alſo ſeit 60 Jahren um ein Anfehn- 
liches geſtiegen und beträgt mehr als das 21/,fache des Standes zu 
Anfang diefes Jahrhunderts. Don den Ergebniffen der jüngften Zäh— 
lung (Dezember 1861) mögen noch folgende Einzelheiten bier ihren 
Platz finden: die Zahl der Familien war 1936; unter der Gefammt- 
zahl der Benölferung befanden fih männliche über 14 Jahre 5998, 
weibliche 4974, männliche unter 14 Jahren 1455, weibliche 1427. 
Nach Konfeffionen, bez. Neligionen, vertheilte ſich die Bevölkerung der 
Stadt auf 11,113 Evangelifhe, 2528 Katholiten, 45 Difjidenten 
(Lutheraner und Freireligiöſe) und 168 Iſraeliten. Die Zahl der 
männlichen Gefchäftsgebilfen betiug 3645, der weiblihen 710, ber 
männlichen Dienjtboten 198, der weiblihen 967. — Die Zahl der 
Gebäude betrug im Jahr 1500 erft 780, bis 1855 war fie auf 
4590, und bis 1856, im welchem Jahr eine neue Nummerirung ber 
Häufer und die Eintheilung der Stadt in 5 Quartiere (jet 6) ftatt- 
fand, auf 1629 geftiegen, Cine lebhafte Bauthätigkeit zeigte fich im 
ben folgenden Jahren, namentlich als die 1867 gegründete gemein 
nüßige Baugeſellſchaft ihre Thätigfeit zu entfalten begann und 
andere Bauunternehmer ihr nadeiferten. So erhob ſich feither eine 
Reihe von zum Theil großartigen und gefchmadvollen Neubauten, am 
der Dillfteiner Strafe fogar ein neuer Stadttheil, neue Straßen wurden 
angelegt, fo die Kriedrihs:, Enzftraße (mit dem Enzplatz), die 
Dillfteinere, Weibers, Weiherbergs:, Bauftrape, 
mehrere noch unbenannte Querjtraßen zc., fo daß die Gejammt: 
zahl der Gebäude am Schluß des Jahres 1861 auf 1845 ge 
ftiegen war. Außerdem ift in ben lebten Jahren eine bedeutende 
Anzahl von Häufern durh Anbau, Auffegung weiterer Stodwerte ıc. 


Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 697 


vergrößert worden, Die Zahl der Straßen, Gaffen und Gäßchen 
beträgt 68. Diefelben haben in neuerer Zeit zum Theil andere 
Namen bekommen, die Ochfengafje hat fih in eine Neudlinsftraße, 
die Viehgaſſe in eine Spitalftraße verwandelt, aus ber Tränfgafie 
ift eine Deimlingsftrafe, der Brößinger”Gaffe eine Karl-Fried— 
richs-Straße, dem alten Schlappergäßchen eine Baumjtrafe, dem 
Zigeunergäßchen eine Lindenftrage, der frühern obern Vorſtadt eine 
Bahnhofftrake geworden u. |. w. Aber auch im äußern Anſehen 
der Stadt find vielfache Veränderungen vorgegangen. Die alten finftern 
Thore, die längſt ihre frühere Bedeutung verloren hatten, wurden nad) 
und nad abgebrochen, fo das Heiligkreuz-⸗, das obere Graben:, das 
Auerbrunnenthor, der Brößinger: und der Altftädter Thorthurm noch 
im vorigen, beide letztere Thore mit dem Schäfer, dem Auer:, dem 
Hiller:, dem Gauch-, dem obern und untern Schloßthor fammt dem 
Dbermühlthörlein im laufenden Jahrhundert. Ebenſo verihwand da 
und dort die Stadtmauer. Der Stadtgraben wurde theilweiſe ausge: 
füllt, viele der Altern, hochgegiebelten und mit dem Giebel gegen die 
Straße gerichteten Häufer machten neuern, geſchmackvollern und beque— 
mer eingerichteten Gebäuden Platz. Im Jahr 1855 wurde auch das 
Rathhaus reftaurirt, zu welcher Zeit auch das Standbild des Mark: 
grafen Ernſt auf dem Marktbrunnen einer Wiederherftellung unterzogen 
wurde. Schon das Jahr vorber hatte eine Neupflafterung der Stadt, 
das Legen von Trottoirs in den Hauptitraßen derſelben und die Ser: 
ftellung einer neuen Mafferleitung begonnen, nachdem bereits 1858 
Gasbeleuchtung eingeführt worden war, Co hat Pforzheim nach und 
nach ein mobderneres Gewand angezogen, iſt vermöge aller diejer Um: 
ftände aus der Meihe der badiſchen Mitteljtädte in die der größern 
Städte des Landes eingetreten und nimmt unter denfelben binfichtlich 
der Bevölkerung die fünfte, bezüglich der Gemwerbthätigkeit aber die 
erfte Stelle ein. Weber den dermaligen Stand der Ichtern mögen noch 
einige Mittheilungen folgen, 

Nach dem Steuerfatafter für 1862 find in Pforzheim 131 Bis 
jouteriefabrifen, 20 Eleinere Fabriketabliſſements (Goldarbeiter), 5 Kräß: 
wafchereien, 18 Gravier⸗, 6 Guillodhier:, 6 Emaillier:, 8 Juwelierge—⸗ 
ihäfte, I Etuisfabrifen, — die bisherigen Etabliffements zufammen 
ohne die Lehrlinge mit 3519 fteuerpflichtigen Gehilfen — 5 Bijouterie- 
handlungen, 3 Steinhandlungen, 3 Steinfchleifereien, 6 mechaniſche 


698 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 


Merktätten (mit 28 Gebilfen), 2 Eifengießerein und Mafchinenbaus 
fabrifen (mit 327 Gebilfen), 1 Kupferbammer, 1 Werkitätte für phar- 
mazeutifche Apparate (mit 9 Gehilfen), 1 Werkftätte für phyſikaliſche 
Apparate und 2 chemifche Fabriken (mit 43 Gehilfen), im Ganzen 
alſo 235 gewerbliche Etabliffements mit 3947 fteuerpflichtigen Gebilfen 
(ohne die Lehrlinge unter 17 Jahren) und einem Gejammtgewerbe- 
fteuerfapital von 3,686,850 fl. oder 2/, der gefammten Gewerbeiteuer 
der Stadt, welche im Ganzen die Summe von 5,441,100 fl. beträgt. 
Andere Gewerbe find in folgender Zahl vertreten: 3 Apotheker, 5 Bar: 
biere, 22 Bäder, 6 Baunnternehmer, 7 Bierbrauer, 1 Bleichinhaber, 
2 Branntweinbrennereien, 5 Buchbinder, 4 Buche und Steindrudereien, 
2 Buchbandlungen, 1 Büchfenmader, 2 Bürftenmader, 2 Eonbitoren, 
2 Dreber, 1 Sfüigfieder, 2 Färber, 3 Feilenhauer, 6 Tlafchner, 2 
Rrachtfuhrleute, 1 Frifeur, 10 Gärtner, 1 Gasanftaltunternehmer, 5 
Gerber, 2 Gipfer, 7 Glaſer, 1 Glasſchleifer, 2 Gürtler, 3 Hafner, 
72 Handelsleute (und zwar: 3 Bantiers , 20 Ellenwaarengeichäfte, 12 
Spezereigeſchäfte, 6 Duincaillerier und Merceriegefhäfte, 1 Mein: und 
Landesproduftenhandlung, 3 Eifenhandlungen, 3 Holzhandlungen, 2 
Putzhandlungen, 7 Viktualien- und Mehlhändler, 3 Kleiderhandlungen, 
3 Trödler, 3 Steinkohlenhandlungen, 3 Makler, 3 Kommiſſionäre,) — 
6 Hauderer, 2 Hutmacher, 2 Rammmader, 1 Korbmacher, 5 Kübler, 
8 Küfer, 3 Kürfchner, 70 Landwirthe, 4 Maler und Lakirer, 3 Mau— 
rer, 20 Mebger, 3 Müller (mit 4 Mahlmühlen), 4 Pfläfterer, 2 
Pofamentiere, I Putzmacherinnen, 2 Profkuratoren, 3 Sägmühlenbeſitzer, 
7 Sattler, 3 Schirmmacher, 12 Schloffer, 10 Schmiede (3 Grob: 
fchmiede, 1 Kettenfchmied, 4 Kupferichmiede, 1 Mefferfchmied, 1 Nagel: 
fchmied), 24 Schneider und Kleidermacerinnen, 18 Schreiner, 33 
Schuhmacher, 4 Seifenfieder, 3 Seiler, 1 Siebmadher, 1 Strumpf: 
ftrider, 1 Tapezier und Dekorateur, 3 Uhrmacher, 1 Vergolder, 4 
Wagner, 1 MWafenmeifter, 2 Weber, 8 Weinhändler, 33 Mein: und 
7 Bierwirtbe, 6 Ziegler, 6 Zimmerleute. Auf alle nicht fabrik— 
mäßig betriebenen Gewerbe fommt ein Gewerbitenerfapital von 1,754,250 
Gulden. — Das Grunde und Häuferftenerfapital der Stadt be: 
trägt für 1862 die Summe vor 3,673,480 Gulden, das Gefammtftener: 
kapital 9,114,580 Gulden. Am Jahr 1850 betrug dasfelbe erft 
4,865,060 Gulden; es bat ſich alfo in 12 Jahren beinahe verdoppelt. 
Was die Vermögensverhältniffe und überhaupt das mufterhaft verwal- 


Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 699 


tete Finanzweſen der Stadtgemeinde felber betrifft, fo weist die Stadt: 
rechnung für 1860 eine Einnahme von 101,588 fl., eine Ausgabe von 
98,664 fl. 38 fr, umd einen Vermögensftand nad, der nach Abzug 
von 124,783 fl. 32 ir. Echulden die Summe von 559,368 fl. 56 fr. 
beträgt und während des genannten Jahres in Folge von Schulden: 
tilgumg um mehr als 10,000 Gulden zugenommen bat. Alle diefe 
Derbältniffe in Verbindung mit der Zunahme der Bevölkerung und der 
Hänferzahl beweifen die wachfende Bedeutung Pforzheims zur Genüge. 
Möge die ſchützende Hand der Vorfehung auch ferner über einer Stadt 
walten, die — von jeher ein Foftbares Juwel in ber Krone ber 
badifhen Yürften — nad fo vielen wechſelnden Scidfalen, wie fie 
diefe Blätter eingehend gejchildert haben, immer wieder zu neuer Blüte 
gelangt ift und einer noch größern Zukunft entgegen geht! 


Regiſter. 





A. 

Aab, Geſchlecht, 301, 392, 559. 

Abgeordnetenwahl, erfte 684. 

Abrecht, Geſchl. 301, 392, 407, 432, 
466, 468, 532. 

Abzug 72, 358 

Achtſynit, Kanzler 61,269, 286, 320,468. 

Adel und adelige Häufer in Pfh. 146, 
163, 298, 300, 463. 

Ador, Kommerzienrath 632. 

Albrecht v. Brandenburg 322. 

Alemanen 26. 

Almofenfond 160, 284, 335, 606, 

Altäre der Schloßfirhe 150. 

a 21, 2, 104, Sl nr = 

Altſtädter Kirche 31, 41,71, 105, ff., 186, 
309, 526. 

Angeftellte in Prb. 364. 

Anlebensloogvereine 690. 

Anshelm, Thom., Buhdruder 189. 

Apothefen 460, 544, 686. 

Arbeiterzahl der Fabriken 631, 643, 
653, 664, 666, 667, 697. 

Arbeitslohne 490, 632, 664. 

Ariovift 7. 

Arlaud, Geſchl. 662. 

Armbruftbaus 45%. 

Aſpern, Schlacht v. 673. 

Aue 78, 45 

Auauftinerflofter 116, 323, 

Aufterlig, Schladt v. 671. 

Autenrieth, Geſchl. 4 

Autran, Gründer ver Bij.Fabr. 624. 


B. 
Baden ein Kurfürſtenthum 671, ein 
Großherzogthum 672. 
Rad, oberes od. unteres 163, 458, 347. 
Baden-Durlah 267. 
Baden-Pforzbeim 267. 
Badftuben 159, 163, 293. 
— 259. 
Baiern in a 412, 437. 
Barfüßerkloſter ſiehe Franziskaner. 
Barthold, Geſchl. 484 559. 
Baſel, Friede v. 669. 
Bauer, Geſchl. 164, 392, 407, 580, 
585, 594, 665. 
PBauernfrieg 265. 
Baugeſellſchaft, gemeinnügige 690. 


Baumann, Geſchl. 301, 392, 553. 

ee er 

Baurittel, Geil. .542, 544 ff., 353, 
560, 660, 661, 60». 

Baufchlott 73, 111, 114, 315, 322, 354, 


405, 540. 
Beder, Geſchl. 301, 559, 605, 657. 
Beh, Geſchl. 164, 356, 362, 365, 392, 
407, 424, 432, 318, 331, 559, 568, 


380. 
Beckh'ſche Stiftung 362. 
Befeftigungswerfe 77, 118, 121, 162, 
297, 446 ff., 520, 522, 547, 568, 697. 
Bequinen 111, 115. 116, 317. 
Belanerung von Pf. 515, 525. 
Benckiſer, Geſchl. 616, 678, 683, 690. 
Beobachter, Pforzb. 636. 
Bernhard L, Marfaraf 92, 136, U. 176. 
Bertbier, Marihall, in Pf. 6892. 
Berthold. Bruder 75. 
Befchreibungen d. Stadt 292, 446, 465, 
— 408, 464,531, 


358 ff. 
Bierbandel, Hädtifher 462. 
Bifouteriefabrifation 606, 624 ff., 697. 
PBilfingen 70, 212. 
Birfenfelv 11, 109, 113, 118, 150, 405. 
Bleibe 616. 
Bleichwiele 36, 122, 279, 359. 
Blockhaus 459. 
Bohnenberger, Geſchl. 666, 678, 653. 
Bonlanden, früherer Ort 112, 
Borgnis, Geſchl. 661. 
Bougine, K. J. 59. 
Braun, Geſchl. 518. 
Breidt, Geſchl. 392, 407, 484, 559. 
Bremerbof 
Brenner, Geſchl. 392, 432, 434, 
Brodſchauer 240. 
Brovfhrannen 124. 
Brögingen il, 14, 43, 70, 109, 113, 
118, 150, 187, 322, 405. 
Bröginger BVorftabt 78, 449. 
Bronner, Geil. 484. 
Bruderbaus 457. 
Bruderſchaften 160. 
Brüden 12, 122, 291, 455, 545, 


Brunnen 155 fr. 


Brunnenorbnung 250. 


Regifter, 701 


Bub, Geſchl 301, 365, 392, 424, 466, | Düren 11, 15,73, 113,118, 150,310,540. 
320, 559, Durlad v., Sehhl 87. 


Buchdruderei 189 ff, 303, 686. 

— Geſchl. 301, 3 — 518, 
henbronn 118, 1 150, 156. 

Bürger, Geſchh —  — 

Bürgereid 247. 

Bürgerannahme 222, 248, 560, 


Bürgermeifter 188, 235. 301, 365, 423, 
100, 522, 392, 31, 551, 610, 678, 


Bürgermilitär 554. 

Bürgerſchaft 96, 247, 430, 562. 
Bürgerfchule, hobere 
Bürgerwittwenkaſſe 614. 

Bujard, Geſchl. 653, 660, 661, 665, 678. 
Bund, deutfcher 675, 


Eäcilienverein 690. 

Eäfar, J. 7. 

Calw, Grafen v. 35, 36, 44. 

Galwer Straße 694, 

Campo Kormio, Friede v. 670. 

Chriſtenthum, Berbreitung 30. 

Chriſtin A., Mitgründer d. Bil.-#. 624 ff. 

Ehriftoph, Markgraf 173. 

Eifterzienferinnen, Kfofter 49, 111, 154, 
158. 


Darmsbach 159. 

Dehmen 219, 233, 475. 

Deimling, Gefhl. 301, 357, 391, 392 
407, 456, 466, 522, 532, 533, 542, 
580, 581, 605, 617. 821, 64. 

Dentfteine, Denttafeln und Dentmäler 
14. ff., 181, 183, 185, 277, 291, 298, 
539 ff., 544, 601, 674, 693. 

Dennig, Geſchl. 666, 678, 633, 686, 690. 

Deutſchkatholiſche Gem. Gründung 688. 

Diebigraben 396, 449. 

Dietlingen 11.18.33.43 118, 
ietlingen 11, 15, 33, 43, 100, 110, 
137, 150, 150, 211, 265, 405, 438, 

Dillſtein 95, 105, 150, 186, 309. 

Dittler, Gefchl AOL 

Döffingen, Schlacht 99. 

Dominifaner-Klofter u. Kirche 74, 108, 
111, 115, 165. 309, 323, 399, 401 

Dominitanerinnen-Klofter 41, 49, 74, 
108, 111, 118, 153, 187, 203, 323, 
329, 401, 456, 573, 620. 

Dreißigiähriger Krieg 375 ff. 

Dürrmenz 32, 114, 150, 


Durlader Straße 566. 


Eberftein, Grafen v. 38. 
Eberg, Peter 367. 

Ederih 283, 

Eintradht, Verein 690. 
Einwanderer in Pf. 560, 677: 


678, | Eifenbahneröffnung 694. 


7 nn. 693. — 

iſingen 16, 33, 100, 113, 118, 174 

2 ⏑ß⏑ 

Eifinger Yo 16. 

Eifingen, Herren v. 65. 

Ellmendingen 11, 14, 15, 33, 43, 101, 
109, 110, 112, 114, 118, 137, 322. 

Emigranten, franz. 677, 

Enderle, Geſchl. 301, 356, 559, 

Enzberg 32, 113, 150. 

Enzberg, Herren v. 62, 174. 

Enzgau 31, Grafen darin 33. 

Ercmiter-Klofler 116, 323. 

Erhard, Geil. 301, 392, 425. 

Ernft, Markgraf 176, 268, 316. 

Ernft Friedrih, Markgraf 351. 

Erfingen 113, 212, 266, 317. 

Eſelsſtall 

Effig, Geſchi 301, 357, 392, 403, 44, 

Euchele, Gefchl. 301, 372, 392, 407, 
126, 432, 539, 

Euphemia 114, 134. 

Eutingen, 11, 33, 113, 118, 126, 150, 
159, 187, 322, 601, 

Erefution, milit. 581, 584, 588, 592. 


Fabri, Dr. Wendelin 330. 


Fabrifen, Anzahl 655, 657, 660, 662, 
665, 666, 667. 


— 
Fabrikordnung, alte 635, 
Balfengarten 95. 
Bauler, Geſchl. 301, 392, 466, 532, 
Feldner, Geſchl 301,365, 425, 428, 559, 
Feldordnun 
Fegert, Geſchl. 4 
ar ki 290, 438, 513 917, 328, 


Reuerfprige, erfte 550. 

Feuerwehr 690. 

Fink, Gefhl. 164, 392, 407, 686. 
Fintenftein, Gefchl. 606, 632, 
Kifhwafler i. d. Enz 41, 281, 


legler 97. 
61,258, 272,611 


lopwefen 88, 125,1 : 
Flößerwittwenfaffe 6I4 # 





84 


702 


Roblenftall 17. 

Kontelin’fve Stiftung 362, 692, 

Kortbildungsverein 690, 

Kräufeinflift, adelihes 539. 

Sranten 29, 

Franziskaner-Kloſter u. Kirche 74, 111 
115, 152, 186, 399, 401, 410, 413, 

3 eg rg SSL Sn. 
ranzofen in Pf. 511, 514, 525, 527 
530, 567, 677. 

Fraucnverein 600. 

Frei, Adam 195. 

Freundſchaft, Berein 691. 

Srevel 157, 358. 

Friedland, Schlacht v. 672. 
rievrich, Großherzog 676, 693, 
riedrich III, Kaifer, in Pfh. 146, 
riedrin 1, Marfgraf 55, 1. u. II, 92, 

Se Ni vo tgraf 354, 394, 444 
riedrich V., Marfgra 
VI A444 np — ZI 


BR Magnus, Markg. 415, 538, 


Srohnden 217, 476, 565, 678, 

Frobfinn, Verein 690, 

Fuchs, Seidl. 484. 

Fübner, Geſchl. 

Fürftengruft 268, 270, 351, 353, 374, 
445, 526, 539, 540, 602, 674. 

Fürftenverfammlungen zu Pforzh. 100 

143, 146, 323. 


me 


_— 


G. 

Gaſthäuſer 460 ff. 

Gauverfaffung 31 

Gebäudezahl 696. 

Geiger, Geſchl. 164, 285, 356, 392, 
407, 432, 568, 678. 

Beiger’ihe Stiftung 285, 691, 

Geiftlihe der Stadt 40, 73, 107, 182, 
192, 311, 313, 322, 325, 336, 364, 
405, F16, 317, 529, 550, 686. 

Geiftlihe der Altftant 186, 322, 364, 
405, 686. 


—— 
Geldwechſel 226. 
Gelehrte aus Pf ., 163. 193, 295, 

316, 330, 596, 

Örcleite 123, 158, 272, 357. 
Selpverhältniffe 128, 278, 397, 493. 
Gemeindedienfte 237. 

Gemeindegut 219. 

Gemmingen, Herren v. 145. 

Georg Friedrich, Marfgraf 353, 363, 

367, 378, 400, 

Georgsbrunnen 119 ff. 
Georgöfteige 120. 


Regiſter. 


Georgsſtift 119, 309, 413, 452, 457, 
5 — 

Gerbel, Nik. 344. 

Gerichtöwefen 222, 231, 

Germanen 6. 

Gerwig, Gefhl. 164, 392, 429, 518, 

Gewerbliche Berbältniffe 125, 158, 161, 
178, 253, 294, 459, 485, 513, 556, 
283, 605, 611, 685, 697, 

Gewerbſchule 689. 

Glaſer, eg — 

Glaubenstreue der Pforzh. 365 

Gloden der Schloßfirde 54. 

Göbrichen 15, 32,43, 109, 114, 265, 322, 

Göldelin, Gefhl. 85, 102, 103, 142, 

Goldkontrole 656 ff. 

Goldſchmiedsordnung 262, 

Grabfteine 14, 63, 82 ff., 102, 112, 150, 
174, 129, 182 fi, 268, 269, 273, 286, 
237, 293, 298, 320, 362, 460,520,525. 

Gräfenbaufen, Herren X 

Graue Schweſtern, ſiebe Beguinen. 

Gregorianiſcher Kalender 377 

Grepffenberger, Joh., Buchdrucker 207. 

Groß, Geſchl. 164, 

Gülich, Geſchl. 606, 666, 690, 

Stern Huf Sreite 491, 507. 531 

Güter- u. Häuferpreife 491, ; 

Guſtav Adolph v. Schweden 302. 

Guftav-Adolpb-Bercin 690. 

Butleutbaus 119. 

Gutt, Osw. Kanzler 320, 


Hadel 5. 

Hafner, Gefhl. 302. 

Hagenſchieß 15, 73, 145, 146, 159, 357, 
514, 516. 519, 534, 557, S6L 

Damberg 137, 146, 150. 

nn oberer und unterer 458, 488, 


Hardheimer Schlößchen 17. 
Dauptrecht 279, 358 

Heerichau bei Pf. 139, 681, 683, 
Heivdenteller 16. , 

Heil» und Pflegeanftalt 118, 610. 
Deiliggeiftipital 117, 187, 329, 401. 
Heimeheim, Herren v. 70. 

Heinrich IV,, Raifer, in Pforzheim 39. 
Deinzelmann, Geſchl. 301, 392. 
Heiſch, Geſchl. 469, 484, 548. 
Helmftädt, Oberſt v. 382 

Herren zu Pforzheim 92, 

— b, Kloſter 49, 56,59, 80, 101, 


Regifter, 


Hermionen 6, 
Herrmann, Gefchl. 484. 
a — an 50 ff, 
errmann VI. 55, VII. 76, 91, VI 
und IX. 92, — — 
DHerenprozeffe 211, 501. 
— Kloſter 5, 36, 38, 40, 42, 


Hirfhaue Sof 41, 77, 402. 
rihauer Hof 77, 
Hocgewäfler 524, 563, 622, 695, 
Horter, Geicht. 432, dr 


Hopeifen, Geil. 560. 
Dohened, re Sr 
Hohenlinden, Schlabt v. 670. 
Siehe die, 44 ff. 
obenwarth 11, 23, 36, 43, 145, 146. 
.. Seigt. Ask. mn 
olzhauer, Geſchl. 392, 484, 506, 580 
551, 588, 592, — 
Holzpreiſe 161, 491, 
Hortari, Fürft 28. 
Hoipital und Pfründnerpaus 658, 
en 308, 108% 51a 
1, 309, 405, 514. 
Bug, A, Stavtihreiber 180, 207. 
Hufliten in Pforzheim 15T 
Hutten, Uri v., in Pf. 306. 


J. 
Seren alte 293, 457, 462, 545, 


246, 

Jaiſer, Geſchl. 301, 302. 

Jakob I,, Markgraf 137, 152. 

Jakob , Markgraf 351. 

Jemappes, Schlacht v. 669, 

Jena, Schlacht v. 672. 

325 Herren v. 64 R 
nicriften 83, 275, 291, 298, 323, 
457, 56,52 

Interim 317. 

Interimsbefepl 532. 

Johann, Freigraf v. Kleinegypten 184. 

Joſeph U, Kaifer, in Pf. 622. 

Joſephine, franz. Kaiferin, in Pf. 679, 

Irmengard, Gemahl. Herrmanns V. 52, 

— Siechen- und Zuchthaus 573, 


Iſpringen 64, 112, 113, 118, 150, 187. 
Ffraelitiiche Schule 69. 
Ittersbach 5, 11, 322, 353. 
Sudenvertolgungen 88, 97. 


Kachel, 2. 693. 

Kaifer, Geſchl. 164. 
Kaiferwahlen zu Pforzheim 39. 
. Kallpart 282, 515, 555. 





703 


Kanoniter-Klofter 116, 323. 

Kanzler, Wald 17. 

Kapelle auf dem Friedhof 546, 

Kapfenhart, Herren v. 68, 

Kappelhof und Kappelwiefen 41. 

Kapuziner in Pf. 413, 439, 

Karl, Großherzog 673, 675. 

Karl Friedrich, Markgraf 541, 599, 673, 

Karl-Rriepriche-fefte 603, 

Karl IV., Kaifer, in Pfh. 95. 

Karl 1, Markgraf 138, 

Karl II, Martgraf 268, 275, 319, 

Karl Wilhelm, Markgraf 539. 

Karoline, Martgräfin 602, 628, 630, 

Katholifhe Gemeinde, Kirche u. Geiſt— 
lihe 73, 619, 637. 

Kap, Geichl. 455, 532, 546, 574, 581, 


Keller, Geſchl. 301, 392. 

Kelten 4. 

Kelter, herrichaftliche 279. 

Kercher, Geſchl. 301, 356, 392, 405, 
428, 463, 518, 520, 532. 

Kern, Geſchl. 159. 

Kierer, Geſchl. 164, 392, 407, 429, 432 

Kienle, (Kiehnle, Kienlin) Geſchl. 133 
359, 697, 660, 661, 665, 678. 


Kiefelbromm 11, 16, 32, 73, 111, 113, 
118, 150, 405, 673. 
Kirhberg 78. 


Kirchenordnung 320. 

Kirchenzucht 493 ff., 357. 

Kirchhof 298, 457. 

Klausſchweſtern fiehe Beguinen, 

Kleebau 600. 

Kleidung 210. 

Kleintinderpflege 689, 

Klöfter, Aufhebung derfelben 320, 323, 
325. 


Koch, Geſchl. 164, 392, 407. 
Kollegiatftift zu St. Midael 149, 316 
401, 


sollmar, Geſchl. 620, m 
Königsbach 11, 15, 33, 114, 1 
Konigsbach, erten v. 66. Zu 
Korn, Geſchl. 133, 392, 
Kräbened, Burg 60. 
Kranfenunterftüßungsvereine 690. 
Krentel, Geſchl. 466, 485, 683, 684. 
———— 690, : — 
reuzkirche 118,446, 452, 457,546, 
Kriegstoien 512, 514, 521, 523, 327, 
530, 532, 534, 565, 568,570,571,678, 


aid, 
397. 


704 


Kruzifir, altes 621, 623. 
Kürsner, Konrad 305, 337. 
Kupferbammer 48 

Kurz, Geſchl. 560 
Kuticherweg 12. 


Lagerbüder 278, 357. 
Lampredt’fhe Stiftung 618. 


Landacht 473. 
Landesordnung 207, 229, 
Landhag 27. 


Yandfhaftehaus 459. 
Landwirtbfchaftliher Verein 690. 
Yangenalb 2, 137 
Langenfteinbab 11. 


Lannes, Marſchall, in Pf. 679, 


Regiſter. 
Luxemburgiſcher Krieg 502. 


Lurusgefege 207, 496. 
: mM 


| Maaf und Gewicht 252 49. 
| Maafpfennig 276, 


Maclet, Geſchl. 665. 

Mäpdceninftitut 639, 

Männergefangvereine 691. 

Märklin, Geht. 544. 

Wäule, Geſchl 164, 392, 515, 559, 

Maler, Geſchl. 164, 365, 392, 40, 
457. 


442, 
Mannrecht 247, 
Marbovp Z 
Marechal, Geſchl. 650. 


ı Marengo, Schlacht v. 670. 


Lateiniſche Schule 154, 193, 303, 333, | Marie Yuife, franz Katferin, in Pf. 682, 


456, 478, 521, 526, 548, 68. 
Yeverner General 445. 
Legel, Gefhl. 84, 
Lehen, Pforzheim ein Pfälger-, 140. 
!chningen 118, 137, 145, 146. 
Yehningen, Herren v. 69. 
teibbrand, Geſchl. 392, 485. 
Leibeigenfchaft 96, 144. 247, 601. 
Leipzig, Schlacht v. 674. 
Teig, Geil. 485. 
er Geſchl. 301,'39%, 407, 485, 683, 


Leopold, Großherzog 602, 675. 
Leproſenhaus 1194 
Yefeverein 680. 


Martomannen 6. 
Marttbrunnen 275, 455, 
Marttorpnung 249, 
Marftplag 121, 454. 
Marquard, Joh. 18. 
Martin, Kirche St., f. Altſtädterkirche. 
Maulbronn, Klofter 49, 56, 59, 73, 
— fe 133, 382 596 
ay, e ch .- a Zu 997, 
Meerwein, .. a 3, 392, 407, 
432, 466, 518, 520, 559, 580, 581. 
Meier, (Maier, Mayer) Geil. 301, 
356, 392, 407, 532, 559, 581, 683. 
Mehlaccis 
Melac in Pf. 515, 535. 


Leutrum v. Ertingen 152, 174, 175, | Melandthon 2, 166, 195, 331 
282, 306, 339, 432, 502, 540, 545. | Melter, Gefchl. 466 


Leyerle, Geicht. 301, 553. 


| Merle. Geil. 392, 485, 


Lichtenthal, Klofter 41, 54, 56, 65, 104, | Merfurstempel 18, 19. 


107, 108. 
tiebened 58, 59, 174, 502, 528. 
tiebener, Gefhl. 71, 8% 
Liebeners Hof 76, 121. 
tiebenzell 23, 43, 114. 
Liebenzell, Herren v. 68. 
Lindenplatz 454. 
Löffelſtelz, Burg 63. 
Lowenbund 98, 
Lomersheim, Herren v, 64, 
Longueville'ſche Siifegelder 354, 
Lorhard, ob. 198, 
Lorſch, Klofter 32. 
Lotthammer, Geſchl. 301, 357, 392, 
433, 518, 359. 
Ludwig, Großherzog 602, 675. 
Luneville, Friebe v. 6ZL. 
Lutgard, Priorin 112, 
Luß, Geſchl. 164, 392, 467, 660, 661. 


Merz, Geſchl. 392, 485. 

Meünerei 107, 244. 

Mepelgraben 56, 122, 
Meggeroronung 119, 256. 

Meurah 18, Au. 

Michael, St. Kirche, ſiehe Schloffirche. 
Militärweien 577, 684. 
Minoritenflofter, fiebe Franziskaner. 
Miftorpnung 252. 

Moreau in Pf. 677. 

Mülen 95, 109, 122, 123, 157, 160, 


359, 
Müplpaufen a. d. W. 145, 146. 
Mühlhauſen, Herren v. 64, 
Wühlzins 157, 280. 
Müller, Geſchl. 164, 559. 
Müllerordnung 254. 
Münfter, Seb. 304. 
Münzftätte in Pf: 159, 


Regiſter. 705 


Murat, General in Pf. 679, 
Mürrle, Gefhl. 392, 485, 559. 
Mufeum 545, 621, 682 
Mufitverein 6 

Mutfchelbach 113, 174, 353. 
Mutſchelknauß, . 462, 559. 


Nagoldgau 32. 

Namen der Stadt 24, 47, 74 

Napolcon L 670 ff., derfelbe in Pf. 679, 
681 


Narrenhäuslein 456. 

Neivlingen, Herren v. 64. 

Neidlingen, Ort 64, 109, 112, 113. 

Neuvdörfer, Geil. 392. 

“Neuenbürg 11, 33, 36, 126, 

Neuenbürg, Grafen v. 67. 

Neuhäufer, Geſchl. 485, 657. 

Neuhaufen 11, 43, 137, 145, 146. 

Neuhaufen, Herren v. 69, 146, 252. 

= Marihall, e 7 *8 * 
iefern 5, 11, 38, 43, 73, 100, 114 
150, 174, 204, 322. == 

Niefern, Herren v. 61. 

Niefernburg 61, 269. 

Nitolausfapelle 41, 77 

Nördlingen, Schladt v. 404, 

Nöttingen 11, 14,15,32, 110, 174, 405, 

Nymwegen, en v. 507. 


Dbervögte zu Pf. 63, 68, 103, 147, 150, 
18%. 207, 301, 309, 314, 36 364 
986, 





366, 376, 405, 466, 542, 
Dbfervanten, fiche Franzisfaner. 
DOechsle, Gefhl. 661 
Oeſchelbronn 5 11, 32, 43, 73, 100, 

114, 118, 405, 672. 

Orleans fcher Krieg 508. 


DOftertag, Gefchl. 407, 466, 485,520,532. 


Päpagogium 688, 

— riede v. 675, 
atriziergefchlechter 72, 81. 

Pfälzer Krieg 138. 

Pfarrwohnungen 459. 

— 32, 
for; 5, 25. 

Pforzen a. d. Wertab 133, 

v. Pforzheim, Dragebot 44, Heinrich 
v. Pf. 130, Herrmann, Günther, Lukas 
und Jacob v. 133, 

Pforzheim, Amt 137. 

Pforzheim, baierifh 410, ein pfälzifches 
Leben 141, 603. 





Pfundzoll 226, 472, 520, 578, 583, | 


Pflüger, Pforzheim. 





Philipp, Markgraf 176, 264, 
Phorca 
Phorcis 3, 
borfys 2. 
Phyſiokratiſches Syſtem 600. 
Plätze, öffentliche 297. 
Ge 0, a re 
olizei 209, 223, 248, 357. 
Volnifber Krieg 540, SZL. 
Porta Dercynia 24. 
Fee der Meßger 487, 583. 
oftfiraße, alte 12, 13. 
Präfentationgrecht der Stadt 481. 
Predigerklofter, ſ. Dominitanerflofter. 
Preife der Lebensmittel 161, 210, 398, 
406, 490, 504, 507, 530, 562. 
Preßburg, Friede v. 671. 
Privatelementarfohulen 689, 
Privilegienbrief 215, 270, 683. 
— 276. 
ulvermühle A488. 


RN 627, 633, 662. 


Nabe, Grg., Buchdrucker 323. 

Nabened, Burg 60, 

Räpple, Sefchl. 164, 

Naftatter Kongreß 670. 

Rathhaus 298, 458, 546, 697. 

Realſchule 

Recollekten, ſiehe Franziskaner. 

Reformation in Pf. 302 Fi. 

Reformation der Klöfter in Pf. 152. 

Reformirte in Pf. 561, 687. 

Refugies, franz. 561. 

Regenten, vier 231. 

Reich» und Kreisfteuer 577, 595. 

Reichshauptſtraßen über Pforzheim 121, 
123, 556, 


306, 


Reihstammergericht 585. 

Rektoren u. Lehrer der lat. Schule 194, 
316, 333, 364, 478, 522, 548, 688. 

Religiongfriede zu Augsburg 319. 

Religionskämpfe 413. 

Remchingen 15, 373. 

en, . v. 66, 146. 
endenz zu Pforzheim 57, 92, 273,276, 
404, 540. — 


Refitutiongedift 400, 

Reuchlin, 3. 1, 159, 165 ff., 190. 
NReunionsfammern 509, 
Revolution, franz. 668. 
Rheinbund 672. 

Rheinfranten, ee 34, 
Richter, Gefchl. 4 en 


706 


Niefle, Geſchl. 164. 

Ringer, Geſchl. 301, 407, 580, 

Rod 58, Sl. 

Römerftraßen 10. 

Römerzeit 8. 

Römische Alterthümer 13. 

Römifche Gebäude 15. 

Römifhe Münzen 15. 

—— Ing 360, 692. 
ohr'ſche Stiftu 

Roller, Geſch 1. 560, a. 

Roßwag, — v. 64 

Rothacker, Geſchl. 3201 560. 

Rn L, — 56, I. u. IN. 91, 
IV., VI. u. 8 

Rübt, Set. * 

Ruſſen, gefangene in Pf. 630. 

Ruſſiſcher Feldzug 674, 

Nyswil, Friede F 334 


Sängerfrang 691. 

Saif, Geſchl. 301. 

Salzburger, ausgewanderte 562, 

Salzgeld, Salzftabel ıc. 208, 214, 225, 
378, 383. 


Salzmefler 234, 
a —— — 
Sattler, Ge 164 
* Schäfer, Geihl. 164, 3 Ei 
Skhäuffele, Gefhl. 435. 
Schafhof 22, 
Shall, Geſchl. 485. 
Schanz, Gefhl. 301, 392. 
Schanzäcker 
Schatzung 357,475, 520,576, 582,595. 
Scheerle, Geht. 39 3 nn 466, 485. 
/ Schellbronn 36, 43, 110, 145,146. 
Schlachthaus 8 
Scleglerfrieg 63, M. 
Schloß 78, 122, 279, 358, 445, 446, 
f., 338, 540, 620. 
Schloßberg 
Schloßbrunnen 455. 
Schloßgarten 279, 358, 575. 
Schloß » 19, 19, 30, 3 36. 77, 105 ff, 
—— 
12, 316, 456, 313, 630, 693. 
Schmalfatvifcher Krieg II. 


Schmidt, Gefgt. 104, 301, 302, 581, 


Son Geſchl. 466, 485, 580, 52. 
— Geſcht Ti 164, 392, 407, 545, 


Süote, Geſchl. 392, 485, 542, 662, 


1. 92, 


Regifter. 


Schönauer, Geil. 435. 

Schroth, Gefchl. 407. 

Schülerfefte 454, 548. 

Schüpenfeft 237. 

Schügengefellfihaft 236, 362, 459, 554. 

Schulden der Stadt 13, 476,554, 699. 

Schulden fürftlihe 221. 

Schulhäuſer 547, 689, 

Schulweſen u. Yehrer 244, 316, 365, 
2 458, 478, 547, 548, 600, 686, 


re zu Pforheim 70, 101 ff., 

118, ‚, 301. 

Schweden in Bf. 403, 

Schwarz, Geil. 455. 

Schmwebel, 30h. 305, 336. 

Schweigert’fhe Stiftung 692. 

Sedenheim, Schlacht v. 139. 

Seehaus 11, 357 

Seelhaus 163, 457. 

Seuden 199, 312, 392, 406, 500, 562, 
* — 5, 118, 329, 452, 574. 

Sieben pital 115, 118, 329, 45 

Siegel der Stat 79, 356. — 

Siegle, Geſchl. 164, 392, aa, 558, 2 581. 

Sigismund, Kaifer, in in Porzd. 144, 

Singergeſellſchaft 195, 2, 

Sittengefchichte 206 ff ft., 493 ff. 

Solo, Geſchl. 392, 427 ff., 466, 485, 
518, 290, 

Spanifcer ————— 263. 

Sparkaſſen 690. 

Speiſen, übliche 208 

Spitaltirche 118, 429. 

Spracproben 80, 131. 

Stadtkirche 76, , 456, 550, 620. 

Stadtmauer 118, i 

Stadtmetzig 329, 

Stanträtbe 72, 189, 231, 235. 

Stabtrechnung 470, 

Stabtfehreiber 180, 237, 298. 

Stadtfolvaten 611. 

Stadtverfaffung 213, 610. 

Städtebund, ſchwäb. 

Städtifche Gebäude 458, 

Stahl, Gefhl. 485. 

Stablbiiouterie 656, Gl. 
—— 627, 633, 652, 


Staib, Gefhl. 485. 

— Herren v. F 
Steineck 69, 137, 15, 133 48 
Steinhaus 71, 108, 110, 121. KHunmar 85 
Stephan, St., Kirche, ſiehe Stadtkirche. 
Sterbfaffen 690, 


Regifter, 


707 


Steuerverhältniffe 72, 157, 217, 355, | Berpfändung Prorzbeims 148, 178, 
7 ff. 698. 


Vertreibung der Geiftlihen 422. 


Step, Geil. 301, 356, 392, 426, | Bermögen, fädtifches 699. 
581 


568, 
360, 617 ff., 691. 
374, 588, 


466, 520, 559 
Stiftungen 254 ff. 
Strafen 278, 358, 
zen 2 ’ i 

traßen der Stadt 97,12 

297, 452, 543, 696, 
Straubendart, Herren v. 67. 
Strieth od. Strutt 5, 145. 
Sueven 6. 

Spnagoge, Erbauung 688. 
Spnode, franz. reform. zu Pf. 561. 
Sppbilis, epivemiiche 200, 


Tabaktrinken 499, j 
— Eifen- u. Salzmonopol 379, 
983. 


Zaubftummenanftalt 75, 609. 

Zelcgraph in Pf. 682, 694, 

Zheurung 290, 398, 406, 504, 507, 
562, 622, GA. 

Thiergarten 11. 

Thore Stadt 79, 102, 118, 122, 
162, 296, 447 ff, 547, 697. 

Thorſchluß 222. 

Thormwart 242. 

Tiefenau, Göldner v. 103. 

—— 11, 43, 137, 
37. 


Tilly in Bf. 399, 

Zilftt, $riede v. 672, 
Zod, fhwarzer 96. 
Töchterſchule, höhere 689. 


151, 162, | 


1} 
| 
| 


145, 146, | 

Weißes Regiment 
Werbkaſſe 634 

| en Johann v. in Pf. 438. 


nn I, Mitbegründer der Bij.Fab. 
25. 


Viertmeiſter 242. 
Villars, ut, in Pf 568, 


Vogtgulden 
Volferwanderung 

Wagner, Geſchl. 164, 392 359, 568. 
Wagram, Schlacht v. 673. 


Wahlordnung 147, 233, 
Waiſenhaus, Landes-, 115, 539, 572, 
604 


ff. 
Waiſenhauskirche 574, 
Waifenbaus, ftädtifches 639. 
Waldorbnung 249, 
Warttburm 23, 
Wafenmeifter 244, 359, 


Wafferzins 157, 360, 
Waterloo, Schlabt v. 675, 683, 


Weeber, Gefhl. 164, 365, 392, 404, 
423, 423, 466, 553, 359. 


Weggeld 359, 470. 


Wehre 123. 
Weiberrevolution — 
Weiler 68, 114, 173, ; 
Weißcnftein, Burg 60, 95, 145. 
Weißenftein, Ort 105, 150, 186, 
Weißenftein, Herren v. 57, 60. 
376, 


ertwein, Geſchl. 73, 


Traug, Geſchi. 392, 427, 432, 485, | Wertwein’fde Stiftung 285, 360, 692. 


Türt, Gefchl. 301, 392. 
Turnverein le i 


Uprenfabrifation 606, 624 


624,63 ff 
Ungarn, ihre Züge 34, 


Ungeld 72, 95, 98, 157, 214 238, 
279, 280, 578, 59. 
Unger, ob. 


466, 511, 559, 
Union u. Yiga 375, 
Unter&der, Gefchl. 560. 592, 
Unterfauf 226, 
Untergänger 242, 
Utrecht, Äriede v. 571. 


V 
Vebmgericht 233, 
Verfaſſung, badiſche 675, 


308, 330 ff. | 
Ungerer, Gefhl. 164, 331, 392, 407, 





Weſtheimer, Barth. 196. 
MWeitphälifcher Friede 439. 
Widdum 105. 
Widmann, Joh, Arzt 181. 
Wiederaufbau der Stadt 543, 
Wiedertäufer 315. 
Wien, Friede v. 673, 
Wieſen, herrſchaftl. 359. 
Wieſenszins 157. 
Wilderſinn, * —D—— 392, 

407, 466, 520, 553, 
Wilderſinn ſche Sen 617, 692. 
Wilferdingen 15, 32, 17 
Wimpfen, Schladt v. 330 ff., 621. 
Windwächter 245. 
Winter, ftrenger 563. 
Wirmgau 32. 
Wirthsordnung 257. 
Wohnungen, Einricht. 293. 

45* 


708 Regifter, 


Wolf, Geſchl. 133, 392, 407, 559. Zebntfpeicher 459. 
Würm 105, 114, 118, 137, 1 150, 174, | Zigeuner 184. 

282, 309. — 12, 185. 

3: 3infe 157, , 359. 

Zauberbalfam, Pforzheimer 557. Zoll 72, BL ae 178, en 359. 
Zehnten 41, 109, 157, 279, 282, 358. | Zülpich, 6, Shladt v chlacht v. 
Zehnthof, Lichtenthaler 108, 459, Zunftwefen 124, 248. 3 5831. 
Zehntland 8. 


.— —— > 








J. Bezug auf [meine Ankündigung in der 5. Lieferung dieſes 
Werkes mache ich den verehrlichen Subferibenten die ergebenfte Anzeige, 
daß die Deden mit Driginalpreffungen in fehönfter Ausführung vorrä- 
thig find und folhe fammt dem foliden Einband des Wer: 
tes um den billigen Preis von 1 fl. 15 Er. geliefert werden. 

Für auswärtige Abonnenten ſind die Decken auch ohne Einband 
von mir oder durch die Buchhandlung von J. M. Flammer (W. 
Behrens) um den Preis von 54 Fr. zu beziehen, und fehe id ges 
neigten Aufträgen entgegen. 

Pforzheim im Juli 1862. 
Hermann Schober. 


EEE — — —— 
Zur Nachricht für den Buchbinder. 


en 


Die der fünften Lieferung beigegebene Abbildung Pforzheims von 1643 
wird bem nanzen Werk als Titelbild vorgeheftet. Das Bildniß Reuchlins (2, 
Lieferung) muß vor Seite 165 fommen. 

















Stadtfiegel von 1256. 





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