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Full text of "Der Ursprung des Weltkrieges"

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Der Ursprung 
des 

Weltkrieges 








2öelffrie$$ 










JW* g^fnTDÜrtiflf Soge ging nt$t «ui 
Borflbfrflf^<nten SnteTfflfnfonpiftfn ober 
biplemattföfn ÄonpfDattencn fcrroor, fle tR 
ba« Grgrbm« eine! feit langen 3a$r<n tätigen 
UcbelwoBm« gegen Wa<$t unb fflcbelbm bet 
®eutf<|fn »ritbei. - 

In ber tbronrebe am 4. ÄuguR i«u 


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Verlag ber <Sucf)banblung Äloereä Tübingen 


®urcf) &ampf jum Stieben 

Sübinger ^riegöfcbriffeti 

ÄCff I 

c Profeffor Dr. 3 . $attev: 

2Barum unb tnofür ttnr fämpfen 


Äcft II 

'Profeffor Dr. 3 B. Pott Q 3 Iumc: 

§)er beutfefje 9ttilttan$mu$ 


Äeft m 

^rofeffor Dr. 3 <*cob: 

5)te großen Kriege in ber ©efd)t<^e 
be$ S)eutfd)en ^olfeä 

QOßeitere Äefte folgen 


*P r c i i eine« jeben $efte« 50 ‘Pfennig 


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UVu^CVlV^ Av.S Vi , Wv<v\ v( '^CS 

llrfprung be$ 

2öelffrieg$ 


cToVa^TI ^vw 

®r. 3 « Malier 

o. 3. 'Profeffot an bet HnwetfUät Tübingen 


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INDIANA UNIVERSITY 
LIBRARIES 
BLOOMINGTON 


»®le gegenwärtig« Sage ging ni<$t au« 
Borflberge&enbert 3nter«ffenronfHften ober 
bi»>lomatif<$en jtoafteOationen berbor, fle ift 
ba« ergebm« eine« feit langen $atren tätigen 
UebettooSen# gegen ®at$t unb Öebei&en bei 
X>eutf<$en «eid&e«." 

Äaifer IBtl^elm 17. 
in ber l$ronrebe am 4. Suguft 191« 


*3> r i 1 1 e d $ au f e n b 



Tübingen 1915 

93 erlag ber Q 3 ucfel>anblung Äfoere« 



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-JtUe 0?cd>tc üorbeljaltcn 


Copyright 1914 by W. Kloeres (Carl Tränkle) Tübingen. 


£rud von £ Äaupp jr Xübiogni 


2-7 TS 


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®ie Vorgänge, beten Sengen tt>ir finb, gehören jum ©echten 
was in bet 2BeItgeicf)icbte bagewefen ift. grühere 3abrhimbcrte 
haben Kriege gefet>en, an benen bie größeren Staaten eines Kon- 
tinents iämtlicb beteiligt mären; ber gegenwärtige Krieg umjpannt 
ben ganzen ©rbball, auf allen Meeren machen bie Schiffe ber feinb- 
lichen Mächte aufeinanber 3agb. ift ein ffieltfrieg im oollcn 
Sinne bes Morts. Seinem Umfang entfpricht bas 2iufgcbot bet 
Kräfte. 91od) nie I;at man folche Maffen oon Kämpfenben aus- 
jieben fehen, noch nie waren bie Scblachtfelber fo riejenhaft aus- 
gebehnt. 

aiiw Mit jäher Blöglicbfeit ift bas alles über uns berein- 
gebrochen, wie ein ©rohfeuer, bas bureb eleltrifchcn Kurj- 
fchluf; entfteht. 21m 28. 3*mi würbe bet Srjberjog $h tt,n f°l9et 
pon Oeflerreich-Ungarn bas Opfer eines Meuchelmorbs. ®a bie 
in tiefftem ©cheimnis geführte Unterfudnmg ergab, bah ber Motb 
oon 23eamten bes ferbifchen Staates angeftiftet war, forberte 
Oefterreich am 23. 3uli oon Serbien ©enugtuung für bas ©e- 
fchehenc unb Sürgfcbaften für bie gutunft. 211s beibcs oerweigert 
würbe, erfolgte am 28. Suli bie Kriegscrtlärung. 21ber fetwn oor- 
her hatte Bufjlanb bie Mobilmachung gegen Oefterreich unb ju- 
glcicb gegen ®eutfchlanb begonnen. Bcrgcblich waren bie Bcrfuche, 
ben Stieben ju retten. Bereits am 29. 3u(i war cs tlar, bah m 
Betersburg ber Krieg gegen beibe Bachbam befchlofjen fei, brei 
Sage barauf würben an ber beutfehen ©renje bie geinbjcligteiten 
eröffnet. ®as gleiche gefchah im Meften: franjöfijcbc Sruppen über- 
fchritten am 1. 2luguft bie beutfehe ©renje. ®amit batten Bufj- 
lanb unb gtanfreich ben Kampf gegen ®eutjcblanb begonnen, 
ber bie Kriegscrtlärung Oefterreicbj gegen Buhlanb jur golge 
hatte. 21m 5. 21uguft erging, für oiele übcrrafchenb, bie Kriegs- 

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etllärung (Englanbs an ©eutfcbanb, am 6. Augufi folgte ©elgien. 
Um einige TOochen oerfpäiet i)intte gapan am 24. Auguft mit 
bet (einigen nad?. gnjmifchen batte fid; Montenegro am 7. Auguft 
ben geinben Oefterreidrs beigejellt. Seit bem 29. Ottober ift bie 
Sürtei als Sunbesgenofje $>eutjd>lanbs in ben Kampf emgetteten; 
ihrem ©eifpiel folgte Afgbaniftan bucd) bie KtiegsetHärung an 
©uftlanb unb Snglanb. Ob bamit bie ©eib« bet ttiegführenben 
Mächte fcf)on gefchloffen ift? Abgefeben oon Portugal, bas im 
Segtiffe fdjeint, fid) Snglanb jut ©crfügung ju (teilen, märtet 
man gefpannt auf bie ®nt[d)eibung, bie in Bulgarien unb Ru- 
mänien beootfiebt. gtalien rüftet mit Macht unb Scbmeben bot 
längfi mobilifiett. 

Unb bas alles — matum? moju? ©ibt bie ganje ©eit (ich 
einem Ktiegstaumel bin, (oll alles, mas bie griebensaebeit eines 
Menfcbenaitets gefcbaffen, nt menigen Monaten oemicbtet metben, 
meil, — nun, roeil ein Heines ©atbarenlanb am ©altan oon einet 
©etbtecbetbanbe regiert mitb, bie ficb nicht bamit begnügt, ge- 
legentlich ibt eigenes Kbnigspaat gemaltfam ins genfeits ju be- 
fötbetn, fonbem ibt faubetes §anbmetf auch auf bas grätete ©ad>- 
batlanb ausbebnt? ©ie (innlost ©och finnlofer jeboch: bet S)ert- 
(cher, bet bie 3bee bes ©eltftiebens m ©acht genommen hoben 
mollte, auf bef(en Anregung bie etften ©erjudje einet bauetnben 
griebcnsorganifation gemacht mutben, bet übetbies für feine 
©etfon beftänbig oot Attentaten jittert, et jiebt ben ©egen jum 
Schule bet Meuchelmbtbet; ju ihm gefeilt fid> bie ©epublit, bie 
fich rühmt, an bet Spitze bet Sioilifation ju matfchieten, unb beten 
Mmifierptäfibent jut Seit ein Sojialift unb ©erireter bet ftieblichen 
Arbeitermaffen ift; gefeilt fich enblich auch bas ©olt, bas (ich ein- 
bilbet, bas gottesfürcbtigfte bet ©eit ju fein unb es füt feinen melt- 
gefcbicbtlicben ©etuf erdäct, immer unb übetall bet Ausbreitung 
bes dbtifimtums unb bet ©efittung ju bienen; beffen Staatsmänner 
noch unlängft offen ausfptachen, bas ©etfchminben Serbiens märe 
eine ©obliat füt bie Menfchbeit I gubem bas Allerfinnlofefte : meil 
Serbien unb Oefietreich in Konflitt geraten finb, fallen ©ufjlanb 
unb gtanlreicb übet ©eutfcblanb bet, unb ©nglanb ftebt ihnen bei 1 
©enn ein ©efcbicbtsfchreiber nach taufenb gabten oon bicfen Gingen 
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nichts weiter wüftte, als bas nadte ©crippe bet $atjad)en, wie 
wir es foeben hinftellten, er wäre gu bem Urteil berechtigt, bie 
©öltet (Europas {eien im gafyte 1914 oon teilweifem ober oölligem 
3 rtfinn befallen gewejen. 

3Bir wiffen, baft biefes Urteil nicht ju träfe; bafj ber OTelttrieg 
iängft oor bet Jüre ftanb, feit 3 <»h ten gewollt, geplant, oorbereitet; 
baft er ficket gelommen wäre, wenn nicht jeftt, bann fpäteftens in 
jwei, brei 3 a h ten ! unb baft bie Srmorbung bes öfterreichifchen 
Shconfolgers nur ber ©nlaft, nicht bie Utfache, nur ber Schlag 
war, ber bie Iängft gelegte ©line gut Sntlabung brachte. 5ür uns 
hanbelt es fich nur barum, biefes JDiffen uns felbft jum beutlichen 
©cwufttfein gu bringen, inbem wir uns über bie (Entfteimng biefes 
Krieges 9?ed>enfd)<ift geben. 

1 

auropa unb ®o müffen wir benn weit gurüdgreifen, bis ins 3 »^ 
tbuii^ionb 187 j. ® enn m ;t t) et ©rünbung bes ®eutfchen Reiches 
beginnt bie ©orgefchichte bes heutigen ©Delttriegs. ®iefe ©eid>sgrün- 
bung hot wie taum ein anberes (Ereignis bas Slntlift bet SDelt mit 
einem Schlage oeränbert. ®ie 3Belt war bis jum 3 a h tc 1866 regiert 
worben oon (Snglanb, ©uftlanb unb 5 taut reich; fi« bilbeten — nach 
bem SBorte eines englifchen ®iplomaten aus ben 90er Sohlen — gu 
jener 3«it ben ©teopag, höchftens baft fie gelegentlich auch Oefterreich 
gu ©ate gogen. ®ie Meinen nörblichen unb {üblichen Staaten (Euro- 
pas würben oon ihnen in 3lbt)ängigteit gehalten, bie lürlei war 
nur ©egenftanb ber ©olitit, feine felbftänbige ©lacht mehr, bie 
©ereinigten Staaten oon ©orbamerita hotten noch ©ebütfnis 
mitgureben, unb ®eutfch!onb, bas Sanb bes ®eutfchen ©unbes, 
war politifch nicht oorhanben, nur ein geographifct>er Segriff, unb 
fein träftigfter Staat, ©teuften, gefchwäcftt unb feiner felbft nicht 
ficher, noch bamit befchäftigt, feine Kräfte gu fammeln. 

©tan oerfteht wohl, baft ber eben erwähnte (Englänbet (ich nach 
biefer „gemütlichen“ 3 *'t gurüdfehnte, benn in ber ©artie gu 
breien ober Pieren, bie bamals bie h«>h e ©olitit bilbete, war ®ng- 
lanb ber ©leifter bes Spiels. Seit feine hunbertjährige ©ioalität 
mit grantreich burch ben Sturg ©apoleons I. gu feinen ©unften 

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entfcbiebcn war, machte ihm niemanb mehr beit erfion spiag in ber 
©eit ftrcitig. Ungeftört ^atte es fein Kolonialreich ausbauen, un- 
gebinbert alle ©elegenheiten ausnugen fönnen, um bie ©eit bet 
SJerrfchaft feines J)anbels ju unterwerfen. Sbenfo ungeftört l?anb- 
babte es als einzige ©eltmacgt ben uralten ©runbjag, bie ©age 
bes ©leichgewichts unter ben feftlänbifchen ©ächten in bet §anb 
ju halten, um fie jeberjett auf bie ihm ctwünfcfite «Seite ju wen- 
ben. ®o hotte es, als bas ©eroicht Auglanbs unter Tlilolaus I. ju 
fcbmet ju laften anfing, burch ben Krhntrieg ben Umfchwung h«t- 
beigeführt, bet grantreich unter TIapoleon III. wieber empot- 
half unb es ihm möglich machte, unter ber £ofung „Freiheit ben 
Äationalitäten“ Oefterreich uollenbs dem ju machen unb ficf> felbft 
wenigftens im feftlänbifchen Europa an bie Spige ju brängen. 
©nglanb in ber ©clt, fjrantreich in öutopa — bas waten bis 1870 
bie führenben ©ächte. 

Auf bem Scblachtfclb non Seban brach biefet Sufianb jäh 
jufammen. ftcanlreicp, ju Soben geworfen, niugte bie Schöpfung 
eines ©eutfchen Reichs unter ^Pteugens Rührung gefchehen (affen. 
Amfonft oer juchte es, an „Suropa" ju appellieren: oon bem Sitt- 
gang, ben er im S^erbft 1870 in bie fremben fjauptftäbte unter- 
nommen, lehrte Abolf Ibiers unoerricbteter ©inge heim, Sutopa 
war nicht }u finben gewefen. ®ie beutfdie (Einheit, bas ©eutfche 
9?ei<h würben Jatfacge, ohne bag fi«h eine Sjanb ober eine Stimme 
bagegen erhoben hätte. 

35un regte fich bie jufammengefagte Kraft eines raftlos tätigen 
©olles oon 41 ©illionen im $erjen Europas, an bet Stelle, wo 
bis bahin ein gtoges Stoch fich aufgetan hotte. ®as bebeutete 
auch ohne bie geniale Leitung bes größten Staatsmanns ber Seit 
nichts anbcres, als bag ber Schwerpunlt bet europäifchen Ange- 
legenheiten bottbin glitt, wo bisher ein Aichts gewefen war. 

®as hotte niemanö gewollt, oielleicht niemanb recht ooraus- 
gefehen. ®en ©iplomaten ber alten Schule würbe ber neue (Ein- 
bringung burch feine blofje ©egenwart balb (äftig. ©an war nicht 
mehr unter fich, unb bie alten jjormeln wollten nicht meht paffen; 
man mugte umlemen. Ss lonnte nicht fehlen, bag bie ©erftim- 
mung gegen ©eutfchlanb wuchs, je mehr ben Neutralen ber neue 
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3uftanb jum Semufetfein tarn; unb oon Slnfang an war oorausju- 
febcn, bafj bas ©eutfd)« Steicö bie eigentliche geuetprobe auf 
feinen SJeftanb nicht ijhitet fich, fonbern por fi<h hob«- ©as mußten 
feine ©rünbec am beften, unb mit propbetifcher Klarheit hot OToItte 
es ausgcfprochen, als et bei bet Beratung bes Sfeercsgefetses im 
©eutfchen Reichstag 1874 bie tlaffifchen ©orte jptach: „Sin großes 
meligefchichtiiches Steignis wie bie ©ieberaufrichtung bes ©eut- 
f<h«n Reiches ooiljiebt fich laum in einet turjen Spanne 3«'t- 
©as mit in einem hoiben gabte mit ben ©affen errungen hoben, 
bas mögen mit ein halbes galjtbunbert mit ben ©affen fdbütjen, 
bamit es uns nicht wiebet enttiffen werbe.“ 

Äranfrri* „« Sunächft fab«n bie ©inge wenig gefabrooH aus, weil 
btt KtobnOc gcantreich, bas uns am meiften grollte, gefchwäcbt unb 
peteinfamt baftanb, gelähmt pot allem butch bie grage, ob es Slepu- 
blit bleiben obet jur TUonarcbie jurfldlebten folle. ®s hotte im 
Kriege nicht nut feinen militärifchen 9?ui;m unb zwei loertoolle ipropm- 
jen petloren unb fcbwere finanzielle Scbäbigung erfahren, es hotte 
oorläufig ben Slang einer ©rofjmacht eingebüfjt. Stoch auf bem 
berliner Kongreß 1878 fpielte es eine feht bejcbcibene gufcbauertolle. 
Stbcr als im gab« barauf bie33erfaffungsfrage jugunften berStepublit 
potläufig entfchieben war, als wiebet ein gabt fpätet bie tabitale 
Partei ju entfcheibenbem (Einflug gelangte, ba tauchte auch bas 
'Programm auf, bas oon ba ab mehr unb mehr jum Seitftem ber 
franjöfifchen politi! geworben ift: bie Steoancbe. ©ambetta war 
es, bet Organifator bes TÜoKstriegs oon 1870, ber in einer Siebe 
bei ©elegenheit bet gaimenweibc bet franjöjifcben Kriegsflotte m 
©berbourg am 10. Stuguft 1880 juerfi bie £ofung ausgab. ©ie 
©orte, bie man fpäter bie gabncnwcibe bes wiebererftebenben 
grantreich genannt hot, oerbienen noch h« u l« gelefen ju werben. 
„(Es gibt — fo fagte ber 'präfibent ber Stbgeorbnetentammer — 
in ber ©efchichte ber SJölter Stunbcn, wo bas Siecht fich oerfmftert. 
Slber in folchen unheiloollen Seiten ift es bie Slufgabe ber SSöiter, 
fich } u fetten ihrer felbft ju machen unb in Stube, ©eisbeit unb 
3ufammenfaffung aller Seftrebungen, bie ffänbe unb bie ©affen 
frei nach innen unb nach äugen, abzuwarten, ©ie grogen ©ieber- 
herftellungen tonnen aus bem Stecht berDorgehen: wir ober unfete 

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St inbet lönnen auf fie hoffen, bcnrt bie gulunft ift niemanb oet- 
fpeut. 971 an wirft uns cor, wir trieben ©ögenbienfi mit bet 2 trmee. 
aber e6 ift nidjt firiegsluff, wag uns biefen Kultus uorfcbreibt, 
frmbem bie Kotwenbigleit, ftranfreid), bas fo *i«f gefallene, wiebet 
aufjurid)ten, bamit es feinen ^ 3 Ia^ in bet 98 ett wieber einnehme, 
ffienn im ©ebanfen an bie armee unfere ^erjen t>öber fdjlagen, 
fo gcfcbietjt es, weil wir bie Slöglicbteit haben wollen, auf bie 8«" 
tunft ju hoffen unb uns ju oergewijfetn, ob in ben Dingen t)ie- 
nieben eine innere ©erechtigteit lebt, bie an ihrem Sag unb 3U 
ihrer Stunbe offenbar wirb.“ 

©ambetta war, als er fo fprach, noth nicht im Sefitje bet wirt- 
lichen aiacht, unb ben eigentlichen Kegierenben wat feine Sprache, 
oorfiditig unb tfihn zugleich, höchft unbequem. 

aisbalb antwortete ihm ber Staatspräfibent ©reo 9 in einet 
anbem Kebe: „©leiben wir oemfinftig! Soffen wit uns nicht 
hinteigen, webet 3m Ungebulb, noch jut Uebeteilung, noch 3ur 
©ewaltfamteit !“ Sülinifferprä jibent Jrepeinet mahnte ebenfalls 
gleich barauf 3U einet „befonnenen fßolitit ohne jebes abenteuet.“ 
Unbefonnen, überftiiejt, abenteuerlich feinen bamals ben ange- 
fehenften OTännetn Jrantreichs bas, was ©ambetta geforbett hatte. 
Der ©runb war unoertennbar: fie fahen ooraus, bag biefe Sofung 
3um Kriege führen mugte, unb ben Krieg fürchteten fie. „Oam- 
betta — c*est la guerre" war bas Schlagwort, mit bem bas franbö- 
ffjche Soll 00t bem ehrgeijigen Demagogen gewarnt werben follte. 

Sicht als ob nicht auch ben ©egnern ©ambettas bie SBiebet- 
erhebung ftrantreichs 3Ut europäifchen ©rogmacht am fersen ge- 
legen hätte; aber bie Kepanche ober, wie ©ambetta gefagt hotte» 
bie 9 BieberherfteIlung, bie aus bem Kerbt h cc ®otgebn follte, war 
nicht ber einige Söeg ba3U, ein anberer bot fich bat unb fchien ba- 
mals bet einlabenbere 3U fein. 

«rantrua Seit bem Setliner Kongteg würbe es mit jebem 3 a h re 
beutlicher, bag bie europäifchen ©togmächte in ein Seit- 
alter bes 3mperialismus eingetreten waten, ausbreitung jenfeits bet 
nationalen @ten3en, (Srwerb oon §ertf<baft übet frembe Sänber unb 
Söller fchien für alle gleichermagen bie Sofung 3U fein, unb fie richteten 
babei oorsugsweife ben Süd über bas Sleer hinweg. Klan fprach 
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unb jptid)t besbalb auch mit ungenauem Ausbrud oon bet be- 
ginn enben Aera ber Rolonialpolitif. 2lucf> für Sranlreich lagen 
fältle Seftrebungen naljc genug. ®s brauchte ficb nur auf 
feine ©ejd)id)te ju befinnen, fi<±> ju erinnern, bafj es einmal ein 1 

großes Kolonialreich in Slorbamerila unb wertoolle 23efit)ungen in 
Oftmbien fein eigen genannt hatte, bie in ben Kriegen bes 18. 3ab r ' 
bunbcrts unb Napoleons oerloren gegangen waren. (fs brauchte 
nur fortjufetjen, was im 19. 3abrtmnbcrt bas wieberhergcftellte 
Königtum unb Aapoleon 111. mit bem Srwerb bet §err(djaft in 
Algier (1830) unb m §mterinbien (2od>ind>ma 1862, Sambobja 
1867) begonnen Ratten. 5lls bie 93etllärung bes franjöfifd>en 
Kaifertums mar ben 3eitgenoffen im 3 a b te 1869 bie Eröffnung 
bes oon bem 3tanjofen Seffeps jum großen Seil mit ftanjöfifchem 
©elbe erbauten Suejtanals erfcbienen. $>as alles forberte jut Sort- 
ierung auf. Aorbafrila nebft Aegppten an bet einen, ganj hinter- 
inbien an ber anbem Stelle jebienen baju beftimmt, ben tünftigen 

Anteil grantreid>s bei ber Aufteilung ber Srbe ju bilben. 3« 8er i 

Sat bewegt fiel) bie franjöfifche g3oliti( in ben 3 a 8 ten nach bem 
berliner Kongreß ftarl nach biefer Aicbtung. ®ie Aefetping oon 
Sunis 1881 macht ben Anfang, 1872—85 wirb Sontin erobert, 

1883 Annam, 1893 Siam unterworfen. ®aneben geht 1885—95 
bie ©inoetleibung Alabagastars, feit 1879 bie Srfchfiefjung bes 
Kongo butef) ben franjofifcfien gorfcher be Srajja unb bie 3efi- 
fetjung grantreichs am rechten Ufer biefes Stromes. 1882 bot (ich 
fogar bie Ausficht, in Aegppten feften gufj ju faffen. 

S)ier freilich trat auch jurn erftenmal bie Hemmung beutlich h« 1 ' 
por. SDollte man (ich Aegpptens bemächtigen, bas fchon feit ben Sagen 
£ubwigs bes ^eiligen bie franjöjifche Sroberungsluft angelodt hatte, 
fo war ein Konflitt mit ©nglanb oorausjufeben, bas feit 1875 
faft bie $ä(fte ber Attien bes Suejlanals angelauft hatte unb 
offen batauf ausging, auf bem SBege bet Aeform bes oerfalle- 
nen ägnptifcben Aeiches (ich felbft bie S)errjchafi am Ail ju oer- 
fchaffen. 

Slot biefer Ausficht wich gtantreich jutüd. Als bas Alini- 
fterium grepemet 1882 eine gemeinfame Attion mit Snglanb 
gegen Aegppten unternahm, würbe es burch bie Kammer geftürjt, 

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»eil „Aegppten feine nationale Angelegenheit“ fei, unb Aegnpten 
blieb ben ©nglänbem. Stoch bramatifcbcr fpielte ficb bei Sturg 
getrps 1885 ab, als eine Slicbeilage bet ftangöfifd>en Struppen in 
Sontin in übertriebener gorm betannt tourbe. ®er SHinifter, bet 
bie Kräfte granfreichs in folgen Abenteuern ocrgettelt haben follte, 
würbe als ,,'Sonfinefe“, als „S3errater" gebranbmarlt unb rettete 
mit SHühe fein Sebcn. gmmer beutlicher geigte (ich, bafj bie öffent- 
liche Süeinung biefc fernabliegenben Unternehmungen mißbilligte, 
weil ihr etwas anberes wichtiger erfchien: Slfaß-Sotbrmgcn. Unb 
bas, obwohl bie ©rfahtung oon gahr gu gabt bewiefen hatte, baß 
granfreich biefet „AHeberherftellung, bie aus bem Siechte heroor- 
geht“, gar nicht beburfte, um wiebet eine ©roßmacht gu fein wie 
in früheren Seiten. 

Alan muß bas gu oetftehen fuchen. 

®nn Kr ®Ifaß unb fiothrmgen finb nicht Sptooinjen wie anbere; fie 
»reaa^c geben bem, ber fie hat, bie fferrfchaft über Sübbeutfchtanb. 
®ies war ja auch bcc entfeheibenbe ©runb, weswegen SMsmard auf 
ihrer Abtretung beftanb : fie waren für ®cutfchlanb unentbehrlich um 
feiner Sicherheit willen, gn ber großen Siebe, in ber et am 2. SHai 
1871 bie Annexion oot bem Steichstag begrünbete, hat er fich auf 
bas geugnis König SBilbclms I. oon SSürttemberg berufen, ber 
ihm einmal gefagt hatte: folange Straßburg nicht beutfeh fei, werbe 
es immer ein Sfinbemis für Sübbeutfchlanb bilben, fich ber beut- 
fchen Sin heit, einer beutfch-naiionalen S3oliti! ohne Stüdhatt lun- 
gugeben. ®ie ©efchichtc betätigt biefen ©ebanfen. Silit ber ©t- 
Werbung bes ©ifaffes hn SBeftfälifchen grieben 1648 beginnt bie 
Solle ber ftänbigen Siebenregierung granfteiebs in ben beuifchen 
Angelegenheiten, bie SStlbung einet feften Partei unter ben beut- 
fchen gürften gegen ben Kaifet. ©ben barauf aber beruhte bie 
führenbe Stellung, bie grantreich in früheren gehen auf bem 
Kontinent befeffen hatte. ®ie SBiebererobetung bes ©Ifaß mit 
feiner militärifch beherrfchenben Sage mußte auch ben alten ®in- 
fluß granfreichs in ®eutfd>lanb unb bamit bie alte 93orberrfchaft 
hn feftlänbijchen ©uropa gurüdbringen. ®ann lonnte man auch 
auf alte SDünfche unb giele wiebet gurüdgteifen, beten ©rfüllung 
butch ben großen Umßhwung oon 1870 oereitelt war: bie ©rwet- 
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bung bes linten 5?tjeinufets, bie Kbeingrcnje , bie bet granjcfe 
im Stillen immer als bie natürliche ©tenje granfreicfis anfieht. 

©ies aifo ift bet amtliche 3nt>alt bet ©eoanchepolitit: grant- 
reich fucfjt nicht eigentlich „9?ad)e“, nicht fo fehr TBieberherftellung 
gefchäbigten Rtiegsruhms, auch nicht blofj ben 93efi% Detlotenet ©e- 
biete, fonbern oor allem bie alte ©orherrfchaft über feine ©achbarn, 
bie es feit fiubroig XIV. befeffcn unb 1870 oerloren hatte. Sem 
3mperialismus fuchte ©efriebigung in erfter Sinie auf bem geft- 
lanb oon (Europa, erft in jroeiter lentte et ben Stic! übet bie ©leere. 

©ie beiben 3<«i« fhienen emanbet junächft ju flöten. TBoIIte 
man übetfeeifche (Erwerbungen machen, fo mufjte man europäifche 
©erwidlungen fcbeuen; wollte man in (Europa oorgehen, fo mufjte 
man jeben Sufammenftofj mit bet bisher einigen übetfeeifchen 
©rofjmacbt, mit (Englanb, meiben. 

©lit bet Seit abet hat fich für granlreicb bie ©löglichteit ge- 
boten, fich beiben 8i«I«n gleichzeitig ju nähern unb ben einen ©tan 

burcb ben anbem ju fötbem. ©ie ©efchicbte biefes mertwürbigen < 

©organgs ift bie ©orgefd>ichte bes heutigen SDelttriegs. 

irtitaihr. ©as gtanlteich oon 1871 ftanb allem. Ratten bie an- 
bem ©lächte es wähtenb bes Kampfes fich felbft über- 
laffen, fo tonnte nach bet ©iebetlage etft techt niemanb baran 
benten, (ich mit ihm ju oetbünben. Sismarcts Runft oetftanb 
es, bie gfolietung oollftänbig ju machen, inbem et bie über- 
lieferte greunbfcf>aft ©teufjens mit ©Urlaub pflegte, bie ©usföh- 
nung mit Oefterteich oolljog unb bie beiben greunbe, ben alten 
unb ben neuen, jufammenführte. §attc Raifet JBilhelm I. im 
©ejember 1871 gefagt, bie 3Daffenbtüberfcf>aft bet beutfchen unb 
bet tuffifchen ©rmee unb bie gteunbfchaft bet beiben Sjerrfcbet feien 
bie befte griebensbürgfcbaft, fo tpat biefe ©ütgfchaft oerflättt butch 
bas feit 1872 begrünbeie ©ünbnis bet btei Raifet. ©bet bas toar 
bo<h nur eine ootläufige ©ustunft. 3n gtanlteich fpottete man, 
bas ©teilaifetbünbnis fei bie ©laste, hinter bet bie btei ©lachte 
übereingctommen feien, bie ©egenfätje, bie fie trennten, ju oet- 
betgen. Solche ©egenfätje waren porbanöcn. 

3n Petersburg hatte es immer eine ftatte bcutfch-fcinbliche i 


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Strömung gegeben. Blan ergäblt, baf; als Raifet 91Ie*anber II. 
nach bet Schlacht bei Scban auf ben Sieg bet Beutfd>en ttmlcnb 
fein Champagnerglas gerfd;metterte , niemanb feinem Beifpiel 
folgte. Bie Strömung tcudjs mit ben Balten. 3 n ben nationali- 
ftifchen Steifen, beten SBortführer bie Bubiigiftcn Sllfaloo unb 
gabejeo toaten, »erlangte man fcf>on 1871 ein Bünbnis mit grani- 
teich. Schon 1874 butfte eine ©ro&fürftm es fid) erlauben, ht ©e- 
genioatt bes beutfchen Botjcbafters auf bie Bereinigung (Elfafj- 
£othringens mit granlreich gu trmlen. 9Rit ber 3**1 gelang es 
biefen Steifen, gu benen fiel) auch ber 9?eid>slangler gürft ©ortfeba- 
tö» hielt, ben Raifer felbft gu umgarnen. Bas geigte (ich, als im 
Sab** 1875 ein blinber Sßrefolärm ben Slnfchcm erroeefte, als ob 
Beutfd;Ianb bemnädjft über bas roiebet erftarlenbe granlreich 
berjufallen gebente, unb als bie ftangöfifche Biplomatie ben Tlnlafj 
gefebidt benuijte, um bas Blitleib (Europas angurufen. Tüätjcenb 
in üonbon £otb Betbr) ben grangofen etllärtc, ein foldjet Singriff 
mürbe in gang (Europa allgemeine (Entrüftung toeden, unb auch 
bie englifdte Regierung mürbe ihre Scbuibigleit tun, oerftieg fid) 
Raifer Sllejranbet II. bem ftangöfijchen Botfchafter gegenüber gu 
bem 21usfprud): „Bie gntereffen unferer £änber fmb bie gleichen; 
feiltet ihr beörobt »erben, fo toütbei ihr es halb erfahren, unb 
groat burch mich." Bief« Steuerungen tourben in Baris trium- 
phierenb entgegengenommen; man fprach »on ber Slufcrftehung 
(Europas. Bas ©ange war fünftlicij gemacht. Ber ©efchichtsjchreiber 
bes mobernen grantreich, ©abriel Ejanotaujc, hat felbft bie Bemeije 
bafüt gegeben, bafj ber ftangöfifch* Blmifier, ftetgog Becages, bie gang 
unoffigieUen Slrtilel einiger beutfchen Seitungen bagu benutjte, um in 
£onbon unb oor allem in Betersburg gegen Beutfchlanb Stimmung gu 
machen. Brotjbem hat §err Bioiani, als er am 3. Sluguft b. 3. »ot 
ber Aufgabe ftanb, ben Beginn bes Krieges bamit gu ertlären, bafj 
Beutfchlanb übet grantreich hergefallen fei, fich nicht entblöbet, bie 
alte, längft roiberlegte Schauermär »on bem beabfichttgten Attentat 
»on 1875 gum Slusgangspuntt feinet Barlegungen gu ^machen. 

Sjeute fcheint es uns, als habe bie 3**tunft ba für einen Tlugen- 
blid ihren gefpenftifchen Schatten, blafe unb farblos, aber hoch 
beutlich umriffen, »or fich hergemotfen. Ber Schatten oerfchmanb 
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alsbalb, aber es bauerte nicht lange, ba bta<h aud» bas ©teilaifet- 
bünbnis in Stüde. i£s muf)te zetfcbellen, als bie Streitfrage roiebei 
einmal auftaucbte, bie feit einem 3abri)unbett, roenn nicht länget, 

ttennenb jtoifcben Oefterreid)-ltngarn unb SRufjlanb geftanben butte : ^ 

bie orientalifcbe gtage. Um fie ju oerficben, mufe man »eit aus- * 

bolen, benn fie bängt aufs engfte jufammen mit bem Grntfteben unb 
9nwacbfen bet tuffifcben ©rofpnacbt. v 


»«SiiwM 2B«nn je eines, fo ift bas tuffifcbe 9?eid> entftanben butcb * 

aniinjc fprigefe^te Eroberung bet Tlacbbarlänber, butcb Unter- 
werfung unb Untetbtüdung anbetet Gältet. ®as fpticbt ficb 
noch b<ute in feinet 3ufammenfet)ung beutlicb aus, trotj aller 
53etfucbe, bie bas 3?eicfj gemacht b°t unb noeb macht, biefen 
feinen Urfptung butcb gewaltfame Qmtnationalijietung bet Unter- 
worfenen ju oetbetgen. ©iefes 9tiefenteicb , bas äußerlich ben 
(Einbtud einet einförmigen, ungeglieberten OTaffe macht, ift in 
SDittlicbteit oon fhtoffen ©egenfätjen bet Nationen unb Ron- 
feffionen jerriffen. 9li<ht weniget als 48 oetfebiebene Slationali- 
täten jäbit bie offizielle Statiftit, unb unter ihnen bilbet bie 
berrfchenbe 23oltsgruppe bet ©tofetuffen mit etwa 44 °/„ bet ©e- 
famtjabl noch nicht bie SRebrbeit. 93on ben untetwotfenen Stäm- { 

men ift bet (leintuffifche ober rutbenifhe bet ftärlfte (1897 waten 
es nach amtlicher Fühlung 22 OTill. = 18 °/ 0 bet ©efamtbeoöite- 
tung bes eutopäifchen 9teicbsteils; heute wirb bie Suhl auf 33 OTill. 

= 22°/ 0 angegeben). 

®as Sieblungsgebiet bes tleintuffifchen Holles, beffen ©jtiftenj 
offiziell beftritten wirb, beffen Sprache in 91uf;Ianb nicht gebtudt 
wetben batf, liegt am OTitte!- unb Unterlauf bes ©nepr, wo bie 
alte Stabt Jtieo ben OTittelpuntt bilbet, bis an bie OTünbung bes 
®on unb fogat batübet hinaus bis an ben Kuban. Jöeftwärts 

bebnen fie ihren JBobnfib bis ins öfterreiebijebe ©alijien aus, wo < 

fie bie Flamen Ttutbenen obet Utramer führen. 3b n «n fcblieften 
ficb norbwärts bie 3Seif)tuffen an, ben obeten ©nept unb bie obere 
©üna entlang bis tief ins Snnete, mit ®inj<bluf) oon Smolenst. 

Sie untetfheiben ficb weniget febarf oon ben ©rofjruffen unb finb 

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mit ihren etwa 6 Millionen Seelen (5% bet ©efamtbeoölterung} 
noch nicht gefonbert herporgetretcn. 

Alit bet Unterwerfung bet Kletnruffen unb SEBcijjruffen, bie 
bis bot)tn unter polnifchet S>ercfcf>aft geftanben Ratten, beginnt 
hn 3abre 1667 bet toloffale ®robecungsjug bes gtofjtuffifchen 33oltes, 
bet in jweieinhalb gahrbunbcrten aus bem ©rofjfürftentum Aloslau 
bas heutige rufjijcbe 20eltrei<h gemacht hot' ©en entjctjeibenben 
Schritt tat Rietet b. ©t. im 3«h te 1710 mit bet ©robetung non 
©ftlanb unb Siolanb. ©amit gewann bas Seich, bas bis bahin ein 
teines Sinnenteich, oon allen Sleereslüften abgefchnitten war 
— an bet Oftfee herrfchten bie Schweben, am Scfnnatjen Atcere bie 
Süden — jum etften Slale 3»tritt jum Sleer unb Anteil am 
Cölterleben TBefteuropas. Aufjlanb, pon bem noch Seibnij um 
1700 im gleichen Sone wie oon Abeffmien unb Setfien gefprochen 
hatte, oolljog nunmehr feinen ©intritt in bie ©efchichte bes Abenb- 
lanbs, m bet es oon ba ab eine immer gröfjete, oft genug eine 
beherrfchenbe Solle fpielen folite. 

3Bas Seiet b. ©t. begonnen, führte Katharina 1 1. fort. Sie 
brachte Solen in Abhängigteii, etwatb in fortgefetjien Seilungen 
bie wichtigften Stüde bes alten Königreichs unb bahnte bamit bet 
Uebetlaffung fafi bes ©anjen bie SDege, bie bet fflienet Kongreß 
1815 oolljog. Sie nahm 3 ugleich auch bie Ausbreitung nach ®üb- 
weften wiebet auf, bie Seiet fcbon ins Auge gefaxt hatte, unb beten 
Siel bie §errfchaft übet bas Scfm>ar je Alcet wat. Schritt 00 t Schritt 
wat bie Küfte erobert worben; erft 1784 fielen bie Tiefte ber 
türtifchen §errfchafi in ber Krim, erft 1774 würbe bas Ae<ht eigener 
ganbelsfchiffahrt burch bie ©arbanellen erftritten. Aber was nüijte 
bas, folange bie Aleetengen jelbft, bie ben Ausweg 3 um Alittel- 
meet bilben, in bet §anb einer fremben Stacht blieben? Sollte 
Auftlanb oon feiner {üblichen Aleerestüfte unb ben Alünbungen 
feinet Ströme oollen Autjen sieben, fo mufcte es bas gan 5 e Sdnuat je 
Alter unb 00 t allem Konftantinopei haben. S)ier aber traf bie 
höchft realiftifche ©roberungspolitit bes Seiches mit alten natio- 
nalen SBünfcben unb gbealen jufarmncn, bie getragen waten oon 
ber emsigen geiftigen Stacht, bie bas ruffifche Soll jemals ancrlannt 
hat, oon ber Kirche. 

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I 

*°"Ünb t b"r 1 '' 1 ®* c ^' tc ^ e 9i u j5l«nbs ift griecßifcb-ottboboy, entftan- 
»oit.m ben burcb Slijjion oon ftonftantinopel, m (glauben, 

©ottesbienft , Secßtsorbnung unb Siteratur oon Sionftantinopel 
abhängig. Sie ift 3 a brtmnberte binburcß vielfach oon griecßifcßen 
©eijtlicben geleitet worben unb bat fict> mit ©ebanlen bes fpäten 
©riecßentums erfüllt. 3« ißt würbe ber Untergang bes Kaifertums 
oon Sionftantinopel ftart empfunben, unb alsbalb lebte ber ©ebante 
auf, baß OTostau berufen fei, Ronftantinopel ju beerben unb fort- 

jufeßen. Sine (Propbejeiung würbe oerbreitet: Ronftantinopel fei '< 

bas jweite 9?om, OTostau bas britte, ein oiertes aber werbe es nicht 

geben. Son biefen ©ebanlen beeinflußt heiratete ©roßfürft 3°' 

bann 1 1 1. oon Gostau 1472 eine griccßifche ^prin jef fin, bie Srbm bes 

untergegangenen Kaifertums, unb nahm er ben Sitel 3ar (Säfar) unb 

als SBappen ben bpjantmifcßen ©oppelabler an. 91ad) Sloslau 

richteten halb bie (Steiften, bie auf ber Sallanhalbtnfel unter türli- 

feber Jjerrjcbaft lebten, ihre boffenben Slide. Uber erft Seter b. ©t. ’ 

machte bamit für einen Uugenblid Smft. 311s er 1711 bem Sultan 
ben Krieg erllärte, erließ et ein Stanifeft, bas oon Befreiung bet 
Sßriften im türlifchen Reiche fprach- Seiner ©arbe übergab er eine 
Sahne mit bem 3‘i<ßcn bes Kreujes unb ber an Konftantin b. ©r. 
etinnemben 3nfcßrift: „unter biefem 3ei<h en foBft bu fiegen.“ Sr 
würbe jämmerlich befiegt, aber bie £ofung blieb. 3 n ber Srmnerung 
bet Fachwelt feßte (ich bie Sorftelfung feft, bie Srobettmg Ronftan- 
tmopels fei bas leßte unb eigentliche 3<el bes großen Sroberers gewe- 
fen, bas Seftament, bas et feinem Solle hmtcrlafjen habe, ©arauf 
griff Katharina jurüd. Sei Scgmn ihres erften türlifchen Krieges 
(1768) oertünbigte fie ben Shriften auf bet Saltanhalbmfel, baß 
Sußlanb für ben gememfamen ©lauben lämpfe. Sie, bie an gar 
nichts glaubte, benußte bie religiöfen Schlagworte als Slusbänge- 
fcßilö, hinter bem fie ihre ganj gewöhnliche Sroberungspolitil oer- 
barg. ©ie bpjantmifebe Kaifertrone für ihren jmeiten Snlel, ein 
Königreich ©alien (entfprecßenb bem heutigen Rumänien) für ißten 
©ünftling Sotemlin, bas waren ißte Siäne. Sie blieben Stäume, 
aber fie bejeießnen beutiieß bas 3>el, bem bie ruffifeße q3olitif oon 
ba ab bis auf biefen Sag juftrebt: bie ^errfeßaft über bie ganje 
Küfte bes Scßwarjen OTecres mit Smfcßluß ber Sleerengen, unb 

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bie gfibrung bet Böller am Baltan. 50as wirtlich erteilt würbe, 
n>at febembat lebt wenig, unb boeb febt viel, ®et Stiebe pon 
Rütfcfnil-Kamartije (1774) {teilte bie freie Ausübung bet diriftlie^en 
Religion in einigen ©ebieten ber europäifeben Jütlei unter bie 
©arantie Bufflanbs. ®as 3atenreicb war bamit offiziell ale ber 
0cfmtji>ett bet «Etjciftenpödet auf ber Ballanbalbinfel anerlannt. 

2luf biefen Becbtstitel geftütjt bat Bitolaus I. fid; bem alten 
Siele ju nähern gejuckt. ®rft jeb wachte et bie Sürtei i>ur<b Be- 
freiung ©riecbenlanbs (1827 — 29), bann f$ictte er ficb an „für 
bas üeidienbegängnis bcs fterbenben tränten SRamtes ju forgen“. 
älbcr ba traten ifjm ©nglanb unb granfteicb entgegen, unb ber 
Rrimfrieg (1854—56) enbete mit einer pollftänbigen Biebetlage 
bes 3«ren. ®er Batifer Stiebe pon 1856 beftimmt: TJloIbau unb 
SDalacbei — bie ©ebiete, bie Katharina jum Königreich ®atien 
auserfeben batte — werben als {Jürftentum Rumänien felbftänbig 
unter türtifeber Oberhoheit; bas ©cbwatje OTecr ift neutral, Bufj- 
lanb barf feine Ktiegsfcbiffe auf ihm holten; ber ©<hut) bet ©bt'flen 
in ber lürtei fleht unter bet ©arantie aller Bläcbie. Bufjlanb ift 
pon feinem Siele abgebrdngt, aus feinet Bolle hinausgeworfen. 
®rft ber Sufommenbrucb Sranfteicbs 1870 gibt ihm bie OTöglicbteit, 
ficb wiebet in Bofitur ju {eben: es jerreifjt ben Batifer Stieben 
unb erreicht im Sonbonet Brctotoll 1871 wenigftens, bafj es wiebet 
Rriegsfdnffe auf bem ©^noarjen Bleete holten barf. aber es 
muj) hinnehmen, baff bie Bleerengen pon Konjtantinopel ben 
Kriegsfcbiffen aller Blähte unb alfo auch ben feinen gefchloffen 
bleiben. 

©s richtet nunmehr fein augenmert auf bie anbere ©eite bes 
Btogramms, es fammelt bie chriftlicben Balfanoöllet um feine 
^obne. ©erbien, feit 1820 eigenes gürftentum, foll ber türtifeben 
Roheit entlebigt werben, in Bulgarien beginnt eine lebhafte agi- 
tation jut Befreiung, gefchflrt pon einet eigens baju in Buffi anb 
gegründeten „©lawifeben TBohltätigteitsgcfellfchoft“. ®ie natio- 
nalruffifchen Kreife geraten ht fieberhafte aufregung, fie glühen 
por Begeifterung für bas 38ob> ber Baltancbriften. als bie ©erben 
1876 ben Kampf eröffnen, ftrömen ihnen ruffifche Offiziere unb 
©olbaten als freiwillige Reifer m OTenge ju. , 

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Ctfitmi*- ©o<h ba treujen fi<h nic^t jum elften SJlale bie 3**- 
cngam junftsioege bes 3atentums mit ben ©atjnen, auf benen 
fich eine anbete OHacht bewegte: Oefterreid)-Ungatn. ©et ficm- 
flitt ift pon tnenfcblicfien ©ejinnuitgcn unb 3Bünjd>en unab- 
hängig, benn er liegt in bet ©eograpi)ie. ©et Kaifet oon 
Oefterreid) unb König pon Ungarn tann nid>t bulben, bafe eine 
frembe ®tofemad)t bie ©onaumünbung beherrfd)t unb bie 5üf)- 
rung bet Salfanoölfet an fich reifet. ©efdjähe bies, fp wären 
feine Sänber pon btei Seiten ppn ftembet 37iacf)t emgefd)Ioffcn 
unb ihrer natürlichen Slbfafewege betäubt. Sollten Tlufelanbs 
3ie!e etteicht wetben, fo mufete Oefterreid) - Ungarn jerftört 
ober beifeite gefchoben werben, es mufete ^ebenfalls aufhären, 
eine ®rt>femad)t ju fein, ©atutn ha* fi<h !<h on 3<*feph H. 
ben planen Katharinas 1 1. wiberfefet, bie bod) feine greunbin unb 
93erbünbete war. ©t nannte fie oertrautid) S)arletmaben unb per- 
wahrte fich gegen bie Kode bes ©ummfopfes, bie ihm babei juge- 
bach* fei. Um fie ju parieren, ift er mit einem SeUungsprojett 
herpptgetreten: Oefterrei<h folite alles Sanb jwifeben bet ©onau, 
bem Slbtiatifchen Sfleere unb einer Smie oon ©eigrab bis jum 
©rinagplf erhalten, öftlich biefet Sinie foüte 9?ufelanb freie S)anb 
haben. Un ähnlichen ©erfud>en hat es ja auch fpäter nicht gefehlt. 

SDenn man nun auch an bie ©löglichteit glauben 
" möchte, bafe ©ufelanb unb Oefterreid) bie tür!ifcf>e ©tb- 

fchaft gemeinfam liguibierten unb butch ©eilung ber Seute beibe 
auf ihre Soften ju (otttmen juchten, fo waren hoch im Saufe 
ber Seit ©egenjäfee an anberen Stellen hinjugefommen, bie fich 
butch teme ©erftänbigung aus ber Söett fchaffen liefern, ©er eine 
ift bie 3bee bes ©anflawismus, ber anbere bie ruthenifch-polnifche 
Stage. 

©er ©ebanle, bafe alle flawifchen ©öller fich J u Staatlicher 
©mbeit jufammenfcbliefeen unb ©ufelanb als bas ftärtfte ©lieb ber 
Samilie bie §errf<haft über fie antreten folle, ift alt. 3n ben 
70er unb 80er 3at)ten war er bas eigentliche 3utunftsprogramm 
bet nationalruffifchen Steife geworben. Qm ©amen biefer „all- 
flawifchen 3bee“ betrieb ©ufefanb bie Setftörung bet europäifchen 
©ürfei, bie ihm felbft bie Jrjerrfchaft am ©allan unb ben ©atbanellen 
Vfllltr, X>er Ursprung ht* äklttiugf. 2 17 


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rerfcpaffen follte. ®m folgerichtiger panflawismus ober teerte 
feine ßpif;e unmittelbar gegen ben Scftanb ber öfterreieftifd)- 
ungariicbcii ©rojjmacht. Senn Oefterreicb-llngacn ift nun einmal 
felbft eine jut Hälfte jlatoijcbe 971 acht. Sen Perluft feiner flawifch 
befiebelten (gebiete fönnte es nicht ertragen, ohne jum RIeinftaat 
herabjufmten, unb fchon bie Hinneigung flawifcbet Oppofitions- 
parteien ju Ruglanb bilbet eine innere Krantheit bes öfterreichifchen 
©taatslörpecs. Saju lommt, baf) Rufjlanb unb Oefterreich fich 
feit ber Ruflöfung bes polnifd>en Reiches m bie Peherrfchung oon 
jwei flatoifchen Pöllem teilen, bergeftalt bajj bie gtofje 97laffe ju 
Ruftlanb gehört, eine ftarle 971mberheit in Oefterreich fi%t : bie 
Ruthenen unb bie polen. 

stut^n m ©i« Ruthenen — in Rufjlanb RIeinruffen — finb fowohl 
'' laI in ©alijien toie in Rufjlanb fonfeffionell gefpalten: ein 
Seil gehört ber griechifcb-ortbobojEen Kirche an, ein anberer bat 
fich f*tt bem 15. 3abrbunbert bet Union mit ber römifch-latholi- 
fchen Kirche angefchloffen. 3nfolgebeffen gibt es ht ©alijien Ru- 
thenen, bie nach Rujjlanb bhmcigen, unb in Rufjlanb Rleinruffcn, 
bie ju Oefterreich htTrübcrfchiclen. SBenn bas allenfalls erträglich 
fcheinen mag, fo ift hoch bas polnifche Problem gerabeju brennenb. 

Sie polen befinben fich ' n Oefterreich in ebenjo beoorjugter 
Sage toie fie in Rufjlanb entrechtet finb. ©ehnfüdjtig unb mit 
Reib blieft ber gebilbete Seil ber ruffifchen Violen auf bie Perwanbten 
im öfterreichifchen Säger. Sebbaft finb bie Pejieljungen herüber 
unb hinüber. Sa es eine polnifche Unioerfität in Ruffifch-Polen 
nicht gibt, bie ruffifche Unioerfität ©atfebau oon ben 'polen boplot- 
tiert wirb, fo ftubiert bie 3»genb ber beffem ©efellfcbaft mRratau; 
biefe ®tabt ift bie geiftige Jjauptftabt bet ganjen Ration, beten 
©ehwerpunft unb geiftige 3üb tun g überhaupt bei bet RUnberheit 
in ©alijien liegt, ©as ift natürlicher, als bafj bie Polen Rufjlanbs 
oon Oefterreich eine bejfete 3ufunft erhoffen, unb baf; bie ruffifche 
Regierung toünfchen mufj, auch öfterreichifchen Polen ht ihre 
©etoaft ju befommen, wenn fie fich hn Pefitje Polens fietjer fühlen 
will. Rn bem Pefii)e Polens aber liegt ihr unenblich oiel. Siefes Sanb 
ift nicht eine Summe oon ©ouoemements wie oiele anbere, es ift 
bas fchönfte 3uwel in ber Krone bes 3aten. 971 it feinen 12,5 Rlill. 

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Bemotmcrn auf 127 000 qkm ift es ber einjige Seil bes ruffifchen 
Beides, bet eine ben roefteutopäifchen Begriffen cntjprccbcnöc 
Boltsbicbte jeigt. Seine gtcfjen Steintohlenlager hoben eine 
Blüte bet ftnbuftrie möglich gemacht, bie m ihtet tapiben (Sntroid- 
lung mitunter an notbamerilanijche Bethältniffe erinnert. 21 n 
biretten Steuern jatjlt Bolen allein jährlich 210BUII. Kübel (480 Blill. 
Btarl). Seine Beoöllerung aber ift tompalt polnifch; auf 0 Blill. 
Bolen tommt noch t*me Vt Blill. Buffen. 

Selbft tocnn bie anbem flamijchen Böller nicht mären, Bolen 
unb Kutbenen allein fchaffen eine bauernb offene Jtage jmifcben 
Bufclanb unb Oefterreich unb ftempeln jcben Betfuch in panflamifti- 
fcher Bicbtung ju einem Attentat auf ben Beftanb bet öfterrei- 
chifcb-ungarijchcn Monarchie. Unter mclcbetn ©ejichtspuntt man bie 
Singe auch betrachten mag, ob unter bem bes Baltanprobleme unb 
bet OTeetengenftage, ober unter bem bes Banflamismus, immer 
fiöfet man auf ben unoereinbaren ©egenfat; bet beiben Blächte 
Oefterrcich-Ungarn unb Bufjlanb. Sem h'florifches 3<el auf ber 
Balfanbalbinfel lann Bufjlanb erft erreichen, toenn Oefterreicf)- 
Ungarn beifeite gefchoben ift, unb bie Blöglichleit, als Bormacht an 
bie Spilje ber flamifchen Böltermeft ju treten, tut fich ihm erft auf, 
u>enn es leine öfterreichifchen Bolen unb Buthenen unb überhaupt 
leine öfterreichifche ©rofjmacbt mehr gibt. Siner oon ben toelt- 
gefchichtlichen ©egenfä^en, bie Sahtjehnte unb 3“b c b un berte 
fchlummern ober nur oon Seit }u Seit unb an befchränlten Stellen 
lebenbig toerben tonnen, unb bie hoch früher ober fpäter einmal auf ber 
ganjen Sinie entbrennen unb ju grünblichem Bustrag führen müffen. 

3 

»tu* Bis man im Saht 1876 in Betersburg ben Sntjcblufj 

»uw«Irt l *i? 7 «“Si foftte, bie alten Bläne im europäifchen Orient, bie fo 
oft fchon gejeheitert maren, ihrer Bertoirllichung ent- 
gegenjuführen, ba mar jum erften Blale ber ftall gegeben, bafj bie 
ruffifche Bolitit mit bem Borhanbenfein eines Seutfchen Beides 
rechnen mufcte. Bon ber Haltung Seutjcblanbs hing es ab, ob 
Bufelanb hoffen burfte, über ben TDiberftanb Oefterreichs hintoeg- 
fchreiten ju lönnen. Siefen Sinn hatte es, bafs Raijer Blej-anbet II. 

2* 19 


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Bismatd feie tategorifcbe grage potlegen lieg, ob ®eutfdjlanb 
neutral bleiben mürbe, toenn Buglanb mit Oefterreich in Krieg 
geriete. ®ie Bntmort lautete, «oie Bismatd felbft fie überliefert 
bat: ®cutfdiianb tönne nid)t bulbcn, bag einet feiner beiben öft- 
licgen Bachbarn fo ferner gefd>äbigt toetbe, bag feine Stellung 
als unabhängige unb in (Europa mitrebenbe (Srogmactjt gcfährbet 
mürbe. ®as bebeutete nichts anberes, als bag ®eutfchlanb bei 
einem ruffifct>-ßfterreiet>ifct>en Sonflilt auf bie Seite Ocftcrreicbs 
treten merbe. 

3n Petersburg jog man bie Konfequcnj bar aus unb einigte 
fi<h, ehe man gegen bie Sürtei losfehlug, mit Oefterreich ju einer 
Teilung bet Blacbt auf ber Baltanhalbinfel ungefähr auf bet ©runb- 
lage bes Botfcblags, ben einft 3»feph II. gemacht hatte, ©egen 
3ufichetung oon Bosnien unb bet ^erjegomina fat> Oefterreich bem 
ruffifch-türtifchen Stiege oon 1877/8 untätig ju. ®et beutfeh- 
ruffifche greunbfcfjaftsbunb aber hatte feinen erften Sprung erhalten. 
(Et jerfptang oollenbs, als auf bem Songreg ju Berlin 1878 bie 55er- 
hältniffe ber Baltangalbinfel oon ganj (Europa geregelt mürben, 
mähtenb Buglanb „auf bet Bntlageban!“ fag. ®ie Jürlet behielt 
einen gtogen Seil ihrer europäifchen Befigungen, bas neue gürften- 
tum Bulgarien blieb ein Slemftaat. (Es lehrte feht halb feinem 
Befreier ben Buden unb ging eigene 9Bege; bie Bettreibung bes 
gürften Blcyanbcr oon Battenberg burch ruffifetje SBerljeuge be- 
ftärtte es nur barin. Bumänien mar megen bet errungenen 
Abtretung oon Süb-Bcffarabien tief oerfthnmt, Serbien ging 
unter feinem König Blilan für ©elb ganj m bie ©efolgfcgaft Oefter- 
reiegs über, bas ben Bejitj Bosniens unb bet Sfetjegomina nach 
emfiimmigem Befcgluffe oon (Europa hatte antreten bütfen. Bug- 
lanb aber halt« ben Befreiungslrieg umfonft geführt; ja, es ftanb 
nach >h m meiter oon feinem 3i«l« als gunbert gabte juoor, benn 
es halt« feine beftc Satte ausgefpielt, ogne ju geminnen: bie ©lau- 
bensbtübet am Baltan rnaren befreit, unb Buglanb mar nicht ihr 
Oberhaupt gemorben. 

3n Buglanb hat man bas (Ergebnis fofort für bas SBerl Bis- 
mards ausgegeben unb ®eutfcg!anö für bie eigene Bieberlage oer- 

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antwortlich gemacht. ©ewifj ohne jebe Berechtigung. Rieht Seutfcb- 
lanb, fonbern Snglanb unb in jweiter Sinie Oefterreicb waren bem 
nad; langen Rnftrengungen enblid) (iegteidjen Rufjlanb m ben Arm 
gefallen, unb bie Rolle bes „ertlichen Rlatlers“, bie et fidj oorge- 
nommen, bot bet beutfd>e Kanjler auf bem fiongrcfj ftteng butd;ge- 
fübrt. aber eben bies machten bie Ruffen itjm unb Seutfcblanb jum 
Vorwurf. Sie glaubten ein Anred>t nicf>t auf c^jrlicfjc Neutralität 
unb Vermittlung, fonbetn auf tätige Unterftüijung ju haben, unb 
fanben nun, ba ihr 21nfpruct) nid)t anertannt mürbe, bog bie fjrcunb- 
fchaft bes ®eutfcf)en Reiches für bie eigentlich ruffifetjen 3u>ede 
wertlos fei. ®amit war ber ®tunb ju bet Sehrbfcbaft gelegt, 
bie fd>on 1879 wegen bet Räumung Bulgariens bureb bie ruffifeben 
Iruppen beinab jum Kriege geführt hätte, unb es bebarf leinet 
befonbetn geftftellung, bafe es genau bie gleichen fragen finb, bie 
1914 wirtlich jum Kriege führten. Rufjlanbs bauembe fjreunb- 
fchaft hätte bas ®eutf<be Reich fich nur bewahren fötmen, wenn es 
fich baju beguemt hätte, ruffifeben 3wedcn ju bienen. ©afj es 
bies nicht tat, bafj es nicht bet Vaffall feines öftlidten Rachbam fein 
unb bie Vernichtung Oefterreicbs als ©rofjmacbt nicht jugeben 
tonnte noch wollte, bas wat bamals unb ift beute bet ©tunb bet 
ruffifeben fjeinbfchaft. 

»uw«»* ® et 35 3 a h ce n ift es beswegen nicht jum Krieg gc- 
ifoum tommen , weil Rufjlanb bamals allein ftanb. ftranl- 
reich h fl tte feine inncten Scbwierigteiten noch nicht überwun- 
ben, unb als bies gegeben wat, herrfebten in Vatis einige 
3«brc lang bie überfeeifchen 'Vläne oot. ®s gab fogat einen 
Rloment, wo es ben Anfcbein hotte, als würbe ganj TOefteutopa 

— ®eutfcblanb im Verein mit jtanfteich, Snglanb unb Oeftctreicb 

— jufammenftehen gegen bas Vorbringen bet orientalifchen 731 acht 
Rufjlanbs. ®s Hingt wie ein fchönet Staum, aber es läfjt fich nicht 
beftreiten, bafj Sismard, ber Rlann ber eifernen SBirHicbteit, biefen 
Sraum gehegt hot. 2Dic hotte er fonft bei feinem Aufenthalt in SBien 
1879 jum Vertreter Jranttcichs fagentönnen: „geh glaube, bafj in 
ber nächften Sutunft unfete Vejiehungen fich hnmer inniger ge- 
halten unb bafj wir bie beften Jteunbe oon berSDelt fein werben. ®ie 
Völler hoben ein ebenfo turjes ©ebaebtnis wie bie Rknfcben.“ 

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eie« Kr ® s * am anbers, bauptfäcblid) weil in Srantreich bi« 
"^änitlidT Don ®‘ ltn f , etta juerft geprcbigte politil bet ©acbe im- 
mer mef)t ©oben im ©ölte gewann. Rein 3®eifel, 
bag es ficb hierbei junäefift um eine ©Baffe im Rampf bet Par- 
teien um bie fierrfcbaft banbeite, gut ©ambetta, bet fie juerft 
benagte, war bie ©eoanebe fo roenig fjerjensüberjeugung, bag 
er noch jwei Satire oor feinet berühmten Sabncnweibrebe im 
©«griff gewefen war, Sismatd ju befuchen. ©amals batte er 
gehofft, butcb Stieben unb ©erftänbigung mit Seutfcblanb feine 
©egner, bie ©emäfjigten, ju übertrumpfen unb ju ftürjen. ©od> 
halb ertannte et, bag bie ©acbe für 1870 bas febr oiel bequemere 
unb bantbarere ©ctilagwort war. So erhob er fie jur £ofung 
ber rabitalen Partei, „gmmet baran benten, nie baoon teben“ 
war ber ©at, ben et junädjft erteilte. Seine Schüler unb ©ad>- 
tretet, allen ootan ber gewiffenlps unfähige ©eorges dl timen - 
«tau, gingen oiel weitet; faft ift man oerfudjt, ju fagen, fie 
Ratten bas ©ejept umgeiefirt. Sie fpracf)en beftänbig oon ber 
©eoanebe, ob fie im ©rnft baran baebten, war oft jweifeltiaft. ©ber 
fie erreichten halb, bag niemanb mehr wagte, ihnen auch nur mit 
einem fchücfitcrnen ©orbehalt ju wiberfptechen, unb baf; bie ©e- 
oanche ein unantaftbarer ©laubensfag bet ftanjöfifchen Politil 
würbe. 2lucb bie ©egner, ©eattionäre unb OTonarcbiften, griffen 
bie gleiche £ofung auf. ©as ©etenntnis ju ihr feinen ber prüfftein 
bet ©atcrlanbsiiebe ju fein, unb es entfpann fich ein ebler 9Bctt- 
ftreit, wer ben anbem m ber Prebigt ber ©ach« überfchtcicn tönnc. 

i» ©afj biefe ©efinnung nicht aus ber Siefe ber ftanjöfifcben 
©oitsfeeie flog, möchte man fchon aus ber ©ewattfamteii fchiiefeen, 
mit ber fie oon ben Parteiführern immer unb immer wiebet einge- 
fchärft würbe. 2Bie fünftiieb bie ganje ©ewegung war, erjieht 
man aus ber ©atfaebe, bag man es für nötig hielt» bie ©manch« 
unb ben S)ag gegen ©eutfehianb jum ©egenftanb bes ©oltsfchui- 
unterriebts ju machen. 3n ben £eitfäbcn unb Ratechismcn ber 
©ürgertunbe unb öffentlichen ©ioral, mit benen bie firebenfemb- 
liche rabitaie ©epublit ben ©eligionsunterricht etfegen wollte, 
fmb bie ©eifpieie belbenmütiger ©atcrlanbsiiebe jpftcmatijcb immer 
aus bem Rtieg oon 1870 gewählt, ift bie £age bet „gtanjofen“ im 
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unterjochten Slfafj-Siotbringen ber ftänbig loiebcrtcfjrenbe Scf)ul- 
falt, an bem bie Pflichten gegen bie eigene Station erläutert werben, 
in ber Stegei oerbrämt butd) haarfträubenbe Stjählungen oon ben 
©raujamleiten ber ®eutjd>en unb unterjtcidicn burct) Itajfe 2tb- 
bilbungen brennenber ®örfer, armer Flüchtlinge unb preufjijcher 
^Sidelhauben, beten Präget ji<h an toebtlofen Frauen oergreifen. 

3n einem biejer Büchlein, bas noch baju für Bläbchcnfchuten be- 
ftimmt unb oon einet F*au oerfafet ift, werben biefe ©mbrüde ju 

folgenbem Schrfaij ber „Btenfchenliebe“ jufammengefafjt : „Blan >| 

joll oor allen ©ingen fein Baterlanb lieben unb alle haffcn, bie 
ihm Böfes tun. ®ie ©eutfcften hoben uns ©Ifafj-Sotbringen ge- 
nommen. 9Bir wären Stopfe, ihnen bas ju oerjeihen. Srft mögen 
jie uns bas ©eraubte jurüdgebcn, bann wollen wir weitet mit 
emanber reben!" ®ieje chronifche Bollsoergiftung hat fürchterlich 
gewirlt; wir erlernten jie heute an ber 2Irt, wie Ftanlteich ben 
Krieg führt. 3h te unmittelbare SDirlung war, bafe feit OTittc bet 
achtjiger 3ahre lein ftanjöfifcher Staatsmann mehr wagen lonnte, 
eine anbere als beutjch-fembliche ‘politit ju machen. 

«u 5 airt«r m. ©eit bem rufjijch - türlijcfjen Kriege unb bem Ber- 
liner Kongreß ftanb Ftanlreich mit biejer ©cfinnung nicht mehr 
allein in Suropa. Sein Stuf nach Betgeltung medte jetjt ein 
©cf>o im Ojten, oollenbs feit Raifer SHejcanbet II., in bem bie 
Sympathien für beutfebes SBefen unb bas ©efühl ber Berwanbt- 

jehaft mit bem preufjifchen Königshaus trotj allem lebenbig waren, ^ 

im Slpril 1881 bas Opfer eines oon feiner eigenen ©ebeimpolijei 
eingefäbelten nihilijtijchen Attentates geworben war. Sein Sohn 
unb Slachfolger, Aleyanber III., bem Batet fel>r unähnlich, ein 

SRann oon befcbränltcn Fähigleiten, aber jtarrem ©igenfinn, hotte } 

nur wenig gelernt unb baoon noch weniger begriffen. ®iefes i 

wenige aber hielt er nach ®tt enger Köpfe mit größter 3übig!eit < 

feft. ©s lief hinaus auf ben ©lauben, bafj Stuftlanb traft feines 

ftaatlichen Abfolutismus unb feinet tirchlichen Stecbtgläubigteit ein 

Steich oon ganj befonberer Art barjtelle, bie oor jeber Berfälfdjung 

burch weftiiehe, insbefonbere beutfehe Sinflüffe ju behüten fei. 

3n biefem borniert nationalen Fanatismus war Aleyanbet oor 
allem bureb feinen Siebter Babebonofjjeo erlogen worben, oon 


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bem er (ich audj als Sfertfcbet oocjugstDcife beraten liefe. Sieben 
Pobebonofejeo wirfte in gleichem Sinn ber einflufereicfeffc ruffifdje 
Bublijifl Bliebael Kattöo. ©effen „STlostauer 3citung" las bet 
Kaifer täglich unb entnahm aus iljr immer triebet bie üebte, bafe 
bas ©eutfehtum ber Je mb fei, oon beffen Berührung bas „^eilige 
Bufelanb“ fid? rein erhalten muffe. 3 « ber Abneigung gegen 
©eutfcblanb beftärtte Um aufeerbem feine ©emahlin, eine bänifdje 
Prinjeffin, bie unter bem Sinbtud bes Krieges pan 1864 aufge- 
maefefen unb babureb eine Ieibenfä)aftlict)e ©eutfefeenfeinbin ge- 
worben trat. 

'tan"''iv*( ® s au f ber Jtanb, bafe unter einem folgen f)ert- 
ftaSfymuift fdjer bas frühere Verhältnis ju ©eutfchlanb oollenbs 
hinfehtomben mufete. Slleranbcr III. bat jmar äufeetlicfe ben Schein 
aufrecht erhalten, er ift fogar noch 1884 mit SBilhelm 1. unb 
Jtanj 3 ofeph in Stiemeroice jufammengelommen , aber nie- 
manb tonnte baran jrocifcln, bafe biefen hergebrachten Jormen 
bet 3 nh«lt oerloren gegangen war, wenn man fah, welche 
Jreiheit bie ruffifch« Regierung ben Jührem ber Stationalpartei 
ju einer alles Blafe überfchreitenben ©eutfebenhefee in preffe unb 
Berfammlungen gewährte. Konnte boch fchon 1882 ein altieer 
©eneral, ber burch feine gweifelhaften ficlbentatcn im türtifchen 
Kriege populär geworbene Stobeleo, es fi<h erlauben, in einet 
lifebrebe in Paris oon einem Bünbnis aller Slawen mit Jrantreich 
ju fprechen mit bem 3 n>cde, gemehtfam bie liebermacht ©eutfeh- 
lanbs 3 U brechen. Unb als er wegen biefer oorlauten Siebe be'ut- 
betufen würbe, oerftieg er fich m einem Srinlfprucfe in SBarfchau, 
unter ledet Berufung auf feine 3 beengemeinfchaft mit bem 3 «*«*» 
ju bet Behauptung, bas ©eutfebe Bci<h, burch Blut unb ®ifen ge- 
grünbet, tönne unb muffe burch tuffifches Blut unb ®ifen jertrflm- 
mert werben. ®s bauerte nicht lange, fo fing man in Jranfreich an 
für Bufelanb ju fehwärmen. Srfchien ein ruffifcher (Scneral ober 
Offijicr irgenbwo, fo gab es ffulbigungen unb bie ruffifebe Slational- 
bpmnc wutbe anbacbtsooll angehbrt. ©eroulbbe wieberum, ber 
halbtolle Upoftel bes rachcburftigen Patriotismus, würbe m nationa- 
liftifchen ruffifchen Kreifen gefeiert, als er bort oon ber beutfehen 
Knechtfcbaft fptach, in ber ganj Cfutcpa fcbmachtc. Siefe fich bofo 
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juleßt (1887) fogat ein ©roßfürft, Ritolaus i>. 8- — es ift bet „fieg- 
teicbe“ Obertommanbietenbe oon beute — in gtanfreiä) ju bet 
Semerfung bmteißen, Rußlanb, jumal bie laifetlicße Familie, fei 
ein §etj unb eine Seele mit gtanlteicf), unb wenn etft feine ®e- 
amtenjcbaft oon ben pieien beutßhen (Elementen gcfäubett fei, 
werbe einem förmlichen Pünbnis nickte mehr im Siege fieijen. 
Roch waten bie Regierungen nicht einig, aber bie Pöllet ober bie 
(ich für ihre Vertreter ausgaben, reichten (ich bie S)änbc ju gcmein- 
famet ©egnerßhaft gegen bas ®eutf4>e Reich- 

creitnnk- (Segen blcfc ©cfabr hot Sismarcf oon Slnfang an ®ectung 
gejucht unb gefunben. 2Us ber Pruch mit Rußlanb brohte, ging er 
nach Siicn unb fdjlofj bas ewige 33ütibnis mit Oefterreich-Ungam 
(Ottober 1879), bas oon ba ab ber CE elftem bet beutfchen auswärtigen 
Politif gewefen unb geblieben ift. (Segenfiber fjrantreich fanb fict> 
halb eine } weite ®echmg butcb bie SUianj mit bem Königreich 
8taiien (1882), bas burch bie fjeftfetjung bet Jcanjofen in Junis um 
einen ffit ficher gehaltenen (Erwerb betrogen unb fiberbies im 
eigenen £anbe bebroht war. aber fo gefährlich fchicn Pismarc! bas 
fi<h anbahnenbe (Emoetfiänbnis jwifcben Paris imb Petersburg, 
baß er fchließlich, um ihm oorjubeugen, jenen oiclberufenen „55er- 
trag mit bem hoppelten Pobcn" mit bem garenreich abfchlofj, ben 
er felbft als „Rücfoerficherung“ bezeichnet hat. Sin Urteil übet 
biefen metfwfirbigen Schritt wirb erft möglich fein, wenn ber ganze 
3nba(t bes Vertrags unb bie näheren Umftänbe feines 3uftanbe- 
tommens belannt finb. 3ft bas richtig, was man gelegentlich oon 
(Eingeweihten barfiber hören tonnte, fo enthielt er fel>r oiel mehr 
unb oiel Süchtigeres, als was Pismatcf felbft 189Ö mitgeteilt hat. 
S3ie immer bem fein mag, ber (Erfolg blieb aus, benn getabe in 
ben 3ah«n bes ©eheimoertrags fpißte fich bie Segnerfchaft Ruß- 
lanbs gegen ®eutf<hlanb zeitweilig fo feht ju, baß man am Pot- 
abenb eines Krieges ju ftehen glaubte; unb jebermann wußte fcfwn 
bamals, baß biefer Krieg nach jwei fronten werbe geführt werben 
mfiffen. ®amals (2. Februar 1888) war es, baß Pismarct, um bie 
ruffifchen ®rciftigteiten abzumehren, ju bem Slittel bet Pcröffent- 
licbung bes beutfch-öfterreichifchen Pünbniffes griff. 

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Plan wirb bas ju bebenten haben, wenn man oerftehen will, 
toanim Sismards Pachfolger ben im grühjaht 1890 ablaufenben 
©«heimoertrag nicht erneuert hat. ffis gefchab webet aus Jhirj- 
fiebtigteit, nach aus Plangel an ©elbftoertrauen, tote man oft be- 
hauptet hat, fonbern nach reiflicher Pebetlegung unb aus wohler- 
wogenen, triftigen ©tünben. ©eftüfet auf bie überemfthnmenben 
©utad)tcn ber angefebenfien unb erfahrenften Beamten bes Aus- 
wärtigen Amtes gab ©eneral ©aprioi bent ftaifer ben Pat, biefee 
gefährlich«, jweifcbneibige Pleffer nicht länger in ber fjanb ju 
behalten. 

siuiw«. ®ic SBirfung war oorausjufehen unb hat niemanb 
Dünwrw überrafcht: ber ®raht oon Serlm nach Petersburg jerrife 
— wie Sismard fich ausbrüdte — unb ein anbeter würbe feftge- 
tnüpft, ber oon Petersburg nach Paris führte. 

Anberthalb gabre, nachbem bet beutfcb-ruffifche ©eheimoer- 
trag erlofchen war, würbe bas Sünbnis jroifeben Pufelanb unb 
gtanlteicfe gefchloffen. ©s blieb junächft geheim, benn es war pon bet 
ruffifchen ©eit« augenfehemlich nicht emft gemeint. Alejsanber 1 1 1., 
ber ftarre ®efpot, war gettnfe noch weniger greunb bet franjöfi- 
fchen Pepublit als ber beutfehen Pation. ©inen Krieg mit ®cutfcb- 
lanb oollenbs hat et aus guten ©rünben, jehon aus petfänlicher 
gurebtfamteit, gejeheut. ®as Sünbnis, ju bem er fich oerftanb, war 
gemcini als 6cf)red- unb ®rudmittel. ©s follte als brohenbes 
®amoflesfcbi»ert über bem Raupte ®eutf<hfanbs febmeben, bamit 
biejes aus furcht oor bem gweifrontentrieg Uein beigebe unb 
Oejterreich fallen lafje. ®arum liefe man 1891 ein franjöfifehes 
©efchwaber nach Kronftabt lommen unb jroei gaijrc fpäter ein 
ruffifefees nach Poulon fahren, barum gewann ber ©elbftberrjcher 
aller Peufeen es jogat über fich, bie PlarfeUIaife ftehenb anjuhören, 
wähtenb bie offiziellen Poafte bort wie hier hoch nicht oon Sünbnis, 
fonbern nur Don „tiefen ©pmpathien ber beiben Söller" unb oon 
„Sanben, bie bie beiben £änbet oereinigen", reben burften. Stft 
1897 hat Pitolaus II. bas etlöfenbe SBort oon bet „oerbünbeten- 
Pation" gefproeben. 

®ie fcblau berechnete ®rohung blieb in Serlin wirtungslos, 
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unb mit bet Seit erroies fid> immer mehr, bafj bas feinblictje Sünb- 
nis in SDirtlichteit gar nicht fo gefährlich roat, tote es fcbien. Sroei- 
bunb unb ©reibunb hielten emanber bie SSage, bet ijriebe ber SBelt 
unb bie Sicherheit J)eutichlanbs toaten nicht emftlicb bebtoht, fo 
lange bet Stoeibunb ein 0n>eibunb blieb. (Erft toenn auch et feinen 
britten Teilnehmer fanb, roat bie ©efahr emft. St fanb ihn eines 
Tages in (Englanb. 

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tat brutto« 3” (Englanb haben roit unfern fchümmften unb gefäbt- 
ffirurri« Uchften Segnet ju fehen; benn hiet fteht uns nicht ein £anb 
gegenüber, fonbern eine gan je SBelt, bas größte SBeltreich, bas bie ©e- 
fchichte tennt. Tflati begreift ben Stolj, mit bem jebet (Englänber oon 
bem British Empire fpticht, ben bie ®id>tunger^ines Kipling atmen 
unb oon bem jebet Schulbub m ©ton ober Sjatroro fein Teil mit 
empfinbet. Seinen Uaffifchen Slusbrud hat et in bet großen ?iebe 
gefunben, mit bet £orb 33caconsfielb am 8. Slpril 1878 im Oberhaus 
bas' (Eingreifen m ben ruffifch-türtifcben Stieg antünbigte. „Kichts 
in bet ©efcbichte tann unfetem 9?eicb ocrglichen roerben, roeber 
(Eäfar noch Sari bet ©rofje haben bie ©efchicte einet ähnlichen 
Sjetrfdjaft gelentt. Stuf allen Kleeten roeht unfere flagge, burcb 
alle Sreitengrabe gehen unfete (Ptooinjen; fie beherbergen Unter- 
tanen oon ben mannigfachftcn Kaffen, Religionen, ©efetjen, Sitten 
unb ©eroohnheiten." (Eigentümlich ift bie Sufammenfetjung biefes 
Reiches, lodet unb brüchig fein ©efüge. 23on ben gtofjen ©cbieten, 
bic’baju gehören, roerben nur jroei roirtlich oon (Englanb regiert: 
Oftinbien unb (Egppten. ®ie anbem, foroeit fie nicht erft, roie 
bie Sejitjungen in Snnetafrita unb Oftaftita, in ben Anfängen bet 
(Entroidlung flehen — Ranaba, Sluftralien, Reu-Seelanb unb 
Raplanb — finb felbftänbige Staatsroefen mit eigener Regierung 
unb eigenen 3ntereffen, bie nicht immer mit benen bes Rtutter- 
lanbs übeteinftimmen, mehr feine SSunbesgenoffen als feine Solo- 
nien. Ob unb roie roeit fie ihm im Stiege roerben beiftetjen roollen unb 
tonnen, mufj (ich erft jeigen. Klan gebt aber fchroerlich fehl mit 
ber Sinnahme, bafj bie englifchen Sllinifter felbft auf biefe Sfilfstraft 
tein allju großes ©eroicht legen bürften, roenn fie auch aus begreif- 


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liefen ©tünben cot ber Oeffcntlidjleit gern oon bem patriotijeben 
Sifet bet Kolonien ju fptecf>en pflegen. 

6«&trti<s<>f<21ber $um Britifd>eti 2De(trcicb gehört noch etwas anbetes, 
“JonMi ' bas (ich auf feiner ff arte einjeidmen unb aud> nicht ht 
Wahlen ausbrüden läfjt, unb bas bod) ben größten haften in bem 
Hauptbuch feinet JJlacfjt bilbet : bie S)errfchaft über bas Rleer. 93 on it>r 
hängt bas ®a(em unb bet Beftanb bes Reiches in boppelter § in ficht 
ab. Sinmal weil fein Kopf unb §erj eine fjnfel ift, bie jebem ©egner 
unangreifbar bleibt, folange et nicht £etr bes umgebenben Rlcetes 
ift. hinter ben 98ogcn bes Rleetes, bie ihm gehorchen, ruijt Snglanb 
fieserer als irgenb ein £anb ber 9Belt hinter breifachem fjeftungs- 
gürtel. Sobann aber beruht auf feiner Seeherrfchaft bas eigentliche 
fjunbament feine^©röge, fein aufjenhanbel. 

Snglanb ift heute bas erfte §anbelsool( ber SEDelt. Rügt man 
ben anteil ber emjelnen Nationen nach bem Rauminhalt bet 
Schiffe, bie ihnen gehören, fo befiel Snglanb allein fo siel wie alle 
anbern jufammen. Ruf biefem gewaltigen Anteil am 98elthanbel 
beruht Snglanbs fprichwörtlicher Reichtum. ®er § anbei ift auch 
neben bet Rationalität bas feftefte Sanb, bas bas Rluttcrlanb 
mit feinen Kolonien oerbmbet. ®arum festen bie Bemühungen 
3ofeph Shaniberlains, bie Einheit bes ©efamtreiches ju ftärten, 
gerabe an biefem fünfte ein, inbem fie bie $anbelsmtereffen oon 
Rluttcrlanb unb Kolonien in oölligc Ucbereinftimmung ju bringen 
fuchten; bisher freilich oh ne ®rfo!g. 

Snglanb ift unter ben großen fjanbelsoölfetn bet SDeltgefdnchte 
bas jüngfte; feine heutige SDeltftellung ift noch leine 300 3ah*e alt. 
Sine mehr pathetifche als fachliche ©efchichtsfchreibung pflegt ihre 
Rnfänge wohl in bie Seiten bet Königin Slifabeth jutüdsuoerlegen. 
Rber was Snglanb bamals an überfeeifchen Rieberlaffungen unb 
Befilmungen fein eigen nannte, war herzlich unbebeutenb neben 
bem Befitj bet großen Kolonialfiaaten oon bamals, Spanien, 
Portugal unb 3r«nfteich. Seine Seemacht war Hem, ihre glüdtichen 
Kämpfe gegen bie fpanifchen Rrmaben nur ber 93erteibigung 
gewibmet unb bie Säten ber ©rate unb Rateigh nicht mehr als 
tede Rbenteuer oon Seeräubern. ®et wahre Begrünber ber eng- 
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■ : i 


lifcpen Seemacht mürbe erft Oliver ffrommell. SBeniger burch bas 
©efet;, bas jeben Swifcpenhanbel frember Schiffe m Snglanö 
verbat (Navigation-Act von 1651), als baburd», bag er juerft eine 
fteiwnbe Kriegsflotte unterhielt, b. h- Schiffe, bie ausfdüiefjlich 
unb ftets jut Kriegführung ba mären, mahtenb bie anberen Staaten 
{ich bamit begnügten, ihre fianbelsfchiffe hn Kriegsfall, gleich öen 
heutigen ^ilfstreujem, mit Kanonen unb Seejolbaten ju oetfehen. 
9JU t biefet allen Nioalen überlegenen Kriegsflotte gelang es Crom' 
«veil unb feinen Nachfolgern, bie bis bahin erfte Sklthanbelsmacht, 
bie $ol(änber, ju übertohtben. 3m 3°h re 1650 waren */, bes 
SBeltbanbels noch in hollänbifcben §änben, 25 3 a h*« fpäter war 
ber §öhepuntt überfchritten, unb halb nach 1700 hotten bie Nieber- 
lanbe überhaupt aufgehört eine ©rofjmacht ju fein, nachbem ein 
großer Seil ihres S)anbe!s bureb bie Cnglänbet bucpftäblicb crobett 
worben war. 

Nun tarn (Jranfreich an bie Neihe. Nlit feinen ausgebefmten 
überfeeifchen ©efitjungen ht SBeft unb Oft, in Norbamerita unb 
Oftinbien, mit feiner blühenben 3nbuftrie war es im 18. 3«h r ' 
hunbert bie erfte Kolonialmacht unb ju gleich bie erfte S)anbelsma<ht 
ber TDelt. 3« «inet Neihe von Kriegen, bie mehr als ein 3ah c ' 
hunbert füllen — von bem fpanifchen Crbfolgetrieg Subwigs X IV. 
bis ju ben Koalitionstriegen gegen bie Neoolution unb Napoleon — 
hat es biefe Stellung an ©nglanb verloren. Kanaba, Oftinbien 
unb bas Kaplanb fmb bie S)auptftüde in ber Seute, bie Cnglanb 
verbleibt, nachbem es burch törichte Ißoliti! bas fepon beberrfebte 
Norbamerita wieber verloren hat. Cs hat je^t, nachbem Jrantreicp 
niebergeworfen ift, für 3aprjepnte leinen emftpaften Nivalen mehr 
in ber SBelt. Ungeftört breitet fein S)anbel jicb überallhin aus. 
Oer Abfall ber Sübameritanifchen Kolonien von Spanien unb 
Portugal liefert ihm auch öiefes ©ebiet jur wirtfchaftlichen Aus- 
beutung in bie fjänbe. „Sübamerita ift frei, ruft Cannmg 1824 
triumphierenb aus, unb wenn wir uns nicht ganj fcplecpt auf unfere 
©efchäftc oerfteben, jo wirb es uns gehören“. Cs gibt tein £anb, 
leinen Staat, beren Seemacht fiep auch nut entfernt mit ber Kriegs- 
flotte Cnglanbs meffen tönnte. Alle wichtigen Syanbelsftrafjen ber 
SBclt fmb burch gefebidt gewählte Stationen in englifepen Nefip 

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gebrockt. Um bie Jahrt nach Ojtinbicn ju ftütfen, ift bas Rap bet 
(guten Hoffnung 1806 ben ^ollänbem, bie 3nfel TJlauritius 1810 
ben gtanjofen abgenommen worben. 3m ©littelmeer ju bem man 
febon feit 1704 in ©ibtaltar ben Scijlüffef bcfifit, ift feit 1800 TRalta 
genommen, ©ie beutfepe Rüfte bewacht feit 1807 ein englifchet 
©offen m $e!golanb. 3m Koten ©leer wirb 2lben 1839 befetjt. 
©ie ©ollenbung bes Spftems bilbet bet Sttoerb bet Sjertfchaft 
übet ben Sue^fanal feit 1875. SBeltmeer unb äßeltpanbel fiepen 
untet englifchet Sotmäjjigteit. 

Ill&nb 9üu «wen emftbaften ©egner temtt ©nglanb bis babin, 

3 t>Mtn öa granfreiep übertounben ift, ©eutftblanb unb bie ©ereinig- 
ten Staaten noch nicht aufgetreten finb; bas ift Kufclanb. ©er ©egen- 
fat) bet beiben ©lachte ift fo ausgefproeben unb fo tief, baff Sismatl 
noch 1870 bie Semertung machen tonnte, bies fei bod> eigentlich bie 
einzige grage oon wirtlich meltgefcpichtlidtet Sebeutung, alles 
anbete, auch bie Stieitigteiten jtoifchen ©eutfchlanb unb gtantreich 
oetfehmänben baneben, ©et ©egenfat) tjertfebt ebenfo in ©utopa 
u>ie in 2lfien unb ift an beiben Stellen h^ootgerufen wcfentlicp 
burep bie eine Kütfficpt auf gnbien. 

3nbien nimmt untet ben englijchen ©efipungen einen be- 
fonbem ©Iah ein. Ors ift untet ihnen allen weitaus ber befte 
Lieferant unb bet befte ©bnepmet bes ©lutterlanbes. 3m englifchen 
fjanbol fteht es heute bereits an jwettet ober brittet Stelle neben 
unb jwifepen ©eutfchlanb unb ben ©eteinigten Staaten, unb es 
hat m biefer ©ejiepung bie ©tenjen feinet ©ntwictlung noch lange 
nicht ettcicht '). 28cnn man weif), bah noc P 1810 bet englifche 
$anbel mit gnbien nicht nicht wett war als ber mit bet 3nfel 3et- 
fep im Ranal, fo ahnt man, welche ©löglicpteitcn ber 3utunft pi« 

1) 1912 importierte Cnglanb aus i>cn Tiereinigten Staaten für 134 579000 £, 
aus ©eutlcplanb für 70 048 000 £, aus gnbien für 52 149 000 £. 1913 
toaren bie entfpretpenben gaplen 141 706 000, 80 511 OOO unb 43 449 000 £• 
©er englii<bc (Srport betrug 1912 nach ben Bereinigten Staaten 64 631 000, 
na<p 3nbien 59 775 000, na<p ©eutfchlanb 59 572 OOO, 1913 cntfpre<penb 
59 568 000, 60 573 OOO unb 71 730 000 £. 3n Ausfuhr unb «infupt jufammen 
ftanb gnbien in beiben gahren an ber britten Steile. 

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fdrfnmmem, in biefem £anbc mit bcn mehr als 300 Millionen 
OTenfchcn unb ben noch lange nicht oolI ausgenütjten wirtfd)aftlichen 
Kräften. Qnbien war aufjerbem pon jeher unb ift noch immer eine 
Quelle bes Reichtums für jahlreiche emjelne Englänber, bie bort 
als Veamte ober Offijiere fürjtlicbe Sehälter beziehen. Es ift 
enblich bie h°f>* Schule ber englifchen regietenben Uriftotratie. 
®ort, n>o etioa 1000 englifche Veamte mit runb 75 000 englifchen 
unb 140 000 eingeborenen Solbaten eine Vereiterung oon übet 
300 Millionen im 3<>um halten, bort lernt fid> bas Sfetrfchen, bort 
ioirb bie fichere Kunft ber Menfd>entenntnis unb Menfchenbe- 
hanblung crtoorben, bort bas unerfcbütterliche Sclbftgefübl ent- 
widelt, bie bas fierrfcheroolt machen, ftn 3nbien toaren fcbon bie 
oier Stüber Söelleslep emporgetommen, bie Vapoleon überwattben, 
ohne Snbien ift ber Sppus bes toeltbeherrfchenben ©entleman, ber 
bas englifche Soll ausjeidmet, noch h eut « nicht bentbar. Man 
begreift, bafj ein früherer Vijetönig bes £anbes ben Slusfprud) tun 
tonnte : fjnbien ift für uns alles, Europa nichts. Unb eben um bes- 
wilfen ftanb Englanb lange in unoerföhnlichem ©egcnfat) ju Vuftlanb. 

9?uf;Ianbs Vorbringen nach ben ®arbanellen, fein Veftreben, 
ben Sultan oon fich abhängig ju machen, bebrohte fcbon eine 
SBurjel ber englifchen fferrfchaft in 3nbien. Sie grünbet fich »c>r- 
jugstoeife auf bie Ergebenheit bes mohammebanifchen Seiles ber 
Veoöltcrung, ber bie meiften brauchbaren Solbaten ftellt unb im 
Sultan ben Khalifen, ben Sferrn ber ©ewiffen, mit einem Mort 
feinen Vapft ficht. ®ie Sferrjchaft Vufjlanbs über ben Sultan 
toürbc alfo nichts anberes bebeuten, als bafj ber gar ben Schlüffe! 
ju ben §etjen oon Englanbs beften inbifcben Untertanen unb 
Solbaten in ber Safche hätte. ®iefe nabeliegenbe Erwägung unb 
bie anbere, nicht minbcr naheliegenbe, bafj Vujjlanbs Jf>errfcbaft 
in Konftantinopel bcn lob bes englifchen fyanbels in ber fieoante 
bebeuten toürbe, machten ben Schuh bes Sultans jur eigenften 
Slngclegcnbeit ber englifchen 'JJolitif . ®aju aber tommt bie un- 
mittelbare Vebrohung gnbiens butch bas Vorbringen ber ruffifd>en 
Macht in gentralaficn. 91ud) biefe £mie ber ruffifchen Ejtpanfion 
ift bereits burch V®ter b. ©r. in feinen Kämpfen mit Vetfien an- 
gebeutet worben. Emfteren Sharattcr nahm bie Sache erft an, als 

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im Sa^re 1856 bie Wittcrmerfung bes Kautafus nach langen, et- 
bitterten Kämpfen gelungen mar. 9lun ging es mit raffen Schritten 
oormärts: 1867 mürbe Kotanb, 1868 Samartanb, feit 1873 ©b*®a 
unb Vocbata uniettppcfen. ®amit ftanb man an ben Stromläufen 
bes 9mu unb Sfpr, bet uralten 3BeItf>anbelsftrage, bie über 
bas Tlfghanifctje Sjochgebirgc, ben §inbutufcf> unb bas ^amit, nach 
bem SBunbcrlanb 3nbien führt, an ber Sjeerftrafoe, bie fdjon SUejEanber 
b. ©r. gejpgen mar. 2Uicf> oon Slotben, oon «Sibirien her rücfte ber 
ruffifche ©influfs immer näher: in $ibet, am §ofe bes ®alai fiama 
machte er fi<h gcltenb. ®as gciftlict>c Oberhaupt pon einigen 
Millionen bubbhiftifcher 3nber in ber ruffifchen Vlachtfphäre — bas 
märe in Uetnerem Vlafjftab eine ähnliche ©efahr gemefen, mie 
etma bie ruffifche §ertfchaft übet Konftantinopel. ®as Vorbringen 
bes Zarenreichs folgte hier nur bemfelben ©efetje, bas ihm in 
©uropa immer neue ©roberungen nahelegte, bet 3agb nach ber 
Slleerestüfte. 21m perfifchcn ©olf, etma in Venbet Slbbäs, lag bas 
nächftc 3'«I für fie, in einem ©ebiet, mo bisher ber S)anbel ©ng- 
fanbs allein geherrfcht hatte. Schon ftanb bie ruffifche STlacht — um 
einen Vergleich bes Vijelönigs £otb ©urjon ju brauchen — am 
5ufje bes ©lacis bet mbifdjen Heftung, ©in Sturm auf fie felbft, 
eine ©roberung Snbiens burch ruffifche Iruppen mar tein blofser 
©raum, bie angefehenften Staatsmänner unb ©eneräfe ©nglanbs 
haben gahrjehntc lang fel>r entfthaft mit biefer ©efahr gerechnet. 

gj n gufammengehen ©nglanbs unb Kufjlanbs fchien ba- 
inrtrt. nials fchlechterbings unbentbar. 3n allen Sebensfragen ftöfjt 
bie ruffifche Sluslanbspoliti! auf ben SBiberftanb ©nglanbs. 2lm mei- 
ften in bet orientalifchen 5tage. Setannt ift Valmerftons Slus- 
fprucb, er molle mit niemanb über ©Iclitit reben, ber nicht bie 
91otmenbigteit ber ©rhaltung ber ©ürtei jugebe. Von bem ©runbfat) 
ausgehenb, baf) bie Unabhängigst bes Sultans ein Vebürfnis ©ng- 
lanbs fei, führte ©nglanb 1854 im Vunbe mitgranfreich benKrimtrieg, 
trat es 1878 f»anb in S>anb mit Oefterreich ben 3tuffen in ben 2Deg unb 
nötigte fie, auf alle prattifchen ©rfolge aus bem türtifchen Kriege ju 
perjichten; fcblofe es 1878 mit bem Sultan ben Vertrag, burch ben 
es ihm gegen Uebctlaffung bet 3nfel ©npern ben unoertürjten Vefig 
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(einet ajiatijchen Sanbet oerbürgte, förbertc es (pater feie Unab- 
hängigfeit Bulgariens gegenüber feer rujfifcben Bormunb(d)aft; 
begünftigte es lange bie beutfebe ruirtfcboftUctje Ausbreitung in bet 
Sürtei unb begrüßte es bas beut(<b-6fterreicf)ifcfje Sünbnis bei 
(einem Befanntwerben (1888) mit Subei. damals war es, bafj 
fiorfe Salisburp im eng!i(cf)en Oberbaus bie biblijef) gefärbten 
SBorte (pracb: „(ich habe bem $aufe eine frofje Sotfcljaft ju oer- 
tfinben, benn bet SBelt ift grofjes §eil teiberfaljten". (Es Hingt 
wie ein 335ärd)en aus uralten 8«it«n. 

gj eue Reibungen traten auf, als (Englanb nach bem 3er- 
,9 ® J liner Kongreß (einer Ausbreitung einen neuen (tarten Antrieb 

oerlieb, diesmal mar Afrita bas Siel- 9Rtt ber Sefetjung Aegpptens 
(4»uf es fiel) 1882 ein zweites 3nbien in pertleinertem Alafjftab, 1886 
tourfee Aigetia einoerleibt, 1888 Uganfea unb 9tf?obejia, 1800 Sanji- 
bar; 1899 — 1902 erfolgte bie gewaltfame Unterwerfung pon$tans- 
oaal unb bem Oranjeftaat. ©a fetjte es Spannung mit (frantreich, 
bas oor allem bie Jeftfetpmg (Englanbs in Aegppten mit 31eife betrach- 
tete unb auch in Sentralafrita feine eigenen 3Iäne in (frage geftellt (ab. 
Als nun (Jranfteich (ich mit Otufclanb petbanb, (cf>ien (ich bet engli(d)- 
ruffifche ©egenfai; auch auf 6en 3unbesgenoffen fees Säten ju 
übertragen. Aber auch ntit ®cut(cblanfe (teilten (ich jettf bie erften 
Sd>wicrigfeitcn ein. 3 m 3ahre 1884 hatte bas ®eutfcf>e Keicb 
feine erften lolonialen (Erwerbungen in Afrita unb in ber Sübfee 
polljogen, 1885 im SOiberfpruch gegen (Englanb für ben belgifchen 
Rongoftaat auf bet 3erliner Rplonialtonferenj bie Anertennung 
(Europas erroirtt. ©et 3ertrag oon 1890, bet bie Abgrenzung ber 
oft-afritanifchen Bedungen unb bie Abtretung Sfelgolanbs brachte, 
fchuf nur für futje 3*it Eintracht. Um bie OTitte bet neunjiget 
gahte war für (Englanb bereits ber Suftanb eingetreten, ben üorb 
Salisburp fpäter bie „glängenbe CEinfamfeit“ nannte: es hatte 
teine SKactjt mehr wirtlich für (ich unb bie meiften gegen (ich. 

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®ie bcutichc ©iplomatie hat ben gemeinfamen ©egen(at) 
'»stn-itns gegen (Englanb wicbcrhclt ju 3etfuchen benutzt, bie Span- 
nung jwifeben ©reibunb unb Stoeibunb ju löfen. ©iefen Sinn hatte 
$aUer, ®er Ursprung fct* Bkltfricg«. 3 33 


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bi« auffallenbe Tatfad>e, baf} ©eutfcblanb 1895 jufammenmit Sufj- 
lanb unb ftranfreicb bas über (Ebina fiegreicbe 3°pan jum 23 er- 
jicf>t auf Sort 21rlt>ur nötigte; ben gleichen ©bin hott* bas bent- 
wütbige Telegramm, mit bem Kaifet JBilbelm 1 1. ju 23eginn 6 es 
3af)tes 1896 nach bem ©iege bet Suren t>on TransDaai übet bie 
Truppen bcs ®r. 3<>mefon ben Stäfibenten Krüger baju beglüd- 
roünfcbtc, bafe es ihm gelungen fei, bie llnabhängigteit feines Sanbes 
ohne bie S)ilfe befreunbeter Staaten gegen einen räuberifchen lleber- 
fall ju febügen. Unoergeffen ift noch h el *le bie (Erregung, bie barob in 
(Englanb entftanb. (Eine (Englifche Leitung oerftieg fich bamals ju 
ber (Ertlärung, bas englifche Soll »erbe biefe ©epefche niemals 
oergeffen unb bei ber ©cftaltung feinet auswärtigen Solitif ftets 
baran benlen. Jüan ift beswegen oerfuegt, biefes Telegramm für 
einen 2Bcnbepunlt in ber ©efehiebte bet beutfeh-engüfehen Se- 
jiehungen ju holten. 2tber bie Leiter bet btiiifchen Solitit fcheinen 
es hoch halb oergeffen ju haben. Schon jtoei 3 a h te fpäter waren 
bie Scjiehungen ju ©eutfcgianb wiebet }o nahe, bag ein Sertrag 
juftanbetam, ber unter anberem bie Neutralität ©eutfcblanbs 
in bem beoorftehenben Kriege gegen bie Surenftaaten ausbebang. 
*n«w$»r $s ift in jenen 3at>ren noch oon ©röterem bie Sebe 
omtaa gewefen; ein förmliches Sünbnis würbe oon (Englanb 
bem beutfehen Seiche angetragen. Ob es richtig war, baf) es abge- 
lehnt würbe, ob hier nicht eine gtofje ©elcgenbeit oerfäumt worben 
ift, wirb man ohne Kenntnis ber näheren Umftänbe nicht ent- 
febeiben tonnen. Sooiel barf man aber boch fchon jetjt behaupten, 
baf; biefer Sünbnieantrag barauf ausging, bie Stacht ©eutfchlanbs 
für englifche 3*o«<*« ju benugen, unb jwar gegen Suf)lanb. 
stuUant am Sufjlanb hotte für feine Stifjerfolge om Saltan (Ent- 
D *'“ n fchäbigung in Oftafien ju fueben begonnen. ©ie lang- 
fame, friebliche Kolcnifation Sibiriens, feit 3ohth u oberten be- 
trieben, hotte 1858 jur (Eroberung bes Sanbes bis jum 2lmur 
geführt, ber 1860 bie ©inoerleibung auch bes legten £anb- 
ftreifens folgte, ber bos Seich noch oom Stillen Ojcan trennte. 
®ie Snlage bes S)afens mit bem oetbeigungsoollen Samen 
28Iabiwoft6t (Sehertfche ben Often) trönte ben (Erfolg unb 
bilbete jugleich ein Programm für bie gutunft. 21bet erft 1891 
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ging man batan, es gu erfüllen. ®ie ©ibiriicbe Eifenbalm, 
beten Sau bamals begann, ift wof>I in ihrer 21rt bas großartigfte 
Unternehmen aller Seilen. Soltsmirtjcbaftlicb jiemlid) wertlos, 
war fie politifd) oon ber allergrößten Bebeutung. Bladste fie bod> 
jum erften Rial eine bauembe Behauptung unb wirtliche Re- 
gierung biefer fernen öftlichen Sefißimgen möglich, bot aber 
zugleich auch bie Rlöglichteit für ihre Erweiterung. ®eren beburfte 
es allerbmgs fehr. ®er §afen oon SOIabiwoftöt, gu weit im 
Sorben gelegen, ift in einem großen Seile bes Jahres burch 
Eis gefdgoffen; man mußte alfo {üblichere ßüftenftriche gu erwerben 
fuchen. ®as eröffnete weite Rusfichten auf neue Eroberungen, 
ftaifer Ritolaus II., ber 1894 gut Regierung gelangte, war für 
biefe ®inge oon oomherein befonbers gugänglich infolge ber per- 
fönlichen Einbrücte, bie er als Shtonfolger auf feiner oftafiaiifchen 
Reife gewonnen hatte. Et hat oon ihr noch anbere Erinnerungen 
unb Rnbenten hergebracht als bie Rarbe oon bem (Säbelhieb 
eines japanifchen ’jßoligiften, bie ihn nötigt, bas §aar ftets forgfältig 
in bie Stirn getämmt gu tragen. Sem perfönlicher SJreunb unb 
Reifebegleiter, Jürft Uchtomsti, beftärtte ben ijerrfcher im gnterefje 
für Oftafien unb fuchte zugleich in ber Oeffentlichteit für fein 
Programm gu werben. 3n feinen „Briefen aus Sbma" (1901) 
weift er Rußlanb eine große Rliffion im fernen Often gu. Er fcheut 
fich nicht, oon einer Setfcbmelgung oon Ruffen unb Rlongolen gu 
Sprechen, bie fa fo nahe oerwanbt feien 1 Es ift gang unoertennbar, 
baß bie äußere Rifolaus' 1 1. lange unter bem Einfluß biefer 

(gehanten geftanben hat. 

3«ran Bisher hatte Rußlanb bei feinem Borbringen nach Often 
faum emfthaften ©iberftanb gefunben. 3eßt aber (teilte fid> ihm 
bie funge, aufftrebenbe Bladst Oapans entgegen, ®as ans SBunber- 
bare grengenbc ©chaufpiel bet rafchen Erhebung, bie biefes Heine 
unb arme üanb feit 1867 unb 1871 burchmachte, barf uns hier nicht 
befchäftigen. 3« nicht gang einem Rlenfchenalter war hier burch 
fabelhaft Schnelle unb gefehlte Aneignung europäischer 3ertig- 
teiten unb Staatsformen eine neue (Großmacht entftanben, bie bei 
aller gelehrigen Unierorbnung unter bie überlegene wefttiche 
SioUifation boch gang oon bem (glauben an bie eigene nationale 

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©röf;e uni) ihre Sutunft erfüllt ift. Slictjts ©eringeres jcbreibt fid> 
bet japanifche Eingeij ju als ben Seruf, bic Mongolen ganj Oft- 
afiens ju einigen, in einem reorganifierten Ehina bie Jiibrung ju 
übernehmen unb an ber Spitje ber oftafiatifdjen SBelt bie §errf<$aft 
im Stillen unb Ojean ju erwerben. „Afien ben Afiaten" 

ift bie £ofung; fie bebeutet in ©irtlichteit, bafc Afien ben Qapanem 
gehören foll. 

{für bie ruffifchen gutunftspläne wäre bies bas Eobesurteil 
geworben. (Sin ©rofjjapan hätte t>i«r nur eine zweite Auflage bes 
'Problems gefdjaffen, mit bem bas Sarenteich lief) in Europa feit 
3ahrhunberten plagte, Es hätte bie Strafe oon Korea ber ruffifchen 
Schiffahrt gefchloffen, wie bie Sürtei bie Qarbanellen fchiiefjt, unb 
bie Rüfte am Stillen Ojean mitfamt ABlabiwoftof wären ein noch 
wertlofeter Sefti) geworben als ber 3»gang jum Schwarjen Aleer 
oor Katharina 1 1. Son ber Alögtichteit weiterer Ausbreitung unb 
vorteilhafterer Erwerbungen war bann erft recht nicht mehr bie 
Siebe. So beginnt benn ber Ronflitt alsbalb. 1895 wirb {Japan 
genötigt, bas auf Roften Sbinao eroberte 'Port Arthur, ben erften 
(piat) auf bem {Jeftlanb bet Alanbfchurei, wieber ju räumen. 1896 
fchlie^t Aufjlanb einen ©eheimoertrag mit Ehina, h» bem es fich 
jur Serteibigung bes Aeicfies bet Alitte verpflichtet unb bafür bas 
Aed>t erhält, bie fibirifche Sahn burch bie chinefifche Alanbicburei 
ju führen unb auf ihr I ruppen ju beförbem. S>et Anfang jur 
ftieblichen Eroberung ber Alanbfchurei. 1897 folgt bie erjwungene 
Abtretung von ^3ort Arthur. ®et nächfte Schritt foll bie Unter- 
werfung Koreas fein. Als bie fibirifche Sahn im {Jahre 1901 eröffnet 
würbe, waren bie Sebmgungen für ben Erfolg günftig genug, 
engianb »nt Son biefen Sewegungen fühlte fich auch Englanb betrvf- 
*|LS5HÖ* fen. ®as Anwachfen bes Aivalen, feine neue, gewaltige 
*tic B Stellung am Aleltmeer, bie Ausfichten, bie fich >h m non 
ba aus auch gegenüber Ehina, ber Alongolei, Sentralafien boten, 
waren bebrohlich genug. Aeiften bie {Jrikhte her neueften ruffifchen 
Ausbehnungspolitit, bann war emftlich ju befürchten, bafj Englanbs 
SDeltmach t in abfehbarer Seit von ber ruffifchen überflügelt würbe. 3n 
biefen Sufammenhang gehört bas Sünbnisanerbieten, mit bem bie 
englifchen Staatsmänner uns beehrten. A)ir follten Aufolanb in 
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(Europa angreifen unb fcbmäcben, bamit es m Ufien jum 9?üctgug 
gegmungen fei. SDelrfjen Vorteil mir felbft baoon gehabt hätten, ift 
nicht befannt. Uber toie immer er geartet fein mochte, fo oiel [teilt 
hoch feft, bafs bem ®eutfd>en 9teid> h> et bi« ©olle eines Sauf buefeben 
ber englifeben Töeltpolitit gugemutet mürbe. Sas beutjehe i')eer 
follte ein englifebet Sanhstnecbtshaufc fein unb ber beutfetje Raifer 
ber Konbottiere bes Königs oon Snglanb. Unter biefem ©eficfitspuntt 
tann man oerftehen, bafj ber Untrag nicht angenommen mürbe. 

®a Snglanb bie ®ienfte ®eutfcblanbs nicht hoben tonnte, 
manbte es fich an ffapan. Ss hot bas ohne Smeifel nicht gern 
getan, beim gapan auf Roften 9?u§lanbs erhöhen, tnefi oom eng- 
lifchen Stanbpuntt aus ben ©oef gum ©ärtner machen. 2tuch auf 
fapanifcher Seite hatte man feine allgu große Suft, fich on Snglanb 
gu oertaufen. ®ie fingen fapanifchen Staatsmänner, beten Sache 
oiel meniger bas tübne 0ugreifcn als bie oorfichtige Schlauheit, oiel 
meniger bet Sturmangriff als bet ©Unentrieg ift, hotten eine 
friebliche ©erftänbigung mit ©ufelanb entfehieben liebet gefehen. 
Sie maten bereit, bem großen ©achbar bie nörblich« OTanbfchurei 
ju überlaffen; nur auf Korea tonnten fie nicht oergichten, meil 
©ufelanb im ©efitje biefer f>albmfel 0apan felbft gu nahe auf ben 
Seih gerüctt märe, ©erabe auf Korea aber hatte man in Petersburg 
ein Uuge gemotfen. Umfangreiche 9Balbfongeffionen, an benen ber 
taiferlich« ©igetönig Sllej-ejeo nebft einigen ©rofjfürften ftart 
intereffiert maren — nach anberen foll fogat bie taiferliche ©rioat- 
fchotulle beteiligt gemefen fein — gaben ben Uusfctilag, fo bafe 
bie japanifchen Unnäherungen abgemiefen mürben. ®ie JJolge 
mar ber Slbfchlufj bes japanifch-englifchen Sünbniffes im 3anuat 
1902 , bas brei 3 a h te fpöter auf 10 3 a h te oerlängert mürbe, unb 
ber Uusbruch bes ruffifch-japanifchen Krieges im 3onuar 1904 . 
St enbete nach einer Keibe oon ©ieberlagen ber ruffifcheti Urmee 
unb ©emichtung bet ruffifchen Kriegsflotte mit bem Jrieben oon 
Portsmouth im September 1905 . ©ufjlanb trat einen oollftänbigen 
©ücfjug an; es fügte fich * n bie ©äumung ber ©ianbfchurei unb 
ben ©ergicht auf Port Urthur unb Korea unb behielt nur noch 
fein Sigentumsrecht an ber manbjchurifchen Sttecfe ber fibirifchen 
Sifenbabn. ®ie Reibungen, bie baraus ermuebfen, mürben im 

37 



3abte 1910 beteiligt burch einen Vertrag, in bent fich ©uglanb unb 
gapan ju gememfamet wirtfcbaftlicbei Trfcbliegung bet ©lanbfchurei 
einigten. Somit bedte fiefj ©uglanb ben ©üden im Often unb er- 
hielt eben babutdj iciebet flanMungsftcibcit ht Turopa, weihrenb 
gapan feinerfeits bas lange fchon begehrte Korea ohne SBibcr- 
fpruch annettieren tonnte. Sie geinbe n>aten greunbe geworben, 
fo toie gapan es oor bem Krieg erftrebt batte. Sas alles hätte man 
auch bei «ns tcijfen tönnen unb beachten follen. Set beutjehen 
öffentlichen ©lehtung wären baburch bei Seginn bes Krieges manche 
grrtümer unb Tnttäufcbungen etfpari geblieben. 

6 

graniten Kehren wir jurüd ju jenen ganuartagen bes gahres 

aijurnb 1896, als Raifct Wilhelm II. fein Telegramm an 

18M Krüger richtete. Wenn es auch, ®le mir fahen, 
teineswegs richtig ift, bag biefes Telegramm ben ©ruch jwi- 
fchen Seutfchlanb unb Tnglanb berbeigeführt bat , fo tommt 
ihm barum boch bie Sebeutung eines Wcnbepunltes ju. Ts 
würbe erlaffen in ber ©orausfegung, bafs es Unterftütjung 
fhtben werbe an anberen Stellen, wo man bamals in Spannung 
mit Tnglanb lebte, t>or allem in grantreich. Sas erwies f«h als 
trügerifeb. Unmittelbar nach ©etamttwerben ber Sepefche lieg 
bie franjöfifche Regierung burch ihren Sotfdiafter in fionbon bie 
bentwürbige Trtlärung abgeben: man möge überjeugt fein, bag, 
folange ®Ifag-Sott?tmgen beutfeh fei, bas ftanäöfifche ©olt, was 
auch immer gcfchehen möge, in Seutfchlanb feinen beftänbigen, in 
jeber anberen ©lacht nur einen gelegentlichen Segnet fetjen werbe. 
Siefe Worte, bie in ©erlin nicht unbefannt blieben, wirtten ent- 
fcheibenb. Sie ©erfucfie bet ©erftänbigung unb Slntnüpfung, bie 
bis bagin oon beutfeher Seite gemacht waten, mugten enbgültig 
aufgegeben werben, ba grantreich (ich entfchloffen jeigte, feinen 
©achegebanten alle anberen ©üdfiegten unb gntereffen ju opfern, 
erleichtert würbe ihm bies burch bie Trtenntnis, bag in (Snglanb 
eine ftets wachfenbe Strömung oothanben war, bie bet franjöfifchen 
Sluffaffung entgegentam unb ebenfalls ben ^auptfeinb bes briti- 
fchen Weltreichs in Seutfchlanb erblidte. 

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Qngtanb unb als ob bie ftreije, bic fo backten, bie Jjercfcbaft 

»lut “nb,i‘ ©nglanbs übet £anb unb £eute tmrd) ®eutfchlanb bebroht 

geglaubt batten. So oielfad) and) bie Reibungen auf bem ©ebiete ber 
Kolonialpolitit gewefen fein mochten, fo ärgerlich man in £onbon übet 
bas Auftreten biefes neuen THitberoetbers bei ber Teilung ber Cfrbe 
mar, fo gab es bod) auf biefem ganjen Selbe nicht einen Vuntt, ber 
ju bauember unb ernfter ©egnerfcbaft ben Slnlafj hätte bilben fönnen. 
®ie Itrfacbe ber ©ntfrembung lag anberswo : in ber immer fchärferen 
u>irtfd)aftlicben Ronturrenj, bie ®eutfcl>Ianb bem britifd>en 9?eid> 
machte. Sie jeigte fidj juerft in ber gnbuftrie. Vod> um 1870 war 
©nglanb „bie SBertftatt ber SBelt", bas gnbuftrielanb f<hled)tbin. 
Sünf je^n 3at)te fpäter war bas fchon nicht mehr fo, ®eutfcblanb fdf>ot> 
fid) ihm mehr unb mehr an bie Seite. i)tute ift es in einigen ber 
wichtigften ^5robultionsju>eigc, wie ©ifen unb Stahl, längft über- 
holt unb in clettrifcher unb chemifcher Onbuftrie oöllig gcfcblagen. 
®as ftarte ® in bringen bcutfcber ©rjeugniffc auf ben englifchen 
TJlartt führte 1887 jum ®rlaf? bes ©efetjes, bas bei auswärtigen 
Bnbuftriewaren bie Eingabe bes Utfprungslanbes oorfchrieb. 
®urd> bie SUarfe „made in üermany“ follten bie beutfchen 
SUaren beim englifchen Räuferpublitum benunjiert, womöglich 
bogtottiert werben. ®er ©rfolg war ber umgetehrte. 3 n ber 
weiten SBelt, oor allem in ben englifchen Kolonien felbft, erfuhr 
man jetjt, woher bie ®htge flammten, bie man bisher aus 
©nglanb unb burcf) Vermittlung englijcber Kaufleute bezogen 
unb für englifche Strbeit gehalten hatte. SJn oielen Orten beeilte 
man fich nun, bie gewohnte SBare mit Umgehung bes englifchen 
Swifchenhanbels birett aus ®eutfchlanb ju belieben. ®as Sranb- 
mal war jut Keflame geworben, unb bie Solge war eine ftarte 
Sörberung bes beutfchen S)anbels auf Koften bes englifchen. 

SBie fehr fich bet beutfche SBelthanbel bem englifchen oon Saht 
ju 3aht näherte, ergeben ein paar 3al)len. 3'« 3“bt 1891 hatte 
ber gefamte englifche Stugenhanbel einen SBert oon 15 211 STlill. 
9Hart, ber beutfche einen folchen oon 8111 Sllill., alfo nur wenig 
über bie Hälfte. 1900 war bas Verhältnis 17 900 9KilI. ju 
11 080 Sllill., ®eutfchlanb hatte alfo fd>on faft jwei ®rittel ber 
englifchen ©efamtfumme erreicht. 1907 hatte ©nglanb 23 741 Sllill., 

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®eutf<hlanb 17 011, b. b- mehr als 2 / 3 uitb 1913 ijt ber Slbftanb 
noch (kincc : ©nglanb bol runb 28 STUIliatbcn, ®eutfcblanb 21,5, 
alfo übet */«• ®ie rafcb bie beutfeben fjortfebritte waren, geigt bie 
Satjache, bafj ®eutfd)lanb im 3ab l 1911 fchon ben spuntt überholt 
bat, auf bem ©nglanb ficb 10 Sabre früb«t befanb. ®as Silb wirb 
noch betebtet, wenn man fiebt, wie bie übrigen ftonturrenten bintet 
ben beib'en y>aupt(ämpfem gurüdbleiben. SJtanlreicb, in frübeten 
3abtbunberten bas etfte £anb, bis 1870 wenigftens bas gweite, 
ift auf ben pierien ‘fJlag berabgefunten, auch Pon ben Sereinigten 
Staaten immer weitet übetboit; unb immet größer witb bet 21b- 
ftanb, in bem ®eutfcblanb bie übrigen fiänber bintet fi<h läfjt, 
immer deiner bet anbete, um ben ©nglanb ibm noch POtaus ift. 
Sei ungeftörter natürlicher (Entwidlung muß balb bet Sag lommen, 
an bem es ©nglanb etteiebt, unb bet anbete, wo es ©nglanb übet- 
ttoffen hoben witb. 

®as ift einfache 9latumotwenbig(eit. ®eutf<blanb bat nun 
einmal bie oiel jablreicfjcte unb ftärtet anwaebfenbe Seoölterung. 
1913 waten es 68 Millionen gegenüber 47 Millionen im britifcf>cn 
OTutterlanb. ®et guwachs betrug in ®eutfcblanb früher jährlich 
1 2RiIIicn, in lebtet geit 850 000 Köpfe, in ©nglanb noch nicht bie 
§älfte baoon, nämlich 375 000. 3" ftüberen Seiten war biefet 
ftatte guwaebs bes beutfehen Solles auch ba gewefen, aber et war 
anbern £änbem jugutc getommen, weil et babeim (einen Soben 
• unb (eine Stauung fanb. 21 od; in ben 70et fahren betrug bie 
3abl bet 2luswanbeter bis ju 200 000 im 3 a bt. ®ie ©tünbung 
bes ®eutfcben Seiches, feine einheitliche, gielficbere Wirtfcbafts- 
politit beteiligten biefen traurigen guftanb. Wenn bas größere, 
ficb ftärtet oetmebtenbe 33oI( wirtfcbaftlich unb politifch gcfchloffen 
auftrat, wenn es feine Kräfte babeim befchäftigen unb für ficb 
felbft poll ausjunügen permochte, fo mufjtc es bei fonft gleichen 93et- 
bäitniffen mit bet 3«it bas Heinere Soll in bet Stiftung übertteffen. 
©s (ommt aber hier noch bagu, bafj bie ©nglänber, in bet bequemen 
Stellung einer unbeftrittenen Sorberrfcbaft, bie (einen emften 
Wettbewerb mehr ju fürchten bat, weniger gu arbeiten gewohnt 
waten als bie noch emporfttebenben ®eutfcben, unb bafj biefen 
neben bet befferen SoKsbilbung unb SoKserjiebung auch bie 
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I 



reichere Begabung unb größere Begfamfcit jugute tommt. Stimmt 
man ju allebem noch t>mju, bafo bet rafch« Suffchroung bes beut- 
fdjen SBirtfchaftslebcns noch leine jwei 97) enfd>en alter bauert, 
bafe ®eutfcf)lanö aifo mit oethältnismäfjig geringem Kapital arbeitet 
unb feine Stellung fid> erft fdjaffen muf), bafj es feinet ir>irtfcf>aft- 
lidjen Betätigung nirgenbs im Sfuslanb mit ben SKitteln ftaatlidjer 
97tad)t bie Stege ju öffnen permag, tuäbrenb Snglanb in feinen 
Kolonien — man bente nur an gnbien — ein natürliches Ueber- 
gemicht befitjt, unb bafj trotjbcm bas gefamte beutjebe Bollsoer- 
mögen ju Beginn biefes ffabres nach juoerläffiger Schälung bas 
altererbte Bermögen ©tglanbs fchon um ein Srtledliches übertrifft 
unb mit feinem fchnellen Stacbstum balb noch mehr übertreffen 
toirb, fo ift es nicht mehr jmeifelhaft, wo bie größeren toirtfehaft- 
lichen Kräfte fteefen '). ffajt mit mathematifcher Sicherheit lägt 
fich oorausfagen, bafj bei fernerem frieblichem SOettberoerb bie Sage 
ber englifchen Sllüberiegcnbeit im Stelttjanbel gejälgt finb. 

®ie tluge englifche (Sefcbäftsioelt h»t bas balb gewittert unb 
fchon feit ber STlitte ber 90er Bahre eine toachfenbe Unruhe ge- 
geigt. Spftematifch oerlegten bie Bntereffenten fich barauf, bie 
öffentliche 97!einung auf juregen unb gegen ®eutfd>Ianb aufjuhetjen. 
©ne ganje 9!eif)e oon Sagesblättem unb 3eitfchriften machte fich 
bies gut Slufgabe : 97!oming B°f*. Simes unb ®ailp 97iai(, National 
9?eoieto unb Saturbap Beoiew. fjür bie Stimmung, bie in biefen 
Kteifen betrete, ift ein Slrtifel bejeiebnenb, ber im September 
1897 in ber Saturbap Beoiew erfchien. Sjiet mürbe gum erften 
97lale ganj offen bie £ofung ausgegeben, man folle ben Konturren- 
ten totfchlagen, beoor er noch gefährlicher werbe. ®ie Störte finb 
noch he“*« toertooll, weil fie bie leiste Urfache bes gegenwärtigen 


1) Sach ben Berechnungen bes ®irettors ber ®cut)chcn Bant, ©r. pelffe- 
tich, betrug bas beutfehe Bationalpermögen im 3ahre 1911 etioa 310 Sliliiar- 
ben Start; 1895 waren es runb 200 Sliliiarben. Her guwachs betrug in letjter 
Seit etwa 10 Sliliiarben im 3ahr- Snbere finb ju erheblich höheren giffetn 
gelangt. 5Dir haben uns an bie rwrfiehtigfte Segnung. ®as englifche 
Bermögen wirb auf 230 bis 260 Stilliarben gefehlt. ®ie geringere Bolts- 
)ah> in Sngianb bewirb, bag bort ber Sinjeine im ®urchfchnitt reicher 
ift, 5100—5800 Start gegen 4650 Start in ®eutfchlanb. 

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Krieges entblößen: „©nglanb unb ©eutfchlanb wetteifern auf bet 
gangen ®tbe; überall, wo bet englifct>e Sfanbelsreifenbe bintommt, 
erfchemt auch bet beutfcfie unb nimmt ben Kampf auf. Ob eg gilt 
eine ©fcnbaljn gu bauen, ein Sergwert ausgubeuten, ben Singe' 
borenen gleifcf>lonfer»en anftatt bet Srotfrucht gu »erlaufen, 
hnmct fudjen bie beiben einanbet guoorgufommen. Ss ift eine 
Million »on Sabelftichen; fie fchaffen gufammen ben größten 
Kriegsfall, ben bie ©eit gefeben hat. 9Benn ©eutfchlanb morgen 
aug ber©ett »ertiigt wäre, fo gäbe eg übermorgen feinen önglänbet, 
bet nicht entfprecfienb reicher wäre. Mm eine Stabt ober einen 
Stbanfpruä) boten Söller jabtclang gefämpft; warum follen fie 
nicht um einen jährlichen ^anbelsgewinn »on 250 Millionen Sfunb 
Krieg führen?" ©ollten bie ©eutfcben (ich eiue ftlotte bauen, fo 
würben fie ben Schlag, bet fie träfe, nur fcbweret machen. ,,©ie 
Schiffe würben halb auf bem ©tunbe beg Meeres liegen, ober als 
^Jrif en in englifche Jfäfen eingebracht werben. Hamburg unb Sternen, 
ber Kielet Kanal unb bie Oftfeehäfen würben unter ben cnglifchen 
Kanonen liegen unb warten muffen, bis bie Sntfchäbigung feft- 
gefcigt wäre. ©enn wir bann fettig wären, tonnten wir gu ffrant- 
reich unb Sufelanb fagen: fucht euch Kompenfationen aus, nehmt 
euch oon ©eutfchlanb, was ihr wollt, ihr fönnt es haben. Germaniam 
esse delendam : Siebet mit ©eutfchlanb I" 

Soch heute mufj jebem ©eutfcben, bet biefe »on gpnifcbec 
Habgier eingegebenen, in mafelofe Stohlerei gctleibeten ©orte 
lieft, bas Slut in ©aliung geraten. Ratten fie fogleich gut Sat 
geführt, unfet aufblübenber Sjanbcl unb ©ohlftanb wäre fchon 
bamals, unb bann »ieileicht für immer vernichtet worben, ©enn 
er war fdmijlos; er lag ba »ot ber englifchen Kriegsflotte „wie 
Sutter »ot bem Meffer". 

®t, «„[*, ©ies crfamtt unb ben ©eg gut Sicherung alsbalb 
ÄU1 " befchritten gu hoben ift bas h»h e Serbienft Kaifer 
©ilhelms II., bas ihm bas beutfche Soll niemals »ergeffen 
wirb. Sben im 3af?re 1897, als bie englifchen ©efirmungen gum erften 
Mal einen fo ungefchmintten Slusbrud fanben, würbe bem bcutfchen 
Seichstag bas Sprogtamm gum allmählichen Sau einet Kriegsflotte 
erften Sanges »orgelegt unb feine Einnahme nicht ohne Mühe et- 
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reicht. ®rei 3al>te fpäter, als mährenb bes Sutenfriegs Me bru- 
tale ®urcbfuci)ung eines beutfcben Sleichspoftbampfers burch ein eng- 
lifcbes Striegsf cbiff ben meiteften Greifen in ®eutf<h(anb bie Slugen 
geöffnet batte, mürbe bas Programm ermeitert. Seine ®urd>füh- 
rung hot uns bie Jlotte gefchentt, mit ber mir brüte unter allen 
Seemächten ber SBelt an jmeiter Stelle fteljen, beten Säten bereits 
ben 9tuhm ber Segrünber non Snglanbs Seeherrfchaft oerbunleln 
unb auch unfern ©egnem Achtung emflöfjen. S0etd>en Sinn unb 
Smecf unfer 5I°ttenbau hotte unb einjig haben tonnte, mar fchon 
in ber begrünbenben ®enffcf>rift jum Jlottcngefch tlar unb be- 
fthnmt ausgefprochen: eine Seemacht jufchaffen, bie einen Singriff 
auf uns ju einem fo großen Stifito machte, baf) er beffer unterlaffen 
mürbe. Silit anbem SBorten: unfere Kriegsflotte hotte nur befen- 
fioe S3ebeutung, ju Slngriffsjmecten follte unb tonnte fie — felbft 
nach ber Sollenbung nur etma halb fo ftart mie bie englifche — 
niemals gebraucht merben. ®afc bem mirtlich fo fei, hat ein Staats- 
mann bes britifefjen Steiges, ber frühere Sltinifterpräfibent oon 
Kanaba, Sit SBüfrieb Saurier, noch im oergangenen 3 a hte be- 
ftätigt, inbem er bem Slntrag auf Sau oon Rriegsfchiffen für bas 
SHutterlanb mit bet Segrünbung entgegentrat, es fei nicht mahr, 
baf) ©nglanb butch bie beutfehen glottenbauten bebrobt merbe; 
®eutfchlanb brauche eine grofce Jlotte, meil es einen großen 
5)anbcl entmictelt höbe, ben es fd>üt;en müffe. 

«nsionM ®os hoben bie Süinifter ©nglanbs ebenfogut gemußt 
SunbMafi lt) j c ( c j ne übrigen oerantmortlichen unb unoerantmort- 
lichen Kolititer, fomeit fie überhoupt für Satfachen unb SBahr- 
heit noch zugänglich fmb. Sie mußten febr mobl, baft unfere 
fjlotte gar leine anbere Slufgabe hoben tonnte, als unferen 
Sjanbel gegen englifche Singriffe ju febiiben. SBenn fie trogbem 
bie SBelt mit bem ©efchrei über ®eutfchlanbs Singriffspläne erfüllt 
haben, fo legten fie ber SBahrheit, bie fie felbft am beften fannten, 
eine Silas te an, um bie Unmiffenben ju erfchrecfen. Sie tonnten 
nicht oethmbern, bafs h>< unb ba trotjbem bas mahre Slntlilj ihrer 
©ebanfen unb Slbfichten beroorfcbautc. ®as aber mar nichts an- 
betes, als baf; ©nglanb gerabe ben bemaffneten Schuh unferes 
machfenben fianbels nicht bulben mollte, meil eben biefer $anbel 

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itjm immer mehr ein ©orn im 2luge war, unb weil es bie Möglich- 
leit nicht preisgeben mochte, ihm bei gelegener Seit nad> bem Re- 
zepte bet Sarturbap Reoiew ein ©nbe ju machen. Warum hatte 
man benn bas SSorhanbenfem einer franzöfifctjen Kriegsflotte, fogar 
einer beträchtlich [tärteten als es bie beutfdte in ihren Anfängen war, 
nic^t als Sebrofiung Snglanbs auf gefaxt? Weil ber abnebmenbe 
Sin teil Jtatiftcidis am Welthanbel bem engtifchen ©efdiäft teine 
Seforgnis emflöfjte. So t^ätte and; bie beutfehe flotte ben 
Staatsmännern Snglanbs leine fchlaflofe Stacht bereitet, wäre feintet 
it>r niebt ber rafch anwachfenbe beutfebe Welttjanbel fid>tbar gewor- 
ben. Sarum war jebes neue Kriegsfchiff, bas auf einet beutfehen 
Werft gebaut würbe, eine Sebrobung Snglanbs; nidjt ber 3nfel, bie 
biefen Ramen führt, fonbern bes englifd)en Weltreichs, bas fich rühmt, 
bie Meere ju behertfehen, unb beffen breiteftes fjunbament bie ijert- 
febaft über bas Weltmeer unb ben Weitbanbel ift. ©iefe fierrfchaft 
aber bulbet, fo wie fie nun einmal oon ben Snglänbem felbft oer- 
ftanben wirb, fchlechterbmgs leinen Mitbewerber, nicht einmal einen 
Schwächeren, gefchweige benn einen, ber (ich }u gleicher ©rßfje aus- 
wachfen lönnte. Sie will allein unb ungeftört fein, leine Rüdjichten 
nehmen, alle tünftigen möglichen Rebenbufjfer oerbannen ober nie- 
berfchlagen, weil fie bas fehr beutliche unb fel>r begrünbete ©efühl 
hat, baf) fie, einmal übetwunben ober emfthaft gcfchwächt, für immer 
untergehen lönnte. $errfcherftolj unb ©efchäftsgeift reichen (ich bie 
Sjänbe in bem Slnfpruch, bafj Snglanb unb ©nglanb gang allein bas 
Meer beherrfche. 

©iefe ©enlweife ift gegenüber bem beutfehen fflottenbau fchon 
früh unb oft geäußert worben. Mit einer Mnoetblümtheit, bie nur 
in bet englifchen Spceffe möglich ift» bejeiebnete im Ottober 1904 bie 
amtliche „Slrmp unb Raop ©ajette" es als „unerträglich, bafj 
Qmglanb allein burch bas Bothanbenfein enter beutfehen flotte ge- 
zwungen werbe, SJorfiehtsmafjregeln ju treffen, beten es fonfi nicht 
bebürfen würbe“. Sbenfo offenherzig fprach im Februar 1905 
ein Unterftaatsfetretär bes Marineamtes, Slrthur £ee, fich bahin aus, 
man tnfiffe „mit Sorge, wenn auch nicht mit Slngft auf bie Rorbfee 
bliden“. Sr tnüpfte baran ben liebenswürbigen SSorjchlag, bie eng- 
lifche Kriegsflotte fei fo zu oerteilen, baf) bei Ausbruch eines Krieges 
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bie beutfch« glotte oemiditet wäre, ei;c bie ßriegsertlärung betannt 
würbe, fo baß bi« ®eutfcben «me» Sages beim Alorgentaffee in ber 
Seitung iefen fönnten, baß fie eine fflotte gehabt Ratten. 

Alan muß gefielen, baß biefe ®enfmeife an fict> folgerichtig 
mar unb baß fie auch ben alten Xieberlieferungen ber britifeben 
glolitit entfprad). Seit ©romtoells Seiten i;ut Snglanb ftets ben 
©runbfaß befolgt, ben Staat, ber feinem hanbel unb feiner Aus- 
breitung jut See am meiften im JBege n>ar, im Kriege ju über- 
tohtben. So batte man es juerft mit ffollanb, bann mit fjranlteicb 
gemacht. 3etjt mar ein neuer Aioale in ®eutfct)lanb erftanben, 
jetjt mußte nach englischen Gegriffen an ®eutf<blanb bie Aeibe 
tommen, niebergemorfen ju werben. ®aß ber Setfucb nicht längft 
unternommen mürbe, ift bem 33ortjanbenfein gemiffer Hemmungen 
jujufebreiben, bie erft allmählich übermunben toerben tonnten. 

fctmmunstn Am menigften, ja oielleicfjt gar nichts bebeuteten ba- 
bei bie Sympathien für ®eutfd>Ianb, bie in manchen Streifen 
bes englifeben SJoItes, oot allem unter ben Sntellettuellen, jweifel- 
los oorbanben fmb. ®enn biefe Rteije fmb bort in ber g3o!itit 
obllig einflußlos. Alebr bebeutete bie überlieferte Abneigung bet eng- 
lifeben ©efellfebaft gegen jeben Rrieg mit einet europäifeben Alacbt; 
am allermeiften bas gntereffe ber englifeben ©efebäftsmelt, bie in 
©eutfcblanb ihren beften, mit jebem 3abte äablungsfäbigeren 
Raufet unb ihren jmeitbeften, ebenfalls oon 3«b r i u 3abr leiftungs- 
fähigeren £ieferanten fab. ®ie Satfaebe, baß ®eutfcblanb unter 
ben ausmärtigen Staaten, naeb benen ©nglanb exportiert, an erfter 
Stelle ftebt, unb baß es als 3mport quelle nur oon ben bereinigten 
Staaten übertroffen mirb, baß alfo ber englifche fianbel am ©ebeißen 
bes beutfeben Ronturrenten im höchftcn Alaße intereffiert toar, 
bot uns lange Sabre hinbureb am mirtfamften gegen einen triege- 
rifeben Angriff oon ©nglanb gefebüßt '). 

1) ®ie 3®bl«n f>nb (eben oben 0. 28 in anbetcr Orbnung angegeben 
unb mögen hier bem 3a>c<t entfprccbcnb nochmals gruppiert toerben. 1912 
«»portierte Snglanb na<h ©cutfcflanb für 59 572 000 £, nach ben 93er- 
einigten Staaten für 64 637 000 £; 1913 ift bet ®»port nach ©eutfcblanb 
auf 60 573 000 £ geftiegen, ber nach ben 93ercinigten Staaten auf 59 563 000 £ 

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0u allebem tarn, bafj bie englifche ?3olitit, um eine offen femb- 
felige Stiftung gegen ®eutf<hlanb einjufdjlagen, ihre eingemurjel- 
ten Ueberlieferungen aufgeben unb fojufagcn ihr ganzes tmnbert- 
jäbrigcs Ronjept jetceifjen mufjte. ®afj ein Krieg gegen ®eutfd>- 
lanb o^ne fejtlänbifchc Sunbesgenoffen (eine Stusfichten bot, lag 
auf ber J)anb. ®ie (tat(e Sanbmacht mufete auch ju Sanbe über- 
tounben werben. 3" biefer Sage batte jidj Snglanb oon jeher allen 
feinen ©egnern unb 9?ioalen gegenüber befunben. 3mmer mar 
es, bei feinet eigenen militärifchen Schwäche, genötigt gewefen, 
feftlänbifctje Sunbesgenoffen anjumctben; ober, wie ber <f5remier- 
miniftcr 2Jr(t)ur Salfour 1905 es ausbrüdte: ©nglanb bebarf eines 
®egens auf bem Jcftlanb, ben cs nach belieben aus ber Scheibe 
Ziehen lann. 3" biefer 2öeifc tjatte es fid) in früheren Seiten Stont- 
reichs gegen Sfollanb, Oefterreichs gegen Jranfteicb, ‘Preufoens 
gegen Sconlteich unb Oefterreich, jule^t Stufjlanbs, ^reu^ens unb 
Oefterreicbs gegen Slapoleon bebient. ©egenüber bem neuen 
®euifchen 9?eid>c ftanb ihm Stonlreich jeben Stugenblid jur 93er- 
fügung, cs wartete ja fehnfücbtig auf ben 9?uf. aber fjumlteicb 
allein war ber Aufgabe nicht gewachfen, man mufete aifo fctmn 
feinen 93unbesgenoffcn, Slujjlanb, mit einftellen. ®as aber hibfh 
alles oerleugnen, was feit brei JKcnfdienaltem als feftftehcnber 
©runbjaij ber englifchen 98eltpoliti( gegolten hotte. 

7 

tu. jft bie Stage, ob bie oerantwortlichen Seiter ber 
englifchen 'politit ben 2Jlut ju biefem Schritt fo halb gefunben 
hätten ohne bie ftiüe aber mächtige <£inwirfung eines Saöors, 
ber nach bem offiziellen Staatsrecht Snglanbs eigentlich flot (einen 
©influf;, oielleicht nicht einmal eine eigene Meinung befitjen follte: 
bes Königs. 9ln ber oollftänbigen 953enbung, bie fi<h feit 93eginn bes 
3ahrhunberts in ber Haltung ©nglanbs gegenüber allen großen 
Stagen ber 98eltpoliti( oolljog, hoben oerfchiebene Kräfte unb 
mancherlei Perfonen mitgearbeitet, aber niemanb eifriger unb 

gefuntcn. importiert mürbe aus 5>cutfd>!anb 1912 für 70 048 000 £, 1913 
für 80 511 000 £, aus ben Bereinigten Staaten 1912 füt 134 579 000 £, 
1913 für 141 706 000 £. 

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erfolgreicher als König (Ebmarb VII. 2Bas biefen OTann mit 
ber ausgeprägten Setbrechematur, ber unfehlbar im Sucht- 
haus geenbet hätte, märe er nicht für ben $h ro Ti beftimmt ge- 
mefen — was ihn ju bem tonfequenten, unerbittlichen geinbe 
®eutfcplanbs gemacht hat, als ber et (ich balb not aller 9Belt offen- 
barte, foll hier nicht erörtert toerben. (Eingeweihte oetfichent, bajj 
bas Sebürfnis nach perfönlicher Rache an feinem taiferlichen 9leffen 
babei jum minbeften eine fehr grofje Rolle gefpielt habe. Sicher 
ift, baf) mit bem Regierungsantritt (Ebwarbs VII. eine neue (Epoche 
m ber englifchen ^ßolitif beginnt. ®ie 97!mifter, mit benen ber 
König es ju tun hat, fmb iebtoaebe (Epigonen. ®er erfahrene 971eijter 
in ber Kunft ber 97!enfci>enbehanblung hat es nicht fdjwer, fie ju 
Überreben, fobaf) fie nichts weiter fmb als feine SDerfjeuge. Ob bie 
Konferoatioen regieren ober bie Sibetalen, macht gar leinen Zlnter- 
fchieb. ®ie Ruslanbspolitit bleibt (ich gleich; fi« ifl bie ^Solitit bes 
Königs, unb ihr eigentlicher Vertreter ift ber ftänbige Reifebegleiter 
Sr. 971ajeftät, Sir ©hartes Sjarbinge, heute £orb Sjarbinge unb 
Sijetönig oon gnbien. 97! it ben (Sebanlen (Ebtoatbs VII. erfüllen 
(ich Slrthur Salfour, ber lonferoatioe Premier, unb fein Ruslanbs- 
tollege £orb fiansbowne, übrigens ber Sohn einer granjöjin. 
®iefelben ©ebanten übernimmt, ba jene im ®ejember 1905 geftürjt 
toerben, bas liberale Kabinet toie eine unumftöfjlicbe SÜahrbeit. 3a, 
bie liberalen 97!inifter als bie fwh*eren Köpfe unb f<hmä<heren 
Serfönlicbleiten fcheinen ber 97!acht ber töniglichen Suggeftion 
noch rüdhaltlofer perfallen. 9Bas Salfour unb £ansbomne begonnen, 
bas führen Slsquitl), ©rep unb $hurcf)UI mit oerboppeltem (Eifer 
fort. Sie alle finb mit ihrer ©eiftesarmut unb Mnwiffenheit wie 
leere Söpfe, bie ber König nach Selieben mit bem Staff ausfüllt, 
ber ihm gut büntt. £ängft ift ber Sjeyenmeifter tot, ber fie perjaubert 
hat, unb immer ftärler wirlen feine Sprüche, wirtt bas ©ift, bas 
er geftreut hat, bis bie Saat eines Soges blutig aufgeht. 

«itatoni, ©in Kmberfpiel war bie Rnhtüpfung mit grantreid>. 

Seit 1898 führte hier bie ©efchäfte ber auswärtigen 
Solitil ber 971ann, ber mehr als jeber anbete Slnfpruch barauf hat 
berSater bes jetjigen Krieges ju heißen: Sheophil ®elcafje. Son 
unfeheinbarem 9leuf;em unb wirtungslofer Rebe, aber eifrig, un- 


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cnnüMich unb oerfcblagen, erfcbeint ber ijeifeblutigc Süblönber 
— et jtammt aus IJamiers in bet ©ascogne — als bie gleifcb ge- 
worbene Ret>anchc-3bee; bereit alles ju tun unb alles ju halben, 
um ben Racbefrieg gegen ©eutfcftlanb betbcijufübten. 

*«!<*•*« Raum t>atte et fein Amt angetteten, fo tarn et in ben 5aU, 
feine ©efinnung ju erproben. ®ie mancherlei Reibungen unb 
Ronflittc, bie jtoifchen ©nglcrnb unb Sranfteid) auf bem ©ebiete 
bet Rolonialpolitit längft fpielten, führten bn September 1898 
ju einem fcbatfen 3ufammenftoft, als ©enetal Kitcftener oon Aegpp- 
ten aus, nach 93emid)tung bes Riahbi, ben Ril aufwärts rücfenb 
in bet ^Jrooinj fjoföoba eine franjöfifche ©tuppe unter einem 
5)auptmann Rlarchanb anttaf, bie oom Senegal h«rgetommen 
war unb bie ftanjofifcfte flagge gebiet batte. ®ie fcbtoffe Art, in 
bet bie ©nglänbet ben Rücfyug bet fjranjofen erjwangen, mar 
beleibigenb unb bie ©mpötung in 3 t<m ft c <<h begreiflich- ©inen 
Augenblict brobte bet Streit jum Kriege ju führen; fcb«n lag bie 
englifcb« flotte angtiffsbeteit im Kanal. Statt beffen tarnen im 
3anuat unb 923ätj 1899 Verträge juftanbe, m benen Stanfreich 
fitb bei Abgrcnjung feinet ©efitjungen in 3m»erafrita ben eng- 
lifcben Slnfprücben oollftänbig unterwarf. ®ie ftolgc bes Konflitts 
war eine unoettennbate Annäherung. ®as war bie erfte Sat 
®elcaff£s, bet oon nun an ein ftets toacbfenbes Anfehen in fjrantreicb 
in Sachen bet dufteren ^Solitil gewann. 

3bm reichte König ©btoarb bie S)anb. ©ie oothanbenen Rei- 
bungen unb ©egenfäfte follten aufgehoben, bie Sahn freigemacbt 
werben für ein einträchtiges 3ufmnmengeben auf bas gemeinfame 
Siel. Scfton 1903 war bet erfte Vertrag fettig, in bem ftranfreicb 
unb ©nglanb übereintamen, alle ihre Streitigfeiten einem Schiebs- 
geticht ju unterbteiten. ©in 3 a h c fpäter reifte bie colle 5 rucht, 
bas Abtommen, bas alle fchwebenben fragen regelte, alle ftreitigen 
©tenjen orbnete (8. April 1904). ®as 2Dicf>tigftc barin war, baft 
3tanfreich bie leftten ©mwenbungen gegen bie Stellung ®ng- 
lanbs in Aegppten fallen lieft unb bafüt bie ©rlaubnis erhielt, 
Rlarotto fich anjueignen. Später hat man erfahren, baft bereits 
bamals bie englifcfte Regierung jugefagt b a *> Sranfreicb bei 
einem Kriege gegen ©eutfcftlanb mit bewaffneter Rlacftt ju 
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unterftütjen. ®as ©anje nannte fict? Entente cordialc, herzliches 
©irmemehmen; alfo bet Jorm nach meniger als ein Sünbnis 
— ein f olctjes hätte nach englifchen ©emobnheiten nicht geheim 
bleiben tönnen — m SBirtlichteit aber mehr. 

3 uiitn ©chon beoot biefet Vertrag juftanbegetommen, hotte 
bie beginnenbe englifch-franjöfifche Smtracht einen Srfolg auf 
Roften ©eutfchlanbs ju oerjeicfmcn gehabt: 3talien war ihm ent- 
frembet unb im Stillen auf bie anbete Seite hinübetgcjogen motben. 
3m Oahte 1901 mar hier ber (»genannte ©teibunb mit ©eutfchlanb 
unb Oefterreich toieber auf bie üblichen 10 3at>te oerlängert toocben. 
9lber bie 2lrt, mie erft ®elcaff£ in ber franjöfifd>en, bann ber bama- 
lige italienifche Sluslanbsminifter ^rinetti in ber rdmifchen Slgeorb- 
nctentammer barüber fprachen, bemies jur ©enüge, bafj bas Sünbnis 
nicht mehr ben alten SBert, oielleictjt nicht einmal mehr ben alten 
SSortlaut hotte. „$>as beutfch-italienifche Sünbnis richtet (ich 
roeber birett noch mbirett gegen grantreich“ Heft fich Herr ®elcaffe 
oemehmen, unb §etr ^3rinetti refponbierte im gleichen Ton: „5>er 
•Steibunb hinbett uns nicht, mit anbem 9Häd)ten Setträge ju 
fchliefjen, er hot auch nichts Slggreffioes gegen grantreich unb fann 
folglich iem Jjinbernis für bie Schaltung unb gortentmidlung 
betjlicbcr Sejiehungen ju gtaliens latemifchem Scbioefteroolt fein. 
Sin bem Sage, an bem bie beiben OTäcbtc bie gragen einer grünb- 
lichen Seüfung unterjogen, bie fie im Slittelmeer ju trennen 
fchienen, tarnen fie ju ber Ueberjeugung, baf} ihre 3ntereffen leicht 
ju oeteinigen feien." 2Bas biefe SBorte bebrüteten, hot man injtoi- 
fchen erfahren. 3talien hotte enbgültig feine Hoffnungen auf 
Tunis aufgegeben, unb mar bafür bureb bie (Erlaubnis jur Erobe- 
rung oon Tripolis entfehäbigt morben, bie es freilich erft 1911 
ausjuführen ©elegenheit fanb. Ob bies ein amtlicher Ausgleich 
ber gntereffen, ob es für 3talien nicht nur ein Trintgelb mar, 
mögen bie gtaliener für fich ausmachen. Sie tönnen felbft nicht 
glauben, bafe ber bürftige Rüftenftrich in bem entfernten Tripolis 
einen Srfaij biete für bas £anb, bas im Slltertum erft bet Soben 
bet ©roftmacht Rarthago, bann bie Romfammer Soms mar; bas 
nur einige Stunben oon ber Sübmeftfpit;e Siziliens entfernt ift; 
bas feit langem bas 8>el einer lebhaften italienifchen Slusmanbe- 

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ftallcr, trr Urfprung bc« Bclttrlrgi. 



tung bittet unb tton Rechtswegen eine italienifcbe Kolonie unter 
franjbfifcber S)errf<baft beiden müfjte ; beffen Kriegsbafen Siferta 
jum Ueberfluf; bie ftanjöfifcbe gcftungstette oerantect, bie oon 
Sttulon übet Äorfita laufenb bie SBefttfifte Italiens umfpannt 
Sicher ift fooiel, bafj feit 1902 Stontreicb wiebet mehr unb mebt bie 
politifcbe 93ormacbt Italiens würbe, wie es feine geiftige Sormacbt 
oon jeher gewefen war. 

mantro ®as follte fi<b balb jeigen. Als ®eutfcf)lanb ben Schlag 
wi ju etwibem unternahm, ben bet englifcb-ftanj6fifcbe Ver- 
trag ibm unb feinen ftarfen, butcb ftübete ©ertrage gefcbü^ten 
wirtschaftlichen gntereffen in Rlarotlo jufügte, als Kaifet 9Bill>elm 1 1. 
hn Rlärj 1905 in Sänget lanbete unb butcb fein Setbalten beutlicb 
ju oerfteben gab, bafj er bie Unabbängigteit bes £anbes auch weiterbin 
anertcnne, ba brach jwat in bem oßllig ungetüfteten Srantteicb 
junäcbft eine ‘panit aus, unb bas Rlinifterium beeilte ficb, ben 
Kollegen ©elcaffh, bet bas £anb in biefe Rtifis geftütjt batte, 
ausjufcbiffen. SJenn irgenbwo, fo ift btet bet ebtlicbe 28ille 5>eutfcb- 
lanbs pm Stieben bcnbgreiflicb bewiefen worben, gälten wir bie 
Slbficbt, über unfete Racbbam betjufaUen, bie man uns anbicbtct, 
wirtlich gehabt, niemals wäre bie ©elegenbeit baju günftiget ge- 
wefen, ba Stanlreicb nicht oorbereitet, Rufjlanb noch oom japa- 
nifcben Kriege angegriffen unb butcb hie Resolution im 3nnem ge- 
lähmt war. Aber bie Regierung .ftaifcr AMIbclms II. wollte es 
wegen Rtarotto nicht jum Kriege tommen laffen; fie begnügte ficb 
mit einer Regelung ber Stage burcb eine internationale Konferenz 
Unb ba erlebte man bas Scbaufpiel, baf; bei ber Abftimmung über bie 
wicbtigfte Stage ©eutfcblanb unb Oefterreicb-Ungam allein blieben, 
wäbrenb Italien ficb auf hie Seite Snglanbs unb Stantreicbs fteltte. 

®ie Konferenj oon Algcciras bot aber noch ein onbetes 
Scbaufpiel, bas ebenfo neu unb nur noch siel bebcutfamer war: 
ba auch Rufjlanb ficb hen betten 28eftmäcbten anfcblofj, trat 
jum erften Riale bet Sali ein, baf; Snglanb unb Rufjlanb in einer 
europäifcben Angelegenheit jufammengmgen. 
emim*.nini(*fr ®s hätte ein oeremjelter Sali fein tönnen, aber es 
ecttras i««7 mat Anfang eines neuen Spftems. Schon ein 
Saht fpäter (1907) war ein ©ertrag fertig, ber alle fcbwebcnben 
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■■ 




■luiuuuutiuuui 




®ifferengen gwifctjen ben beiben OTächten in 21fien aus bem SDege 
räumen follte. 3Bas baoon betannt würbe, betraf Setficn. 3n bem 
politifcf) pertommenen fianbe batte Sufrlanb längft nach ber i)crrjcbaft 
getrachtet, Snglanb ihm wie überall wiberftrebt, getreu feinem ©runb- 
fatj, Kuflanb in Stfien nicht noch ftärter werben gu laffen unb ihm 
ben SBeg nach bem gnbifchen Ogean gu fperren. ®as gab man jet|t 
auf unb begnügte fich mit einer Seilung bes fianbes, bergeftalt, bafe 
bet Sorben Sufjlanb, ber Süben ©nglanb gufallen, bie Slitte unab- 
hängig bleiben follte. Renner bes Lanbes ertlärten fofort, bafj 
bei biefem ©efdjäft ber Löwenanteil Suftlanb gugef allen fei. ©s 
betam nicht nur bas oiel größere ©ebict, fonbem auch t>as rnert- 
oollere (305 000 englifche Quabratmeilen mit 0,9 91UU. Sewohnem 
unb 6. 9RiII. 91larl Steuerertrag, gegen übet 137 000 Quabratmeilen 
mit 690000 Sewohnem unb 1 OTill. Slart Steuern), beffen 
Sefitf ihm mit ber Seit gang Serficn unterwerfen mufjte. So ift 
es benn auch getommen. Sinnen turgem waren bie Suffen fetten 
ber perfifchen Regierung, unb önglanb muffe gufchen, wie ber 
ruffifche Sjanbel in Serfien ben englifchen mit Siefenfehritten über- 
holte ’)• 

itiiuno b« 9Bas bie Oeffentlichteit oon bem Inhalt bes ruffifch* 
IOt, ' t englifchen Sertrags erfuhr, war inbes nur ein Seil unb 
bei weitem nicht ber wichtigfte. ®ie ©inigung über bis bahin ftrei- 
tige mnerafiatifebe fragen hatte, wie fich halb geigen follte, nur 
ben Soben ebnen follen für ein gemeinfames Sorgehen beiber 
Släcbtc an einer anbem Stelle. 21m 9. 3uni 1908 taufchten 3ar 
Sitolaus unb Rönig ©bwarb bei einer Segegnung oor Seoal an- 
beutungsreiche Sifchreben, bie in emgeweihten Greifen fofort oer- 
ftanben würben. Ss banbelte fich »m ben Slan einer 21ufteilung 
ber Sürtei, gu bem ©nglanb unb Suglanb (ich geeinigt hatten. 
2Bas Sitolaus 1. fchon im Saht 1853 oergeblich erftrebt hatte, als 
et bem englifchen Sotfchafter oorfcblug, man wolle für bas Leichen- 
begängnis bes fterbenben tränten 2Rannes forgen, bas war nun 
gelungen, ©nglanb hatte einen weiteten ©runbfatf feiner 20elt- 
1) 1912/3 bejiffert fid> ber ruff ifct>-pcrfif ^anbclsocrletjr in Sirt- 
unb Ausfuhr jufammen auf 12,6 9HiII. £, ber englifcbe auf 4,1 9!lill., jener 
oertjiclt fitfe alfo gu biefem tnie 3: 1. 1901/2 mar bas Verhältnis 4:3 getoefen. 

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politif geopfert, indem es die Xüttei fallen lieg und fid> begnügte, 
aus intern Untergang feinen Sorteil ju jiegen. 

Sie Seiten waren allerdings Darüber, wo England in der 

g n j C g r j tä j un j, jjnob^ängigteit des türtifegen Reiches fein 
eigenes JJntereffe fag. ©inen dauernden ©egenfag gatte juetft die 
englifege Sejigergreifung oon 21egppten im Sabre 1882 gefegaffen. 
©enn obwohl eine wirtliche Sjerrfcgaft des Sultans am Stil längft 
nicht mehr beftanden hotte, fo waren hoch andere Sejiegungen 
nationaler und religibfer 21rt ftets lebendig geblieben, und noch 1877 
im Kriege gegen Rugland hotten ägpptifcge Gruppen unter den 
f^agnen des türtifchcn Sultans gefämpft. ©as alles hört« oon 
felbft auf oder war doch seftört, wenn Engländer in Regppten re- 
gierten. ©s tarn aber noch anderes und ©tögeres binju. 

0n früheren Seiten toat es ©rundfag der britifchen ©toberungs- 
politit gewefen, oothandene wichtige Sertegrsftragen der eigenen 
SJerrfcgaft ju unterwerfen, ©ie technifchen TRittel der Scujeit 
erlaubten es, biefen Sag umjutegren: Sertegrsftragen ju fegaffen, 
die die ©robetung eröffnen und fördern. 
üaf.Raire* ®eib 20 Sagten fegon war die 3BeIt mit dem granbiofen 
«aitmta cp Ian e j nct ©urcbquetung Slfritas oon Süd nach Rotb oer- 
traut. ©ie Sagn oom Rap naeg Kairo, die natürlich ganj in eng- 
lifcgem Seftg fein und nur durch englifcges Sand fügten mügte, 
follte Stfrifa ju einem englifcgen Kontinent maegen, an deffen nörd- 
lichen und weftlicgen Rügen die Kolonien anderer OTäcgte eben noeg 
geduldet fein würden. Socg war oon der Slusfügrung niegt ernftgaft 
die Rebe, aber fegon fegweifte die welterobernde ^Sganiafie engli- 
feger Ingenieure und Kolititer weiter. 2ln die Stnie oom Rap nach 
Raito follte fieg eine zweite anfcgliegen, die oon Rairo naeg ©amas- 
tus oder Seirut, oon dort über Salmrjra naeg Sagbad fügten und 
oon gier aus igre Jortfegung durch Südperfien naeg Oftindien 
ergaften würde, um in Raltutta gu münden. 2lucg gier follte die 
Serlegrsftrage jur Unterwerfung der oon igt duregjogenen Sander 
fügten. Ramen beide Sinien juganbe, fo war der Snbifcge Ojean 
oon der Spige Südafritas bis gut Strage oon Slalaffa und bis naeg 
Stugralien' oon einet Rette britifeger Sefigungen umgeben, ein 
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englisches Meer. 2lls §inbemifje (teilten ficf) in ben 2Beg einmal 
bie füboftafrilanifdjen Befilmungen bes beutfdsen Keicbes unb ber 
belgifctse Rongoftaat, bie ben Keifen britifcber Sjerrfd/aft in Sentral- 
afrita in unangenehmer JDeifc unterbrachen; fobann bie tflrfifcfje 
f)errfchaft in Sprien, Arabien unb Mefopotamien. Sollenbs ba(j 
feit 1902 bie Sürlci mit beutfchem (Selbe bie Sahn oon Ronftanti- 
nopel nach Sagbab nebft ihren Thisläufem nach ©prien unb Strabien 
baute, mar eine empfinbliche Störung ber britifchen jprojette. 
Sin jolches Sifenbatpineb biente mehr noch als jür mirtfcbaftlicben 
Stfcblicjjung bes fianbes jur abmini ftratioen unb militärifchen 
(Jeftigung bes türtifchen Seiches. Sine türtifche Mobilmachung 
betam erft bann einen rechten Sinn, trenn bie abgelegenen (üblichen 
Srooinjen mit bem Remlanb ftleinafien unb bet $aupt(tabt burch 
mobeme Serlehrstoege oerbunben mären. Deutfcplanb unb bie 
Sürtei al(o (teilten (ich brr Hnterroerfung bes (üböftlichen Siertels 
bet Srbtugel unter englifche Sjerrfdjaft in ben 2Beg. 
enjiann ®'< 9 ertlärt, baf) in ben Sejiehungen Snglanbs jur Sürtei 
»ottrtu b ern neuen 3ahrhiinbert eine mertbare Betänberung 
eintrat. Der Settrag oon 1878, burch ben Sngtanb bem Sultan 
ferne afiatifchen Bedungen oerbürgte, entfprach nicht mehr bet 
Sage ber Dinge. Tiber oon ba bis jum engliicb-ruffifcben leilungs- 
plan oon 1907/8 ift hoch ein meiter SBeg. 3n früheren Seiten hotte 
Sngtanb fein 3*el ju erreichen gefucftt unb auch oerftanben ohne 
ftembe §ilfe unb ohne bah anbere babei profitierten. 9lm roenigften 
hätte es eine Sergröjjerung Kufelanbs auf Roften bet Sürtei ju- 
gelaffen, bie ba§u führte, bah Snglanb unb Kufjlanb auf meite 
Streifen eine gemeinfame ©renje betamen. Die britifchen Staats- 
männer oon 1907 fchrectten baoor nicht mehr jutüd. 2Bie ber 
Xeilungsplan im einzelnen lautete, ift ©eheimnis. Ss fcheint 
jeboch — bie gegebenen Serhältniffe laffen bas auch einleuchtenb 
erfcheinen — bah Sngtanb ju Sübperfien noch Mefopotamien 
unb Tlrabien, Kufjlanb bie öftliche Hälfte Rleinafiens befomme, 
Armenien unb Rurbiftan, hier alfo an bas Snglanb oorbetmltene 
Mefopotamien grenjen feilte. Ss liegt auf ber S)anb, bah auc h bei 
biefem Sion, genau roie bei ber Teilung Setfiens, Kufjlanb bas 
gröbere £os jieben mürbe. Die ©ebiete, bie ihm jugebacht maren, 

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bilben bie natürliche (fortfegung ruffifcger Territorien unb mären 
mit leichter Alübe ju beferen unb ju behaupten. 9E0as (Englanb 
betommcn follte, waten gutunftswertc, beten SDerwirtiichung unge- 
heuren Aufmanb an Arbeit unb Kapital erforberte unb (eicht auf 
ftarte SDiberftänbe an Ort unb Steile ftogen tonnte. 

«uikiHn Mt ®et Anfiog jut Aufteilung bet Tütfei follte gegeben werben 
»oitonttajr 5 utc b SlufroUung ber Salfanfrage. Sie hatte währenb bet 
gagre, wo Auglanb feinen oftafiatifchen Plänen nachging, oor bet Oef- 
fentlichfeii geruht. gn ber Stille freilich hott« bie ruffifche Diplomatie 
eifrig unb wirlfam gearbeitet, gn Serbien war burch bie Srmor- 
bung bes Stönigspaars unb bie Erhebung ber Dpnaftie Katageorgewic 
bet ruffifche (Einflug htettfchcw® geworben (1903). 3n Bulgarien 
hatte gürjt fterbmanb, um fich ju befeftigen, feine Ausfögnung mit 
9tuglanb oolljogeri. Aber pofitioer ©cwinn war baraus noch nicht 
erwachfen. Slun follten bie fruchte gepflüctt werben. Durch Auf- 
teilung auch ber europätfcgen (prooinjen ber Türtei unter bie 
Satfanftaaten follte bie türtifche Alacgt octfchwinben, unb Auglanb 
hätte als Sefcgüget ber oerbünbeten Saltanoöiter enblich bas Siel 
erreicht, nach bem es feit Katharina 1 1. fo eifrig ftrebte. Daju bot 
(Englanb bie Sjanöl 

fttgianH »<- älls um bie SBenbe bes gahrhunberts oon einem möglichen 
»u^unb 93ünbnis jtotfcgen (Englanb unb Deutfchlanb bie Kebe war, 
tat gofepb (Egambetlain einmal ben berühmten Ausfpruch: wer mit 
bem Teufel effen wolle, müffe einen langen Söffel haben, gn ihren 
Abmachungen mit Auglanb hotten bie englifchen Alinifter fich in 
ber Tat mit bem Teufel ju Tifche gefegt. Ob fie wirtlich überzeugt 
waten, bag bet Söffel, ben fie führten, lang genug fei? 93or bet 
Oeffentlichfeit gaben fie fich ben Anfchein, als fei bie $auptgefagr, 
bie früher oon Auglanb gebrogt hatte, oerfchwunben, bie Alöglicg- 
fett nämlich eines tuffifchcn Angriffs auf gnbien. gn Auglanb 
felbft, meinte 2orb Tutjon, bet frühere 35ijefönig bes Sanbes, 
bäcgien jegt nur noch 'spgantaften an ehre (Eroberung gnbiens. 
Aücgteme (Erwägung hätte ben gocgeblen Sorb wie jebetmann 
baoon überzeugen tönnen, bag Auglanb allenfalls wog! auf (Erobe- 
rung oon gnbien, aber niemals auf einen Sugang jum (fterfifcgen 
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Süeerbufen unb gnbifchen OTeet oerjichten werbe, unb jwar um 
fo weniger, je weiter es fübwärts ootbränge, tt>eil es I^ier wie 
überall bei feinen Eroberungen auf bet 3agb nach ber Küfte nicht 
haltmacben tann, ehe bas 3iel erreicht ift. Eine etwas beffere 
Kenntnis ber ©efchtte, als englifche Kolititer fie befitjen, lehrt 
überbies, bafj Tllcfopotamicn ju allen Seiten, fobalb es bie CSrenje 
jwifchen ftarten 7Jlcid>ten bilbete, ber 3antapfel ber 9?a<hbam in 
Slorb unb Süb, ffleft unb Oft getoefen ift. Ein Slid auf bie Karte 
enblich jerftreut jeben 3®eifel barüber, bafj auch 9?ufjlanb, einmal 
J)err im öftlichen Klemafien, alsbalb ben 9Beg nach OTefopotamien 
emfchlagen würbe, bem Saufe bes Euphrat folgenb, ber in Armenien 
entfprmgt. ®ufj es non Armenien aus, ganj wie oor 3at>rhun- 
bertcn bas altarmenifche 9?eich, ben nächften 3ugang jum mittel* 
länbifcben THeer im öolf oon Tlleyanbrette finben würbe, barüber 
bat obnebin nie ein 3®eifel beftanben. 

Titan foll oon niemanb mehr oerlangen, als er geben lann, 
unb au<b oon engfifchen OTiniftern nicht Kenntniffe unb ©ebanfen 
forbem, bie fie nun einmal nach ben Slnfchauungen ihres Sanbes 
nicht nötig haben. 2lber auch ein englifcher Kolititer, wenn et fich 
anheifchig macht, auswärtige ©efchäfte ju führen, mufjte aus bet 
biplomatifchen ©cfcf>icf>te ber lebten (mnbert .fahre wiffen, bafj 
9?ufjlanb fich an Verträge noch niemals gebunben hat unb niemals 
bmben wirb. 5>arum war es oom englifcben Stanbpunft aus unter 
allen Umftänben äufjerft gewagt, bem ruffifchen Machbar Stellungen 
emjuräumen, bie ihn jum SDeitergehen förmlich harausforberten, 
unb ihm lein anberes SJmbemis in ben 2Beg ju (teilen als betrie- 
benes Rapier unb geheime 93erabrebungen. ®te Erfahrung hat bas 
ja feitbem auch beftätigt, unb Sir Ebwarb ©rep, ber bie Verträge 
oon 1907 untcrfchrieb, hat in oertrautem ©efpräcb fein §ebl baraus 
gemacht, bafj ihm feine ©ejiehungen ju 9?ufjlanb manche Sorge 
bereiteten, weil bie 9tuffen einfach nicht Töort halten. 
en 9 iant« ®ie SBahrheit ift, bafj biefes neue 33erttagsoerhältnis in 
Kbbantunfl jeb>cc 33ejiebung höchft unnatürlich war, unb bafj es um 
feiner felbft willen niemals gefcbloffen worben wäre. OTöglict) war es 
überhaupt nur, weil in Snglanb unter bem Einflufj ber gefchäftsneibi- 
fchen sprejjbctjc auf ber einen, ber Ueberrebungen König Ebwarbs 

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auf ber anbem Seit« bie 3nfid)t yut i>ctcid>aft tarn, baf? jut Seit 
Seutfdjlanb eine gtöfjere ©efahr für bas britifebe 9?cich bebeute als 
felbft Kujjtanb. 2Ber nähet jufiefjt, ertennt balb, bafj bies alles, 
com Gtanbpuntt britifeber ^Überlieferungen betrautet, nichts 
anberes ift als eine Sibbantung. 23 is jum 3abr 1907 roat es oberfter 
©laubensfaij bet englifeben 93olitif gewefen, bic anbeten 921ä$te 
gegeneinanber ausjufpiclcn, um felbft bie Sjerrfcbaft über afle ju 
behaupten. Sicfer ©ag mar aufgegeben, ©tatt feiner bequemte 
man fich ju bec (Emficht, bafj es nötig fei, oor einem ber beiben 
9?ioalcn jurüctjumcichcn, um feine S)ilfe gegen ben anbem ju 
erlaufen. Sie Jcage tnat nur, für wen man fi<b entfdjeibcn feile, 
ob für ben, ber bas Sleich mit (Eroberungen bebtoljte, ober für ben, ber 
im frieblidten Wettbewerb gefährlich roat. 

W ®rtn»nj* 5licf?t an einem Sage ift es gelungen, bie öffentliche 
£r '»{?? Meinung ©nglanbs für bas 3ufammengel>en mit bem 

wmfibttr“ alten (Erbfeinb lirte ju machen. Sjier ift es, wo bie 
fünfte (Sbwarbs VII. ihren Sriumph feierten. 211it teuflifebem ©efcfiid 
oerftanb er, bec boch nichts anberes als Krieg unb (Eroberung hn 
SkhM& e führte» fich ber ^ricberrsibee ju bemächtigen unb jie für 
feine 3n>ecte ausjunutjen. Saburch tourbe er, über beffen moralifche 
(Eigcnfcbaften niemanb im Sweifel toar, bem englifche Seitungen 
früher einmal nahegelegt hotten, auf bie Krone ju oerjichten, 
binnen lurjem ber Abgott ber frommen (Englänber, ja oielleicht 
bet popufärfte König, ben (Englanb feit 37lenfchengebenlen ge- 
fehen hatte. Sem englifeben l'liiüftei- wufjte man einjureben, 
bet Weltfriebe fei burch Seutfchlanb bebroht unb werbe nur 
butcb bie angeftrengten Semübungen bes eigenen Königs ge- 
rettet. Sas waren bie Sabre, wo ein englifeber llnterftaatsfetre- 
tär bes SRarineamts bie breifte Sebauptung aufftellcn tonnte, 
bie einjige emfte Sebrohung bes fjriebens f e j — bie beutfehe fjlotte 
(1904). 9Rit allen SUitteln einet oöllig ftrupellofen qjre^agitation 
würben biefe SJocftellungen täglich unb ftünblich bem naioen eng- 
lifchen Seitungslefer eingeflöfjt. Sas fyauptoerbienft erwarb fich 
babei ein gewiffer fjarmsmortb, bet ©tünber bet jehmierigen SHafjen- 
blätter Sailp 915ail, Soening Sietes unb Sailp SHirror, ber fpäter auch 
bie Simes erwarb unb mit benSRethoben feines ganj amerifanifchen 
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Betriebes nad> unb nach bie gefamte Heinere Brot>in<)prejfe unter 
feine Botmäfjigteit brachte. ®ie Regierung t>at feine hoben pater- 
länbifdjen Berbienfte 1905 burd) feine Strebung jum £orb Slortbdiffe 
belohnt. Bei bem ungeheuren Sinfluf), ben bie englifdte Brcffc unb 
ihr meltumfpannenber Slachrichtenbienft in allen £änbem befitjen, 
unb bei bem Sifer, mit bem ihr oon führenben Blättern in Boris 
unb Betersburg fetunbiert tourbe, mar es nicht fdjtper, auch > m Bus- 
lanb bie £egenbe jur J)errf<haft ju bringen, ®eutf<hlanb mit feinem 
reattienären Militarismus fei bas einzige fiinbernis bes etoigen 
SJtiebens. 

®me fpätere Seit, oor ber bie Stilen offen baliegen merben, 
toirb Mühe hoben ju begreifen, mie biefes freche £ügengcmcbc auch 
nur bei einem ®utjenb fcfwacher Köpfe einen oorübergehenben 
Stauben fmben tonnte. SBir, bie Seitgenoffen, fteljen oor ber 
befchämenben Batfache, bie einen toobl an ber politifchen llrteils- 
fähigteit fonft normaler Mengen jmetfeln taffen fönnte, bafj bie 
öffentliche Meinung bes Stusfanbs fi<h toirUich nun fchon halb jehn 
Sabre lang oon einer fo plumpen fjälfchung irteführen Iaffcn, 
ja bafj es fogar in ®eutf<hlanb fetbft naioe ©emüter gab, bie auf 
biefes giftige ©ejifche hörten unb geneigt maten, bie Boütil bes 
®eutfchen Reiches für bie anholtenbe triegcrifchc Spannung oer- 
anttoortlich ju machen. 

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itipu 0o ftanb benn bie SBelt feit bem Sommer 1908 oor 

“ nb bet neuen ©ruppierung ber Mächte: bem alten ®rei- 

bunb ®eutfchtanb-Oefterreich-3talien hotte fich ein neuer ®reibunb 
ober, mie er fich h eu( t>t*rifch oerfchämt ju nennen liebte, eine Xriple- 
Sntente SngIanb-Sranfreich-9?iij)Ianö gegenübergeftcllt. SBir miffen 
heute, baf) fchon bamals ber Krieg bi<ht oor ber ®ür geftanben hot unb 
nur burch ben unermarteten Slusbruch bet türtifchen Beoolution oer- 
hinbert roorben ift, bie ben Battanfragen plötjlicb ein anbetes ©efiebt 
gab. ®arauf mar man nicht eingerichtet, unb bie reformierte Sürtei 
jeigte junächft eine fo grenjentofe Umgebung an Snglanb, baf) man 
bie Stufteitungsplänc einftmeilen jurüdtreten lief). Ilm ihnen mieber 
näher ju lommen, beburfte es neuer Slnftalten. 

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3*>ooi«i unb 0ic tuatcit 5aö 28ct! eines Lonnes. &et feit 1906 bie £ei- 
bunb tung bet auswärtigen angelegen beiten m Petersburg m 
bie Hanb befommen batte. 9t. p. 3swclsti, herootgegangen nicht aus 
ber regelmäßigen biplomatifchen Sauf bal>n, fonbem aus ber Stellung 
eines biplomatifchen Agenten, bie ficb ju ber bes wirtlichen Diplo- 
maten oerbäit wie etwa ber 9Bu<betct jum Banfier, oerfügte 
biefer ehrgeizige Streber neben einem ungewöhnlichen Patent jut 
Sntrigue auch über bie erfotberlicbe Sfrupellofigfeit. Sem plan war, 
bie Baltanftaatcn unter ruffifchem Schuß ju einem Bunbe ju oer- 
einigen, bet ficb ebenfo gegen bie Püttei wie gegen Oefterreicb lehrte. 

Da blühte ihm zunäcßft ein offenhmbiger Mißerfolg. 911s 
Oefterreicb aus bet UmroanMung bes türtifeben Staates bie 9luß- 
anwenbung zog, baß es bie feit 1878 nur befeßten prooinjen 
Bosnien unb Herzegowina feinem Staatsgebiet einoerleibte, unb 
als Serbien bagegen ftürmifeben Proteft erhob, weil ihm bamii 
bie leßte Hoffnung abgefefmitten würbe, an biefer Stelle bas Sleet 
ju erreichen, ba machte Hott gswolsfi junächft 9Hiene, fich Serbiens 
annehmen ju wollen. 91ber oot bet ^eftigteit Oefterreichs unb oot 
ber febr beftimmten Srtlärung Deutfchlanbs, baß es im Kriegsfall 
auf bie Seite Oefterreichs treten werbe, wich Slitolaus II. jutüd. 
längere Seit waten bamals bie Beziehungen zwifeßen Petersburg 
unb 98ien abgebrochen, unb bie öffentliche 9Heinung in Bußlanb 
Zeigte ficb fo erregt über biefe „9liebetlage ber flawifchen Sache“, 
baß ber erfolglofe 92Hnifter ficb aus feinem 9lmte in bie parifer 
Botfcbaft zurüefziehen mußte. Bon hier aus hat er es bann freilich 
cetftanben, feine ptäne beffet zu förbem. 3m Sommer 1912 
tarn ber Bunb bet Baltanftaaten wirtlich Z u fianbe, im Herbft 
brach i>er Krieg gegen bie Pürtei aus, ber zunäcbft bet europäifchen 
9Ra<bt bes Sultans ein Enbe bereitete, bann aber mit ber Entzwei- 
ung ber Bunbesgenoffen, ber Tiieberwerfung bes fiegreichen Bul- 
garien bureb Serbien unb ©riecbcnlanb unb einet teilweifen TBiebet- 
herftellung bes türtifeben Sejißes in Europa enbete. aber bie 
tuffifche politif gewann babei wenig ober nichts. 98ohI würbe 
Serbien buteß einen beträchtlichen Peil aibaniens oergrößert, 
aber eine Stärtung bebeutete bas nicht, ba bie Beoölterung bes 
neu erworbenen ©ebietes ben Serben größtenteils in Pobfemb- 
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fcbaft gegenübcrftanb. ®er b«*fi begehrte §afen an bet 2Jbtia aber 
blieb ihm wie Montenegro auch jetjt oerfagt. ®arm waten Oefter- 
reict) unb Italien, malten fie fonft finalen am 2lbriatifd>en Meere 
fein, einig geblieben, unb bas «Ergebnis ihres Sufammenwirtens 
war bie Schaffung eines eigenen ^ütfientums Albanien, bas ben 
©erben ben SBeg jum Meer im ©üben ebenfo wie bas öfterreicf)ifd>e 
Bosnien im Slorben oerfperrte. Mit erinnern uns nod), wie es 
um biefet fjrage willen — ob Montenegro ©tutari, Serbien ®uraj$o 
befommen follte — um bie 3at)teswenbe 1912 auf 1913 faft jum 
Kriege jroijcben Bufjianb unb Oefterreicb getommen wäre, ba 
beibe Mächte bereits mobilifiert Ratten. 3!orf> einmal würbe 
bas Sleufjerfte oermieben, bauptfäctilict) weil ®eutf<hianb wieber 
wie 1909 fef^r beftimmt ju oerficben gab, baf) es entfdjloffen auf 
ber Seite Oeftetreid>s ftejje. Das (Ergebnis aber war für Bufjlanb 
ein gerbet Mißerfolg. ®ie Sduitjlingc, Serbien unb Montenegro, 
waren enttäufd^t; in Bulgarien, bas fid) oon ber ruffifeben SfSolitit 
um Serbiens willen aufgeopfert fab, machte bie ruffife^e Partei 
für immer Bankrott, unb an Stelle Miglanbs war es Rumänien, 
bas, hn lebten Slugcnblid eingreifenb, bie (Entfcbeibung t>erbci- 
füt)rte unb bie fjüljrung ber Baltanftaaten übernahm. Um was es 
ficb babei gebanbelt batte, oertünbigte ein Strtitel bes fübrenben 
Petersburger Blattes, bet „Uowoje 2Bremja“, im Dejembet 1912 
mit jpnifeber Offenheit. ®er Streit um ben ferbifcf>en Sjafen an 
ber Slbria, fo b*efe es bort, fei nur ein Borwanb, in Mirtlicbteit 
ftebe eine oiel größere grage auf ber Sagesorbnung. ®er (Erfolg 
bet Baltanftaaten (b. b- Serbiens unb Montenegros) werbe an 
bet Sübgrenje Oefterreicbs eine neue flawifcbe Macht aufriebten, 
bie ihr ®afein bem ftammoerwanbten 9?uf)lanb oerbanten unb 
fi<b ihm anjdiücfjcn werbe. ®amit würben bie Sübflawcn oor bem 
fie bebrobenben (Germanentum gerettet, Bufjlanb aber hätte ben 
Borteil, baf) Oefterreicb-Ungarn, butcb eine Mrmee oon 500 000 
Slawen im Buden gefaxt, Bufjlanb gegenüber gelähmt werbe 
unb biefes bie Möglicbteit gewinne, bie Meerengenfrage nach feinem 
Sinn ju löfen. Die Hoffnung blieb oorerft unerfüllt; aber baf) es 
fi<b in biefen Siuslaffungen um mehr als prioate Münfcbe banbeite, 
haben bie (Eteigniffe feitbem fcblagenb bargetan. 

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«tu *«ti. ®ie tuffifct»« biefet gahte befcbränft fich aber fließt 

uawimM tat auf, Oeftetceid) oom Süden her ju bebrüten, fie macht 

gleichzeitig Slnfialten, es auch m bet gront ju paden, inbetn fie bie 
gähne bes ‘panflaroismus aufs neue entfaltet. Mit bem Mißerfolg im 
ruffifch-türtifchen Kriege unb mit bem brutal reaftienären Regiment 
Sllejranbcrs III. hotte bet ©ebanfe bes Unfchluffes aller t'Ictuiicbcn 
Böller an bas ruffifche garentum oon feiner lebenbigen Kraft 
oiel Datieren. 3n bet Sera gswolsti burfte er eine 21ufcrftebimg 
feiern unb, mit einem neuen, zeitgemäßen Mäntelchen ausftaffiert, 
als Seopanjlamtsmus wiebet auf bet Sühne erfchcincn. geßt war 
es nicht mehr bet (Sclbflbetriclier aller Seußen, nach bem ficb alle 
flawifcben Slugen wenben feilten, jeßt wellte man fi<h, ba ja m- 
jwifeben Sußlanb felbft )u „liberalen“ Staatseinrichtungen übet- 
gegangen war, auf breiter, freiheitlicher ©runblage jufammen- 
finben. Sicht mehr Unterwerfung aller Slawen unter ben garen, 
fenbem Bereinigung unb Berbtüberung ber befteiten flawifchen 
Böller im geichen bet ©leichberechtigung unb bes Liberalismus! 
So meinte man nicht nur bie tathelifchen Kroaten unb Ifchechen, 
fenbem fogat bie Seien beranjicben ju fönnen. 

2rt°em Wr ®® cnn W on ftflh« lein gweifel barüber möglich gewefen 
Ungarn war, baß ein allflawifches Sußlanb unb eine öfterreichifch- 
ungarifebe ©roßmaebt nebeneinanber nicht beftehen tönnen, fo würbe 
ber Sonflawismus in feiner neuen ©eftalt für Oefterreich nur noch 
gefährlicher, weil et bie hn Staate oethanbenen feparatiftifch- 
natienalen unb bemolratifchen Strömungen eerftärtte. 2luf biefem 
SBege tonnte bie allflawifche Agitation jur Suflöfung ber Mon- 
archie een innen heraus führen. <?s hätte baju oiclleicbt nicht 
einmal bet Sachhilfe beburft, an bet es weber Serbien noch Sußlanb 
burch ihre reeelutienäre Btopaganfca unter ben Serben in Bos- 
nien, Kroatien, Dalmatien auf ber einen, unter ben ortbebejeen 
Sutbcnen in ©alijien auf ber anbem Seite fehlen ließen. 2Die 
weit bie Bewegungen in biefen ©tenjlänbem gingen, ift am beut- 
lichften geworben burch ben großen Lembetger B«>5«ß oom Botjahr, 
ber ein ganzes Spftem bocbocrrätcciicbcr Beziehungen zu Bußlanb 
enthüllte unb boch fichcrlich nur einen Seil ber SBahrheit aufgebedt 
hat. Sine fpätere geit wirb beutlicher erlennen, wie weit ruffifche 
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unb ferbifche SBüfelarbeit an ben nationalen Agitationen, Bartei- 
tämpfen, ®emonftrationen, Krawallen unb Attentaten beteiligt 
gewefen ift, bie zeitweilig alles georbnete Staatsleben in Oefterreich 
in Jtage ju [teilen brohten. ®ie legten 3i*l« bes Strebens bat bet 
ferbifche ip jcteifübcer Stojan 'Tßrotic im Bahre 1909 offen bezeichnet: 
„Swifchen uns unb Oeftetteidj-Ungam tann es nuc bann Jrieben unb 
gute 3tad)bacfd)aft geben, wenn Oeftecceid)-Ungarn baiauf oet jict)- 
tet, eine ©rofemacht ju fein, wenn es (ich entfcfjlicfjt, bie Kode einet 
öftlicbcn Schweiz }u übernehmen". 2öas ber ferbifche Schredens- 
tnabe ausjpcad), hätte jebet ruffifche Staatsmann mit noch mehr 
Aecf>t fagen lönnen. Vernichtung bet öfterreiehifch-ungarifchen 
©rofemacht mar bas 3>el bet ruffifcben Volitit, bas etteicht werben 
follte butch Smfcfmürung oon aufeen unb 3«tfefeung oon innen. 
20 at beibes weit genug ootgefchtitten, fo tonnte bet töblicbe Streich 
nicht mehr fehlgehen, unb es war eine 5 * 09 * oon untetgeotbneter 
Bebeutung, wie gtofee Aecfete bet einftigen ©rofemacht man als 
„öftliche Schweiz" fottbeftehen laffen wollte. 


na»Ro Vicht weniger als bteimal in oiet fahren war bet Stiebe 
1,11 um bet orientalifchen grage willen bebtoht gewefen unb 
bteimal wiebet gerettet wotben. Sin oiertes Alal gefchab basfelbe im 
SDeften. ®ie Spannung, bie bie Atarottofrage im Sommer unb §erbft 
1911 erzeugte, ift noch in fo ftifcher Stinnerung, bafe man bie ®inge 
nicht zu erzählen braucht, gebermann weife, wie bet Vroteft ©eutfch- 
Ianbs gegen bie Annexion OTarotfos, bie grantreich unter teder Bei- 
feitefefeung bet Sefehlüffe oon Algecitas (ich erlaubte, bis biht an ben 
Krieg berangeführt hat, in bem Snglanb füt grantreich Vartei 
ergriffen haben würbe. St wutbe oetmieben, ba ©eutjcblanb 
feinen Smfpruch gegen 3ugeftänbniffe auf anbeten ©ebieten — 
Abtretungen am Kongo, Beteiligung bet beutfehen ©efcbäftswclt 
an bet Ausnufeung bes Sianbes — aufgab. ®ie Sttegung, bie 
übet biefen Ausgang iurze Seit in ®eutf<hlanb bert fehle, erfcheint 
heute nicht mehr recht oerftänblich. 20 ar es hoch bas erfte OTal, bafe 
es ber beutfehen ®ip!omatie gelang, grantreich jum biretten 
Vethanbeln unb zu fehr greifbaren 3ugeftänbniffen z“ nötigen 
unb bie oerfuchte Sinmifcbung Snglanbs runbweg zurüdzuweifen. 

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snguii*. ®af; Kaifer SBilhelm 1 1. es auch 1911 fo wenig wie 1905 6 
tHiHittw wegen SHarottos }um Krieg hat lommen laffen wollen, 
werden wir deute, da wir wiffen, was diefer Krieg bedeutet, beffer 
oerftchen. Aber wir oerftehen aued , bafj die gemachte Erfahrung in 
grantreicb wie in (England ju dem (Entfchlufj führte, bafj derartiges 
fied nicht wiederholen dürfe, wenn die Entente cordialc nicht wertlos 
fein foüte. So fchritt man unter dem Smdrucf der Begebenheiten 
oon 1911 und 1912 daju, die febon früher gepflogenen Berftändi- 
gungen ju einem förmlichen ©ertrage ju oerdichten. 3m Sjerbft 
1912 tarn et jujtande in einer tjöcfjft fonderbaren Jorm. England 
und grantreicb einigten fieh, falls eines oon ihnen in Krieg mit 
einet dritten Alacbt geriete, {ich fofort darüber zu oerftändigen, 
ob fie den Krieg gemeinfam führen wollten gemäf; den planen, die 
fchon genau ausgearbeitet waten. ®iefe 5orm wurde gewählt, 
um oor dem englifchen Parlament das 23efteh«n eines Bfinbniffes 
mit bindenden Verpflichtungen für (England ableugnen ju iönnen. 
3n AHtflichfeit war ja gar (ein 3o>oifel mehr möglich, baf) die 
englifchen Staatsmänner entfchloffen feien, Stanfreich im gall 
eines Krieges mit ®eutfcf)land ju §ilfe ju tommen. (England und 
granlreicb arbeiteten Sjand in Sjand und einet für den andern. 
®as wurde oolltommen deutlich, als nn Srühjahr 1913 die früheren 
Abmachungen durch ein glottenabtommen ergänzt wurden, das 
ficb nach der Aatur der ®mge nicht geheim halten lief). danach 
übernahm (England den Schuh der ftanjöfifchen Küften im Vörden und 
Jltcften, während Jrantreich feine gefamte fjlotte im Alittefmeer oer- 
fammelte. 3m Kriegsfall follte dann fogar das englifche SUittelmeer- 
gefchwader dem Befehl des franjöfifchen Admirals unterteilt fein. 

®iefes Blittelmeerabfommen hatte eine befondete politi- 
fct>e Tragweite mit Bezug auf 3talien. ®af) die Teilnahme 
3taliens an einem Kriege gegen grantreich »on der Ejaltung (Englands 
abhänge, war niemals zweifelhaft gewefen. Sind die Andeutungen 
einet emfthaften und meift gut unterrichteten römifchen Seitung 
richtig, fo wäre diefe Büdficht fogar im ®reibundoertrag ausdrüdlicb 
ausgefprochen. 3» feinem vfall aber durfte man erwarten, bafj 
Stalien an grantreich den Krieg ertläre, wenn es fich damit zugleich 
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6it0 ber 
&ncg*partri 
in ftufclanb 


«men Krieg gegen Snglanb jujog, bem es nad) feiner geograpbifchen 
£age unb feinen Kräften »ehrlos gegenüberftanb. ®as englifch- 
franjöjifdje Plittelmeerabfommen bebeutete alfo prattifd) bie Qet- 
ftörung bes ®teibunbs, unb fo hot es benn aud» feit Anfang bes 
Krieges gemirtt. 

®ie Uebergeugung, bafj es Seit fei gu banbeln, hcrrfcbte 
feit bem Frühjahr 1913 aud) m Petersburg in bejug auf 
bie Paltanfrage. Auch bort mar man, unb gmat bie öffentliche Mei- 
nung mehr noch als bie amtlichen Stellen, erfüllt von bem Sefühl 
roieberholter Aiebcrlagen unb lieh bem fehr offenen Ausbrud. 
93on jeher mar es in Aufjlanb OTobe, auf bie eigene ®iplomatie 
gu fcbimpfen , bie meber ihr $anbmert oerftcbe noch für bie 
„flaioifche Sache“ ein §erg h°be. Sin alter 3Bitj mar es bort, bas 
Plmifterium ber Ausmärtigen Angelegenheiten als bas ministbre 
btranger aux affaires gu oerhöhnen. Aber fo mie fjetr Sfafonom, 
ber Aachfolget 3stt>clslis, nach bem gurüdmeichen in ber ferbifch- 
albanifchen ffrage ift mol)! nie ein Plinifter bes garen oon ber 
Pteffe bes eigenen Sanbes angepöbelt motben. Sr fafj bauemb auf 
bem Sabelftuhl. Ob man ihn ftürgen mollte? Plan erreichte oiel- 
leicht mehr: ber Plmifter mich ber Sebrohung unb fing an, feine 
Segel nach bem SBinbe ju ftellen. ®ie Kriegspartei gemann gu- 
fehenbs Obermaffcr, unb es ftanb bereits feft, bafj man im SBieber- 
holungsfall nicht mehr gurüdtoeichen merbe; um fo mehr, ba ber 
5)auptgrunb für bie bisherige fjriebfertigteit mit jebem 3<*ht unb 
jebem Plonat mehr hinmegfiel. 

suiionM ®iefer ©runb mar nichts anberes als bie militärifche Schmach« 
s *“ 4 *' Aufjlanbs. Sie mar im Kriege gegen gapan 1904 5 unoet- 
hüllt heroorgetreten. Sie gu befeitigen beburfte es einer gtünblichen 
Smeuerung, bie fich benn auch im gufammenhang mit bet Aeform 
bes gefamten Staatsmefens feit 1908 gu ooltgiehen begann, aber 
mit bet in Aufjlanb üblichen Sangfamteit. So mufjte ber angefehene 
unb tluge ruffifche ®ip!omat SJürft Srubetjtoi noch 1910 fchreiben: 
„tann man benn überhaupt oon ber ®ip!omatie oerlangen, bafj fie, 
oon Srfolgen fd>on gang gu fchmeigen, menigftens Plifjerfolge oet- 
meibc, menn gu ihrer Verfügung nur Schmetter aus Pappe ba 
fmb, an beren Anblid bie Segnet fich f<h on gemahnt hoben?" ®as 

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Urteil war auch noch 1913 richtig, unb bie ©teigniffe haben mjwifchen 
gejeigt, bafe für Sußlanb ber Krieg fogar 1914 ju früh ausgehrodjen 
ijt. 2Benn man bcn offenberjigen Suslaf jungen ber leitenben sparifer 
treffe trauen barf, fo wäre 1916 ber Sennin gewefen, an bem bas 
garcnreid) infolge bet Durchführung bes neuen SBehrpflichtge- 
feßes, ber neuen ©ruppenbislolationen unb ftrategifchen Sahn- 
bauten ju einem Kriege mit feinen weftlichen Sacbbacn ooll gerüftet 
bageftanben hätte. 

trjn«tn (um ©leichwohl barf es heute als erwicfen gelten, baß man in 
*"'» Setersburg fchon feit bem Frühjahr 1914 jum Kriege 
brängte, entfchloffen, ihn beim erften beften Slniaß aufjunehmen, 
wenn nicht gar benSInlaßjcIbft ßcrbeijuf übten. ©in beutliches Seichen 
für jeben aufmertfamen Seobachter war im Februar ber Stur j bes 
971inifterpräjibenten Kotowjew, ber als fjinanjmann unb Schüler 
SDittes bie Rriegspolitit gegen Deutfchlanb ebenfo mißbilligte wie 
fein Sleifiet jeßn 3af)re früher bie 3Benbung gegen 3<>pan miß- 
billigt hotte. Daß bet Sationalift ©orempltn an feine Stelle trat, 
bilbete bie Stöbe aufs Stempel. Der ©runb für biefes Drängen 
war, baß man ber Kriegsluft bes franjöfijchen Sunbesgenoffen auf 
bie Sänge nicht traute. 

Eratw. unb ®** neue SJacbtoerteilung auf bet Saltanhalbinfel, bie 
,r |Sn5S*' Vergrößerung Serbiens, bie Schwächung ber Düttei 
Bfrnwbrunfl unb Sulgariens, bie btohenbe Sbwenbung Rumäniens 
oom Dreibunb, zugleich ber unoertennbare ©nifchfuß ber ©egner 
jum Kriege hotten Deutfchlanb im 3 a hte 1913 ju einer Set- 
mehrung feines Sjeeres um brei Srmeetorps ober 136 000 97!ann 
genötigt, ^ranheicß hotte fich beeilt, biefer Slaßregel gleich 
bei ihrer Untünbigung mit ber ffliebereinfühtung bet 1902 ab- 
gefchafften breijährigen Dienftjeit juoorjutommen. Sur fo glaubte 
es bem Krieg gegen bas oerftärtte Deutfchlanb noch gewachfen 
ju fein. Stber bie Saft , bie es bamit auf fich nahm , war 
ungeheuer unb würbe oon weiten Kreifen höchft wiberwillig 
ertragen, ©s lam fo weit, baß bas Slinifterium Sarthou 
im Dejembet 1913 barüber fiel unb bie Seuwahlen für bie 
Kammer im 28ai 1914 ein folches Stnfchwellen ber fojialiftifchen 
Sattei brachten, baß ihr Rührer, Saurhs, bereits bie Sbjchaffung 
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■14i«i U ijlilULSlliilMAI lill 


ber breijät)rigen ®ienftjeit triumpbierenb oorausfagte. Ohne bie 
perft>nlid)e ©inwirtung bes im ganuat 1913 gewählten Präfibenten 
Poincare, bet es bei feinem Amtsantritt in einet ®epef<he an ben 
3aren ausbrüdlich füt feine Aufgabe erUärte, bie beftehenbe Allianj 
mit Bufelanb „enget ju geftalten", wäre oielleicht bie frieblichete 
Dichtung jiegreicb geblieben. ®er eitle unb ehtgeijige Abootat 
aus Slancp, für ben bie SDiebereroberung Sothrmgens perjönlicbe 
unb garmltenfadje war, wufete bas ju oerhinbem. Aber es ftanb 
fet>r ju befürchten, bafe früher ober fpäter bo<b bie entgegengefefete, 
oon 3aures geführte 'Partei Srfolg haben, granlteich feine Lüftung 
erleichtern unb bamit (ich langfam aber fichet non bet politit bet 
angriffsbeteiten unb angriffsluftigen Meoanche abwenben »erbe, 
darauf butfte man es in Petersburg nicht antommen laffen. 
Sieber ein paar Sabre ju früh losfchlagen, als ristieren, bafe, menn 
man felbft ganj fertig märe, ber Sunbesgenojfe bie Suft ober bie 
Kraft pctloren hätte! 

sn 3 ian»< Aehnliche ©ebantengängc müffen auch an ber Xbemfe 
«nicgminit j U j ctn geführt haben, ben Krieg fo balb wie 

möglich aufjunehmen. weil fonft bas 9?iftlo ju grofe war, baf} ber Se- 
gen, ben man fich auf bem geftlanb gefchmiebet hatte, ftumpf werbe. 
3ubem würbe es jeben Sag fchwierigct bas wibematürliche Sünbnis 
mitAufelanb aufrecht juerhalten. (fnblicfe aber: bie Seichtigteit, mit 
ber Seutfchlanb bie grofee Permehrung feiner Armee bewertftelligte 
unb bie bafür etf orbetliche OTiUiatbe aufbrachte, öffneten ber SBelt bie 
klugen barüber, wie fehr bie wirtfchaftliche unb moralifche Kraft bes 
beutfchen Reiches im SDachfen war. Schon war bie Betgröfeerung 
bes Slorboftfeelanals beenbet, bie auch neuen größeren Kriegs- 
fchiffen bie ®ur<hfahrt möglich machte. gm lommenben Saht foltte 
bas Programm bes giottenbaus oon 1900 erfüllt fein. Silit ber 
beutfchen Seerüftung Schritt $u halten, fiel ©nglanb fchon oon Saht 
ju Saht fchwerer. Bereits hatte es feinen alten Srunbfatj, ben two- 
powers Standard, aufgegeben, bafe bie englifche giotte allein ftärter 
fein müfete als bie beiben anbern nächftftarlen jujammen. ®s 
begnügte fich bamit, boppelt fo ftart ju fein wie „eine anbere Blacht", 
b. h- ®eutfchlanb (two keels to one), unb felbft bas liefe fich laum 
mehr aufrechthalten. ®ie Koften ber Stüftung wuchfen ftänbig, 
fallet, tfr Ursprung bch Sikltfrictj#. 5 65 


unb brohten anbete, bringcnbe Aufgaben, bie bie liberale Regierung 
ißren ©äßlem ju IBfen Derfptodjen batte, ooran bie Slrbeiteroer- 
jicbetimg unb bie geplante großäugige Slgratrefotm, ju ftören. 
®as reiche Snglanb trat in SJmanjnot geraten. ®atum feßte es 
feit Sauren alles baran, eine ^Saufe in ben beutfeßen {flott cn- 
Süftungen ju erreichen, bie es ihm ermöglicht haben mürbe, mieber 
einen größeren Sorfprung ju geminnen. SRit allen Mitteln mürbe 
fchon (eit fahren bie öffentliche Meinung Europas beatbeitet, 
ftlagelicbet in SBort unb Schrift über bie tulturoerbetbenben folgen 
bes beutfehen SRilitarismus erfüllten bie iuft, ein Sfeer von rafenben 
ffriebensapofteln überfchmemmte bie SBelt, ber Jriebensofen im 
S)aag mürbe geßeijt bis jum Sctftcrt, unb ber Rriegsminifter flalbane 
erfchicn eines Soges felbft als (Jriebensengel in Serien. Schließlich 
verflieg (ich fogar ber englifcße Smanjmintfter filopb ©eotge ju 
bem tühnen Sorfcßlag, baß fomobl ©nglanb mie ®eutfchlanb ihre 
Schiffsbauten für cm fjaht emftetlen (ollten. ®aß bie englifchen 
Kolonien bermeilen im Sau oon Kriegsfcßiffen für bas Slutterlanb 
fortfahren bürften, bilbctc bie ftiUfchroeigcnbe Sorausfeßung biefes 
plumpen Setrugsoerfuchs, ber bei uns benn auch (»fort burebfehaut 
mürbe. Silles bas beutete barauf hin, baß Snglanb (ich ber ©tenje 
feinet £ciftungsfähigteit näherte. SBie, menn nun ©eutfcßlanb, naeß- 
bem es fein erftesglottenbauptogramm erfüllt, ein neues auf (teilte unb 
Rriegsfcßiffe ju bauen fortfuhr? ®aß es baju allen ©tunb haben 
lönnte, mar nicht ju leugnen, feit Sußlanb im 3al?r 1912 mit bem 
Sau einer neuen Schlachtflotte begonnen hatte, unb baß es bie 
Snittel baju leichter finben mürbe als Snglanb, hatte bie Erfahrung 
mit bet SUUiarbenfteuer für bie ^eeresoetmehrung gejeigt. ©ar 
nicht ju teben oon ber (frage ber Scmannung, bie m Snglanb oon 
3aßr ju 3 a h c größete, in ®eutfch>anb gar leine Schmierigteiten 
machte. 


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ln» Ocrbarihatm: »ar benn auf allen Seiten ber Sntfcßluß ge- 

** faßt, bei erfter ©elegenßeit Iosjufcßlagen, unb 
auf allen Seiten mürben bie Sorbereitungen baju befcßleu- 
nigt. «Eifrig arbeitete bie ruffifebe ®iptomatie an ihrem 
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früheren ^3Ianc, ben Baltanbunb unter ruffifd>cr Jiihrung 
juftanbc ju bringen. Serbiens unb Montenegros mar fie 
ficket; ihre geinbfchaft gegen Oefterreich beburfte i;öcb[tens 
eines Sügels. Stuf bas aus allen Söunben blutenbe Bulgarien 
tarn es meniger an, aber Rumänien mufete momöglicb gemonnen 
merben. Man hoffte es butd> fiiebesbemeife ju erobern, barum 
machte fi<h Nitolaus II. in gJerfon auf, um ben jum gelbmarfd;all 
ber rufiiKben Slrmee ernannten König Satol in Konftanja ju be- 
fugen unb bem Sohn bes rumänifchen Ifironfolgers bie §anb 
feiner $od>ter anjutragen. ®ie 2tufnaf>me mar höflich, aber jurüd- 
haltcnb; immerhin nicht ganj entmutigenb. ®ic Mittel, bie man 
gegen Oefterreich anmanbte, tennen mir fd)on. (Segen ®eutfd>- 
lanb befolgte man bie ^Jolitit ber Nabelftiche. Sie Ocffentlidjfcit 
hat nur menig oon ben „Affären" unb „3mifd>enfällen“ erfaßten, 
— Gefangennahme bcutfcher Ballonfahrer unter ber erlogenen 
Befchulbigung ber Spionage, lleberfcbrcitungen ber beutf<hen 
©tenjen burch ruffifcf>e Sruppen u. bgl. — , beten Sitten allmählich 
bergehoch {ich häuften, unb bie alle in gleicher SBeife bie gtage auf- 
brängten, ob bie ruffifchen Behörben meinten, fi<h ®eutfd>lanb 
gegenüber alles erlauben ju bürfen, ober ob fie Nnmeifung hotten, 
Seutfchlanb fpftematifch ju reijen. 

engtiM» Buch bie englifche Siplomatie ging nicht müfjig. Sleufjer- 
Ärkuniirartt fie mieber bie holbe Maste bet Berfötmlichteit 

unb Berftänbigung an. Man hielt Santettrebcn unb oerlieh afabemi- 
fche SBürben an beutfche Bertreter, lieg fogar ein ganzes ©efchmaber 
unter einem Slbmiral nach Kiel fahren unb bort tamerabfcbaftlid)e 
Beben unb $änbebrüde tauften, unb trieb bas Spiel fchliefjlich fomeit, 
ein Slblommen über bisher ftreitige fragen in Slfrita unb Mefopota- 
mien ju oereinbaren. Mittlermeile gemann man ben König ber Bel- 
gier $um Slnfcblufj an bie ©ntentegruppe, bamit et beim Slusbrud? bes 
Krieges „ben englifchen Schuh für feine Neutralität anrufe“, b. h- 
fein £anb als Kriegsfcbauplatj jur Betfügung ftelle, unb arbeitete 
bie gcmeinfamen gelbjugspläne bis ms einjelne aus. ®aju gehörte 
unter anberem, bah englifche $anbelsf<hiffc (ich unauffällig in bie 
Oftfee begeben unb bei Beginn bes Krieges ein ruffifches üanbungs- 
torps an bie pommerfche Küfte befötbem follten. ®as Netj mar 

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gefponnen, nach Vebarf tonnte es jugejogen werben, fobalb ber 
günftige Slugenblid getommen wäre. 

Itc Jrmoreun« ®a gefcljah etwas llnwahrfcheinliehes, Unoothetgefebe- 
*•* errt<i-( 08 « nc9 : mitten in bie finftem SBolten, bie ben fjhnmel Euro- 
pas bebecften, fielen bie Reooloetfchüffe oon Serajeoo. 9Bct bie eu- 
ropäifche Volitit ber lebten Batne aufmertfam oerfolgt batte, toufjte 
fofort, bafj bies ben Krieg bebeuten tonnte unb aller JOainfcbemlkbleit 
nach bebeuten würbe. ®s ift noch nicht ausgemacht, ob wirtlicb neben 
Seamten bes ferbifcben Staates auch Organe ber ruffifcben Diplo- 
matie, wie behauptet wirb, an bet Itrbeberfcbaft bes OTorbes be- 
teiligt waten, frühere Vorgänge ähnlicher 21 ct würben nur bafüt 
fprecben. Seit langem liebt es Rufjlanb, feiner Valtanpolitit oon 
3eit ju 3«it burcb SRittel Slacbbrud gu oerleiben, bie in ber Seit 
ber Renaifjance ober im tiefen Orient gebräuchlich waren unb fmb, 
bie aber eutopäifche Staaten feitbem ju oermeiben gelernt hoben. 
Der Sturj bes dürften 2Hejsanbet oon Bulgarien, bie ©rmorbung 
Stambuloos unb bes fertigen Königspaares finb bie belannteften 
Veifpiele bafür. gür folche Dinge hot bie ruffifche Diplomatie 
auch ih ( e geeigneten SJSänner. Vor 20 unb mehr Bahren waren ein 
gewifferDhiteowö, jeitweilig ©efanbter in Vutareft, unb ein S)aupt- 
mann 9labul6o, ber unter anberem beim Sturj bes 3ürften 2llc- 
yanbcr oon Sattenberg tätig mitrcirtte, bie §auptroertjcugc biefer 
2lrt. Der ©rftgenannte hotte fogar bie Offenheit, gelegentlich 
gu betlagen, bafj ec fi<h, ben h^nfehenben Vorurteilen juliebe, 
in ber 2(nwenbung oon ©ift unb Dolch Vefchränlungen aufeclegen 
müffe, bie im 15. Bahrhunbert unbetannt waren, ©in ähnlicher 
Spp fcheint jener S)ett o. §artwig gewefen ju fein, ber fich als 
ruffifcher Vertreter in Seberan ben oerbünbeten ©nglänbern fo 
unbequem machte, bafj fie feine Verfemung ergwangen, ber in ber 
tritifchen 3«it 1012 3 als ©efanbter in Velgrab bie fetbifche Regie- 
rung gu ihrer frechen Haltung gegenüber Oefterreich anftiftete unb 
in ben Sagen, ba ber Krieg ausbrach, im #aufe feines öfterreichi- 
fchen Kollegen oom Schlage getroffen oerfchieb; ein 97!ann, bem 
man oieles gutrauen tonnte, oiefleicht berVlann, ber ben Slnlaft gum 
Stusbrudi bes gegenwärtigen Krieges gefchoffen, (ebenfalls einer 
oon benen, bie am meiften baju getan hoben, ihn heebeijuführen. 

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®aß bie öftertcid)i)djc ©egierung nach bem, mos bie llnter- 
(udjung ergab, nicht anbers lonnte als Don Serbien eine Genugtuung 
fotbem, bie für jeben Staat, unb am meiften für einen ber erft 
»erben will, eine motalifdje Einrichtung bebeutet, wirb tein 93er- 
ftänbiger in 8“>eifel sieben. Genugtuung für bas ©efd>et>ene, 
9?ürg[cbaften für bie gutunft — bas war gebietcrifrfje ©otwenbig- 
teit bet g3o!itit unb unerläßliches Gebot ber Gerechtigteit unb 
Selbftachtung. 2tn materielle Schäbigung ober gar Unterwerfung 
Serbiens brauchte man nicht ju benten unb hat tein Menfch gebacht, 
gteilich, für bie beseitigen ferbifchen Machthaber, nicht nur für bie 
Mmifter, fonbem auch für bie ®pnaftie bebeutete bie Erfüllung ber 
bfterreichifchen gotberungen ben fieberen Sturj; unb eben bas war 
es, was Oefterreich erftrebte unb erftreben mußte. 2UIe jene Ele- 
mente, bie bisher unter bem Schüße unb im ®ienftc ©ußlanbs ihr 
breiftes Eanbwert im ©Aden ber bfterreichifchen Macht getrieben 
hatten, mußten oerfchwhtben; Serbien mußte ungefährlich werben, 
unb ba}u beburfte es neuer Regenten. 

vuoiaui ii unb h a * in weiten Greifen 93erwunberung erregt, baß bie 
btr Ärifg Regierung bes als friebliebenb betannten Raifers ©ito- 
laus 1 1. um biefer fo unbeftteitbar berechtigten gorbetung willen es 
jum 98elttrieg hat tommen (affen. Man hat jur Srilärung behauptet, 
ber gar fei mißbraucht worben, ober jur ©uppe in ber Eanb feiner 
Umgebung ßerabgefunten. ®aran mag oieles wahr fein, insbefonbete 
bie entfeheibenbe ©olle, bie ber triegslüfteme, weil auf ben Oberbe- 
fehl gierige ©roßfürft ©itolaus, ber Schwiegerfohn bes Rönigs oon 
Montenegro, in ben entfebeibenben Sagen gefpielt hot, bürfte bifto- 
tifch fein. ®ennod> wirb man nicht oerlennen bürfen, baß bie 
Ealtung, bie bas ruffifche ©eich gegenüber bem öfterreichifch- 
ferbifchen gwifchenfall einnahm, nur ben folgerichtigen ©bfchluß 
feiner bisherigen ©olitit bilbete. Serbien war nun einmal, fo wie 
bie ®inge lagen, ber getreue Schilbtnappe ©ußlanbs, bie einjige 
Macht am 93altan, auf bie bie ruffifche ©olitit ficher rechnen tonnte, 
ba ©umänien noch nicht gewonnen, Bulgarien oor ben Ropf geftoßen 
unb Montenegro bei allem guten 9BiIIen ju tlem war, um wertoolle 
®ienfte ju leiften. gweimal hatte man in ben leßten Bahren fcfion 
ben gteunb im Stich gelaffen (1908/9, 1912/3); tat man es jeßt 

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wiebcr, uni) mar bi« Jolge baoon ein ©echfel in bet Regierung bes 
Sanbes, bann n>at nicht nut Serbien felbft für bie ruffifrfje Balitif 
oertoren, bann gab es auch feine 3lusficf>t mcljr, bie anbem Balfan- 
ftaaien ju gewinnen, ©ann fiegte ber öfterreidiifchc Sinflufj bei 
ihnen allen, bie Bolle Buhlanbs am Saltan war oorläufig, oiel- 
leicht für immer ausgefpielt, bas Seftament Meters bes ©rohen 
jerriffen. ©as aber hätte nichts anbetes bebeutet als ben Berjicht 
auf bie cinjige wirtlich populäre 3bee ber ruffifdjen Tluslanbspoiitif, 
auf bie 3bee, an bet bie Seele bes ruffifchen Zolles hängt unb bie 
jubem ebenfofebr eine begreifliche Jorberung realer 3ntereffen 
bitbet. ©ie fiat! biefe realen Sntereffcn feien, bulle man im 3«h*e 
1911 wäbrenb bes tflrfifch-italienifchen Krieges erlebt, als bie 
Sperrung ber ©atbanellen, bie bie Sütfei jum Scputje ihrer §aupt- 
ftabt oerfügen mufjte, jur Solge balle, bafj ber gefamte fübrujfifcbe 
©etreibeerport, oietleict>t bet wiebtigfte Seil bes jährlichen Slational- 
ehtfommens, in ben f>äfen unb auf ben ©ifenbahtten liegen blieb 
unb teilweis fogar jugrunbe ging. Blochte alfo Kaifer Uifolaus 
im $erjen bem Kriege abholb fein — obwohl man bei feinet uner- 
grünblichen Schlauheit feine Jriebenstelegcamme unb wahrheits- 
wibrigen Beteuerungen in biefem fjall nicht höher ju bewerten 
braucht als feine jjattung am Borabenb bes japanifchen Krieges, 
ba er am Beujahrstag 1904 bie feierliche ©tflätung abgab: „ich bin 
bemüht alles ju tun, um ben Krieg ju oerhinbem“, wäbrenb er in 
©irtlichteii alles tat, um ihn herbeijufühten — mochte er biesmal im- 
merhin ehrlich ben fjrieben wünfehen, bie Kriegspartei hatte im Sinne 
bet nationalen unb gerichtlichen ^3olitif Buhlanbs nicht fo Unrecht, 
ihn ju friegctifchen ©ntfcblüffen ju nötigen, ganj abgefehen baoon, 
bafe ih r felbft ber Stnlaj; jum Kriege ja nut fo erwünfeht wie möglich 
tarn. ®as ftille ©uell, bas Bufjlanb unb Oefterreich feit anberthalb 
3ahrhunberten um bie Bormacht am Baltan mit ben Bütteln bet 
©iplomatie führten, muhte früher ober fpäter in offenem ©affen- 
gang ju ®nbe gehen. Sinmal muhte es fich entleiben, ob bie 
flawifche unb halbflawifche ©eit im Süboften ©uropas, nicht nut 
am Baifan, fonbern ebenfo am ©neftr unb ©nepr, an bet ©eichfei 
unb ben Karpathen, oon Biostau unb Betersburg ober oon ©ien 
unb Bubapeft geführt werben folle. ©ah bei fortgefetjtem Kampfe 
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mit blofj frieblidien SHitteln Oefterreich als ber jioilifiertere Staat 
immer ben SJorfprung behalten mürbe, mar jmeifellos; ebenso 
jmeifellos, baf; er im Kampf um bie poinifcbe SJoltsfeele, oielicicht 
mit ber Seit auch um bie ruthenifche Sieger bleiben toetbe. SBerm 
Stujjlanb liegen mellte, fo mufete es ju ben SBaffen greifen. ®a 
man nun ohnehin baju entfdjloffen unb, mie man meinte, auch 
oorbereitet mar, fo erübrigte iieb eigentlich bie SBahl. 

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Oefterreirfi-ltngam tjat biefen Krieg auf fiefj genommen als 
einen Kampf um fein ©afein. Glicht um (Sinjeltieiten, nirfit um 
©renjfragen, ein STletjr ober SBeniger an Staatsgebiet unb ötnfiufj 
banbeit es fid>, fonbem ums ©anje. Austriam esse delendam — 
bas mar bie Sofung ber Segnet; in Süien unb Subapeft gab man 
fief) barüber (einer Xdufcbung hin. 

r*uiMta«M 3w biefen Kampf um bas ©afein bet öfterreid>if<h-ungari- 
feiert TTionatdiie ift ©eutfebianb but<h Sünbnis oermidelt. 
OTan hat bie fjrage hören (önnen, ob bas eine Stotmenbigteit fei; ob 
es ein bringenbes Sntereffe ber beutfehen Station gebiete, bafj bet 
halbfiamifcbc Staat Oefterreich erhalten bleibe? ©arauf tann man mit 
einem §inmeis auf Sismards Siutorität antmorten. Sin berfelben 
Stelle, mo ber Schöpfer bes ©eutfeijen Steiches mit ®ifer gegen bie — 
übrigens nur in feinet ©inbilbung oorhanbene — 21bfid>t polemi- 
fiert, ©eutfchlanbs Kräfte auf ©tunb bes SBünbniffes öfterreid)ifch en 
©roberungsplänen auf ber SSaitanhalbinfet bienftbar ju machen, 
tut er hoch ben Slusfpruch, bet ben ©dfiein feiner eigenen Spolitit 
mie ber ^olitit aller feiner Stachfoiger bilbet, unb ben auch im 
feierlichen Slugenblid bes Kriegsausbruchs §etr o. S5ethmann- 
$ol(mcg nur mit etmas anberen SBorten mieberbolt t?at : „®ie 
©rbaitung bet öfterreichifch-ungarifchen SHonarcfne als einet unabhän- 
gigen, ftarlen ©rofjmacbt ift für ©eutfebianb ein Sebürfnis bes ©ieich* 
gemichts in ©uropa, für bas bet ffriebe bes Sanbes bei eintretenber 
Slotmenbigteit mit gutem ©emiffen eingejetji merben tann." ©s 
tann fich nur batum banbeln, ju ocrfleben, mas bamit gefagt fein 
foü. 


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®' nc ®**0*&&** Mn 8 Stufjlanbs auf Roften Oefterreichs, 
üttn 9 [ioi*i» bie bas Perfchwinben bet öjterreichifchcn ©ro&macbt jur 
geige hätte, wäre in bet Pat eine unmittelbate Sebroimng ®eutfch* 
lanbs m mehr als einer S)inficht. 2Dit würben ooltscoirtfetjaftlicb ab- 
hängig oon bet ruffifeben ©nabe, wenn auch bie öfterreiebifeb-ungar- 
ijebe Probuttionsquelle unb bet bodige SHarft oon Petersburg aus 
regiert würben. Räme bann weiterhin bie Pallanbalbinfet unter ruf- 
fif«he Hegemonie, wütbe bas tüdifebe Stcich jwifd>en 9tufelanb unb 
©nglanb in ber TOeife aufgeieilt, wie wir cs früher gefehen haben, fo 
bebeutete bas wieberum unteren Slusfcbluf; een einem SBirtfdjafts- 
gebiet, bei beffen ©rfcbliefjung wir uns mühfam einen wertvollen 
Slnteil für bie ©egenwart unb noch beffere Slusf lebten für bie 3u- 
tunft erobert haben, ©s bebeutete barüber hinaus eine Perftärtung 
ber beiben tonturrierenben SJläcbte, ber gegenüber wir wirtfcbaftlich 
unb politifch bie SBaffen ftrecten müßten. 2Bir hätten ba nur noch 
bie 3Sahi, ob wir bie Paffallen Slufjlanbs ober ©nglanbs werben 
wollten. 

Stber noch ntehr. Sieben ben weiten weltwirtfchaftlichen 2lus- 
blicfcn gibt es noch «in« fiel nähetliegenbe ©efahr, ein Problem, 
oon bem man nicht ju fprechen pflegt, bas man oft fogar leugnet, unb 
bas hoch oorhanben ift. ©s ift burdj bie bisherige ©ruppierung ber 
eutopäifchen «Staaten oerbeett, aber es würbe unfehlbar auftauchen, 
fobalb Stu&Ianb ohne ©egengewicht ben Often Suropas beberrfebte. 
®as ift bie baltifche grage, bie gtage ber Oftfee unb ihrer Rüftcn. 

Sie fcheint georbnet, fie hat ju Ronf litten jwifehen bem beut- 
Ät “ 8 ' fchen unb ruffifchen Sleich noch nie Stnlafj gegeben. ®af; fie 
gleichwohl beftebt, hat tein ©eringerer als Raifer SUejsanbet III. be- 
zeugt, bet einmal im ©efpräch mit bem beutfehen Rronprmjen, bem 
fpätem Raifer griebricb, ben Slusfpruch tat : ein bauembes ©hroet- 
ftänbnis jwifehen Stufelanb unb $>eutfch(anb fei burch bie baltifche 
grage unmöglich gemacht. 

Oieht man näher ju, fo entbeeft man, bafj für S?uf|(anb in ber 
Oftfee bie gleiche geographifche Sage befteht wie im Ochwarjen 
SHeer. ©s befitjt einen großen Peil ber Rüfte mit mehreren wed- 
oollen S)äfen, aber bas SUeet felbft wirb burch SDeerengen gefcblojfen, 
bie leicht ju fperren fmb, unb übet bie Stu^Ianb (eine STlacbt hat. 
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9Bof»l (mb es (eine ©rofomäcbte, bie hier 2öad»t (»alten; (ie laffen 
ficf» burcf» ©üte ober ©eroalt gefügig erhalten. Sufjlanb bat beibcs 
angemanbt, mit ©änemart na(>e greunbfdjaft gepflegt, £d»meben 
befiegt unb eingefebiiebtert unb baburd» bie S)etrfd>aft auf ber Oftfee 
faft jmei ga(ir()unbette behauptet. Sie mürbe it»m aud» gar nid»t 
ftreitig gemacht, bis bas ©>eutfd»e 9?eicf» auftrat, firf» eine ftarle 
Kriegsflotte fd»uf unb einen Kanal bureb fjolftein baute, ber i(»m 
bie türjefte Serbinbung jmifdjen Sorbfee unb Oftfee gab. 33 on 
biefem Sage an (»atte Sufjlanb bie Sjerrfd»aft ber Oftfee oerloren. 
'Petersburg, Seoal unb Siga tonnten otrne Seefd»Iac(>t, o(»ne Kampf 
biodiert, ber ganje ungeheure ©jrport aus bet nörblicfien Själfte 
bes Seicbes gefperrt werben, wenn bie beutfcf»en Kriegsfcbiffe fid» 
oor ben Sigifd»en unb ginnifcfien OTeerbufen, ja wenn fie fid» nur 
oot ben Sei t unb Sunb legten. ®as genfter nad» SBeften, bas 
Peter ber ©tofje erobert (>atte, (»atte ein paar fiäben betommen, 
unb es ftanb in ber 9Jlad> t bes 9lad»barn, fie ju fcbliefjen. ©afo bies 
ebenfotoenig blofje Iheorie ift, wie bie Sperrung ber ©arbanellen, 
erleben mir (>eute. 

©ie Ke(»rfeite bes Silbe« entfprid»t bem burc(»aus. ©urfte 
Sufjlatib es auf eine ©infdjliefjung in ber Oftfee nidjt antommen 
laffen, fo mufete es mit ©eutfd»fanb im glottenbau metteifern, 
©ine ruffifd»e Kriegsflotte aber, bie ben Kampf mit ber beutfcfien 
auf 5 unef»men imftanbe mar, bebeutete eine ftete ©ro(»ung gegen 
bie beutfd»e Oftfeetüfte. gut jmei grofjmäd»tIid»e Kriegsflotten bietet 
eben bas tleme baltifd»e Sleer nid»t genug Saum. 3(»r blofjes Sor- 
(»anbenfein muf? früher ober fpäter bie uralte gtage bes dominium 
maris Baitici mieber auftollen, bie nur barum fo lange geru(»t (»atte, 
meil es gaf»r(»unberte binbutcb an ber Küfte biefes OTeeres erft gar 
teine, bann nur eine einjige ©rof;mad)t gegeben (»atte. ©arum 
(»aben alle tiefer Slidenben gemußt, bafj bie altüberlieferte greunb- 
f<$aft gmif<$en uns unb Sufelanb unmiebetbringlid» bal»in fei, als fie 
im Sommer 1912 bie 9tac(>rid>t lafen, baf} bie ruffifd»e Duma bie 
SHttei jum Sau einer neuen unb großen Kriegsflotte bemilligt habe. 

SBenn aber einmal bie 9716glid»leit eines feinbfeligen ©egen- 
fat|es jroifd»en ben beiben 91ad»barmäd»ten gegeben mar, bann 
ermeiterte fid» auc() fofort bie Seibungsfläd»e. S! an (»at es oft ge- 

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hört, jtmfdjen ©ufrlanb unb ®eutfdf>Ianb beftönben feine territorialen 
Streitfragen, feines ber Sänber begehre etwas oon bem Sefilj bes 
anbern. ®as ift fo einer oon ben Sätzen, bie man (ich bemüht, butch 
©Überholung wahr ju machen, weil fie an fid> gtunbfalfcb finb. 
®cut)d;lanb allerbings hat bisher fein ©erlangen nach ruffifetjer gebe 
gehabt; aber bei ©ufjlanb liegt bie Sache ganj anbets. gm ©lief auf 
bie Ratte genügt für ben, ber bie ©efchichte ©ufjtanbs im 18. 3af)t- 
hunbert nicht genauer fermt, um ihn batüber ju belehren, ©ibt es 
benn nicht auch int pteufjifchen ©ofen unb Oberfchlefien ©ruchteile 
ber polnifchen ©aiion, bie ©ufjlanb als fein gigentum anfieht? 
3war ben bebenflichen gfjatalter wie gmifeben Oefterreich unb 
©ufjlanb hol hier bie polnifche Jrage nicht, weil ber preufjifche 
Staat ben ©uffen ben gefallen getan hot# es mit feinen 
polnifchen Untertanen grünblich ju oetberben. Unb hoch ge- 
nügte eine oorübergehenbe ©lilberung bet ©egenfätje, wie fie 
unter gaprioi 1890 eintrat, um in ©etersburg tief ju oerfthnmen. 
gs war jwar gegen Oefterreich gemünjt, was bie 9lowoje ffiremja 
im ©ooembet 1913 fchtieb: „®ie ©ereinigung bet auslänbifchen 
©ölen mit ben ruffifchen ift ein bringenbes ©ebürfnis fowoljl bes 
ruffifchen ©eichs wie bes polnifchen ©olfes.“ ©ber es fonnte nicht 
weniger auch auf ©ofen unb Oberfchlefien feine Slnwcnbung finben. 
ferner: nicht weniger als jwei bebeutenbe Stromfpfteme, bie auf 
ruffifchem ©oben »erlaufen, münben in pteufjifchem ©affet, bie 
©eichfei unb ber ©iemen (JRernel). 211» jchmaler Streifen fchiebt 
{ich bie ©rooinj Oftpreufjen jwifepen bie ©leerestüfte unb ihr 
$mterlanb ©uffifch-©olen. So gut wie im 15. fjahrhunbert bas 
grofjpofnifche ©eich, fann fein gebe ©ufjlanb auch h< er nach feiner 
natürlichen Rüfte »erlangen, ©er bie ftaatlichen ©renjen geo- 
graphifch unb einfach geftalten wollte, müfjtc unbebingt wenigftens 
bie ©ei$fel jut ©tenjlinic jwifeben ©ufjlanb unb ©ölen machen 
unb Oftpreufeen nebft Sh»™, glbing unb ®anjig an ©ufjlanb 
geben, ©enn fchon oot bet ©nnejcion ©olens, als im Sieben- 
jährigen Rriege tuffijehe Stuppen in Ofipteufjen ftanben, fofort bie 
ginoerleibung bes Sanbes in bas tuffifche ©eich »erfügt würbe, 
fo fann man {ich erft recht nicht wunbem, bafj biefer Sage ebenfo 
»erfahren unb beim Smmarfch ber jarifchen ©rmee auch (»gleich 
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«in ©ouoemement „Beu-Bußlanb“ ober „Buffijch-Oftpreußen" 
eingerichtet rourbe, beffen Barne übrigens oerraten mürbe, baß es 
nicht bi« leßte berartige Srmerbung fein feilte. ®ie 2öege jeigt auch 
hier Peter ber ©roße, ber in bem Beftreben, „einen 3uß im Reiche 
ju hoben“, ®anjig, Vorpommern unb Blecflenburg be eilt hatte 
unb toibertoiUig genug räumte. Sollten bie Rreife, bie bisher bie 
Rührung in bet ruffifchen treffe hatten unb jetjt bie Rührung auch 
in ber ruffifchen Spolitit haben, fie bauemb behalten, fo mürbe bie 
natürliche ©renje jmifchen Seutfchlanb unb Bußlanb an ber Slbe 
liegen, fo mie nach franjöfifchet Sluffaffung bie natürliche ©renje 
Stanlreicps bet Bhetn ift. 3n bem Programm ber national-ruffifchen 
Partei, mie es in Pogobins „Politifcfren Briefen“ niebergelegt ift, 
fteht neben bet Eroberung ber ®atbanellen bie Befetjung bes 
Sunbes. Oft genug hot man in ruffifchen Blättern ben $inmeis 
barauf finben lönnen, baß alles £anb im Often bet SIbe urfprünglich 
flamifcher Boben unb barum immer noch rechtmäßiges Sigentum 
ber flamifchen Baffe fei. Solch« Stinnerungen an bas 10 — 13. 3ahr- 
hunbert bürften als romantifch« Phantaficn beifeite gefchoben 
merben, menn nicht bie Stellen, bie fie gelegentlich oortragen, 
fehr angefehen unb einflußreich mären, mie j. B. fjürft Sfmjatopolf- 
Blirsti unb bie halbamtlichen „Petersburger Bachrichten", unb menn 
nicht, genau mie bei ben Baltan- unb ®arbanellenfragen, ein 
fehr nüchternes unb reales 3ntereffc babintcr ftänbe, nämlich bas 
Bebürfnis, bie Rüften bet Oftfee unb ihre Bteerengen ju beherrfchen. 

3n ©eutfcfrlanb hat man auf alles bas fehr menig, entfebicben 
ju menig geachtet, unb mo man barauf achtete, es nicht emft ge- 
nommen. 3n Schmcben hat man es beffer gemürbigt. Soen Jfcbin 
ift bott nicht ber einjige, ber bie ©efatn ertannt hot, bie ben ftanbi- 
naoifchen Siänbem oon Bußlanb broht, unb feit ber Krieg ausge- 
broeben ift unb bie Büdfictrten fortfallen, bie man fich bisher auf- 
julegen für nötig hielt, mehren fich t>ie Stimmen oon bort 
her, bie es offen ausfprechen, baß ein Sieg ber ruffifchen ©affen 
übet ®eutfchlanb auch für bie norbifchen Böller bas Snbe ihrer 
Unabhängigst bebeuten mürbe '). §at hoch auch ber Bcichstanjler 

1) Sludi in Stormcgcn n>if|cn Singcrocibtc, worauf Bußlanb cs abgc- 
fehen hat. Cin nonoegifeber ©clcbrtcr, Dr. S). S). Stall, crjählt (Sübbcutfcbe 

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o. 23etbmann-hoIImeg ju einem Vertreter bet bortigen Preffe 
gefagt, ©eutfcblanb tämpfe in biefem Kriege jugieidi für bie greibeit 
unb iSyijtenj bet flanbinaoifcben Staaten, 
iratidiioiib tfr Sb i(t alfo in bet Sat ein Uebensbebürfnts bet beutfeben 
«<8inr *usiann Station, bafjSlufjlanb nicht im Often (Europas allmächtig 
»erbe. SOemt bas oetbinbert toetben foll, muß bie öfterceicbijcb-unga- 
iif4>e ©rofjmacbt erhalten bleiben, weil fie bie einzige 9Rad)t ift, biege- 
gen Slufjlanb ein ©egcngeroidit bilben tann, heute mehr benn je, ba 
Snglanb biefe xRolle, bie es früher als feine Pflicht anfab, oollftänbig 
aufgegeben unb ficb felbft mit bem alten (Erbf emb oetbunben bat. hier- 
über bat bas ©eutfebe 9?ei<b, feit Sismard im gabt 1876 bie oet- 
fänglicbe Jtagc nach feiner Slcutralität in einem ruffifeb-öfterreiebi- 
feben Kriege mit Sieht beantwortete, nie einen gtoeifel gelaffen. 
Sollenbs nach bem was in ben Iritifcben Jabrcn 1908/9 unb 1912/3 
gefebeben wat, wußten auch bie tuffifeben ^politifet genau, woran 
fie waten. Sollten ibte JJiele im Süb-Cften (Europas erteiebt 
werben, fo galt es, ooebet bas beutfebe Sleicb ju übetwinben. (Ein 
altes geflügeltes SBort bet ruffifdten ©iplomatie jagt, Konjtantinopel 
müffe m SDien erobert werben. Seine Jortfeijung lautet feit 
35 gabten: unb SDien ttiuf} in Serlin bejwungen werben. 

©arum bat man fi<b m ben b«i&en gulitagen biefes gabres 
in Petersburg nicht oiel mit Anfragen aufgebalten, fonbem bie 
Süobitmacbung, als einmal bet Krieg befd>Ioffen war, fofort auch 
gegen ©eutfcblanb gerichtet unb bie geinbfeligteiten gegen bie 
beutfebe ©renje juerft eröffnet, ©abutcb wat für grantreicb bet 
Pünbnisfalt gegeben, es mufjte ebenfalls emgreifen. 
c„ 9 iant.ä SBic weit auch (Englanb bureb frühere Sufagen ge- 

•ingtrttm bunben war, ift eine fjtage, bie ficb nicht fo leicht be- 

antworten lägt, ba es ficb b'et nicht um einen förmlichen 

Bettung oom 4. ©ejembet 1914), ihm fei non einem boeöftebenben ftanbi- 
naoifgten Beamten mitgcteilt worben, bafj im tu(fif<ben Rricgsminiftcrium 
fdton längjt Silane fertig liegen, wie bie nortoegifcfie Stabt Snomfö in 
einen Rriegsbafen umgeroanbelt werben Wnne, wenn Kufjlanb Slotwegen 
erobert habe. Sin hothitebenbet ruffifther Beamter habe ihm bas aus 
eigener Renntnie als mabrjcbeinlith beftütigt. 

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vuspv-. 


Bertrag jmifchen ben beiben Staaten, fonbcm um Abmachungen 
mef)t perjönlicbec Act jmifchen ben beiberfeitigen Staatsmännern 
banbeite. Aber roas (am auf bie Binbung an, ba bet AJille jum 
Krieg längft oortianben mar ! ©urcb feinen Smfpruch hätte Snglanb 
ihn leicht oerhmbem tönnen, aber gerabe Snglanb münfcbte 
ihn längft, münfcbte ihn noch fehnlicher als feine gteunbe, benn ihm 
follte ja ber ffauptgemmn jufallen. Sie grage mar nur, ob es nicht 
mieber neutral jufeben follte mie femerjeit, als Aujjlanb unb 3apan 
fich betämpften. A)ie bamals, fptacb auch j«bt oieles bafür, bie anbem 
(ich mechfelfeitig jerfleifcben unb fchmächen ju laffen, um felbft als 
lachenber ©rittet ben Profit oom ©efchäft einjuftreichen. gür bie 
Neutralität menigftens ju Beginn bes Krieges fptacb aufjerbem, 
bah fi« bie Nlbglicbteit bot, bur<h Sinfetjen ber eigenen ungefcbmäch- 
ten Kraft bie Sntfcheibung ju geben, fobalb es oorteilhaft fchien. 
Sir Sbroarb ©rep h at jmat behauptet, ber Anterfcbieb, ob man 
neutral bliebe ober am Kriege teilnähme, märe unbebeutenb ge- 
mefen; bie Neriufte mürben in beiben gälten ungefähr gleich grofj 
fein. Sr hat mit biefem Ausfpruch, ben er heute gcmif) nicht mehr 
miebetholen mürbe, oor aller 2BeIt ben Berneis geliefert, bafs man 
ht Snglanb Nlmifter ber ausmärtigen Angelegenheiten fein tann, 
ohne oon ben michtigften ausmärtigen ©efchäften eine Ahnung ju 
haben. Sr hat aber in betfelben Bebe auch mit töftlicher Naioität 
ben mähten ©runb ausgeplaubert, bet ihn bemog, bie Neutralität 
fogleich fallen ju laffen: er fürchtete, ja, ec mar fichet, bafj ohne 
englifchen Seiftanb grantreich oerloren fein unb ©eutfchlanb bie 
©elegenheit benutzen mürbe, an ber bclgifch-franjbfifcben Küfte 
längs bem Kanal eine Stellung emjunebmen, bie für Snglanb 
hbchft unbequem roerben tonnte. Auf bie befthnmte Berfichetung, 
bag ©eutfchlanb bies nicht beabfichtige, fofem Snglanb neutral 
bliebe, tonnte ein Nlinifter Snglanbs fchmeclich oiel geben, meil 
jeber bie anbem nach f><h felbft beurteilt unb Snglanb in gleicher 
£age fich an berartige guficberungen nicht ju binben pflegt, ©ah 
es eine Nlacht geben tönne, bie in biefem Buntte anbem ©runb- 
fätjen hulbigt unb auch in ber Bolitit ehrlich bleibt, tann ein eng- 
lifcher Staatsmann fich nicht oorftellen. 


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@0 (ft ber 20clttricg entftonben : eine Solge bet 

»ciromnjitit ©tflntung bes ®eutjchen Reiches, eine natürliche, 
ja eine notwenbige Jolge, foweit in menfchlichen ®ingen 
von Stolwenbigteit bie Siebe fein (ann. SBer ba meint, er hätte 
vermieben werben tönnen burch eine anbere ^olitif, burch 
mehr ©ejchid m ber Diplomatie, bet ficht nicht auf ben ©runb bet 
®mgc. ©emif) ift auf unfeter Seite mancher gehler gemacht worben. 
SBann unb wo hätten SJienjchcn nicht Seiger gemacht? Such Stieb- 
tich ber©rofje unbSismatcf haben fie gemacht unb felbft emgeftanben. 
9!tag fein, bafj -Colitif unb Diplomatie unfeter ©egner gefcbidter 
waren. aber felbft wenn unfet Spiel noch f» meifterhaft gewefen 
wäre, ber Krieg wäre hoch gcfommen, oielleicht fpäter, oielleicht 
auch früher. ®r war unb ift nun einmal gerichtliche Stotwenbigteit. 
®as blofje Sorbanbenfem eines ftarlen ®eutf<hen Steiges nötigte 
fowohl Sranfreith wie Stufelanb unb ©nglanb ju ©infchräntungen 
ihres SKachtftrebens, bie fie fonft nicht nötig gehabt hätten unb bie fie 
freiwillig auf fich ju nehmen nicht gefonnen waren. ®araus muhte 
bet Krieg hetoorgehen, wenn unfere Slachbam nicht anbete würben 
als fie finb. 3fm ju oermeiben gab es wirtlich nur eine STioglicbteit: 
bas ®eutfchc Steich mufcte entweber nie gegrünbet werben ober 
freiwillig abbanten. SBollte es beftehen bleiben, feinem Stange 
gernäf; leben, feinen Kräften gemäf; fich entwideln, fo tarn eines 
£ages ber Krieg. Stufgabe ber ®iplomatie tonnte es nur fein, ju 
verhüten, bafe er jur Xlnjeit tornrne. 

smuwanM ®*efe Slufgabe h a * unfere ®iplomatie gelöft. Sie 
hat fich webet überragen noch jur Uebeteiiung fort- 
reifcen (affen. Söir hoben — mancher vielleicht mit Ueber- 
rafchung — aus ben nachträglich veröffentlichten Sitten etfehen 
tönnen, wie genau unfere Stegierung über bie Schliche unb 
Stänfe bet ©egner unterrichtet war. §ätte fie früher jugteifen, 
Gegenminen fegen, etwa gar bem Singriff juvortommen follen? 
Sltancber hat es gemeint, auch mancher Sachtunbige jehon 1905, bann 
1911 bas Sosfchlagen geforbert. ®ie Steichsregierung hatte mehr 
©ebulb als bas S3olt, unb bie Gefehlte muh *h r Stecht geben. 3ebes 
Saht, bas fie uns ben Stieben länger bewahrte, ift uns im ent- 
fcheibenben Sltoment jugute getommen, weil bie verantwortlichen 

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Stellen bei aller dufteren ©elafjenpeit bod> feinen Slugenbiid bie 
©efaftr rerfannten unb in ber 5trbeit ber Vorbereitung auf bas, 
roas fie tommen fapen, feine 97)mute oerloren. 3mmer oolienbcter 
rourbe unfere Rriegsrüftung, immer ftärter unfere mirtfcbaftlicbe 
unb finanzielle Stellung, unb immer t)ötjcr fcpmoll bas moralifcpe 
Scpulbf onto unferer (Segnet an. Sin folcber Slusbrucp nationaler Snt- 
rflftimg, toie mir it>n fcplieftlicp erlebten, als ber Raifet nach turjem, 
atemlofem Starren bas erlöfenbe SBort ausfpraep, eine folcpe oorbepalt- 
lofe Sinigfeit bet dürften unb Völfer märe nicht möglich gemefen, 
hätten mir nicht allefamt, oom erften bis jum leftien, bie felfenfefte 
lteberjeugung gehabt, baft ber Krieg befcbloffen mar, meil er mit 
Spren fcplecbterbings nicht mehr oermieben merben fonnte. Vor 
btei, oor neun Bahren — ob es bamals auch fo gemefen märe? ®ie 
abmartenbe (Sebulb hotte 3>ns unb 3infes)ins getragen, unb ber 
Unmille, ber fi<h längft angefammelt hotte, mirtte jeftt als aufge- 
fpeieperte Sprengtraft. Vocp nie ift ein Volt mit reinerem 
©emiffen in ben Krieg gezogen. ®as mar oielleicpt unfere 
gröftte Stärte, unb bie ©egner hoben es erfahren, mas es peiftt, 
menn ein ganzes Volt oon 68 VUUionen in heiligem 3®m z“ ben 
SBaffen greift. Sie hotten geglaubt uns flberliftet zu hoben, meil 
mir zu ftolz unb zu ehrlich maren, mit ihrem abgefeimten Spiel 
ZU metteifem. £ängft maren fie burchfcpaut; jeftt mürben fie ent- 
lang, unb mir leben ber feften 3uoerficpt, baft bie SDelt balb mirb 
emgeftepen muffen, mie reept ber alte beutfepe Spruch pot: 
Sprlicp mäprt am läng ft e n. 



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llllllLU lllill J lllllil INI I II 


Verlag ber < 53ucf>f)anblung 5? I o er c st Tübingen 


<?>rei$ E)übfcf> farton. 9R. 1.50 

CujruöausSgabc auf ‘Büttenpapier 
numeriert unb in Sbalbfranj gebb. SW. 5. — 

SWartin Sang urteilt: 

Sas Kiarcbcncrjäblcn liegt beit febtnäbifebcu Siebtem im Slut, rocnigjtens 
fen 'pocten alten Schlage, ben Stillen im Sanbe, ju benen Subroig goepf ge- 
bärt. 93 on ben 5 Klärchen finb 2, bae Klärchen oom ©olbfinger unb bae non bet 
fanne, fa(t rote oon einem febroäbifeben Knbcrfcn erjäblt; (o launig unb geiftreieb 
fängt bie ®efcbi<bte oom ©olbfinger an, unb (o noll jnrtcr, rocicber ©mpfinbung 
ift bie anbere son bem ocrlrüppeltcn Sänncbcn, bae fo gern ein ©hriftbaum trerben 
möchte unb am Snbe auch einer tnirb. Sie brei anbem finb Kojen oon bem roilben, 
romantifeben Klärcbcnjiraucb, non bem guftinus Steriler feinen „©olbener“ ab- 
pflfictte unb bae f<bmäbif<be Colt manche feiner innigen, alten Seen- unb Kitter- 
fagen. ©ine tinblicbe, golbenc Keinbcit unb lautere ©infalt bce Smpfinbene unb 
Schauer le leuchtet roie Sonncnfcbcin auf ben Seilen biefee Sucbes, bafj bie fo 
fcblicbt benannten „Jtiefclftcine“ bell aufgtänjcn, roie jene im Klärchen non $änfe( 
unb Sretel, bie mit ihrem meinen ©lanj im Klonbfcbein ben Jltnbcm ben S)eim- 
meg jeigten. gn ber S)anb einer Kluttcr aber mögen fie leicht, roie cs in bem 
fiböneu Conoort beifjt, ju ©olbe roetben. 


Bruno 5tanf jeiebnet ben ®ntmicflung#gang ©uftan ^bfijcrö, biefeä 
ötniefpältigen, wenig gliicflicben rPtenfcben, er jeigt ihn im Stontaft mit ben 
©rögen feiner 3eit, mit ©oetbe, ilblanb, Seine — not allem aber lägt 'Bruno 
3tanf aus ben ^Berten Töftjerä genug beä Schönen unb liefen bernortreten, 
um nieten üeberrafebung unb ©enug ju bieten. 


» 

o. 



^ünf SERärctyen t>on Dr. £. 3 oe$>f 


brutto ftrattf 



«Preis 2 «War! 




gjcrlag ber ‘gucfffranblung 3toere$ Tübingen 


$lll=$:übingen 

30 jyeberjeicfymingen »on O. ilbbclo^be 
mit ’Jert oon SKartin ßang 

<^rci« 9JW. 1.80 

®» ift ein ©enufi uni ein« fjreubc, biefe* Süchleiu JU burcfiblättem. ©i« 
fein ift Mbbelohbe, bet betannte ©rapbifet, in feinen !bftli<hen fjcberjcichnungen 
ben S4i6nf>citcn bet alten Slcdarftabt gerecht geworben, welch roirtungsooUc 
«uofänitte unb ©urchblide bat ct gewählt, unb wie ttefflieb b«l et überall Sicht 
unb Schatten h«tausgearbcitet unb gegcncinanbct abgewogen, bajj man ben 
wannen Sonnenfehein, bet übet einzelnen biefer Stnfichten liegt, förmlich ju fpüren 
glaubt, ©an wirb nicht mübe, bic 50 wohlgelungenen Silber immer wiebet ju 
betrachten, unb gern Iäfet man (ich baju in ber (Einleitung oon ©artin Sang oon 
ben Sehbnheitcn Stlt-Iübingen», oon Seien unb 9trt bet Sübinger ©eingärtner, 
oon ben engen ©affen bet Stltftabt, oom ©arftplah, Schloß unb Stiftstirch« er- 
gäben, ift boch bief« (Einleitung leine trodenc Stufjöhlung bet Sehenewütbigleiten 
im Stembenfühterftil, fonbem eine ftimmungooollc, feffelnbc, feine* lünftletifche* 
«mpfinben belunbcnbe «laubctei mit g«fchi(htli(hen, lunfthiftotifchen, ooltotunb- 
Uchen Slusbliden aller «tt. ©et in Tübingen ftubiett hat, folltc (ich bas hübfeh« 
Büchlein )u ftetet ©ifftifchung alter (Erinnerungen beilegen, unb auch für oorüber- 
gehenbe Sefuchet lübingen* gibt es laum ein hübfehetes Slnbenlen. ©em «er- 
lag, bem Rünftlcr unb bem Setfaffet ber (Einleitung gebührt aufrichtiger ©ant 
oon allen greunben Sllt-Iübingen*. 

9}ad> ftriebenäfcblufj werben erfeffeinen : 

9luni> um Tübingen 

30 ‘JJtberjeü^mingen oon O. llbbelo(>be mit^eyf oon Martin £ang 

$ltt=£ubtt>ig$burg 

50 3eid)nungen oon ©eorg £ebred)t 
mit (Einleitung oon ‘Ulejanber <5tfc^er 

SLrud eon ft. e o II 0 1> |r in ZOtingm.